Kinderunfälle

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Kinderunfälle
Zeitschriftenreview / Lus pour vous
Vol. 21 No. 2 2010
Kinderunfälle
Olivier Reinberg, Lausanne
Übersetzung: Rudolf Schlaepfer, La Chaux-de-Fonds
Sicherheit im Fahrzeug
(das Kind als Mitfahrer)
Nochmals ein sehr guter, an Kinderärzte
gerichteter Artikel (am Ende ein Quiz zu
den Elternratschlägen), mit einer Übersicht
über die verschiedenen Haltevorrichtungen
und deren Wirksamkeit bei Zusammenstössen, Prüfung der Einbaustellen im
Fahrzeug und Angaben zu unsachgemässer
Anwendung.
Obwohl der Artikel sehr vollständig ist,
ziehen wir ihm den in Paediatrica 21 (1)
2010 zitierten kanadischen Beitrag vor. (Canadian Paediatric Society: Transportation
of infants and children in motor vehicles.
Paediatr Child Health 2008; 13(4): 313–27).
Nebst der Tatsache, dass er auf französich
und englisch verfügbar ist, entspricht die
Gesetzgebung eher der unseren, auch werden bessere Kriterien bezüglich Auswahl
der Haltevorrichtungen berücksichtigt. So
bezieht sich der Artikel von Bruckner
immer auf das Gewicht und nicht auf die
Grösse.
Dafür wird hier (summarisch) auf den Transport von Kindern mit besonderen Bedürfnissen eingegangen. So wird vorgeschlagen,
dass Frühgeborene (unter 37. SSW) in ihrem
Kindersitz zuerst unter Spitalbedingungen
beobachtet werden (Apnoen, Bradycardie, Sauerstoffabfall), bevor ihnen erlaubt
wird, zu reisen; es werden auch Haltevorrichtungen für Kinder mit neurologischen
Störungen oder für übergewichtige Kinder
beschrieben.
Referenz
Bruckner R, Rocker J. Car Safety. Pediatr
Rev 2009; 30(12); 463–469.
Risiko im Zuammenhang mit
­Rollschuhen
In den letzten Jahren ist eine neue Art
Schuhe auf den Markt gekommen, bei
denen im Absatz Rädchen eingebaut sind
(AKA «wheeled sneakers», «skate shoes»).
Die Autoren dieser Studie haben diese
neue Aktivität studiert, unter Berücksichtigung aller vom NEISS (National Electronic
Injury Surveillance System) in den USA von
Januar 2002 bis Dezember 2006 erfassten
Unfällen (3525) bei Kindern von 5 bis 14
Jahren, die einer Behandlung bedurften.
Die Autoren stellten eine Zunahme der
Verletzungen im Verlaufe der Beobachtungsperiode fest. Die betroffenen Kinder
sind überwiegend weisser Abstammung
mit einem leichten Überwiegen von Knaben. In abnehmender Häufigkeit handelt
es sich bei den Verletzungen um Frakturen
(47%), Prellungen (18%), Verstauchungen
(17%). Betroffen sind Vorderarm (38%) und
Handgelenk (35%), seltener die Beine (15%).
Auch wurden Hautwunden, Schädeltraumata und Verletzungen innerer Organe
beobachtet. Es wird über keinen Todesfall
berichtet.
Kommentar Olivier Reinberg
Zusammenfassend verursachen diese Art
Rollschuhe Verletzungen, die sich nicht von
denen von Rollers oder «wheels-in-line»
unterscheiden. Wie schon in unserer Studie
von 1996 können wir den Eltern nur empfehlen, ihre Kinder, gleichzeitig mit solchen
Rollschuhen, auch mit einem Handgelenkschutz auszurüsten.
Referenz
Ruth E, Shah B, Fales W. Evaluating the
injury incidence from skate shoes in the
United States. Pediatr Emerg Care 2009;
25(5): 321–324.
Michigan State University Kalamazoo Center for Medical Studies, Kalamazoo, MI.
Auswertung eines Programmes
zur Förderung von «Pedibus»
Das Programm «Pedibus» hat sich in vielen
Schweizer Städten durchgesetzt. Zusammenfassend handelt es sich um «Linien»
mit Haltestellen, die von Kindern zu Fuss
benutzt werden, um sich gruppenweise, unter Überwachung durch erwachsene Begleitpersonen, zur Schule zu begeben. Beurteilt
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wurde der Einfluss auf eine wenig bemittelte
Vorstadtbevölkerung (Umgebung von Seattle, Washington, USA). Die Kinder sind 5- bis
11-jährig. Es wurden Vergleichsgruppen
beobachtet: Nach einem Jahr benutzen
27% der Kinder diese Möglichkeit, wenn
aktiv dafür geworben wurde, gegenüber 7%
spontaner Benutzung. Die Anzahl Kinder,
die sich mit privatem Fahrzeug oder Bus zur
Schule begeben, blieb jedoch unverändert.
Die Autoren schliessen daraus, dass solche Programme in einem derartigen Umfeld anwendbar sind, jedoch einer aktiven
Förderung durch Freiwillige und Eltern
bedürfen.
Referenz
Mendoza JA, Levinger DD, Johnston BD. Pilot
evaluation of a walking school bus program
in a low-income, urban community. BMC
Public Health 2009; 9(1): 122.
Seattle, Washington, USA
Trampolinbedingte Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern
Übersicht über 7 Trampolinunfälle bei Kindern, im Verlaufe von 11 Jahren (1995–2006)
im Staate Alberta, Kanada, die zu einer
Wirbelsäulenverletzung führten.
Diese Verletzungen sind schwer: 1/7 Todesfall, 4/7 bleibende neurologische Schäden.
Die Verletzungen geschehen auf dem Trampolin (5/7) oder durch Sturz daneben (2/7).
Bemerkenswert ist, dass alle Unfälle auf
privaten Trampolins geschahen, während
kein einziger gleichartiger Unfall auf einem
Klub- oder Schultrampolin gemeldet wurde.
Die Autoren untermauern damit die Ansicht
der Canadian Paediatric Society, dass private Trampolins für Kinder gefährlich sind
und als Spielzeug untersagt werden sollten.
Referenz
Leonard H, Joffe AR. Children presenting to
a Canadian hospital with trampoline-related
cervical spine injuries. Paediatr Child Health
2009; 14(2): 84–8.
Department of Pediatrics, Stollery Children’s
Hospital and the University of Alberta,
Edmonton, Alberta, Canada
Ein weiterer, im British Medical Journal publizierter Artikel kommt zur selben Schlussfolgerung:
Bogacz A, Paterson B, Babber A, Menelaws
S, Drew T. Trampolines: How to avoid injury.
Br Med J BMJ 2009; 338: b2197.
Zeitschriftenreview / Lus pour vous
Hilfsmittel zur Verhinderung ­
von Kinderunfällen durch
Landwirtschftsmaschinen
Die meisten Unfälle in der Landwirtschaft
haben zwei Ursachen: Fehlendes Bewusstsein der für Kinder bestehenden Gefahren
und schlechte Sichtbarkeit der Kinder in
der Nähe von Landwirtschaftsmaschinen.
Für letzteres Problem können elektronische
Apparate eine Hilfe darstellen. Sie erlauben
es, durch ein Netz drahtloser Sensoren, die
Gegenwart von Kindern im toten Winkel von
Maschinen und Anhängern wahrzunehmen.
Man kann die Reichweite des Feldes von
2.5 m bis 40 m einstellen. Diese Einrichtung
ist nicht teurer, bedingt aber, um wirksam zu
sein, dass dauernd Kleider getragen weden,
die von den Sensoren geortet werden. Da
liegt wahrscheinlich der Haken: Spezielle
Kleider kaufen und tragen lassen.
Referenz
Quendler E, Diskus C, Pohl A, Buchegger T,
Beranek E, Boxberger J. Child safety driver
assistant system and its acceptance. J Agromed 2009; 14(2): 82–9.
University of Natural Resources and Applied
Life Sciences, Vienna, Austria.
Systematische Literaturübersicht
zu den Risiken für Kinder durch
das Body-checking im Eishockey
Breitangelegte Metaanalyse, die 20 von
898 Artikeln einbezieht, die den Qualitätskriterien (Downs and Black instruments für
nicht randomisierte Studien, Downs 1998)
einer solchen Studie entsprechen. Es geht
daraus hervor, dass gemäss 19/20 Studien
das Verletzungsrisiko klar erhöht ist, wenn
auch in variablem Ausmasse. Verletzungen
sind seltener, wenn das Body-checking
untersagt ist.
Die Autoren unterstützen Aktionen zugunsten von spezifischen, Kindern angepassten
Spielregeln, die insbesondere das Body-­
checking verbieten wie dies in anderen
Sportarten gehandhabt wird, indem spezifische, kindergerechte Spielregeln geschaffen und nicht einfach die im Erwachsenensport üblichen Regeln angewandt werden
(Kommentar Olivier Reinberg).
Referenz
Warsh JM, Constantin SA, Howard A, Mac-
Vol. 21 No. 2 2010
pherson A. A systematic review of the association between body checking and injury
in youth ice hockey. Clin J Sport Med 2009;
19(2): 134–44.
School of Kinesiology and Health Science,
York University, Toronto, Ontario, Canada.
Den Finger in den Mund stecken
ist nicht ohne Gefahr
In einer Notfallsituation haben dem Kinde
Nahestehende oft den Reflex, in der Mundrachenhöhle mit dem Finger nach einem
Fremdkörper zu suchen. Dieses Vorgehen
ist nicht ohne Gefahr, wie aus diesem Beitrag von Gerichtsmedizinern hervorgeht,
der über 3 Todesfälle bei unter 1-jährigen
Kindern berichtet. Bei den Fremkörpern
handelte es sich um eine Murmel, ein Bleistiftstück und eine Kichererbse. In allen
Fällen schrien die Kinder, hatten also noch
keine vollständige Obstruktion der Luftwege. Durch den Finger wurde der Fremd­
körper zu tief in die Atemwege verlagert, um
noch entfernt werden zu können, was zum
Erstickungstod führte.
Referenz
Abder-Rahman HA. Infants choking following blind finger sweep. J Pediatr (SBP)
2009; 85(3): 273–275.
Forensic Medicine and Pathology Department, Faculty of Medicine, University of
Jordan, Amman, Jordan.
Kinder, Jugendliche und Medien:
Was wissen wir, was wissen wir
nicht, was sollten wir dringend
wissen?
Lesenswerter Artikel, der versucht auf die
im Titel gestellten Fragen zu antworten. Wir
(Eltern und Kinderärzte) haben das Gefühl,
dass Medien das Verhalten von Kindern und
Jugendlichen beeinflussen können, ohne
zu wissen in welchem Sinne, in Bezug
auf agressives Verhalten, Gebrauch von
Suchtmitteln, frühzeitigem Sexualverhalten,
Essgewohnheiten, Adipositas, Schulnoten,
Sprachentwicklung und Suizid aber was wissen wir eigentlich? Es gibt dazu umfangreiche Forschungsarbeiten, die dieser Artikel
zusammenzufassen versucht.
Der Autor fordert die Kinderärzte auf, sich
mit diesen Problemen zu beschäftigen und
empfiehlt, im Rahmen der Sprechstunde
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jeweils zwei Fragen zu stellen:
Wieviel Zeit verbringt ihr Kind täglich vor
dem Bildschirm?
Hat es einen Fernseher oder freien Internetzugang in seinem Zimmer?
Und schlägt Programme zur Sensibilisierung
auf die schädlichen Wirkungen der Medien
vor.
Referenzen
Strasburger VC. Children, Adolescents, and
the Media: What We Know, What We Don’t
Know, and What We Need to Find Out
(Quickly!). Arch Dis Child 2009; 94(9):
655–657 University of New Mexico, United
States.
Derselbe Artikel ist auch im JAMA zu lesen:
Strasburger VC. Media in Children: What
needs to Happen Now? JAMA 2009; 301(21):
2265–2266.