Predigt über Joh. 8, 12 am 30. November 2008 Dr. Gebhard

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Predigt über Joh. 8, 12 am 30. November 2008 Dr. Gebhard
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Pastorin im Ehrenamt Dr. Dörte Gebhard
Predigt am 1. Advent, 30. 11. 2008 in der Schloßkirche Bonn über Joh 8,12
über „Zwielicht“ in der Predigtreihe „Johannes – der Medienexperte“
Gnade sei mit Euch von Gott, von dem der da ist, der da war und der da kommt.
Amen.
Liebe Gemeinde,
halten Sie sich persönlich für erleuchtet? Oder zählen Sie sich eher zu den etwas
zwielichtigen Erscheinungen? Der Evangelist, der weiß es. Johannes, den wir in
diesem Semester zur Rede stellen, der uns dafür überreichlich mit auffälligen
Bildern beschenkt. Johannes weiß die Antwort vor uns, vor unserer Aufklärung,
vor unserem Stolz und vor unseren Vorurteilen, vor allem über uns selbst:
Wir, die wir immer wieder und immer noch dabei sind Christen zu werden, sind
erleuchtet und gerade darum besonders zwielichtig.
Das ist keine gute und keine schlechte Nachricht, sondern eine, die unsere
schlechten Nachrichten besser und unsere guten Nachrichten etwas
zwiespältiger werden lässt.
Wenn Sie sich als Christinnen und Christen sehen und hören lassen, hat man
Ihnen sicher schon oft vorgeworfen: Ihr seid doch äußerst zwielichtige Gestalten
… Schein und Sein unterscheiden die groben Vorwürfler.
Und unsere Generationen sind nicht die Ersten, die das trifft. Wir leben in
großer und erlauchter Gesellschaft durch zwei Jahrtausende hindurch. Menschen
mit und um und nach Jesus Christus lebten immer schon im Zwielicht und leben
noch heute so. Kein Licht der Aufklärung hat daran etwas geändert. Die
medialen Möglichkeiten haben sich seit den Zeiten von Johannes rasant
vervielfältigt, aber es gibt deshalb nicht mehr Erleuchtete. Und die
Retrospektiven auf die Geschichten der Christenheit setzen die Weltgeschichte
in ein präzises Zwielicht, bis auf den heutigen Tag. Auch das ist keine gute und
keine schlechte Nachricht.
Die Weltgeschichte ist zwielichtig und sie ist deshalb zweierlei nicht, auch wenn
es gelegentlich so scheint: Sie ist kein einziger großer Fortschritt, es wird nicht
einfach alles heller, schöner, lichter, bunter. Aber sie ist auch keine mehr oder
weniger rasante Verfallsgeschichte, so, als sei einstmals alles klar gewesen und
nun, nach gut 2000 Jahren wirrer und wirkungsvoller Geschichten, hätten sich
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die ursprünglich guten Ideen leicht oder schwer oder gänzlich verdunkelt. Noch
einmal: Das ist keine gute und keine schlechte Nachricht, sondern eine große
Hoffnung.
Christen sind erleuchtet und leben daher im Zwielicht. Im Johannesevangelium
wird diese Ambivalenz ursprünglich erhellt. Jesus Christus lässt sich hören mit
einem anschaulichen Bild. Er sagt: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir
nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des
Lebens haben (Joh 8,12).
Und was notiert der Journalist als allerersten Eindruck, wohl, weil es
unübersehbar war? Dieser Messias ist eine zwielichtige Erscheinung! Denn
unmittelbar im nächsten Vers wird berichtet: Da sprachen die Pharisäer zu ihm:
Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr (Joh 8, 12f).
Diese Gesichter können wir uns sofort und mühelos vorstellen, diese „Das kann
ja gar nicht wahr sein!“-Grinser, die Grimassenschneider, die Spötter, das
höhnisch-anonyme Gelächter aus der zweiten Reihe. Der Klang der Worte ist
noch nicht verhallt … Da wissen es schon alle besser:
Ein Zeuge, das ist sonnenklar, kann immer nur ein Zweiter sein, einer der
beobachtet und den man auch sehen kann. Jesu Vater, auf den Jesus sich beruft,
ist weit und breit nicht zu sehen – der zählt auf gar keinen Fall.
Obwohl es nun der Inbegriff einer Nachricht ist, die keinen überzeugt, hat einer
es aufgeschrieben. Ich stelle mir vor: vielleicht bei schlechter
Ölfunzelbeleuchtung. Es qualmte sicherlich, es stank und es flackerte im Winde
stark. Aber das ‚Ich-bin-Licht-das-Licht-der-Welt-Wort‘ strahlt nun schon seit
Jahrhunderten und taucht die Welt überhaupt erst in dieses exakte
Zwischenlicht, das zu sehen lehrt, dass es heller, aber auch viel dunkler sein
könnte. Das Zwielicht, das wir Menschen nötig haben zum Leben und zum
Glauben. Es ist die genaue Mitte der Dämmerung, die uns hören lässt auf die
Pessimisten und aktiv werden lässt gegen alle lebensfeindlichen Finsternisse. Es
ist der Dämmerschein, der schon hell genug ist, dass wir wagen, ein Ohr den
Optimisten zu leihen, dass es einst nach Gottes Willen ganz hell werden wird.
Christen leben im Zwielicht, weil das Licht der Welt in die Dunkelheit der Welt
scheint – Gott hatte einst Licht und Finsternis voneinander geschieden. Man
bemerkt: Der Schöpfer hat etwas geschaffen, aber nichts abgeschafft!
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Liebe Gemeinde,
nur zwei Eigenarten des Lichtes sollen am diesem ersten Advent bedacht
werden. Sie scheinen gerade besonders zeitgemäß und medienkompatibel: Das
Licht der Welt leuchtet dezentral und es ist das mobilste, schnellste Medium, das
wir kennen.
Zuerst: Das Licht der Welt erscheint nicht erst in unserer „vielspältigen“ [Ernst
Troeltsch] und pluralisierten Welt dezentral, sondern ist immer schon gebrochen
und geteilt. Das ist seit Moses Zeiten eigentlich nichts Neues, soll aber in
unseren Tagen, die wir so gern die Mächte und Gewalten zentralisieren, noch
einmal als Nachricht verbreitet werden. Der Singular „das Licht“ ist doch
mindestens interpretationsbedürftig.
Denn: Das Licht der Welt, auf einmal! Wer malt sich das aus: Gottes Glanz auf
einem Haufen? Das überlebt kein Mensch! Gott sprach schon zu Mose: Mein
Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
Und Gott sucht eine sehr schattige Felsspalte für Mose – Wenn dann meine
Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand
über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir
tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht
sehen (Ex 33, 20-23 in Auszügen).
Gottes Licht konzentriert auf einen Punkt – das ist wahrlich „zu viel des Guten“.
Auch die Musik der Welt ist ja nicht der eine Riesenkrach, den alle Geräusche,
Töne und Instrumente auf einmal verursachen würden, was unter allen
Umständen tödlich laut wäre. Die Musik der Welt sind viele, sehr viele einzelne
Töne, verteilt rund um den Globus und die Jahrtausende, von denen längst vieles
verklungen ist. So hören wir heute nur wenig von der insgesamt möglichen
Musik– und nur das macht es erträglich und dann sogar sehr schön und weckt
das Verlangen nach mehr …
Gott sei Dank gibt es also nicht nur eine, zwangsläufig riesige und blendende
Lichtquelle, man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist es!
Nein, das Licht Gottes - … es ist mitten unter euch (Lk 17, 21), so betont es
Lukas.
Das Licht der Welt ist mitten drin, unter uns; das Licht sind die vielen,
vielspältigen Lichter und alle Sorten. Die Evangelisten werden nicht müde,
immer wieder das Dezentrale zu betonen:
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Wo Hungrige Brot bekommen, gottlob sind das viele Orte auf der Welt, überall
da scheint das Licht der Welt auf. Wenn sich alle Völker der Welt versammeln,
dann kommt es auf die vielen, kleinen Lichter an: Denn ich bin hungrig
gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. … Ich bin ein Fremder gewesen
und ihr habt mich aufgenommen… Ich bin krank gewesen und ihr habt mich
besucht … Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das
habt ihr mir getan (Mt 25, 35f.40b) Es heißt nicht: Wenn ihr alles geschafft habt,
nur dann habt ihr etwas geleistet.
Zum dezentralen, geteilten Licht gehört, dass es nicht blendet, ja, dass es
überhaupt nicht überwältigend hell und schwer beeindruckend ist. Die
Verheißungen, daß das Licht bleibt, gelten denn auch dezentral: Von einem der
Propheten nach Jesaja hörten wir, dass der glimmende Docht nicht verlöschen
wird. Wie viele winzige Kerzenscheine und wie viele Menschen, die ihnen
glichen, wird es schon gegeben haben auf der Welt? „Gott, der Herr, hat sie
gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl, an der
ganzen großen Zahl …“.
Darum haben unsere stromfressenden Adventsdekorationen doch etwas
Bezeichnendes, ja geradezu etwas Hochwohllöbliches, weil sie so, so viele und
so kleine Lichter sind. Das Licht der Welt ist nicht wie das Sonnenlicht, das
blendet und blind macht, wenn man direkt hineinsieht.
Verteiltes Licht ist nicht grell und verletzend, sondern heilsam. Man dachte
wohl manchmal an einen stechenden Lichtstrahl, den die Offenbarung aller
Wahrheiten verbreiten sollte. Aber die Erleuchtung durch die Wahrheit ist nicht
krass und brennend, sondern gnädig, weil Gottes Wahrheit ja darin besteht, dass
Gnade walten soll in der Welt.
Das dezentrale Licht der Welt kommt von Gott; wir haben die Verheißung, dass
Blinde wieder sehend werden. Für Blinde muss es aber zunächst recht dämmrig
sein, wenn ein Mensch, der sein Leben im totalen Schwarz verbracht hat, das
Sehen nicht als neuen Schmerz, sondern als Heilung spüren soll. Natürlich, ich
gebe es zu, ich hätte das Licht der Welt oft gern beeindruckender, strahlender,
überwältigender, besser zu sehen, auch von weitem, besser zu unterscheiden von
den anderen Reklamen, einleuchtender …
Aber das Licht der Welt sorgt eben seit seinem Offenbarwerden für Zwielicht.
Es gleicht wohl doch eher dem grünlichen Schimmer, der die Notausgänge in
den Theatern dieser Welt erhellt, also das kleinste denkbare Lichtchen mit dem
größtmöglichen Rettungspotential … Das Licht der Welt ähnelt dann und wann
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dem matt-bläulichen Schein eines Handy-Displays in völliger Dunkelheit, mit
dem man doch noch anrufen kann: die Telefonseelsorge oder den Notarzt oder
die Auskunft, einen Menschen … Ein mattes Licht, aber um Hilfe zu holen,
doch genug.
Das Licht der Welt leuchtet dabei allerorten mit derselben Verschwendung, die
wir so tolpatschig und ängstlich nachahmen mit unseren tausend Lichterketten.
Tags hängen sie wie schwarze Spinnennetze zwischen den Häusern, aber
nächtens strahlen sie die Häßlichkeiten der Welt doch schön an und lassen sie
verheißungsvoll und schöner scheinen. Oder das Licht der Welt ist vorzustellen
wie eine Lampe mit Bewegungsmelder, die immer genau im entscheidenden
Moment leuchtet, aber eben nicht vorher und nicht nachher, nur wenn wir einen
Schritt tun.
Damit ist der zweite Punkt erreicht: Das Licht ist zudem extrem mobil. Jesus zu
folgen war zu keiner Zeit leicht, aber verlangt: Wer mir nachfolgt, wird nicht
wandeln in der Finsternis … Das Licht ist mit gewaltigem Abstand das
schnellste, was wir Menschen gerade noch versuchen können, mit vielen Zahlen
für unseren so langsamen Geist zu fassen und einen Moment lang festzuhalten.
In 8 Minuten Predigt ist es von der Sonne bis zur Erde gelangt, jetzt schon weit
über uns hinaus. So können wir dem Licht schon wegen seiner physikalischen
Geschwindigkeit immer nur nachfolgen. Und fangen lässt sich Licht nur um den
Preis totaler Finsternis. Wie untauglich für das Licht sind doch Kirchbauten aus
dicken Mauern! Sie vertreiben das Licht recht regelmäßig. Drinnen wird es
sofort dunkel und zugleich draußen schattig, mindestens an einer Seite.
Das Licht der Welt lässt diese nicht nur zwielichtig erscheinen, sondern ist in
sich selbst zwiespältig. Es hat, so wissen die Physiker, den Charakter von
Teilchen und von Wellen. Sie erinnern sich vielleicht an ein paar Experimente
im Physikunterricht mit einer kleinen schwarzen Spaltlampe auf den Tischen im
extra verdunkelten Schulzimmer oder an die farbenfrohen Spektralanalysen von
Gasen im Lehrbuch – oder denken Sie einfach an den letzten Regenbogen, der
am Himmel stand.
Licht breitet sich geradlinig aus und lässt sich zugleich beugen. Ebenso bewegte
sich Jesus Christus durch die Welt, wenn man den physikalischen Vergleich
noch einen Moment weiterspinnt und gewissermaßen ‚poetisch-theologische‘
Physik treibt: Der Heiland bewegte sich genau wie ein Teilchen und wie eine
Welle, zugleich geradlinig und gebeugt, mit Klarheit und Leidensbereitschaft.
So wie auch jedes noch so funzelige Licht hinter jedem Türspalt geradeaus ins
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Dunkel scheint und zugleich ein wenig um die Ecke biegt. Machen Sie dieses
kleine optische Experiment einmal vor ihrer eigenen Tür: Kein Licht der Welt
will sich abfinden mit der Dunkelheit. Es scheint geradeaus und biegt ab,
leuchtet in die Breite, in die dunkle Weite hinter einem noch so kleinen Spalt.
Das geschieht für uns mit unfassbarer Geschwindigkeit, das Licht ist der
uneinholbare Inbegriff von Mobilität, wie schnell wir auch unterwegs sein
mögen. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege (Ps
119) Das Licht ist immer vor uns, das Licht ist immer schon da.
Das Licht der Welt erleuchtet uns und lässt uns zwielichtig werden. Wir
erkennen, gerade bei göttlicher Beleuchtung, wo unsere Grenzen sind:
Menschen können andere nahezu mit Lichtgeschwindigkeit terrorisieren, töten
und Tohuwabohu, Chaos verbreiten, aber für immer wieder neues Licht am
Ende der Nacht, dass die Erde sich weiter dreht, dafür können wir nichts tun, nur
warten, auf den kommenden Morgen.
Menschen können alles kaputtmachen mit Neid und Missgunst, andere sehr
schnell in den Schatten stellen, aber doch auch helfen, dass andere überhaupt
erscheinen im Blickfeld. Aber daran müssen wir extra denken, im Advent, zu
Weihnachten, das müssen wir eigens üben: Dass andere nicht übersehen werden
in ihrer Not, dass sie ihre Gaben leuchten lassen können …
Leute von heute können umgehen mit Schlaglichtern, mit grellen Lampen und
scharfen Strahlen, wir sind technisch versiert, alles zu durchleuchten, aber
unsere romantischen Weihnachtsdekorationen offenbaren, was manche
vielleicht mehr ahnen als wissen: Wie gut das Halbdunkel einer Kerze tut, die
nicht alles unbarmherzig ans Licht zerrt ...
Jesus Christus, der spricht: Ich bin das Licht der Welt, hat uns erleuchtet,
dezentral und mobil, und damit unsere Welt in ein Zwielicht getaucht. Das ist
keine gute und keine schlechte Nachricht, sondern eine große Hoffnung im
Advent.
Und das Licht Gottes, das heller scheint als unsere Vernunft, das erleuchte,
stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.
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Fürbitten
Großer Gott, wir danken dir, dass du in unsere zwielichtige Welt kommst.
So bitten wir:
Großer Gott, komm näher im Advent,
lass dein Licht scheinen dezentral, überall
bei allen draussen in der Dunkelheit vor den Türen:
bei denen, die einsam sind,
bei denen, die auf Straßen und Wegen leben,
bei denen, die immer draussen stehen,
die von Statistiken nicht erfasst werden,
bei uns.
Großer Gott, komm näher im Advent,
lass dein Licht scheinen dezentral, überall,
bei allen drinnen, in der Dunkelheit hinter den verschlossenen Türen,
bei denen, die im Gefängnis sind,
bei denen, die gefesselt sind in ihren Ängsten,
bei denen, die an verborgenen Orten des Elends leben,
bei uns.
Großer Gott, komm näher im Advent,
lass dein Licht scheinen mobil, überall,
bei denen, die das Licht immer wieder fangen wollten,
bei denen, die immer herrschen wollen und andere ängstigen mit den Gewalten
der Finsternis,
bei denen, die kein Licht mehr sehen,
bei uns.
Großer Gott, komm näher im Advent,
lass dein Licht leuchten mobil, überall,
bei allen, denen die Zeit davonrennt,
bei denen, die keine Ruhe finden in den Nächten,
bei denen, die fliehen, vor anderen, vor sich selbst,
bei denen, die von keinem Licht mehr eine Ahnung haben,
bei uns.
Großer Gott, komm näher im Advent,
lass dein Licht leuchten, überall,
warm gegen die Kälte,
klar gegen die Verwirrung,
gerade, gebrochen und gebeugt,
lass dein Licht leuchten bei uns.
Gemeinsam beten wir, wie es Jesus Christus uns gelehrt hat: Vater unser

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