Zweitjob für die Persönlichkeit

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Zweitjob für die Persönlichkeit
Ein Manager macht seine Leidenschaft ­Aikido
zum Nebenberuf. Die ­Fähigkeiten, die er
dort erwirbt, kommen ­seinem Haupterwerb beim
­Schweizerischen Roten Kreuz zugute.
M a n a g e r
u n d
A i k i d o - S c h u l l e i t e r
Zweitjob für die Persönlichkeit
Text Arnold Fricker Fotos Peter Pfistner
W
er seine finanzielle Existenz abgesichert hat,
sollte sich nicht darauf konzentrieren, noch
mehr Geld verdienen zu wollen. Er sollte sich mit
der Zusatzzeit als Mensch bereichern», findet
Fritz Heuscher. Der Kampfkunstlehrer arbeitet im Hauptberuf
fürs Schweizerische Rote Kreuz (SRK). Er ist Manager des SRKVereins Oberaargau, und er ist Organisator der Gewaltpräven­
tionsprogramme des kantonalbernischen SRK. So kommt er auf
65 Stellenprozente. Das reicht. «Ich bin froh, wenn es nicht mehr
werden», sagt Heuscher, den man bisweilen als «Joker» holt.
Nicht dass Heuscher seiner Arbeit nicht mit vollem Einsatz
nachgehen würde – das entspräche nicht seinem Naturell. Aber
es gibt eine Leidenschaft, die stärker ist und die nur von der
Beziehung zu seiner Frau und seinen vier Kindern getoppt
wird: die Kampfkunst Aikido. Und dieser Leidenschaft lebt er so
sehr nach, dass sie mittlerweile mehr als nur Freizeitbeschäftigung ist. Heuscher führt in Langenthal eine Aikido-Schule.
Aikido ist eine Methode der Selbstverteidigung. So etwas zu
können, war Heuschers ursprüngliches Motiv. Als Jugendlicher
wurde er von einer Gruppe Gleichaltriger zusammenge­
schlagen. «Das soll mir nicht mehr passieren», sagte er sich und
suchte nach dem passenden Gegenmittel. In den 1970er Jahren
war in der Schweiz Judo erste Wahl; Karate war noch wenig
bekannt, Aikido fast gar nicht. Eine der wenigen Trainingsmöglichkeiten für diese modernste aller japanischen Kampfkünste
gab es jedoch in St. Gallen – dort, wo Heuscher aufwuchs.
1980 verschlug es Heuscher aus beruflichen Gründen nach
Huttwil. Im ländlichen Bernbiet denkt man bei schwungvollen
Drehungen eher an Hornussen denn an Aikido. «Ich hatte
die Wahl, entweder ständig nach Bern ins Training zu fahren
oder selber für Aikido-Unterricht zu sorgen», sagt Heuscher
zurückblickend. Zusammen mit seiner Frau entschied er sich
für ­Letzteres. Damit verbunden war die Hoffnung, sich an
­seinem neuen Wohnort gut integrieren zu können. Es sei nicht
ganz einfach, dort als Fremder Fuss zu fassen, sagt Heuscher.
Heute ist Heuscher bekannt wie ein bunter Hund. Wer mit
ihm durch Langenthal streift, wo er heute seine Schule betreibt,
erkennt das rasch. Da ein Winken, dort ein kurzes Gespräch. Die
Bekanntheit hat mit seiner offenen Haltung, mit seiner Arbeit
beim SRK, aber auch mit dem Aikido-Unterricht zu tun. Seine
Schule wuchs im Verlauf der Jahre ständig. Heute unterrichtet
er rund 50 Erwachsene und 30 Kinder. Sechs Stunden wendet er
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dafür wöchentlich auf, hinzu kommen organisatorische und
administrative Tätigkeiten von drei Stunden. Nicht eingeschlossen in diesem Pensum ist die Zeit für Weiterbildung – bei einem
der grossen europäischen Meister zu trainieren, ist schliesslich
keine Arbeit, sondern Vergnügen. Die Spesen für diese Kurse
ebenso wie für jene seines Trainerstabs gehen auf Rechnung
der Aikido-Schule. Denn die hat bis jetzt meist positive Zahlen
­geschrieben. Über allfällige Defizite macht sich Heuscher keine
Sorgen. Ihm würde schon ein Ausweg einfallen, schliesslich
habe er eine Ausbildung in Marketing, meint er trocken.
Die andere Kampfkunst
Trotz Andy Hug und Fritz Chervet: Kampfsportler sind
in der Schweiz nicht wirklich angesehen. Zwar wird in den
­Trainings Disziplin gelehrt, doch auf der Strasse sorgen die
schwarzen Schafe dafür, dass das Image ein ganz anderes ist.
Aikido ist anders. Hier gibt es keine Wettkämpfe, in denen der
Stärkere ermittelt wird. Wer die Technik der Verteidigung
­beherrscht, hat hier das Sagen. Aikido setzt der Gewalt keine
Gewalt entgegen, sondern vereinigt die Energien von ­Angreifer
und Verteidiger. Von aussen sieht das eher wie ein eleganter
Tanz aus und nicht wie Selbstverteidigung. Das Geheimnis der
Wirksamkeit liegt in der Präzision der Drehbewegungen und
an den Schwachpunkten der menschlichen Gelenke.
Der Erfinder des Aikido, der Japaner Morihei Ueshiba, war
ein zutiefst spiritueller Mensch. Was er dozierte, war oft
nicht verständlich. Seine Schüler bewunderten ihn für sein
Können, aber begriffen sie wirklich, dass er Aikido mit Liebe
gleichsetzte? Für Normalsterbliche braucht es jedenfalls eine
Übersetzung. Heusser definiert deshalb: «Aikido ist die Kunst,
mit Energien umzugehen.» Und darin liegt für ihn der grosse
Wert. «Was ich im Aikido erfahre, kann ich in meine Berufsarbeit einbringen.» Vor allem in der Menschenführung setzt
Heuscher die geistigen Prinzipien des Aikido ein. «Es geht
darum, die beteiligten Energien so zu organisieren, dass alle
sich wohlfühlen.» Energien können dabei Wünsche sein, aber
auch logische Argumente oder persönliche Ressourcen.
Zur eigenen Mitte finden
«Die Techniken des Aikido funktionieren nicht, wenn die
Bewegung nicht aus der körperlich-seelischen Mitte erfolgt.»
Gleiches gilt für Heuscher im Alltag bei der Suche nach
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«Was ich im Aikido erfahre, kann ich
in meine Berufsarbeit einbringen.»
Fritz Heuscher
stärkt im Training
seine Selbstdisziplin.
­ onstruktiven Lösungen. Klassischer Fall sind zwischenk
menschliche Probleme, etwa wenn ein Kunde mit einem SRKMitarbeiter unzufrieden ist. Dank Aikido erkennt Heuscher,
wo die Trennlinie zwischen Sachlichem und Emotionalem
verläuft. Klar und ruhig bleibend «mache ich nichts anderes,
als wenn ich mich im Aikido gegen zwei Gegner verteidige».
Aikido stärkt auch die Selbstdisziplin. «Um wirksam zu
sein, müssen die Bewegungen präzis sein. Es ist hart, immer
wieder korrigiert zu werden, und das erst noch in der
­Freizeit», ist sich Heuscher bewusst. Umso wichtiger ist, dass
der Lehrer weiss, wie er das Vertrauen seiner Schüler auf­
bauen kann. Auch diese Fähigkeit kommt Heuscher im Beruf
zugute. Und schliesslich hilft ihm das Training, die im Alltag
verbrauchte geistige Energie zurückzugewinnen. Die ­Stunden
in seinem Nebenjob belasten ihn deshalb nicht. Natürlich
habe man als Leiter Verantwortung, aber die nehme er gerne
wahr. Denn durch Aikido erhalte er sehr viel zurück.
Da auch Heuschers Frau zu 70 Prozent berufstätig ist,
kommt das Paar auf ein gesichertes Einkommen, das Freiräume
ermöglicht. Heuscher empfiehlt jedem, die Zeit mit Aktivitäten zu füllen, die einen persönlich weiterbringen. «Es spielt
keine Rolle, ob sie bezahlt sind oder nicht, sie müssen nur zu
einem passen.» Solche Gelegenheiten gebe es gerade in der
heutigen Gesellschaft viele. Aber: «Man muss zuerst einen
Hauptberuf haben, der die Existenz sichert.» Das hätten leider
nicht alle. «Ich bin in einer privilegierten Situation.» n
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