Olsberg im Scheinwerferlicht

Transcrição

Olsberg im Scheinwerferlicht
kultur.panorama.
Gefeiert. Sol Gabetta, Guy Braunstein und die Camerata Vocale Freiburg bei ihrem Auftritt in der Klosterkirche.
Olsberg im Scheinwerferlicht
Besuch bei Sol Gabetta und ihrem Solsberg Festival
JENNY BERG (Text), ROLAND SCHMID (Fotos)
» Bereits zum vierten Mal
veranstaltet die Cellistin
Sol Gabetta ihr Solsberg
Festival. Der erste Konzertabend
präsentierte
Chorlieder und Kammermusik – und eine Solistin,
die auch im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras
ganz locker bleibt.
Sol Gabetta (28) ist ein
Phänomen. Als kleines Kind
verliebte sie sich in das grosse Cello, zog schon mit zehn
Jahren zum Studium von Argentinien nach Madrid. Folgte schliesslich ihrem Lehrer
nach Basel, holte sich in Berlin den letzten Schliff. Sie gewann Wettbewerbe und
Plattenpreise, spielt heute in
den grössten Konzertsälen
der Welt. Und ist bei alledem
auf dem Boden geblieben, ist
so charmant und zuvorkommend wie in den Jahren, als
Kulturfernsehen und Magazinredakteure noch nicht bei
ihr Schlange standen.
Als sie am vergangenen
Freitag schwebenden Schrittes die Bühne in der Klosterkirche Olsberg betrat, da sah
man ihr nicht an, welch harte Probenarbeit sie in den
letzten Tagen absolviert hatte. Dass sie am Mittwoch von
neun Uhr morgens bis zwölf
Uhr nachts vom 3SAT-Fernsehen gefilmt wurde, mit Interviews, Probedurchläufen
und Konzert in Schwetzingen. Dass sie am nächsten
Tag in aller Frühe nach Basel
fuhr, um bis in die Nacht für
ihr Festival zu proben. Dass
am Freitag wieder Kameras
bereitstanden, diesmal von
Arte, und die Proben zusätzlich in die Länge zogen.
Man sah ihr nicht an,
dass diese Arbeit sie ermüdet
hat, so sehr, dass sie direkt
vor dem Konzert eine ganze
Stunde geschlafen hat. Tief
und fest geschlafen! «Ja, die
Leute glauben mir das nie,
aber ich schlafe immer kurz
vor dem Konzert, da tanke
ich Kraft», lacht sie später.
RHYTHMUS. Wann kann man
sich bei 120 Konzerten im
Jahr denn überhaupt erholen? «Erholung hat zwei Aspekte», analysiert Sol Gabetta. «Physisch ist es eine Frage
der Zeit, man muss sich gut
organisieren. Ich sitze zum
Beispiel nach einem Konzert
nicht noch lange herum und
trinke Alkohol, das schmeckt
mir sowieso nicht. Psychische
Erholung ist schwieriger, viele Leute haben ein Problem
damit. Auch ich musste erst
lernen, meine innere Ruhe zu
finden. Aber jetzt habe ich
meinen Rhythmus gefunden
und kann auch vor einem
Konzert gut schlafen.»
Innerlich ruhig, äusserlich voller Energie – so tritt
sie auch in Olsberg auf. Kein
zerknittertes Gesicht verrät
den Schlummer, nur der flott
gebundene
Rossschwanz
lässt erahnen, dass es für sie
Wichtigeres gibt als eine
Hochsteckfrisur für die Kameras. Sechs an der Zahl
versuchen einzufangen, was
das Phänomen Sol Gabetta
ausmacht. Ein Schweizer Kamerateam wurde engagiert,
der Aufnahmeleiter von der
BBC eingeflogen, der Produzent kommt aus Deutschland. Seit fünf Jahren hat er
Arte immer wieder ein Porträt über die argentinische
Cellistin angeboten. Hat früh
erkannt, was für eine Sonne
da am Cellistinnenhimmel
aufzieht. Jetzt, nach vier Soloplatten beim Label Sony,
ist Sol Gabetta berühmt genug für den Kultursender.
TERMINKALENDER. Das Fes-
tival in ihrer Wahlheimat
führt sie trotzdem ganz in Eigenregie, gemeinsam mit ihrem Partner, dem Orchestermanager Christoph Müller.
«Die Organisation machen
wir zu zweit, aber die Programmauswahl, den Probenplan, die Suche der Musiker,
das mache ich alles selbst.»
BaZ | 8. Juni 2009 | Seite 5
Wann?, fragt man einmal
mehr. «Auf Zugfahrten oder
im Flugzeug. Das macht mir
unheimlich Spass! Zu überlegen, welche Musiker zu
welchem Programm, welche
Charaktere da zusammenpassen würden.»
Und das ist nicht immer
einfach. Auch andere Musiker haben volle Terminkalender, und so muss mancher
Solsberg-Fan in diesem Jahr
auf lieb gewonnene Instrumentalisten verzichten. Die
Geigerin Patricia Kopatchinskaja etwa, die mit ihrem charakterstarken Spiel ein so inspirierendes Gegenüber für
Gabetta ist, trifft man diesmal
leider nicht in Olsberg an.
STIMMGEWALT. Und so spielt
Gabetta an jenem Freitag
Abend stattdessen mit Guy
Braunstein die «Plainscapes»
für Violine, Violoncello und
Chor. Ein ätherisches Werk
aus der Feder Peteris Vasks,
das die wandlungsfähige
Stimmgewalt der Camerata Konzentriert. Die Cellistin bei der Probenarbeit.
Vocale Freiburg unter Winfried Toll einmal mehr unter
Beweis stellt.
Braunstein aber spielt,
wie man eben spielt, wenn
man Konzertmeister in einem der besten Orchester
der Welt ist. Selbstbewusst
dominiert er das Geschehen
mit einem dickflüssigen, vibratogetränkten Klang.
Später nutzt auch das international besetzte Streichsextett die Musik von Brahms
vor allem für ein temporeiches Schaulaufen um den
lautesten, durchdringendsten Auftritt. Die Feinheiten,
die man im Spiel Gabettas so
schätzt, kann man für einmal
nur in ihrem Solo-Auftritt mit
Vasks «Das Buch» geniessen.
Aber Solsberg wäre nicht
Solsberg, wenn es nicht noch
weitere Gelegenheiten gäbe,
um Sol Gabettas vielfältiges
Cellospiel zu erleben. Vier
verschiedene Programme
für acht Konzerte. Das heisst,
auch in der kommenden Woche proben, proben, proben.
Wie viele Stunden macht
das nochmal genau? «Ach,
das müssen die Leute gar nicht
wissen», lacht Gabetta. «Sie
sollen einfach ins Konzert
kommen und geniessen!» Und
das tun sie. Sogar aus Hamburg und Saarbrücken reist
das Publikum nach Olsberg.
Aus Basel natürlich auch.
Entspannt. Sol Gabetta in Begleitung von Ehemann
und Orchestermanager Christoph Müller.
> www.solsberg.ch
Ein wuchtiger Trip bei Zap
Performance-Marathon in der Kaserne
HANNES VERAGUTH
» Zappen
kann man bei
«Zap!» nicht wirklich. Egal.
Es gab am Wochenende
viele Performances und
einen ersten Höhepunkt
mit der fulminanten Bewegungsperformance «Trip»
von White Horse. Das
kleine Festival dauert noch
bis Dienstag.
Weit aufgerissene Münder und Augen. Wie die Gorgo Medusa starren uns die
drei in die Augen, sodass wir
zu versteinern drohen. Erschrecken sie uns mit ihren
Gesichtern, oder haben vielmehr diese Gesichter etwas
Schreckliches gesehen? Täter und Opfer wechseln in
der Bewegungsperformance
«Trip» ineinander über. Der
stampfende Puls des Maschinensounds schwillt wie Ravels Bolero langsam und spiralförmig an; die simultanen
Bewegungen des Tanzkollektivs White Horse (Lea
Martini, Chris Leuenberger,
Xavier Fontaine) drehen sich
im leeren Raum. Unermüdlich, unerbittlich, maschinenhaft und doch schweisstropfenspritzend.
Aber vor oder hinter den
nicht abbrechenden Körperbewegungen scheinen immer
wieder Bilder stehen zu bleiben wie Fotos. Ich sah das Tienanmen-Massaker. Ich sah
die Frau neben Benno Ohnesorg knien. Ich sah Bilder
aus Eisensteins Film «Panzerkreuzer Potemkin». Sah Soldaten mit langen Gewehren
ins Publikum schiessen. Sah
FCB-Fans im Stadion. Und
alle starrten sie immer zu uns,
eine einzige Blickachse, die
Kamera oder die Kanone,
vorwärts, vorwärts.
ERHÖHTER PULS. Das ist Per-
munikation, ohne dass benennbare Bedeutung nötig
wäre wie im Sprechtheater.
Das ist «Trip». Grossartig.
«Zap!» lässt uns aber auch
diskutieren, was denn Performance eigentlich sei. Das enzyklopädische Performance
Office als lange, zehnteilige
Reihe von Auftragsperformances zu 30 Begriffen wie
etwa Ritual oder Präsenz bot
dazu das Material. Eine subjektive Auswahl möchte ich
nennen: Die Lecture Performance mit Kreide-Körperbildern und einem Lama-Gastauftritt von Andreas Liebmann, den gescheiten und
heiteren Film von Tim Etchells («Forced Entertainment»), der die Begegnung
eines dozierenden Kunsttheoretikers mit einem praktizierenden italienischen Gelatiere zeigt, die Gruppe Schauplatz International, die als
«tableau vivant» das Pressebild nachstellt, das George W.
Bush an 9/11 in jenem Schulzimmer zeigt, in dem ihm ein
Berater die Zerstörung des
World Trade Centers ins Ohr
flüstert.
Besonders stimmig die
wortwörtlich zusammengestrickte Installation von Rahel Hubacher und Heidy Ludewig zum Thema der strickenden Frauen als aussterbende Spezies. Und ein begeisterter Bericht lässt den
Rezensenten schliesslich bereuen, dass er bei Ariane
Andereggens Performance
nicht reingezappt hat.
Ein deutlich jüngeres Publikum füllte mit Partystimmung die Rossstall-Bar, um
der Baselbieter Band The Bianca Story zu huldigen. Passend zum Stilmix hatte die
Band einen Barmixer angeheuert, der für die KonzertPerformance Drinks mixte.
So mischt sich das unterschiedliche Publikum der
drei Sparten durch hauseigene Festivals wie «Zap!» – und
wo ginge das besser als in der
Kaserne?
formance, weil sie Präsenz
produziert und flüchtige
subjektive Bilder beschwört
und zerstört. Am Ende sitzen
wir mit erhöhtem Puls im Zuschauerraum, die drei Performer erschöpft auf dem
Bühnenboden. Und schauen
uns fünf lange Minuten gegenseitig an. Fast möchte > Kaserne Basel: Mo., 8.6.,
21.00 Uhr: Yan Duyvendaks
man sich die Zigarette da«Side Effects», Rossstall 1.
nach herumgeben. SehnDo., 9.6., 21 Uhr: Alexandra
sucht nach einem SchlussBachzetsis’ «Perfect» & «Danritual ist da. Das ist Perforcing», Reithalle.
mance als geglückte Komwww.kaserne-basel.ch

Documentos relacionados