Fachartikel: Blitzschutz in der Praxis
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Fachartikel: Blitzschutz in der Praxis
Motor + Antrieb Wellenanlagen Eine HR 64 mit äußerem und innerem Blitzschutz: Der höchste Punkt ist hier die Fangstange, die den Mast um rund 1,5 Meter überragt. Foto: Martin Sandau Blitzschutz in der Praxis Blitzschutz an Land ist eine Selbstverständlichkeit – auch Eigenheime lassen sich problemlos mit einer Blitzschutzanlage ausstatten. Nur bei Segelyachten stößt der Wunsch nach Blitzschutz bei Fachleuten und Werften fast überall auf Unverständnis. Es gibt Ausnahmen: Michael Herrmann berichtet über eine ab Werft blitzgeschützte HR 64. S eit den Experimenten von Benjamin Franklin vor rund 250 Jahren weiß man an Land, wie Gebäude und andere Gegenstände wirkungsvoll vor Schäden durch Blitzeinschläge geschützt 116 PALSTEK 7/77 werden können. Im Yachtbereich hat sich dieses Wissen offenbar noch nicht herumgesprochen. So berichtet der blitzgeschädigte Eigner eines 15-Meter-Katamarans: „Ich habe auf unserer Privilege 515 Extras für eine halbe Million Euro einbauen lassen, und hätte mich sicherlich nicht davor gedrückt, auch für den Blitzschutz etwas zu investieren. Weder der selbst ernannte Bootsexperte aus Hamburg, der mich für viel Geld Äußerer Blitzschutz – Übersicht Antenne Diese ist oft über der Fangstange montiert und wird infolgedessen bei einem Blitzeinschlag zerstört. Hier wurde die Antenne jedoch bewußt im Schutzbereich der Fangstange positioniert. Auch bei dieser Anordnung muss zwischen Antenne und Antennenkabel ein Blitzstromableiter installiert werden. Metallmast: Dieser ist der Ableiter mit dem größten Querschnitt und über eine Erdungsschiene direkt mit dem Kiel verbunden. Fangstange Die Fangstange soll die Blitzenergie auffangen und so in die Ableitung einleiten, dass Schäden an der Yacht verhindert werden. Die Länge der Fangstange – üblicherweise 500 bis 1.000 Millimeter – wurde hier so gewählt, dass auch Windgeber und Antenne im Schutzbereich liegen. Windgeber: Diese sind oft außerhalb des Schutzbereichs der Fangeinrichtung montiert und würden einen Blitzschlag nicht überleben. In diesem Fall wurde er jedoch im Schutzbereich der Fangstange angebracht. Das Konzept der äußeren Blitzschutzanlage dieser HR 64 besteht aus einer Fangeinrichtung am Mast, die über mehrere Ableiter mit der Erdungsanlage am Kiel des Schiffes verbunden ist. Zur Erreichung einer wirkungsvollen Aufteilung des Blitzstromes gehört außerdem ein engvermaschtes Schutzpotenzialausgleichssystem mit einem Ringleiter, der um den gesamten Rumpf des Schiffes angeordnet ist. Alle außerhalb des Rumpfes liegenden Metallteile wie zum Beispiel Relingstützen, Geräteträger und Bug- und Heckkorb sind mit diesem Ringleiter verbunden. Wanten und Stage dienen als Ableitung und sind in den Schutzpotenzialausgleich eingebunden. Die Erdung erfolgt mit einer Kielelektrode mit ausreichender Oberfläche, die auf See ständig von Wasser umgeben ist. Wanten und Stage sind ebenfalls Ableiter im äußeren Blitzschutz. Sie werden mit Kupferkabel, Querschnitt 16 oder 25 Quadratmillimeter, an die Erdung angeschlossen. Ringleiter Dieser läuft um den gesamten Rumpf und ist mit allen Ableitern verbunden. Er ist somit Bestandteil des Schutzpotenzialausgleichs. Zudem wird damit der Blitzstrom gleichmäßig auf alle Ableiter verteilt („Symmetrierung des Blitzstroms“), was sich positiv auf die erforderlichen Trennungsabstände auswirkt. Ableiter sollten möglichst gerade, ohne Schlaufen oder scharfe Knicke verlaufen. Erdung: Muss auch bei Krängung unter Wasser liegen und soll eine Fläche von mindestens 0,1 Quadratmetern aufweisen. Hier wurden spezielle Bronze-Sinterplatten mit einer Wirkfläche von 2,4 Quadratmetern verwendet. PALSTEK 7/77 117 Motor + Antrieb Wellenanlagen Innerer Blitzschutz – Potenzialausgleich Heckkorb Steuersäule und -rad Winschen Maststütze Relingstützen Tanks Ruder Spüle Herd Tanks Bugkorb Antriebsanlage Haupterdungsschiene Ankerwinde Borddurchlässe Um das Ziel des Potenzialausgleichs – möglicherweise auftretende Berührungsspannungen zwischen berührbaren Körpern, Betriebsmitteln und fremden leitfähigen Teilen (siehe unten) so klein wie möglich zu halten – zu erreichen, müssen diese leitenden Teile miteinander und mit der Haupterdungsschiene verbunden werden. An Land wird dabei zwischen Schutzpotenzialausgleich (früher „Hauptpotenzialausgleich“) und dem zusätzlichen Schutzpotenzialausgleich (früher „zusätzlichen Potenzialausgleich“) unterschieden. Von dieser Unterteilung werden die erforderlichen Leiterquerschnitte bestimmt. Zum Schutzpotenzialausgleich gehören an Land zum Beispiel Wasser- und Gasleitungen, metallische Heizungsanlagen, Blitzschutzerder und der Schutzleiter der Elektroanlage. Räume mit Badewannen oder Duschen, Schwimmbecken und andere Becken gehören hingegen zum zusätzlichen Schutzpotenzialausgleich. Im Gegensatz zum Schutzpotenzialausgleich kann der zusätzliche Schutzpotenzialausgleich räumlich beschränkt sein und mit kleineren Leiterquerschnitten ausgeführt werden. Überträgt man diese Forderungen auf Yachten, können zum Beispiel Relingstützen, Bug- und Heckkorb in einem zusätzlichen Potenzialausgleich zusammengefasst werden. Hier reicht für die Verbindung der Teile untereinander ein Querschnitt von 2,5 Quadratmillimetern aus – jedoch nicht, wenn diese als Ringleiter dienen. Dies gilt auch für die leitenden berührbaren Teile in der Pantry (Herd, Spüle und so weiter). Der Anschluss eines zusätzlichen Potenzialausgleichs an die Haupterdungsschiene muss jedoch mit einem Querschnitt von 6 Quadratmillimetern ausgeführt werden. Leitfähige Teile, die Kontakt zum Wasser haben und daher die Funktion eines Erders übernehmen können – beispielsweise Borddurchlässe oder Ruder –, müssen jedoch separat mit der Haupterdungsschiene verbunden werden. Hier gilt ein Querschnitt von 6 Quadratmillimetern. Körper, fremde leitfähige Teile und Betriebsmittel Als „Körper“ wird in der Elektrotechnik ein berührbares leitfähiges Teil eines elektrischen Geräts bezeichnet, das üblicherweise nicht unter Spannung steht, jedoch im Fehlerfall unter Spannung stehen kann, beispielsweise das metallische Gehäuse eines Herdes. Betriebsmittel, die aufgrund ihrer Masse oder der Art der Befestigung nicht leicht bewegt werden könne, zum Beispiel eine Ankerwinde oder der Herd, werden als „Ortsfeste Betriebsmittel“ bezeichnet. Leitfähige Teile, die nicht zum elektrischen System gehören, die jedoch ein zusätzliches Potenzial einführen können, zum Beispiel metallische Spülen, Petroleumherde oder Tanks, gelten als „Fremde leitfähige Teile“. 118 PALSTEK 7/77 „Ortsfestes Betriebsmittel“ „Körper“ Tank „Fremdes leitfähiges Teil“ beraten und den Bau überwacht hat, noch die Werft haben mir je Blitzschutz-Extras angeboten, geschweige denn ein Minimum an Blitzschutz im Standardpaket angeboten, oder gar eingebaut.“ Dieser Mensch ist vom Schicksal gebeutelt. Anlässlich der Teilnahme an einem Fahrtensegler-Seminar erwarb er mein Buch „Blitzschutz auf Yachten“, um drei Tage später festzustellen, dass sein Katamaran während seiner Abwesenheit in einem Hafen in Mittelamerika durch einen Blitzeinschlag schwer beschädigt wurde. Nach ersten – vorsichtigen – Schätzungen übertrifft die Schadenssumme mit Sicherheit 50.000 Euro, der durch dieses Gewitter verursachte Gesamtschaden im Hafen an dort liegenden Yachten soll im siebenstelligen Bereich liegen. Darunter auch eine Lagoon 40, die mit rund 150 Blitzstrom-Austrittslöchern im Rumpf nun auf dem Grund des Rio Dulce liegt. Der „Stand der Technik“ Kaskoversicherungen übernehmen in der Regel durch Blitzschäden entstehende Kosten. Diese steigen, bedingt durch die zunehmende Häufigkeit – und Heftigkeit – von Unwettern und den wachsenden Umfang elektrischer und elektronischer Ausrüstung an Bord in den letzten Jahren konstant an. Auf den ersten Blick scheint es unter diesen Umständen merkwürdig, dass seitens der Versicherer keine Anreize geschaffen werden, zumindest einen rudimentären – jedoch fachgerechten – (äußeren) Blitzschutz zu installieren. Sieht man genauer hin, stellt man schnell fest, dass es keine verbindliche Normen oder Richtlinien für den Blitzschutz auf Yachten gibt. Da ist zwar die ISO 10134 „Small craft – Electrical devices – Lightning protection“, diese findet jedoch in Deutschland keine Anwendung. Es existiert keine entsprechende nationale Implementierung (zum Beispiel als „DIN EN ISO“ wie etwa bei der DIN EN ISO 10133), die auch in Deutschland als Norm gilt. Fazit: Ein „Stand der Technik“ PALSTEK 7/77 119 Motor + Antrieb Wellenanlagen Überspannungsschutz und Blitzschutzklassen – Konzept Blitzschutzzone LPZ 0 Landstromanschluss Hauptschalter LPZ 1 Schutzpegel <4 kV Trenntransformator Ableiter Typ 1 Ableiter Typ 2 10 mm² Der Schutzpegel ist die Spannung im System hinter dem entsprechendem Ableiter. Dabei wird davon ausgegangen, dass die geschützten Geräte und Anlagen diese Spannung ohne Schäden überstehen. 16 mm² LPZ 2 Schutzpegel <2,5 kV 6 mm² LPZ 3 Schutzpegel <1,5 kV Ableiter Typ 3 RCD 2,5 mm² 6 mm² Örtlicher Potenzialausgleich Örtlicher Potenzialausgleich 16 mm² Erdungsschiene Bei dem abgestuften Blitzschutz wird eine elektrische Anlage in mehrere Blitzschutzzonen (Lightning Protection Zone, LPZ) eingeteilt, die durch abgestimmte Ableiter getrennt sind. LPZ 0 ist die Zone ohne Blitzschutz, in die ein Blitz direkt eindringen kann. Zone LPZ 1 ist durch Blitzstromableiter Typ 1 geschützt, die den vollen Blitzstrom bei einem Schutzpegel von 4 Kilovolt ableiten können. – der üblicherweise auf der Basis entsprechender Normen und Richtlinien definiert ist – für Blitzschutz anlagen auf Yachten ist schlicht nicht vorhanden. Zudem gibt es kaum Betriebe, die sich mit dieser Materie auseinandergesetzt haben und in der Lage sind, eine entsprechende Anlage anzubieten. Vor diesem Hintergrund ist die Empfehlung – „Sprechen Sie bitte mit dem Elektriker Ihres Vertrauens. Es gibt viele Möglichkeiten die Yacht besser (gegen Blitzschäden, d. Red.) zu schützen. Eine Empfehlung können wir in der Menge der Anbieter nicht geben“ – eines weltweit agierenden Yachtversicherungsmaklers wenig hilfreich. Die Menge der Anbieter dürfte sich in Westeuropa im unteren einstelligen Bereich bewegen. Und – zumindest 120 PALSTEK 7/77 Die Grenze zu LPZ 2 wird durch einen Überspannungsableiter Typ 2 bestimmt, der eine geringere Stromtragfähigkeit, jedoch auch einen niedrigeren Schutzpegel (2,5 Kilovolt) schafft. Geräte und Anlagen in der LPZ 3 werden durch Ableiter Typ 3 geschützt, deren Schutzpegel unter 1,5 Kilovolt liegt. in Deutschland – wird zur Zeit nur eine Möglichkeit angeboten, die Yacht überhaupt gegen die Folgen eines Blitzschlags zu schützen. Diese besteht aus zwei Kupferleitern mit einer zugegebenermaßen gut ausgeführten Klemmvorrichtung, die am Großmast angebracht wird. Die freien Enden der Kabel sollen in das die Yacht umgebende Wasser gehängt werden – in der Hoffnung, dass der Blitz diesen Weg nimmt, ohne in oder an der Yacht Schäden anzurichten. Blitzschutz an Land Hier gilt die mit ihren Teilen 1 bis 4 mehrere hundert Seiten umfassende DIN EN 62305 – „Blitzschutz“. Im Gegensatz zu manchen anderen Publikationen dieser Art ist diese Norm ein wahrer Schatz an Informationen. Aus dem Einführungsbeitrag des Beuth-Verlags: „Die Normenreihe DIN EN 62305 stellt ein Gesamtkonzept zum Blitzschutz dar und berücksichtigt umfassend die Gefährdung (direkte und indirekte Blitzeinschläge, Strom und Magnetfeld des Blitzes), die Schadensursachen (Schritt- und Berührungsspannungen, gefährliche Funkenbildung, Feuer, Explosion, mechanische und chemische Wirkungen, Überspannungen), die zu schützenden Objekte (Gebäude, Personen, elektrische und elektronische Anlagen) und die Schutzmaßnahmen (Fangeinrichtungen, Ableitungen, Erdungsanlagen, Potentialausgleich-Maßnahmen, Überspannungsschutzgeräte, räumliche Schirmung, Leitungsführung und -schirmung).“ Dies alles soll auf Yachten mit zwei am Mast befestigten Kabeln erreicht werden? Diese Norm gilt nicht für Yachten. Sie ist jedoch so aufgebaut, dass ein Großteil der darin enthaltenen Informationen als Grundlage für die Auslegung eines Blitzschutzsystems auf Yachten dienen kann. Ein Versuch in dieser Richtung ist das Buch „Blitzschutz auf Yachten“, Palstek-Verlag, das als einziges als Lektüre zum Thema von besagtem Versicherungsmakler empfohlen wurde. Umsetzung der Theorie Genug der theoretischen Hintergründe. Gebaut werden sollte eine HR 64, in Auftrag gegeben von jemandem, der sich beruflich ausführlich mit Blitzschutz von Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energie auseinandersetzen musste. Die Notwendigkeit einer Blitzschutzanlage für ein Objekt mit einem Wert von über 2 Millionen Euro stand außer Frage – lediglich für die Werft war dies absolutes Neuland. Hier wurde zunächst der Standpunkt vertreten, dass es nicht möglich sei, eine Yacht mit einer effektiven Blitzschutzanlage auszustatten und der dabei zu treibende Aufwand bei dem zu erwartenden Ergebnis daher nicht zu rechtfertigen sei. Letztlich gelang es doch, Hallberg Rassy von dem Konzept eines integrierten Blitzschutzes zu überzeugen, wobei ein guter Teil der Argumentationshilfen vom Autor dieses Artikels stammte. Federführend bei der Entwicklung des Konzepts und schließlich der Anlage war Dipl.-Ing. Martin Sandau von der Firma Phoenix Contact, einem Hersteller von Blitzschutzkomponenten im Rahmen der DIN EN 62305. Das Konzept Angestrebt wurde ein umfassender äußerer und innerer Blitzschutz, der im Wesentlichen denselben Schutzgrad erreichen sollte wie vergleichbare Anlagen an Land. In „Blitzschutz auf Yachten“ ist PALSTEK 7/77 121 Motor + Antrieb Wellenanlagen Kielbolzen Erdungsschiene Die Ringleiterschiene ist mit den Wanten, den Stagen (Vorund Achterstag), den Rüsteisen und mit der Haupterdungsschiene verbunden. In den Schutzpotenzialausgleich sind auch die metallischen teile der Trinkwasseranlage (links) und die Seewasserversorgung der Motorkühlung (rechts)mit einbezogen. Dabei wurden in der Regel mehrere Teile in zusätzlichen Schutzpotenzialausgleichen zusammengefasst, die dann mit einem gemeinsamen Leiter an der Erdung angeschlossen sind. Fotos: Martin Sandau Die Haupterdungsschiene ist mit einem massiven Leiter aus nicht rostendem Stahl mit dem Kiel verbunden. zwar als Beispiel ein nachträglich eingebautes Blitzschutzsystems in eine kleinen Yacht beschrieben, dies war jedoch kaum mit den Aufgaben vergleichbar, die bei dem ungleich größeren Projekt bei Hallberg Rassy zu bewältigen waren. Schiffes oder gar durch den Rumpf – wie bei der Eingangs erwähnten Lagoon 40 – zu nehmen. Dazu müssen die Ableiter so verlegt sein, dass ein ausreichender Abstand, der sogenannte „Trennungsabstand“, zu anderen Leitern eingehalten wird. Äußerer Blitzschutz Position und Länge der Fangstangen wurden nach der Blitzkugelmethode bestimmt. 122 PALSTEK 7/77 Der äußere Blitzschutz soll den Blitzstrom so zur Erde ableiten, dass an dem zu schützenden Objekt keine Schäden durch direkte thermische oder elektrische Einwirkungen des Blitzstroms entstehen. Zu diesem Zweck muss dem Blitz ein Weg zur Erde angeboten werden, der so leicht zurückzulegen ist, dass er keine Lust hat, irgendwelche Umwege über zum Beispiel die Elektroanlage des Trennungsabstand Dies ist der Abstand, der zwischen Ableitern und anderen leitenden Teilen des zu schützenden Objekts eingehalten werden muss, um Überschläge zu verhindern Er nimmt mit dem Abstand zur Erde zu und wird unter anderem von der gewählten Blitzschutzklasse bestimmt. Damit sollen Überschläge in andere Systeme der Yacht vermieden werden. Der äußere Blitzschutz besteht aus einer Fangeinrichtung, den Ableitern und der Erdungsanlage. Fangeinrichtung Die Positionierung und Länge der Fangstangen wurden bei diesem Projekt durch die Blitzkugelmethode bestimmt. Die erste Fangeinrichtung besteht aus einer im Masttopp angebrachten Fangstange, die so hoch angebracht ist, dass auch die üblicherweise in dieser Gegend vorhandenen elektrischen und elektronischen Geräte (Antenne, Windgeber, Laternen und so weiter) geschützt sind. Die Fangstange, deren Länge 1,5 Meter beträgt, ist direkt leitend mit dem Mast verbunden. Zusätzlich wurde eine ein Meter lange Fangstange am Radom-Geräteträger angebracht, da sich nach der Blitzkugelmethode zeigte, dass dieser nicht durch die Fangstange im Masttopp abgedeckt ist. Ableiter Diese sind bei Segelyachten zu einem großen Teil bereits vorhanden. Masten – soweit aus Metall –, Stage und Wanten reichen bereits bei kleinen Yachten aus, um den Blitzstrom zumindest auf die Höhe des Decks abzuleiten. Ein großer Vorteil dieser Vielzahl von Ableitern (viele Einfamilienhäuser müssen mit einem einzigen Ableiter auskommen) liegt unter Anderem darin, dass der Blitzstrom aufgeteilt wird. Wird dieser beispielsweise auf 10 Leiter aufgeteilt, fließt bei gleichmäßiger Verteilung durch jeden dieser Leiter nur ein Zehntel des Blitzstroms – die für Schäden durch Induktion verantwortlichen elektromagnetischen Feldstärken um diese Leiter werden um den Faktor 10 reduziert. Trotzdem wurde darauf geachtet, dass die Ableiter unter Deck nicht parallel zu anderen Leitern geführt wurden, um Überspannungen durch Induktion möglichst zu vermeiden. Unter Deck wurden die Anschlusspunkte des Riggs (Rüsteisen, PALSTEK 7/77 123 Wellenanlagen Fotos: Martin Sandau Motor + Antrieb Tankeinfüllstutzen (links) und Relingstützen (rechts) sind in den Potenzialausgleich einbezogen. Der Tankeinfüllstutzen gehört zu einem zusätzlichen Schutzpotenzialausgleich – Püttings) über den Ringleiter (siehe unten) mit dem Erder verbunden, die „natürlichen“ Ableiter wurden sozusagen inschiffs weiter geführt. Dabei waren mehrere Punkte zu beachten: Die Ableiter, in der Regel Kupferleiter, sollten so geradlinig wie möglich verlegt werden. Knicke und scharfe Bögen sind zu vermeiden. Der Grund dafür liegt darin, dass durch Knicke und enge Bögen die Impedanz des Ableiters erhöht wird. Damit steigt der Widerstand, den der Blitzstrom im Ableiter „sieht“, stark an, womit sich auch die Gefahr Impedanz Die Impedanz ist in diesem Zusammenhang ein Scheinwiderstand und beschreibt den Widerstand eines Leiters gegenüber einer Wechselspannung oder einem Impuls (Blitzstrom). Die Impedanz ist in den meisten Fällen deutlich größer als der Ohmsche Widerstand eines Leiters und wird auch von dessen Form beeinflusst. 124 PALSTEK 7/77 hier reichen 2,5 Quadratmillimeter. Da die Reling jedoch als Ableiter angesehen wird, wurden hier ein größerer Querschnitt gewählt. von Überschlägen erhöht. Der Querschnitt der Ableiter muss dem zu erwartenden Blitzstrom angepasst sein. In der Regel werden Querschnitte zwischen 16 (Kupfer) und 25 Quadratmillimeter als ausreichend angesehen. Der elektrische Anschluss der Ableiter wurde blitzstromtragfähig ausgeführt. unterhalb der Relingstützen für die Anbringung des Ringleiters an; damit verbunden wurden alle leitfähigen Gegenstände, zum Beispiel Relingstützen, Bug- und Heckkorb, Tankeinfüllstutzen und so weiter. Der Ringleiter wurde aus Kupfer mit einem Mindestquerschnitt von 16 Quadratmillimetern hergestellt. Ringleiter Erdung Diese werden in Hochhäusern eingesetzt, da sonst die Trennungsabstände so groß würden, dass sie technisch nicht eingehalten werden können. Zudem bewirken sie eine vorteilhafte „Symmetrierung“ des Blitzstroms. Voraussetzung dafür ist, dass alle leitenden Gegenstände mit dem Ringleiter verbunden werden („Potenzialausgleich“). So entsteht auf der Höhe des Ringleiters eine Potenzialfläche, die praktisch einer virtuellen Erde entspricht – Trennungsabstände können deutlich verkleinert werden. In der HR 64 bot sich die Ebene Die Erdung soll folgende Anforderungen erfüllen: Die wirksame Fläche soll mindestens 0,1 Quadratmetern aufweisen (ausreichend für Meerwasser), sie muss in allen Betriebszuständen – also auch bei Krängung – von Wasser bedeckt sein und aus einem korrosionsbeständigen Werkstoff bestehen. Gewählt wurden zwei Dynaplate-Erder, die – obwohl sie aus gesinterter Bronze bestehen – vom Hersteller ausdrücklich als Blitzstrom-Erder zugelassen sind. Die wirksame Oberfläche beträgt rund 2,4 Quadratmeter, deutlich mehr als die üblicherweise geforderten 0,1 Quadratmeter. Aufwand und Grenzen Der kostenmäßige Aufwand für eine äußere Blitzschutzanlage in der hier beschriebenen Ausführung ist im Vergleich zu den Gesamtkosten einer Yacht fast vernachlässigbar. Bei einem Neubau können die Arbeiten problemlos vor dem Einbau der Einrichtung ausgeführt werden, so dass die zusätzlichen Kosten im einstelligen Prozentbereich des Endpreises der fertigen Yacht liegen dürften. Zieht man nun in Betracht, dass damit zumindest kapitale (und teure) Schäden durch einen Blitzeinschlag an Rumpf und Rigg – die zum Totalverlust führen können – praktisch ausgeschlossen sind, sollte die Entscheidung für die dadurch entstehenden Mehrkosten leicht fallen – falls diese Leistungen denn von der Werft angeboten werden. Zudem werden Schäden an der elektrischen Anlage und anderen Systemen der Yacht, zum Beispiel Trinkwasser- und Kraftstoffsystemen, deutlich verringert, da der Blitzstrom nicht durch irgendwelche Leitungen, Tanks oder Pumpen fließen kann. Personenschäden werden durch den äußeren Blitzschutz ebenfalls nahezu ausgeschlossen, es sei denn, ein Crewmitglied steht gerade an Deck und hält sich an einem Want fest. Nicht verhindert werden Schäden durch den LEMP (Lightning Electro-Magnetic Pulse), die durch Induktion des elektromagnetischen Impulses in elektrische Systeme der Yacht verursacht werden. Diese werden wahrscheinlich deutlich reduziert, da der Blitzstrom auf mehrere Ableiter verteilt ist, ganz verhindern lassen sich diese Auswirkungen jedoch nur durch einen konsequent durchgeführten inneren Blitzschutz. Überspannungen, die nach einem entferntem Einschlag von außen in die Elektroanlage der Yacht eingeführt werden (typischerweise über den Schutzleiter des Landstromanschlusses), lassen sich durch den äußeren Blitzschutz nicht beeinflussen. Je nach Umfang der elektrischen und elektronischen Ausrüstung, PALSTEK 7/77 125 Motor + Antrieb Wellenanlagen 1 Fotos: Martin Sandau 2 1 2 3 4 Überspannungsschutz mit Blitzstromableitern für die Blitzschutzzone 1 in der Hauptverteilung. 1 und 2: SPD Typ 1 auf der Primärseite der Trenntransformatoren, 3: SPD Typ 1 für das 12-Volt-Bordnetz, 4: SPD Typ 1 für das 24-Volt-Bordnetz. Überspannungsschutz der Sekundärseite der Trenntransformatoren des Landstromanschlusses. 1: SPD TYP 1 zwischen Eingangs- und Ausgangs-Schutzleiter der Transformatoren. 2: SPD Typ 2 auf der Sekundärseite der Transformatoren (Bordnetz). Der 12-Volt-Eingang des Inverters wurde separat mit einem SPD Typ 2 geschützt. Empfindliche Geräte sind zusätzlich durch SPD Typ 3 dicht am Geräteanschluss geschützt. SPD Surge Protection Device. Überspannungsschutzgeräte, die je nach Blitzschutzzone (LPZ) als Blitzstrom ableiter (LPZ 1) oder Überspannungsableiter (LPZ 2 und 3) bezeichnet werden. die sowohl durch LEMP als auch durch eingeschleppte Überspannungen zerstört werden können, ist es durchaus möglich, dass auf einen inneren Blitzschutz verzichtet werden kann. Die dafür erforderlichen Blitzstrom- und Überspannungsableiter sind nicht gerade billig und können im Extremfall teurer werden als die zu schützende Elektronik. 126 PALSTEK 7/77 Auf einen Bestandteil des inneren Blitzschutzes sollte jedoch nicht verzichtet werden: Den Potenzialausgleich. Potenzialausgleich Mit einem Potenzialausgleich werden alle Körper, fremde leitfähige Teile und Betriebsmittel auf ein gemeinsames elektrisches Potenzial gebracht – idealerweise auf Erdpotenzial. Der Potenzialausgleich ist eine Grundvoraussetzung für den inneren Blitzschutz und verhindert, dass sich zwischen verschiedenen leitfähigen Teilen in und an der Yacht gefährliche Spannungen aufbauen. Die Kosten dafür sind – selbst bei einer nachträglichen Einrichtung – durchaus im erträglichen Bereich. Ein Potenzialausgleich (an Land sinnigerweise „Schutzpotenzialausgleich“ genannt) führt zudem zu einer deutlichen Verbesserung der Sicherheit des Wechselstromsystems an Bord, falls vorhanden. Bei dem Potenzialausgleich werden alle leitenden Teile (Tanks, Reling, Bug- und Heckkorb, Motor, Herde und so weiter) an Bord mit der Erde verbunden. Als „Erde“ versteht man in diesem Zusammenhang eine elektrisch leitende Verbindung mit dem das Schiff umgebende Wasser. Damit werden Schäden durch Überschläge infolge von Überspannungen auf einzelnen Körpern ebenso unterbunden wie Überspannungen, die durch Isolationsfehler in der elektrischen Anlage der Yacht auftreten können. Damit liegt der Potenzialausgleich technisch zwischen dem äußeren und dem inneren Blitzschutz, wird jedoch systematisch dem inneren Blitzschutz zugeordnet. In der HR 64 wurde der Schutzpotenzialausgleich konsequent ausgeführt. Alle Körper, fremden leitfähigen Teile und Betriebsmittel wurden mit der Erde verbunden. Dabei wurden diverse Baugruppen im Rahmen eines „zusätzlichen Schutzpotenzialausgleichs“ zusammengefasst, also zunächst miteinander und dann gemeinsam mit der Erde verbunden – dies spart Kabel und somit Kosten und reduziert zudem möglich Fehlerquellen. Innerer Blitzschutz Neben dem Potenzialausgleich besteht der innere Blitzschutz hauptsächlich aus einem abgestimmten Überspannungsschutz der einzelnen Systemkomponenten der elektrischen Anlagen. Abgestimmt bedeutet hier, dass die Blitzstrom- und Überspannungsableiter beziehungsweise deren Schutzpegel auf die Bedürfnisse der nachgeschalteten Systemkomponenten abgestimmt sind. Im Gegensatz zu den Gegebenheiten an Land, wo üblicherweise nur ein Wechselstromnetz geschützt werden muss, haben wir es auf Yachten mit mindestens zwei Systemen zu tun: Einem Wechselstromsystem und einem oder – wie in diesem Fall – zwei Gleichstromsystemen, eins mit 12 Volt, das zweite mit 24 Volt Nennspannung. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass wir es an Bord einer Yacht unter Umständen mit zwei „Erden“ zu tun haben, deren Potenzial nicht unbedingt gleich ist – eine Tatsache, die zu erheblichen Bedenken seitens Hallberg Rassy bei der Ausführung der Blitzschutzanlage führte. Hintergrund dieser Bedenken ist, dass durch die geologischen Besonderheiten die „Erde“ im Schutzleiter des Landstromanschlusses erheblich vom Potenzial des Wasseres um die Yacht abweichen kann. Diese führt zu einer ganzen Reihe von Problemen, das Größte ist die PALSTEK 7/77 127 Motor + Antrieb Wellenanlagen Der Umfang des inneren Blitzschutzes lässt sich anhand dieser Systemzeichnung erahnen: Dargestellt ist hier nur das 24-Volt-System (Quelle: Phoenix Contact) . dadurch entstehende Gefahr von elektrolytischer Korrosion. Letztlich konnte durch einen Trick auf die nach DIN EN ISO 13297 obligatorische Übernahme des Landstrom-Schutzleiters an Bord verzichtet werden. In die Landstromversorgung wurden zwei Trenntransformatoren eingefügt, die für eine galvanische Trennung von Land- und Schiffswechselstromsystem sorgten und so einen durchgehenden Schutzleiter überflüssig machten. die in den entsprechenden Zonen vorhandenen Geräte und Anlagenteile die Schutzpegelspannung für die Dauer des Einschlags – in der Regel maximal 20 Millisekunden – ohne Schaden überstehen. Entsprechend den Blitzschutzzonen werden die Überspannungsableiter (SPD, Surge Protection Device) Blitzschutzzonen und SPD Der erste Schritt in der Planung des inneren Blitzschutzes bestand darin, die Anlage in unterschiedliche Blitzschutzzonen (LPZ, Lightning Protection Zones) einzuteilen. Diese werden nach dem maximal zulässigen Schutzpegel bestimmt und reichen von LPZ 0 (kein Überspannungsschutz) bis LPZ 3 (Schutzpegel maximal 1.500 Volt). Bei dieser Auslegung wird davon ausgegangen, dass 128 PALSTEK 7/77 Allein für den Schutz des Windgebers und der WLAN-Antenne wurden acht Überpannungsableiter eingesetzt. ebenfalls in Klassen eingeteilt: SPD Typ 1 gelten als Blitzstromableiter und bestimmen die Grenze zwischen LPZ 0 und LPZ 1. Der Schutzpegel beträgt hier 4.000 Volt. Der mögliche ABleitstrom liegt in der Regel über 100.000 Ampere. Diese Ableiter werden üblicherweise an Stellen eingesetzt, an denen der Blitzstrom ungeschwächt in das Objekt eindringen kann. Diese Ableiter stellen den Übergang zu LPZ 2 dar. Typ 2-Ableiter (Überspannungsableiter) arbeiten mit einem Schutzpegel von 2.500 Volt und können etwa 50.000 Ampere ableiten. Sie werden üblicherweise vor Verteilungen eingesetzt. Mittlerweile sind Kombiableiter erhältlich, in denen der Typ 2-Schutzpegel bei einem Typ 1-Ableitstrom erreicht wird. Typ 3-Ableiter werden vorzugsweise für den Geräteschutz eingesetztz und möglichst nahe am Vrebraucher angebracht. Der Schutzpegel liegt bei 1.500 Volt bei einem maximalen Ableitstrom um die 8.000 Amprere. Umsetzung Sowohl im Wechselstrom- als auch in den Gleichstromsystemen wurden alle wichtigen Stromkreise und Verbraucher mit entsprechenden Überspannungsableitern geschützt. Die Entscheidung für oder gegen den Überspannungsschutz wurde einerseits davon bestimmt, ob der betreffende Verbraucher für einen sicheren Betrieb der Yacht notwendig ist oder, alternativ, ob der Preis des angeschlossenen Geräts den Aufwand für den Überspannungsschutz rechtfertigt. Aufgrund des der Yachtgröße entsprechend komplexen elektrischen Systems ergab sich ein ebenso umfangreicher innerer Blitzschutz. Ein – wenn auch extremes – Beispiel ist der Schutz des Windgebers und der WLAN-Antenne. Dazu wurden insgesamt acht Überspannungsableiter eingesetzt. Fazit Zum Redaktionsschluss lagen noch keine Zahle zu den Kosten der Blitzschutzmaßnahmen vor; man kann jedoch davon ausgehen, dass diese trotz des enorm aufwändigen inneren Blitzschutzes auch hier im einstelligen Prozenbereichs des Gesamtpreises der Yacht liegen dürften. Nach Ansicht des Eigners rechnet sich der Blitzschutz allein schon deshalb, weil die Schadenssumme bereits bei einem „kleinen“ Einschlag die Kosten der Anlage übersteigen dürfte. Wichtiger ist jedoch, dass das Risiko der Gefährdung eines Besatzungsmitglieds durch Blitzeinwirkung praktisch ausgeschlossen ist. Die Gewissheit, dass selbst bei einem schweren Gewitter kein Schaden zu befürchten ist, ist ohnehin unbezahlbar. Eine weiter Konsequenz: Die Installation dieses Blitzschutzsystems hat gezeigt, dass Blitzschutz technisch machbar und zudem bezahlbar ist. Dies könnte zu einem Umdenken in der Geschä#ftspolitik der Werften führen – letztlich erschließt sich damit eine neue Einnahmequelle. PALSTEK 7/77 129