Gegensätze trotz gemeinsamer Basis

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Gegensätze trotz gemeinsamer Basis
Das Offenbarungsverständnis in den drei monotheistischen Religionen
Gegensätze trotz
gemeinsamer
Basis
Das Christentum ist aus der jüdischen Religion entstanden, der Islam aus dem – vor allem
syrischen – Christentum. So kennen die drei Religionen große Gemeinsamkeiten, aber auch
viele Unterschiede.
Wie alle Religionen verstehen sich auch jüdische, christliche und muslimische Religion als „wahr“,
begründet in göttlicher Offenbarung, und erheben einen Anspruch auf universale Geltung. Angesichts
der Vielgestaltigkeit religiöser Phänomene, die heute kaum noch zu überblicken ist, sehen sich viele
vor die Entscheidung gestellt, entweder jeder Glaubensgemeinschaft ihren Anspruch auf Wahrheit
zuzugestehen oder keiner. Wo dieser Anspruch in der Vergangenheit geltend gemacht wurde und
noch heute wird, lässt sich oft eine Tendenz zu Intoleranz erkennen.
Abrahamitische Religionen?
Um die Gemeinsamkeit der drei großen Religionen des Judentums, Christentums und Islams
hervorzuheben, ist es heute modisch geworden, sich auf eine vermeintlich gemeinsame
„abrahamitische“ Tradition zu berufen. Insofern die alttestamentlichen Erzählungen von Abraham in
allen drei Religionen aufgegriffen werden, scheint hier ein gemeinsamer Ursprung erkennbar, der auf
einen – in allen drei Religionen – maßgeblichen Monotheismus hindeute. Darüber wird vergessen,
dass der theoretische Monotheismus erst in exilischer Zeit ausgebildet wurde, die Erzählungen um die
legendarische Gestalt des Abraham aber in der frühen Geschichte Israels anzusetzen sind, in der es
weder den Gottesnamen „Jahwe“ noch den Glauben an einen einzigen Gott gegeben hat. Auch sind
die Gesichtspunkte, unter dem sich die drei Religionen auf Abraham berufen, ganz unterschiedlich.
Monotheismus als gemeinsame Basis
Die zentrale Gemeinsamkeit der drei Religionen ist vielmehr der Glaube an den einen personalen
Gott, also der Monotheismus. Im Unterschied zum Polytheismus, der seit etwa dem 3. vorchristlichen
Jahrtausend die Gottesvorstellungen der Hochkulturen prägt und der von einem Glauben an mehrere
oder viele Gottheiten ausgeht, die nach Art menschlicher Personen dargestellt und von einem
Götterpantheon zusammengefasst werden, kennt der Monotheismus nur einen einzigen Gott. Seit
dem babylonischen Exil im 6. vorchristlichen Jahrhundert auch theoretisch formuliert, ist Jahwe der
einzige [nicht nur der maßgebliche Gott, im Unterschied zum Monokult]. Dieser Gott des jüdischen
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Monotheismus findet sich auch im Glauben Jesu und wurde später – durch die Vermittlung des
syrischen Christentums – vom Islam aufgegriffen.
Somit vertreten die drei Religionen gemeinsam eine Position, die der Auffassung der fernöstlichen
monistischen (pantheistischen) Religionen diametral entgegengesetzt ist. Diese sehen Gott als
sachhaftes Prinzip, als „das All-Eine“, als Urgrund oder kosmische Ordnung. Dieses steht der Welt
unbeteiligt gegenüber und ist am Geschick des Menschen nicht interessiert bzw. kann auch nicht
handeln. Er kann uns also auch nicht „erlösen“, so dass der Mensch selbst seinen Weg aus seinem
Unheil suchen muss („Selbsterlösung“). Dagegen glauben Juden, Christen und Muslime an den
personalen Gott, der handeln und uns helfen kann („Fremderlösung“).
Religiöse Wahrheit als Offenbarung
Auf dieser Grundlage wird die von allen Religionen, mehr oder weniger ausdrücklich, für sich
beanspruchte Wahrheit
je anders gedeutet. In den monistischen Religionen ist diese Wahrheit
„heiliges Wissen“, das aus den Epiphanien des Göttlichen in der Welt herausgelesen wurde. In den
monotheistischen Religionen aber wird Gott vorgestellt als einer, der den Menschen ansprechen und
sich mitteilen kann. So erscheint die religiöse Wahrheit in seinem Wort oder seiner Offenbarung
begründet. Diese gilt es zu „hören“ und zu befolgen. Er spricht durch Mittlergestalten, die „Väter“,
Propheten, Jesus, Mohammed.
Monotheismus und Vorstellung von einer Offenbarung sind also die grundlegende Gemeinsamkeit von
jüdischer, christlicher und islamischer Religion und die gemeinsame Alternative zu den Auffassungen
der fernöstlichen Religionen. Allerdings haben sich, trotz und auf dieser gemeinsamen Basis, sehr
unterschiedliche Varianten herausgebildet.
Schriftreligionen?
Alle drei Religionen werden als Schriftreligionen bezeichnet. Aber dieser Begriff gilt auf je andere
Weise: In der jüdischen Religion „offenbart“ sich Gott in seinem Handeln am Volk Israel und seiner –
nach vorne „offenen“ (Messiaserwartung) – Geschichte; die heilige Schrift dokumentiert „lediglich“
diese Geschichte und verweist auf diese Offenbarung an Israel. Das Christentum erkennt die heilige
Schrift der Juden an, liest sie aber – das „Erste oder Alte Testament“ – als Weg und Hinweis auf das
Kommen Jesu, in dessen Leben, Gestalt und Verkündigung die Offenbarung „endgültig“ erfolgt ist; er
ist das Wort Gottes, das Neue Testament ist Verweis auf Jesus. Ganz anders im Islam: Hier ist die
„Offenbarung“ Gottes in dem heiligen Buch, dem Koran, zu finden, der wörtlich von Gott stammt
(Verbalinspiration) und deswegen in seinem Wortlaut Geltung hat; Mohammed ist „nur“ der Übermittler
dieser koranischen Offenbarung. Von daher stehen die drei Religionen in einem unterschiedlichen
Bezug zu ihren Schriften. Im Judentum und Christentum ist die Schrift, wenn man so will,
deuterokanonisch und kann oder muss auf das Volk Israel oder Jesus hin gelesen werden. Im Islam
ist die Offenbarung die Schrift selbst, in diesem Verständnis ist er gänzlich Schriftreligion. Der Koran
will zwar Tora und Evangelium bestätigen. Diese aber seien von Juden und Christen verfälscht
worden, so dass sie nur im Koran unverfälscht zu finden seien.
Alle drei Religionen kennen trotz ihrer Selbstverpflichtung auf die heiligen Schriften eine umfängliche
Traditionsliteratur. Diese Traditionen, im Lauf der Zeit schriftlich fixiert, drohen die Geltung der
kanonischen Schriften zu überlagern. Dies gilt besonders für den Islam, der bis zum 9. und 10.
3
Jahrhundert
die
Sunna,
die
Überlieferungen
des
Propheten
in
fünf
umfänglichen
Schriftensammlungen ausgebildet hat. Die dort überlieferten Prophetenworte genießen oft gleiche
Autorität wie koranische Texte.
Weil im Koran auch widersprüchliche Aussagen zu finden sind, bietet schon der Koran selbst eine
Lösung an in der Theorie der „Abrogation“: jüngere Offenbarungen Allahs ersetzen ältere Sprüche.
Von Islamisten werden mit Berufung auf diese Theorie oft ältere versöhnliche Aussagen durch spätere
intolerante oder kämpferische außer Kraft gesetzt. Interreligiöse Gespräche werden durch diese
zusätzlichen Berufungsinstanzen oft schwierig.
Weitere Unterschiede
In der konkreten Ausgestaltung der „Inhalte“ der jeweiligen Offenbarungen gibt es natürlich weitere
Unterschiede: im Gottesverständnis, in der Christologie, bei den Schöpfungsvorstellungen, in der
Eschatologie und vor allem in der Soteriologie („Erlösungslehre“). Wahrscheinlich könnten genauere
historische Untersuchungen aufzeigen, dass auch hier die Gemeinsamkeiten gelegentlich größer sind,
als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Diese Fragen aber können hier nicht diskutiert werden.
Grundlegend für interreligiöse Gespräche sind die oben skizzierten Gemeinsamkeiten und
Unterschiede.
PD Dr. Ulrike Stölting
Universität des Saarlandes
Fachrichtung 3.3. Katholische Theologie
Tel.: 0681/302-2348
[email protected]
Literaturhinweis:
Karl Heinz Ohlig/Gerd-R. Puin (Hg.)
Die dunklen Anfänge.
Neu Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam.
Verlag: Hans Schiler 2005