Veränderte Bewusstseinszustände
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Veränderte Bewusstseinszustände
Wenn das Gehirn zerfällt Neurobiologische Grundlagen veränderter Bewusstseinszustände Dieter Vaitl Klinische und Physiologische Psychologie Bender Institute of Neuroimaging (B.I.O.N.) Universität Giessen Veränderte Bewusstseinszustände (VBZ) Phänomenologie von VBZ Psychische Veränderungen Induktionsmethoden Biologische Grundlagen Neurophysiologische Grundlagen der Hypnose Schmerzverarbeitung Absorption Stirnhirn (Präfrontalkortex) und VBZ Synopse Ausblick: Phantasie und Fiktionalität Bewusstseinsstörungen - Psychiatrische Terminologie Bewusstseinsminderung Benommenheit ! Somnolenz ! Sopor ! Koma Bewusstseinsstörungen Körperliche Ursachen Beispiele Zentralnervöse Erkrankungen Epilepsie Raumfordernde Prozesse Hirntumor, Abszess Entzündliche Prozesse Enzephalitis Vaskuläre Störungen Hirninfarkt Infektionskrankheiten Sepsis Endokrine Störungen Diabetes mellitus Substanzen Alkohol, Medikamente, Drogen [nach Möller et al., 1996] Veränderte Bewusstseinszustände Definition „Ein veränderter Bewusstseinszustand ist ein zeitweiser Wechsel im Gesamtmuster subjektiver Erfahrung, so dass das Individuum glaubt, seine psychischen Funktionen seien deutlich verschieden von bestimmten allgemeinen Normen seines normalen Wachbewusstseins.“ Farthing, 1992 Anzeichen veränderter Bewusstseinszustände Beispiele: Wahrnehmung Halluzinationen, Illusionen, Synästhesien Zeiterleben Gefühl von Zeitlosigkeit, Verschmelzen von Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft Denken Denkabläufe beschleunigt / verlangsamt, Konzentrationsstörungen Bedeutungserleben Fremdartigkeit von Bekanntem, Evidenzerlebnisse Selbstkontrolle Angst vor Verlust der Selbstkontrolle Körperschema Gefühl der Körperlosigkeit, Levitationserlebnisse Emotionen Hohe Intensität positiver / negativer Emotionen (Glücksgefühle – Panik) Drei gemeinsame Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände Ozeanische Selbstentgrenzung „Es schien mir, als hätte ich keinen Körper mehr.“ „Ich hatte das Gefühl, in eine andere Welt versetzt zu sein.“ Angstvolle Ich-Auflösung „Meine Umgebung kam mir eigenartig fremd vor.“ „Ich fühlte mich bedroht, ohne dass mir klar wurde, wovon.“ Visionäre Umstrukturierung „Ich sah Dinge, von denen ich wusste, dass sie nicht wirklich waren.“ „Die Dinge um mich herum erschienen mir größer als gewöhnlich.“ (Dittrich, von Arx & Straub, 1981) Erfahrungen während „tiefer“ Meditation*) (Dimensionen nach Ott, 2000) Mystisches Erleben „Ich spürte die Verbindung mit einer höheren Kraft.“ „Ich oder Teile von mir wurden zu Licht.“ „Nirwana“-Dimension „Ich nahm meinen Körper nicht mehr wahr.“ „Mein Ich löste sich auf.“ Leib-seelische Entspannung „Ich fühlte mich innerlich völlig ausgeglichen.“ „Mein Körper fühlte sich gelöst und frei von Spannungen an.“ *) Transzendentale Meditation (50%), Yoga (33%), Zen, Vipassana (17%) Veränderte Bewusstseinszustände Induktionsmethoden Pharmakologische Substanzen Halluzinogene 1. Ordnung (z. B. LSD, Psilocybin) Halluzinogene 2. Ordnung (z. B. Scopolamin, Phencyclidin, Stickoxydul) Psychophysiologische Methoden Gesteigerte Stimulation aus der Umgebung (z. B. rhythmische Stimulation) Reduzierte Stimulation aus der Umgebung (z. B. sensorische Deprivation, Autogenes Training, Meditation) Fernöstliche Praktiken Schamanismus Buddhistische Einsichtsmeditation Funktionen Yoga " Selbstkontrolle • • Ein-/Austritt in VBZ Erleben während VBZ Amnesie ja teilweise ja ja ja ja keine keine keine reduziert schwach ja geschärft schwach nein reduziert stark nein schwach häufig schwach häufig stark selten keine heftig leicht keine tief keine positive/negative positive/neutrale positive vorhanden keine keine Wahrnehmung • • • Wahrnehmung der Umgebung selektive Fokussierung außerkörperlicher Betrachtungspunkt Konzentration • • fixiert fließend Aktiviertheit • • Ruhe Agitiertheit Emotionen Kommunikation mit der Umgebung während VBZ (aus Vaitl, 2004) Hypnose Autogenes Training Transzendentale Meditation nein nein ja ja ja ja häufig keine keine blockiert stark nein reduziert schwach nein reduziert schwach nein stark selten stark selten stark selten tief keine tief keine leicht keine positive positive positive gelegentlich keine keine Westliche Praktiken Funktionen Selbstkontrolle • • Ein-/Austritt in VBZ Erleben während VBZ Amnesie Wahrnehmung • • • Wahrnehmung der Umgebung selektive Fokussierung außerkörperlicher Betrachtungspunkt Konzentration • • fixiert fließend Aktiviertheit • • Ruhe Agitiertheit Emotionen Kommunikation mit der Umgebung während VBZ (aus Vaitl, 2004) Senkung der kortikalen Aktivierung ohne einzuschlafen Aktivierungszustände Wachzustand Entspannte Wachheit Schläfrigkeit Leichter Schlaf Tiefschlaf REM-Schlaf EEG-Merkmale Normaler Einschlafvorgang Langzeit-Training Beta und Alpha Alpha-Zunahme Alpha und Theta Theta u. Spindeln Delta Beta und Alpha Zeit Zeit Gemeinsame Merkmale der ekstatischen, schamanistischen und hypnotischen Trance Fokussierte Aufmerksamkeit Die Aufmerksamkeit ist auf ein Objekt oder eine Handlung ausgerichtet; andere Objekte werden ausgeblendet; es handelt sich um Zustände der Versunkenheit (Absorption). Reduzierte Selbstkontrolle Es kommt zu spontanen, ungeplanten Verhaltensweisen, die nicht kontrolliert werden. Reflexive Bewusstseinsanteile (Ich-Gefühl, Selbstbewusstheit) sind reduziert. Hypnose Stadium Aktivität Hirnfunktion (funktionale Dominanz) I Fokussierte Aufmerksamkeit Linke Frontalhirnseite Linke Hemisphäre # # II Induktionsphase Suggestion: Schlaf Müdigkeit Frontale Aktivität Linke Hemisphäre $ $ III „Lebhafte Vorstellungen“ Rechte hintere Hemisphäre Linke vordere Hemisphäre # $ (nach Gruzelier, 1999) Veränderte Bewusstseinszustände (VBZ) Phänomenologie von VBZ Psychische Veränderungen Induktionsmethoden Biologische Grundlagen Neurophysiologische Grundlagen der Hypnose Schmerzverarbeitung Absorption Stirnhirn (Präfrontalkortex) und VBZ Synopse Ausblick: Phantasie und Fiktionalität Absorptionsfähigkeit Absorption = intensive Aufmerksamkeitszuwendung Versunkenheit Ausblenden störender Reize Verändertes Realitätsgefühl Steigerung bildhafter Prozesse Synästhesie Lebhaftes Erinnern Veranlagung zur Absorption Ca. 40 % der Unterschiede sind genetisch bedingt (% Zwillingsstudien) Genetische Polymorphismen betreffen das Dopamin-System Areale des Präfrontalen Cortex (PFC) [modifiziert nach Davidson & Irwin, 1999] Funktionen des Präfrontalcortex (PFC) 1. Ventral-lateraler PFC & rechts-dominant „Wahrnehmung“ & links-dominant „Verbalisation“ 2. Ventral/medial-orbitaler PFC „Motivation“ 3. Dorsal/medial-anteriores Cingulum „Aufmerksamkeit“ 4. Dorsolateraler PFC „Koordination“ (1.-3.) „Präfrontales Exekutivkomitee“ (modifiziert nach Faw, 2003) Hypofrontalität und VBZ Allgemeine Hypothesen (nach Dietrich, 2003): Veränderte Bewusstseinszustände entstehen durch eine vorübergehende Hypofrontalität bzw. selektive Inhibition frontaler Areale Hypnose / Meditation: Dissoziation frontaler Areale, teilweise aktiviert (Konzentration), teilweise inhibiert (Zeitlosigkeit, geringe Selbst-Reflexion und Analyse, reduziertes Denken und Planen). VBZ erzeugende Bedingungen kognitive und autonome Techniken der Selbstregulation Selbstkontrolle perzeptuelle Hypooder Hyperstimulation Sensorischer Input Gehirn… Zerstörung von Gewebe (Vaitl et al., 2005) Struktur reduzierte Vigilanz Errregung Dynamik Neurochemie Diskonnektivität, Hypersynchronisation Hypokapnie Ebenen der Hirnfunktion und Induktion von VBZ Ebene Technik, Methode, Bedingung Selbstkontrolle Biofeedback, Hypnose, Meditation, Entspannung Erregung Schläfrigkeit, hypnagoge Zustände, Schlaf, Träumen Sensorischer Input Rhythmische Stimulation, sensorische Deprivation und Gleichförmigkeit Neurochemische und metabolische Prozesse Hyperventilation Hirndynamik Epilepsie, psychotische Störungen Strukturell (Hirngewebe) Koma (Vaitl et al., 2005)