Bildungspolitik und die Modernisierung der öffentlichen

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Bildungspolitik und die Modernisierung der öffentlichen
1
Jürgen Oelkers
Bildungspolitik und die Modernisierung der öffentlichen Schule*)
„Modernisierungen“ kann man auf zweierlei Weise betrachten, als Versprechen
einerseits und als Tatbestand andererseits. Gegenüber den Versprechungen der Politik kann
man aus gutem Grund skeptisch sein, aber im Kern ist Politik nicht einfach ein Tatbestand,
sondern ein Versprechen auf die Zukunft, und das gilt umso mehr für die Bildungspolitik, die
es mit einer lang gestreckten, kaum absehbaren Zukunft zu tun hat und sich trotzdem
festlegen und entscheiden muss. Was Modernisierungen dann tatsächlich sind, weiss man
immer erst im Nachhinein. Der letztendliche Effekt lässt sich nicht aus dem politischen Plan
ableiten, und sei es nur, dass niemand weiss, wie viel Wasser die Limmat hinabgeflossen sein
muss, um ehrgeizige Ziele wie die Entwicklung nationaler Bildungsstandards zu erreichen.
Andererseits hat jede Politik einen historischen Grund zur Voraussetzung, sie beginnt
nicht erst heute und sie ist gegenüber der Praxis nicht frei, wie man aus manchem
Aktionismus schliessen könnte. Betrachtet man die Entwicklung der öffentlichen Schulen,
dann lässt rückblickend eine erstaunliche Kontinuität feststellen. Schulische Bildung ist seit
dem 19. Jahrhundert immer ein Projekt der Modernisierung gewesen, und wenn man
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die Akzeptanz der öffentlichen Bildung in der Bevölkerung vor Augen hat,
die Höhe der Budgets,
die Dichte der Bildungsversorgung,
die Sicherheit des Angebots
oder auch die Qualität der Schulbauten,
dann lässt sich einer historischen Erfolgsgeschichte sprechen, die kaum überboten
werden kann. Eher muss man fragen, ob dieses ausgereifte System weitere Modernisierungen
verträgt oder sich dadurch nicht gerade über Gebühr belastet und selbst schädigt.
Statt „Modernisierung“ wird meistens das etwas niederschwellige Wort „Reform“
gebracht, das weniger ambitioniert klingt und aber bei Lichte aber auch nicht gerade harmlos
ist. Sich einlassend auf das Stichwort „Bildungsreform“, ist der Kanton Zürich in den letzten
zehn Jahren bekanntlich unter einen rechten Turbo geraten, dem zwischenzeitlich zugetraut
wurde, keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Aber das „Haus des Lernen“ ist stabiler als
jede Bildungsreform, die sich ja mit einem historisch erfolgreichen System auseinander setzen
muss, das nur an ganz bestimmten Stellen wirklich noch reformiert werden kann.
Grundkonstellationen des Unterrichts werden nicht neu erfunden, zentrale Elemente der
Schulorganisation wie die Stundentafel oder die Zeiteinheit der Lektion haben bisher jede
Reform überstanden und selbst Bildungsstandards werden sich die Fragen gefallen lassen
müssen, ob es sie in unseren Lehrmitteln nicht längst gibt.
*)
Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Schulhausbau. Der Stand der Dinge“ am 6. Juli 2004 im
Schulhaus im Birch in Zürich-Oerlikon.
2
Wenn diese Analyse zutrifft, könnte ich eigentlich gehen, denn was sollte ich zum
Thema „Modernisierung der öffentlichen Schule“ noch sagen, wenn nicht sicher ist, wie weit
selbst der „Ernst-Buschor-Effekt“ tatsächlich reichen wird? Ich könnte gut bewährte
bildungspolitische Dualismen bemühen, also vor einem Rückfall in „konservative“ Lösungen
warnen, oder ich könnte mich ins andere Lager begeben und darauf hinweisen, dass die
„progressive“ Bildungspolitik gescheitert sei. Aber gerade Bildungspolitik lässt sich nicht so
aufteilen, und die Bildungspraxis ist ohnehin nicht das, was mit den politischen Dualismen
verbunden wird. Kinder werden nicht dadurch anders, dass politische Lager bestehen, und die
heutige Erziehungsrealität reagiert nicht auf Parolen, und seien sie noch so gut gemeint. In
dieser Realität muss ankommen, wer etwas ändern will, was zumindest von manchen
pädagogischen Reformkonzepten nicht gesagt werden kann. Sie gelten zu recht als weltfremd.
Was kann ich nun tun, damit es am Ende nicht heisst, ich wäre am Anfang besser doch
gegangen. Anders gefragt: Was lohnt sich, unter dem Stichwort „Modernisierung der
öffentlichen Schule“ thematisiert zu werden? Ich denke, es ist dreierlei, das Personal der
Schule, die Kunden und die Verbesserung des Angebots. Weniger missverständlich
formuliert: Zunächst werde ich auf die Lehrkräfte eingehen, genauer: auf die Belastungen des
Berufes und die Entwicklung ihrer Profession. Wer beides nicht vor Augen hat, wird kaum
erfolgreiche Bildungsreformen machen können (1). In einem zweiten Schritt komme ich auf
das zu sprechen, was in der heutigen Diskussion am meisten vernachlässigt wird, nämlich die
Reform der Schülerrolle (2). Und abschliessend erreiche ich endlich mein Thema und
skizziere Modernisierungen der Schule, soweit Forschung, Verfahren und Instrumente
betroffen sind (3).
1. Die Lehrkräfte und ihr Amt
Lehrpersonen üben ein öffentliches Amt aus, entsprechend stehen sie unter
öffentlicher Beobachtung. Ein Indikator dafür sind Karikaturen. Niemand hat je gezählt, wie
viele Karikaturen über Lehrpersonen es gibt, aber es müssen allein im deutschen Sprachraum
zehntausende sein. An ihnen ist dreierlei auffällig,
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sie sind nie besonders freundlich,
stammen überwiegend aus dem 19. Jahrhundert
und stellen nahezu ausschliesslich männliche Lehrkräfte dar.
Karikiert werden Attribute wie Anmassung, Selbstherrlichkeit und Grössenwahn,
gemischt mit Pedanterie und Übereifer, die vermutlich weiblich weniger gut codiert werden
können. Das männliche Bild ist wenigstens nie auf die Lehrerinnen übertragen worden, auch
dann nicht, als einsetzte, was man wenig charmant und eigentlich beleidigend die
„Feminisierung“ des Lehrerberufs nennt. Anlass zur Karikatur gab die männliche und nur in
ganz bestimmten Hinsichten auch die weibliche Seite des neuen Berufsfeldes staatlich
angestellter Lehrpersonen, die eine Macht exekutierten, die früher nicht annähernd vorhanden
war.
Im 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche Wortbildungen, die typisch der Schule
zugerechnet wurden und die vor allem Verstösse gegen die Disziplin- und
Ordnungserwartungen der Schule thematisierten. Der Ausdruck „Klecksen“ ist dafür ebenso
typisch wie das „Ertappen“ beim „Mogeln“ unter der Schulbank oder der „Streich“, den man
den Lehrern spielt (SCHIFFLER/WINKELER 1991, S. 53, 56, 64). Andere Beispiele sind
3
„spinksen“ oder „abpinnen“, womit auf die Spitze der kratzenden Schreibfeder verwiesen
wurde, die das verbotene Abschreiben hörbar machte. Das alles sind Erfahrungen, die die
Umgangssprache offenkundig bereicherten und die nur in der Schule stattfinden konnten. Nur
hier sagt man „Pauken“, ohne dass ein Trommelfell vorhanden wäre.
Lehrkräfte wurden genau beobachtet und erschienen sehr oft als Pädagogen, die mit
der Rute strafen und mit dem Zeigefinger drohen (ebd., S. 146). Unabhängig von der
Drohgebärde: Der Zeigefinger ist mindestens in historischer Hinsicht das vermutlich
wichtigste Instrument der didaktischen Ordnung gewesen, die freilich nicht immer erfolgreich
war. Wenigstens sprechen die Karikaturen eine andere Sprache als die Selbststilisierung des
Lehrerstandes. Gelegentlich wurden Lehrkräfte durch strategische Teilung der
Aufmerksamkeit lächerlich gemacht (ebd., S. 147), nicht immer waren die Strafen wirksam
(ebd., S. 159) und selbst die Isolierung von Missetätern schien den „Eseleien“ der Schüler
nichts anhaben zu können (ebd., S. 164), wobei schon hier falsche Orthographie als negatives
Qualitätsmerkmal der Schule verwendet worden ist.
Insgesamt ist das gesellschaftliche Bild der Lehrer in der Karikatur wenig
schmeichelhaft, um es euphemistisch zu sagen. Lehrkräfte sind Pedanten und Rechthaber, die
dozierend ihre Macht vertreten (ebd., S. 185),1 vor allem aber sind sie „Pauker“, die eine
bestimmte Stoffmenge durchsetzen müssen (ebd., S. 193). Die Karikatur „Der Schultyrann“,
die 1876 in der deutschen Publikumszeitschrift Über Land und Meer veröffentlicht wurde,2
zeigt den Direktor eines preussischen Gymnasiums, der einen hoffnungslos überfüllten
Lehrplan realisieren muss und dabei immer noch nicht genügend Zeit zur Verfügung hat. An
die Schüler denkt er dabei offenkundig nicht, was natürlich nur für preussische Verhältnisse
gesagt werden kann.
Die Tendenz zum Unfreundlichen und Unerfreulichen lässt sich, wie gesagt, an der
Prägung der Umgangsprache durch Ausdrücke zeigen, die auf typische Schulerfahrungen
hinweisen sollen. Man denke an „knorzen“3, „bimsen“4 oder eben „einpauken“, alles Verben
für Mühsal und Erfahrungen des Drangsalisiertwerdens, die Schule als Ort der Lernqual
erscheinen lassen. Es scheint schwer zu sein, vom Beruf des Lehrers und der Lehrerin ein
angemessenes, realistisches und faires Bild zu entwerfen, das sich öffentlich kommunizieren
lässt und zugleich der Erfahrung nicht widerspricht. Das ist erstaunlich, weil zwischen
ALBERT ANKER und der Feuerzangenbowle immer wieder versucht worden ist, das öffentliche
Erscheinungsbild der Lehrkräfte positiv zu verändern, oft um den Preis erneuter Karikaturen,
die Idylle des Landlehrers auf der einen, der Zauber des Gymnasiums auf der anderen Seite,
beides Zuschreibungen mit erheblichem Realitätsverlust.
Karikaturen sind Zerrbilder. Das Zerrbild betrifft die alte Volksschule und das alte
Gymnasium, nicht die heutige Erfahrungswirklichkeit. Der Lehrberuf, will ich sagen, hat
seinen negativen Zauber verloren, ist nüchtern geworden, kostet Anstrengungen und hat Mühe
mit seiner Identität. Es kein „Stand“ mehr wie im 19. Jahrhundert, aber so recht auch keine
„Profession“, die sich mit verbindlichen Regeln begründen und selbst beaufsichtigen könnte.
In der Literatur ist aus diesem Grunde von einer „Semi-Profession“ die Rede, kein richtiger,
1
Das Bild stammt von LUDWIG RICHTER (1858) und ist später von WILHELM BUSCH nachempfunden worden.
Die erste Skizze des berühmten Lehrer Lämpel aus Max und Moritz stammt aus dem Jahre 1865.
2
Holzstich nach einem Aquarell von HERBERT KÖNIG (1820-1876) (27,5x19,4 cm). Erschienen in: Über Land
und Meer Nr. 21 (1878), S. 421.
3
„Knorz“ ist ein anderes Wort für Knorren, womit der astreiche Teil eines Baumstammes bezeichnet wird.
„Knorzen“ heisst, sich abmühen oder knausern.
4
„Bimsen“ bezieht sich auf Bimsstein. Etwas mit Bimsstein putzen, macht Mühe und verweist auf schleifen
oder abreiben.
4
sondern ein halber Beruf oder klarer gesagt: nichts Halbes und nichts Ganzes. Dazu steht in
auffälligem Gegensatz, dass in der pädagogische Selbstreflexion ständig von „Ganzheit“ die
Rede ist, die der Beruf selber offenbar weder hervorbringt noch abverlangt.
Der „Beruf“ ist jeweils ein individueller Entwurf und ein persönliches Ideal, das erlebt
und oft auch erlitten wird, ohne sich von den Zumutungen des Alltags sehr weit entlasten zu
können. Es gibt wohl Rollen, aber keine Fassaden, was auch bedeutet, dass Lehrpersonen
tatsächlich mit ihrer Person dafür einstehen müssen, was sie leisten und wie sie
wahrgenommen werden. Es gibt kein personenunabhängiges Verfahren und keine
Technologie, die man frei von Lehrkräften einsetzen könnte. Sie müssen ihre Rolle spielen
und können sich nicht dahinter verstecken, ohne noch sehr weit durch ihren Stand geschützt
zu sein. Auf der anderen Seite ist genau diese Individualisierung für viele Lehrkräfte der
Grund, den Beruf zu wählen, ohne dabei die tatsächlichen Belastungen vor Augen zu haben.
Genauer gesagt: Der Stand ist nicht mehr massgeblich für das Selbstverständnis. Junge
Lehrkräfte sind sehr erstaunt, wenn man sie dem „Lehrerstand“ zuordnet, also mehr als einem
Kollegium, das für Schutz sorgt, weil der eine dem anderen um den Preis seiner selbst nicht
weh tun darf. Das ist – in Massen - komfortabel, ersetzt aber nicht verbindliche Standesregeln
und Standards der Berufsausübung, die immer noch weitgehend fehlen oder individuell
definiert werden. Die Lehrkräfte orientieren sich an sich selbst, an ihren Kolleginnen und
Kollegen (RÜEGG 2000), vielleicht sogar an der Schulleitung, aber nicht an ihrem
Berufsstand, den es auf diese Weise nur noch nominell gibt.
Betrachtet man diesen individualisierten Beruf - eigentlich eine Paradoxie - von
Aussen, dann fällt dreierlei auf,
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das allgemeine Image des Berufes unterscheidet sich vom Ansehen der
einzelnen Lehrkraft,
der Ort der Berufsausbildung, also die Schule, wird lokal anders
wahrgenommen als in generalisierter Form,
und die Ausübung des Berufes hat Härten angenommen, die es früher so nicht
gab und die die künftige Attraktivität des Berufs beinträchtigen.
Es gibt in der Öffentlichkeit den Lehrer oder die Lehrerin „im Allgemeinen“. Nur
diese generalisierte Lehrperson ist Objekt der typischen Zuschreibungen, nur sie hat
empörend viele Ferien, liegt mit immer neuen Forderungen dem Steuerzahler auf der Tasche
und arbeitet auf kuriose Weise ineffizient. Die „typische“ Lehrperson ist real nicht vorhanden
und doch wirksam. Man kann das auch an den Selbstwahrnehmungen zeigen, also dem Bild,
das die Lehrkräfte von sich selbst haben und eher verschwiegen als offen kommunizieren. Oft
ist dieses Bild eine Idealisierung, die schon vor Berufsbeginn feststeht, sogar weitgehend die
Berufswahl bestimmt und auch in der Berufsausübung erhalten bleibt. Das Bild der idealen
Lehrperson verträgt sich nicht mit den Härten des Alltags und ist doch unverzichtbar.
Würden Schulen befreit von ihren Idealen Dienst nach Vorschrift machen, würde das
System unmittelbar danach zusammen brechen. Aber Idealisierungen haben
Belastungsfolgen, weil sich die schmale Grenze zwischen Engagement und Selbstausbeutung
nicht genau bezeichnen lässt. Wann Lehrkräfte zuviel tun, müssen sie jeweils selbst
bestimmen, und dies unter der Voraussetzung, dass alle zentralen Aufgaben des Berufsfeldes
unabschliessbar sind und sich zugleich nur schwach routinisieren lassen
(FORNECK/SCHRIEWER 2001). Die Steuerung durch unliebsame Überraschungen scheint
zuzunehmen, generell scheint die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit grösser zu werden,
5
auch in dem Sinne, dass Lehrkräfte die Annäherung an die ideale Unterrichtseinheit immer
weniger erleben.
Der Mikrokosmos „Unterricht“ ist fragil und kann leicht gestört werden, weil die
Aufrechterhaltung der Ordnung von allen Beteiligten hohe Konzentration und Selbstdisziplin
abverlangt. Man stelle sich vor, welche Zumutung für heutige Kinder und Jugendliche eine
Schulstunde sein kann, wenn der Erfahrungsalltag ausserhalb der Schule von Videogames
bestimmt ist. Die schulgünstigen Umwelten nehmen ab, die Schulen müssen selber dafür
sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen auf sie eingestellt sind, ohne einfach auf Tickets
wie „Null-Toleranz“ setzen zu können. Was von den Lehrkräften abverlangt wird, ist ein
vieler Hinsicht paradoxes Geschäft. Sie müssen:
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individuell fördern und gesellschaftliche Selektionsentscheide treffen,
Verständnis für die Schüler aufbringen und Disziplin durchsetzen,
Interesse für ihren Unterricht erzeugen und voraussetzen,
Grenzen setzen und sie verschieben,
allen Schülern gerecht werden, ohne mit allen gleich gut arbeiten zu können.
Ein ziemlich unmöglicher Job also, von dem viele Beobachter sagen, dass sie froh
seien, ihn nicht machen zu müssen. Die Lehrkräfte geben in Belastungsstudien immer wieder
an, dass ihr zentrales Stresserlebnis die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit sei, die
pädagogisch und nicht profan erwartet wird.
Was ist die Zukunft dieses Berufs, der im strengen Sinne einer Profession so recht
keiner ist, weil er individuell erlebt, gestaltet und zugeschrieben wird? Es gibt darauf eine
allgemeine Antwort, die mit einem Schlagwort verbunden ist: Der „halbe“ Beruf muss zu
einem ganzen werden, dafür steht der Ausdruck „Professionalisierung.“ Einhergehend damit
muss die Schule über Systeme der Qualitätssicherung und müssen die Lehrkräfte imstande
sein, die Ausübung ihres Berufes besser kommuniziert und transparenter darzustellen als
bisher. In diesem Sinne sind im Kanton Zürich wichtige Reformen der Schulorganisation
unternommen worden, die nachholen, was in angelsächsischen und skandinavischen
Bildungssystemen - beide sind übrigens sehr verschieden - längst Wirklichkeit ist. Aber es
sind natürlich auch „nur“ Veränderungen der Organisation, aus denen sich weitere Schritte
ergeben müssen.
„Professionalisierung“ ist weitgehend gleichbedeutend mit der Etablierung
verbindlicher Standards des Berufes, ohne dabei den alten Lehrerstand neu erfinden zu
wollen. Aber der Beruf kann nicht immer wieder neu und je einmalig von jeder Lehrkraft, die
den Beruf antritt, erfunden werden. Früher hätte man gesagt, die Anfänger müssen den Beruf
„nachbilden“, während sie ihn heute vor Ort für sich erfinden, übrigens eher trotz statt mit
der Ausbildung (LARCHER KLEE 2002). Daraus würde folgen, auch die Ausbildung der
Lehrkräfte auf verbindliche Standards umzustellen, die Anstellung an den Nachweis der
Beherrschung von fachlichen und überfachlichen Standards zu binden, die Weiterbildung auf
die noch nicht erreichten oder verbesserungswürdigen Kompetenzen der Lehrpersonen zu
beziehen und diesen Prozess qualifiziert zu kontrollieren. Das kann man auch in einem
umfassenden Sinne verstehen, nämlich als notwendiger Bestandteil des schulischen
Qualitätsmanagements.
6
Wie alle pädagogischen Vokabeln5 und Slogans ist natürlich auch
„Qualitätsmanagement“ ein leeres Wort und kein gehaltvolles Programm, solange man nicht
weiss, welche Praxis sich damit verbindet. Alle gut klingenden leeren Wörter der Pädagogik,
von denen es viele gibt und die modischen Schwankungen unterworfen sind, beziehen sich
auf grosse Versprechungen, bei denen es nicht auf die Praxis, sondern auf die Verheissung
ankommt. Das Wort „Qualitätsmanagement“ ist im pädagogischen Kontext zunächst eine
befremdliche Grösse gewesen, das Wort weckte Widerstand, aber dann sehr schnell auch
Neugier und schliesslich Interesse, weil es eine neue Lösung anzuzeigen schien, die
gleichsam über Nacht zustimmungsfähig wurde. Niemand wusste so Recht, was es war,
gleichwohl überzeugte die Lösung.
Vergleicht man die Situation heute mit der Mitte der neunziger Jahre, dann fällt auf,
dass aus der leeren Hülse „Qualitätsmanagement“ zunehmend eine beschreibbare Praxis
geworden ist. Erstaunlich ist, wie rasch das geschehen ist. Alle Kantone führen Massnahmen
zur Qualitätssicherung durch, viele adaptieren sogar Zürcher Modelle oder entwickeln sie
weiter, die Stichworte sind überall sehr ähnlich, der Konsens scheint zu wachsen, selbst das
Geld steht zur Verfügung, bisher wenigstens. Aber stimmt die Richtung? Und womit hat
Qualitätsentwicklung in der Schule tatsächlich zu tun?
Die Antwort scheint zunächst sehr einfach zu sein und würde aber, träfe sie zu, viele
bildungspolitische Anstrengungen als vergebliche Lebensmüh erscheinen lassen. Dieser
Eindruck entsteht, wenn man von folgender Gleichung ausgeht: Qualitätsentwicklung ist kein
komplexes „Management“, sondern hat einfach zu tun mit mehr oder weniger motivierten
Lehrkräften und mehr oder weniger schulfähigen Schülerinnen und Schülern.
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„Motiviert“ sind Lehrkräfte, wenn sie das Gefühl haben, sich für die Schüler
einsetzen zu können, guten Unterricht zu geben, keine überflüssigen
Belastungen zu erleben und Ziele zu erreichen, also produktiv
voranzukommen.
„Schulfähig“ sind Schüler, wenn sie sich auf die Vorgaben der Schule
einlassen, regelmässig Aufgaben erfüllen, sich kooperativ zeigen und Lernen
als ihren Beruf akzeptieren.
Zu einer guten Schule gehören auch Partizipation, Transparenz und klare
Leitungserwartungen, zudem noch eine in sich stimmige Lernatmosphäre, die
Erreichbarkeit der Lernaufgaben und ein abwechslungsreiches Programm.
Die Hauptsache aber ist guter Unterricht, starke Förderprogramme und
transparente Formen der Leistungsbeurteilung.
Alles Zusätzliche muss so angelegt sein, dass das Kerngeschäft unterstützt und nicht
behindert wird. Die Logik ist so gesehen sehr einfach: Lehrkräfte unterrichten und haben
vornehmlich ihre Klasse, bzw. ihr Aufgabensetting vor Augen, was dazu als Unterstützung
passt, wird akzeptiert, was nicht, wird abgestossen. Schüler, mindestens von einem
bestimmten Alter an, verhalten sich ähnlich utilitaristisch, sie kalkulieren ihren Aufwand und
messen ihn am Ertrag, auch wenn das einer idealistischen Pädagogik entgegen läuft und
sicher in der Lehrerbildung nie Thema sein wird.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht, aber was immer Qualitätsmanagement in der
Schule ist, es muss in dieser Realität ankommen. Der Stress darf nicht unnötig verstärkt und
die für Qualitätsentwicklung ausschlaggebende Ebene, die des Unterrichts, muss getroffen
5
Das lateinische vocabulum hat folgende Bedeutungen: Bezeichnung, Name, Wort, Benennung und Vorwand.
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werden. Qualitätsmanagement muss von den Lehrkräften gewollt werden und akzeptiert sein,
was aber eben nur dann der Fall ist, wenn der Nutzen erkennbar ist und die Belastungen nicht
unnötig gesteigert werden. Die Neuverteilung der Aufgaben und Tätigkeiten muss für das
alltägliche Geschäft Vorteile bringen, wenn die neuen und nicht von der Hand zu weisenden
Aufgaben im Management einer Schule wirklich professionell gehandhabt werden sollen.6
Es macht also wenig Sinn, ein kompliziertes Qualitätsmanagement aufzubauen, wenn
es die Lehrkräfte und die Schüler gar nicht erreicht. Auch und gerade die Veränderungen der
Schulorganisation sind daran zu messen, was sie zur Entwicklung der Unterrichtsqualität
beitragen, letztlich dazu, was die Schüler lernen oder nicht lernen. Schulqualität ist
Schülerqualität, kein Selbstzweck - Das wird jedermann unterschreiben, während auf der
anderen Seite auffällig ist, wie selten in den Programmen der Qualitätssicherung die
Schülerinnen und Schüler vorkommen.
2. Das Qualitätsmanagement und die Schüler
Heute hat „Qualitätsmanagement“ in der Schule in aller Regel mindestens sechs
ausschlaggebende Elemente:
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Aufbau von Schulleitungen mit Kompetenzen und Weisungsbefugnissen,
höchst mögliche Transparenz des schulischen Angebots,
Verbesserung der internen Kommunikation und Abstimmung von Standards,
Mitarbeiterbeurteilung und interne Evaluationen,
regelmässige externe Evaluationen,
Offenlegung der dabei erzeugten Daten
und Zielvereinbarungen im Blick auf die nächste Etappe der Schulentwicklung.
Das sind keine Folterwerkzeuge, sondern Instrumente der Professionalisierung, die
heute international üblich sind. Wie gesagt: Die Entwicklung in der Schweiz vollzieht nur
nach, was in skandinavischen oder angelsächsischen Systemen vor fünfzehn oder zwanzig
Jahren begonnen wurde. Im Blick darauf trügt der Eindruck nicht, dass Bildungssysteme auf
dieser Linie modernisiert werden, mit Qualitätsgewinnen, wie der Vergleich zwischen guten
und weniger guten Ländern der PISA-Studie zeigt.
Eine in der Diskussion wenig beachtete Funktion dieser Instrumente ist, dass sie die
Intransparenz des schulischen Geschehens überwinden sollen. Von der Leistungsbeurteilung
bis zu den Kriterien des guten Unterrichts ist im Schulalltag zuviel undurchsichtig und zu
wenig wirklich explizit, also von Eltern, Schülern und Kollegen nachvollziehbar. Die
tatsächlichen Kriterien zum Beispiel der Notengebung sind oft nur der Lehrkraft bekannt,
während Schüler hier nicht selten Schicksale erleben, die auf ihre Schulkarriere nachhaltigen
Einfluss ausüben. Soll sich das ändern, muss Transparenz zur Grundregel werden, und zwar
nach Innen und Aussen gleichermassen. Und das ist leichter gesagt als getan.
Kein einziges Element von „Qualitätsmanagement“ lässt sich verordnen, sondern nur
überzeugend entwickeln. Schulleitungen sind sensible Einrichtungen, die sich vor Ort und
also je anders bewähren müssen, Lernprogramme, die das schulische Angebot transparent
machen, werden keine einheitliche Form annehmen, und selbst die viel zitierten
6
Das ist ein klares Ergebnis des Versuchs mit „teilautonomen Volksschulen“ (TaV) im Kanton Zürich
(RHYN/WIDMER/ROOS/NIDERÖST 2002).
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Bildungsstandards müssen lokal angepasst werden, wenn sie praktikabel sein sollen. Die
Schulorganisation muss sich selbst gestalten können, was sich verändert, ist das Verhältnis
von Autonomie und Kontrolle. Evaluationen sind Versuche, die Stärken und Schwächen einer
Schule zu bestimmen, die als mehr sein muss, als die Summe des Kollegiums. Man kann
nicht zugleich das Einzelkämpfertum beklagen und es an dieser Stelle nutzen. Das Credo ist
Entwicklung der Schule, die ein transparentes Klassenzimmer voraussetzt.
An der Liste fällt freilich auf, dass sie nur auf Schule abhebt, die ja seit den achtziger
Jahren als die grundlegende Handlungseinheit des Systems verstanden wird. Diese Optik hat
eine unerwünschte Nebenfolge, die Schülerinnen und Schüler kommen nicht mehr vor. Das
Qualitätsmanagement bezieht auf die Leitung der Schulen, auf die Lehrkräfte, die Eltern, die
Schulpflege, die Öffentlichkeitsarbeit, aber nicht auf diejenigen, denen der ganze Aufwand
gilt, nämlich die Schüler, deren Rolle auf seltsame Weise unberührt zu sein scheint von allen
Reformen. Ihre Leistungen sind interessant, aber nicht ihre Rolle, genauer: die Leistungen
werden auf eine Schülerrolle bezogen, die nicht selbst entwickelt werden muss. Das
überrascht, weil „Entwicklung“ doch das Credo sein soll.
Schüler sind wohl Adressat der Reformen, aber nicht ihr Aktivposten, sie sind keine
„Player“, wie es neudeutsch heisst, sondern eher „Flyer“, auf denen gedruckt ist, was Andere
für wichtig halten. Aus diesem Grunde werde ich mein Votum wesentlich auf sie beziehen,
nicht nur um eine Lücke zu schliessen, sondern weil ohne veränderte Schülerrolle die Reform
Gefahr läuft, zur Makulatur zu werden. Die Praxis wird nicht nur von den Lehrkräften
bestimmt, wie manches Modell der Organisationsentwicklung stillschweigend voraussetzt.
Oft wird in diesen Modellen übersehen, wie abhängig der Erfolg von den Schülern ist. Es ist
auch interessant, dass sich nur die Lehrkräfte und nicht auch die Schüler „professionalisieren“
sollen.
Die Schüler leben und arbeiten in Rollenmodellen des 19. Jahrhunderts, während sie
als Kinder und Jugendliche an den Konsumkulturen des 21. Jahrhunderts teilhaben. Wer den
Einfluss der schulkritischen und zum Teil schulzynischen Jugendkultur auf die Einstellungen
und Lernhaltungen der heutigen Schülerinnen und Schüler vor Augen hat (STEINBERG 1997),
muss hier ein erstrangiges Problem sehen und nicht einen Nebenschauplatz, der vom
Kerngeschäft ablenkt. Auch die Rede vom „Kerngeschäft“ im übrigen bezieht sich
ausschliesslich auf die Lehrkräfte, als hätten die Schüler kein solches Kerngeschäft und als es
für sie nicht zunehmend schwieriger, sich auf dieses Geschäft einzulassen.
Die heutigen Probleme der Verschulung sollten offen und offensiv kommuniziert
werden. Schulen sind nicht das, was in Southpark davon ankommt, Unterricht ist kein
Videogame, und Pokémon ist in schulischer Hinsicht vermutlich nur sehr begrenzt ein
Lerngewinn. In einer Erfahrungswelt, die strenge Grenzen kaum noch kennt, muss das
deutlich gesagt werden. Schule ist eine Abgrenzung, sie ist kein Ort des Konsums, sondern
der Bildung, und das muss auch gegen Unlustgefühle deutlich werden. Es gehört zur
Kommunikation der Schülerrolle, dass Unterricht ernsthafte Einstellungen verlangt und dass
Lernhaltungen nicht vom Himmel fallen. Sie entstehen nicht nebenbei und auch nicht einfach
durch ständige Aufforderung, die eher die Lehrkräfte belastet als die Schüler zu motiviert.
Verlangt wird, dass die Lehrkräfte professionelle Identität entwickeln, also nicht alles
mit ihrer Person agieren. „Identität“ ist Abgrenzung, die Lehrkräfte müssen auch wissen,
wofür sie nicht zuständig sind. Das wäre erstklassiges Qualitätsmanagement, die Erzeugung
und Sicherung von Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Auch Schule ist
Abgrenzung. Was sie ist und überhaupt nur sein kann, darf in der diffusen Forderungsflut
9
nicht unscharf werden, das Profil „Schule“, anders gesagt, muss immer neu kommuniziert und
in seiner Qualität überzeugend dargestellt werden. Ein klarer Berufsauftrag wäre dabei eine
deutliche bildungspolitische Hilfe. Sonst könnte leicht der Eindruck entstehen, das Ganze sei
ein ziemlich überflüssiges Unternehmen, das kostspielig ist, ohne seinen Ertrag und damit
seine Funktion überzeugend nachzuweisen.
Das wichtigste Kapital von Schulen sind die Schüler und die Lehrkräfte. Das zu sagen,
ist nicht trivial, weil oft sehr abstrakte Bestimmungen, etwa des Qualitätsmanagements, im
Spiel sind, die von der einfachen Tatsache absehen, dass Personen lehren und lernen. Die
soziale Basis des Unterrichts wie des Schulalltags sind fragile Beziehungen, die unverzichtbar
sind und schon aus diesem Grunde leicht gestört werden können. Diesem Tatbestand wird oft
nur rhetorisch Rechnung getragen, wobei in der Literatur auffällt, dass das reale Leben im
Klassenzimmer (JACKSON 1990) oft zugunsten von Idealisierungen übersehen wird.
Störungen sind so unerklärliche Enttäuschungen von hoch gespannten Erwartungen, die sich
leicht abnutzen können.
Auffällig ist auch, dass die die Idealisierungen sehr viel häufiger und präziser auf die
Lehrkräfte als auf die Schüler bezogen werden, während umgekehrt die Leistungserwartungen
sehr viel genauer die Schüler als die Lehrer betreffen. Für die Arbeit der Lehrkräfte gibt es
keinen sichtbaren Ausdruck, vergleichbar den Noten, die die Schüler erhalten. Die
Schulpraxis ist auf die Leistungen der Schüler zugeschnitten; was genau die Qualität der
Lehrkräfte dazu beiträgt, dass die Leistungen zustande kommen, ist wesentlich nicht sichtbar.
Allein die Gestaltung der sozialen Beziehungen in einer Klasse, der Umgang mit zum Teil
ganz neuen Konflikten7 oder die Strategien der Stressbewältigung verlangen von den
Lehrkräften hohe Kompetenzen, die wenn, dann höchstens informell gewürdigt werden.
Das gilt mutatis mutandis auch für die Schüler, deren persönlicher Aufwand für das
Erbringen von Leistungen eben so wenig in Rechnung gestellt wird wie das Stresserlebnis, die
Härten einer Anstrengung oder die Wahl subversiver Strategien. Auffällig ist, dass der
Einfluss der informellen Schülerkultur nie eine Rolle spielt, wenn Leistungen bewertet oder
ihr Zustandekommen erklärt werden. Als Grundrelation gilt der stark idealisierte
„pädagogische Bezug“ zwischen der Lehrkraft und dem Schüler, der die Meinungsbildung
unter den Schülern, die Entwicklung ihrer Einstellungen zur Schule, weder wahrnimmt noch
in Rechnung stellt. Auf der anderen Seite ist „Schülersein“ ist nie wirklich als Beruf (MUTH
1966) entwickelt worden. Die Lehrkräfte üben Berufe aus, die Schüler nicht, obwohl deren
Arbeitszeit in Spitzenzeiten kaum geringer ist als die der Lehrkräfte, die Belastungen
zunehmen und von einer Berufsförmigkeit der Abläufe sehr wohl die Rede sein kann.
Seltsam, dass diese Wirklichkeiten im „Qualitätsmanagement“ kaum vorkommen. Die
Diskussion konzentriert sich auf die Entwicklung des Personals der Schule, zu dem die
Schüler offenbar nicht gehören. In fast allen Texten der einschlägigen Reformliteratur wird
die Schülerrolle entweder negiert oder unverändert vorausgesetzt, nicht entwickelt. Die
vorliegenden Vorschläge sind einseitig auf die Lehrkräfte ausgerichtet, ohne die
Anforderungen zu benennen, die sich für die Schülerinnen und Schüler stellen, wenn sich
Schulen mit Instrumenten wie Zielsteuerungen, Leistungstests und regelmässigen
Evaluationen entwickeln sollen. Generell ist die subjektive Seite, die Erfahrungen der Schüler
mit Schule und Unterricht, wenig bis gar nicht explizit. Die Einschätzungen und Meinungen
der Schüler spielen auch in den meisten Modellen der Organisationsentwicklung keine oder
nur eine sehr marginale Rolle. Entsprechend werden die Schüler selten gefragt, ob sie
7
Darunter solchen, die die Schule verursacht, ohne es zu wollen, etwa negative körperliche Reaktionen von
Schülern auf sehr faie und sehr transparente Leistungserwartungen.
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bestimmte Entwicklungen wollen oder nicht wollen. Über die Durchführung der PISA-Tests
hat die EDK entschieden, die Schüler, der Adressat der Tests, sind in ihrer gewohnten Rolle
wahrgenommen worden, ohne dass dies negativ aufgefallen wäre.
Aber wenn mit der Schulentwicklung eine weitgehende Professionalisierung
verbunden werden soll, dann muss sie Lehrkräfte und Schüler gleichermassen betreffen. Es
reicht nicht aus, sich die Schüler als „Partner“ des gemeinsamen Lerngeschäfts vorzustellen
und am Ende dann doch ihre Tätigkeit auf das Schreiben von Proben zu reduzieren, deren
Durchschnitt die eigentliche Leistung darstellt, zugerechnet ein paar Prozente „Beteiligung
am Unterricht“. Von Qualitätsmanagement kann keine Rede sein, wenn sich weder die
Rollenstandards der Lehrkräfte noch die der Schüler verändern. Beides muss entwickelt und
an heutige Lernwelten angepasst werden.
Im Blick auf die Lehrkräfte steht die Rhetorik der Anerkennung in keinem Verhältnis
zu den erfahrbaren Belastungen. Belastungen sind individuelles Schicksal, die Schule hat
immer noch kein wirkliches Konzept für diesen Teil der Personalentwicklung, mit dem sich
auf den zunehmenden persönlichen Verschleiss reagieren liesse. Hinzukommt, dass die auch
hier die Konstruktion des 19. Jahrhunderts zunehmend mehr aufgelöst wird. Der Lehrerberuf
ist immer weniger attraktiv als Lebensberuf, und dies nicht nur, weil die Belastungen
unkalkulierbar erscheinen, sondern weil die Lebenskonzepte nicht mehr zu den
Anstellungsbedingungen passen. Personalentwicklung muss hier ansetzen, also vom
Berufsalltag ausgehen, aber eben nicht nur von Berufsalltag der Lehrkräfte, sondern
gleichermassen vom Berufalltag der Schüler.
Die Professionalisierung des Schülerberufs ist - auch in der internationalen Literatur nicht vorangebracht worden. Es gibt kaum Hinweise auf eine sinnvoll veränderte Schülerrolle,
die sich auf die erwartbaren Entwicklungen von Schulorganisation und Unterricht beziehen
würden. Schüler werden nicht ausreichend auf veränderte Leistungserwartungen vorbereitet,
erhalten keine besonderen Funktionen in Lernprogrammen und sind in den Leitbildern von
Schulen nur rhetorisch präsent. Natürlich sagt kein einziges Schulleitbild, dass die Schüler
nicht im Mittelpunkt stehen, aber was diese Formel konkret besagen soll, wozu sie
verpflichtet, was sie einschliesst und was sie ausschliesst, wird erstaunlich wenig thematisiert.
Weitreichende Reformen der Schulorganisation wie zum Beispiel die Umstellung auf
Standards und Evaluationen sind eine ohne darauf eingestimmte, professionelle Schülerschaft,
die die Entwicklung mit trägt und die lernt, ob und wie sie davon profitiert, nicht zu haben.
Die Reformen müssen die Kritik der Schülerschaft finden, und mehr noch, die Kritik muss
von Anfang an gesucht werden, wenn wirklich eine Entwicklung zustande kommen soll, die
von Selbstkorrekturen lebt.
Die Rolle „Schülerin“ und „Schüler“ selbst ist diffus und schwankt zwischen starkem
Gelenktwerden und übertriebener Eigenverantwortung. Wofür die Schüler genau zuständig
sind und was ihren Auftrag ausmacht, ist nirgendwo explizit. Die Praxis wird de facto
zwischen der einzelnen Lehrkraft und den jeweiligen Schülern ausgehandelt, wobei keine
klaren Spielregeln definiert sind. Die checks and balances in den Beziehungen werden
überwiegend von den Lehrkräften definiert und dominiert, die Macht der Schüler artikuliert
sich oft nur subversiv, es gibt keine oder viel zu wenig regelmässige Bilanzen, bei den die
Qualitätseinschätzungen der Schüler wirkliches Gewicht erhielten.
•
Aber Schulerfolg hängt ganz wesentlich davon ab, dass die
Schülerinnen und Schüler wissen und einsehen, warum sie lernen, was
sie lernen.
11
•
Und der Erfolg hängt davon ab, dass sie lernen können, was sie lernen
sollen, als über ein genügendes Repertoire möglichst anspruchsvoller
Lernstrategien verfügen.
Die viel zitierte und oft falsch beschworene „Motivation“ der Schüler ist nicht zuletzt
eine Folge transparenter und nachvollziehbarer Leistungserwartungen, für die gute Gründe
und nicht Allerweltserklärungen zur Verfügung stehen müssen. Oft verstehen die Schüler
nicht, was die Ziele des Unterrichts sind, und noch öfter wissen sie nicht, ob die Ziele erreicht
wurden oder nicht. Negative Einschätzungen der Schüler über Sinn und Zweck eines Themas
oder einer Unterrichtseinheit werden von den Lehrkräften vielfach nicht wahrgenommen oder
gelten als unbegründeter Widerstand. Das Potential der fortlaufenden Beobachtungen und
Bemerkungen der Schüler zum Unterrichtsgeschehen wird kaum genutzt, weil
Feedbackformen entweder gar nicht bestehen oder Scheinveranstaltungen sind.
Das ist die eigentliche Botschaft, die sich mit dem Wort „Qualitätsmanagement“
verbindet: Sie zielt auf Lernen durch Feedback, also die Fähigkeit, das eigene System
korrigieren zu können. Nur so sind Neuanpassungen an veränderte Bedingungen möglich, vor
allem aber können nur so die tatsächlichen Erfahrungen genutzt werden, auch und gerade
dann, wenn sie unangenehm sind. Es ist nicht einfach so, dass der Weg das Ziel ist, die
entscheidende Frage ist, ob der Weg zum Ziel führt oder nicht andere Wege besser sind, was
sich nur durch Bilanzierung der Erfahrung erreichen lässt. Das gilt auch für den Unterricht:
Die Schüler sind der Adressat des Unterrichts, ohne dessen ernsthafte Lernaktivität die
Bemühung der Lehrkräfte keinen Erfolg haben kann. Das heutige Rollenverständnis erlaubt
das Brachliegen vieler Potentiale, weil unklar ist, für was sie genutzt werden sollen.
3. Die Schule und ihre Entwicklung
Generell gilt: Schulreformen sind fragile Grössen. Sie können nicht verordnet, sondern
müssen mit der Erfahrung entwickelt werden, wobei lange Zeiträume und nicht geringe
Risiken in Rechnung zu stellen sind. Die Schulqualität ist keine statische Grösse, die mit
starren Kriterien hervorgebracht werden könnte, vielmehr ist die Qualität abhängig vom
Prozess, sie ist fliessend und dies bezogen auf das System und nicht lediglich auf die einzelne
Schule. Ohne genaue Beobachtung der Prozesse ist Entwicklung ebenso sporadisch wie
individuell. Jede Reform des Systems - übrigens einschliesslich der Lehrmittel - muss vor
ihrer Generalisierung gründlich getestet und evaluiert worden sein, wobei immer noch
genügend Risiken übrig bleiben, die sich erst zeigen, wenn breite und langfristige Anwendung
gegeben ist. Auch diese Risiken sind nur mit ständiger Selbstkorrektur und breit angelegter
Forschung aufzufangen.
Dabei wird es auch darauf ankommen, brauchbare Instrumente zu entwickeln, die von
der Lehrerschaft auch tatsächlich akzeptiert werden. Eine im Kanton St. Gallen entwickelte
Möglichkeit ist der Klassencockpit,8 ein Internet-Angebot für die Bestimmung des
Leistungsstandes einer Klasse. Es handelt sich um ein Evaluationsinstrument, das den
Lehrkräften erlaubt, den Lernerfolg ihrer Klasse mit dem Lernerfolg anderer Klassen zum
gleichen Thema im gleichen Fach zu vergleichen.9 Die Schüler bearbeiten standardisierte
8
http://www.klassencockpit.ch
Derzeit werden ausgewählte Bereiche in den Fächern Mathematik und Deutsch angeboten. Anhand von
Aufgabensätzen (Orientierungsmodulen), die dreimal jährlich zur Verfügung gestellt und im Internet
ausgewertet werden, können die Lehrkräfte die Leistungen ihrer Klasse im Blick auf diese Module vergleichen.
9
12
Leistungstests, die von den Lehrkräften korrigiert werden. Die Lösungen der einzelnen
Schüler werden mit Hilfe einer Eingabemaske über das Internet in die Datenbank des
Klassencockpit eingelesen. Die Datenbank enthält die Daten anderer Klassen, die einen
kantonalen Durchschnitt bilden, so dass ein Vergleich der Leistungen möglich wird. Im Blick
auf diesen Vergleich weiss man dann, wo man steht. Die Vergleichdaten können
klassenspezifisch wie schülerspezifisch abgerufen werden, die Eingabe ist anonym.
Das Instrument wird inzwischen erfolgreich genutzt, die Zustimmung der Lehrkräfte
ist gross, die Kritik betrifft eher den noch restriktiven Einsatz des Instruments. In
Befragungen zeigt sich, dass die Lehrerinnen und Lehrer den Test und seine Auswertung
nicht nur zur Standortbestimmung nutzen wollen, sondern auch zur Anpassung der
Schülerbeurteilung, zur Planung der Übertritte von der Primar- in die Sekundarschule und
nicht zuletzt zur Optimierung des eigenen Unterrichts (MOSER 2003). Der Grund für diese
hohe Akzeptanz ist nicht nur die Nützlichkeit des Instruments, sondern auch der Einsatz von
Vergleichstests, die nicht für die schulische Selektion genutzt werden. Die Tests sollen
leistungsfördernd wirken, die Förderung des Leistungsverhaltens setzt voraus, dass der
Leistungsstand der Klasse eingeschätzt werden kann, ohne dass die Bezugsnorm allein die
Normalverteilung der jeweiligen Klasse wäre.
Generell wird die Frage des Testens zu einer Schlüsselfrage des Bildungssystems,
wobei die amerikanischen Test-Wars nicht unbedingt den Massstab für die europäische
Entwicklung abgeben sollten. Amerikanische Erfahrungen zeigen nämlich, dass der
Zusammenhang zwischen Standardisierung und Testing nicht unproblematisch ist
(ORFIELD/KORNHABER 2001). Rigide Testprogramme können die Ungleichheit verstärken und
die ohnehin gegebene Benachteiligung bestimmter Gruppen erhöhen, gute Testprogramme
müssen aufwendig entwickelt werden, die interne Kommunikation der Resultate ist ein
andauerndes Problem (ebd., S. 149f.) und der Aufwand macht nur Sinn, wenn er bei den
politischen Entscheidungsprozessen auch genutzt wird. Datenbezogene Bildungspolitik ist
aber immer noch die Ausnahme (ebd., S. 155). Letztlich ist also diese Art von
Qualitätssicherung selbst ein Qualitätsproblem (FITZNER 2004).10
Bildungsstandards aber sind schon aus Gründen eines fairen Angebots in einer
demokratischen Leistungsschule unverzichtbar, wobei nicht einfach die Ziele des Lehrplans
erneuert werden dürfen, sondern tatsächlich kompetenzbezogene und gestufte Standards für
jedes einzelne Schulfach entwickelt werden müssen, einhergehend mit genauen
Bestimmungen, was unter überfachlichen Kompetenzen bestimmt werden soll (GROB/MAAGMERKI 2001). Ohne Standards ist es sinnlos, von einem Bildungsmonitoring zu reden, man
würde die Verlegenheit von PISA wiederholen, nämlich Kompetenzen testen, die das Feld gar
nicht als Zielsetzung verfolgt hat (OELKERS 2003, S. 85ff.). Wenn etwa die Lesekompetenz
verbessert werden soll, dann müssen dafür Standards gesetzt werden, einhergehend mit einer
Abschätzung der Ressourcenfolgen.
Zur Modernisierung gehört auch die Stärkung einer praxisrelevanten Forschung, die
unabhängig ist und zugleich politiknah operiert, was keineswegs eine Paradoxie ist.
Forschung in diesem bereich ist nicht nur auf die Verbesserung der Erkenntnis gerichtet,
vielmehr müssen die Ergebnisse umgesetzt werden, was sich nur im verein mit der
Bildungspolitik bewerkstelligen lässt. Ein auffälliges wesentliches Ergebnis der jüngeren
Derzeit bietet Klassencockpit von der dritten bis zur neunten Klasse solche Orientierungsmodule an, auf der
Oberstufe (Sekundarstufe I) sind zwei Niveaus erhältlich. Klassencockpit wird bereits in verschiedenen
Kantonen angewendet, darunter demnächst auch im Kanton Zürich.
10
Sie auch SACKS (1999) und MCNEIL (2000).
13
Forschung, das sich in etwa mit den deutschen Daten der IGLU-Studie deckt, ist die Schere
im Leistungsverhalten nach der dritten Klasse. Zwischen der dritten und der sechsten Klasse,
also mit Zuwachs der fachlichen Anforderungen des Unterrichts, entstehen offenbar die
grossen Diskrepanzen und Unterschiede, die auch von PISA beschrieben worden sind
(MOSER/RHYN 2000; MOSER/KELLER/TRESCH 2002). Eine der Entwicklungsaufgaben der
Zukunft wird sein, diesen Schereneffekt zu minimieren,11 was nur mit wirksamen
Förderprogrammen möglich ist.
Diese Programme setzen rechtzeitiges Erkennen der Leistungsdifferenzen voraus, was
einzig dann zu erreichen ist,
•
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wenn früh nicht-selektive Tests eingesetzt werden,
flexible Lektionenpools zur Verfügung stehen,
eine kompetente Schulleitung für Abstimmung und Prioritätenbildung sorgen
kann,
verbindliche Standards vorhanden sind
und die Qualität der Schulen sich am Ergebnis bemisst.
Das ist schwer genug, bedenkt man, dass die Kompetenzen der Schülerinnen und
Schüler in den entscheidenden Leistungsfächern bereits bei Schuleintritt weit auseinander
liegen (STAMM/MOSER/HOLLENWEGER 2004) und jede Klasse eine Leistungshierarchie
entwickelt, deren Rangverteilung auch beim Wechsel der Lehrkraft mit hoher
Wahrscheinlichkeit erhalten bleibt. Die Bildungsforschung spricht vom Matthäus-Effekt, wer
hat, dem wird gegeben, nicht umgekehrt; soll sich das ändern, sind erhebliche Anstrengungen
nötig.
Ein weiters schwieriges Problem ist die Gestaltung der Übergänge und Schnittstellen,
die in der Vergangenheit kaum beachtet wurden und sich nunmehr als kardinal herausstellen.
Ein neues Projekt zur Neuordnung des Übergangs zwischen Schule und Berufslehre heisst
„Stellwerk“, es dient der Bestimmung des individuellen Standortes der Schülerinnen und
Schüler Mitte des achten Schuljahres. Mit Hilfe einer Analyse des Leistungsstandes jedes
einzelnen Schülers soll ermittelt werden, wie und in welchen Bereichen die Schüler bis zum
Ende des 9. Schuljahres gezielt gefördert werden können, um das Niveau zu erreichen, eine
Lehrstelle finden zu können. Dieses Förderprogramm würde in Teilen den Lehrplan ersetzen,
der zugunsten von gezielten Nachbesserungen in bestimmten Kompetenzbereichen gelockert
oder suspendiert wird. Es ist illusorisch zu erwarten, dass die Schülerinnen und Schüler bis
Mitte der 8. Klasse einen angeglichenen Leistungsstand erreichen werden, was immer man
tun kann, die Öffnung der Schere zu verringern. Aber die Schule kann mit gezielten
Förderprogrammen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Der Grund für dieses Programm sind nicht nur gestiegene Anforderungen auf dem
Lehrstellenmarkt, sondern auch das veränderte Verhalten der Abnehmer. Im Kanton Zürich
wie überhaupt in der Schweiz sind vor allem grössere Firmen dazu übergegangen, Lehrlinge
mit eigenen Tests und Assessments auszuwählen (MOSER 2004). Der Volksschulabschluss ist
dadurch systematisch entwertet worden, heute bekommen Schulabgänger eine Lehrstelle oft
nicht mehr, weil sie gute Schulnoten nachweisen können, sondern wenn sie die firmeneigenen
Aufnahmeprüfungen bestanden haben. Dabei werden Tests verwendet, die private Büros
entwickelt haben und auf die die Schulen bislang keinerlei Einfluss nehmen können. Das
11
Der Effekt hat nicht nur mit den Herkunftsmilieus der Schülerinnen und Schüler zu tun, die auch in den
Schweizer PISA-Daten als zentraler, aber nicht einziger Faktor für das Zustandekommen der Leistungen
nachgewiesen ist (Bildungsmonitoing 2002).
14
Projekt „Stellwerk“ soll dieser Entwertung der allgemeinbildenden Schule entgegenarbeiten,
indem die für den Bewerbungsmarathon und die Lehren selbst erforderlichen Kompetenzen
nachgebessert werden. Das Projekt dient vor allem den leistungsschwächeren Schülern, die
immer weniger Chancen haben, überhaupt eine Lehrstelle zu finden.
Ein anderes Thema ist die Ausbildung der Lehrkräfte, die inzwischen mindestens
nominell auf Standards umgestellt ist und von Pädagogischen Hochschulen besorgt wird.
Positiv ist dabei, dass fast alle dieser Hochschulen einen gemeinsamen Auftrag in Ausbildung
und Weiterbildung übernommen haben, die also in einer Hand organisiert sind. Ein Problem
ist die Evaluation der Resultate, in dem Sinne, dass Transferdaten erhoben werden. Wir
wissen nicht genau, was die Ausbildung zur tatsächlichen Kompetenz der Lehrkräfte beiträgt.
Dazu reichen Befragungen zur Zufriedenheit mit der Ausbildung nicht aus. Eine
weitergehenden Möglichkeit wäre, die Dozenten mit dem zu konfrontieren, was sie anrichten
oder freundlicher gesagt, was sie bewirken. In einem Projekt des Pädagogischen Instituts der
Universität Zürich12 wurden Dozenten der Fachdidaktik in Gruppeninterviews mit
amtierenden Lehrkräften konfrontiert, die sie zuvor selbst ausgebildet hatten. Im Ergebnis
wurde die Illusion vieler Ausbildungserwartungen klar, aber auch Effekte, die sich nur aus der
Ausbildung ergeben haben können.
Eine letzte und vielleicht die entscheidenden Entwicklungsaufgabe bezieht sich auf die
Unterrichtskompetenz der Lehrkräfte. Zur Qualitätssicherung in diesem Bereich auf Seiten
der Lehrkräfte sind verschiedene Ideen entwickelt worden, darunter eine, die mit best practice
zu tun hat. Lehrerinnen und Lehrer unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Qualität zum Teil
erheblich, jeder weiss, dass es bessere und schlechtere Lehrkräfte gibt, nur dass dies bislang
ein Tabuthema war, an das nicht gerührt werden sollte. Avenir Suisse hat bekanntlich eine
Studie in Auftrag gegeben, die ausgehend von Leistungsmessungen die Unterschiede
zwischen den Lehrkräften darstellt, also bessere und schlechtere Leistungen der Schüler auf
die Kompetenz der Unterrichtenden zurückführt (MOSER/TRESCH 2003). Aus dieser Studie ist
ein weiteres Projekt13 entstanden, mit dem die Vergleichsdaten ins Feld rückübersetzt werden
sollen. Die Lehrkräfte werden mit ihren persönlichen Daten konfrontiert und erhalten gezielt
Unterstützung, ihre Qualität zu verbessern. Ohne solche Strategien der Implementation wird
die Forschung die Lehrkräfte nie erreichen, also das grösste Manko nie überwunden werden.
Aber vielleicht sollte ich nicht mit Selbstkritik schliessen, sondern wie es sich gehört
mit einer Zusammenfassung: Was immer die Modernisierung der Schule in Zukunft
ausmachen wird, es müssen gehaltvolle Programme sein, die sich überprüfen lassen, sie
dürfen nicht isoliert betrieben werden und sollten gestoppt werden können, wenn sie an den
Lehrkräften, den Schülern oder den Eltern vorbei gehen und keine wirkliche Verbesserung
mit sich bringen. Standards sind unumgänglich, nicht nur um Vergleichbarkeit und
Konsekution der Schülerkarrieren zu erreichen, sondern auch aus einem sehr viel banalerem
Grund: Standards erschweren die Sparpolitik. Anders gesagt: Es sollte zu denken geben, wie
leicht im individualisierten Bildungsbereich gespart werden kann. Und schliesslich: Alle diese
Massnahmen haben einen übergeordneten Zweck, sie dienen dazu, die Akzeptanz der
allgemeinbildenden, öffentlichen und kostenlosen Volksschule für alle Kinder erhalten. Und
das ist eines der höchsten Güter unserer Gesellschaft.
12
Dissertationsprojekt von REGULA STIEFEL am Pädagogischen Institut der Universität Zürich (Fachbereich
Allgemeine Pädagogik). Das Projekt steht vor dem Abschluss.
13
Dissertationsprojekt von SARAH TRESCH am Pädagogischen Institut der Universität Zürich (Fachbereich
Allgemeine Pädagogik). Das Projekt hat im Juli 2004 begonnen.
15
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16
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