Der Bote - Das Rauhe Haus
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Der Bote - Das Rauhe Haus
Ich dein baum Du hast mich geträumt gott/wie ich den aufrechten gang übe/ und niederknien lerne/schöner als ich jetzt bin/ glücklicher als ich mich traue/freier als bei uns erlaubt/ Hör nicht auf mich zu träumen gott/ich will nicht aufhören mich zu erinnern/ dass ich dein baum bin/gepflanzt an den wasserbächen /des lebens/ Der Bote Berichte aus der Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses Dorothee Sölle Dienende Gemeinschaft Lampedusa in Hamburg Seite 19 Einsegnungen und Aufnahmen Seite 55 Nr. 2 | Dezember 2013 | 102. Jahrgang au f e i n wo rt Der Bote 2/2013 titelbi ld Festessen zur Einsegnung September 2013 Es ist schon zur lieben Tradition geworden: Schwestern und Brüder in blauer Schürze servieren unter fachkundiger Anleitung das Festessen für die neuen Geschwister und ihre Gäste. Stellvertretend hier zu sehen sind die Schwestern Birgit Dethlefs, Katharina Seiler und Helen Joachim. Darum an dieser Stelle an alle helfende Hände ein dickes Dankeschön! licht Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt und der Glanz Gottes strahlt über dir auf. Jesaja 60,1 Liebe Schwestern, liebe Brüder! „Mach dich auf und werde licht ...“ Ein großer Auftrag. Er muss erfüllt werden, muss in den Terminkalender eingeplant werden. Es muss überprüft werden, wer an der Erfüllung mit beteiligt werden kann. Das ist nicht nur mir vertraut: losrennen, an allen Schaltern regeln, die Lichter grell und strahlend aufblenden. Da ist es kein Wunder, dass ein kleines Wort beinahe verloren geht. Fast unscheinbar, ein altes Wort: licht. Mit einem kleinen „l“. Es trägt einen hellen, leichten Klang. Der lichte Schein, transparent, zart. Wohltuend. Der große Auftrag verliert seine Aufforderung, die sagen lässt: „Hilfe, wie soll ich das auch noch schaffen“? Das kleine Wort wird zur Ermutigung, licht-durchlässig und hell-hörig zu sein: „... denn dein Licht kommt und der Glanz Gottes strahlt über dir auf“. Das kleine „l“ führt uns zum großen „L“ dem Geschenk Gottes, zu seinem strahlenden Glanz, der uns umgibt. Werde licht! Ganz einfach und wunderbar! Ein Bruder im Herzen ist mir dabei Matthias Claudius (1740–1815): Und so leuchtet die Welt langsam der Weihnacht entgegen. Und der in Händen sie hält, weiß um den Segen! Der Bote steckt voller lichter Ein- und Ausblicke: zum Beispiel im Bericht über eine persönliche Glaubensgeschichte (Seite 38), den Erfahrungen in der Gemeinschaft auf Reisen und bei Konvikttrefffen und im Engagement für die Flüchtlinge in Hamburg (von Seite 19). Mit zwei Artikeln zum Themenbereich diakonischer Identität (ab S. 6) setzen wir den im letzten Boten begonnen Diskurs fort. Besonders froh sehen wir auf zwanzig Schwestern und einen Bruder (S. 55), die wir im September in unsere Gemeinschaft aufgenommen haben. Für die langen Abende seid ihr also gut mit Lektüre versorgt. Ich wünsche euch lichte Weihnachten und ein gesegnetes, frohes, neues Jahr. Eure Claudia Rackwitz-Busse 3 i n ha lt Der Bote 2/2013 Der Bote 2/2013 i n h a lt Das bringt der neue Bote: DAS THEM A 4 6 Gemeinsam macht Sinn, sichert Qualität Dienstgemeinschaft und diakonische Identität von Bernd Seguin 13 Kultur gestalten Zum Führungsverständnis diakonischer Einrichtungen von Volker Krolzik aus deM ÄLTESTENRAT 34 365 Tage neuer Ältestenrat Persönlicher Zwischenbericht von Tabea Fiebig aus dem R au h en Haus 36 180 Jahre Das Rauhe Haus aus deR HOCHSCHULE aus der gemei nsc haft 19 Ihr sollt die Fremden lieben … (5. Mose 10,19) von Niclas Rabe 21 „Lampedusa in Hamburg“ Dietrich Gerstner 24 Gemeinschaftlich auf Weltreise Konvikt Schleswig Holstein Süd/Altona von Gesa Borek 26 Die visionäre Kraft der Psalmen Konviktwochenende Niedersachsen von Doris Paland 28 Irgendwann laufen die Beine von alleine Lauf zwischen den Meeren Mai 2013 von Annette Spiegel 29 Solidarisch leben Oktobertreffen des Konvikts Rheinland-Westfalen 2013 von Renate und Hans-Joachim Kirchhefer 30 Von der Hallig bis nach Haithabu Unsere Senioren auf „Nordreise“ von Ulf Porrmann 32 Herrnhut, Görlitz und viel Geschichte Klassentreffen des Jahrgangs 1961/62 von Bruder Gunter Hell 37 Neuer Studiengang an der Evangelischen Hochschule AnstöSSe 38 Sich nähern und berührt werden – Ein- und Ausblicke zum Diakonischen Blockseminar „Glaubensbekenntnis“ im November 2012 von Henriette Liebmann 44 44 46 48 51 55 58 60 61 62 64 66 67 persön lic h es Ein Nachruf für Erika Peters – Unterwegs sein im Leben von Reinhard Förtsch Ein Nachruf für Rudi Müller von Norbert Mieck Ein Nachruf für Gerd Rölleke von Walter Hamann Ein Nachruf für Dr. Dieter Dreisbach von Gert Müssig „Die Nordkirche braucht Sie!“ – Grußwort zur Aufnahme und Einsegnung 2013 von Wolfgang von Rechenberg Unser Einsegnungs- und Aufnahme-Jahrgang 2013 mit Assistentinnen und Assistenten sowie Theologinnen der Evangelischen Hochschule Jubiläen Geburtstage Persönliches Te r mi n e Em pfe h lu n ge n I mpr e ssum 5 DAS THE M A Der Bote 2/2013 Dienstgemeinschaft und diakonische Identität geben Auskunft über Wirklichkeit, Einstellungen und Veränderungsnotwendigkeiten. Pastor Prof. Dr. Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, hat die vier Untersuchungen ausgewertet, analysiert und interpretiert4. Eines seiner Fazits, in meinen Worten: Kirche muss sich für die Gesellschaft öffnen, Profil(e) entwickeln und leben, Identität vermitteln, Offenheit fördern und keinesfalls Menschen durch formale Kriterien ausgrenzen. Ein solches Kriterium ist die formale Kirchenzugehörigkeit. Für die Kirchentheoretikerin Uta PohlPatalong steht fest, „Kirche muss akzeptieren, dass Menschen selber definieren, welches Verhältnis sie zur Kirche haben.“ 5 „Glaube ist zur Option geworden“, so der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Altbischof Prof. Dr. Wolfgang Huber, zum Auftakt des ersten Nordkirchen-Kongresses Ende des diesjährigen Septembers in Schwerin. Wie wahr diese Feststellung ist, beweist die Mitgliederentwicklung in den evangelischen Landeskirchen. Waren 1950 noch 60 % der Deutschen, Mitglied einer evangelischen Landeskirche, so sind es nach der aktuellen EKD-Statistik 2010 noch 30 % gewesen. Schaumburg-Lippe ist mit 61,4 %1 die absolute Ausnahme. Angesichts dieser Zahlen wiesen Eicken und Schmitz-Veltin2 bereits 2010 darauf hin, dass diese Entwicklung gepaart mit Glaube ist zur Option geworden. Kirche muss sich inhaltlich profilieren, für die gesamte Gesellschaft öffnen, inklusiv werden und arbeiten, Gemeinden müssen aktive Mitglieder und Player im jeweiligen Sozialraum sein, neue Formen und Strukturen schaffen, die binnenkirchliche Konzentration aufgeben. Dies gilt selbstverständlich ebenso für die Diakonie. Ohne Profil, Identität und Werte kann ein diakonisches Unternehmen nicht arbeiten und sich am Markt behaupten. Es geht darum, einen USP (Unique Selling Proposition = Alleinstellungsmerkmal) zu entwickeln und zu positionieren, um die Erkennbarkeit der Identität also. Diakonische Identität und Dienstgemeinschaft 6 Der Bote 2/2013 Liebe Schwestern, liebe Brüder, diakonische Identität und Dienstgemeinschaft – zwei unterschiedliche Perspektiven habt ihr im letzten Boten dazu gelesen. Wir als Redaktion hatten euch eingeladen, darüber zu diskutieren, Fragen zu stellen, Position zu beziehen. Zwei Beiträge haben uns erreicht. Zwei Brüder aus unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen beschreiben ihr Verständnis von diakonischem Eigensinn und Dienstgemeinschaft. Wir wünschen eine anregende Lektüre! Eure Redaktion Gemeinsam macht Sinn, sichert Qualität dem demografischen Wandel wesentliche Auswirkungen auf die Kirche und deren soziale (meint diakonische) Angebote haben wird. Neben dem Schwund von Mitgliedern leidet die evangelische Kirche ebenfalls unter einem rapiden Vertrauensverlust. In der vierten Erhebung der EKD über Kirchenmitgliedschaft3 wird berichtet, das Vertrauen in die Kirchen ist vergleichbar mit dem in die Politik und den Banken. Diakonie und Caritas gelten dagegen als höchst vertrauenswürdig, vergleichbar mit Polizei, Militär und Feuerwehr. Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen waren und sind seit 1974 so etwas wie ein strategischer Kompass, sie DAS THE M A Dies wäre für mich z. B., den christlichen Sinnzusammenhang durch die fachlich hoch qualifizierte Arbeit des Unternehmens darzustellen. Das setzt normative Führung und eine gute Diskurskultur voraus. Offenheit durch Profil ist das Ziel für Kirche (und Diakonie), wie es Martin Abraham begründet und beschreibt.6 Soweit einführend einige Rahmenbedingungen und Ziele. Ganz bewusst habe ich mich dafür entschieden, in diesem Beitrag sehr viel zu zitieren. Damit möchte ich deutlich machen und dokumentieren, wie intensiv über diese Thematik diskutiert wird. Zur Dienstgemeinschaft „Der Begriff der Dienstgemeinschaft wird für eine theologische oder rechtliche Begründung oder Grundlegung der besonderen arbeitsrechtlichen Formen kirchlich-diakonischer Arbeit (Dritter Weg) gern angeführt. Er ist dafür aber ganz ungeeignet. Er hat nämlich keine besondere kirchlich-diakonische Herkunft, sondern stammt aus der allgemeinen deutschen Verwaltungssprache, wahrscheinlich im Nationalsozialismus.“7 Wie Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandsvorsitzender des Wittekindshof, sehe ich ebenfalls keinerlei tragfähige theologische Begründung für eine solche arbeitsrechtlich definierte Dienstgemeinschaft. Der Begriff Dienstgemeinschaft kommt tatsächlich aus der Nazi-Zeit, genau aus dem „Gesetz zur Ordnung 7 DAS THE M A 8 der Arbeit in öffentlichen Betrieben und Verwaltungen“ aus dem Jahr 1934. In der Nachkriegszeit diente der Begriff primär dem Schutz der Landeskirchen in der DDR gegenüber ihrer Regierung und Verwaltung, auch keine theologische Begründung. Dabei ist unbestritten, dass es durchaus inhaltlich fundierte, aus christlicher Überzeugung geprägte Dienstgemeinschaften gab und gibt. Ich habe von 1978 bis 1984 in einer solchen gearbeitet. Im Diakonischen Werk Hamburg waren zu jener Zeit die meisten Schlüsselpositionen mit Diakoninnen und Diakonen besetzt, damit war Profilbildung und die Festlegung gemeinsamer Ziele von der Altenhilfe über die Obdachlosen- und Beratungsarbeit, Suchthilfe, Schwangerschaftskonfliktberatung, Mutter-KindHeime bis hin zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit möglich. Diskursiv aber meist konsensual, einem Ziel verpflichtet – Diakonie ist Kommunikation des Evangeliums. Dabei hatten wir jede Menge unterschiedliche Auffassungen über das Wie – und das war gut so. Basis war damals die gemeinsame christliche Glaubensüberzeugung. Kirchenmitgliedschaft war nicht lästige Pflicht, sie war selbstverständlich. Das hat sich grundlegend geändert. Heute haben wir eine bunte Koalition der Verschiedenen, wie Matthias Nauerth schreibt.8 Das war Ende der Siebziger des vorigen Jahrtausends ganz anders, damals galten andere Selbstverständ- Der Bote 2/2013 lichkeiten und Rahmenbedingungen. Unstrittig ist die Konfessionsbindung eine historische Wurzel caritativer und diakonischer Unternehmen. Kein Wunder, sind doch diese Unternehmen, Werke, Stiftungen oft auf Initiative einzelner oder mehrerer Menschen (z. B. Wichern, Sengelmann) entstanden, die durch ihre Konfession geprägt waren. Konfession ist in diesem Zusammenhang aber als Bekenntnis, als Glaubensüberzeugung, zu verstehen – und nicht als formale Kirchenzugehörigkeit.9 Entscheidend sind für mich die normativen Werte und vereinbarten Ziele (ein gemeinsam entwickeltes Leitbild z. B.). Diese müssen sich an den Grundaussagen des christlichen Glaubens orientieren. Gerhard Wegner: „Das kirchliche Arbeitsrecht muss sich mithin im Vergleich zum Arbeitsrecht unmittelbar an einem christlichen Verständnis der Arbeitswelt, wie es sich aus Bibel und Tradition gewinnen lässt, normativ orientieren.“10 Dierk Starnitzke empfiehlt bei der Diskussion um die Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts die konsequente Konzentration auf biblische Quellen und kommt zu dem Schluss: „Trotz des erheblichen zeitlichen Abstandes von fast 2.000 Jahren ist gerade im evangelischen Kontext aufgrund des in der Reformation geprägten Selbstverständnisses für alle wesentlichen Überlegungen zum Spezifikum kirchlich-diakonischen Handelns ein Bezug auf biblische Quellen anzuraten. Das erfordert eine permanente Aktuali- Der Bote 2/2013 sierung der Texte. Welche rechtliche und organisatorische Form die einzelnen diakonischen Institutionen dabei für ihre Arbeit auch immer wählen, sie sollten diese als Konkretisierung des oben beschriebenen inneren Beweggrundes des christlichen Glaubens verstehen und auch erläutern können – etwa gegenüber Gerichten und Kirchenleitungen. Deshalb haben ja fast alle diakonischen Träger und Verbände zu Recht in ihren grundlegenden Dokumenten (z. B. Satzungen) dies als ihr Selbstverständnis formuliert. Sich daran zu orientieren und die eigenen Aktivitäten bewusst als Konsequenz eines solchen Selbstverständnisses im Sinne eines normativen Managements zu gestalten, wäre wesentlich überzeugender als die eher diffuse Verwendung des nebulösen Begriffes Dienstgemeinschaft.“11 So reizvoll es an dieser Stelle wäre, die Frage von Inklusion und Exklusion, auch von inklusiven und exklusiven Strukturen von Kirche, Diakonie, diakonischem Handeln, Mitarbeitenden-Auswahl oder die Bedingungen einer interreligiösen und interkulturellen Öffnung etc. zu diskutieren, es ist nicht der Ort dazu. Auch wenn es eigentlich dazugehört. Diakonische Unternehmen und Stiftungen haben Verantwortung für Klient_innen, Patient_innen, Bewohner_innen, Schüler_innen, Studierende, etc. und gleichermaßen Verantwortung für ihre Mitarbeitenden. Betrachten möchte ich hier aus der Perspektive des Arbeitgebers – als stellvertretender Vorsitzender des DAS THE M A Stiftungsrats und Hauptausschusses der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (ESA) – die Verantwortung für die Mitarbeitenden. Selbstverständlich haben diese einen Anspruch auf ein auskömmliches Einkommen und gute Arbeitsbedingungen. Eine Messlatte hierfür sind Tarifverträge. Fast jedes größere diakonische Unternehmen hat mehrere geltende Tarifverträge, je nach Aufgabenbereich z. B. den KTD, für Mitarbeitende im Reinigungswesen den für diesen Arbeitsbereich gültigen, gleiches gilt für Mitarbeitende in der Gastronomie, in einer Gärtnerei oder der Landwirtschaft, im Facility-Management usw. Die Begründung hierfür liegt in den unterschiedlichen Anforderungen, verschiedenen Branchen und Geschäftsfeldern, den Erstattungsmöglichkeiten und der wirtschaftlichen Konkurrenzsituation. In der ESA arbeiten rund 6.200 Mitarbeitende – knapp 1.300 sind Menschen mit Handicaps. Alle Mitarbeitenden werden nach dem jeweils zutreffenden Tarif bezahlt. Bei aller Konkurrenz auf dem Sozialmarkt – was nicht sein darf ist, der Ausstieg diakonischer Unternehmen aus der Tarifbindung. Dies würde den Grundsätzen einer christlichen Ethik widersprechen und vermindert keinesfalls die Konkurrenzsituation. Die tariflich vereinbarten Entgelte sind im diakonischen, sozialen, pflegerischen und therapeutischen Bereich (z. B. Logopädie, Ergo- oder Physiotherapie) ohnehin sehr 9 DAS THE M A 10 knapp bemessen. Deswegen ist es eine Verpflichtung der Arbeitgeber, die jeweiligen Tariferhöhungen konsequent mit den Kostenträgern zu verhandeln. Dabei können Koalitionen mit Gewerkschaften sehr sinnvoll sein, deswegen bedauere ich, dass es in der ESA einen so geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad gibt. Das schwächt gewerkschaftliches Handeln. Grundsätzlich bin ich für eine Tarifpartnerschaft und Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, sie sind verlässliche und kompetente Partner. Ein gemeinsamer Tarifvertrag der Wohlfahrtsverbände würde uns alle stärken. Dies setzt allerdings voraus, dass Diakonie und Caritas als konfessionelle Verbände auf die ACK-Klausel verzichten. Als ausgesprochen sinnvoll und hilfreich erlebe ich in der ESA, dass vier von den Mitarbeitenden gewählte Vertreter_innen stimmberechtigte Mitglieder in dem 18köpfigen obersten Aufsichtsgremium, dem Stiftungsrat, sind. Eine Vertreterin der Mitarbeitenden wurde ebenfalls in den fünfköpfigen Hauptausschuss gewählt. So ist sichergestellt, dass Mitarbeitende bei sämtlichen Grundsatz-, Strategie-, Konzept- und Finanzentscheidungen sowie als Partner_innen in einem normativen Führungsprozess beteiligt sind. Das schafft Transparenz und Vertrauen und die Voraussetzungen für die Bildung einer Wertegemeinschaft, die zusammen das Diakonische entdecken und gestalten wollen. Was immer das dann ist. Der Bote 2/2013 In diakonischen Unternehmen und Stiftungen müssen Normen, gemeinsame Werte, Identität und Profile11 entwickelt werden. Das Proprium der Diakonie ist die Qualität und Professionalität ihrer Arbeit, geleistet von fachlich fundiert arbeitenden Mitarbeitenden in einer Wertegemeinschaft. Es geht um Qualität und Sinn.13 Dies ist auch die Chance, den christlichen Sinnzusammenhang diakonischer Arbeit deutlich zu machen. Abschließend zu dem Punkt Dienstgemeinschaft: Für mich ist das überhaupt kein zeitgerechter, geschweige denn zukunftsfähiger Weg, sondern lediglich ein tradierter und inhaltsleerer Begriff. Sämtliche Definitionsversuche treffen weder die Wirklichkeit noch die Anforderungen diakonischer Arbeit, es wird ignoriert, dass die Mitarbeitenden schon lange keine Glaubensgemeinschaft mehr sind (wenn es denn jemals so umfassend war, wie heute vermutet). Qualifizierte und fachlich fundierte professionelle Arbeit in der Diakonie ist nur durch die von Nauerth beschriebene Koalition der Verschiedenen mit gemeinsam definierten Werten und Zielen zu erreichen. Dabei kann angesichts der Säkularisierung und unserer gesellschaftlichen Realität die formale Kirchenzugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung keine Rolle mehr spielen. „Evangelisches Kirchenverständnis weiß um die Grenzen einer Verkirchlichung des Glaubens; es bezieht sich ausdrücklich auch auf die Dimensio- Der Bote 2/2013 nen eines öffentlichen und eines individualisierten Christentums.“14 Das Verbindende und Gemeinsame der Mitarbeitenden in der Diakonie ist ihre Fachlichkeit und die professionelle Kompetenz. Matthias Nauerth hat das ausführlich und treffend dargestellt.15 Zur Bildung einer Wertegemeinschaft, der gemeinsamen Entwicklung von Werten, Normen, Zielen und einer (Unternehmens-) Identität, bedarf es einer normativen Führung, bzw. eines normativen Managements.16 Es gibt verschiedene Ansätze und Theorien zum normativen Management. Die von mir präferierte stammt aus St. Gallen.17 Mit Pastor Prof. Dr. Hanns-Stephan Haas, Vorstandvorsitzender der ESA, teile ich die Einschätzung, in der Diakonie wird zu häufig mit der Fiktion (vielleicht ist es ja auch ein Axiom) gearbeitet, die geleistete Arbeit würde von Christ_innen unter einem gemeinsamen institutionellem Dach erbracht; mit folgender Konsequenz: das Besondere (= diakonische) dieser Leistung würde dabei durch die individuelle Identität konstituiert. Eine unzulässige Engführung. Die Identität eines diakonischen Unternehmens, die gemeinsame Erarbeitung eines Profils, der Aufbau einer Wertegemeinschaft, also das Erreichen einer gemeinsamen Sichtweise, das Erlangen von Handlungsfähigkeit – kann nur durch eine Diskurskultur erstritten und vereinbart und keinesfalls verordnet werden. Um Identität zu erreichen und zu leben ist die Unternehmens- DAS THE M A kultur eine entscheidende Bedingung. Ein weiterer Faktor sind z. B. Rituale, aber auch Gebäude und Räume.18 Funktioniert diakonische Identitätsbildung angesichts von Betriebswirtschaft, Sparzwang und Konkurrenz auf dem Sozialmarkt? Eindeutig ja – und sie ist unverzichtbar. Matthias Nauerth und Michael Lindenberg, befürchten, dass die Bemühungen um eine diakonische Profilentwicklung oberflächlich bleiben, zu MarketingStrategien mutieren, der Inszenierung dienen und zur Deprofilisierung führen.19 Wenn die Entwicklung der diakonischen Identität und des Profils eines Unternehmens tatsächlich nur leere Reklame und schnöde Inszenierung sowie nicht mehr gemeinwohlbezogen wäre, dann stünde auf dem Etikett zwar Diakonie, in der Arbeit würde aber normative und identitätslose Beliebigkeit herrschen, also eine völlige Missachtung des USP und der proklamierten Corporate Identity (CI). Diese Unternehmen würden am Markt scheitern. Denn so funktionieren die MarktMechanismen auch. Das ist ja versucht worden, nicht nur in der Diakonie, und meistens sehr kläglich geendet. Ich verstehe die Ausführungen der beiden Professoren der Evangelischen Hochschule des Rauhen Hauses allerdings so, dass sie davor warnen, entweder neuen Wein in alten Schläuchen anzubieten (Markus 2,22) – oder den christlichen Sinnzusammenhang einer im Kontext diakonischer 11 DAS THE M A 12 Unternehmen falsch (oder gar nicht) verstandenen Ökonomisierung zu opfern. Selbstverständlich müssen sich diakonische Unternehmen auf dem Markt behaupten, gegen Konkurrenten durchsetzen – mit fachlicher Kompetenz, professionellem Handeln, in einer Wertegemeinschaft, die mit Identität und profiliert dem Nächsten und der Fernsten die gewünschte und notwendige Begleitung, Hilfe oder Assistenz anbietet. Anders gesagt: „In unüberbotener Formulierung hat die biblische Tradition den Der Bote 2/2013 Zusammenhang von ethischen Anspruch und ökonomischer Rationalität auf den Punkt gebracht. Er steht für eine Perspektive, die sich in keinen Kontextveränderungen erledigen wird und gedeckt ist durch eine mehr als 3000-jährige Geschichte: ‚Gerechtigkeit erhöht ein Volk’ (Sprüche 14,34).“20 Bernd Seguin Stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrats und Hauptausschusses der Evangelischen Stiftung Alsterdorf An mer ku ngen EKD Kirchenmitgliederzahlen am 31.12.2010, EKD Nov. 2011 Joachin Eicken, Ansgar Schmitz-Veltin, Die Entwicklung der Kirchenmitglieder in Deutschland, Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 6/2010 3 KIRCHE UND HORIZONT DES LEBENS, 2003, S. 12 4 Gerhard Wegner, 50 Jahre dasselbe gesagt?, Text aus dem SI, 2011 5 Uta Pohl-Patalong, Interview im Kirchentags-Magazin 4/11, S. 14 6 Martin Abraham, Evangelium und Kirchengestalt – Reformatorisches Kirchenverständnis heute, 2007 7 Dierk Starnitzke, Horizonte, März 2012 8 Matthias Nauerth, Der Bote, Juni 2013, S. 12 (Auf die Formulierung von Matthias Nauerth bin ich echt neidisch, nun muss ich ihn immer zitieren.) 9 Hanns-Stephan Haas, Konfessionsbildung als Identitätsmerkmal, unveröffentlichtes Manuskript 2013 10 G. Wegner, Zur Zukunft glaubwürdiger Arbeitsbeziehungen in Kirche und Diakonie, Hannover 2010, S.6 11 Dierk Starnitzke, Horizonte, März 2012 12 Lesenswert zum Thema diakonisches Profil ist das Blog diakonisch.wordpress.com/2013/02/05/ diakonisches-profil-neues-dossier-und-einige-notizen von Martin Horstmann. 13 Dazu auch Matthias Nauerth, www.ev-hochschule-hh.de/fileadmin/user_upload/downloads/Personen/ Bunte_Koalition_statt_Glaubensgemeinschaft.pdf 14 Rat der EKD: Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, Hannover 2006, S.34 15 Matthias Nauerth, Der Bote 1/2013, S 12 ff 16 Matthias Benad in: H.-S. Haas/U. Krolzik (Hrsg.), Diakonie unternehmen, Stuttgart 2007, S. 35 f 17 de.wikipedia.org/wiki/St._Galler_Management-Modell 18 Hanns-Stephan Haas, Konfessionsbindung als Identitätsmerkmal, unveröffentlichtes Manuskript,2013 19 Matthias Nauerth, Michael Lindenberg, Diakonische Identität auf dem Markt, These 5 www.ev-hochschulehh.de/fileadmin/user_upload/downloads/Personen/Diakonie_und_Markt.pdf 20 Hanns-Stephan Haas, Unternehmen für Menschen – Diakonische Grundlegung und Praxisherausforderungen, Stuttgart 2012, S. 19 1 2 Der Bote 2/2013 DAS THE M A Kultur gestalten Zum Führungsverständnis diakonischer Einrichtungen Vorbemerkung Die Diakonie des 21. Jahrhunderts hat vielfältige Gestaltungsformen. Drei lassen sich – trotz vorhandener Schnittmengen und fließender Übergänge – beschreiben: Gemeindediakonie, Verbandsdiakonie und Unternehmensdiakonie. Unter der Gemeindediakonie sind wohl auch die zahlreichen diakonischen Initiativen in Quartieren oder einzelnen Regionen zu subsummieren. Mit der Unternehmensdiakonie sind häufig diakonische Gemeinschaften verbunden, die ich in die nachfolgenden Überlegungen ausdrücklich einbeziehe, da sie m. E. wesentliche Kulturträger sind oder sein können. Meine Führungserfahrung bezieht sich auf diakonische Unternehmen und Gemeinschaften, weshalb auch dieser Beitrag auf diese fokussiert ist. Diakonische Unternehmungen befinden sich in einem dynamischen Wandel, der im Wesentlichen in sich rasch verändernden Rahmenbedingungen der folgenden vier Dimensionen begründet ist: Demografie, Technologie, Globalisierung und Säkularisierung. Das stellt Führungskräfte vor neue Herausforderungen und erfordert ein verändertes Führungsverständnis. Demografie Wir wissen, dass die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen in den kommenden Jahren erheblich steigen wird. Gleichzeitig werden in den diakonischen Unternehmen viele Mitarbeitende, die in den 1970er Jahren begonnen haben, ausscheiden. Diese Zahl erhöht sich noch einmal durch frühzeitiges Ausscheiden in besonders belastenden Berufen, zum Beispiel der Pflege. Diese demografische Entwicklung fordert von Führungskräften in der Diakonie, die diakonischen Berufe attraktiv auszugestalten, die sinngebende Dimension dieser Berufe zu vermitteln und so für den dringend erforderlichen Nachwuchs zu sorgen. Gleichzeitig müssen sie in der Lage sein, eine stark altersgemischte Mitarbeiterschaft adäquat zu führen und gemeinsam mit den Mitarbeitenden innovative Angebote zu entwickeln, um auf die steigende Nachfrage zu reagieren. Technologie Der technologische Fortschritt verheißt uns die Eröffnung neuer Lebenswelten und die Erleichterung des Lebens. Durch seine Schnelligkeit und hohe Präzision verspricht er, menschliche Begrenzungen auszugleichen. Auch in den Arbeitsfeldern der Diakonie spielt der technologi- 13 DAS THE M A 14 sche Fortschritt mit seiner besonderen Verheißungsstruktur eine große Rolle. So wird die technische Entwicklung immer mehr eingesetzt werden, um einerseits die Versorgungsqualität zu sichern (Dokumentation, Transparenzkriterien ...) und andererseits die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Das gilt insbesondere auch bei zunehmendem Personalmangel. In der Novemberausgabe der Zeitschrift „Zeitzeichen“ (11/2013) erklärt eine renommierte Wissenschaftlerin die steigende Notwendigkeit von technischen Assistenzsystemen und Servicerobotern in der Pflege. Bereits jetzt setzen wir Notrufdienste mit Bildgebungsverfahren oder Systeme zur Sicherheit in Haushalten wie Sturzmelder, Messfühler für die Vitalfunktionen sowie Ortungssysteme für Personen mit Orientierungsproblemen ein. Gleichzeitig nutzen die Menschen, denen diakonische Angebote gelten, die ihnen vertrauten technologischen Möglichkeiten der Kommunikation, um ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu erhalten. Der technologische Fortschritt fordert von Führungskräften in der Diakonie die Kompetenz, sowohl die Angebotsentwicklung als auch den Einsatz neuer Technologien ethisch und strategisch zu reflektieren. Globalisierung Diakonische Unternehmen stehen zunehmend nicht nur mit privaten und öffentlichen Anbietern sozialer Dienstleistungen im Wettbewerb, sondern auch Der Bote 2/2013 mit hochspezialisierten, häufig kostengünstigeren Trägern anderer Staaten im geeinten Europa. Das spüren wir besonders im Krankenhauswesen und in der ambulanten Pflege. Einrichtungen für demenziell erkrankte Menschen in EU-Ländern Ost- und Südosteuropas bieten ihre Dienste bereits jetzt deutschen Nutzern kostengünstiger an, als das hiesigen diakonischen Einrichtungen möglich ist. Ähnliches gilt für qualitativ hochwertige Pflegeeinrichtungen in Ostasien. Es werden also auch im Sozialbereich Arbeitsplätze in das deutlich billigere Ausland verlagert. Auch die Gewinnung von Mitarbeitenden, vor allem von Fachkräften, hat inzwischen eine europäische bzw. globale Dimension. Eine zunehmende Zahl gut ausgebildeter Fachkräfte aus süd- oder osteuropäischen Ländern ist bereits jetzt in diakonischen Einrichtungen hierzulande tätig. Neue Fachkräfte kommen aus Süd- und Ostasien. Beispielsweise wirbt das zur Alsterdorf-Gruppe gehörende Unternehmen „CareFlex“ im Internet mit der Vermittlung von Pflegefachkräften aus China in deutsche Pflegeheime. Die Globalisierung fordert von diakonischen Führungskräften, dass sie diese Entwicklungen strategisch mit bedenken, ethisch bewerten und im eigenen Unternehmen eine kulturell, ethnisch und religiös vielfältige Mitarbeiterschaft führen und dieser vermitteln können, was ein diakonisches Unternehmen prägt und trägt. Der Bote 2/2013 Säkularisierung Traditionelle Formen der Lebensorientierung verlieren zunehmend ihre Verbindlichkeit. Die individuelle Person kann und muss zwischen verschiedenen Lebensformen wählen und wird so zum Planer und Gestalter der eigenen Biographie. Das fördert einerseits Freiheit, Kreativität und Flexibilität, ist aber auch mit einer Abnahme sozialer Verantwortung verbunden. Die gesellschaftliche Anerkennung sozialen Helfens und diakonischer Berufe nimmt ab. In dem Bundesland, in dem ich derzeit lebe, wird der Ministerpräsident nicht müde zu betonen, dass „jeder Sachse ein Ingenieursgen“ in sich trage. Folglich werden die Förderung von pflegerischen oder sozialen Ausbildungen vernachlässigt und soziale Dienstleistungen im bundesdeutschen Vergleich am schlechtesten ausgestattet und honoriert. Aufgrund der Säkularisierung können sich diakonische Unternehmen in Ost- wie Westdeutschland nicht mehr darauf verlassen, dass ihre christliche Ausrichtung durch die Überzeugungen der Mitarbeitenden getragen wird. Vielmehr stehen sie in der Pflicht, diese ihren Mitarbeitenden einladend und werbend zu vermitteln, um als Diakonie glaubwürdig zu bleiben. Hier zeigt sich meines Erachtens eine wichtige Aufgabe diakonischer Gemeinschaften in ihren Unternehmen. Die Vielfalt individueller Lebensstile wollen Menschen auch dann, wenn sie DAS THE M A auf Unterstützungsleistungen angewiesen sind, leben können. Insofern benötigen wir eine größere Vielfalt von Wohnund Unterstützungsangeboten. Angesichts der Säkularisierung und Individualisierung kommt diakonischen Führungskräften die Aufgabe zu, soziale Verantwortung zu stärken und vorbildhaft zu praktizieren. Sie müssen außerdem eine Mitarbeiterschaft führen, die nicht traditionell christlich sozialisiert ist, und die diakonische Sinnmitte des Unternehmens unabhängig von der Überzeugung der Mitarbeitenden gestalten, vermitteln und verankern. Die Vielfalt der Lebensstile muss in der Diakonie strategisch bedacht werden. Kultur gestalten Führungskräfte in der Diakonie sind deshalb in erster Linie Gestalter einer diakonischen Unternehmens- und Führungskultur. Das zeigt sich in ihren Haltungen und Grundsätzen (stimmen diese mit den Normen und dem Leitbild des Unternehmens überein?), vor allem aber in ihrem Führungshandeln. Von Führungskräften in der Diakonie muss erwartet werden, dass sie: – präsent sind. Führung setzt Anwesenheit, Ansprechbarkeit und Aufmerksamkeit voraus. Führungskräfte, die sich hinter geschlossenen Bürotüren, in Verwaltungsgebäuden verstecken oder die Mitarbeiterkantine bzw. das Bewohnerfest meiden, werden nicht erfahren, was die Menschen in ihren 15 DAS THE M A 16 Einrichtungen beschäftigt und wie diese über das Unternehmen denken. – die Menschen ansehen. Jede heilvolle Beziehung beginnt mit dem Ansehen. Einem Menschen Ansehen geben, heißt ihn als Person wahrzunehmen – auch in dem, was er vielleicht nicht in Worte fassen kann. – den Menschen zuhören. Wirklich zuhören bedeutet, die eigenen Erwartungen, Vorstellungen und Übertragungen zurückzustellen und alles zu hören, was die Person sagt – nicht nur das, was ich gerne hören möchte. Zuhören setzt Präsenz und Ansehen voraus. – sich auf die Dienstgemeinschaft und die Menschen im Unternehmen einlassen. Mitarbeitenden ist es wichtig, dass die Führungskraft ihre Arbeitsund Lebensbedingungen kennt und in wesentlichen Aspekten teilt. Wenn der Chef oder die Chefin nur stundenoder tageweise von außen „einfliegt“, wird er oder sie wohl kaum von den Mitarbeitenden Identifikation mit der Einrichtung und ihren Besonderheiten erwarten dürfen. Vielmehr wird eine solche Führungskraft den Eindruck von Vorläufigkeit vermitteln. – die tragenden Normen sowie Entwicklungen und Strategien, operative Ziele und Entscheidungen kommunizieren. Kommunikation ist die Voraussetzung für Identifikation, Engagement und Arbeitsfreude. – die Unternehmenskultur leben. Hier kommen die das Unternehmen prä- Der Bote 2/2013 genden Gottes- und Menschenbilder sowie das Unternehmensleitbild ins Spiel. Aus dem Leitbild abgeleitete Führungsgrundsätze sind für alle Führungsebenen verbindlich. Es ist ein gutes Zeichen, wenn Mitarbeitende ihre Vorgesetzten daran messen und deren Verhalten darauf befragen. Christliche Kultur In vielen westdeutschen diakonischen Unternehmen können bis heute nur Menschen dauerhaft mitarbeiten, wenn sie einer Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) angehören. In Ostdeutschland, wo nur noch ein knappes Viertel der Bevölkerung Mitglied in einer Kirche ist, könnten wir eine solche „ACK-Klausel“ gar nicht aufrecht erhalten. Ist unsere Arbeit deshalb weniger diakonisch? Das glaube ich nicht. Vielmehr können diakonische Unternehmen im Osten nicht davon ausgehen, dass ihre Mitarbeitenden (ob Kirchenmitglieder oder nicht) christlich sozialisiert und geprägt sind. Sie müssen also ihre normativen Grundlagen und ihre diakonische Ausrichtung deutlich beschreiben und den Mitarbeitenden werbend und ermutigend vermitteln. Aus drei theologischen Gründen halte ich das für den richtigen und erfolgversprechenden Weg: 1. Der uns von Jesus als positives Beispiel dargestellte „barmherzige Samariter“ (Lk. 10) hätte nach damaligen jüdischen Regeln bei einer angewandten „ACK- Der Bote 2/2013 Klausel“ keine Chance gehabt, sich an dem Rettungsprozess für den unter die Räuber Gefallenen zu beteiligen. Aufgrund arbeitsrechtlicher Vorgaben wäre er von diesem heilvollen Handeln ausgeschlossen geblieben. Der Verletzte hätte angesichts der Gleichgültigkeit der Kirchenfunktionäre keine Chance gehabt. 2.Im Gleichnis vom Weltgericht (Mt. 25) fällt auf, dass diejenigen diakonisch handeln, die das nicht aufgrund einer theologischen Erkenntnis, sondern einfach das Notwendige und Menschengerechte tun. Die aber, die durchaus traditionell christlich denken, denn der Herr der Welt kann doch nicht bedürftig sein, versagen im Alltag. 3.Der Theologe Paul Tillich hat den Begriff der „Geistgemeinschaft“ geprägt. Dieser scheint mir für die Diakonie besonders hilfreich zu sein, weil er verdeutlicht, dass Gottes Geist in der Gemeinschaft von Menschen wirken kann, unabhängig davon, ob das den Mitgliedern dieser Gemeinschaft bewusst und von ihnen gewollt ist. David Lohmann („Das Bielefelder DiakonieManagement-Modell“) hat die Theologie Tillichs für die heutige diakonische Praxis erschlossen. Seine Erkenntnisse decken sich mit meinen Erfahrungen in diakonischen Unternehmen als „Geistgemeinschaften“ sehr unterschiedlicher Individuen. In der Herrnhuter Diakonie bemühen wir uns darum, allen Mitarbeitenden auf viel- DAS THE M A fältige Weise zu vermitteln, was Diakonie bedeutet und was sie trägt und prägt: zum Beispiel durch monatliche „Diakonische Vespern“ (Mitarbeiterversammlungen mit ausführlichem geistlichem Bezug), durch verbindliche Einführungsveranstaltungen für neue Mitarbeitende und verbindliche Seminare zur diakonischen Orientierung, durch regelmäßige Andachten und gemeinsam gestaltete Gottesdienste, durch Qualitätszirkel und ethische Arbeitsgruppen. Diese Verständigungsprozesse über die diakonische Identität sind nach unserer Erfahrung deutlich effektiver als arbeitsrechtliche Erwartungen. Und sie sind vor allem nachhaltig wirksam. Diese zu organisieren und zu gestalten ist eine wichtige Führungsaufgabe aller Ebenen. Dabei kann eine diakonische Gemeinschaft helfen, wenn eine solche im Unternehmen beheimatet ist. Grenzen realistisch wahrnehmen Auch in der Diakonie ist leider immer wieder zu beobachten, wie Selbstüberschätzung und Omnipotenz-Vorstellungen nicht nur Führungskräfte in die Überforderung, sondern auch Unternehmen in den Ruin treiben. Von Mose (2. Mose/Ex.) können wir lernen, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren, eigene Stärken und Schwächen richtig einzuschätzen. Beim Exodus, dem größten und schwierigsten Unternehmen des Alten Testaments, hat er deshalb seinen Bruder Aaron und die Ältesten des Volkes in die Führung eingebunden. 17 DAS THE M A 18 Wer diesen selbstkritischen Blick und den Mut zur kollegialen Zusammenarbeit auf Augenhöhe hat, wird sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere nicht überschätzen und an ihrem Tiefpunkt nicht verzagen. Um den Spiegel der Selbsteinschätzung nicht blind werden zu lassen, wird eine reife Führungspersönlichkeit auf Rechthaberei verzichten, eine kritischkonstruktive Fremdeinschätzung in ihrem Umfeld fördern und jede Form von Angstkultur vermeiden. Wohl dem Vorstand, der Leitungskollegen hat, die ihm in Liebe die Wahrheit sagen! Auch eine diakonische Gemeinschaft kann diese Funktion gelegentlich in einem Unternehmen wahrnehmen. In den vergangenen Jahren ließ sich in zahlreichen diakonischen Unternehmen beobachten, dass es besonders theologischen Vorständen schwerfiel, mit anderen Disziplinen kollegial und partnerschaftlich auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Der relativ häufige Wechsel in diesen Funktionen findet hierin zumindest eine Ursache. Wahrscheinlich lässt sich dieses Phänomen dadurch erklären, dass theologische Vorstände häufig aus der verfassten Kirche in die Führungsverantwortung eines diakonischen Unternehmens wechseln. In der Kirche werden Pfarrerinnen und Pfarrer leider immer noch zu „solitären Leitfiguren“ sozialisiert. Wenn sie nicht über andere berufliche Erfahrungen verfügen und sich nicht durch entsprechende Ma- Der Bote 2/2013 nagementstudien auf die neue Aufgabe in der Diakonie vorbereiten, ist die Gefahr eines Scheiterns relativ groß. D. h. nicht jede/r, der/die in der verfassten Kirche erfolgreich Leitungsverantwortung getragen hat, ist auch als Führungskraft in einem diakonischen Unternehmen geeignet. Hier ist eine besondere Verbindungskompetenz erforderlich, die das Teilen von Verantwortung und die vertrauensvolle Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen zum Wohle des Ganzen befördert. Diakonische Führungskultur Führungskräfte in der Diakonie sind heute in erster Linie Kulturgestalter. Indem sie Vertrauen geben und Vertrauen schaffen, Verantwortung ehrlich und umfassend delegieren und durch zuverlässige Strukturen den Mitarbeitenden Sicherheit geben, schaffen sie eine Unternehmenskultur, in der Wertschätzung und Respekt, Flexibilität und Kreativität, Teilhabe und Zuversicht wachsen können. Unter diesen Bedingungen können sich die Kompetenzen und Charismen (Geistesgaben!) möglichst vieler Mitarbeitender (unabhängig von deren Kirchenzugehörigkeit) entfalten und zur Wirkung kommen, damit sie allen dienen (vgl. 1. Kor. 12, 4–7). Diakon Volker Krolzik, M. A. Theologischer Vorstand der Stiftung Herrnhuter Diakonie und Geschäftsführer des Christlichen Hospizes Ostsachsen, lebt in Herrnhut Der Bote 2/2013 au s d e r g e m e i n s c h a f t Ihr sollt die Fremden lieben … (5. Mose 10,19) „Die Not ist unglaublich, die Situation unfassbar,“ stellt Schwester Constanze Funck (25) sachlich fest, sie ist die Koordinatorin der Nordkirche für das Projekt „Lampedusa in Hamburg“. Diakonin Constanze Funck begleitet und betreut die rund 300 Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg. Dazu gehören auch die 80 Männer, die als Gruppe in der St.-Pauli-Kirche Obdach sowie humanitäre Hilfe gefunden haben und seit Wochen bundesweit Schlagzeilen machen. Für die 25-Jährige ist Not weit mehr als wirtschaftliche Armut. „Die wirkliche Not der Flüchtlinge ist die Aussichtslosigkeit. Unter lebensgefährlichen Bedingungen sind sie dem Krieg und Terror in Libyen entflohen. In der Hoffnung, irgendwo in Europa ein neues Leben leben zu können. Hier aber erfahren sie Abweisung, sind nicht willkommen und einer formalen Rechtsstaatlichkeit ausgeliefert.“ Mit ihren Worten formuliert die Diakonin vergleichbar wie Papst Franziskus in Lampedusa: „Das Gefühl der brüderlichen Verantwortlichkeit ist verloren gegangen“. Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider und der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Hildesheims Bischof Norbert Trelle, sagten Anfang November bei einem Besuch in Jordanien: Angesichts der Tatsache, dass in Jordanien eine halbe Millionen Syrer aufgenommen worden sind, sei die Debatte in Deutschland „nahezu peinlich“. Für Schwester Constanze Funck ist es unfassbar, wie restriktiv in Hamburg mit den Flüchtlingen umgegangen wird. „Paragraphen statt Menschlichkeit erleben die Fremden, die für uns Christen und Christinnen unsere Nächsten sind und hier eine neue Heimat suchen.“ Besonders in St. Pauli erfahren die Flüchtlinge sowie die haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden sehr viel Akzeptanz, Hilfe und eine breite Unterstützung durch Vereine, Kirchengemeinden, die Nachbarschaft und die gesamte Nordkirche. Aus Angst vor einem Präzedenzfall – und gegen die Voten der Kirchen, von Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsorganisationen – handelt der SPD-Senat jedoch rein formal, nicht politisch. Damit vergibt er die Chance eines Kurswechsels in der Flüchtlingspolitik. Denn die Stadt hätte, da sie auch Bundesland ist, durchaus rechtliche Möglichkeiten, das Asylverfahren an sich zu ziehen, Bleiberecht zu gewähren. Dafür hat sich z. B. Markus Löning (FDP), der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, ausgesprochen. Selbst das Bundesinnenministerium hat mehrfach auf Hamburgs Souveränität in diesem Fall verwiesen. 19 aus der gemei nsc h aft 20 Sehr viel Erfahrung mit Flüchtlingen hat auch die Hamburger Bahnhofsmission. „Flüchtlinge und Migration, das bewegt die Bahnhofsmission Hamburg seit fast 120 Jahren“, sagt Diakon Axel Mangat (38). Menschen die europa- und weltweit unterwegs sind, um das Leben neu zu beginnen, sind seit jeher Gäste der Bahnhofsmission. Sie hat allerdings eine ganz andere Rolle und Funktion als die Mitarbeitenden im Lampedusa-Projekt der Nordkirche. Die Bahnhofsmission ist grundsätzlich für alle Menschen in Not da. In der Flüchtlingsarbeit wird eng mit den Fachleuten des Flüchtlingszentrums oder der EU-Anlaufstelle kooperiert. „Wenn sich Gäste entscheiden, Hamburg zu verlassen, weil sich ihre Hoffnungen hier nicht erfüllt haben, dann organisieren wir ihre Heimreise. Wenn nötig begleiten wir sie auch“, erklärt Bruder Axel Magnat. „Wichtig ist, die Entscheidung mit den Betroffenen sowohl in Ham- Der Bote 2/2013 burg gut vorzubereiten als auch die Anschlusshilfen an den Zielorten.“ Eine solche „transnationale Sozialarbeit“ gehört längst zum Alltag der Bahnhofsmission. „Ich finde wichtig, dass die LampedusaGruppe von Aktivisten unterstützt wird, die ihre besonderen Möglichkeiten darin haben, dass sie sich ausschließlich mit dem Thema Flüchtlinge befassen können,“ konstatiert Bruder Axel Mangat. Er beschreibt die Bahnhofsmission als Seismograph und Ratgeber, als diakonische Institution, die mit Haupt- und Ehrenamtlichen für viele Zielgruppen diakonische Arbeit leistet. Im LampedusaProjekt ist ständig Soforthilfe gefordert, die Flüchtlinge brauchen gezielte Beratung, Hilfen bei der Organisation des Alltags, Unterstützung zum Erreichen des Bleiberechts und beim Umgang mit Behörden – bis hin zur Beschaffung von rot-karierter Bettwäsche für 80 Personen in der St.-Pauli-Kirche. Lampedusa-Projekt und Bahnhofsmis- Angesichts der Faktenlage bedarf es zwingend einer Änderung der Flüchtlingspolitik · Seit Mitte der 90er Jahre sind mehr als 20.000 Menschen auf der Flucht von Afrika nach Europa ums Leben gekommen. · 2012 haben rund 330.000 Personen in den Mitgliedstaaten der EU um Asyl gebeten, davon 64.539 in Deutschland. · In Relation zur Einwohnerzahl liegt Deutschland damit im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld. · Hamburg hat 2012 insgesamt 2.091 Flüchtlinge aufgenommen, 513 von ihnen wurden in ihre Heimatländer abgeschoben. · Zum 31. Dezember 2012 befanden sich insgesamt 1.963 Menschen in Hamburg in einem laufenden Asylverfahren. au s d e r g e m e i n s c h a f t Der Bote 2/2013 21 Nächste Hilfe: Bahnhofsmission sion – das sind zwei unverzichtbare Angebote für Flüchtlinge. Sehr unterschiedlich, aber beide mit den gleichen Zielen: Fremde willkommen heißen, qualifiziert helfen, diakonisch begleiten, Perspektiven ermöglichen. Und es ist konsequent evangelisch, dass die Mitarbeitenden des Lampedusa-Projekts und der Bahnhofs- mission sich strikt an dem Reformator Martin Luther orientieren und sagen: „Hier arbeite ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.“ So sei es. Das ist es – christlich, diakonisch und richtig. Niclas Rabe Stadtteildiakon Sülldorf-Iserbrook „Lampedusa in Hamburg“ Vor einem guten halben Jahr wurde ihr Protest sichtbar: Zur Begrüßung des „Flüchtlingsschiffs“ MS Anton, welches das Zentrum für Mission und Ökumene zum Kirchentag gebracht hatte, standen am 1. Mai 2013 sechzig afrikanische Männer auf dem Landungssteg und hielten Banner hoch mit Inhalten wie „Wir sind Opfer des Libyenkrieges! Wir sind anerkannte Flüchtlinge und fordern Schutz! Wir sind hier, um hier zu bleiben!“ Als Bischöfin Kirsten Fehrs zwei Tage später das „Flüchtlingsschiff“ besuchte, baten die Männer, die sich nun „Lampedusa in Hamburg“ nannten, ihnen mit einer Unterkunft zu helfen, da sie alle auf aus der gemei nsc h aft 22 der Straße um ihr Überleben kämpften. Doch über Wochen war es nicht möglich, geeignete kirchliche Räumlichkeiten oder ein Gelände für ein Zeltlager zu finden, obwohl es im Mai nach dem Kirchentag sehr regnerisch und kühl wurde. Erst als die St.-Pauli-Kirche Anfang Juni ihre Türen öffnete, fanden immerhin 80 der insgesamt ungefähr 300 Menschen eine notdürftige Bleibe. Die übrigen Flüchtlinge verteilten sich währenddessen auf weitere kirchliche Räumlichkeiten, Moscheen, das Karawane-Café, eine Kantine an der Universität, Wohnprojekte der links-alternativen Szene und Privatwohnungen. Seit über sechs Monaten nun fordern die Flüchtlinge in einem politischen Kampf vom Hamburger Senat ein Bleiberecht, die Möglichkeit hier zu leben und zu arbeiten, da sie ihre Existenzgrundlage durch den auch von der NATO und den europäischen Ländern mit geführten Krieg gegen Libyen in 2011 verloren haben. Mit zahlreichen Demonstrationen und Veranstaltungen machen sie auf ihre Situation aufmerksam und fordern ein Bleiberecht als Gruppe. Der Hamburger Senat machte von Anfang an allerdings klar, dass er keine Perspektive für die Flüchtlinge in Hamburg sehe, sondern die Rückkehr nach Italien die einzige Lösung sei. Während dessen bot die Kirche umfassende humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge, nicht nur an der St. Pauli-Kirche, sondern u. a. in Borgfelde am Afrikani- Der Bote 2/2013 schen Zentrum, durch Vermittlung medizinischer Dienste oder psychotherapeutischer Beratung. Zahllose Freiwillige engagieren sich in St. Pauli und Borgfelde, bereiten Frühstück zu, unterrichten Deutsch, halten Nachtwache an der Kirche, kochen Essen, malen Transparente etc. Und die Nordkirche war immer wieder aktiv im direkten Kontakt zum Hamburger Senat und zur Innenbehörde, um eine Lösung für die „Lampedusa in Hamburg“-Flüchtlinge zu ermöglichen. Als ab dem 10. Oktober die Polizei vermehrt afrikanische Männer in St. Georg und St. Pauli kontrollierte sowie die St.Pauli-Kirche regelrecht mit Polizist_innen in Uniform und in Zivil umstellte, drohte der Konflikt ein weiteres Mal zu eskalieren, da nun auch militante Unterstützer_innen der Flüchtlinge gegen die rassistischen Kontrollen aktiv wurden. Nach einem Konfliktgespräch zwischen Innensenator Neumann und Bischöfin Fehrs unterbreitete der Hamburger Senat daraufhin der Flüchtlingsgruppe ein Angebot, das im Kern auf eine Einzelfallprüfung auf humanitären Aufenthalt mit Abschiebeschutz während des kompletten Verfahrens hinausläuft. Die Flüchtlinge würden nach Antragstellung zunächst eine Duldung erhalten. Die Bischöfin erklärte gegenüber der Öffentlichkeit, dass sie „keine Alternative“ zu diesem Angebot des Senats sehe und ermutigte die Flüchtlinge, darauf einzugehen. Mittlerweile haben sich einige Flüchtlinge bei der Behörde gemeldet, während Der Bote 2/2013 au s d e r g e m e i n s c h a f t 23 Ein Teil der Lampedusa-Flüchtlinge hat in der St-Pauli-Kirche in Hamburg Asyl gefunden. die Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ das Angebot in dieser Form ablehnen. Hauptgrund dafür ist das mit der „Duldung“ im ersten Jahr nach Erteilung verbundene Arbeitsverbot, die Ungewissheit des Ausgangs der individuellen Verfahren und die dann drohende Abschiebung ins Herkunftsland sowie das über Monate gewachsene Misstrauen gegenüber dem Senat, der sich bisher so ablehnend gegenüber ihrem Anliegen gezeigt hat. Ich kann es schwer abschätzen, wie die nächsten Wochen aussehen werden, wie sich der Protest der Flüchtlinge für ein weitergehendes Bleiberecht entwickeln wird. Denn eines ist schon jetzt klar: Die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ hat diese Stadt aufgerüttelt – für ihr eigenes Schicksal und insgesamt für die Situation der Flüchtlinge. Die Unterstützung für sie war und ist nach wie vor am Wachsen, zuletzt auch verstärkt durch die Bootskatastrophe vor Lampedusa mit alleine 364 Toten an einem Tag. Am 2. November fand eine Demonstration für „Lampedusa in Hamburg“ und für Flüchtlingsrechte mit über 9.000 (Angaben der Polizei) und vielleicht sogar 15.000 Teilnehmer_innen (Angaben der Veranstalter_innen) statt – die größte Demo in Hamburg überhaupt seit mehreren Jahren. Ein Zeichen dafür, dass viele Menschen genug haben von der Hartherzigkeit unserer Flüchtlingspolitik und stattdessen Solidarität und Menschlichkeit zeigen. aus der gemei nsc h aft Für mich sind diese Flüchtlinge, die hier so selbstbewusst ihre Rechte einfordern, auch Botschafter_innen einer ungerechten Weltunordnung, von der wir hier im Norden und Westen seit Jahrhunderten profitieren. Sie stehen vor uns einerseits als Opfer und bitten um Hilfe. Anderer- 24 Der Bote 2/2013 Der Bote 2/2013 au s d e r g e m e i n s c h a f t seits stehen sie auch vor uns und fordern laut und deutlich: „Schafft uns Recht!“ Wir sollten beides ernst nehmen. Dietrich Gerstner Gründungsmitglied von Brot & Rosen Diakonische Basisgemeinschaft Hamburg 25 Gemeinschaftlich auf Weltreise Konvikt Schleswig Holstein Süd/Altona Man sagt: Narren rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten. Es muss ja nicht immer der eigene sein. Am 17. August trafen sich bei strahlendem Sommerwetter 15 Brüder und Schwestern des Konviktes Schleswig-Holstein Süd/Altona vor dem Tor der igs auf Wilhelmsburg, um sich gemeinsam auf eine Reise in 80 Gärten um die Welt zu begeben. Wie es sich für eine richtige Reise gehört, gab es zum Auftakt einen Segen. So ein Reisesegen gibt nicht nur Kraft, er ist auch ein Symbol dafür, dass es an der Zeit ist, den Alltag loszulassen. So vielfältig wie die Gärten der igs sind auch die Geschwister, die im Konvikt zusammentreffen. Jeder kommt aus seinem Alltag, bringt mit was ihn gerade beschäftigt und hätte oft auch ganz andere, eigentlich unaufschiebbare Dinge zu tun. Aber wer es schafft, sich für den Moment davon zu lösen und sich mit wachen Sinnen und offenen Herzen auf den Anderen einzulassen, hat die Chance, neue Blickwinkel zu entdecken. Eine neue Blickrichtung brauchten auch die meisten Besucher auf der igs. Was hatte man nicht alles vorab an Negativem über die Gartenschau lesen können: zu teuer, zu abgehoben, zu wenig Blumen, sie leiste der Gentrifizierung des Stadtteils Vorschub und, und, und … Es kommt immer darauf an, mit welchen Augen man auf einen Garten schaut. Sind es die Augen eines Liebhabers, wächst das Unkraut zwar trotzdem, aber es weitet sich der Blick des Betrachters für seine Fülle und Schönheit. Die Mängel werden nicht weniger, aber sie bestimmen nicht mehr das Bild. Unsere Reiseteilnehmer im Alter von 3 bis 93 Jahren machten sich in kleinen Gruppen im eigenen Tempo auf die Entdeckungstour. Das erwies sich als sehr vorteilhaft, nicht jeder hatte die Energie, mit den 93jährigen Schwestern Schritt zu Reisende im Alter von 3 bis 93 Jahren! halten. Die von den umsichtigen Organisatorinnen vorab reservierten Rollstühle wurden an diesem Tag überwiegend für den Transport des reichhaltigen Proviants benötigt. Für die gemeinsame Mittagspause wurden die Terrassen am romantischen Kuckucksteich gewählt. Die Gartenplaner haben dort für flexibel gestaltbare Sitzmöbel, geeignet für unterschiedliche Sitzweisen, gesorgt. Sie sagen über diesen Platz, er solle dazu dienen, sich auf einer langen Reise zu vergewissern, wie wichtig es im Leben ist, sesshaft zu werden. Es ist auch von Bedeutung, sich dieses Heimatgefühls unterwegs immer wieder zu vergegenwärtigen, um zu wissen, wo man hingehört. Welch passender Ort für ein Konvikttreffen. Keiner hat alle 80 Gärten (und den geheimen 81. im Schlagloch) an einem Tag entdecken können. Das war auch nicht Ziel der Reise. Alle haben spüren können, was die Gemeinschaft in diesem Konvikt ausmacht. Vielleicht hat der eine oder andere auch wieder abseits vom Alltag ein bisschen mehr zu sich selbst als Bruder oder Schwester gefunden. Die gemeinsame Reise fand ihr Ende mit einer Andacht auf einer Wiese mitten im Garten der Religionen. Gebet und Gesang waren offensichtlich einladend, es blieben Passanten interessiert stehen und blätterten auf der Suche nach dem Angebot im Veranstaltungsprogramm. Das war für alle so erheiternd, dass der gute Eindruck kurzzeitig ernsthaft in Gefahr geriet. Aber heißt es nicht auch: Der beste Beweis für Weisheit ist gute Laune? Gesa Borek aus der gemei nsc h aft Der Bote 2/2013 26 Das Konvikt zu Gast im spirituellen Zentrum Woltersburger Mühle Die visionäre Kraft der Psalmen Konviktwochenende Niedersachsen Konviktwochenenden sind die Höhepunkte in unserem Konviktleben, und so haben wir uns an einem Freitagnachmittag Ende August erwartungsvoll auf den Weg gemacht. Eine weite Anfahrt hatten wir Lüneburger Geschwister diesmal nicht, denn unser Treffen fand in der Woltersburger Mühle bei Uelzen statt, wo wir mit der Theologin Klara Butting am Buch der Psalmen arbeiten wollten. Bei der Ankunft werden wir von den bereits eingetroffenen Schwestern und Brüdern freudig begrüßt. Uns erwartet ein weitläufiges, idyllisches Gelände mit Mühlen-Café, einer Produktionsschule als Qualifizierungszentrum für arbeitslose Jugendliche und mehreren Holz-Ferienhäusern, in denen wir untergebracht sind. Die Wassermühle und die Gebäude wurden in den Jahren 2008–2012 im Rahmen des Qualifizierungsprojektes renoviert bzw. gebaut. Zu Beginn unseres Treffens führt Frau Butting uns entlang dem „Lernpfad Arbeitslosigkeit“ über das Gelände. Mit seinen Stationen: Würde, Krise, Begegnung, Der Bote 2/2013 Vision, Dank, Verantwortung und Feierabend ermöglicht der Lernpfad die Auseinandersetzung mit dem sozialen Problem Arbeitslosigkeit und verbindet es mit einer spirituellen Dimension. Es ist interessant und berührend, zu erfahren, wie hier ein spirituelles Zentrum entstanden ist, in dem gesellschaftliche Verantwortung im Rahmen der Qualifizierung von arbeitslosen Menschen praktisch umgesetzt wird. Uns beeindrucken die große Kräuterspirale, zahlreiche Kunstwerke aus Naturmaterialien und der Raum der Stille in der Mühle. Am Abend sitzen wir zusammen, hören voneinander und von den Geschwistern, die nicht kommen konnten. Auch zum Thema „Mitgliedsbeiträge“ tauschen wir uns aus. Nach Morgenandacht und leckerem Frühstück arbeiten wir am Samstag mit Klara Butting zu dem Thema: „Der Weg zu Gott – ein Weg zu den Menschen“ am Buch der Psalmen. Den Psalter zu sehen als ein Buch, das in fünf einzelne Bücher unterteilt werden kann und auch einen Lebensweg darstellt; ihn als eine Antwort der jüdischen Gemeinde auf die Überlieferung der Prophetischen Bücher zu betrachten, ist für uns ein neuer Zugang. Wir beschäftigen uns besonders mit der „Ouvertüre“, den Psalmen 1 und 2. Dabei gehen wir mit dem Text um, wie ich es lange nicht mehr au s d e r g e m e i n s c h a f t getan habe: Mit unterschiedlichen Übersetzungen arbeiten wir an einzelnen Worten und Sätzen, suchen Zusammenhänge, hinterfragen, „kauen“ die Verse und bringen sie in Verbindung zu uns und zu gesellschaftlichen Situationen, damals und heute. Frau Butting versteht es, uns in ihre Gedanken mit hineinzunehmen und uns die visionäre Kraft der Psalmen zu vermitteln. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Woltersburger Mühle wird spürbar, mit welcher inspirierenden Kraft die biblischen Texte auch heute Menschen bewegen, eine AlltagsSpiritualität solidarisch und gemeinwesenprägend zu leben. Nach der Denkarbeit tagsüber tut uns abends das gemeinsame Spielen draußen und drinnen gut. Am sonnigen Sonntagmorgen besuchen wir den Freiluft-Gottesdienst, den die örtliche Gemeinde auf dem Mühlenhof feiert, und beschließen damit unser Wochenende. Schön, wenn wir uns spätestens im nächsten Jahr, vielleicht auch mit denen, die diesmal nicht dabei sein konnten, wiedersehen! Und allen Schwestern und Brüdern, denen der Weg nach Uelzen nicht zu weit ist, legen wir einen Besuch der Woltersburger Mühle wärmstens ans Herz! Doris Paland 27 aus der gemei nsc h aft 28 Der Bote 2/2013 Der Bote 2/2013 au s d e r g e m e i n s c h a f t Irgendwann laufen die Beine von alleine Solidarisch leben Lauf zwischen den Meeren Mai 2013 Oktobertreffen des Konvikts Rheinland-Westfalen 2013 Der Start erfolgte um 9 Uhr in Husum am Hafen, dann ging es 96,3 Kilometer quer durch Schleswig-Holstein mit Ziel am Strand von Damp. Außer uns waren noch 659 Staffeln mit dabei, die schnellste Staffel brauchte genau 5 Stunden 25 Minuten. Unsere Zeit von 9 Stunden und 28 Minuten ist dennoch beachtlich … Und so sehen wir der vierten Teilnahme mit Spannung entgegen! Bewerbungen für MitläuferInnen und solche, die es werden wollen, nimmt Günter Grosse entgegen: [email protected] Im Vordergrund steht Wir freuen uns auf neue MitläuferInnen im Mai 2014! das gemeinsame Erleben am 24.und 25. Mai 2014. Wir waren zum dritten Mal dabei! Wir, Getreu dem Motto: Irgendwann laufen das waren: Ingeborg und Günter Grosse, die Beine von alleine! Ursula und Klaus-Rainer Martin, Karin Annette Spiegel und Klaus Brock, Wolfgang Reuß, VolEin erlebnisorientierter Bericht sowie eine ker Henn, Frank Schirmer, Niko Borchert, PowerPointPräsentation von 2012 können Hartmut Bischoff, Annette Spiegel und bei der Autorin per E-Mail angefordert werden: Tessa Hundedame. [email protected] Solidarisch leben? Geht das überhaupt? Was ist Solidarität? An unserem gemeinsamen Wochenende haben wir versucht, das zu definieren. Das war gar nicht so einfach. Zu Hilfe kamen uns Heike Hilgendiek, Sozialpfarrerin der EKvW, und Bruder Klaus-Rainer Martin vom Konvent „Diakonischer Arbeitskreis Gerechtigkeit und Solidarität“. Schön war es, dass wir wieder im vertrauten Matthias-Claudius-Haus sein konnten, dass so viele Kinder dabei waren und dass Bruder Martin gekommen war, der in abendlicher Runde aus seinem Leben in der DDR und seinem BergmanDasein im Ruhrgebiet erzählte – ganz spannend – noch einmal danke dafür, Bruder Martin. Der Freitagabend wurde eingeläutet mit einem „Nach-der-Hochzeit-Empfang“ von Annette und Erhard Schübel. Es wurde dann ein sehr lockerer und heiterer Abend mit persönlichen Informationen und Grüßen. Am Samstag wurde dann am Thema gearbeitet. Pfarrerin Hilgendiek berichtete aus ihrem Arbeitsbereich und kam dann zu unserem Thema „Solidarität“, an dem wir in Kleingruppen gearbeitet haben. Wir können hier nicht die einzelnen Schritte erklären, sondern nur das eine – zum Schluss stand ein neuer Begriff im Raum: Weltgemeinschaftstreue. Ein tolles Wort, aber nicht alle waren damit einverstanden. Solidarität wird sehr oft spontan gefordert und ist dann zeitlich begrenzt, z. B. für bestimmte Projekte. Wir hatten beschlossen, einige Gläser unserer selbstgemachten Marmelade zu verkaufen, deren Erlös unserem Bruder Obadiah in Tanzania zukommt; und der Eine-Welt-Laden gehörte wie immer in unseren Kreis – gelebte Solidarität. Auf Anregung von Jan-Peter war um 11 Uhr Zeit für ein stilles Gedenken an unsere Brüder Gerd Rölleke und Dieter Dreisbach und andere liebe Verstorbene. Nach einem produktiven Arbeitstag gönnten wir uns einen sehr lustigen Bunten-Abend. Viel Freude machte uns wie immer mit Alis hervorragender Klavierbegleitung das Singen. Singen verbindet und ist somit auch ein Stück Solidarität. Der Höhepunkt unseres Konviktes war das Agapemahl am Sonntagmorgen. Selten haben wir eine so schöne, würdige Feier erlebt, von Karin und Erhard gut vorbereitet und geleitet. Wolfram und Silas hielten die Tischrede. Vater und Sohn machten im Dialog die Apg. 16, 11–40 lebendig. Super – Silas; du hast so gut gelesen, dass sogar deine Altersgenossen gespannt zugehört haben. 29 aus der gemei nsc h aft Zum Abschluss des Konviktes kam noch der Bericht aus dem Rauhen Haus und Konviktales. Leider mussten wir uns vorzeitig verabschieden, weil noch eine Familienfeier auf uns wartete. 30 Der Bote 2/2013 Der Bote 2/2013 au s d e r g e m e i n s c h a f t Nun freuen wir uns auf ein Wiedersehen im Konvikt vom 2.–4. 5. 14 in der Jugendbildungsstätte Berchum. Renate und Hans-Joachim Kirchhefer Von der Hallig bis nach Haithabu 31 Unsere Senioren auf „Nordreise“ 19 Schwestern, Brüder und Freunde reisten vom 1. bis 9. September 2013 in den Norden unserer Republik, nach Schleswig-Holstein. Jeder Tag hatte seine Ziele und Höhepunkte. Am Abreisetag holte uns ein sehr moderner Fernreisebus am Hauptbahnhof ab, und über Wesselburen (Besuch der Krautwerkstatt und einer Andacht in der Kirche) erreichten wir unser Quartier, das Hotel „Schimmelreiter“ in Silberstedt, einem Dorf zwischen Schleswig und Husum. Die Ziele der folgenden Tage wurden zum Teil mit örtlichen Reiseführern angesteuert. Da waren Husum, Friedrichstadt, die Halbinsel Eiderstedt mit Tönning, dem Eidersperrwerk, St. Peter-Ording (Besuch am Grab von Propst Prehn und seiner Frau), dem Deich bei Westerhever (mit dem berühmtesten Leuchtturm unseres Landes) und Garding. Spannend war die Schiffsreise zur Hallig Hooge mit Besuch einer Warft und einer Andacht in der kleinen ehrwürdigen Halligkirche. An anderen Tagen ging es Richtung Ost- see, so nach Schleswig, wo der Dom mit seinem bekannten Brüggemann-Altar unsere Aufmerksamkeit forderte. Eine Bootsfahrt brachte uns von Kappeln nach Schleimünde und wieder zurück. Spannend waren auch der Besuch der alten Wikinger-Siedlung Haithabu und Eckernförde mit einer Stadtrundfahrt im „Sprottenexpress“ sowie den Besuchen der Kirche und einer Bonbon-Kocherei. Wir waren dann in Flensburg, wo uns der Stadtführer per Bus auch kurz das dänische Grenzland zeigte. Die anschließende Schifffahrt brachte uns nach Glücksburg, wo wir nach einer Schloßführung Kaffee und Kuchen im Schloßcafé genossen. Abends hörten wir einen Vortrag über Land und Leute und sahen den alten Film „Schimmelreiter“ von 1933. Der Film über den Maler Emil Nolde lenkte auf unseren letzten Reisetag hin, an dem wir zunächst tief beeindruckt wurden durch einen Besuch des KZ Ladelund, der kleinen, gepflegten, der Obhut der Landeskirche unterstehenden Gedenk- und Begeg- Zu Besuch bei Emil Nolde (von links): Elisabeth Stocks, Wolfgang Kluge, Elisabeth Strathmeier, Werner Huppe, Ingeborg Wendt, Christa Junior, Gerd Junior, Irmhild Bossow, Anneliese Ehrich, Horst Weber, Christel Krause, Volkmar Lange, Peter Gronwaldt, Helga Gronwaldt, Ulf Porrmann, Wiebke Wendt, Heike Schuhmacher, Gerhard Krause nungsstätte. Das Lager bestand nur etwa sechs Wochen, forderte aber über 300 Todesopfer, die alle vom Orts-Pastor Johannes Meyer auf dem Gemeindefriedhof würdig bestattet wurden. Nach einem Abstecher über Tondern (Dänemark) erreichten wir in Seebüll das Noldemuseum, das eine Vielzahl von beeindruckenden Bildern (auch den „Ungemalten“) beherbergt. Vor dem Rückreisetag nach Hamburg bereitete uns der Hotelkoch am letzten Abend noch ein leckeres Abschiedsme- nü. Hatte man zunächst gemeint, dass es in Schleswig-Holstein doch eigentlich nicht viel zu erleben gäbe, so zeigte sich, dass die Geschichte, die Kultur und die Landschaft ein beeindruckendes Bild von dem Land und den Leuten zwischen den Meeren vermittelten. Die gute Stimmung, die Gemeinschaft und das herrliche Wetter hinterließen ein Wohlfühlen und dankbares Erinnern, verbunden mit der Neugier auf das nächste Reiseziel, das bestimmt wieder spannend sein wird. Ulf Porrmann aus der gemei nsc h aft Der Bote 2/2013 32 Von links: Richard Zimmer, Gunter Hell, Silke Hentschel, Barbara Zimmer, Christa Grupe, Elisabeth Siebrecht, Ruth Eilers, Eberhard Eilers, Doris Noak, Rolf Siebrecht, Dieter Noak, Wilfried Grupe und Klaus Hentschel Herrnhut, Görlitz und viel Geschichte Klassentreffen des Jahrgangs 1961/62 Seit 10 Jahren machen die 1968 eingesegneten Brüder, die alle 1961/62 in Das Rauhe Haus eingetreten sind, mit ihren Ehepartnerinnen eine Klassenreise in eine schöne deutsche Gegend. Nach Berlin, Thüringen, Trier, Freiburg und Usedom sind sie in diesem Jahr in der ehrwürdigen Stadt Herrnhut in der Oberlausitz, dem östlichsten Teil unseres Landes im Dreiländereck Polen, Tsche- chien und Deutschland, angekommen. Sie lassen sich vom dem Weißenseer Diakon Buder Clemens, der in Herrnhut für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war, in die Geschichte der Brüdergemeine einführen und die Besonderheiten des Ortes zeigen. Natürlich wollten sie auch Bruder Krolzik treffen, der aber wegen eines Trauerfalles in der Familie absagen musste. Der Bote 2/2013 Die Führung durch die Herrnhuter Diakonie nahm dann eine sehr sachkundige Mitarbeiterin wahr, die allen einen guten Eindruck von gelebter Diakonie vermittelte. Die Ausflüge führten die Gruppe auf die Festung Königstein bei Bad Schandau mit dem grandiosen Ausblick auf das Elbsandsteingebirge und die tief unten fließende Elbe. Die Stadt Görlitz erlebten sie mit dem „Stadtschleicher“-Bus und einer informativen Führung. In Zittau sahen sie sich das Fastentuch an und fuhren mit der dampfenden Kleinbahn nach Oybin in das Zittauer Gebirge und besuchten die dortige Kirche mit ihren dem Felsen angepassten steil abfallenden Kirchenbänken und Fußboden. Wenn westdeutsche Geschwister im Osten zu Gast sind, werden viele Ge- au s d e r g e m e i n s c h a f t schichten aus der DDR-Zeit mit ihren Erschwernissen für die Christen erzählt. Ebenso Erinnerungen aus dem Rauhen Haus. Da alle schon über 70 Jahre alt sind, natürlich auch die Lebenswege mit allen Erfolgen und Enttäuschungen. Da sie zu Beginn des Treffens vom Tod von Bruder Rölleke hörten, waren ihre Gedanken auch beim Thema Krankheit und Tod. Die reihum gehaltenen Andachten zum Tagesbeginn und die beinahe familiäre Unterkunft und Betreuung in der Pension „Alt-Herrnhuter Haus“ der Familie Clemens bescherten allen unvergessliche Tage. Sofern wir in zwei Jahren noch leben und reisefähig sind, soll es dann in Richtung Bremen gehen. Einen lieben Gruß an alle Geschwister, die uns kennen! Bruder Gunter Hell 33 aus deM Ä LTESTENRAT Der Bote 2/2013 Der Bote 2/2013 au s d e M Ä LTE STENRAT 365 Tage neuer Ältestenrat Persönlicher Zwischenbericht 34 Seit gut einem Jahr besteht der Ältestenrat in der Zusammensetzung, wie er zum Brüder- und Schwesterntag 2012 gewählt wurde. Zeit für einen Rückblick, den ich aus der Perspektive einer „Neuen“ im Ältestenrat schreibe: Was ist im vergangenen Jahr geschehen, worüber hat sich das Gremium ausgetauscht und womit hat es sich befasst? Stattgefunden haben drei eintägige Ältestenratssitzungen und eine dreitägige Klausurtagung. Unsere Arbeit begann damit, uns mit den Themen und Arbeitsabläufen vertraut zu machen, aber auch dem gegenseitigen Kennenlernen in dem neu formierten Gremium. Wir beschäftigten uns in den Sitzungen mit den aktuellen und ausführlichen Berichten des Vorstehers und der Konviktmeisterin sowie den Berichten aus dem VEDD und der Nordkirche. Bei letzterem lag ein besonderes Augenmerk auf den vier Gemeinschaften innerhalb der Nordkirche, immer eng verbunden mit den Fragen: Was geschieht mit dem Diakonat und dem Diakon(innen)engesetz? Was ist uns wichtig und was wollen wir erreichen? Ein weiteres wichtiges Thema, waren die 27 Aufnahmen in unsere Brüder- und Schwesternschaft in diesem Jahr. Das Zusammentreffen der Studierenden aus den verschiedenen Studiengängen – berufsbegleitend, berufsintegrierend und grundständig – erforderte eine neue Auseinandersetzung mit den Wünschen und Bedürfnissen. Umso erfreulicher war es für mich zu erleben, wie aufgeschlossen die Studierenden die Einsegnungsfreizeit im Juni antraten und sich aus dieser heterogenen Gruppe schnell eine „Gemeinschaft“ bildete. Dazu hat nicht zuletzt das wunderschöne Ambiente des Ratzeburger Domklosters und das große, in diesem Jahr aus fünf Personen bestehende Leitungsteam beigetragen. Im August fand dann die Ältestenratsklausurtagung statt. Bei bestem Wetter tagten wir in der katholischen Akademie Stapelfeld nahe Cloppenburg. Wir nutzen die Zeit, um uns über unsere diakonischen Identitäten und unser diakonisches Verständnis auszutauschen. Sehr intensiv befassten wir uns darüber hinaus mit der Standortbestimmung der Hochschule, des Rauhen Hauses und der Brüder- und Schwesternschaft – dabei wurde an manch einem Punkt kontrovers diskutiert. „Was macht das Konviktleben für Brüder und Schwestern attraktiv?“; „Welche Erwartungen werden an die Brüder- und Schwesternschaft 35 Ältestenrat von links oben: Friedemann Green, Christian Heine, Helen Joachim, Claudia RackwitzBusse, Doris Hamer, Johanna Kutzke, Tabea Fiebig, Elke Ukena-Seguin, Margot Döring gestellt?“; „Wie zufriedenstellend sind die Kommunikationswege innerhalb der Gemeinschaft?“; „Wie eng verzahnt arbeiten die verschiedenen Studiengänge mit der Brüder- und Schwesternschaft zusammen?“; „Welche Charakteristika hat die Stiftung in Bezug auf ihr diakonisches Profil?“ Das sind nur einige der Fragen, denen sich der Ältestenrat gestellt hat. Für einen ausgewogenen Freizeitausgleich sorgte Bruder Dieter Walf, der uns die nähere Umgebung zeigte. Eine abendliche Partie Swinggolf war ein angenehmer, aktiver Ausgleich zu den dich- ten und sehr konzentrierten Arbeitsgruppen der Tage und Stunden zuvor. Nach der Klausurtagung ist es nun an der Zeit, die diskutierten Themen zu verdichten und in den Austausch mit der Gemeinschaft zu gehen. Für mich ist es eine bedeutsame Aufgabe des Ältestenrates, die Meinungen und Wünsche der Brüder und Schwestern unserer Gemeinschaft zu vertreten. Daher laden wir euch ein, aktuelle Themen, Sorgen, Wünsche und Visionen in eure Konvikte einzubringen, dort zu diskutieren und an uns heranzutragen. Herzliche Grüße, Tabea Fiebig au s dem R au h en Haus Der Bote 2/2013 180 Jahre Das Rauhe Haus Der Bote 2/2013 Neuer Studiengang an der Evangelischen Hochschule Ab Wintersemester 2014/15 wird das Angebot der Ev. Hochschule um den berufsintegrierenden Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit & Diakonie mit dem Schwerpunkt Pflege erweitert. Der Studiengang bietet Berufstätigen aus pflegerischen Arbeitsfeldern die Möglichkeit, die Grundlagen Sozialer Arbeit mit ihrer pflegerischen Praxis zu verbinden – interdisziplinär, lebensweltorientiert und quartiersbezogen. Am Ende des Studiums werden die Absolvent_innen für die vielfältigen Tätigkeiten in allen Bereichen der Sozialen Arbeit qualifiziert sein und mit einer spe- 36 Wichtig waren alle rund 550 Gäste beim Festakt und bunten Fest im Park am 13. September. Prominent waren diese (von links): Dr. Walter Weber, Vorsitzender des Verwaltungsrats, Detlef Scheele, Sozialsenator, Annegrethe Stoltenberg, Landespastorin Diakonie, Sabine Korb-Chrosch, kaufmännischer Vorstand, Dr. Friedemann Green, Vorsteher, Kirsten Fehrs, Bischöfin für Ham- burg und Lübeck, Sabine Rückert, stellv. Chefredakteurin der Zeit und Prof. Dr. Michael Göring, Vorsitzender der Zeit-Stiftung. Leider nicht mit im Bild: Olaf Scholz, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, der schon zum nächsten Termin unterwegs war. Die Grußworte und der Vortrag von Prof. Göring sind in einer Festschrift abgedruckt, die in der Stabsstelle Kommunikation zu erhalten und im Internet zu finden ist. au s d e R HOCH S CHULE zifischen Qualifikation zur Schnittstelle von Sozialer Arbeit und Pflege ausgestattet, in der die Teilhabe- und Selbstbestimmungsrechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen das zentrale Anliegen des sozialarbeiterischen Handelns darstellen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, diakonische Kompetenzen zu erwerben und das kirchliche Examen zu absolvieren. Das Studium dauert 6 Semester, schließt mit dem staatlich anerkannten Bachelor-Grad „Soziale Arbeit“ ab und eröffnet die Möglichkeit, den Diakon_innenabschluss zu machen. Eine Infobroschüre und detaillierte Informationen finden Sie hier: www.ev-hochschule-hh.de/studienangebot/bachelor-soziale-arbeit-diakonie-pflege-berufsintegrierend 37 A nstöSSe Der Bote 2/2013 Sich nähern und berührt werden Ein- und Ausblicke zum Diakonischen Blockseminar „Glaubensbekenntnis“ im November 2012 38 Der folgende Bericht basiert auf meiner Reflexion des Diakon_innenblockseminars im Rahmen des Studiums Soziale Arbeit & Diakonie, in meinem Fall als berufsbegleitend Studierende, und soll einen Einblick in die „Ausbildung“ zur Diakon_in und das Studierendenleben geben. Erinnern und erwarten Eine Woche diakonisches Blockseminar zum Thema Glaubensbekenntnis auf dem Koppelsberg. Erst einmal lassen mich Bilder der Erinnerung gute 30 Jahre zurückblicken: Als ehrenamtliche Kindergottesdiensthelferin bin ich hier diverse Male mit einer bunten Kinderschar der Kirchengemeinde zur Sommerfreizeit gewesen. Sowohl die Kinder als auch wir Betreuer_innen waren mehr im Wasser als an Land, es gab Lagerfeuer, Stockbrot, roten Tee aus Blechkannen und viele neue Kirchenlieder, Gospels und Popsongs, die wir mit Leidenschaft mehr grölten als sangen. Wir Teenies – heute wohl „Teamer_innen“ – waren ein bisschen in den gitarrespielenden Diakon verknallt, wir schliefen in Sechs-Bettzimmern und unsere Mütter wären angesichts des Chaos „not amused“ gewesen. Aber wir waren glücklich, der Koppelsberg war in all sei- ner Schlichtheit ein Ort von Freiheit und lustvoller Begegnung. Die ersten wirklich nachhaltigen spirituellen Erfahrungen habe ich hier machen dürfen: Schöpfungsgottesdienste im Freien, Taizeandachten für die „Großen“ am Lagerfeuer, das Teilen von Brot und Saft als tiefe, prägende Erfahrung eines Liebesmahles ... für mich war der Koppelsberg ein Stück vom Himmel auf Erden. Später besuchte ich hier Fortbildungen und fühlte mich jedes Mal beglückt und beschenkt von der Atmosphäre, obwohl ich um keinen Preis mein Einzelzimmer gegen eine 6-Personen-Schlafstatt eingetauscht hätte. Meine Erwartungen an den Ort unseres diakonischen Blockseminares sind also durchweg positiv, und bei der Ankunft am Montagmittag staune ich über den Aus- und Umbau, wärme mich am lebendigen Feuer an der Rezeption und bin mit meinem Einzelzimmer mit Bad ziemlich glücklich. Aber was erwartet mich hier in den nächsten fünf Tagen? Natürlich sind da ganz viele grundständig Studierende, fast alle im Alter meiner Kinder. Ich fühle mich unsicher und alt, möchte nicht als „bemühte StudentenMutti“ disqualifiziert werden. Wie gut, dass drei weitere Kommiliton_innen aus Der Bote 2/2013 meiner berufsbegleitenden Studiengruppe dabei sind, aber die Älteste werde ich wohl sein. Das Thema Glaubensbekenntnis spricht mich sehr an: Glauben – was ist das? Und dann diesen für mich oft nicht greifbaren Glauben auch noch bekennen? Ist das eine, ist das meine Christenpflicht? Ich packe die mitgebrachten Bücher aus. Dabei fällt mir ein Gedicht von Kurt Marti in die Hände, das mir für diesen Moment Gelassenheit schenkt. Glauben – was ist das? ein gesang in der nacht worte die wärmen im winter das heilkraut des lachens ein weinen das versteinerte löst beherztheit die über mutlose kommt erwartung selbst noch im sterben Kurt Marti, Werksauswahl in fünf Bänden. München, 1996 Wahrnehmen und Kennenlernen Am ersten Nachmittag treffen wir uns in großer Runde und beginnen mit einer Andacht. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Wir beten den 31. Psalm gemeinsam und versuchen, ihn auch als Kanon zu singen. Die Stimmen sind vielfältig, manche kräftig und sicher, andere leise und verhalten, aber jede und jeder hat „Raum“ in diesem Raum. Danach teilt sich die Gruppe thematisch auf, wir stellen uns anhand von mitgebrachten Gegenständen und dem von A n stö S S e uns damit verbundenen Bezug zum Glauben vor. Mir gefällt die Leichtigkeit und die Heiterkeit in der Gruppe. Ich höre den unterschiedlichen Glaubensgeschichten gerne zu und bin von der Offenheit der Erzähler_innen beeindruckt. Meine Angst, als Älteste negativ aufzufallen oder gar bewertet zu werden, schwindet langsam ... Der erste Abend wird fröhlich und laut, es wird gesungen, gern und viel getrunken, die lockeren Gespräche und persönlichen Standortbestimmungen stimmen mich froh und gelassen – sehr müde sinke ich viel zu spät in mein Bett und hoffe, dass auch die letzten Feierfreudigen vor meiner Zimmertür irgendwann schlafen gehen werden. Gemeinsames Arbeiten und Lernen braucht innere und äußere Struktur Nach dem Frühstück und nach dem Abendbrot wird es in den nächsten Tagen immer eine Andacht in der Kapelle geben, die von Studierenden vorbereitet und durchgeführt wird. Thematisch gibt es von den beiden begleitenden Dozentinnen, Frau Suhr und Frau Borger, keine Vorgaben, so dass ich mich darauf freue, eine Vielfalt von Andachtsthemen und Andachtsformen erleben zu dürfen. Das Vorbereiten und Halten einer Andacht speist sich m. E. auch immer aus persönlichen „Glaubensschätzen“ der Verantwortlichen, die ihrerseits damit ein Stück ganz eigener Glaubensidentität preisgeben. 39 A nstöSSe 40 Am Dienstagmorgen haben meine Kommilitonin Christiane Schmidt und ich eine Andacht zum 23. Psalm vorbereitet. Zum Zeitpunkt der Vorbereitung kennen wir die Gruppe nicht und bleiben aus „Sicherheitsgründen“ in der tradierten Andachtsform, die uns vertraut ist und mit der wir bereits gute Erfahrung gemacht haben. Als langjährige Chorsängerin und Gottesdienstbesucherin sind mir die „alten“ Lieder im Evangelischen Gesangbuch lieb und vertraut. Beim gemeinsamen Singen merke ich, dass diese Lieder von vielen Studierenden gar nicht mehr gekannt werden. Darüber hinaus lerne ich in dieser Woche, dass diese wiederum ganz neue Lieder im Repertoire haben, die mir nicht geläufig sind. Ich stelle fest: Im musikalischen Gottesdienstleben hat sich offensichtlich etwas geändert. Dann steigen wir in das apostolische Glaubensbekenntnis ein; im wahrsten Sinne des Wortes stehen wir auf den von uns gewählten auf dem Boden liegenden Textsegmenten, an die wir die meisten Anfragen haben. Meine Anfragen richten sich an den folgenden Teil des Apostolicums:„Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ In dieser Passage des Glaubensbekenntnisses verbirgt sich immer noch eine Spur meines „Kinderglaubens“ im Zusammenhang mit einem möglicherweise naiven Gottesbild: Als Kind stellte ich mir vor, dass Gott auf einem sehr großen Stuhl sitzt, rechts ne- Der Bote 2/2013 ben ihm der auferstandene Christus, der – wenn er denn kommt – direkt aus dem Himmel auf die Erde stößt, zunächst die „bösen“ Menschen zurechtweist (richtet), dann die Toten aufrichtetet, lebendig werden lässt und zum Schluss auch die traurigen Menschen aufrichtet und froh macht. Dieses Gottes- bzw. Christusbild habe ich lange in mir getragen und es hat mich oft mit der Vorstellung einer zukünftigen, göttlichen Gerechtigkeit getröstet. Ich frage mich heute: Hat sich etwas von diesem Bild, dieser Metapher, geändert? Vielleicht wird dieses Gottes-/Christusbild im Laufe der Woche noch eine Rolle spielen, aber zunächst nähere ich mich dem Glaubensbekenntnis in wissenschaftlicher Weise. Seine lange Geschichte beginnt 120 n. Chr. in der kirchlichen Frühzeit als „regula fidei“ (Glaubensregel oder Kurzform des Glaubens). Um 250 entstand das „Symbolum Romanum“, das im katechetischen Unterricht ebenfalls zum Taufbekenntnis gebraucht wurde. Auf dem ersten ökumenischen Konzil von Nicäa im Jahre 325 entstand das nicäische Bekenntnis, das Nicänum, das auch von den orthodoxen Kirchen im Osten anerkannt wurde. In ihm wurde bekannt, dass Jesus Christus „eines Wesens mit dem Vater ist“. Auf dem Konzil von Ephesus im Jahre 431 wird das Nicänum in seinem Wortlaut bestätigt. Vor allem setzt sich Kyrill, der Patriarch von Alexandrien gegen den Patriarchen von Konstantinopel, Nestori- Der Bote 2/2013 us, durch und erkennt Maria den Titel der „Gottgebärerin“ an. Im Jahre 500 wurde das Apostolicum als Taufbekenntnis der südgallischen Kirche in die römische Liturgie aufgenommen und 1564 in den Catechismus Romanum. Das Apostolicum spielt in den orthodoxen Ostkirchen bis heute keine Rolle, ihr Bekenntnis ist das Nicäum. Während der Reformation wird das Apostolicum, das altkirchliche Credo, als fundamentales Bekenntnis von den reformatorischen Theologen (z. B. Martin Luther) neben den zehn Geboten und dem Vaterunser als weiteres zentrales Kernstück des Glaubens anerkannt. Es ist eine Vielzahl von theologisch/historischen Fakten, die ich in dieser Woche immer wieder zu sortieren versuche, die mich in ihrer inhaltlichen Fülle zwar bereichern, aber manchmal auch „erschlagen“. Ich bin dankbar für den sehr guten Reader zum Glaubensbekenntnis, der mir die Chance auf ein behutsames Nacharbeiten eröffnet. Sich nähern und berührt werden Am Donnerstagabend ist ein Gottesdienst geplant, der im Wesentlichen von den Studierenden vorbereitet werden soll. Es stellt sich heraus, dass niemand von den grundständig Studierenden Interesse an der Vorbereitung hat. So treffen sich Christiane Schmidt, Frank Jonas, Frau Borger, Frau Suhr und ich am Mittwochabend, um uns dem Thema und der Gestaltung des Gottes- A n stö S S e dienstes zu nähern. Wir blättern in den Psalmen und bleiben am 139. Psalm „hängen“, mit dem wir alle unsere ganz persönliche Geschichte oder Beziehung zu haben scheinen ... Wir reden über die besondere Psalmensprache, die uns in ihrer Altertümlichkeit nicht langweilt, sondern wärmt. Wir zitieren unsere Lieblingsstellen oder Worte und fangen an zu schwärmen ... „und hältst deine Hand über mir“ ... „und siehst alle meine Wege“ ... „zu wunderbar und zu hoch“ ... „nähme ich Flügel der Morgenröte“ ... „am äußersten Meer“ ... „dass ich wunderbar gemacht bin“ ... „am Ende bin ich noch immer bei dir “ ... Wir sind uns einig: dieser Psalm ist uns zu kostbar für eine Erklärung oder eine Interpretation. Wir wollen ihn „ganz“ lassen und damit allen Gottesdienstteilnehmer_innen die Chance geben, sich diesem Psalm persönlich anzunähern. Es entsteht die Idee, aus verschiedenen Positionen in der Kapelle die einzelnen Verse mit unseren unterschiedlichen Stimmen zu sprechen. Nur über unseren Ton, unsere Stimmung sollen sich die Psalmworte in der Kapelle ausbreiten und die Zuhörer berühren. Es ist wie ein Tanz, dessen Choreographie spontan entsteht, wir sind im Sprechen ganz nah beieinander, sind achtsam und alles fügt sich zu einem ganz besonderen Moment, der uns tief bewegt, uns berührt und nach dem „Amen“ schweigen lässt. Im Nachhinein empfinde ich dieses gemeinsame Psalm-Sprechen als ein ganz 41 A nstöSSe wunderbares Geschenk und bekenne: „Ich glaube an den heiligen Geist ...“ 42 Bekennen und aufbrechen Mit Beginn der Studienwoche regt uns Frau Suhr an, ein eigenes Glaubensbekenntnis zu schreiben. Die Fülle der wissenschaftlich-theologischen Fakten verstellt mir zunächst den Blick auf mein persönliches Glaubensleben, ich brauche Zeit, um meine eigenen Gedanken mit den neu erworbenen Kenntnissen zu verbinden. Die alte, gesetzte Sprache des Apostolicums löst in mir sowohl Vertrautheit als auch Respekt aus. Auf der einen Seite fühle ich mich in der Sprache beheimatet – ich kenne sie doch schon so lange. Auf der anderen Seite spüre ich eine Grenze, die mir deutlich zeigt: Alles, was ich dieser Sprache an eigenen Kreationen anbiete, kann nur stümperhaft sein. Fulbert Steffensky schreibt in einem Aufsatz über das Glaubensbekenntnis: „In unsere Aussagen über die Schöpfung, über die Erlösung und über Christus sind unsere Leiden, unsere Wünsche und unsere Ängste eingewickelt. Das macht die Verschiedenartigkeit und die Lebendigkeit eines Bekenntnisses aus. Die Glaubensaussagen verlieren immer da ihre Kraft, wo sie als objektive verstanden werden, zu allen Zeiten und von jedem zu machen, unüberholbar und unberührt von den Zeitläuften und den Schicksalen ihrer Bekenner. Religiöse Sprache ist, wo sie den Namen verdient, eine poetische Der Bote 2/2013 Sprache, das heißt, dass sie nicht zu hören abgelöst ist von den Sprechenden, von ihren Tränen und von ihrem Jubel.“ (F. Steffensky, Gewagter Glaube, Stuttgart 2012) Plötzlich werde ich an unser gemeinsames Psalmenlesen erinnert und erkenne, dass wir, die wir mit ganzer Seele den Psalm lasen, unserer Stimme Stimmung gaben, wir legten unsere „Tränen und unseren Jubel“ in all das hinein und wurden auf sehr besondere Weise angerührt. Ganz vorsichtig, immer der eigenen Stimme und Stimmung lauschend wage ich ein eigenes Bekenntnis: Ich vertraue Gott, Mutter und Vater, ich vertraue dem starken Grund, der mich trägt. Ich staune über Gottes geheimnisvolle Schöpferkraft oben im Himmel, unten auf der Erde. Ich vertraue Jesus Christus, Sohn Gottes, als heller Stern geboren von Maria, gelebt bei den Menschen, verurteilt, gekreuzigt, gestorben und begraben. Als Licht hinabgestiegen zu den Toten. Am dritten Tag gesehen worden von den Frauen. Er lebt. Im Himmel sitzt er an der Seite Gottes, Mutter und Vater. Seine Liebe ist gegenwärtig und stärkt Lebende und Tote. Ich vertraue dem Heiligen Geist, der Gemeinschaft schenkt. Der Bote 2/2013 Ich vertraue Gottes Barmherzigkeit und Gnade. Ich vertraue, dass die Toten in Gottes Hand geborgen sind und hoffe auf ein Heimkommen in Ewigkeit. Amen. Rückblick und Rückmeldung In dieser einen Woche habe ich sehr besondere junge Menschen kennengelernt, die mir Mut gemacht haben, meinen eigenen, niemals vollkommenen Glaubensweg zu gehen und genau dieses Fragment zu bekennen. A n stö S S e Danke für eure Offenheit. Ihr habt frei über eure Hoffnungen, eure Zweifel, aber auch über eure Lebensvisionen erzählt, ihr habt euer Glaubensleben mit mir als ältester Studentin und mit allen anderen geteilt, ihr seid – wie Frau Suhr in ihrer bewegenden Predigt gesagt hat – „wunderbar gemacht“! Danke auch an Frau Suhr und Frau Borger, die mit ihrer guten Vorbereitung, ihrem reichhaltigen und fundierten Fachwissen und ihrer Freude an der Vielstimmigkeit des Glaubens uns Suchende begleitet haben. Henriette Liebmann 43 p ersön l ic h e s Der Bote 2/2013 Unterwegs sein im Leben Nachruf für Erika Peters 44 „Herzlich Willkommen in meinem klei- sen, eintauchen in ein fremdes Land mit nen Paradies“, so begrüßte mich Erika fremder Kultur. Ich freue mich sehr darPeters vor einigen Jahren in ihrer kleinen auf. Es wird neue Begegnungen geben, Wohnung im Wohnstift Anscharhöhe in neue Erfahrungen, Anregungen, AuseinEppendorf. andersetzungen. Das gibt Sie wollte mit mir und mir Anstöße für den Alltag Ingeborg Grosse darüber und sie bereichern mich.“ sprechen, was es zu regeln Erfahrungen machen, gab, wenn sie einmal nicht Anregungen aufnehmen, mehr dazu in der Lage sein Auseinandersetzungen sollte. Und so lernte ich Erisuchen: Das zeichnet das ka Peters als muntere und Leben von Erika Peters aus. agile Schwester jenseits Und es beschreibt einen der Achtzig kennen. Ihre Menschen, der immer in Wohnung war bestückt Bewegung war. Erika Peters mit den vielen ErinnerunUnd diese Bewegung geboren am gen, die sie auf unzähligen zog sich auch durch ihr 27. Juni 1929 Reisen gesammelt hatte. berufliches Leben. 1950 verstorben am Viele Reiseführer, dazu von Hamburg zur Ausbil30. April 2013 handschriftliche Aufzeichdung als Gemeindehelnungen und Fotos waren ferin nach Gelnhausen, zu sehen. Und Erika Peters konnte erzäh- danach in die Kirchengemeinde nach len von dem, wo sie gewesen und was sie Husum, drei Jahre Aufenthalt in England, dort erlebt hatte. fast zehn Jahre Leiterin des Clubheims Sie war eine Reisende, eine Pilgerin, ei- der evangelischen weiblichen Jugend in gentlich immer unterwegs. Und sie hatte Bremen, Rückkehr nach Hamburg ins Juhier in ihrer Wohnung ein kleines Para- gendpfarramt und zuletzt, bis 1990, Leidies gefunden, einen Ort, der ihr vertraut terin der Familienbildungstätte in Hamwar, und der für sie Heimat war. In einem burg-Niendorf. Dazu Ausbildungen und Artikel für die Brüder- und Schwestern- Qualifizierungen zur Supervisorin und schaft schrieb sie: „Ich werde zu diesem Beraterin. In Hamburg lernte sie Diakone Jahreswechsel unterwegs sein, auf Rei- des Rauhen Hauses kennen. Durch diese Der Bote 2/2013 Begegnungen und Gespräche wuchs Erika Peters‘ großes Interesse am Rauhen Haus und seiner diakonischen Gemeinschaft. Hinzu kam eine Kooperation des Jugendpfarramtes zur Qualifizierung nicht ausgebildeter Mitarbeiter in der Jugendarbeit mit dem Rauhen Haus. In diesem Modellprojekt wuchs ihre Beziehung zum Rauhen Haus und der Brüderund Schwesternschaft. Seit 1978 gehörte sie unserer Gemeinschaft als Freischwester an. Und dann trat im Januar 2013 doch etwas ein, das Erika Peters‘ Leben schlagartig veränderte. Die Diagnose hieß Schlaganfall, und die linke Körperhälfte war fast vollständig gelähmt. Begleitet von ihren Schulfreundinnen, Brüdern und Schwestern aus dem Rau- p e rs ö n li c h e s hen Haus, Ingeborg Grosse und mir hofften wir zunächst auf Besserung. Für Erika Peters war es nur sehr schwer auszuhalten, dass sie nun anhaltend auf fremde Hilfe angewiesen sein würde. Ihre Agilität, ihr Bewegungsdrang, all das konnte sie nun nicht mehr ausleben. Als dann auch noch der Umzug aus Ihrem „kleinen Paradies“ in das Haus Weinberg anstand, reichte ihre Kraft für diesen neuen Weg nicht mehr aus. Am 30. April 2013 hat Erika Peters ihre letzte Reise angetreten. Am 17. Mai 2013 wurde sie unter großer Anteilnahme der Brüder- und Schwesternschaft auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt, in der Gewissheit, dass sie aufgebrochen ist in ein neues, kleines Paradies. Reinhard Förtsch 45 p ersön l ic h e s Der Bote 2/2013 Nachruf für Rudi Müller Wer den Fluss überquert, muss die eine Seite verlassen. 46 Ich habe Rudi kennengelernt als einen ausgesprochen gründlichen, kritischen und zuverlässigen Freund. In seinem Mahatma Gandhi 18-seitigen Skript „Mein Leben“ hat er Rudi hat die eine Seite verlassen, die dies- sich zu den verschiedenen Stationen seiseitige, diejenige, auf der wir uns noch nes Lebens geäußert, auch kritisch geäußert, auch zu seiner Ausbefinden. Er hat die „Seibildung im Rauhen Haus. ten gewechselt“, weil er wusste, dass er den Prozess Resümierend schreibt er: „Was ich nicht gutheißen des Hinübergleitens nicht konnte, das gilt bis heute, mehr aufhalten konnte. das ist die Art und Weise, Insofern war es kein Entin der hier mit Menschen schluss, sondern eine Einumgegangen wurde und sicht in das Unabwendbare. Und er ist nun auf der die an Menschenverachtung und seelische anderen Seite. Er hat den Grausamkeit mindestens Fluss überquert. Was zu Rudi Müller grenzte. Nach meinem geschehen hat, wenn er geboren am gestorben ist, und wie es Weggang aus der „An26. Oktober 1935 stalt“ in die Gemeindearzu geschehen hat, hat Rudi verstorben am beit dauerte es noch eine in der ihm eigenen Gründ24. Mai 2013 ganze Reihe von Jahren, lichkeit und Präzision, bis ich ohne Beklemmunsoweit er es überblicken konnte, vorausgesehen und aufgeschrie- gen und Herzklopfen das Gelände betreben. Damit hat er seine liebe Uschi voraus- ten konnte, um an Veranstaltungen der damaligen Brüderschaft teilzunehmen. schauend ein gutes Stück entlastet. Rudi und ich waren in der Rauhhaus- Das hätte so nicht sein müssen“. Ausbildung Klassenkameraden. Ich kenAuf den verschiedenen beruflichen ne ich ihn seit 1956 und habe seinen be- Stationen, die er nach seiner Ausbildung ruflichen und privaten Weg durchs Leben durchlaufen hat, stand er den Aufgaben über Jahrzehnte begleiten dürfen. Es gab zwar offen, neugierig und einsatzbezeitweise eine enge berufliche Zusam- reit, aber eben auch kritisch gegenüber. menarbeit, die allmählich zur Freund- Er schaute genau hin. Und seine Neuschaft wurde. gier und sein Wissensdurst führten ihn Der Bote 2/2013 durch Weiter- und Fortbildungen zum Suchttherapeuten und Betriebswirt und schließlich auch zu beruflichem Aufstieg. Er war bis zu seiner Frühpensionierung Leiter des von ihm konzipierten „Sozialtherapeutischen Zentrums für Suchtkranke“ der Martha-Stiftung in Hamburg-Fuhlsbüttel. Doch seine Gesundheit spielte nicht mit. Wegen einer irreparablen Herzerkrankung musste er seine berufliche Tätigkeit zum 1. 10. 1988, gerade 53-jährig, aufgeben. Er wurde pensioniert. 2007 wurde er wegen eines diagnostizierten Prostatakrebses operiert und litt an den Folgen der Operation bis zu seinem Tode. Nach seiner Pensionierung nahm er an regelmäßigen Treffen der Brüder- und Schwesternschaft teil, engagierte sich im Konvikt Nord, in dem er gelegentlich auch Andachten und Referate hielt. Ich erinnere mich, dass er in Vorbereitung auf ein Referat über das Judentum in einen intensiven Gedankenaustausch mit mir trat. Erneut fielen mir seine Gründlichkeit und Genauigkeit auf, aber auch seine kritische Haltung und seine Zweifel. In den letzten Jahren, in denen Rudi aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr reisen, aber auch nicht mehr kleine Fahrten z. B. zu mir nach Lüneburg machen konnte, traten wir in einen ausgesprochen intensiven E-Mail-Kontakt, der häu- p e rs ö n li c h e s fig mehrfach täglich stattfand. Wir diskutierten theologische und philosophische Fragen. Und es gab dabei kein Tabu. So stellten wir z. B. das kirchliche Verständnis von Gott in Frage und suchten nach Antworten auch aus dem naturwissenschaftlichen Bereich. Wir rangen um ein Verständnis für die Entstehung der Welt, diskutierten die Frage nach dem, was vor dem Urknall war und wie er zustande kommen konnte. Auch hier erwies sich Rudi als jemand, der seinen Zweifeln Raum geben konnte, aber auch die Toleranz aufbrachte, in fremden Gefilden möglichst vorurteilsfrei zu suchen. Rudi hat mit seiner Frau Uschi, die selbst erst kürzlich tiefgreifend operiert worden ist, auch ein „schönes“ Leben gehabt – da draußen in Wiemerskamp auf dem weitläufigen Gelände, das er mit einem Aufsitz-Mäher bearbeitete, und in dem schmucken Haus. So lange sie noch reisen konnten, haben sie u. a. auch an Fahrten der Seniorengruppe des Rauhen Hauses teilnehmen können, haben uns in Lüneburg zu Familienfeiern besucht und auch ihre kleinen Ausflüge in die nähere Umgebung machen können. Mir wird Rudi fehlen, in dem ich einen treuen, klugen und kommunikationsfreudigen Freund hatte. Er hat den Fluss überquert. Norbert Mieck 47 p ersön l ic h e s Der Bote 2/2013 Nachruf für Gerd Rölleke Wir Kinder im Juli geboren Lieben den Duft des weißen Jasmin Wir wandern an blühenden Gärten hin Still und in schwere Träume verloren 48 1948 begann Gerd eine Chemielaborantenlehre bei den „Chemischen Werken Hüls“ und hat nach 3 1/2 Jahren Lehre weitere 4 1/2 Jahre als Chemielaborant Hermann Hesse, 2. Juli 1877 gearbeitet. Durch seine Beheimatung und guten Meine Trauer und ErschütErfahrungen in der evanterung über Gerds plötzgelischen Kreuzkirchengemeinde Hervest-Dorslichen Tod am 23. September 2013 ist groß. Wir ten als Kindergottesdiensthelfer, Mitgliedkannten uns seit Beginn unserer Ausbildung 1957, schaft in einer Jugendaber unser Kontakt wurde gruppe und im Kirchenerst in den letzten 15 Jahchor entstand der Wunsch, Diakon zu werden. Er künren eng und herzlich und er fehlt mir. digte 1956 bei den Chemischen Werken Hüls und Gerd wurde am 9. Juli Gerd Rölleke 1934 in Recklinghausen/ machte ein einjähriges geboren am Westfalen geboren und Praktikum beim CVJM9. Juli 1934 Heimatlosen-Lagerdienst lebte seit 1935 mit Eltern verstorben am in Dortmund. und Geschwistern in Dors23. September 2013 ten/Westfalen. Er ging 1957 trat er ins Rauhe Haus ein und machte dort zur Schule bis zum Frühjahr 1944; von da an zur Oberreal- dort die fünfjährige Ausbildung mit Dischule mit dem Ziel, Lehrer zu werden. akonen-, Sozialarbeiter- (damals noch Der Krieg zerstörte diese Pläne. Die Schu- „Wohlfahrtspfleger-“), Verwaltungs- und le wurde im Herbst 1944 durch Bombar- Religionslehrerexamen. Am 12. 9. 1963 dierung zerstört, und ein Jahr lang war wurde er zum Diakon eingesegnet und gar kein Schulbesuch möglich. Es gab Mitglied unserer Brüder- und Schwesständige Fliegeralarme bis Ende März ternschaft. 1962 trat er seine erste Stelle als Ju1945, dann den Einmarsch der Alliierten. Ab Herbst 1945 war dann nur noch der gend- und Gemeindediakon in St. MartiBesuch einer entfernt liegenden „Volks- nus-Eppendorf in Hamburg an und übte schule“ möglich. dort, wie er selbst schreibt, eine 14-jähri- Der Bote 2/2013 ge vielseitige und beglückende Tätigkeit aus. 1976 wechselte er in die MatthäusGemeinde Hamburg-Winterhude mit dem Schwerpunkt Seniorenarbeit. Dazu gehörten Beratung, Hausbesuche, Seniorenreisen, Tagesfahrten, Zusammenarbeit mit Ärzten, Heimen, Sozialstationen und Behörden – speziell mit der Altenhilfe des Bezirksamts Hamburg-Nord. Berühmt waren die Mittwochnachmittage, an denen Themen diskutiert wurden, die von den Senioren gewünscht waren. 23 Jahre lang fanden diese Nachmittage statt, mit selten unter 50 Teilnehmern, meistens mindestens 60. Gerd schreibt selbst in einem sorgfältig ausgearbeiteten Lebenslauf: „An einem dieser Nachmittage äußerten Senioren den Wunsch, einen Chor zu gründen. Nach Absprachen mit dem Kantor, den Mitarbeitern und Genehmigung durch den Kirchenvorstand ging es im Herbst 1978 damit los. Was anfangs nur als „interessanter Farbtupfer“ innerhalb der Seniorenarbeit gedacht und angesehen war, entpuppte sich bald als kräftiger „Farbklecks“, denn es kamen Scharen von Senioren (beinahe aus ganz Hamburg), die singen wollten. Es gab bis dahin keinen kirchlich orientierten Seniorenchor. So kam es, dass der „Farbklecks“ nicht nur deutlich sichtbar, sondern vor allem unüberhörbar wurde – ein Umstand, der bei oberflächlicher Betrachtung (leider auch bei einigen Kirchenvorstehern) dazu führte, als mache ich vorwiegend Chorarbeit. In Wirklichkeit liebte ich die ganze p e rs ö n li c h e s Vielfalt meines Berufes, so dass ich noch in der letzten Woche meiner Berufstätigkeit Ideen hatte und beschwingt von der Wohnung zum Gemeindehaus ging. 23 Jahre waren so ins Land gegangen, als ich mit 65 Jahren in den Ruhestand trat. Erfreulicherweise äußerte der Chor den Wunsch, mich als Chorleiter zu behalten, so dass ich auch nach meinem Berufsleben etwas Vernünftiges zu tun habe und der Kontakt zu den vielen wunderbaren Menschen im Chor bestehen bleibt“. Diese Verbundenheit wurde auch bei der berührenden Trauerfeier am 8. Oktober in der Matthäuskirche deutlich, bei der ca. 160 TeilnehmerInnen, viele aus dem Chor mit zum Teil von Gerd selbst gestalteten Musikstücken und einem von ihm geschätzten Gedicht von ihm Abschied nahmen. Wie alles, was ihm wichtig war, hatte Gerd auch diesen Abschied sorgfältig mit vorbereitet. Ein wichtiger Charakterzug war seine Ehrlichkeit. Er wollte, dass über ihn nichts gesagt wurde, was nicht seiner Einstellung entsprach. Deshalb füge ich jetzt eine Seite an, in der er selbst über seine innere Entwicklung schreibt: „Im Lauf des Älterwerdens bröckelte – aufgrund der eigenen Erfahrung – vieles von dem, was mich in jungen Jahren glühend erfüllte. Viele Aussagen im Glaubensbekenntnis kann ich nicht mehr nachsprechen, die Gläubigkeit an Gebetserhörungen und persönliche Gottesbeziehung erlosch weitgehend. 49 p ersön l ic h e s 50 Was bleibt, ist die tiefe Verwurzelung in der Kirchenmusik, die ich bereits in Westfalen, vollends dann in Hamburg kennenlernte. Was ein gepredigtes, gesprochenes Wort nie mehr erreicht: Gesungene Worte, wie etwa die Choräle von J. S. Bach oder die Evangelien-Motetten von H. Schütz, gehen nach wie vor ,bis in die Zehenspitzen‘. Der Wunsch, meine letzten Jahre in innerem Einklang zu leben, ist stark ausgeprägt. Hinzu kommt, dass Dichter wie Hermann Hesse und Joseph von Eichendorff zunehmend meinen ‚inneren Kern‘ treffen. Sind es von Hesse Gedichte wie ‚Wir Kinder im Juli geboren‘, ‚Stufen‘, ‚Seltsam, im Nebel zu wandern‘, in denen ich mich wiederfinde, so sind es bei Eichendorff die Naturbeschreibungen und -empfindungen, die sich mit meinen Erfahrungen und Träumen decken. Dass Der Bote 2/2013 viele dieser Texte auch noch von namhaften Komponisten vertont wurden und gesungen werden können, verschafft mir eine besondere Tiefe im Nachempfinden. Das Defizit meines Lebens, dass es mir nie gelang, eine dauerhafte Partnerschaft mit einem Menschen aufzubauen, wurde auf diese Weise – wie auch durch einen Kreis guter Freunde und Freundinnen inkl. Nichten und Neffen – weitgehend wettgemacht. Zähle ich dann noch den Chor mit seinen vielen herzlichen Menschen hinzu, gibt es viel Grund zur Dankbarkeit.“ So bin auch ich bei aller Trauer dankbar dass ich Gerds Freund sein durfte. Viele werden mit mir seine Klarheit, seine Verlässlichkeit und seine Zugewandtheit vermissen. Wir wollen ihn in unseren Herzen behalten. Walter Hamann Der Bote 2/2013 p e rs ö n li c h e s Nachruf für Dr. Dieter Dreisbach Am 12. Oktober 2013 nahmen wir mit der staatlichen Anerkennung zum Sozieiner großen Anzahl der Brüder und alarbeiter auch die Fakultätsreife für das Schwestern, der Familie und Freunden im Studium sozialwissenschaftlicher Fächer. Wichern-Saal Abschied von Dieter DreisAn der Universität Münster studierte er bach, der am 30. September in seinem ab 1964 Soziologie und machte 1968 das Heimatort Mosbach in Baden gestorben Examen als Dipl.-Soziologe. Während des war. Die anschließende Studiums war er StipendiBeisetzung erfolgte im at des Evangelischen StuNeuen Grabgarten des dienwerks Villigst, dem er Rauhen Hauses auf dem bis zu seinem Lebensende Ohlsdorfer Friedhof. in mancherlei Ämtern, die Es waren bewegende er übernahm, verbunden Stunden; für viele war sein blieb. plötzlicher Tod unvermitAm 1. April 1969 betelt gekommen. Auch mir gann er seine Tätigkeit im fällt es schwer, seinem von Rauhen Haus. Er wurde der Tochter übermittelten Dozent an der DiakonenDr. Dieter Dreisbach Wunsch nachzukommen, schule und Höheren Fachgeboren am den Nachruf zu schreischule für Sozialarbeit. 24. April 1937 ben. Ich halte mich mit Damit erfüllte sich für ihn verstorben am vielen an die Verheißung ein Lebenswunsch: „Das 30. September 2013 des Psalmwortes, das die Katheder ist mein ArbeitsFamilie über die Trauerplatz“. anzeige gesetzt hat: „Herr, dein Wort ist Jahre später vollendet er seinen Ausbilmeines Fußes Leuchte und ein Licht auf dungsweg, immer bereit zum lebenslanmeinem Wege.“ gen Lernen, mit der Promotion zum Dr. Dieter Dreisbach wurde am 25. 4. 1937 phil. an der Universität Bielefeld. Das war in Berleburg geboren. Er besuchte die 1985. Volks- und Handelsschule und war nach Am 29. Juli 1966 heirateten Dieter einer kaufmännischen Lehre vier Jahre Dreisbach (aus Pfadfinderzeiten hatte Angestellter in einer Elektromaschinen- er den Namen Bingo mitgebracht) und fabrik. Er wollte weiter. Nach einer Aus- Lieselotte Radink, von ihm und von allen bildung an der Höheren Fachschule für Lilo genannt. Zwei Töchter wurden ihnen Sozialarbeiter in Bochum erhielt er mit geboren. 51 p ersön l ic h e s 52 Die Jahre im Rauhen Haus waren nicht nur für ihn entscheidende. Veränderungen waren angezeigt. Im deutschen Bildungssystem wurde die Höhere Fachschule zum Auslaufmodell. Für das Rauhe Haus entstand die Frage: Was wird aus der Diakonenausbildung? Soll sie auf der Ebene einer Fachschule weiter geführt werden, also mit einem Qualitätsrückschritt, oder soll sie Fachhochschule werden, wie die nächsthöhere Ausbildungsebene jetzt heißen sollte. Die Diskussionen in den Schulgremien und in den Gremien des Rauhen Hauses, einschließlich Brüderrat, waren gegensätzlich und heiß. Wie sollen Diakone in Zukunft ausgebildet werden und – vor allem – wie kann eine neue Schule finanziert werden? Nicht nur Das Rauhe Haus musste sich entscheiden, auch die Kirche musste überzeugt werden. So wurde eine gemischte Kommission eingesetzt. Den Vorsitz führte der Senior der Hamburgischen Landeskirche, D. Seiffert. Dreisbach und Müssig vertraten Das Rauhe Haus in der Kommission. Am Ende der Beratung stand ein positives Votum für die Fachhochschule. Nach langer Diskussion entschied sich die Synode der Hamburgischen Kirche für die Mitfinanzierung. Damit war der Damm gebrochen. Die Ausgestaltung der neuen Ausbildung konnte beginnen. Dieter Dreisbach wurde Gründungsrektor der neuen Schule. Es folgen intensive Jahre. Die Bedeutung der Theologie im neuen Fächerkanon, die Der Bote 2/2013 Gestaltung des Diakonenabschlusses neben der staatlichen Prüfung, die Überzeugungsarbeit unter der älteren Brüderschaft, dass der eingeschlagene Weg der richtige war, die ständigen Auseinandersetzungen mit dem ab 1976 zuständigen Oberkirchenrat im Kieler Kirchenamt, der ein anderes Bild von Diakonenausbildung vor Augen hatte, auch ein Vertrag mit der Stadt Hamburg über deren Anteil an der Finanzierung der Schule, das sind nur wenige der zu bearbeitenden Themen, die den Aufgabenbereich Dieter Dreisbachs ausfüllten. Inzwischen hatte Dreisbach im Rauhen Haus und in der damals noch Brüderschaft genannten Gemeinschaft Wurzeln geschlagen. 1996 schreibt er in einer soziologischen Analyse der Situation in den Diakonenanstalten im „Dritten Reich“: „Ich selbst habe bei aller Kritik auch eine große Achtung vor und Zuneigung zu den Diakonenanstalten. Ich bestreite nicht, daß mich Das Rauhe Haus geprägt hat und ich auf dem Hintergrund meiner Biographie besonders von den früh einsetzenden Bildungsbemühungen angetan bin.“ Seit dem 9. Mai 1973 gehörte er als Freibruder zur Brüderschaft des Rauhen Hauses. Nach einer Satzungsänderung, welche die Freibrüder, wenn sie es wollen, als ordentliche Mitglieder mit allen Rechten und Pflichten der jetzt Brüderund Schwesternschaft des Rauhen Hauses genannten Gemeinschaft auswies, wurde auch er ordentliches Mitglied. Der Bote 2/2013 Diesem Wunsch, dazu zu gehören, folgte auch seine Frau; sie wurde am 11. September 2005 ebenfalls Mitglied. In diesem Jahr bittet Dieter Dreisbach um seine Einsegnung: „Seit den 1970er Jahren begleitet mich der Gedanke einer Einsegnung zum Diakon.“ Die Brüderund Schwesternschaft gibt das Anliegen an die Nordelbische Kirche weiter. In eingehenden Gesprächen wird deutlich, dass das Diakonengesetz dem Wunsch entgegensteht. Es fehlt an einer doppelt qualifizierten Ausbildung und an einer entsprechenden Tätigkeit. Die Verwurzelung in der Brüder- und Schwesternschaft bleibt, als Dieter Dreisbach 1979 das Rauhe Haus verlässt, um mit dem Wunsch nach mehr Verantwortung in der Praxis der Diakonie Leiter des Berufsbildungswerkes der JohannesAnstalten in Mosbach im Bereich der Badischen Landeskirche zu werden. Hier steigt er einige Jahre später zum Mitglied des Vorstandes auf und wird als Direktor für das gesamte Bildungswesen verantwortlich. Neben seiner beruflichen Tätigkeit in Mosbach und nach seiner Zurruhesetzung ergab sich für ihn eine rege ehrenamtliche Tätigkeit. Er bekleidete Ämter in der Kirchengemeinde und im Kirchenkreis Mosbach. Er wurde Mitglied der badischen Landessynode und stellvertretendes Mitglied im Landeskirchenrat. Er wurde Prädikant in der badischen Landeskirche. Er wurde Vorsitzender des Beirates der Evangelischen Fachhochschule p e rs ö n li c h e s in Freiburg. Es gab auch eine „Rückkehr zum Katheder“, als er Lehrbeauftragter am Diakoniewissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg in den Fächern „Einführung in die Sozialpädagogik“ und „Systeme sozialer Sicherung“ wurde und damit angehende Theologen in die praktischen Verflechtungen sozialer Arbeit einführen konnte. Fast 20 Jahre erfüllte er diese Aufgabe mit Hingabe. Und schließlich war er ab 1985 Richter am Kirchlichen Verwaltungsgericht in Baden. Dieter Dreisbach gehörte ab 1979 zum Konvikt Süddeutschland unserer Gemeinschaft. Er war, wie es seinem Wesen entsprach, bald ganz dabei und aktiv an der Gestaltung des Konviktlebens beteiligt. Zu seinem 70. Geburtstag bat er einige Freunde zu einem Empfang in das Best Western Hotel in der Horner Landstraße. Neben anderen, die ihm in Reden ihre Zuneigung zeigten, lobte ihn der damalige Konviktmeister Volker Krolzik in seiner Laudatio: „Wir schätzen in dir den Kirchenmann, den Diakoniemanager, den Lehrer der Soziologie und der Diakoniewissenschaft, den Visionär und Strategen, den begabten Redner. Wir lieben den Bruder, der die Gitarre spielt und das Glas guten Weins schätzt, der zu allem Interesse zeigt und bereit ist zur Begleitung, wo er gebraucht wird. Gut, dass du da bist mit der großen Vielfalt deiner Gaben und deines Könnens.“ Als 70-Jähriger ließ er sich zur Wahl in den Ältestenrat aufstellen. „Meine 53 p ersön l ic h e s 54 Frau Lilo und ich sind zutiefst davon überzeugt, dass […] unsere Brüder- und Schwesternschaft […] einen unschätzbaren inneren Wert hat, den zu gestalten und mit zu verantworten einen guten Sinn ergibt. Die mögliche Vertretung der Flächenkonvikte und die Umstrukturierungen im Rauhen Haus sind zusätzliche Anreize“, so bewarb er sich und wurde für vier Jahre zum Mitglied des Ältestenrates gewählt. Für die nächste Wahlperiode ließ er sich nochmals aufstellen, aber diesmal misslang die Wahl. Dieter war davon hart betroffen. Das Bild von Dieter Dreisbach, das wir hier entstehen lassen, wäre nicht vollständig, würde nicht auch auf seine Tätigkeit in der Deutschen Diakonenschaft und nach der Wiedervereinigung im VEDD hingewiesen. Bereits Anfang der 1970er Jahre war er der Vertreterversammlung in Rummelsberg behilflich, als die neue Satzung, die den Verband vollständig verändern soll, beschlossen wurde. Ohne seine Argumentationshil- Der Bote 2/2013 fe wäre der fast einstimmige Beschluss kaum zustandegekommen. Maßgeblich arbeitete er im Ausbildungsleiterausschuss mit. 1975 hörten wir von ihm im Rahmen der Diakonatsdebatte einen weiterführenden Vortrag: „Der Diakon im gegliederten Amt – eine Chance der Kirche von morgen“. Auch später, in den 1990er Jahren, nun nicht mehr im Rauhen Haus tätig, war er, der die Satzungsarbeit liebte, dem Verband beim Beschluss einer neuen Satzung noch einmal zielorientiert behilflich. Dieter Dreisbachs Leben war in vielfacher Hinsicht erfüllt. Vielen war er zugetan. Viele haben von ihm gelernt. Viele Brüder und Schwestern haben ihn geschätzt. Seine Freunde schließen sich dem an, was seine Familie auf der Traueranzeige geschrieben hat: „Wir haben ihn sehr geliebt“. Am 30. September 2013 ist Dieter Dreisbach in den Frieden Gottes eingegangen. Wir werden ihm ein gutes Andenken bewahren. Gert Müssig Der Bote 2/2013 55 Wolfgang von Rechenberg spricht das Grußwort im Auftrag der Nordkirche. „Die Nordkirche braucht Sie!“ Grußwort zur Einsegnung und Aufnahme 2013 Sehr geehrte Frau Rackwitz-Busse, sehr geehrter Herr Dr. Green, sehr geehrter Herr Theurich, liebe heute in die Brüder- und Schwesternschaft aufgenommenen Diakoninnen und Diakone, liebe Gäste, Schwestern und Brüder, gern überbringe ich Ihnen die Grüße der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, unserer jungen Nordkirche. Im Auftrag von Prof. Dr. Bernd-Michael Haese, dem für die kirchlichen Hand- lungsfelder zuständigen Dezernenten des Landeskirchenamtes in Kiel, darf ich Sie ganz persönlich und besonders herzlich grüßen. Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, die Sie heute eingesegnet und aufgenommen wurden, wünsche ich gute Erfahrungen im Miteinander der Brüder- und Schwesternschaft, vor allem die Gewissheit, dass Sie hier jederzeit Rückenstärkung, Bereitschaft zum Teilen von Freud und Leid, aber auch Orientierung für Ihren beruflichen und individuellen Weg finden. Unsere Landeskirche freut sich, p ersön l ic h e s 56 dass Sie da sind, dass Sie Diakonin oder Diakon geworden sind – und ich möchte Ihnen schlicht und einfach sagen: Die Nordkirche braucht Sie! Vor zwei Wochen war Gerhard Ulrich, unser neuer Landesbischof, sicherlich so aufgeregt wie Sie heute morgen – er wurde in Schwerin in einem festlichen Gottesdienst eingeführt und hielt eine bewegende Predigt, live vom Fernsehen übertragen. In der Tagesschau abends um acht wurde nur eine einzige kurze Sequenz daraus eingeblendet – sie hieß: „Es bleibt Verpflichtung für uns alle: Nordkirche ist Kirche für andere! Dienende Kirche, diakonische Kirche. Eine Kirche, die die Menschen im Blick hat, die auf Hilfe angewiesen sind. Die auch an Strukturen arbeitet und sich einmischt. Kirche, die für andere da ist, weil Gott für uns da ist.“ Ich hatte ja den geheimen Verdacht, dass Sie, liebe Schwester Rackwitz-Busse, oder Sie lieber Bruder Green, unauffällig einen Textbaustein in das bischöfliche Script geschmuggelt und dann den NDR bestochen haben – so gut passte meiner Meinung nach dieser Teil für die Einführung und auch für heute. Wie gelingt es uns, unter den Bedingungen der Nordkirche authentisch wahrgenommen zu werden? Wie kann sich unsere kirchliche Identität durch die Vielfalt von Arbeitsfeldern, Traditionen und Subsystemen in den drei sehr verschiedenen Bundesländern profilieren? Ein Glück – Sie sind ja da! Sie wirken in Kirchengemeinden, diakonischen Der Bote 2/2013 Einrichtungen oder öffentlichen Verwaltungen und sind Botschafter protestantischer Tradition und kirchlichen Engagements im Jahr 2013 mit seinen Herausforderungen, die dringlich unsere zeitgemäße Sprache brauchen. Es ist nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang auf den exklusiven Stellenwert Ihres Gemeinschafts- und Engagementprofils hinzuweisen – ein echter Schatz für unsere Nordkirche! Meine Bitte an Sie ist, dass Sie auch das fruchtbare Miteinander von Brüder- und Schwesternschaft und Kirche tatkräftig mitgestalten. Nach meinem Eindruck entstehen die Chancen für einen glücklichen Gleichklang am besten dann, wenn wie in einer guten Paarbeziehung die Balance in drei Dimensionen angestrebt wird: zwischen Nähe und Distanz, zwischen sich anschließen und sich durchsetzen, zwischen Geben und Nehmen. Der richtige Abstand, nicht zu nah, nicht zu weit voneinander entfernt, nicht zu angepasst und nicht zu dominant, der eigenen Identität sicher und zugleich dem Gedanken der Teilhabe und Teilgabe verpflichtet – so, finde ich, gewinnt gemeinsames kirchliches Handeln an Attraktivität und Ausstrahlung. Liebe Schwestern und Brüder, aus der Reflexion meiner eigenen Diakonenerfahrung als Mitglied des Ostseekonventes der Moritzburger Diakonengemeinschaft habe ich eines gelernt: Mit unserer Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland werden wir nur erfolgreich Der Bote 2/2013 sein, wenn wir die Bereitschaft einbringen, Gelegenheiten zum unmittelbaren Miteinander-Leben einzurichten, also gemeinsam zu essen, zu beten, zu theologisieren, zu lachen und zu weinen. Ich bin sicher, dass Sie als mit Abstand größte Diakoninnen- und Diakonengemeinschaft in der Nordkirche durch Ihren spirit der Kooperation ganz wesentliche Anstöße sowohl für die Gesellschaft, in der wir le- p e rs ö n li c h e s ben wollen, als auch für die Kirche, in der wir leben wollen, geben. Dafür danke ich Ihnen. Ihnen und Ihren Familien wünsche ich einen wunderschönen Festtag heute und Gottes Segen für die vor Ihnen liegenden Aufgaben! Wolfgang von Rechenberg, Referent im Landeskirchenamt Schwerin 57 p ersön l ic h e s Der Bote 2/2013 Der Bote 2/2013 Unser Einsegnungs- und Aufnahme-Jahrgang 2013 mit Assistentinnen und Assistenten sowie Theologinnen der Evangelischen Hochschule p e rs ö n li c h e s 58 59 Hintere Reihe (von links): Dr. Friedemann Green, Mareike Kruse, Oliver Schöpe, Claudia von Medem, Franziska Fritz, Angelika Michelly, Silvia Boyd, Martina Dreger, Anja Weichert, Stephan Putensen, Margareta Theile, Friederike Goedicke, Gabriele Borger, Nicole Ahrens-Tilsner, Jan-Peter Wilckens Vordere Reihe (von links): Heather Ann Conrad, Lydia Tosses, Joana Weimar, Kim Naber, Marion Stark, Iris Bongartz, Silke Witter, Elisabeth Steinhagen, Regina Christine Ziese, Katharina Bretschneider, Annette Kleinwächter, Elke Ukena-Seguin, Tabea Fiebig, Ulrike Suhr, Claudia Rackwitz-Busse Te r mi n e Der Bote 2/2013 Te r mi n e Der Bote 2/2013 Termine Jan uar 2 0 14 64 2. ��� Neujahrssegen, Altes Rauhes Haus 19.��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 22.��� Konvikttreffen Hamburg-Nord 24.–26. Einkehrtage, Fleestedt Feb ruar 8. ��� Delegiertenversammlung, Sieveking-Saal 16.��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 22.��� Ältestenrat, Sieveking-Saal 24.–27. VEDD Ältestenkonferenz M ärz 16.��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg Apr i l 2. ��� Konvikttreffen Hamburg-Nord 5. ��� Konvikttreffen Hamburg-Nord (Alternativtermin) 20. ��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 21.–27. Urlaub Konviktmeisterin Mai 2.–4.� Konviktwochenende Rheinland/Westfalen 9.–11.� Konviktwochenende Süddeutschland 9.–11.� Konviktwochenende Ostdeutschland 10.��� Konvikttreffen Niedersachsen 18. ��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 26.–8. Urlaub Diakonenbüro Juni –8.��� Urlaub Diakonenbüro 11. ��� Konvikttreffen Hamburg-Nord 13.–15. Einsegnungsfreizeit, Bischof Witte Haus in Fleestedt 15. ��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg Juli 20.��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg Aug u st 17. ��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 20.��� Konvikttreffen Hamburg-Nord S e ptem b er 11.–14. Brüder- und Schwesterntag 12. ��� Stiftungsgeburtstag 14. ��� Einsegnungsgottesdienst, Dreifaltigkeit,anschließend festliches Mittagessen im Wichern-Saal 23.–13. Urlaub Diakonenbüro 26. ��� Semestereröffnungsgottesdienst und Brunch 26.–28. Klosterwochenende Konvikt Hamburg-Süd O ktob e r –13.�� Urlaub Diakonenbüro 19.��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 24.–26. Konviktwochenende Rheinland/Westfalen Jan uar 20 1 5 23.–25. Einkehrtage Se pte mb e r 13. ��� Einsegnungsgottesdienst, Dreifaltigkeit, anschließend festliches Mittagessen im Wichern-Saal N ove mb e r Deze mb e r 10.–13. VEDD Hauptversammlung 12. ��� Konvikttreffen Hamburg-Nord 14.��� Fach- und Begegnungstag Nordkirche, Wichern-Saal 16.��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 21.–23. Konviktwochenende Niedersachsen 9. ��� Rauhhäusler Adventskaffee D ez emb e r 7. ��� Adventstreffen Konvikt Ostdeutschland 10.��� Rauhhäusler Adventskaffee, Wichern-Saal 21. ��� Gottesdienst Flussschifferkirche zu Hamburg 65 Emp f eh lu n gen Der Bote 2/2013 Diakonisch handeln in Zeit-Brüchen 66 Reinhard Neumann In Zeit-Brüchen diakonisch handeln 1945–2013 560 Seiten, 16 x 23 cm, kartoniert 19,95 EUR ISBN 978-3-7858-0623-4 Das Buch behandelt die Geschichte der Diakonenverbände und der im VEDD zusammengeschlossenen Diakonischen Gemeinschaften in Deutschland, oftmals mit einem besonderen Augenmerk auf die Zweistaatlichkeit und die daraus resultierenden Ereignisse in der Diakonie. Wichtige gesellschafts-, kirchen- und diakoniepolitische Prozesse werden in dieser Darstellung reflektiert: – Situation der männlichen Diakonie 1945 – Die Treysaer Erklärung vom September 1946 – Entnazifizierung der Diakonenschaft – Die Geschäftsstelle Ost und der Beirat der DD in der DDR seit 1951 – Die Entwicklungen der Diakonenverbände in beiden deutschen Staaten seit dem Mauerbau bis in die 1980er Jahre – Das Jahr 1989 – der Beginn einer demokratischen Revolution – Die Gründung und das Wirken des VEDD bis 2013 Eine aufschlussreiche Lektüre, die erstmals einen Überblick über den Werdegang der Diakonie nach dem Zweiten Weltkrieg bietet und spannende Einblicke gewährt, wie sie bisher nicht veröffentlicht wurden. Lernende Gemeinschaft/Seminare Fremde Heimat Gottesdienst Über Geschichte, Charakter und Abfolge der Liturgie Mit dem Alt-Vorsteher Pastor Dietrich Sattler 17. und 29. Januar/18. Februar jeweils 17–20 Uhr Was wir alles sagen, ohne den Mund zu öffnen Mit Diakon und Moderator beim NDR Christian Fremy 11. und 25. März/8. April 2014 jeweils 17–20 Uhr Informationen und Anmeldung im Diakonenbüro Höre meine Stimme Peter Spangenberg Höre meine Stimme Die Psalmen 176 Seiten, 16 x 24 cm, gebunden Leinen, mit Lesebändchen 16,99 Euro ISBN 978-3-7600-1606-1 Ursprünglich wollte der bekannte Autor und Pfarrer Peter Spangenberg mit seiner Übertragung der Psalmen in unsere heu- tige Zeit und Sprache „nur“ die jungen Leute für diese Texte begeistern. Tatsächlich hat er uns allen diese Lieder, Gedichte und Gebete neu erschlossen. Die beliebte Psalmen-Ausgabe ist jetzt wieder lieferbar. Zu beziehen über die Reise- und Versandbuchhandlung des Rauhen Hauses Hamburg GmbH Tel. 040/53 53 37-0, Fax 040/53 53 37-21 www.pfarrer-shopping.de imp r essumR e daktion ssc h lu ss B ote 1 / 1 4 : 1 5. MÄRZ Der Bote – Berichte aus der Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses – erscheint zweimal im Jahr. Herausgegeben von Pastor Dr. Friedemann Green und Diakonin Claudia Rackwitz-Busse Redaktion: Johanna Kutzke, Tilman Lutz, Uwe Mann van Velzen, Claudia Rackwitz-Busse (verantwortlich), Beate Steitz-Röckener Kontakt: Beim Rauhen Hause 21, 22111 Hamburg Tel. 040/655 91-170, Fax 040/655 91-372 [email protected] Für unverlangt eingesandte Beiträge wird keine Verantwortung übernommen. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Gestaltung und Satz: Johannes Groht Kommunikationsdesign, Hamburg Fotos: J. Grothe, U. Mann van Velzen, R. Sondermann, S. Wallocha, privat Druck: A. S. Müller Sofortdruck, Hamburg Konto Brüder- und Schwesternschaft: Evangelische Darlehnsgenossenschaft Kiel, BLZ 210 602 37, Konto 80 608 Spendenbescheinigungen auf Wunsch Ich dein baum Du hast mich geträumt gott/wie ich den aufrechten gang übe/ und niederknien lerne/schöner als ich jetzt bin/ glücklicher als ich mich traue/freier als bei uns erlaubt/ Hör nicht auf mich zu träumen gott/ich will nicht aufhören mich zu erinnern/ dass ich dein baum bin/gepflanzt an den wasserbächen /des lebens/ Der Bote Berichte aus der Brüder- und Schwesternschaft des Rauhen Hauses Dorothee Sölle Dienende Gemeinschaft Lampedusa in Hamburg Seite 19 Einsegnungen und Aufnahmen Seite 55 Nr. 2 | Dezember 2013 | 102. Jahrgang