SR Vergaberecht Nachpruefungsinstanzen 2013

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SR Vergaberecht Nachpruefungsinstanzen 2013
Vergaberecht 2012/2013 (I)
Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen im Überblick
© BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, 2013
Vergaberecht 2012/2013 (I)
Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen im Überblick
Liebe Auftraggeber, liebe Bieter,
liebe Interessierte am Vergaberecht,
Vergaberecht ist ganz wesentlich Praktikerrecht. Die Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen – außerhalb des GWB zunehmend der ordentlichen Gerichte – geben
den Takt vor.
Um Ihnen die Arbeit zu erleichtern, wollen wir Sie anhand einer Entscheidungsauswahl
künftig regelmäßig über Entwicklungen der Rechtsprechung informieren. Die in dieser Ausgabe aufgenommenen knapp 200 Entscheidungen decken die wesentlichen
Entwicklungen von 2012 bis Ende des 1. Quartals 2013 ab.
2012 war ein Jahr der Konsolidierung. „Revolutionäre“ Entscheidungen blieben aus.
Das Vergaberecht wurde aber an zahlreichen Punkten von den Vergabekammern und
Gerichten weiter entwickelt.
Hinzuweisen ist insbesondere auf die Entscheidung des OLG München zur Baukonzessionsvergabe (Nr. 3), die Entscheidung des EuGH vom 7. Juni 2012 zur Auslegung
zu Bereichsausnahmen bei Dual-Use-Gütern (Nr. 21), den grundlegenden Beschluss
des OLG Düsseldorf zur Vergabepflicht von Abfällen zur Verwertung (Nr. 23) sowie
seine mittlerweile gefestigte Rechtsprechung zu Rahmenvereinbarungen (Nrn. 15-17).
Bei den sog. „vergabefremden“ Kriterien hat die Entscheidung des EuGH in der Sache
EKO und Max Havlaar (Nr. 27, 44, 63) für viel Aufsehen gesorgt.
Die Verfahrensanforderungen an das Verhandlungsverfahren sind in der Rechtsprechung weiter verschärft worden (Nrn. 32-37). Gleiches gilt für das beschleunigte Verfahren (Nr. 40). Das Bestimmungsrecht des Auftraggebers ist weiter gestärkt worden
(Nrn. 44-47). Es ist mittlerweile auch der Dreh- und Angelpunkt bei Losvergaben
(Nrn. 72-77). Die Anforderungen an die Bekanntmachung wurden erneut gesteigert;
das betrifft v.a. Eignungsnachweise (Nr. 60, 88-91) aber auch Mindestbedingungen
der Eignung oder besondere Vertragsbedingungen. Die seit Jahren diskutierte Problematik der „eignungsbezogenen“ Zuschlagskriterien ist jetzt auch für VOF-Vergaben
entschieden; es darf sie nicht geben!
Bei der Überprüfung von Ausschreibungsbedingungen und Vertragsbedingungen finden unterschiedliche Maßstäbe Anwendung, so dass ein besonders sorgfältiges Vorgehen unerlässlich ist (Nr. 80-86). Bei der Angebotsprüfung ist neben den „Klassikern“,
wie Abweichungen von den Vergabeunterlagen v.a. die Nachforderung von Erklärungen
trotz einer Entscheidung des BGH ein Unsicherheitsfaktor (Nrn. 118-121). Bei Vergabesperren und Selbstheilung des Bieters haben sich die Maßstäbe dagegen entscheidend
präzisiert (auch wenn es immer auf den Einzelfall ankommt, vgl. Nrn. 127-130).
Fehler, die bei Einleitung und Gestaltung eines Vergabeverfahrens durchlaufen sind,
lassen sich über eine Aufhebung nur sehr eingeschränkt (u.U. schadensersatzpflichtig)
reparieren (Nr. 146-150). Neben Heilungsoptionen wurden auch die Möglichkeiten zur
Interimsvergabe weiter präzisiert (Nr. 201).
Beim Rechtsschutz gab es v.a. 2012 wichtige, z.T. spektakuläre, Entscheidungen v.a.
im Bereich des Unterschwellenrechtsschutzes (Nrn. 202-205) und bei Dienstleistungskonzessionen (Nrn. 212-218). Zum Nachprüfungsverfahren dominierten 2012/2013
ganz eindeutig Entscheidungen zu Verfahrensfragen, u. a. zu den Verfahrenskosten
des Auftraggebers (Nr. 197), aber auch zur Rügepflicht (Nrn. 163-166).
Wie wichtig das Vergaberecht geworden ist, zeigen abschließend die Entscheidungen
des EuG zu Strukturhilfefondsmitteln beim Projekt Teltowkanalbegleitstrasse (Nr. 223)
und des OVG NRW zum nationalen Förderrecht (Nr. 222). Hier hat sich mittlerweile
als Standard etabliert, dass Vergabefehler auch noch Jahre später Förderungen kosten
können.
Nürnberg, im August 2013
Mit freundlichen Grüßen
Berthold F. Mitrenga
Inhalt
I.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
ANWENDUNGSBEREICH DER §§ 97 FF. GWB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Persönlicher Anwendungsbereich –
Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1
VK Berlin, Beschluss vom 14.10.2011 –
VK-B 2-24/11 (Elektroinstallationsarbeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
2
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.11.2012 – 15 Verg 9/12
(Rahmenvereinbarung bildgebenden Geräten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Persönlicher Anwendungsbereich –
Baukonzessionär (§ 98 Nr. 6 GWB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
3
OLG München, Beschluss vom 05.04.2012 –
Verg 3/12 (Hochschulcampus Garching) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Sachlicher Anwendungsbereich – Auftragswert (§ 3 VgV) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
4
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 08.05.2012 –
11 Verg 2/12 (Rechtsberatung/Organisationsuntersuchung) . . . . . . . . . . . . . . . 4
5
OLG Dresden, Beschluss vom 24.07.2012 –
Verg 2/12 (Beseitigung von Ölverunreinigungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
6
KG, Beschluss vom 28.09.2012 –
Verg 10/12 (Ausgabeanlage – Umbau der Mensa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
7
OLG München, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 19/12 (Kinderpalliativzentrum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
8
OLG München, Beschluss vom 31.01.2013 –
Verg 31/12 (Ortsumgehung L.-K.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Sachlicher Anwendungsbereich –
öffentlicher Auftrag (§ 99 GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
9
VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.08.2012 –
VK-SH 17/12 (Geschäftskomplex) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
10 EuGH, Urteil vom 19.12.2012 – Rs. C-159/11
(Azienda Sanitaria Locale di Lecce) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
11 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013 –
Verg 26/12 (Erwerb und Betrieb Strom- und Gasnetze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
12 OLG Schleswig, Beschluss vom 15.03.2013 – 1 Verg 4/12 (Parkpalette). . . . . 21
13 EuGH, Urteil vom 08.05.2013 – Rs. C-203/11 (Eric Libert u.a.) . . . . . . . . . . . . 24
Ausschreibungspflicht von Vertragsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
14 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.01.2013 –
2 VK LSA 40/12 (Wärme- und Stromlieferung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
15 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 –
Verg 58/11 (Pharmarabattvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
16 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2012 –
Verg 95/12 (Rahmenvertrags Berufe.TV). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
17 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 –
Verg 15/12 (Koordinationsvertrag Patientenversorgung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
18 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.11.2012 –
15 Verg 9/12 (Rahmenvereinbarung bildgebenden Geräten) . . . . . . . . . . . . . . 33
I
19
7.
8.
II.
III.
1.
2.
3.
II
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 44/12 (Kopierer und Multifunktionsgeräte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bereichsausnahmen (§§ 100, 100a, 100b GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 VK Bund, Beschluss vom 04.05.2012 –
VK 3-30/12 (Wartungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 EuGH, Urteil vom 07.06.2012 –
Rs. C-615/10 (Insinööritoimisto InsTiimi Oy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12 (SatWaS) . . . . . . .
Ausschließliche Rechte/Inhouse –
Vergabe/interkommunale Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.11.2012 – Verg 69/11 (Klärschlamm) . . . .
24 EuGH, Urteil vom 29.11.2012 – Rs. C-183/11 (Econord) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.01.2013 –
Verg 56/12 (Betrieb von Informationssystemen der GKV) . . . . . . . . . . . . . . . .
ANWENDBARE VERGABE- UND VERTRAGSORDNUNG/
ALLGEMEINE VERGABEGRUNDSÄTZE (§ 97 ABS. 1, 2 GWB) . . . . . . . . . . . . . .
26 OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.03.2012 –
Verg W 13/11 (Landesweite Biotopkartierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10 (EKO und Max Havelaar). . . . . . . . .
28 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12 (SatWaS) . . . . . . .
VERFAHRENSARTEN NACH DEN §§ 97 FF. GWB/
FRISTEN FÜR EU-VERGABEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Offenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 –
Verg 58/11 (Pharmarabattvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nichtoffenes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012 –
VII-Verg 75/11 (Unterhaltsreinigung, Außenreinigung, Winderdienst) . . . . . . .
31 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 –
Verg 3/12 (Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen). . . . . .
Verhandlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 VK Lüneburg, Beschluss vom 04.01.2012 –
vgk-54/2011 (Schulsanierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33 VK Brandenburg, Beschluss vom 04.03.2012 –
VK 5/12 (Ingenieurleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 VK Sachsen, Beschluss vom 16.05.2012 –
1/SVK/010-12 (Schienenfahrzeuge). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 VK Bund, Beschluss vom 23.07.2012 –
VK 3-81/12 (Rahmenvertrag Reparatur- und Wartungsdienste) . . . . . . . . . . . .
36 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12 (SatWaS) . . . . . . .
37 VK Nordbayern, Beschluss vom 20.11.2012 –
21 VK-3194-26/12 (Beschaffung eines ….) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38 EuG, Urteil vom 15.01.2013 – Rs. T-54/11 (Spanien ./. Kommission) . . . . . . . .
39 VK Bund, Beschluss vom 25.01.2013 –
VK 3-5/13 (Rahmenvertrag Arzneimittel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
37
37
38
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41
41
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53
55
56
56
62
63
65
66
67
68
68
4.
5.
IV.
1.
2.
3.
4.
5.
Beschleunigtes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 –
1/SVK/001-12 (Institutsgebäude, FR Physik). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Verfahren mit Teilnahmewettbewerb/Auswahlkritieren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011 –
Verg 84/11 (Gebäude- und Glasreinigung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 VK Bund, Beschluss vom 25.01.2012 –
VK 1-174/11 (Bewachungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 –
1/SVK/001-12 (Institutsgebäude, FR Physik). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
69
72
72
72
74
VERFAHRENSGESTALTUNG DURCH DEN AUFTRAGGEBER . . . . . . . . . . . . . . . 77
Bestimmungsrecht des Auftraggebers/
Produktneutrale Ausschreibung/Technische Spezifikationen . . . . . . . . . . . . . 77
44 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10 (EKO und Max Havelaar). . . . . . . . . 77
45 VK Arnsberg, Beschluss vom 14.05.2012 –
VK 6/12 (Umstellung Funktechnik). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
46 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012 –
Verg 7/12 (Anti-Grippe-Impfstoffe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
47 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 – Verg 10/12 (SatWaS) . . . . . . . 86
48 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.10.2012 –
Verg 34/12 (Küchentechnik Ersatzbau Uni Bielefeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
49 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.10.2012 –
VK-SH 28/12 (Diktiergeräte). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
50 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013 –
Verg 33/12 (Neubau Landesmuseum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
51 VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.01.2013 –
1 VK 44/12 (Metallbau/Fenster). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Preis-/Haushaltsrechtliche Anforderungen/Vergabereife . . . . . . . . . . . . . . . . 102
52 OLG München, Beschluss vom 20.03.2013 –
Verg 5/13 (Akademie des bayerischen Bäckerhandwerks) . . . . . . . . . . . . . . . 102
53 OLG Koblenz, Beschluss vom 25.03.2013 –
5 U 1481/12 (Architektenvertrag mit Baukostenvereinbarung) . . . . . . . . . . . . 104
Wahl-/Alternativpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
54 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.02.2012 –
Verg 87/11 (Versicherungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106
Kalkulationsvorgaben/Preisvorgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
55 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2012 –
Verg 42/12 (Unterhaltsreinigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
56 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 44/12 (Kopierer und Multifunktionsgeräte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Zuschlags- und Bindefrist/Frist zur Abforderung
von Angebotsunterlagen/Angebotserstellungsfrist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
57 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109
58 VK Bund, Beschluss vom 05.10.2012 –
VK 3-114/12 (Reinigungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
59 VK Arnsberg, Beschluss vom 06.02.2013 –
VK 21/12 (Rettungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
III
6.
7.
7.1
7.2
7.3
8.
9.
IV
Vergabebekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
60 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2012 –
Verg 4/12 (Eignungskriterien). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Anforderungen an Zuschlagskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Maßstab der Wirtschaftlichkeit im Sinne von § 97 Abs. 5 GWB . . . . . . . . . . . . . 116
61 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
62 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 9/12 (Nachforderung Erklärungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
63 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10 (EKO und Max Havelaar). . . . . . . . . 119
64 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 –
Verg 3/12 (Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen). . . . . . 122
Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
65 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
66 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2012 –
15 Verg 10/12 (Tragwerksplanung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
67 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.2013 –
Verg 35/12 (Gebäudereinigungsverträge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Bekanntmachung (Transparenz) von Zuschlagskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
68 OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.03.2012 –
Verg W 13/11 (Landesweite Biotopkartierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
69 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.07.2012 –
11 Verg 6/12 (Reinigungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
70 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
71 VK Hessen, Beschluss vom 21.03.2013 – 69d-VK-01/2013 (Solarkataster) . . . 132
Gesamtvergabe/Losaufteilung/Loslimitierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
72 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.01.2012 –
Verg 103/11 (Rabattvereinbarung Ciclosporin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
73 VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 –
1/SVK/050-11 (Straßenbau, Lärmschutzwand) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
74 OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012 –
1 Verg 2/12 (Gebäudereinigungsleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
75 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 100/11 (Drucker- und Multifunktionssysteme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
76 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012 –
Verg 7/12 (Anti-Grippe-Impfstoffe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
77 OLG Schleswig, Beschluss vom 30.10.2012 – 1 Verg 5/12 (Postdienste) . . . . 141
78 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2012 –
Verg 28/12 (Gebäudereinigung, Glasreinigung, Winterdienst) . . . . . . . . . . . . . 142
79 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen/
Ungewöhnliches Wagnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
80 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2012 – Verg 90/11 (Zytostatika) . . . . . 146
81 VK Bund, Beschluss vom 21.06.2012 – VK 3-57/12 (Grippeimpfstoffe) . . . . . . 147
82 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.07.2012 –
11 Verg 6/12 (Reinigungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
83
10.
11.
12.
12.1
12.2
12.3
13.
14.
15.
V.
OLG München, Beschluss vom 06.08.2012 –
Verg 14/12 (Rest- und Sperrmüllabfuhr). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
84 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 44/12 (Kopierer und Multifunktionsgeräte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Gestaltung der Vertragsbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
85 OLG Naumburg, Urteil vom 20.12.2012 –
2 U 92/12 (Grundhafter Ausbau der Kreisstraße) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Bedingungen für die Auftragsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
86 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10 (EKO und Max Havelaar). . . . . . . . . 155
87 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.2013 –
Verg 35/12 (Gebäudereinigungsverträge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Eignungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Bekanntmachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
88 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Liste von Eignungsnachweisen in Vergabeunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
89 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.11.2012 –
Verg 8/12 (Wartung, Pflege- und Weiterentwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Wettbewerbsoffene Ausgestaltung von Eignungsanforderungen. . . . . . . . . . . 161
90 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2012 –
Verg 108/11 (Briefdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
91 EuGH, Urteil vom 18.10.2012 – Rs. C-218/11 (Édukövízig) . . . . . . . . . . . . . . . .164
Tariftreue-/Mindestlohnbestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166
92 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.07.2012 –
11 Verg 6/12 (Reinigungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166
Zulassung/Ausschluss von Nebenangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
93 VK Sachsen, Beschluss vom 05.03.2012 –
1/SVK/003-12 (Technisches Zentrum). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
94 BGH, Beschluss vom 23.01.2013 – X ZB 8/11 (Briefdienstleistungen). . . . . . . 171
Beteiligung von Projektanten am Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
95 OLG Bremen, Beschluss vom 09.10.2012 –
Verg 1/12 (Datenverarbeitung im Bereich Fahrgastinformation) . . . . . . . . . . . . 173
96 OLG München, Beschluss vom 11.04.2013 –
Verg 2/13 (Neubau Portalklinik Campus Innenstadt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
AUSLEGUNG DER LEISTUNGSBESCHREIBUNG/
HINWEISPFLICHTEN/ABGABE DER ANGEBOTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
97 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
98 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 9/12 (Nachforderung Erklärungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
99 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10 (EKO und Max Havelaar). . . . . . . . . 181
100 BGH, Urteil vom 20.11.2012 – X ZR 108/10 (Friedhofserweiterung). . . . . . . . .183
101 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen) . . . . . . . . . . . . . . . . .184
102 OLG Naumburg, Urteil vom 22.02.2013 –
12 U 120/12 (Umweltbundesamt Dessau). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
103 OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 –
Verg 4/13 (Ortsumgehung B.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
V
VI.
1.
2.
3.
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
VI
PRÜFUNG UND WERTUNG DER ANGEBOTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Angebotsöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
104 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.01.2012 –
2 VK LSA 33/11 (Glas- und Unterhaltsreinigung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
105 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.02.2013 –
1 VK LSA 21/12 (arbeitsmedizinische Betreuung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Feststellung des Angebotsinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194
106 OLG Koblenz, Beschluss vom 30.03.2012 –
1 Verg 1/12 (Evangelisches Krankenhaus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194
107 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.2012 –
Verg 38/12 (Klärschlammtransporte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196
Formelle der Prüfung der Angebote (1. Wertungsstufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . .196
Fehlende/Unklare Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196
108 VK Brandenburg, Beschluss vom 01.08.2011 –
VK 22/11 (Endoskopiesystem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196
109 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.05.2012 –
Verg 104/11 (Heeresflugplatz – Lüftungstechnische Anlagen) . . . . . . . . . . . . .198
110 VK Sachsen, Beschluss vom 15.11.2012 –
1/SVK/032-12 (Eigenverantwortlicher territorialer Winterdienst) . . . . . . . . . . . 199
Änderung der Vergabeunterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
111 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.02.2012 –
11 Verg 11/11 (Neubau Tunnel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200
112 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .203
113 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.05.2012 –
Verg 104/11 (Heeresflugplatz – Lüftungstechnische Anlagen) . . . . . . . . . . . . .203
114 VK Bund, Beschluss vom 07.05.2012 – VK 3-33/12 (Profilgreifer) . . . . . . . . . .205
115 VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.02.2013 –
1 VK 1/13 (Straßenbauarbeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .206
Fehlende Preisangaben/Mischkalkulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207
116 KG, Beschluss vom 14.08.2012 – Verg 8/12 (Fahrscheinautomaten) . . . . . . . .207
117 VK Thüringen, Beschluss vom 28.09.2012 –
250-4002-14693/2012-E-005-SM (Neubau Ortsumfahrung) . . . . . . . . . . . . . .209
Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
118 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.02.2012 –
11 Verg 11/11 (Neubau Tunnel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
119 OLG Naumburg, Beschluss vom 23.02.2012 –
2 Verg 15/11 (Neubau Bundesstraße B 6n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
120 VK Nordbayern, Beschluss vom 07.03.2012 –
21 VK-3194-03/12 (Lieferung von Nahrungsmitteln). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
121 BGH, Urteil vom 03.04.2012 – X ZR 130/10 (Kreisstraße) . . . . . . . . . . . . . . . . 214
122 LG Bonn, Urteil vom 16.01.2013 – 1 O 300/11 (Betoninstandsetzung) . . . . . . 217
123 OLG München, Beschluss vom 15.03.2012 –
Verg 2/12 (Altlastensanierung + Tiefendrainage). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
Ausschluss wegen Wettbewerbsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
124 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.03.2012 –
2 VK LSA 35/11 (Entsorgungsleistungen vorbelasteter Abfälle) . . . . . . . . . . . . 219
3.6
4.
4.1
4.2
4.3
4.4
5.
6.
6.1
6.2
6.3
2. Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
125 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 –
Verg 3/12 (Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen). . . . . . 221
126 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen) . . . . . . . . . . . . . . . . .222
Ausschluss wegen schwerer Verfehlung/Vergabesperren . . . . . . . . . . . . . . . . .225
127 VK Lüneburg, Beschluss vom 01.12.2011 –
VgK-53/2011 (Fahrbahnreinigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .225
128 KG, Urteil vom 08.12.2011 – 2 U 11/11 (Vergabesperre) . . . . . . . . . . . . . . . . . .227
129 VK Nordbayern, Beschluss vom 12.06.2012 –
21 VK-3194-10/12 (Parkett- und Bodenbelagsarbeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . .230
130 OLG München, Beschluss vom 05.10.2012 –
Verg 15/12 (Grundschule G.-Straße) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233
Eignungsprüfung (2. Wertungsstufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235
Ermittlungspflicht des Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235
131 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011 –
Verg 84/11 (Gebäude- und Glasreinigung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .235
Eignungsprofil wird nicht entsprochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .236
132 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10 (EKO und Max Havelaar). . . . . . . . .236
133 OLG Koblenz, Beschluss vom 13.06.2012 –
1 Verg 2/12 (Eignungsprofil). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240
134 OLG Koblenz, Beschluss vom 25.09.2012 –
1 Verg 5/12 (Lieferung von Holzhackgut) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .243
Vorsätzlich falsche Angaben zu eignungsrelevanten Umständen . . . . . . . . . . .244
135 OLG Hamm, Urteil vom 12.09.2012 –
12 U 50/12 (Erweiterung Industriepark). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244
Insolvenz des Bieters/Nachunternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245
136 OLG Schleswig, Beschluss vom 30.05.2012 –
1 Verg 2/12 (Tragspritzenfahrzeuge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245
137 OLG Celle, Beschluss vom 18.02.2013 –
13 Verg 1/13 (Fenster- und Fassadenbauten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .249
Ungewöhnlich niedriger Preis (3. Wertungsstufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
138 EuGH, Urteil vom 29.03.2012 – Rs. C-599/10 (SAG ELV Slovensko a.s.). . . . . 251
Wertung der Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .254
Wertungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .254
139 VK Bund, Beschluss vom 29.03.2012 –
VK 2-175/11 (Rahmenvertrag Entnahme Sedimente) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .254
140 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 1/12 (Planungsleistung Realschule). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .255
141 VK Lüneburg, Beschluss vom 23.11.2012 –
VgK-43/2012 (Entsorgungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .256
Prüfung und Bewertung von Losen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .258
142 VK Bund, Beschluss vom 31.01.2012 – VK 3-3/12 (Losbewertung) . . . . . . . . .258
Prüfung und Bewertung von Nebenangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .259
143 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .259
VII
VII.
1.
2.
3.
VIII.
VERTRAGSSCHLUSS/VERTRAGSAUSLEGUNG/NACHTRÄGE . . . . . . . . . . . . .282
154 BGH, Urteil vom 06.09.2012 – VII ZR 193/10 (Asphaltmischgut) . . . . . . . . . . .282
155 OLG Zweibrücken, Urteil vom 01.10.2012 –
7 U 252/11 (Schülerbeförderungsbeitrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .286
156 BGH, Urteil vom 14.03.2013 – VII ZR 116/12 (Berufsausbildungszentrum) . . .288
157 BGH, Urteil vom 21.03.2013 – VII ZR 122/11 (Aushubmaterial) . . . . . . . . . . . .294
IX.
RECHTSSCHUTZ DER WIRTSCHAFTSTEILNEHMER
IM NACHPRÜFUNGSVERFAHREN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297
Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297
Anlass für Einreichung einer Rüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297
158 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 –
Verg 67/11 (Pharmarabattverträge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297
159 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28.02.2012 –
2 VK 8/11 (Sanierungsbeauftragter). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .299
160 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 100/11 (Drucker- und Multifunktionssysteme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .299
Inhaltliche Anforderungen an die Rüge/Rügen „ins Blaue“ . . . . . . . . . . . . . . . .301
161 OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2012 – Verg W 5/12 . . . . . . . . . . . .301
Einreichung der Rüge/Rügezugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .302
162 VK Sachsen, Beschluss vom 11.04.2012 –
1/SVK/005-12 (Installation von Fernmeldetechnischen Anlagen). . . . . . . . . . .302
1.
1.1
1.2
1.3
VIII
AUFKLÄRUNGSVERHANDLUNGEN/
AUFHEBUNG DES VERGABEVERFAHRENS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261
Aufklärungsverhandlungen – Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261
144 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 61/11 (Moabiter Werder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261
Aufhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .266
145 OLG München, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 19/12 (Kinderpalliativzentrum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .266
Aufhebungsgründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .266
146 VK Berlin, Beschluss vom 14.10.2011 –
VK-B 2-24/11 (Elektroinstallationsarbeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .266
147 VK Bund, Beschluss vom 09.02.2012 –
VK 3-6/12 (Vorbereitung und Eingliederung von Jugendlichen) . . . . . . . . . . . . 270
148 VK Brandenburg, Beschluss vom 02.04.2012 –
VK 6/12 (Trockenbauarbeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
149 VK Bund, Beschluss vom 04.07.2012 –
VK 1-64/12 (Rahmenvertrag Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen) . . . .273
150 OLG München, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 19/12 (Kinderpalliativzentrum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
151 BGH, Urteil vom 20.11.2012 – X ZR 108/10 (Friedhofserweiterung). . . . . . . . .275
152 VK Bund, Beschluss vom 25.01.2013 –
VK 3-5/13 (Rahmenvertrag Arzneimittel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .277
153 OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 –
Verg 4/13 (Ortsumgehung B.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .278
1.4
1.5
1.6
2.
3.
4.
5.
6.
„Unverzüglichkeit“ i. S. d. i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . .303
163 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19.09.2011 –
1 VK 5/11 (Tischlerarbeiten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .303
164 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012 –
VII-Verg 75/11 (Unterhaltsreinigung, Außenreinigung, Winderdienst) . . . . . . .304
165 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304
166 OLG München, Beschluss vom 06.08.2012 –
Verg 14/12 (Rest- und Sperrmüllabfuhr). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .305
167 VK Hessen, Beschluss vom 21.03.2013 – 69d-VK-01/2013 (Solarkataster) . . .306
„Erkennbarkeit“ eines Vergabefehlers i.S.d.
§ 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2/3 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .307
168 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011 –
Verg 84/11 (Gebäude- und Glasreinigung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .307
169 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2012 –
15 Verg 10/12 (Tragwerksplanung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .307
„Wartepflicht“ zwischen Rüge und Nachprüfungsantrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
170 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2012 –
15 Verg 10/12 (Tragwerksplanung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Nachprüfungsverfahren (§§ 114 ff. GWB) –
Zuständigkeit/Stellung Vergabekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
171 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 –
Verg 3/12 (Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen). . . . . . 313
172 VK Bund, Beschluss vom 25.05.2012 –
VK 3-54/12 (Bundesauftragsverwaltung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
173 KG, Beschluss vom 13.09.2012 – Verg 4/12 (Rahmenvertrag) . . . . . . . . . . . . . 314
174 OLG München, Beschluss vom 18.10.2012 –
Verg 13/12 (Hochschulcampus Garching) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
Nachprüfungsverfahren – Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
175 VK Münster, Beschluss vom 08.06.2012 –
VK 6/12 (Erwerb und Betrieb Strom und Gasnetze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
176 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012 –
Verg 7/12 (Anti-Grippe-Impfstoffe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
Nachprüfungsverfahren – Antragsgegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
177 OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 –
Verg 4/12 (Neubau einer Brücke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Nachprüfungsverfahren – Antragsbefugnis
(§ 107 Abs. 2 GWG)/Kausalität von Vergabefehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .322
178 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012 –
VII-Verg 75/11 (Unterhaltsreinigung, Außenreinigung, Winderdienst) . . . . . . .322
179 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 –
Verg 3/12 (Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen). . . . . .323
180 VK Brandenburg, Beschluss vom 18.04.2012 –
VK 9/12 (Fäkalwasser und Fäkalschlamm). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .324
181 VK Bund, Beschluss vom 21.06.2012 – VK 3-57/12 (Grippeimpfstoffe) . . . . . .325
Nachprüfungsverfahren – Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .326
182 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.02.2012 –
11 Verg 11/11 (Neubau Tunnel). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .326
IX
7.
8.
9.
10.
11.
X.
1.
2.
X
Nachprüfungsverfahren – Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .326
183 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .326
184 OLG München, Beschluss vom 31.01.2013 –
Verg 31/12 (Ortsumgehung L.-K.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .327
Verfahren der sofortigen Beschwerde (§§ 116 ff. GWB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329
185 OLG Naumburg, Beschluss vom 13.02.2012 –
2 Verg 14/11 (Beschwerderücknahme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329
186 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 47/12 (Willy-Brandt-Begegnungs- und Dialogschule) . . . . . . . . . . . . . . . .331
Kostentragung im Nachprüfungsverfahrens/
Allgemeines/Gegenstandswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .332
187 BGH, Beschluss vom 25.01.2012 –
X ZB 3/11 (Rettungsdienstleistungen IV). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .332
188 OLG Naumburg, Beschluss vom 13.02.2012 –
2 Verg 14/11 (Beschwerderücknahme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .335
189 OLG München, Beschluss vom 28.02.2012 –
Verg 16/11 (Kostenfestsetzung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .337
190 OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2012 –
Verg W 2/12 (Abfalllogistik- und Entsorgungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . .338
191 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.04.2012 –
11 Verg 6/11 (Gebührenentscheidung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .339
192 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13.04.2012 –
3 VK 5/11 (Seebrücke von Zinnowitz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .340
193 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2012 –
Verg 5/12 (Kostenbelastung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
194 OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 –
Verg 4/12 (Neubau einer Brücke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .343
195 OLG Koblenz, Beschluss vom 31.05.2012 –
1 Verg 2/11 (Gebäudereinigungsleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .344
Verfahrenskosten (Anwaltskosten) des Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .345
196 OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 –
Verg 4/12 (Neubau einer Brücke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .345
197 OLG Dresden, Beschluss vom 14.11.2012 –
1 Verg 8/11 (Rettungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .346
Kostenfestsetzungsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .348
198 OLG München, Beschluss vom 28.02.2012 –
Verg 16/11 (Kostenfestsetzung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .348
REAKTIONSMÖGLICHKEITEN DES AUFTRAGGEBERS
BEI VERGABEFEHLERN/NACHPRÜFUNGSANTRÄGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . .349
Heilung von Vergabefehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .349
199 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.2013 –
Verg 35/12 (Gebäudereinigungsverträge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .349
Weitere Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .350
200 VK Bund, Beschluss vom 05.10.2012 –
VK 3-111/12 (Reinigungsdienstleistungen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .350
3.
Interimsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .350
201 OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.03.2012 –
Verg W 16/11 (Betriebliche Altersvorsorge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .350
XI.
1.
VERGABEVERFAHREN „AUßERHALB“ DER §§ 97 FF. GWB . . . . . . . . . . . . . . . .352
Rechtschutz bei Unterschwellenvergaben/
„Verschätzung“ des Auftragswertes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .352
202 LG Bad Kreuznach, Beschluss vom 20.04.2012 –
2 O 77/12 (statische Ertüchtigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .352
203 OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.06.2012 –
1 U 357/11 (Lichtsignalanlagen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .355
204 OLG Dresden, Beschluss vom 24.07.2012 –
Verg 2/12 (Beseitigung von Ölverunreinigungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .359
205 LG Wiesbaden, Beschluss vom 12.07.2012 – 4 O 17/12 (Rügepflicht) . . . . . . .360
206 OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2012 –
6 U 172/12 (DSK B 101 Ortsumgehung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .361
Verfahrensanforderungen bei Unterschwellenvergaben . . . . . . . . . . . . . . . . . .365
207 OLG Hamm, Urteil vom 12.09.2012 –
12 U 50/12 (Erweiterung Industriepark). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .365
Besonderheiten bei Vergaben nach der SektVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .366
208 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 9/12 (Nachforderung Erklärungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .366
209 VK Sachsen, Beschluss vom 16.05.2012 –
1/SVK/010-12 (Schienenfahrzeuge). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .367
210 VK Sachsen, Beschluss vom 05.06.2012 –
1/SVK/012-12 (Neubauarbeiten Hauptwerkstatt Technischen Zentrum) . . . . .368
Besonderheiten bei SPNV-Vergaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
211 OLG Naumburg, Beschluss vom 06.12.2012 –
2 Verg 5/12 (Elektronetz Nord Sachsen-Anhalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
Vergabe von Dienstleistungskonzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
212 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2012 –
Verg 37/11 (Freizeitzentrum West). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
213 BGH, Beschluss vom 18.06.2012 –
X ZB 9/11 (Erfassung und Überlassung von Abfällen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
214 OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.08.2012 –
Verg W 19/11 (Dienstleistungskonzession Abwasser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .379
215 OLG Hamm, Urteil vom 26.09.2012 –
12 U 142/12 (Gemeindewerk „T“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .381
216 OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 29.01.2013 –
11 U 33/12 (Stadtmöblierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .385
217 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen) . . . . . . . . . . . . . . . . .388
218 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2013 –
15 Verg 11/12 (Raststätten- und Tankstellenbetrieb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .389
Zivilrechtliche Bieterverfahren (Grundstücksveräußerungen) . . . . . . . . . . . . .392
219 OLG Brandenburg, Urteil vom 24.04.2012 –
6 W 149/11 (Grundstück zur Sanierung und Neubebauung) . . . . . . . . . . . . . . .392
2.
3.
4.
5.
6.
XI
XII
7.
Öffentlich-rechtliche Genehmigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .396
220 VG Halle, Urteil vom 22.03.2012 –
3 A 157/09 (Rettungsdienstleistungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .396
221 VG Karlsruhe, Beschluss vom 16.01.2013 –
3 K 2352/11 (automatisierte Rechtsdokumentation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .398
XII.
VERGABERECHT UND FÖRDERRECHT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .401
222 OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20.04.2012 –
4 A 1055/09 (Fernwärme-Übernahmestation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .401
223 EuG, Urteil vom 21.11.2012 – T-270/08 (Teltowkanalbegleitstraße) . . . . . . . . .404
224 BVerwG, Beschluss vom 13.02.2013 –
3 B 58.12 (Fernwärme-Übernahmestation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .408
I.
ANWENDUNGSBEREICH DER
§§ 97 FF. GWB
1.
Persönlicher Anwendungsbereich –
Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB
1
VK Berlin, Beschluss vom 14.10.2011 –
VK-B 2-24/11 (Elektroinstallationsarbeiten)
1. Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist die Vergabe von Elektroinstallationsarbeiten. Sie sind Teil der Instandsetzung und Modernisierung von insgesamt
703 Wohneinheiten. Mit Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vom ... (Amtsblatt
der EG 2011/S ...) schrieb die Antragsgegnerin, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, im offenen Verfahren die in insgesamt 32 Lose zerlegte Leistung aus.
Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das vorliegende Verfahren bezieht sich
ausschließlich auf Los ... (... Bauabschnitt Elektro). (…)
2. II. Der zulässige Antrag ist in der Sache teilweise erfolgreich.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. 1.1 Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB. Bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften reicht der gewachsene wettbewerbliche Druck auf dem Wohnungs-und Grundstücksmarkt nicht aus, um ihre Aufgabenwahrnehmung
insgesamt als gewerblich zu klassifizieren. Denn anders als bei privaten
Unternehmen am Markt, kann sich ein kommunaler Wohnungsversorger
nicht dem in dem Gesellschaftsvertrag festgelegten Zweck durch wirtschaftliche Überlegungen entziehen (VK Schleswig-Holstein Beschl. v. 3.11.2004, Az.
VK SH-28/04; VK Berlin Beschl. v. 26.08.2004, Az. VK-B-1 36/04). Die übrigen
Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB liegen bei einem Wohnungsunternehmen
vor (KG Beschl. v. 11.11.2004, Az. 2 Verg 16/04; Beschl. v. 13.11.2003, Az. 2 Verg
4/03; differenzierend: OLG Karlsruhe Urt. v. 17.4.2008, Az. 8 U 228/06). Demgemäß ordnet Kammer auch die Antragsgegnerin als öffentlichen Auftraggeber ein.
2
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.11.2012 –
15 Verg 9/12 (Rahmenvereinbarung bildgebenden Geräten)
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 12.07.2012 dem Nachprüfungsantrag stattgegeben, und das Vergabeverfahren aufgehoben. Das Vergabenachprüfungsverfahren
sei statthaft. Zwar sei die Antragsgegnerin nicht selbst öffentlicher Auftraggeber
1
im Sinne von § 98 Nr. 1 bis 6 GWB, da sie als juristische Person des Privatrechts
weder von ihren ca. 700 Vertragshäusern (Kliniken, Altenheime, Wohn- und
Pflegeheimen, ambulante Pflegedienste, etc.) finanziert, noch in irgendeiner
Form beeinflusst oder beherrscht werde, sondern vielmehr als unabhängiger
Dienstleister diese Einrichtungen bei deren Beschaffungsvorhaben unterstütze.
Allerdings handele sie jedenfalls auch als Stellvertreterin von zahlreichen Vertragshäusern mit öffentlicher Auftraggebereigenschaft im Sinne von § 98 Nr.
2 GWB. Die Stellvertretereigenschaft ergebe sich nicht schon aus der öffentlichen
Bekanntmachung der Ausschreibung, jedoch aus der Art der Durchführung. So sei
es das Vertragsverständnis sowohl von Bietern als auch von der Antragsgegnerin
gewesen, dass diese (die Antragsgegnerin) bei der Ausschreibung als Vertreter der
jeweiligen Auftragsgeber handele. Vertragspartner der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung sollten die jeweiligen Bieter, welche den Zuschlag erhalten, auf der
einen Seite, auf der anderen Seite die Vertragshäuser der Antragsgegnerin werden.
Aufgrund dessen seien die Vergabevorschriften des 4. Teils des GWB anwendbar.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.
A.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
1. Der Anwendungsbereich des § 97 ff. GWB ist eröffnet. Zwar handelt es sich bei
der Antragsgegnerin nicht um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne von
§ 98 Nr. 1 GWB. Allerdings ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin und den hierzu vorgelegten Unterlagen, dass sie das Vergabeverfahren im Namen ihrer Vertragshäuser führt, zu denen eine Vielzahl öffentlicher
Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB zählen.
2.
Persönlicher Anwendungsbereich –
Baukonzessionär (§ 98 Nr. 6 GWB)
3
OLG München, Beschluss vom 05.04.2012 –
Verg 3/12 (Hochschulcampus Garching)
Der Freistaat Bayern schrieb 2007 eine Baukonzession für die Gestaltung der Neuen
Mitte am Hochschulcampus G. aus. Diesen Auftrag erhielt die Antragsgegnerin im
Jahr 2008. Die Antragsgegnerin lobte am 10.3.2011 einen Realisierungswettbewerb im Wege eines einstufigen nicht offenen Wettbewerbs aus. Eine europaweite
Bekanntmachung erfolgte nicht.
2. Grundlegende rechtliche Ausführungen
a). Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 6 GWB.
2
aa) Nach § 98 Nr. 6 GWB sind öffentliche Auftraggeber „natürliche oder juristische
Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter die Nummern 1 bis 3
fallen, einen Vertrag über eine Baukonzession abgeschlossen haben, hinsichtlich
der Verträge an Dritte“. Die Antragsgegnerin ist eine Person des privaten Rechts,
welche mit dem Freistaat Bayern, einer Stelle des § 98 Nr. 1 GWB, einen Vertrag über eine Baukonzession abgeschlossen hat, nämlich die Vereinbarung vom
10.5./11.5.2011 einschließlich des Erbbaurechtsvertrags vom 10.5./11.5.2011. In
der Bezugsurkunde heißt es wörtlich:
„Der Freistaat Bayern beabsichtigt, die Aufenthaltsqualität auf dem Hochschulgelände
in G. zu verbessern und die Wirksamkeit von Forschung und Lehre zu optimieren.
Daher soll eine zentral gelegene Fläche von ca. 10.000 m² für die private Nutzung und
Vermarktung durch einen Investor freigegeben werden. Investor ist die Antragsgegnerin (vom Senat eingefügt).
Dem Investor soll das Recht eingeräumt werden, dort Gebäude unterschiedlicher
Nutzungen mit insgesamt ca. 32.700 m² Bruttogeschossfläche zu planen, zu errichten und zu betreiben. Er ist verpflichtet, ... dem Freistaat Bayern Unterrichtsräume
bereitzustellen und zur Nutzung auf der Grundlage der abzuschließenden Nutzungsvereinbarung zu überlassen. Grundlage der Nutzung durch den Investor soll ein auf 50
Jahre einzuräumendes Erbbaurecht sein.“
cc) § 98 Nr. 6 GWB enthält vom Wortlaut her keinerlei Begrenzungen im Hinblick
auf die Art der zu vergebenden Aufträge. § 98 Nr. 6 GWB betrifft vielmehr
alle Aufträge, welche der Baukonzessionär seinerseits zur Erfüllung seiner
Verpflichtungen aus dem Konzessionsvertrag erbringt, wenn er diejenigen
Leistungen, die Gegenstand der Baukonzession sind, nicht selbst erbringt.
Die Auftraggebereigenschaft des Baukonzessionärs gilt dabei hinsichtlich der
Vergabe von Aufträgen an Dritte; dies gilt aber notwendigerweise nur für solche
Aufträge, die von dem Baukonzessionär gerade in dieser Eigenschaft und zur
Erfüllung der ihm vom ursprünglichen Auftraggeber übertragenen Verpflichtungen vergeben werden. Aufträge an Dritte, die nicht der Erfüllung der Verpflichtungen des Baukonzessionärs aus der Baukonzession dienen, fallen nicht unter diese
Auftraggebereigenschaft (Ziekow in Ziekow/Völlink Vergaberecht § 98 GWB Rn.
171). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, eine Flucht aus
dem Vergaberecht durch die Vergabe von Baukonzessionen zu verhindern. Würde
der Baukonzessionär nicht seinerseits zum öffentlichen Auftraggeber, so wäre die
Vergabe von Bauleistungen auf dieser Stufe dem Wettbewerb entzogen; der Baukonzessionär fungiert quasi als verlängerter Arm des Konzessionsgebers (Ziekow
aaO Rn. 172; Dreher in Immenga/Mestmäcker 4. Aufl. § 98 Rn. 199).
b) Die Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin nach § 98 Nr. 6 GWB hat bei der
Vergabe von Planungsleistungen, welche zu der ihr übertragenen Baukonzession
zählen, die allgemeinen und grundlegenden Regeln des Vergaberechts zu beachten.
3
Von der Frage nach der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber ist die Frage zu
trennen, welche Vorschriften der Baukonzessionär bei der Vergabe von Aufträgen
an Dritte anzuwenden hat. Einschlägig sind hier die Regelungen der §§ 5 und 6 VgV.
Bei den Planungsleistungen handelt es sich um freiberufliche Leistungen, welche
bei öffentlichen Auftraggebern in der Regel den Vorschriften der VOF unterfallen.
Für die öffentlichen Auftraggeber des § 98 Nr. 6 GWB sieht § 5 VgV die Anwendung der VOF jedoch nicht vor, so dass für diese öffentlichen Auftraggeber bei
der Vergabe von freiberuflichen Leistungen keine Bindung an die Vorschriften
der VOF gegeben ist (Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind § 5 VgV Rn. 1;
Beurskens in PK Kartellvergaberecht § 5 VgV Rn. 3; ähnlich Dreher in Dreher/
Stockmann aaO § 98 Rn. 209). Es können aber auch nicht die in § 6 Abs. 1 VgV
genannten Vorschriften der VOB/A in Betracht kommen, zum einen, weil keine
Bauleistungen vergeben werden sollen, zum anderen, weil die Vorschriften der
VOB/A auf die Vergabe von freiberuflichen Leistungen nicht passen, zumal der
Leistungsgegenstand im voraus nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben
werden kann. Damit scheidet auch eine analoge Anwendung von Vorschriften
der VOL/A aus.
Offensichtlich ist das Problem der getrennten Vergabe von Bauleistungen und Planungsleistungen durch Baukonzessionäre bisher nicht ausdrücklich geregelt worden.
Doch bleibt im Oberschwellenbereich jedenfalls die Bindung an die Grundsätze einer
ordnungsgemäßen Vergabe, das sind zumindest die Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Transparenzgebotes. Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass diese Bindung nicht weiter gehen kann als die Vorschriften der VOF selbst.
3.
Sachlicher Anwendungsbereich – Auftragswert (§ 3 VgV)
4
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 08.05.2012 –
11 Verg 2/12 (Rechtsberatung/Organisationsuntersuchung)
Der Antragsgegner hat gemäß Bekanntmachung vom 21.12.2011 den Auftrag der
Vergaberechtlichen Überprüfung von Beschaffungsvorgängen und der Erstellung einer
Organisationsuntersuchung über das für das Beschaffungswesen der ... zuständige
Präsidium ... im Verhandlungsverfahren nach der VOF europaweit ausgeschrieben.
Nach der Bekanntmachung war die losweise Vergabe von zwei Untersuchungsaufträgen beabsichtigt:
Gegenstand des Loses 1 sollte die juristische Überprüfung von mindestens 25
Beschaffungsvorgängen aus den Jahren 2006 bis 2011 anhand der einschlägigen
vergaberechtlichen Bestimmungen des EU-, Bundes- und Landesrechtes sein; die
entsprechenden Vergabeverfahren sollten außerdem daraufhin untersucht werden,
ob die jeweilige Vergabe unter Sicherstellung der gebotenen Transparenz und einer
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hinreichenden Wettbewerbswirtschaftlichkeit erfolgt ist. Etwaige Rechtsverstöße
sollten auf ihre Relevanz bewertet werden und es sollten Verbesserungsvorschläge
für zukünftige Beschaffungsvorhaben unterbreitet werden.
Gegenstand des Loses 2 sollte eine Organisationsuntersuchung des | sein, wobei
die bestehenden Geschäftsabläufe, Prozesse und Strukturen, Ablauf- und Aufbauorganisation des ... sowie Schnittstellen bzw. Zuständigkeitsordnungen zwischen ...
Ministerien und andern Stellen untersucht werden sollten. Die Ergebnisse der Falluntersuchung (Los 1) und die sich daraus ggf. ergebenden rechtlichen Implikationen
sollten dabei berücksichtigt werden.
Als zuständige Stelle für Rechtsbehelfs- und Nachprüfungsverfahren war die Vergabekammer des Landes Hessen angegeben.
2. Im Hinblick darauf hat eine Zusammenrechnung der Lose nach § 3 Abs. 7 Satz 3
VgV nur dann zu erfolgen, wenn „dieselbe freiberufliche Leistung“ vorliegt. Dies
ist hinsichtlich der beiden hier gegenständlichen Leistungen nicht der Fall:
(1) Los 1 umfasst eine rein rechtsberatende Tätigkeit, die zwingend durch Juristen
durchzuführen ist, während es sich bei Los 2 um eine Organisationsberatung
unter verwaltungstechnischen bzw. betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten
handelt. Dass es sich hierbei grundsätzlich um verschiedenartige freiberufliche
Leistungen handelt, wird auch von den Antragstellern nicht in Zweifel gezogen.
(2) Allerdings entsprach es unter Geltung der mit § 3 Abs. 7 Sat2 3 VgV gleichlautenden Vorläufervorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 VOF 2006 (in Kraft bis zum
10.6.2010) vor allem für den Bereich von Architektenleistungen der herrschenden
Meinung, dass Lose über an sich nicht gleichartige freiberufliche Leistungen dann
zu addieren sind, wenn der Auftraggeber diese zusammenfassen und einheitlich vergeben will (vgl. Müller-Wrede, VOF, 3. Aufl., 2008, § 3 VOF Rdnr. 18ff;
Weyand, Vergaberecht, § 3 VgV Rdnr. 5634 ff)).Diese Grundsätze hat das OLG
München in der von den Antragsteilem in Bezug genommenen Entscheidung vom
28.4.2006 – Verg 6/06, (NZBau 2007, 59 – VergR 2006, 914) auch auf den Fall
verschiedenartiger Beratungsleistungen angewandt. Der dortige Auftraggeber
hatte für ein geplantes PPP-Projekt drei verschiedene Beratungsleistungen in drei
Losen ausgeschrieben: wirtschaftliche, technische und juristische Beratung, Er
hatte sich dabei vorbehalten, statt mehrerer Vertragspartner einen Berater bzw.
eine Beratergemeinschaft zu wählen und sich ggf. ein alle Lose umfassendes
Gesamtkonzept erarbeiten zu lassen. In diesem Fall hielt das OLG München eine
Addition der Einzelauftragswerte für erforderlich, weil die Ausschreibung die Möglichkeit einer Vergabe aller Leistungen an einen „Generalberater“ beinhaltet habe.
(3) Der vorliegende Fall ist hiermit jedoch nicht vergleichbar. Zwar hat der
Antragsgegner die Möglichkeit von Bietergemeinschaften ebenso wie die
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Möglichkeit, sich auf beide Lose zu bewerben, zugelassen (und damit implizit auch die Möglichkeit eröffnet, dass ein und derselbe Bieter den Zuschlag
für beide Lose erhält). Dies allein führt jedoch noch nicht zu einer zwingenden Zusammenrechnung der Auftragswerte der beiden Lose, Die Vorschriften
des § 3 Abs. 7 Satz 2 und 3 VgV würden ins Leere laufen, wenn man auch im
Falle von Lieferauftragen nach der VOL und freiberuflichen Aufträgen nach der
VOF ohne Rücksicht auf die Gleichartigkeit der Lieferungen bzw. freiberuflichen
Leistungen bereits dann eine Zusammenrechnung vornehmen würde, wenn eine
Bewerbung für mehrere Lose möglich ist. Denn wenn nicht bereits im Ausschreibungsverfahren ausdrücklich Mehrfachgebote ausgeschlossen werden, ist es
bei jeder Ausschreibung denkbar, dass sich ein Bieter – sei es aufgrund eigener
breiter Leistungspalette, sei es in Zusammenarbeit mit anderen als Subunternehmer bzw. als Bietergemeinschaft- auf mehr als ein Los bewirbt, auch wenn die
ausgeschriebenen Lieferungen bzw. Leistungen nicht gleichartig sind. Zu der faktischen Möglichkeit des Mehrfachgebotes muss daher noch eine Entscheidung
des Auftraggebers treten, diese Lose ggf. zu einem einheitlichen Auftrag zusammenzuführen. Erst dadurch werden die Lieferungen bzw. Leistungen gleichartig
im Sinne der Verordnung.
Eine solche Entscheidung des Auftraggebers, einen einheitlichen Auftrag
zumindest in Erwägung zu ziehen, ist bei der streitgegenständlichen Ausschreibung nicht getroffen worden. Der Antragsgegner hat ausdrücklich die beabsichtigte „Vergabe von zwei Untersuchungsaufträgen“ bekannt gemacht, die
getrennt voneinander zu bearbeiten sind und für die zwei getrennte Vertrage
(deren Entwürfe sich bei den Unterlagen befinden und die den ausgewählten
Bietern der zweiten Verfahrensstufe jeweils übersandt worden sind) vorgesehen
sind. Anders als im Fall des OLG München geht es nicht um eine gleichzeitige
Beratung auf verschiedenen Gebieten, so dass bereits die objektive Interessenlage
einen „Generalberater nahelegte, sondern um zwei getrennte Untersuchungsaufträge, bei denen lediglich die Ergebnisse der ersten Untersuchung bei der zweiten,
die zeitlich erst nach der ersten statt finden soll, mit berücksichtigt werden müssen.
Eine weitergehende Verknüpfung der beiden Aufträge war nach dem erkennbaren
Willen des Antragsgegners nicht beabsichtigt. Dass nach Abschnitt III. 1.3) der Auftragsbekanntmachung im Falle der Bewerbung einer Bietergemeinschaft die nach
dieser Position geforderte Bietererklärung für beide Lose insgesamt abzugeben ist,
wird antragsgegnerseits schlüssig mit Vereinfachungserwägungen begründet und
lässt keinen Rückschluss auf eine – und sei es auch nur vorbehaltene – Absicht einer
gemeinsamen Vergabe zu.
6
5
OLG Dresden, Beschluss vom 24.07.2012 –
Verg 2/12 (Beseitigung von Ölverunreinigungen)
II. Die Beschwerde ist begründet.
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsbegehrens der Antragstellerin steht aber auch
nicht entgegen, dass der Auftragswert nach Maßgabe einer zumindest vertretbaren
Schätzung des Auftraggebers den notwendigen Schwellenwert unterschreitet. Denn
tatsächlich liegt der Auftragswert – deutlich – über 193.000,00 EUR.
Das ergibt sich – ungeachtet dessen, dass die Antragstellerin den Wertansatz des
Antragsgegners bei mehreren der verwendeten wertbestimmenden Faktoren nachvollziehbar beanstandet hat – schon allein daraus, dass der Antragsgegner seiner
Schätzung eine für die ausgeschriebenen Reinigungsarbeiten anzusetzende Frischwassermenge von 300 cbm (also 300.000 Liter) zugrunde gelegt hat. Unstreitig wird
dieses Frischwasser mit dem zu beseitigenden Öl in ein geschlossenes Reinigungssystem eingebracht, also eine Reinigungsmaschine, die das bei der Straßenreinigung
entstehende Öl-Wasser-Gemisch aufnimmt, welches anschließend – darüber streiten
die Beteiligten nicht (mehr) – fachgerecht entsorgt werden muss. Zwar muss die
Entsorgungsmenge der Menge des eingesetzten Frischwassers nicht notwendig entsprechen. Der Vertreter der Beigeladenen hat in der Verhandlung vor dem Senat dazu
ausgeführt, dass die Entsorgungsmenge insbesondere witterungsabhängig schwanken kann, von 50% bis 75% der Frischwassermenge bei sonnigem und heißem Wetter bis zu deutlich mehr als 100% bei regnerischem Wetter und nasser Straße. Der
Antragsgegner hat seiner Wertschätzung aber lediglich eine Entsorgungsmenge von
3000 1 zugrunde gelegt, d. h. ein Verhältnis von 1 : 100 bezogen auf die eingesetzte
Frischwassermenge. Eine auch nur ansatzweise wirklichkeitsnahe Menge hätte,
selbst unter Heranziehung der für den Antragsgegner günstigsten Vergleichsgröße
(siehe oben), 50-mal höher gelegen. Dies allein führt unter Heranziehung der vom
Antragsgegner geschätzten Entsorgungskosten pro Mengeneinheit zu einer Erhöhung
des Auftragswerts um rund 68.000,00 EUR oder etwas das 15-fache der Differenz
zwischen dem Schwellenwert und dem vom Antragsgegner seiner Ausschreibung
zugrunde gelegten Auftragswert. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat sich außer
Stande, die vom Antragsgegner vorgenommene Schätzung noch als ordnungsgemäß
einzustufen.
Dabei ist zuzugeben, dass Auftraggeber bei der Ermittlung des Auftragswerts einen
Beurteilungsspielraum haben, welcher der Kontrolle der Nachprüfungsorgane nur
eingeschränkt zugänglich ist. Es handelt sich um eine ex ante zu treffende Prognose,
die nicht dadurch ohne Weiteres sachwidrig wird, dass der Prognosewert sich durch
nachfolgend gewonnene Erkenntnisse verschiebt. Der Auftraggeber ist aber gehalten, eine ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswerts vorzunehmen. Fehlende
Sachkenntnis des Auftraggebers rechtfertigt eine Wertschätzung, die (wie hier)
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realistische Verhältnisse sogar drastisch verfehlt, jedenfalls dann nicht, wenn
das für eine vertretbare Schätzung notwendige Wissen für den Auftraggeber
zugänglich und auf zumutbare Weise zu beschaffen war. Ansonsten würde das
überprüfungsfreie Schätzermessen des Auftraggebers proportional zu seiner
Unkenntnis wachsen und völlige Ahnungslosigkeit jedes Schätzergebnis rechtfertigen, solange keine bewusste, manipulative oder sonst willkürliche Fehlschätzung vorliegt.
Das hielte der Senat nicht für zutreffend. Eine im vorgenannten Sinne missbräuchlich
falsche Schätzung des Auftragswerts durch den Auftraggeber ist nicht die einzige
Grenze, an der eine nachträgliche Schätzungskontrolle möglich wird. Der Senat unterstellt dem Antragsgegner mit seiner Sichtweise daher auch nicht, sich in dieser Weise
fehlerhaft verhalten zu haben. Dennoch ist die hier in Rede stehende Schätzung, mag
sie auch guten Glaubens erfolgt sein, so weit von den tatsächlichen Verhältnissen
entfernt, dass sie nicht mehr hinnehmbar ist. Das gilt jedenfalls angesichts der Tatsache, dass die zu einer realistischen Schätzung erforderlichen Kenntnisse, wie die
übereinstimmenden Angaben der Beteiligten im Senatstermin gezeigt haben, am
Markt ohne Weiteres zugänglich und – zumindest in einer Bandbreite, die für die
hier in Rede stehende Größenordnung unschädlich ist – auch nicht umstritten waren.
Dass die Schätzung der Entsorgungsmenge durch den Antragsgegner angesichts
des von ihm ausgeschriebenen Reinigungskonzepts (geschlossenes System, siehe
oben) nicht einmal nahe lag, hätte zudem zu zusätzlicher Erkundung und Verifizierung
Anlass geben müssen, und dies erst recht angesichts dessen, dass bereits relativ
geringfügige Mehrmengen zu einer offenkundigen Überschreitung des Schwellenwerts geführt hätten.
Dass die Antragstellerin bei früheren Versuchen des Antragsgegners, das nämliche
Beschaffungsvorhaben auszuschreiben, entsprechend realitätsferne Mengenansätze
des Antragsgegners unbeanstandet gelassen haben mag, führt nicht dazu, dass die
Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsbegehren nunmehr präkludiert wäre oder nach
Treu und Glauben dem Einwand der Verwirkung unterläge. Eine verfahrensrechtliche Regelung zum Ausschluss entscheidungserheblichen Tatsachenvortrags gibt es
im vorliegenden Zusammenhang nicht. Ein Verwirkungseinwand mag grundsätzlich
vorstellbar sein, wenn ein Bieter ein Ausschreibungsverhalten des Auftraggebers als
falsch erkennt und dennoch ausdrücklich akzeptiert, um es dann ohne nachvollziehbaren Grund bei anderer Gelegenheit doch zu beanstanden. Ein solcher Sachverhalt
ist hier indes weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
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KG, Beschluss vom 28.09.2012 –
Verg 10/12 (Ausgabeanlage – Umbau der Mensa)
2. Der Vergabenachprüfungsantrag ist – nach derzeitigem Sach- und Streitstand
sowie dessen naturgemäß vorläufiger Bewertung durch den Senat – unzulässig.
8
Denn der gemäß § 107 Abs. 1 GWB gestellte Antrag ist gemäß § 100 Abs. 1 GWB,
§ 2 Nr. 6 VgV unstatthaft, nachdem der streitgegenständliche Bauauftrag nicht einen
Wert von 5.000.000 EUR erreicht. Letzteres ergibt sich aus Folgendem:
a) Der streitgegenständliche Bauauftrag ist der ... im ... ausgeschriebene Auftrag ...
Ausgabeanlage – Umbau der Mensa S... „ (Anlage ASt 1 zur Beschwerdeschrift).
b) Der Wert dieses Auftrages beträgt, für sich allein genommen, gemäß § 3 Abs. 1
VgV ca. 400.000 EUR.
bb) Eine Hinzurechnung ist auch nicht gemäß § 3 Abs. 7 VgV geboten.
Denn die genannten, anderen Aufträge sind nicht „Lose“ des streitgegenständlichen
Auftrages. Dies folgt im Ausgangspunkt aus dem Umstand, dass der Text der Ausschreibung ... Ausgabeanlage – Umbau der Mensa S... „ (Anlage ASt 1 zur Beschwerdeschrift) den streitgegenständlichen Auftrag nicht als „Los“ einer größeren Gesamtbaumaßnahme ausweist, sondern als einen für sich allein stehenden Einzelauftrag.
Zwar kommt im Hinblick auf § 3 Abs. 2 VgV in Betracht, einen formal als Einzelauftrag
ausgeschriebenen Bauauftrag vergaberechtlich als „Los“ einer Gesamtbaumaßnahme
anzusehen, wenn einzelne Bauabschnitte ohne die anderen keine sinnvolle Funktionen erfüllen können (so Lausen in Heiermann/Zeiss/Blaufuß, Vergaberecht, 3. Aufl.
2011, § 2 Rdnr. 12; ähnlich: OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.08.2002 – Verg W 4/02,
Leitsatz 1 und Rdnr. 66 f zit. nach Juris: „Aufteilung ist nicht durch objektive Gründe
gerechtfertigt“). Die genannte Voraussetzung ist vorliegend jedoch nicht erfüllt. Denn
die Nutzung einer neuen Essensausgabeanlage ist sinnvoll möglich, ohne dass
die anderen, vorliegend in Rede stehenden Aufträge (d.h. Schaffung neuer Kälteanlagen/Kühlraumumbau, Malerarbeiten, Schaffung neuer Küchentechnik,
Fliesen- und Natursteinarbeiten, Putzarbeiten und Tischlerarbeiten) ausgeführt
sind. Zudem war die Aufteilung in verschiedene Einzelaufträge vorliegend
objektiv gerechtfertigt, weil die Ausführung der verschiedenen Arbeiten unterschiedliche handwerkliche Leistungsfähigkeiten der Auftragnehmer voraussetzt
und daher nicht ohne weiteres von einem einzigen Bauunternehmer erbracht
werden konnte.
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OLG München, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 19/12 (Kinderpalliativzentrum)
1. Der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen ist eröffnet.
a) Nach § 100 Abs. 1 GWB gelten die Regeln der §§ 97 ff. GWB für Aufträge, welche
den jeweiligen Schwellenwert überschreiten. Der Schwellenwert für den ausgeschriebenen Bau- und Planungsauftrag lag zum Zeitpunkt der Ausschreibung nach
§ 2 Nr. 3 VgV bei 4.845.000 Euro. Nach § 3 Abs. 1 VgV ist bei der Schätzung des
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Auftragswertes von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung auszugehen. Ausschlaggebend ist die vom Auftraggeber vorgenommene
Kostenschätzung vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens, § 3 Abs. 9 VgV.
Dieser Wert ist auch dann zugrunde zu legen, wenn sich im weiteren Verlauf des
Vergabeverfahrens zeigen sollte, dass der Wert der benötigten Leistung oberhalb
oder unterhalb des maßgebenden Schwellenwertes liegt (OLG Düsseldorf vom
22.7.2010 – Verg 34/10). Den Auftragswert überprüfen die Nachprüfungsinstanzen von Amts wegen (Greb in Ziekow/Völlink Vergaberecht § 3 VgV Rn. 20). Die
Schätzung des Auftragswerts ist dann korrekt, wenn alle ausgeschriebenen Positionen zu ordnungsgemäß ermittelten Preisen bei der Berechnung berücksichtigt
worden sind.
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Schätzung des Auftragswertes durch den
Antragsgegner vor Beginn des Ausschreibungsverfahrens nicht in Ordnung, weil
sie die ausgeschriebenen Planungsleistungen nicht enthält, sondern lediglich die
reinen Bauwerkskosten. Der Antragsgegner hat damit den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
Es trifft zwar zu, dass Baunebenkosten grundsätzlich bei der Schwellenwertberechnung nicht zu berücksichtigen sein sollen (Herrmann in Ziekow/Völlink § 1a
VOB/A Rn. 8), doch gilt dies nicht für den Fall, dass der Auftraggeber sowohl
die Leistung als auch die Planung ausschreibt, weil sich der Auftrag bzw. der
abzuschließende Vertrag dann auf beide Leistungsteile bezieht (VK Saarland
vom 14.7.2010 – 1 VK 08/2010). Ausschlaggebend ist insoweit das auftragsgegenständliche Leistungsverzeichnis. Hier sind Planungsleistungen sowohl nach der
Bekanntmachung, in welcher neben der Bauausführung auch die Planung ausgeschrieben worden ist, als auch nach der Leistungsbeschreibung, in welcher die Positionen
der Kostengruppe 700 im Titel 9.7 im Einzelnen aufgeführt sind, jedenfalls zu einem
gewissen Teil Bestandteil des ausgeschriebenen Auftrages. Der Senat konnte auch den
Ausführungen des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung entnehmen, dass
die Vergabe sich auf die Kostengruppen 300, 400, 500 und 700 beziehen sollte. Damit
sind Planungsleistungen, welche im Titel 9.7 des LV enthalten und vom Auftragnehmer
zu erbringen sind, zu den Bauausführungskosten bei der Schätzung des Auftragswertes
hinzuzurechnen. Dies ist vom Antragsgegner offensichtlich übersehen worden. Er hat
diese Planungsleistungen nicht bei den geschätzten Kosten für die GU-Leistung berücksichtigt, sondern außerhalb dieser Leistung mit pauschal ca. 1,1 Mio Euro bewertet.
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OLG München, Beschluss vom 31.01.2013 –
Verg 31/12 (Ortsumgehung L.-K.)
Der Auftraggeber kann sich, wenn er eine Gesamtbaumaßnahme in mehrere Ausschreibungen unterteilt, jedenfalls dann nicht mehr auf die ursprüngliche Schätzung
berufen, wenn sich die Sachlage erheblich geändert hat.
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Die Prognose ist eine vorläufige Einschätzung, welche die Grundlage für die Bearbeitung und Durchführung der Ausschreibung bildet. Ändert sich im Lauf der Zeit die
Schätzungsgrundlage, weil sich die Schätzungsparameter aufgrund neu gewonnener
Erkenntnisse geändert haben, ist die Schätzung anzupassen. § 7 Abs. 9 VgV steht dem
nicht entgegen. Der Wortlaut spricht von der „beabsichtigten“ Auftragsvergabe, lässt
folglich eine Subsumtion auch des einzelnen Vergabeverfahrens einer Gesamtvergabe
unter den Begriff zu. Könnte sich der Auftraggeber trotz wesentlicher Änderung der
Verhältnisse nach wie vor auf die ursprüngliche Schätzung berufen, hätte dies zur Konsequenz, dass sich der Auftraggeber bis zur Gesamtabwicklung der Baumaßnahme
auf eine offensichtlich falsche Schätzung berufen und eine europaweite Ausschreibung bewusst vermeiden könnte. Eine solche Folge ist nicht hinnehmbar; vielmehr
sind erhebliche Änderungen zu berücksichtigen, wie bei anderen Prognoseentscheidungen des Auftraggebers auch, zum Beispiel bei der Beurteilung der Eignung (vgl.
hierzu OLG München vom 22.11.2012 – Verg 22/12).
4.
Sachlicher Anwendungsbereich –
öffentlicher Auftrag (§ 99 GWB)
9
VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.08.2012 –
VK-SH 17/12 (Geschäftskomplex)
1. Eine Baukonzession im Sinne von § 99 Abs. 6 GWB scheidet grundsätzlich aus,
wenn der Private ein unbefristetes Nutzungsrecht erhält. Dies ist insbesondere
dann gegeben, wenn der Private das Eigentum an der streitgegenständlichen
Anlage erwirbt.
2. Zur Frage des Vorliegens eines unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteils im Rahmen
eines öffentlichen Bauauftrages.
Hier hat die Antragsgegnerin keinen echten Beschaffungswillen, sondern
lediglich ein städtebauliches Interesse an der Bereitstellung der streitgegenständlichen Parkplätze. Der Antragsgegnerin geht es vorrangig darum, den für Sie
äußerst unbefriedigenden in privatem Dritteigentum befindlichen Leerstand inmitten
des Marktplatzes zu beseitigen und diesen attraktiven Standort „wiederzubeleben“.
Aus diesem Grund hat sie an der Realisierung des selbstständig und initiativ von der
Beigeladenen entwickelten Investitionsprojekts ein großes Interesse. Die Realisierung
dieses konkreten Projekts bringt zwingend den Abriss der bisherigen Parkpalette mit
sich. Und aufgrund dieses zwingenden Abrisses hat sie ein Interesse daran, diese
wegfallenden Parkplätze durch die geplanten wiederherzustellen. Dass die neu geplanten Parkplätze lediglich die bisherigen (und zukünftig wegfallenden) wiederherstellen
sollen, wird auch daraus deutlich, dass es sich um die gleiche Anzahl von Parkplätzen
handelt. So sollen die bisherigen [...] Stellplätze durch ebenso [...] Stellplätze ersetzt
werden.
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In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die Historie des Projekts hinzuweisen. Wie die Antragsgegnerin und die Beigeladene zur Überzeugung der Kammer
ausgeführt haben, war es allein die Beigeladene, die die Idee zum Gesamtprojekt hatte
und dieses schließlich immer weiterentwickelt hat. Sie bemühte sich selbstständig um
den Erwerb der in Privateigentum stehenden Grundstücke und sicherte sich daran das
Eigentum oder jedenfalls gesicherte Anwartschaften. Wie bereits angemerkt, dient
dieses Projekt auf Seiten der Antragsgegnerin lediglich städtebaulichen Interessen.
Dass dieses Projekt notwendigerweise den Abriss der bisherigen – ungeliebten –
Parkpalette erfordert und die Beigeladene im Zuge des Neubaus die gleiche Anzahl an
Parkplätzen auf dem – vom Standort her attraktiveren – Dach des neuen Einkaufszentrums wiederherstellen wird, ist für die Antragsgegnerin nichts weiter als eine günstige
Gelegenheit. Wie in der mündlichen Verhandlung mehrfach betont, hätte die Antragsgegnerin niemals allein die Errichtung eines neuen Parkplatzes ausgeschrieben.
Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung auch bekundet, an einem solchen isolierten Bauauftrag kein Interesse zu haben.
Der Antragsgegnerin geht es also ausschließlich um ihre städtebaulichen Interessen.
Die Errichtung der Parkplätze dient lediglich der Aufrechterhaltung des status quo
bezüglich des öffentlichen Parkplatzangebotes. Ein unmittelbares wirtschaftliches
Interesse an der Errichtung der Parkplätze liegt darin nicht. Doch selbst wenn man
ein solches isoliertes Interesse an der Errichtung der Parkplätze annehmen sollte, wäre
der maßgebliche Schwellenwert hier deutlich unterschritten.
Ihr – unterstelltes – unmittelbares wirtschaftliches Interesse würde auch nicht, wie
es für das Erreichen des Schwellenwertes erforderlich wäre, auf das Gesamtprojekt
ausstrahlen (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.2011 – 1 VK 67/10)
oder das Gesamtprojekt „infizieren“.
Nach Ansicht der erkennenden Kammer kommt es hierauf jedoch auch nicht an.
Denn sie gelangt im Rahmen einer wertenden Beurteilung zu dem Ergebnis, dass die
wirtschaftlichen Vorteile, die der Antragsgegnerin insoweit überhaupt nur erwachsen
können, nicht die Annahme eines unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteils rechtfertigen. Im Verhältnis zum Gesamtbauvolumen von ca. [...] Mio. EUR handelte es sich
bei den Baukosten für die [...] Parkplätze einschließlich der Zubringerstraßen um einen
so untergeordneten Betrag, der es nicht rechtfertigt anzunehmen, dass die Antragsgegnerin ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Errichtung des Gesamtkomplexes besitzt (vgl. VK Baden-Württemberg, a.a.O.). Der o.g. Gesamtbetrag der
beizusteuernden Entschädigung der Stadt beläuft sich auf ca. [...]% des angegebenen
Investitionsvolumens.
Ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse ließe sich im Übrigen auch nicht damit
begründen, dass der Antragsgegnerin aus dem Betrieb des Einkaufskomplexes Gewerbesteuereinnahmen zufließen. Die Umsetzung städtebaulicher Ziele in Anlehnung an
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einen vorliegenden Bebauungsplan im Hinblick auf die Verwirklichung allgemeiner
öffentlicher Interessen führt zu keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil, wenn
der betreffende Durchführungsvertrag mittelbar zu einem erhöhten Gewerbesteueraufkommen führt (VK Baden-Württemberg, a.a.O. unter Verweis auf OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 9.6.2010 – VII-Verg 9/10).
Im Übrigen dient das Vergaberecht nicht dazu, Investoren den Ankauf von interessanten öffentlichen Grundstücken zu ermöglichen. Insoweit kann es einer Gebietskörperschaft auch nicht zuzumuten sein, nur aufgrund ihres Eigentums an einem Schlüsselgrundstück ein darüberhinausgehendes privates Investorenvorhaben zu verhindern.
Insbesondere muss die Stadt hier ihre „Sperrminorität“ nicht ausnutzen, um zu Lasten
der initiativ tätigen Beigeladenen einen Wettbewerb um jeden Preis zu erzwingen,
auch unter Einbeziehung fremden Dritteigentums. Das für das streitgegenständliche
Vorhaben erforderliche Dritteigentum beträgt unbestritten [...]% ([...] qm). Die Flächen
der Stadt betragen nur [...]%.
10 EuGH, Urteil vom 19.12.2012 –
Rs. C-159/11 (Azienda Sanitaria Locale di Lecce)
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs fallen jedoch zwei Arten von Aufträgen, die von öffentlichen Einrichtungen vergeben werden, nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts der Union.
Erstens handelt es sich um Verträge zwischen einer öffentlichen Einrichtung und
einer rechtlich von dieser verschiedenen Person, wenn diese Einrichtung über die
betreffende Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und die
genannte Person zugleich ihre Tätigkeiten im Wesentlichen für die Einrichtung oder
die Einrichtungen ausübt, die ihre Anteile innehat bzw. innehaben (vgl. in diesem Sinne
Urteil Teckal, Randnr. 50).
Es steht allerdings fest, dass diese Ausnahme in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar ist, da aus der Vorlageentscheidung hervorgeht,
dass die ASL keine Kontrolle über die Universität ausübt.
Zweitens handelt es sich um Verträge, mit denen eine Zusammenarbeit von öffentlichen Einrichtungen bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen
Aufgabe vereinbart wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2009, Kommission/
Deutschland, C-480/06, Slg. 2009, I-4747, Randnr. 37).
In einem solchen Fall sind die unionsrechtlichen Vergabevorschriften nicht anwendbar,
sofern solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden, kein privater Dienstleistungserbringer besser
gestellt wird als seine Wettbewerber und die darin vereinbarte Zusammenarbeit nur
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durch Erfordernisse und Überlegungen bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im
öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil
Kommission/Deutschland, Randnrn. 44 und 47).
Zwar scheint, wie das vorlegende Gericht festgestellt hat, ein Vertrag wie der im
Ausgangsverfahren in Rede stehende einige der in den beiden vorstehenden Randnummern des vorliegenden Urteils erwähnten Kriterien zu erfüllen, doch ist das Vergaberecht der Union nur dann nicht auf ihn anwendbar, wenn er alle diese Kriterien
erfüllt.
Hierzu scheint aus den Angaben in der Vorlageentscheidung erstens hervorzugehen,
dass dieser Vertrag eine Reihe inhaltlicher Aspekte enthält, von denen ein erheblicher,
ja überwiegender Teil in Tätigkeiten besteht, die im Allgemeinen von Ingenieuren oder
Architekten ausgeübt werden und die, auch wenn sie auf einer wissenschaftlichen
Grundlage beruhen, gleichwohl nicht mit wissenschaftlicher Forschung gleichzusetzen
sind. Demnach hat es den Anschein, dass, anders als der Gerichtshof in Randnr. 37
des erwähnten Urteils Kommission/Deutschland feststellen konnte, mit der öffentlichen Aufgabe, die Gegenstand der mit diesem Vertrag vereinbarten Zusammenarbeit
zwischen öffentlichen Einrichtungen ist, keine der ASL und der Universität gemeinsam
obliegende öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird.
Zweitens könnte der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag zu einer
Bevorzugung privater Unternehmen führen, wenn zu dem hochqualifizierten
externen Personal, das die Universität laut Vertrag zur Durchführung bestimmter Leistungen heranziehen darf, private Dienstleistungserbringer zählen.
Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, sämtliche insoweit erforderlichen
Nachforschungen anzustellen.
Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das Recht der Union über die Vergabe öffentlicher Aufträge einer nationalen Regelung entgegensteht, die es erlaubt,
ohne Ausschreibung einen Vertrag zu schließen, mit dem öffentliche Einrichtungen
eine Zusammenarbeit vereinbaren, wenn – was zu prüfen Sache des vorlegenden
Gerichts ist – ein solcher Vertrag nicht die Wahrnehmung einer diesen Einrichtungen
gemeinsam obliegenden öffentlichen Aufgabe zum Gegenstand hat, nicht nur durch
Erfordernisse und Überlegungen bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen, oder geeignet ist, einen privaten
Dienstleistungserbringer besser zu stellen als seine Wettbewerber.
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11
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013 –
Verg 26/12 (Erwerb und Betrieb Strom- und Gasnetze)
1. Bei der Beschaffung sog. strategischer Partnerschaften (ÖPP) durch kommunale
Netzunternehmen besteht eine Ausschreibungspflicht nach GWB, wenn – ungeachtet des gewählten Beteiligungsmodells – der Vertrag jedenfalls (auch) Dienstleistungen zum Gegenstand hat, die wertmäßig den maßgebenden Schwellenwert erreichen oder übersteigen.
2. Die Entscheidung für eine Getrennt- oder Zusammenvergabe von Wegekonzession und Eingehung einer ÖPP unterliegt der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers. Deren Ausübung ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden,
sofern dafür sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen, die eine Ungleichbehandlung oder Diskriminierung von Bewerbern, und zwar allein wegen der Trennung
der Verfahren, ausschließen.
3. Eine lediglich befürchtete oder vermutete Voreingenommenheit der Kommune bei
der späteren Vergabe der Verteilnetzkonzession rechtfertigt keinen Eingriff in die
Ausschreibung der ÖPP.
4. Bei Eingehung einer ÖPP sind zugesagte Renditen – als nach § 3 Abs. 2 KAV
unzulässige Finanzleistungen – nur zu bewerten, wenn sie als eine spezifische
Gegenleistung für die Einräumung von Wegenutzungsrechten vereinbart oder
gewährt werden.
5. Bei der Vergabe dürfen – dieses mit Blick auf die finanzielle Situation der Kommune
und eine Begrenzung ihrer unternehmerischen Risiken – auch wirtschaftliche Ziele
sowie kommunale Einflussmöglichkeiten auf das gemeinsame Netzunternehmen
berücksichtigt werden.
6. Eine marktbeherrschende Stellung der Kommune bei Wegenutzungsverträgen ist
einer kommunalen Netzgesellschaft bei Ausschreibung einer strategischen Partnerschaft nicht zuzurechnen.
Auf der Grundlage des Vortrags der Beigeladenen, der sich auf das Pachtvertragsmodell bezieht, ergibt sich rechtlich gesehen nichts anderes: § 99 Abs. 1 GWB stellt
weder auf die zivilrechtliche Einordnung von Verträgen noch darauf ab, ob in
der Übernahme einer Leistung im Sinn des § 99 Abs. 4 GWB ein wesentlicher
oder der Hauptzweck des angestrebten Vertragsschlusses liegt. Der Vertrag
muss lediglich Dienstleistungen zum Gegenstand haben, welche den maßgebenden
Schwellenwert erreichen oder überschreiten (so BGH, Beschl. v. 1.2.2005 – X ZB
27/04, VergabeR 2005, 328, 332 f.). Dies ist, ohne dass es sich auf die Entscheidung
ausgewirkt hat, von der Vergabekammer übersehen worden (VKB 16 f.).
15
Ob eine Ausschreibung gleichwohl ausnahmsweise dann keine Dienstleistungen
betrifft, wenn die von dem Unternehmen zu erbringende Leistung wegen des rechtlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkts des Vertrags nicht ins Gewicht fällt, braucht
nicht entschieden zu werden. Mit Rücksicht darauf, dass öffentliche Beschaffungen, soweit sie nicht ausdrücklich vom Vergaberechtsregime ausgenommen sind,
umfassend unter geregelten Wettbewerbsbedingungen stattzufinden haben, ist eine
solche Ausnahme jedenfalls nur zu überlegen, wenn die Pflicht zur Dienstleistung
völlig untergeordneter Art und deshalb auszuschließen ist, dass ihretwegen ein Vertrag
eingegangen werden soll (so BGH a.a.O.). Das ist im Streitfall zu verneinen.
Entgeltlichkeit ist auch bei einem Pachtmodell nicht erst anzunehmen, wenn feststeht,
dass und gegebenenfalls inwieweit beim Pachtzins die Pflicht zu Dienstleistungen
preismindernd berücksichtigt worden ist. Das Pachtvertragsmodell ist lediglich das
rechtliche Mittel, dessen sich der Auftraggeber bedient, um die von ihm angestrebten
Dienstleistungen zu beschaffen. Selbst wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung das
Pachtelement im Vordergrund stünde, ist dies unerheblich. Ist es – wie hier – Mittel
zur Beschaffung der Dienstleistung, ist der pachtrechtliche Aspekt ohne Bedeutung.
Diese Betrachtungsweise entspricht dem Zweck des Vergaberechts. Es soll alle
Beschaffungsvorgänge erfassen, die für den öffentlichen Auftraggeber mit einem
geldwerten Aufwand verbunden sind (vgl. BGH a.a.O. 333 f.).
b) Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
aa) Zum Ausschreibungskonzept:
(1.) Die hinter der Antragsgegnerin stehenden Kommunen und die Antragsgegnerin haben sich im Streitfall dazu entschlossen, die aus Anlass des Auslaufens
der Konzessionsverträge bei Strom- und Gasnetzen für erforderlich gehaltenen
Ausschreibungen in einem zweistufigen Verfahren durchzuführen (doppelte/
getrennte Ausschreibung). Auf einer ersten Stufe soll über den „Einkauf“ einer
strategischen Partnerschaft – im Rechtssinn die Gründung einer institutionalisierten öffentlich-privaten Partnerschaft, die ein Dienstleistungsauftrag ist – durch die
Antragsgegnerin (eine interkommunale Netzgesellschaft) entschieden werden.
Darum geht es in diesem Nachprüfungsverfahren. Auf einer zweiten Stufe wollen
die betreffenden Kommunen alsdann die auslaufenden Wegenutzungsverträge –
rechtlich gesehen Dienstleistungskonzessionen (§ 46 EnWG) – ausschreiben und
vergeben, wobei keineswegs gesichert ist, dass die Antragsgegnerin, die sich
darum ebenfalls bewerben will, die Konzessionen (überhaupt oder zu einem Teil)
erlangen wird. Alternativ dazu hätten sich die beteiligten Kommunen freilich ebenfalls zu einer einheitlichen Auftragsvergabe entschließen können (so auch EuGH,
Urt. v. 15.10.2009 – C-196/08, Acoset, VergabeR 2010, 478, 484, Rn. 58 ff.).
Davon haben sie keinen Gebrauch gemacht.
16
Die Entscheidung für eine Getrennt- oder Zusammenvergabe unterliegt der
Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers, hier der beteiligten Kommunen und der Antragsgegnerin. Die Ausübung der Bestimmungsfreiheit ist
dem Vergabeverfahren vorgelagert. Sie ist in Vergabenachprüfungsverfahren
nur zu überprüfen, sofern es, und zwar mindestens im Sinn einer gebotenen
Inzidentprüfung, eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm, gewissermaßen
eine rechtliche „Einbruchstelle“ dafür, gibt (vgl. BGH, Beschl. v. 18.6.2012 – X ZB
9/11; OLG Düsseldorf in ständiger Rechtsprechung, vgl. zuletzt Beschl. v. 1.8.2012 –
VII-Verg 105/11).
Eine doppelte und die Prozeduren zeitlich verlängernde Ausschreibung kann verfahrensökonomisch ineffektiv sein. So bleibt der Ausschreibungsgewinner im vorliegenden Verfahren bis zum Abschluss der Konzessionsvergaben an die angebotenen und
vereinbarten Leistungen grundsätzlich gebunden, obwohl sich die wirtschaftlichen
Gegebenheiten (zum Beispiel aufgrund neu ergangener gesetzlicher Vorschriften)
inzwischen geändert haben können. Dies kann neben der Dauer der Vergabeverfahren
zu Rechtsunsicherheit sowie dazu führen, dass Unternehmen und öffentliche Stellen
von einer Gründung – national sowie nach Unionsrecht förderungswürdiger – institutionalisierter öffentlich-privater Partnerschaften abgehalten werden (vgl. EuGH, Urt. v.
15.10.2009 – C-196/08, Acoset, Rn. 61 unter Bezugnahme auf Rn. 85 der Schlussanträge des Generalanwalts sowie auf Rn. 59, 46 bis 49 des Urteils), infolgedessen der
Wettbewerb beeinträchtigt werden kann, und Bewerber um Konzessionsvergaben,
und zwar allein wegen der Trennung der Vergabeverfahren, im Wettbewerb ungleich
behandelt und diskriminiert werden können.
Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie geben als solche für eine vergaberechtliche
Beanstandung indes nichts her. In dieser Weise hat auch der Gerichtshof der Europäischen Union nicht argumentiert (vgl. EuGH, Urteil Acoset Rn. 58 f.). Er hat insofern
lediglich bemerkt, eine Verdoppelung der Auswahlverfahren könne dazu führen, dass
private Einrichtungen und öffentliche Stellen von der Gründung institutionalisierter
öffentlich-privater Partnerschaften abgehalten werden (EuGH, Urteil Acoset Rn. 61
m.w.N.). Solches ist im Streitfall jedoch nicht zu besorgen und wird – abgesehen
davon, dass sie selbst davon nicht nachteilig betroffen ist – von der Antragstellerin auch
nicht geltend gemacht. An der Ausschreibung der Partnerschaft haben sich neben der
Antragstellerin und der Beigeladenen zwei weitere branchenangehörige Unternehmen
beteiligt. Dass dritte Unternehmen aufgrund der Trennung der Ausschreibungen an
einer Teilnahme behindert worden sind, diese mithin einen Abschreckungseffekt entfaltet hat, ist bei der Sachlage nicht zu erkennen.
Die beteiligten Kommunen und die Antragsgegnerin hätten die Eingehung einer
öffentlich-privaten Partnerschaft und die Wegekonzessionen nach § 46 EnWG rechtlich zulässig allerdings auch zusammen ausschreiben können (so auch OLG Schleswig,
Urt. v. 22.11.2012 – 16 U (Kart) 21/12; Vorinstanz: LG Kiel, Urt. v. 3.2.2012 – 14 O (Kart)
12/11). Unüberwindliche tatsächliche oder rechtliche Hindernisse hätten dem nicht im
17
Wege gestanden. Indes haben sich die beteiligten Kommunen und die Antragsgegnerin für getrennte Ausschreibungen entschieden. Dies ist vergaberechtlich jedenfalls
nicht zu beanstanden, sofern dafür sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen, die eine
Ungleichbehandlung oder Diskriminierung von Bewerbern, und zwar allein wegen der
Trennung der Verfahren, ausschließen. Solche und letztlich auch von der Antragstellerin nicht angegriffene Gründe sind im Prozess von der Antragsgegnerin mit Erfolg
geltend gemacht worden, und zwar:
(2.) Der Vollständigkeit halber sei allerdings bemerkt, dass in Fällen der vorliegenden
Art die anschließende Konzessionsvergabe nicht in der Form einer sog. In-houseVergabe an die Antragsgegnerin, ein dann gemischtwirtschaftliches Unternehmen, erfolgen darf – was die beteiligten Kommunen bislang freilich auch nicht
vorhaben. Eine private Beteiligung am Kapital der Antragsgegnerin schließt eine
In-house-Vergabe an diese aus, weil ein solches Verfahren dem am Kapital beteiligten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen
würde (EuGH, Urteil Acoset Rn. 56; Urt. v. 11.1.2005 – C-26/03, Stadt Halle, VergabeR 2005, 43 Rn. 51).
Auch sonst ist eine In-house-Vergabe bei Konzessionsvergaben nach § 46 EnWG
ausgeschlossen. Das ergibt sich zwar noch nicht aus dem vom OLG Schleswig
(Urt. v. 22.11.2012 – 16 U (Kart) 22/12, UA 36; Vorinstanz: LG Kiel, Urt. v. 4.1.2012 – 14
O (Kart) 83/10) herangezogenen Gesichtspunkt, wonach es bei den genannten
Konzessionen am Element der „Tätigkeit im Wesentlichen für den Auftraggeber“
fehle, weil der Konzessionsnehmer Netzdienstleistungen nicht für den kommunalen Auftraggeber, sondern – zur allgemeinen Versorgung mit Elektrizität und Gas
– ganz überwiegend für die in der Gemeinde ansässigen Nachfrager (Kunden und
Letztverbraucher) erbringe. Die Regeln des In-house-Geschäfts sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Bundesgerichtshofs
auch bei der Vergabe von (Dienstleistungs-)Konzessionen anzuwenden (vgl. zuletzt
EuGH, Urt. v. 29.11.2012 – C-182 und 183/11, Rn. 26; BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – X
ZB 4/10, S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr, VergabeR 2011, 452 Rn. 27 ff.; ebenso: Egger,
europäisches Vergaberecht Rn. 586). Anderenfalls wären zum Beispiel Verträge über
Personenverkehrsdienste keine Dienstleistungsaufträge oder -kon-zessionen, weil die
Dienste nicht vom öffentlichen Auftraggeber, sondern von Bürgern genutzt werden.
Davon geht auch der europäische Gesetzgeber nicht aus (vgl. Art. 5 VO Nr. 1370/2007
über Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße).
Jedoch ist eine In-house-Vergabe bei Wegenutzungsverträgen durch § 46 Abs.
4 EnWG ausgeschlossen, wonach die Absätze 2 und 3 dieser Vorschrift (die
Ausschreibungspflicht betreffend) „für Eigenbetriebe der Gemeinden“ entsprechend anzuwenden sind (ebenso: Schwensfeier, in: Kermel (Hrsg.), Praxishandbuch
der Konzessionsverträge und der Konzessionsabgaben, S. 223 ff., 233 ff.; OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012 – 16 U (Kart) 21/12, UA 20; a.A. VG Oldenburg, Beschl. v.
17.7.2012 – 1 B 3594/12, BeckRS 2012, 53875 = IR 2012, 233; Haupt/Slawinski, IR
18
2012, 122; Byok/Graef/Faasch, NZBau 2012, 556, 559). Der nationale (genauso der
europäische) Gesetzgeber kann die bei Beschaffungen an sich gegebenen Freiheiten
des öffentlichen Auftraggebers sowie die vom Vergaberechtsregime bestehenden
Ausnahmen – als solche haben die Regeln über das In-house-Geschäft zu gelten
– beschränken. Für die Mitgliedstaaten gilt dies nur insoweit, als dadurch der vom EURecht intendierte Wettbewerb auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungswesens
nicht eingeschränkt werden darf. Indes wird durch die erwähnte Bestimmung des
§ 46 Abs. 4 EnWG der Wettbewerb um Netzkonzessionen nicht begrenzt, sondern
erweitert, indem er durch einen Ausschluss der In-house-Ausnahme strengeren institutionellen Anforderungen unterworfen wird. Dies wird durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt. Eine mit § 46 Abs. 4 des jetzigen EnWG 2005 übereinstimmende
Vorschrift fand sich bereits in § 13 Abs. 4 EnWG 1998. Die Begründung des insoweit
Gesetz gewordenen Regierungsentwurfs sagte dazu aus (BT-Drucks. 13/7274, S. 21
rechts):
Ungewöhnliche Wagnisse oder unzumutbare Regelungen enthalten die Vergabeunterlagen danach nicht. Ungeachtet dessen weist die SektVO insoweit keine dem § 7
Abs. 1 Nr. 3 VOB/A entsprechende Regelung auf (vgl. insoweit u.a OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 7.11.2011 – VII-Verg 90/11). Darauf, ob – wie die Antragstellerin behauptet –
das Angebot der Beigeladenen ungewöhnliche Wagnisse enthält, kommt es nicht an.
cc) Zur Angebotswertung
Die Antragstellerin greift ebenfalls ohne Erfolg die Angebotswertung der Antragsgegnerin an.
(1.) Der Vortrag, die Beigeladene habe bei ihrem Angebot preisrechtliche Bestimmungen der KAV missachtet sowie eine höhere als die für höchstzulässig zu erachtende Rendite (7%) versprochen und dürfe deshalb von der Antragsgegnerin
nicht bezuschlagt werden, ist rechtlich unerheblich und beruht darüber hinaus auf
bloßen Vermutungen, nämlich auf ihrer eigenen Ertragskalkulation, die auf das
Angebot der Beigeladenen nicht übertragen werden kann. Lediglich vermuteten
Vergaberechtsverstößen ist im Nachprüfungsverfahren nicht nachzugehen (vgl.
BGH, Beschl. v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59, Rn. 39 m.w.N.).
Genauso wenig kann festgestellt werden, das Angebot der Beigeladenen sei ungewöhnlich niedrig (§ 27 SektVO), so dass eine ordnungsgemäße Vertragsausführung
nicht gewährleistet sei. Der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin gründet sich
gleichfalls ausschließlich auf Mutmaßungen.
(2.) Auch ist die Wertung des Angebots der Antragstellerin nicht zu beanstanden.
Die Behauptung der Antragstellerin, ihr Angebot verdiene allein deswegen den
Vorrang vor dem der Beigeladenen, weil sie, sie Antragstellerin, bislang alle
Elektrizitätsversorgungsnetze sowie drei Gasnetze innehabe, die Beigeladene
19
hingegen lediglich fünf Gasnetze, ist unschlüssig. Die Antragstellerin hat dabei
unberücksichtigt gelassen, dass das Zuschlagskriterium Sicherung der Netzübernahme nur zu einem geringeren Teil auf solche Gesichtspunkte abstellt (u.a. beim
Kaufpreisrisiko), andere Wertungsfaktoren jedoch überwiegen.
Ebenso liegt die Wertung der Antragsgegnerin beim Zuschlagskriterium Ausgestaltung der vertraglichen Regelungen, und zwar beim Unterkriterium Möglichkeit der
Einflussnahme auf Investitionsentscheidungen, innerhalb der hinzunehmenden Wertungsbandbreite. Die Antragstellerin hat nach eigenem Vortrag insoweit Einschränkungen an der Einflussmöglichkeit der Kommunen oder ihrer Netzgesellschaften
angebracht, welche die Einschaltung eines konzerneigenen Unternehmens bei der
Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Investitionen betreffen. Mit Rücksicht auf die
an ihr bestehende gemeindliche Mehrheitsbeteiligung hat die Antragsgegnerin dies
im Verhältnis zum Angebot der Beigeladenen als eine Beschränkung des kommunalen
Einflusses bewerten dürfen.
Unabhängig davon können die vorgenannten Beanstandungen die Antragstellerin
ohnehin in keine bessere Angebotsposition versetzen. Der Bewertungsabstand zwischen den Angeboten der Beigeladenen und der Antragstellerin (ca. 91 zu ca. 57 von
100 erreichbaren Wertungspunkten) ist derart weit, dass die Antragstellerin diesen
auch im Wege einer besseren Beurteilung ihres Angebots bei den vorgenannten
Zuschlagskriterien keinesfalls aufholen kann.
Ob das Angebot der Antragstellerin – wie die Beigeladene geltend macht – wegen
einer unlauteren Informationsbeschaffung vom Wettbewerb auszuschließen ist, kann
nach alledem dahingestellt bleiben.
dd) Ergänzend ist zu einem von der Antragstellerin behaupteten und von der Vergabekammer angenommenen Verstoß der Antragsgegnerin gegen kartellrechtliche
Normen, und zwar gegen das Missbrauchsverbot des § 19 GWB sowie gegen
das Behinderungsverbot nach § 20 GWB, zu bemerken:
Die Antragsgegnerin (diese bei der Vergabe einer ÖPP) und die an ihr beteiligten
Kommunen (jene bei der Ausschreibung von Wegenutzungsverträgen) betätigen sich
auf verschiedenen Märkten. Während die Antragsgegnerin auf einem sachlich und
geografisch eher weit abzugrenzenden Markt um Dienstleistungen beim Betrieb von
Strom- und Gasnetzen nachsucht, auf dem sie nach den Umständen nicht marktbeherrschend oder marktstark zu sein scheint, kommt den Kommunen bei der Vergabe
von Wegekonzessionen möglicherweise eine marktbeherrschende Stellung zu – dies
jedenfalls dann, wenn darauf die Rechtssätze der Schilderprägerentscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 24.9.2002 – KZR 4/01, Kommunaler Schilderprägebetrieb
– angewendet werden (so der gemeinsame Leitfaden von Bundeskartellamt und
Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel
des Konzessionsnehmers, Rn. 26 und bislang mehrere Entscheidungen des Bundes-
20
kartellamts) – was freilich noch einer näheren rechtlichen und hier nicht anzustellenden
Prüfung bedarf. Die Marktstellung der Kommunen bei der Vergabe von Wegenutzungsrechten ist der Antragsgegnerin bei der Ausschreibung anders gearteter und
auf einem anderen sachlichen Markt erbrachter Dienstleistungen nicht zuzurechnen.
12 OLG Schleswig, Beschluss vom 15.03.2013 –
1 Verg 4/12 (Parkpalette)
Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Sie ist zurückzuweisen, denn die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag zu
Recht den Erfolg versagt.
Im Beschwerdeverfahren sind keine Gründe hervorgetreten, die eine andere Entscheidung begründen können. Die Beschwerdeanträge sind zum Teil unzulässig (unten 1.).
Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der am 23. November 2012 und am
19. Dezember 2012 geschlossenen Verträge zwischen der Beschwerdegegnerin und
der Beigeladenen bleibt ohne Erfolg (unten 2.).
1.
Die mit dem ersten Hauptantrag und dem zweiten Hilfsantrag gestellten Feststellungsanträge der Beschwerdeführerin sind unzulässig. Die Anträge beziehen
sich auf Vertragsverhandlungen über den beabsichtigten Kaufvertrag zwischen
der Beschwerdegegnerin und der Beteiligten in Verbindung mit dem vorliegenden
Durchführungsvertrag. Dem liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, dass Vergaberechtsschutz gegen Vertragsverhandlungen erlangt werden kann. Das
ist nicht der Fall. Einen „vorbeugenden“ Rechtsschutz sehen die §§ 101 b,
107 ff. GWB nicht vor (vgl. Kling, NZBau 2003, 23 ff.). Auf eine Feststellung
gerichtete Anträge sieht das Gesetz in zwei Fällen vor: Nach § 101 b Abs. 2
GWB kann eine feststellende Entscheidung in Bezug auf abgeschlossene
Verträge erfolgen, wenn vor deren Abschluss gegen die Informations- und
Wartepflicht oder gegen die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens
verstoßen worden ist. Weiter kann gem. § 123 Satz 3 GWB eine Feststellung
darüber ergehen, ob ein Unternehmen durch den öffentlichen Auftraggeber
in seinen Rechten verletzt ist. Ein Feststellungsbegehren in Bezug auf – noch
– nicht abgeschlossene Verträge ist im gesetzlichen Rechtsschutzsystem nicht
vorgesehen. Bei einem Streit über die Anwendbarkeit des Vergaberechts auf einen
konkreten Vertragsschluss kann die diesbezügliche Klärung erst nach Vertragsschluss
gerichtlich erreicht werden. das Risiko einer Unwirksamkeit des Vertrages liegt bei
den Vertragsparteien. Das gilt auch bei einer verzögerten Information über sog.
De-facto-Verträge; der Rechtsschutz der Bieter knüpft insoweit an die „Kenntnis“ der
Bieter von dem (evtl.) Vergaberechtsverstoß an (§ 101 b Abs. 2 S. 1 GWB; vgl. OLG
München, Beschl. v. 19.07.2012 – Verg 8/12, NZBau 2012, 715 [bei Juris Rn. 63]).
21
Das Gleiche gilt auch für zweiten Hauptantrag, der auf Untersagung eines „ausschreibungslosen“ Kaufvertragsabschlusses gerichtet ist, sowie für den dritten
Hauptantrag, der die Feststellung erstrebt, dass die Beschwerdegegnerin bzgl. des
Grundstücksverkaufs ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen hat. Die Frage,
ob die Beschwerdegegnerin ein Vergabeverfahren durchzuführen hat, kann vor Vertragsschluss im Wege der Nachprüfung (mit den Wirkungen des § 115 Abs. 1 GWB)
und nach „ausschreibungslosem“ Vertragsschluss unter den Voraussetzungen des
§ 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB überprüft werden. Einer selbständigen „Untersagung“ des Vertragsschlusses oder einer Feststellung im beantragten Sinne bedarf es
nicht. Soweit nach § 123 Satz 3 GWB eine feststellende Entscheidung möglich ist,
wird dies für den – hier gegebenen – Streit um die Frage, ob ein öffentlicher Auftrag
i. S. d. § 99 Abs. 3 GWB vorliegt, durch die spezielle Rechtsschutzform des § 101 b
GWB verdrängt.
Der erste Hilfsantrag festzustellen, dass ein geschlossener Kaufvertrag in Verbindung
mit dem vorliegenden Durchführungsvertrag von Anfang an unwirksam ist, entspricht
der in § 101 b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB vorgesehenen Rechtsschutzform. Dieser
Antrag ist sachdienlich (vgl. § 120 Abs. 2, § 70 Abs. 2 GWB) und zulässig, nachdem
die Beschwerdegegnerin und die Beigeladene am 19. Dezember 2012 einen Durchführungsvertrag (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sowie am 18. Juli 2012 bzw. am 23.
November 2012 einen Vertrag über den Verkauf von Grundstücksflächen bzw. dessen
Änderung abgeschlossen haben.
Die Beigeladene wendet demgegenüber ein, die genannten Verträge seien (noch)
nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer gewesen.
In der Tat ist der Grundstückskaufvertrag vom 18. Juli 2012 einen Monat vor der
Entscheidung der Vergabekammer (aufschiebend bedingt) abgeschlossen worden
und (erst) im Beschwerdeverfahren – am 23. November 2012 – geändert worden.
Der Durchführungsvertrag vom 19. Dezember 2012 ist erst im Beschwerdeverfahren
geschlossen worden.
Der Durchführungsvertrag ist gem. § 12 Abs. 1 BauGB im Zusammenhang mit dem
vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. ### der Stadt abgeschlossen worden. Es
kann dahinstehen, inwieweit (von welchem Verfahrensstadium an) die Beigeladende
diesen Bebauungsplan initiiert oder durch „ihr“ Projekt beeinflusst hat. Der Erlass dieses Bebauungsplans ist weder als Vertrag noch (gar) als öffentlicher Bauauftrag
i. S. d. § 99 Abs. 3 GWB anzusehen; er ergeht als Satzung (§ 10 Abs. 1 BauGB)
und ist Mittel zur Wahrnehmung der gemeindlichen Planungshoheit (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschl. v. 4. März 2009, VII-Verg 67/08, NZBau 2009, 334). Der Durchführungsvertrag vom 19.12.2012 dient der Umsetzung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans; auch er liegt im Rahmen der planungsrechtlichen Regelungsbefugnisse der
Stadt. Die in § 3 Abs. 4 und § 7 des Vertrages vereinbarte Durchführungspflicht sichert
das gesetzliche Ziel einer zügigen Realisierung der Planung. Die Beigeladene übernimmt
darin als Vorhabenträgerin die Verpflichtung, das Vorhaben auf eigenes wirtschaftliches
22
Risiko innerhalb des vertraglich vereinbarten Zeitraums einschließlich der ggf. erforderlichen Erschließungsanlagen zu realisieren (vgl. Krautzberger, in: Battis u. a., BauGB,
2009, § 12 Rn. 5). Die vertragliche Übernahme der Durchführungsverpflichtung ist
Voraussetzung für die Entstehung des „Baurechts“, also des in der speziellen Form
des vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§ 12 BauGB) begründeten Anspruchs, für
die im Plan zugelassenen Vorhaben eine Baugenehmigung zu erhalten. Die Stadt kann
einen (wirksamen) vorhabenbezogenen Bebauungsplan nicht erlassen, wenn sich der
Vorhabenträger – hier: die Beigeladene – ihr gegenüber nicht verpflichtet, die im Plan
zugelassenen Vorhaben innerhalb einer bestimmten Frist zu verwirklichen (vgl. VGH
München, Urt. v. 24. Juli 2001, 1 N 00.1574, NVwZ-RR 2002, 260 ff.) oder – jedenfalls
– ein dahingehendes verbindliches Vertragsangebot gegenüber der Stadt abgegeben
hat (VGH Mannheim, Urt. v. 29. April 2009, 8 S 639/08, DVBl. 2009, 1110 [bei Juris
Rn. 28]; Gatz, jurisPR-BVerwG 24/2011 Anm. 1). Diesen Vorgaben entsprechend ist
die Durchführungspflicht in § 3 Abs. 4 und § 7 des Vertrages vereinbart worden.
Die Erfüllung der Durchführungspflicht ist – entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin – nicht „einklagbar“. Nach § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB kann die Stadt
auf den Fall einer ausbleibenden Erfüllung der Durchführungspflicht reagieren,
indem sie den vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufhebt; diese Rechtsfolge
ist gesetzlich als „Soll“-Vorschrift ausgestaltet (vgl. Krautzberger, a.a.O., § 12 Rn.
18, 42). Im Rahmen dieser „Soll“-Vorschrift bleibt Raum für die in § 15 des Durchführungsvertrages für den Fall von „Leistungsstörungen“ vorbehaltene „Berechtigung“
der Beschwerdegegnerin, „nach erfolgloser schriftlicher Abmahnung auf Kosten der
[Beigeladenen] die Maßnahmen im Wege der Ersatzvornahme durchzuführen.“ Im Fall
einer Ersatzvornahme würden die „unerledigten“ Maßnahmen von der Stadt anstelle
und auf Rechnung der Beigeladenen im Rahmen des fortbestehenden Durchführungsvertrages ausgeführt werden (vgl. OVG Münster, Urt. v. 29. Juni 1992, 3 A 1079/91,
NVwZ-RR 1993, 507 – zum Erschließungsvertrag). Die Stadt kann von dieser „Berechtigung“, die nach Ablauf der Durchführungsfrist (§ 3 Abs. 4 des Vertrages) fortbesteht,
Gebrauch machen, muss dies aber nicht. Sie wird bei lebensnaher Betrachtung davon
Abstand nehmen (und den vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach § 12 Abs. 6 Satz
1 BauGB aufheben), wenn das Vorhaben selbst („###“) nicht realisiert werden kann
und/oder die Beigeladene – absehbar – die (auch) für die Aufbringung der Kosten einer
Ersatzvornahme erforderliche Leistungsfähigkeit verloren haben sollte.
Ein Bauauftrag i. S. d. § 99 Abs. 3 GWB lässt sich auch aus den weiteren Bestimmungen des Durchführungsvertrages nicht entnehmen. Die Vereinbarungen zur Übernahme von Planungskosten (in § 3 Abs. 3, § 10 Abs. 1 und § 11 des Vertrages) und
von Erschließungskosten (in § 12 Abs. 1 und § 13 Abs. 2 des Vertrages) sind von der
planungsrechtlichen Regelung in § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB – ausdrücklich – gedeckt
(„Tragung der Planungs- und Erschließungskosten“); insofern gilt hier nichts anderes
wie für städtebauliche Verträge nach § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BauGB. Als Planungskosten sind auch die Kosten von (Verkehrs-)Gutachten anzuerkennen (vgl. Krautzberger,
a.a.O., § 12 Rn. 20).
23
Der Inhalt eines Durchführungsvertrages nach § 12 Abs. 1 S. 1 BauGB ist nicht „eng“
auf Vereinbarungen begrenzt, die der Realisierung des im vorhabenbezogenen Bebauungsplan geplanten Vorhabens dienen. Ergänzend kann auch all das zulässiger Inhalt
eines Durchführungsvertrages sein, was Inhalt eines städtebaulichen Vertrages nach
§ 11 BauGB sein kann (vgl. Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, Kommentar,
2010, § 12 Rn. 26). Das schließt insbesondere Vereinbarungen über solche (Lasten
oder) Kosten ein, die „Voraussetzung oder Folge“ des Vorhabens sind (§ 11 Abs. 1 S.
2 Nr. 3 BauGB). Die Beschwerdegegnerin kann im Rahmen ihrer planungsrechtlichen
Regelungsbefugnis auch Vereinbarungen zu derartigen Kosten schließen.
Die in § 10 Abs. 2 des Durchführungsvertrages vereinbarte Übernahme der Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflicht für die durchzuführenden Baumaßnahmen
durch die Beigeladene ist als Folgelastenvereinbarung im genannten Sinne anzusehen.
Das Gleiche gilt für die vereinbarte Überlassung, Erhaltung und Unterhaltung von 226
Stellplätzen (§ 6 Abs. 2, 3, 6 des Vertrages), die Neugestaltung der Passage ###
(§ 7), die im Bereich öffentlicher Straßen durchzuführenden Arbeiten am Markt, an
der Einmündung ###straße und in der ###straße sowie die (Wieder-)Herstellung von
Geh- und Radwegen und Bushaltebuchten (§§ 12 – 13 des Vertrages). Die genannten
Vereinbarungen betreffen unmittelbar durch das Projekt ### veranlasste Baumaßnahmen, die damit in einem engen räumlichen und funktionalen Zusammenhang
stehen. Sie dienen der Verwirklichung eines allgemeinen städtebaulichen Interesses
der Stadt.
Der (vorliegende) Fall der Herstellung bzw. Umgestaltung von öffentlichen Straßen zur
„Einbindung“ des Vorhabens in das vorhandene Straßennetz kann als geradezu „klassischer“ Anwendungsfall von Vereinbarungen angesehen werden, die den Rahmen
des § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 BauGB wahren (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 5. August 1996,
8 S 380/96, NVwZ 1997, 1021; Löhr, in Battis u. a., BauGB, § 11 Rn. 16).
13 EuGH, Urteil vom 08.05.2013 – Rs. C-203/11 (Eric Libert u.a.)
Die Errichtung von Sozialwohnungen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an
eine öffentliche Einrichtung des sozialen Wohnungsbaus oder im Wege der Substitution des Dienstleistungserbringers, der die Wohnungen verwirklicht hat, durch
diese Einrichtung verkauft werden müssen, fällt unter den Begriff des öffentlichen
Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in
der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 18. Juni 2009, wenn die in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien
erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
24
Zur elften Frage in der Rechtssache C 203/11
108. Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob
die Errichtung von Sozialwohnungen, die anschließend mit einer Preisdeckelung
an eine öffentliche Einrichtung des sozialen Wohnungsbaus oder im Wege der
Substitution des Dienstleistungserbringers, der die Wohnungen verwirklicht hat,
durch diese Einrichtung verkauft werden müssen, unter den Begriff des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 fällt.
109. Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Abs. 2
Buchst. b in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 ein
öffentlicher Bauauftrag vorliegt, wenn vier Kriterien erfüllt sind, d. h., es muss
ein schriftlicher Vertrag bestehen, der entgeltlich ist, zwischen einem Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossen wurde
und entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Planung und die Ausführung
von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I dieser Richtlinie
genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen
Auftraggeber genannten Erfordernissen zum Gegenstand hat.
110. Da der Gerichtshof nicht über alle notwendigen Informationen verfügt, anhand
deren er überprüfen könnte, ob diese Kriterien im Ausgangsverfahren erfüllt
sind, wird er sich hier folglich darauf beschränken, dem vorlegenden Gericht
Hinweise zu geben, die ihm für die Vornahme dieser Beurteilung von Nutzen
sein können.
111. Was insbesondere das Bestehen eines schriftlichen Vertrags angeht, ergibt sich
aus der Vorlageentscheidung, dass der Verfassungsgerichtshof Zweifel daran
zu haben scheint, ob dieses Kriterium im vorliegenden Fall erfüllt ist, da die
soziale Auflage, die in der Verwirklichung von Sozialwohnungen besteht, nicht
wirklich zwischen der Verwaltung und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer
vereinbart werde. Sie werde den Bauherren und Parzellierern nämlich unmittelbar durch das flämische Dekret auferlegt und finde auf sie aufgrund des bloßen
Umstands Anwendung, dass sie Eigentümer von Grundstücken seien, für die sie
eine Bau- oder Parzellierungsgenehmigung beantragten.
112. Wie vom Generalanwalt in Nr. 86 seiner Schlussanträge ausgeführt, setzt die
Schlussfolgerung, dass zwischen einer Rechtsperson, die als öffentlicher Auftraggeber angesehen werden könnte, und einem Bauherrn oder Parzellierer eine
gewisse Vertragsbeziehung besteht, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs
voraus, dass zwischen der Verwaltung und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer ein Erschließungsvertrag zur Festlegung der von Letzterem zu realisierenden Bauwerke und der diesbezüglichen Bedingungen geschlossen worden
sein muss.
25
113. Ist ein solcher Vertrag unterzeichnet worden, kann allein der Umstand, dass die
Errichtung von Sozialwohnungen unmittelbar durch die innerstaatliche Regelung
vorgeschrieben wird und der Vertragspartner der Verwaltung notwendigerweise
der Eigentümer der Baugrundstücke ist, der Beziehung zwischen der Verwaltung
und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht ihren vertraglichen Charakter
nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2001, Ordine degli Architetti u.
a., C 399/98, Slg. 2001, I 5409, Randnrn. 69 und 71).
5.
Ausschreibungspflicht von Vertragsänderungen
14
VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.01.2013 –
2 VK LSA 40/12 (Wärme- und Stromlieferung)
1. Es wird festgestellt, dass die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vom ....10.2012 unwirksam sind.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, für den Fall, dass ihrerseits weiterhin
Beschaffungsbedarf und Beschaffungsabsicht hinsichtlich der Leistungen der
Wärmeversorgung und Stromlieferung besteht, unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer ein transparentes Vergabeverfahren im Sinne der
§§ 97 ff. GWB durchzuführen.
Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrages Der Nachprüfungsantrag ist darüber hinaus
statthaft.
Die vertraglichen Vereinbarungen vom ....10.2012 stellen einen öffentlichen Auftrag
im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB dar, der den Regelungen des Kartellvergaberechts
unterfällt.
Hierzu im Einzelnen:
Nach der vorgenannten Regelung sind öffentliche Aufträge Verträge von öffentlichen
Auftraggebern mit Unternehmen, über die Beschaffung von Leistungen, die Liefer-,
Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben. In diesem Sinne haben die
Antragsgegnerin und die Beigeladene zwei Verträge über die Wärme-und Stromlieferung geschlossen. Nach dem Willen der Parteien hatten diese Verträge eigenständigen Charakter. Zwar gingen die alten Verträge in die neuen Verträge über. Es sollten
jedoch ausschließlich die Regelungen und Bestimmungen der neuen Verträge gelten
(vgl. Präambeln der Verträge vom ....10.2012). Damit sind diese Verträge als öffentlicher Auftrag i.S des § 99 Abs. 1 GWB zu qualifizieren.
Etwas anderes gilt auch nicht, wenn man entgegen dieser Auffassung die zuletzt
unterzeichneten Verträge als Anpassung der ursprünglichen Verträge nebst Verlän-
26
gerung der Vertragslaufzeit ansieht. In diesem Fall hätten die Vertragsparteien den
originären Vertrag in Gestalt seiner Ergänzung vom ....07.1997 wesentlich abgeändert.
Eine derartige Vertragsänderung stellt eine Neuvergabe dar. Grundsätzlich ist eine
Änderung in diesem Sinne beispielsweise bedeutsam, wenn sie die Annahme eines
anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt hätte, sofern sie
Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wäre (vgl. EuGH vom
19.06.2008, Rs. C-454/06 Rn Nr. 35; OLG Düsseldorf vom 28.07.2011, Verg 20/11).
Die erhebliche Verlängerung des Vertrages um weitere zehn Jahre hätte dazu geführt,
dass die Bieter in dem Vergabeverfahren, das zum Abschluss des originären Vertrages
führte, andere Preise in ihren Angeboten kalkuliert hätten. Diese hätten über einen
wesentlich längeren Zeitraum die Gewähr, dass der Antragsgegner sich als Kunde
vertraglich an sie bindet und die entsprechenden Leistungen abnimmt. Dies wirkt sich
unmittelbar auf die Preisgestaltung aus. abnimmt. Dies wirkt sich unmittelbar auf die
Preisgestaltung aus.
Zwar hatten sich die Vertragsparteien im ursprünglichen Vertrag vom ............1995 die
Möglichkeit vorbehalten, die Vertragslaufzeit einvernehmlich ein Jahr vor Vertragsende
über die festgelegte Laufzeit zu verlängern (vgl. § 16 Nr. 3). Grundsätzlich sind Vertragsänderungen ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens zulässig, wenn aus
dem Erstvertrag klar hervor geht, unter welchen Umständen und in welche Richtung
der Vertrag modifiziert werden soll (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Vertragsverlängerungsoptionen sind statthaft, wenn sie hinsichtlich von Laufzeit und Anzahl hinreichend bestimmt sind (vgl. VK Sachsen vom 24.08.2007, 1/SVK/054-07; VK Bund vom
20.07.2005, VK 1 -62/05). Dies war im § 16 Nr. 3 des ursprünglichen Vertrages aus
dem Jahr 1995 jedoch nicht festgelegt. Die Vertragsparteien hatten nicht geregelt,
über welchen Zeitraum der Vertrag verlängert werden kann. Sie hatten auch nicht
vereinbart, in welcher Anzahl von Vertragsverlängerungsoptionen Gebrauch gemacht
werden kann. Darüber hinaus ist grundsätzlich dann von einem neuen Auftrag auszugehen, wenn die Verlängerung nur durch eine beiderseitige Willenserklärung zu
Stande kommen kann (vgl. VK Baden-Württemberg vom 16.11.2004; 1 VK 69/04).
Regelmäßig ist das beiderseitige Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien nur
dann erforderlich, wenn sich die Verlängerung nicht nur als unbedeutende Erweiterung
der bisherigen Vertragsbeziehung darstellt, sondern wirtschaftlich dem Abschluss
eines neuen Vertrages gleich kommt. So lag der Fall hier. Die Vertragslaufzeit konnte
gemäß § 16 Nr. 3 des Vertrages nur durch eine entsprechende Vereinbarung der Vertragsparteien verlängert werden.
Unabhängig hiervon war nach dieser vertraglichen Regelung eine Verlängerung der
Laufzeit erst ein Jahr vor Vertragslaufende (hier am 30.06.2017) möglich. Die Vertragsparteien haben die Vertragsverlängerung jedoch bereits weit vorher im Jahre
2012 vereinbart.
27
6.
Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen
15 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 –
Verg 58/11 (Pharmarabattvertrag)
2. II. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
1. Die Vergabekammer hat zutreffend entschieden, dass der angegriffene Vertrag
als Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Medikamenten der Nachprüfung
durch die Vergabenachprüfungsinstanzen unterliegt.
a) Es ist allgemein anerkannt, dass nicht nur Liefer- und Dienstleistungsverträge als solche, sondern auch Rahmenvereinbarungen hierüber dem Vergaberecht unterliegen.
Materiellrechtlich ergibt sich dies aus Art. 32 Abs. 2 UA 1 Richtlinie 2004/18/
EG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ordnet Art. 1 Abs. 1 UA 2 Richtlinie
89/665/EWG (i.d.F. von Art. 1 Nr. 1 Richtlinie 2007/66/EG) eine Nachprüfung
von Rahmenvereinbarungen durch die Vergabenachprüfungsinstanzen ausdrücklich an. Dass § 99 GWB Rahmenvereinbarungen nicht gesondert aufführt, ist vor dem Hintergrund der genannten Richtlinien unerheblich.
b) Die Rahmenvereinbarung betrifft entgeltliche Lieferungen.
Wie die Vergabekammer unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats und
des LSG NRW zutreffend ausgeführt hat, sind die vorgesehenen Lieferungen ersichtlich entgeltlich. Der Pharmarabattvertrag regelt den Preis (genauer gesagt: einen
Preisbestandteil) für die Medikamentenlieferungen.
aa) Die Rahmenvereinbarung selbst muss nicht die Merkmale eines öffentlichen Auftrages im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2004/18/EG erfüllen. Art. 1
Abs. 5 der Richtlinie 2004/18/EG definiert eine Rahmenvereinbarung u.a. lediglich
dahingehend, dass sie „zum Ziel hat, die Bedingungen für die Aufträge ... festzulegen ...“ (engl.: „the purpose of which is to establish the terms governing contracts
...“; frz.: „ayant pour objet d‘établir les termes régissant les marchés ...“). Es reicht
mithin aus, wenn die Verträge, die durch die Rahmenvereinbarungen inhaltlich
festgelegt sind, als öffentlicher Auftrag anzusehen sind.
Die Auffassung der Beigeladenen zu 37., die Rahmenvereinbarung selbst, nicht erst
der darauf beruhende Einzelvertrag, müsse entgeltlich sein, trifft damit nicht zu. Art. 32
Richtlinie 2004/18/EG enthält ein derartiges Merkmal nicht, sondern unterstellt in
Abs. 2 UA 1 allgemein Rahmenvereinbarungen, die zu öffentlichen Aufträgen führen
sollen, dem Vergaberecht (unklar in diesem Punkt allerdings LSG NRW, Beschluss
28
vom 14.04.2010 – L 21 Kr 69/09 SFB, NZBau 2010, 653). Auch der Wert einer Rahmenvereinbarung bemisst sich nach Art. 9 Abs. 9 Richtlinie 2004/18/EG, § 3 Abs. 6
VgV nicht nach dem Entgelt für den Abschluss der Rahmenvereinbarung, sondern
nach dem voraussichtlichen Entgelt für die auf der Rahmenvereinbarung beruhenden
Einzelverträge.
bb) Der Einordnung als Rahmenvereinbarung im Sinne des Art. 32 Richtlinie 2004/18/
EG steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin Rabattverträge mit möglichst
vielen Teilnehmern schließen möchte.
II. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
1. Die Ausschreibung leidet an folgenden Fehlern, die von der Antragsgegnerin – bei
Anwendung des Vergaberechts – auch nicht geleugnet werden:
a) Die Ausschreibung ist nicht in Lose aufgeteilt. Die Teilnehmer mussten vielmehr
ihr gesamtes Portfolio anbieten, soweit es die im Anhang aufgeführten Wirkstoffe
bzw. Wirkstoffkombinationen betraf.
b) Die Konzern-Klausel des § 2a Abs. 5 des Vertrages ist vergaberechtswidrig. Auch
wenn man die Klausel nicht so verstehen wollte, dass einem Konzernunternehmen Vertretungsmacht für sämtliche Konzernunternehmen zugebilligt wird (was
letztlich gegen das Verbot eines Vertrages zulasten Dritter verstoßen würde), so
verstößt die Klausel in jedem Fall gegen den Grundsatz, dass unter bestimmten
Umständen ein Konzernunternehmen auch ohne andere Konzernunternehmen, ja
sogar im Wettbewerb mit anderen Konzernunternehmen, sich an einem Vergabeverfahren beteiligen darf (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2011 –
VII-Verg 4/11, VergabeR 2011, 722 = NZBau 2011, 371 mit Nachweisen aus der
Rechtsprechung des EuGH).
Wenn die Antragsgegnerin mit einer derartigen Klausel vermeiden will, dass sich ein
Konzernunternehmen den Wirkungen des Rabattvertrages dadurch entziehen kann,
dass es den Vertrieb auf ein anderes, nicht vertragsgebundenes Konzernunternehmen
verlagert, kann die Antragsgegnerin das nur dadurch erreichen, dass eine Verpflichtung
des Auftragnehmers zur Lieferung für die gesamte Vertragslaufzeit in den Vertragstext
aufgenommen wird.
c) Die Antragsgegnerin hat nachträglich eine EU-Bekanntmachung veranlasst. Dies
hat einen entsprechenden Vergaberechtsfehler geheilt. Allerdings sind die Vergabeunterlagen hinsichtlich der Frist nicht an die Bekanntmachung angepasst
worden.
d) Die vorgesehen unbefristete (wenn auch mit einem Kündigungsrecht versehene)
Laufzeit ist mit § 130a Abs. 8 S. 6 SGB V (soll für eine Laufzeit von zwei Jahren
29
abgeschlossen werden) und § 4 Abs. 7 EG-VOL/A (= Art. 32 Abs. 2 UA 4 Richtlinie 2004/18/EG: darf – von Ausnahmefällen abgesehen – vier Jahre nicht überschreiten) nicht vereinbar.
e) Die Voraussetzungen für die Nichtannahme eines Angebots in § 2a Abs. 2 S. 2
des Vertrages (wenn das Vertragsziel nicht erreicht wird) ist völlig unbestimmt.
Erläuterungen dazu fehlen. Wann dies der Fall sein soll, bleibt daher unklar. Aus
der Tatsache, dass die Antragsgegnerin ihre Versicherten möglichst vor einem
Medikamentenwechsel bewahren will, könnte man schließen, dass sie von einem
Vertragsschluss dann absehen will, wenn keine Angebote hinsichtlich der gängigsten Medikamente eingehen. Die Antragsgegnerin hat im Verhandlungstermin
mitgeteilt, sie habe das Vergabeverfahren aufheben wollen, wenn nicht die aus
ihrer Sicht notwendige Quote für eine Teilnahme erreicht worden sei. Wann dies
jedoch der Fall sein sollte, ist unklar.
16 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2012 –
Verg 95/12 (Rahmenvertrags Berufe.TV)
Die Antragsgegnerin schrieb mit EU-weiter Bekanntmachung vom 29.7.2011 im offenen Verfahren die Vergabe des „Rahmenvertrags Berufe.TV“ aus, dessen Gegenstand
die Produktion von berufskundlichen und anderen Filmen sowie die Bereitstellung der
Filme im Internet, für mobile Geräte und zum Abruf in ihren Berufsinformationszentren
ist. Im Jahr sollen 40 bis 50 Filme produziert werden. Optional sollen die Entwicklung
von neuen Filmformaten und die Weiterentwicklung von Berufe.net erfolgen.
Die Vertragslaufzeit soll 72 Monate ab Auftragsvergabe betragen.
2. II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet. Hinsichtlich
der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags wird auf die zutreffenden Ausführungen
der Vergabekammer verwiesen. Der Nachprüfungsantrag ist schon deshalb begründet, weil die Antragsgegnerin eine zu lange Vertragslaufzeit vorgesehen und diese
nicht hinreichend gerechtfertigt hat. Ausweislich II.3) der EU-Bekanntmachung soll
die Vertragslaufzeit 72 Monate ab dem Zeitpunkt der Auftragsvergabe betragen. Die
Laufzeit einer Rahmenvereinbarung darf jedoch vier Jahre grundsätzlich nicht überschreiten (siehe: Art. 31 Abs. 2 UA 4 Richtlinie 2004/18/EG, siehe auch: § 4 Abs.
1 S. 4 VOL/A und § 4 Abs. 7 EG VOL/A). Die Regellaufzeit bezweckt, dass das
geschlossene System der Rahmenvereinbarung die Auftragsvergabe nur für
einen begrenzten Zeitraum dem Wettbewerb entzieht. Die Laufzeitbegrenzung
ist daher unauflösbar mit der spezifischen Systematik der Rahmenvereinbarung
verknüpft, welche einerseits Effizienzgewinne ermöglicht, andererseits aber
wettbewerbsbeschränkend wirkt. Insoweit konkretisiert die Vorschrift den all-
30
gemeinen Wettbewerbsgrundsatz. Soll die Vertragslaufzeit länger als vier Jahre
betragen, muss der Auftraggeber diesen eng zu begrenzenden Sonderfall „aufgrund des Gegenstands der Rahmenvereinbarung“ rechtfertigen, wobei der
Auftragsgegenstand oder andere besondere Umstände herangezogen werden
können. Eine längere Dauer kann beispielsweise durch die Erforderlichkeit erheblicher
Aufwendungen bei der Entwicklung des Vertragsgegenstandes gerechtfertigt werden, wenn dem Auftragnehmer mit Rücksicht darauf eine Amortisation zugestanden
werden soll (siehe zum Ganzen: BayObLG, Beschluss vom 17.2.2005, Verg 27/04
„integrierte Leitstelle“; Zeise in Kulartz u.a., VOL/A, 2. A., § 4 VOL/A, Rdnr. 29 m.w.N.,
§ 4 EG VOL/A, Rdnr. 57 m.w.N.; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 99 GWB,
Rdnr. 23). Obwohl für die Rechtfertigung einer längeren Vertragsdauer prognostische Beurteilungen bedeutsam sein können, ist dem Auftraggeber kein
– nur auf die Einhaltung seiner Grenzen – kontrollierbarer Beurteilungsspielraum
eingeräumt, so dass die Rechtfertigung einer längeren als vierjährigen Vertragsdauer im Nachprüfungsverfahren in vollem Umfang überprüft werden kann. Die
Überprüfung erfolgt anhand der Gründe, die der Auftraggeber im Vergabevermerk
nachvollziehbar zu dokumentieren hat (siehe auch: Erwägungsgrund 11 der Richtlinie
2004/18/EG a.E.). Gemessen daran reicht die schmale Begründung der Antragsgegnerin in der Bedarfsanforderung vom 17.6.2011 und der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht aus, um die die vierjährige Regellaufzeit um 50% übersteigende Vertragsdauer zu rechtfertigen. Es ist zwar zutreffend, dass eine längere Vertragsdauer die
Fixkosten des Auftragnehmers reduziert und diesem ein wirtschaftlicheres Angebot
ermöglicht. Dieser Umstand – der bei jeder Vergabe festzustellen sein dürfte – reicht
im Streitfall aber nicht aus, um die Abweichung von der Regellaufzeit und eine daraus
folgende Wettbewerbseinschränkung, die möglicherweise zu weniger und höherpreisigen Angeboten führt, zu rechtfertigen. Auch die Begründung, in der Startphase
und durch den Auftragnehmerwechsel seien erhebliche Investitionen notwendig, ist
letztlich nicht ausreichend und überzeugend. Dies zeigt unter anderem das Angebot
der Antragstellerin, die für das so genannte Übergabemanagement lediglich Kosten
in Höhe von 20.000 Euro angesetzt hat, die im Verhältnis zur Bruttoauftragssumme
vernachlässigenswert niedrig sind.
17 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 –
Verg 15/12 (Koordinationsvertrag Patientenversorgung)
e) Entgegen der Meinung der Beigeladenen zu 2 ist mit dem am 7.10.2011 angebrachten Nachprüfungsantrag die 30-Tage-Frist des § 101b Abs. 2 Satz 1 GWB
gewahrt worden. Danach kann die Unwirksamkeit eines Vertrages nach §101b
Abs. 1 GWB nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren
innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später
als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Es kann
dahinstehen, ob diese Bestimmung auch dann anzuwenden ist, wenn von der
Vergabenachprüfungsinstanz – wie hier – lediglich auf Unterlassung der Ausfüh-
31
rung des Vertrags erkannt worden ist. Denn jedenfalls hat die Antragstellerin den
Antrag gestellt, den zwischen den Beigeladenen geschlossenen Rahmenvertrag
für unwirksam zu erklären, und ist die genannte Frist eingehalten worden.
Art. 2f Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 2007/66/EG gebietet richtlinienkonform eine
einschränkende Auslegung des § 101b Abs. 2 Satz 1 GWB dahin, dass die
Kenntnis des Antragstellers von dem als vergaberechtswidrig beanstandeten
Vertragsschluss auf einer Information des Auftraggebers beruhen muss, mithin
auf einer Auftragsbekanntgabe im Sinne des § 101b Abs. 2 Satz 2 GWB (nach
näherer Maßgabe der Richtlinienvorschrift) oder auf einer Information nach § 101 Abs.
1 Sätze 1 und 2 GWB (vgl. auch bereits OLG Düsseldorf, Beschl. v. 3.8.2011 – VII-Verg
33/11, BA 9). Eine Kenntniserlangung aufgrund eigener Recherchen des Antragstellers oder ihm von dritter Seite bei irgendeiner Gelegenheit zugetragener
Informationen genügt nicht. Die Bemerkungen der Beigeladenen zu 2 hinsichtlich
teilweiser „Lebensfremdheit“ der Richtlinienbestimmung des Art. 2f Abs. 1 lassen
unberücksichtigt, dass die Mitgliedstaaten, sofern sie von der ihnen durch Art. 2f Abs.
1 Richtlinie 2007/66 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen, die Nachprüfung
mit der Einhaltung einer Frist durch den Antragsteller zu verknüpfen, an die dafür in
der Richtlinie festgelegten Modalitäten gebunden sind.
Im Streitfall hat die Antragstellerin aufgrund keiner der in Art. 2f Abs. 1 Buchst. a
Richtlinie 2007/66 vorgesehenen Tatbestandsvarianten von dem als rechtswidrig
beanstandeten Vertragsschluss erfahren, sondern durch anderweite Ermittlungen,
deren Ausgangspunkt und Ergebnis dahinstehen können.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
a) Infolge des Rahmenvertrags mit der Beigeladenen zu 2 und des Kooperationsvertrags vom 11./13.7.2011 – jeweils Verträgen mit einem Hersteller von
Medizinprodukten (§ 140b Abs. 1 Nr. 9 SGB V) – sind im Rahmen der integrierten Versorgung von an Diabetes leidenden Versicherten der Antragsgegnerin (§ 140a SGB V) Bezugsverträge, nämlich öffentliche Lieferaufträge
am Wettbewerb vorbei an die Beigeladene zu 2 vergeben worden. Ein geregeltes Vergabeverfahren hat – wie außer Streit steht – nicht stattgefunden.
Darin liegt der Rechtsverstoß. Dadurch sind betragsmäßig erhebliche und
den Auftragsschwellenwert übersteigende Aufträge auf lange Zeit dem
Wettbewerb entzogen worden. Solche Praktiken sind geeignet, die Marktverhältnisse zu monopolisieren. Sie widersprechen dem Wettbewerbsprinzip
des § 97 Abs. 1 GWB und des europäischen Rechts.
Durch den Abschluss des IV-Vertrags mit der Beigeladenen zu 1 (dieses Handeln ist,
weil nicht angegriffen, hier nicht zu erörtern) hat sich die Antragsgegnerin der sie bei
den Folgeverträgen nach § 140b Abs. 1 SGB V grundsätzlich treffenden Ausschreibungspflicht entledigt. Darauf, ob sie auf den Inhalt der Kooperation mit der Beigelade-
32
nen zu 2 irgendeinen Einfluss genommen hat, kommt es für die Entscheidung nicht an.
Mit dem IV-Vertrag hat die Antragsgegnerin zugelassen, dass die Beigeladene zu
1 die Folgeverträge, so auch die Rahmenvereinbarung mit der Beigeladenen zu
2, ohne eine vergaberechtliche Bindung vergeben kann. In der Ausnutzung der
dazu gegebenen Möglichkeit liegt eine Umgehung des Vergaberechts.
Darin liegt der Kern der vergaberechtlich zu treffenden Beanstandung: Denn entweder
hatte die Antragsgegnerin Folgeverträge nach § 140b Abs. 1 SGB V als öffentlicher
Auftraggeber in einem geregelten Vergabeverfahren selbst auszuschreiben. Oder sie
hatte die Beigeladene zu 1 – sofern der mit ihr abgeschlossene Managementvertrag nicht schon seinerseits einer vorherigen Ausschreibung bedurfte, was
freilich, weil dies nicht angegriffen ist, auf sich beruhen kann – jedenfalls zu
verpflichten, die Auftragnehmer von Folgeverträgen, so auch eine Belieferung
mit Blutzuckermessgeräten und Teststreifen betreffend, in einem geregelten
Vergabeverfahren auszuwählen. Keinesfalls aber kann sich die gesetzliche Krankenkasse eines Managementvertrags bedienen, um ihren Beschaffungsbedarf zu decken
und sich dabei eigenen Ausschreibungspflichten zu entziehen.
Der Senat verkennt nicht die Aufgabenstellung, denen der Rahmen- und Kooperationsvertrag mit der Beigeladenen zu 2 unterlag. Es sollte bei der ohnehin gegebenen
Komplexität der Versorgung von Diabetes-Patienten durch Schaffen und Bereitstellen
eines einheitlichen Datenformats (in Form eines bestimmten Blutzuckermessgeräts) die Versorgung der Versicherten auf eine allen Beteiligten zugängliche und von
ihnen verwertbare Datengrundlage umgestellt und zugleich sollten dadurch in diesem Bereich Kosteneinsparungen ermöglicht werden. Diese Intention ist wegen der
Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers hinsichtlich des Beschaffungsgegenstands
nicht zu kritisieren. Doch ist sie nicht vergaberechtskonform umgesetzt worden. Im
Einklang mit dem Vergaberecht hätte die Antragsgegnerin (oder die Beigeladene zu
1) im Hinblick auf ein einheitliches Datenformat von Blutzuckermessgeräten entweder
bestimmte technische Spezifikationen, was eher problematisch ist, vorgeben können
(§ 8 Abs. 7 VOL/A-EG, Art 23 Abs. 8 Richtlinie 2004/18/EG). Oder sie hätte mit den
ohnedies nur sehr wenigen Herstellern/Vertreibern von Blutzuckermessgeräten nach
vorherigem Teilnahmewettbewerb zur Vereinheitlichung der Datengrundlagen ein Verhandlungsverfahren durchführen können (§ 3 Abs. 3 Buchst. b oder c VOL/A-EG). Das
erklärte Ziel, Vereinfachungen und Kosteneinsparungen zu erreichen, musste bei einer
vergaberechtskonformen Auftragsvergabe keineswegs aufgegeben werden.
18 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.11.2012 –
15 Verg 9/12 (Rahmenvereinbarung bildgebenden Geräten)
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 12.07.2012 dem Nachprüfungsantrag
stattgegeben, und das Vergabeverfahren aufgehoben. Das Vergabenachprüfungsverfahren sei statthaft. Zwar sei die Antragsgegnerin nicht selbst öffentlicher Auf-
33
traggeber im Sinne von § 98 Nr. 1 bis 6 GWB, da sie als juristische Person des
Privatrechts weder von ihren ca. 700 Vertragshäusern (Kliniken, Altenheime,
Wohn- und Pflegeheimen, ambulante Pflegedienste, etc.) finanziert, noch in
irgendeiner Form beeinflusst oder beherrscht werde, sondern vielmehr als
unabhängiger Dienstleister diese Einrichtungen bei deren Beschaffungsvorhaben unterstütze. Allerdings handele sie jedenfalls auch als Stellvertreterin
von zahlreichen Vertragshäusern mit öffentlicher Auftraggebereigenschaft
im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB. Die Stellvertretereigenschaft ergebe sich nicht
schon aus der öffentlichen Bekanntmachung der Ausschreibung, jedoch aus der Art
der Durchführung. So sei es das Vertragsverständnis sowohl von Bietern als auch
von der Antragsgegnerin gewesen, dass diese (die Antragsgegnerin) bei der Ausschreibung als Vertreter der jeweiligen Auftragsgeber handele. Vertragspartner der
ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung sollten die jeweiligen Bieter, welche den
Zuschlag erhalten, auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Vertragshäuser der
Antragsgegnerin werden. Aufgrund dessen seien die Vergabevorschriften des 4. Teils
des GWB anwendbar.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.
A.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
1. Der Anwendungsbereich des § 97 ff. GWB ist eröffnet. Zwar handelt es sich
bei der Antragsgegnerin nicht um einen öffentlichen Auftraggeber im
Sinne von § 98 Nr. 1 GWB. Allerdings ergibt sich aus dem Vorbringen der
Antragsgegnerin und den hierzu vorgelegten Unterlagen, dass sie das Vergabeverfahren im Namen ihrer Vertragshäuser führt, zu denen eine Vielzahl
öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB zählen.
B.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
Die Antragstellerin ist in ihren Rechten auf einen fairen Wettbewerb und ein transparentes Verfahren gemäß § 97 Abs. 1 GWB sowie auf Gleichbehandlung gemäß § 97
Abs. 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 EG-VOL/A verletzt.
1. Die von der Antragsgegnerin gewählte Verfahrensgestaltung ist vergaberechtlich schon deshalb unzulässig, weil ein für die Rahmenvereinbarung
ausreichend bestimmter Beschaffungsbedarf der Antragsgegnerin fehlt.
Nach § 4 EG-VOL/A sind Rahmenvereinbarungen Aufträge, die ein oder mehrere Auftraggeber an ein oder mehrere Unternehmen vergeben können, um die
Bedingungen für die Einzelaufträge, die während eines bestimmten Zeitraums
vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere über den in Aussicht genom-
34
menen Preis. Hintergrund ist die Bündelung von Einzelaufträgen in einem einzigen
Vergabeverfahren. Um dies zu erreichen, muss die Durchführung eines Vergabeverfahrens zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung bis zur Zuschlagserteilung
auf die Einzelaufträge nach den allgemeinen Regeln des Vergaberechts (Zeiss
in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, 2. Auflage, Kommentar zur VOL/A, § 4 EG-VOL/A,
Rn. 31; Poschmann in Müller-Wrede, Kommentar zu VOL/A, 3. Auflage, § 4 EGVOL/A, Rn. 52) erfolgen. Hierbei ist das in Aussicht genommene Auftragsvolumen so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben, braucht aber
nicht abschließend festgelegt zu werden (Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 4
EG-VOL/A, Rn. 9). Insoweit ist das Verfahren bei Abschluss von Rahmenvereinbarung flexibler, allerdings muss der Vertragsgegenstand bereits so genau festgelegt werden, dass er ohne wesentliche Änderung als Grundlage für den Abruf der
Einzelaufträge dienen kann.
Hierbei ist grundsätzlich auch die von der Antragsgegnerin gewählte Fallgestaltung,
keine Abnahmeverpflichtung einzugehen, sondern einseitig dem Auftraggeber eine
Option einzuräumen, die er abrufen kann oder nicht, zulässig. (Zeiss in Kulartz/Marx/
Portz/Prieß, a.a.O., § 4 EG-VOL/A, Rn. 11).
Allerdings hat die Antragsgegnerin keinen auch nur im Ansatz konkretisierten
Beschaffungsbedarf bestimmt.
Insoweit hat die Antragsgegnerin nämlich vorgetragen, der konkrete Investitionsbedarf der einzelnen Kliniken entstünde jeweils sehr kurzfristig und würde
von deren jeweiligem situations- und budgetbezogenem Beschaffungsbedarf
abhängen. Eine konkrete Definition der zu beschaffenden Leistung war schon
nach dem eigenem Vorbringen der Antragsgegnerin damit nahezu unmöglich.
Damit verbleibt als alleinige Zielsetzung, die Ermittlung eines Preises für die ausgeschriebenen Produkte. Dies ist jedoch für den Abschluss einer Rahmenvereinbarung
nicht ausreichend, da der Ausschreibung kein konkreter, wenn auch noch in einzelnen
Punkten offener Beschaffungsbedarf zugrunde lag, sondern vielmehr allgemeine
Marktüberlegungen.
2. Darüber hinaus verstößt die Ausschreibung von Produkten der Firma Siemens
gegen § 8 Abs. 7 EG-VOL/A. Die Verpflichtung des Auftraggebers zur sogenannten produktneutralen Ausschreibung ist Ausfluss des Wettbewerbsgrundsatzes;
es sollen möglichst viele Bieter ihre Erzeugnisse anbieten können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.6.2012 VII Verg 7/1; Beschluss vom 1.8.2012 VII Verg
10/12 -jeweils nach juris). Des Weiteren dient diese Verpflichtung der Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit (EuGH, Urteil vom 10.5.2012 – C-368/10; OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 27.6.2012, a.a.O.). Sinn und Zweck der Vorschrift ist
es, eine Beschränkung des Wettbewerbs durch eine Festlegung im Vorfeld zu verhindern, weil damit der Zugang zum Vergabeverfahren und die Chancengleichheit
der Bieter im Vergabeverfahren von vornherein empfindlich beeinträchtigt wäre.
35
§ 8 Abs. 7 EG-VOL/A zielt darauf ab, den Marktzugang für alle Bieter offen
zu halten und vor Beschränkungen des Wettbewerbs durch zu enge, auf
bestimmte Produkte oder Bieter zugeschnittene Leistungsbeschreibungen zu schützen (Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 8 EGVOL/A, Rn.
108). Zwar obliegt dem Auftraggeber die Bestimmung des Auftragsgegenstandes. Über die an die zu beschaffenden Gegenstände zu stellenden
technischen und ästhetischen Anforderungen bestimmt der Auftraggeber,
allerdings muss diese Anforderung objektiv auftrags- und sachbezogen
sein (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012, a.a.O.; Vergabekammer Bund,
Beschluss vom 01.03.2012, VK 2 5/12 -nach juris, Rn. 96).
Die insoweit von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe rechtfertigen vorliegend
die Ausschreibung von Produkten der Firma Siemens nicht. Es mag zwar sein, dass
einzelne Vertragskliniken der Antragsgegnerin im Einzelfall Begründungselemente
vorbringen können, die in den Anwendungsbereich von § 8 Abs. 7 Satz 1 EG-VOL/A
fallen. Im Hinblick darauf, dass die Rahmenvereinbarung jedoch gebündelt für sämtliche Vertragspartner der Antragsgegnerin ausgeschrieben wurde, trifft dies in dieser
Allgemeinheit jedoch keinesfalls zu.
Keinesfalls ist der vorliegende Sachverhalt mit demjenigen vergleichbar, der der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Beschluss vom 27.06.2012 (a.a.O.;
Vorinstanz: Vergabekammer Bund, Entscheidung vom 01.03.2012, a.a.O.) zu Grunde
lag. Im dortigen Fall ging es um die Beschaffung von Impfstoff in Fertigspritzen, bei
der ein konkreter Beschaffungsbedarf definiert und durch die Notwendigkeit der
technischen Anforderungen begründet sowie durch einen ausreichenden Vergabevermerks dokumentiert war, ohne dass hierdurch andere Wirtschaftsteilnehmer diskriminiert wurden. Vorliegend fehlt es, wie bereits ausgeführt, bereits an einem konkret
definierten Beschaffungsbedarf. Im Hinblick darauf kann auch offen bleiben, ob etwa
die Bündelung von Beschaffungsnotwendigkeiten verschiedener Vertragspartner der
Antragsgegnerin und die Aufteilung in entsprechende Lose unter Zuordnung jeweils
eines Loses zu einem bestimmten Hersteller sowie eines weiteren Loses in Form
produktneutraler Ausschreibung vergaberechtlich zulässig wäre.
Unbehelflich ist auch der Einwand der Antragsgegnerin, der Abschluss der Einzelverträge in der zweiten Stufe stehe unter dem Vorbehalt, dass die Einzelabschlüsse nur von denjenigen Vertragspartnern vorgenommen werden können, die
die entsprechenden Vorgaben nach § 8 Abs. 7 Satz 1 EG-VOL/A erfüllten. Denn die
Wettbewerbsbeschränkung liegt bereits darin, dass sich Bieter, die nicht Produkte
der Firma Siemens anbieten, an dem Verfahren nicht beteiligen können, obwohl
die Voraussetzungen hierfür gar nicht für alle Vertragspartner der Antragsgegnerin und damit Auftraggeber vorliegen. Ob dann die Einzelverträge entsprechend
den Vergabebestimmungen abgeschlossen werden, ist für diese dann aber nicht
überprüfbar.
36
19 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 44/12 (Kopierer und Multifunktionsgeräte)
1. Zu Unrecht greift die Antragstellerin die Ausschreibung als intransparent an. Die
Leistungsbeschreibung für die Auftragsvergabe ist hinreichend bestimmt. Insbesondere bedurfte es über die gemachten Mitteilungen hinaus keiner weitergehenden Bekanntgabe von Verbrauchszahlen aus der Vergangenheit. Aus diesem
Grunde erschöpft sich der von der Antragstellerin wiederholt geäußerte Verdacht,
der bisherige Auftragnehmer werde durch sein Wissen aus der vergangenen Auftragsdurchführung unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz bevorzugt, in
bloßen Vermutungen.
Ist Auftragsgegenstand – wie hier – ein Rahmenvertrag, gelten die Gebote der
Bestimmtheit, Eindeutigkeit und Vollständigkeit der Leistungsbeschreibung nur eingeschränkt. Nach § 4 Abs. 1 EG VOL/A ist der in Aussicht genommene Vertragsumfang
lediglich so genau wie möglich zu ermitteln und bekannt zu geben; er braucht aber
nicht abschließend festgelegt zu werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.04.2012 – VIIVerg 93/11 – juris Tz. 20). Angeboten bei Rahmenvereinbarungen wohnen – in der
Natur der Sache liegend und abhängig vom in der Regel ungeklärten und nicht
abschließend klärbaren Auftragsvolumen – erhebliche Kalkulationsrisiken inne,
die typischerweise vom Bieter zu tragen sind.
7.
Bereichsausnahmen (§§ 100, 100a, 100b GWB)
20 VK Bund, Beschluss vom 04.05.2012 –
VK 3-30/12 (Wartungsdienstleistungen)
2. In rechtlicher Hinsicht ist Hauptstreitpunkt des Verfahrens die Frage, ob die Voraussetzungen von § 100 Abs. 8 Nr. 4 GWB vorliegen. Greift dieser Ausnahmetatbestand, so wäre das Nachprüfungsverfahren nicht statthaft, da der gesamte
Vierte Teil des GWB einschließlich des dort geregelten Nachprüfungsverfahrens
dann keine Anwendung fände.
Zwar bezieht sich die genannte Bestimmung ausdrücklich auf nicht verteidigungs- oder
sicherheitsrelevante Aufträge, so dass die hier in Rede stehende zivile Nutzung der zu
beschaffenden Dienstleistung grundsätzlich in den Anwendungsbereich dieser Ausnahme fällt. Es erscheint allerdings nach derzeitiger Einschätzung der Vergabekammer
durchaus als fraglich, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm wirklich erfüllt
sind. Die Ag beruft sich hier auf das „...“, also das ..., als „internationales Abkommen“ im Sinne von § 100 Abs. 8 Nr. 4 GWB. Auch wenn man das ... als Abkommen
in diesem Sinne akzeptieren würde – was aufgrund des militärischen Charakters
37
des Abkommens bereits fraglich ist – so ist jedenfalls bislang kein „gemeinsam zu
verwirklichendes und zu tragendes Projekt“ der ...- Unterzeichnerstaaten erkennbar.
Zwar hat die Ag in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar den Bedarf nach einer
Kompatibilität von Hubschraubersystemen verschiedener ... dargelegt, da es durchaus
gemeinsame Einsätze von ... Dies mag es in der Sache als sinnvoll erscheinen lassen,
dass eine zentrale Stelle die Beschaffungen durchführt und so ein gewisses Maß
an Vereinheitlichung sichergestellt werden kann. Der Ausnahmetatbestand greift
aber nur dann, wenn die Unterzeichnerstaaten ein „gemeinsam zu verwirklichendes und zu tragendes Projekt“ durchführen. Ein gemeinsames Projekt der
... – Unterzeichnerstaaten unter Einsatz der ... – mag es in der Zukunft vielleicht
irgendwann einmal geben; wollte man aber auf die abstrakte Möglichkeit eines
Projekts abstellen, so käme dies einer erweiternden Anwendung von § 100 Abs.
8 Nr. 4 GWB gleich. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm verbietet sich aber
eine extensive Auslegung.
Würde man dagegen auf das gesamte ... und die in diesem Zusammenhang vorhandenen internationalen Abkommen abstellen, so müsste dem ... seinerseits Projektcharakter zukommen, damit die Ausnahmevoraussetzungen greifen. Dies erscheint
fraglich, da die Wartung, Pflege und Unterhaltung von Hubschraubersystemen eher
als notwendige Folge der Nutzung von Hubschraubern und damit als nicht disponibel
anzusehen ist; ein „Projekt“ im Sinne eines Vorhabens, zu dem man sich entschließt,
dürfte hierin nicht liegen.
21 EuGH, Urteil vom 07.06.2012 –
Rs. C-615/10 (Insinööritoimisto InsTiimi Oy)
Art. 10 Richtlinie 2004/18/EG in Verbindung mit Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG ist dahin
auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat nur dann ermächtigt, einen öffentlichen Auftrag, den ein öffentlicher Auftraggeber im Verteidigungsbereich für die Beschaffung
eines Gegenstands vergibt, der zwar eigens für militärische Zwecke verwendet werden
soll, aber auch weitgehend gleichartige zivile Möglichkeiten der Nutzanwendung
bietet, von den in der genannten Richtlinie vorgesehenen Verfahren auszunehmen, wenn dieser Gegenstand aufgrund seiner Eigenschaften – auch infolge
substanzieller Veränderungen – als speziell für militärische Zwecke konzipiert und entwickelt angesehen werden kann; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.
2.
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 der Richtlinie
2004/18 in Verbindung mit Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG dahin auszulegen ist, dass er
einen Mitgliedstaat ermächtigt, einen öffentlichen Auftrag, den ein öffentlicher Auftraggeber im Verteidigungsbereich für die Beschaffung eines Gegenstands vergibt,
38
der zwar eigens für militärische Zwecke verwendet werden soll, aber auch weitgehend
gleichartige zivile Möglichkeiten der Nutzanwendung bietet, von den in der genannten
Richtlinie vorgesehenen Verfahren auszunehmen.
Aus Art. 10 der Richtlinie 2004/18 in Verbindung mit Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG
ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Aufträgen im Verteidigungsbereich Maßnahmen ergreifen können, die von der erwähnten Richtlinie abweichen,
soweit es um „den Handel“ mit „Waffen, Munition und Kriegsmaterial“ geht und
diese Maßnahmen für die „Wahrung [der] wesentlichen Sicherheitsinteressen“ des
betreffenden Mitgliedstaats erforderlich scheinen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmungen, wie es nach ständiger
Rechtsprechung bei den Abweichungen von den Grundfreiheiten der Fall ist, eng auszulegen sind (vgl. u. a. in Bezug auf die in Art. 296 EG vorgesehenen Abweichungen
Urteil vom 15. Dezember 2009, Kommission/Finnland, C-284/05, Slg. 2009, I-11705,
Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Abs. 1 Buchst. b dieses Artikels
spricht zwar von Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat als für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ansieht, doch kann er nicht als Ermächtigung
der Mitgliedstaaten ausgelegt werden, durch bloße Berufung auf diese Interessen
von den Bestimmungen des EG-Vertrags abzuweichen (Urteil Kommission/Finnland,
Randnr. 47).
Die in der Liste des Rates vom 15. April 1958, auf die Art. 296 Abs. 2 EG ausdrücklich
verweist, aufgeführten Arten von Produkten fallen grundsätzlich unter die in Abs. 1
Buchst. b dieses Artikels vorgesehene Ausnahmemöglichkeit.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob ein Produkt wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Drehtischanlage einer der Kategorien dieser Liste
zugeordnet werden kann.
Art. 296 Abs. 1 Buchst. b EG stellt allerdings klar, dass die Maßnahmen, die die
Mitgliedstaaten demnach ergreifen dürfen, die Wettbewerbsbedingungen auf dem
Gemeinsamen Markt hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten
Waren nicht beeinträchtigen dürfen.
Folglich kann sich zum einen ein öffentlicher Auftraggeber nicht auf Art. 296 Abs. 1
Buchst. b EG berufen, um eine abweichende Maßnahme bei der Beschaffung eines
Gegenstands zu rechtfertigen, der auf jeden Fall für zivile Zwecke gedacht ist und
gegebenenfalls militärischen Zwecken dienen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom
8. April 2008, Kommission/Italien, C-337/05, Slg. 2008, I-2173, Randnrn. 48 und 49).
Zum anderen kann, auch wenn ein Produkt unter eine der in der Liste des Rates vom
15. April 1958 aufgeführten Kategorien von Materialien fallen sollte, diesem Produkt,
sofern es weitgehend gleichartige technische Nutzanwendungen für zivile Zwecke gibt,
39
nur dann eine spezifisch militärische Zweckbestimmung im Sinne von Art. 296 EG
zuerkannt werden, wenn es sich nicht nur um die vom öffentlichen Auftraggeber
für das Produkt vorgesehene Verwendung handelt, sondern auch, wie die Generalanwältin in Nr. 48 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, um die Verwendung,
die sich aus den Eigenschaften eines speziell zu solchen Zwecken konzipierten,
entwickelten oder substanziell veränderten Ausrüstungsgegenstands ergibt.
Insoweit ist nämlich festzustellen, dass aus den Worten „für militärische Zwecke“ in
Nr. 11 dieser Liste sowie den Worten „soweit sie einen militärischen Charakter haben“
und „ausschließlich für ... entwickelte“ in den Nrn. 14 und 15 der Liste hervorgeht,
dass die dort genannten Produkte objektiv einen spezifisch militärischen Charakter
aufweisen müssen.
22 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 –
Verg 10/12 (SatWaS)
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Nachprüfungsantrag ist von der Vergabekammer im Ergebnis zu Recht abgelehnt
worden.
1. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings statthaft und zulässig.
bb) Ein Beschaffungsfall nach § 100 Abs. 2 Buchst. d GWB a. F., Unterbuchst. bb
(besondere Sicherheitsmaßnahmen) oder cc (wesentliche Sicherheitsinteressen
bei der Beschaffung von Informationstechnik oder Telekommunikationsanlagen)
ist zu verneinen. Dabei handelt es sich im System des EU-Vergaberechts,
aber auch des nationalen Rechts, und bei dem danach zu gewährleistenden
Rechtsschutz für die am Auftrag interessierten Wirtschaftsteilnehmer um
Ausnahmebestimmungen, die ihrer Rechtsnatur nach eng auszulegen sind.
Daraus hat die Rechtsprechung jedenfalls in Bezug auf die Ausnahmetatbestände
nach Unterbuchst. bb bis cc von § 100 Abs. 2 Buchst. d GWB a. F. das Erfordernis
einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (Prüfung der Erforderlichkeit und Interessenabwägung) entnommen, wonach der öffentliche Auftraggeber vorher abzuwägen
hat, ob den schutzwürdigen Sicherheitsbelangen – unter Aufrechterhaltung der
Rechtsschutzmöglichkeiten der am Auftrag interessierten Wirtschaftsteilnehmer
– nicht auch durch eine spezifische Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen,
insbesondere durch bestimmte Mindestanforderungen an die Eignung von Bewerbern oder Bietern, entsprochen werden kann. Das Verhältnismäßigkeitsgebot
ist daraus abzuleiten, dass Ausnahmen von der durch die EU-Vergaberichtlinien
(hier die Richtlinie 2004/18/EG) angestrebten erweiterten Zugänglichkeit des
öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb und von dem durch die
Rechtsmittelrichtlinien garantierten Rechtsschutz nur in dem Umfang zu tolerie-
40
ren sind, wie durch Sicherheitsbelange Einschränkungen tatsächlich erforderlich
sind. Anderenfalls würden die Verbindlichkeit und die effektive Durchsetzung des
Unionsrechts (der „effet utile“) beeinträchtigt werden. Dem Erfordernis einer
Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der nationale Gesetzgeber durch den Wortlaut
der Ausnahmebestimmungen nach § 100 Abs. 2 Buchst. d GWB Rechnung getragen („erfordert“, „gebieten“; vgl. im Übrigen zur Rspr.: EuGH, Urt. v. 7.6.2012
– C-615/10, InsTiimi, Rn. 45; Urt. v. 8.4.2008 – C-337/05, NZBau 2008, 401,
Agusta-Hubschrauber, Rn. 2, 53; Urt. v. 2.10.2008 – C- 157/06, NZBau 2008,
401, Polizei- und Feuerwehrhubschrauber, Rn. 30, 31; OLG Düsseldorf, Beschl.
v. 30.4.2003 – Verg 61/02, VergabeR 2004, 371, Afghanistan-Flüge; Beschl.
v. 30.3.2005 – VII-Verg 101/04, BND-Neubau; Beschl. v. 10.9.2009 – VII-Verg
12/09, VergabeR 2010, 83; Beschl. v. 12.7.2010 – VII-Verg 27/10, NZBau 2010,
778, Handgepäckkontrollanlagen; OLG Dresden, Beschl. v. 18.9.2009 – WVerg
3/09, VergabeR 2010, 90, BOS-Digitalfunk; OLG Celle, Beschl. v. 3.12.2009 – 13
Verg 14/09, VergabeR 2010, 230, Großleitstelle).
Die Annahme eines Ausnahmefalls nach § 100 Abs. 2 Buchst. d GWB a. F., Unterbuchst. bb (besondere Sicherheitsmaßnahmen) oder cc (wesentliche Sicherheitsinteressen bei der Beschaffung von Informationstechnik oder Telekommunikationsanlagen) ist im Streitfall unverhältnismäßig. Sicherheitsbelangen hätte durch eine
entsprechende Ausgestaltung der Vergabebedingungen (insbesondere bei
Mindestanforderungen an die Eignung von Bewerbern/Bietern) genügt werden
können. Aus diesem von ihr geteilten Grund hat die Vergabestelle erklärtermaßen
davon abgesehen, sich auf eine Ausnahme nach § 100 Abs. 2 Buchst. d GWB zu
berufen. Die gegenteiligen Ausführungen der Beigeladenen hat der Senat geprüft.
Sie gehen an der Sache vorbei.
8.
Ausschließliche Rechte/Inhouse –
Vergabe/interkommunale Zusammenarbeit
23 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.11.2012 –
Verg 69/11 (Klärschlamm)
a) Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB (in seiner bis zum
13. Dezember 2011 geltenden Fassung) findet keine Anwendung. Der Kreis
B... bzw. die Beigeladene haben kein auf Gesetz beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der Leistung. Insbesondere besteht keine Pflicht
der Antragsgegnerin als Abfallerzeugerin und -besitzerin, den Klärschlamm
gemäß § 13 KrW-/AbfG (nunmehr § 17 Abs. 1 KrWG) dem Kreis B... als
öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger zu überlassen. Eine derartige Überlassungspflicht bestünde – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – nur,
wenn der Klärschlamm als Abfall zur Beseitigung im Sinne des Abs. 1 Satz 2 der
41
Vorschrift einzuordnen wäre. Dies ist, auch unter Zugrundelegung des Sachvortrags
der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Antragsgegnerin, nicht der Fall.
aa) Die Vergabenachprüfungsinstanzen sind nicht gehindert, die abfallrechtliche Einordnung des Klärschlamms als Abfall zur Beseitigung (mit der Folge einer Überlassungspflicht an den Kreis B... und einer Unanwendbarkeit des vierten Teils des
GWB) oder als Abfall zur Verwertung (mit der Folge einer Ausschreibungspflicht
für den Entsorgungsauftrag) vorzunehmen.
Zwar sind Verletzungen außervergaberechtliche Normen im Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich nicht zu überprüfen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v.
01.04.2011, 15 Verg 1/11). Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens können nur solche Beanstandungen sein, mit denen behauptet wird, der öffentliche Auftraggeber
habe „in einem Vergabeverfahren“ (§ 104 Abs. 2 Satz 1 GWB) gegen „Bestimmungen
über das Vergabeverfahren“ (§ 104 Abs. 2 Satz 1 GWB) verstoßen und den Antragsteller „durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften“ in seinen Rechten verletzt
(§ 107 Abs. 2 Satz 1 GWB). So führt der Umstand, dass die „Abstimmungsvereinbarung“ hinsichtlich der Vereinbarung und Abrechnung eines privatrechtlichen Entgelts
unmittelbar zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen möglicherweise zu
beanstanden ist und nur der Kreis B... Gebühren von der Antragsgegnerin erheben
dürfte (vgl. Senatsbeschluss v. 19.10.2011, VII Verg 51/11), nicht zu einer Zulässigkeit
des Verfahrens vor den Vergabenachprüfungsinstanzen.
Indes können außervergaberechtliche Vorschriften bei Vorliegen einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm im Nachprüfungsverfahren entscheidungsrelevant werden.
Im Streitfall ist entscheidend, ob die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 Buchst. g)
GWB a.F. greift, weil der Kreis B... bzw. die Beigeladene ein auf Gesetz – nämlich auf
der abfallrechtlichen Vorschrift des § 13 KrW-/AbfG – beruhendes ausschließliches
Recht zur Klärschlammentsorgung hat und aus diesem Grund der vierte Teil des GWB
keine Anwendung findet, oder ob der Auftrag auszuschreiben gewesen wäre. Dass
diese Prüfung den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht verwehrt sein kann, liegt auf
der Hand.
Aus der von der Antragsgegnerin zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 1. April 2011 (15 Verg 1/11) ergibt sich nichts anderes; ebenso wenig
ist eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 124 Abs. 2 GWB veranlasst. Eine
Divergenz ist nur anzunehmen, wenn das mit der Beschwerdeentscheidung befasste
Oberlandesgericht der tragenden Begründung seiner Entscheidung einen Rechtssatz
zugrunde legen will, der mit einem die Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs tragenden Rechtssatz nicht übereinstimmt (vgl.
u.a. BGH, Beschl. v. 18.02.2003, X ZB 43/02, VergabeR 2003, 313, 314; BGH, Beschl.
v. 18.05.2004, X ZB 7/04, VergabeR 2004, 473, 475; jeweils m.w.N.). Dies ist hier
nicht der Fall.
42
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit der Begründung, Bestimmungen aus dem
Bereich der Abfallwirtschaft zählten nicht zu den Vergabevorschriften, die Antragsbefugnis einer Antragstellerin verneint, die sich darauf berufen hat, dass die Vergabestelle
durch einen Hinweis in den Ausschreibungsunterlagen auf die sog. Autarkieverordnung
des Landes Baden-Württemberg deutlich gemacht habe, dass diese Verordnung zur
rechtsverbindlichen Vorgabe für das Vergabeverfahren gemacht werde; der Abfallwirtschaftsplanung komme keine drittschützende und damit auch keine bieterschützende
Wirkung zu, vielmehr dienten die Vorschriften des Abfallrechts den Interessen der
Allgemeinheit, so dass der einzelne Bieter sich nicht hierauf berufen könne.
Im Streitfall hingegen geht es nicht primär um die Entscheidung der Antragsgegnerin,
den Klärschlamm nicht (selbst) zu verwerten. Zur Nachprüfung stellt die Antragstellerin vielmehr den Umstand, dass die Antragsgegnerin den der Beigeladenen erteilten
Auftrag zur Entsorgung des Klärschlamms nicht ausgeschrieben hat. Abfallrechtliche
Bestimmungen sind mithin im Rahmen der Frage zu prüfen, ob diese Vorgehensweise
der Antragsgegnerin ausnahmsweise gemäß § 100 Abs. 2 Buchst. g) GWB a.F. zulässig war, weil – so ihre Rechtsauffassung – der Kreis B... bzw. die Beigeladene ein auf
Gesetz – § 13 KrW-/AbfG – beruhendes ausschließliches Recht zur Erbringung der
Leistung habe.
bb) Die Abgrenzung, ob es sich bei dem Klärschlamm um Abfall zur Verwertung oder
Abfall zur Beseitigung handelt, hat nach objektiven Kriterien zu erfolgen. Die
Entscheidung der Antragsgegnerin, keine Verwertung vorzunehmen, sondern
die Prüfung, ob eine Verwertung möglich ist, dem Kreis B... bzw. der Beigeladenen zu überlassen, ist vergaberechtlich unerheblich. § 100 Abs. 2 Buchst. g)
GWB a.F. nimmt in Übereinstimmung mit Art. 18 der Richtlinie 2004/18/EG nur
tatsächlich bestehende, nicht lediglich vermeintliche „Monopol“-Rechte von der
Anwendung des Vergaberechts aus. Gleiches gilt, sollten beide Vertragsparteien
bei Abschluss der „Abstimmungsvereinbarung“ von einer gesetzlichen Überlassungspflicht ausgegangen sein. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass
das vermeintliche Monopol des Kreises hoheitlich durchgesetzt werden könnte.
Dies hat weder Einfluss auf die Einordnung des Abfalls als Abfall zur Verwertung
oder Abfall zur Beseitigung noch auf die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen; anderenfalls bestünde eine Rechtsschutzlücke. Bei einem Handeln des
Kreises B... durch Verwaltungsakt hätte die Antragstellerin die Verwaltungsgerichte anrufen können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.10.2007, 7 B 34/07). Hier indes
handelt es sich um eine konsensuale Lösung, zudem noch auf privatrechtlicher
Ebene. Zur Prüfung, ob hierauf das Vergaberecht anwendbar ist und ggf. die
Bestimmungen über das Vergaberecht verletzt sind, sind die Vergabenachprüfungsinstanzen zuständig.
b) Die Anwendung des Vergaberechts ist des Weiteren nicht unter dem Gesichtspunkt einer In-house-Vergabe ausgeschlossen. Es fehlt bereits an der Voraus-
43
setzung einer Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers (allein oder mit anderen
Stellen der öffentlichen Hand) über den Auftragnehmer. Die Beigeladene wird
nicht von der Antragsgegnerin, sondern ausschließlich vom Kreis B... beherrscht
(vgl. für eine ähnliche Fallgestaltung Senatsbeschl. v. 06.07.2011, VII Verg 39/11).
c) Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit vor. Ob eine solche zwischen einer Gemeinde und der
Eigengesellschaft einer anderen Gemeinde möglich ist (vgl. auch Senat, Beschl.
v. 28.07.2011, VII Verg 20/11), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.
Auch die weiteren Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragsgegnerin auf der
einen Seite und die Beigeladene bzw. der Kreis B... auf der anderen Seite arbeiten
nicht im Sinne der Entscheidung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom
9. Juni 2009 (C-480/06, Rn. 37 ff.) zur gemeinsamen Erfüllung einer Aufgabe
horizontal zusammen. Vielmehr handelt es sich um ein Vertikal-Verhältnis
(Dienstleistung gegen Entgelt).
24 EuGH, Urteil vom 29.11.2012 – Rs. C-183/11 (Econord)
In einem Fall, in dem mehrere öffentliche Stellen in ihrer Eigenschaft als öffentliche
Auftraggeber gemeinsam eine Einrichtung zur Erfüllung ihrer Gemeinwohlaufgabe
errichten oder eine öffentliche Stelle einer solchen Einrichtung beitritt, ist die durch die
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgestellte Voraussetzung
für die Befreiung dieser Stellen von ihrer Verpflichtung, ein Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Aufträge nach den Vorschriften des Unionsrechts durchzuführen, nämlich
dass diese Stellen über die Einrichtung gemeinsam eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausüben, erfüllt, wenn jede dieser Stellen sowohl am Kapital als
auch an den Leitungsorganen der Einrichtung beteiligt ist.
Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt sich, dass die Comune di Varese
ASPEM gründete, um auf ihrem Gebiet als „In-house“-Dienstleistungserbringerin
öffentliche Dienstleistungen, insbesondere der Stadtreinigung, zu erbringen. Im maßgeblichen Zeitraum besaß die Comune di Varese an dieser Gesellschaft fast sämtliche
Anteile, was ihr die Kontrolle über sie sicherte.
Aufgrund einer Reihe im Jahr 2005 gefasster Beschlüsse wählten die Comune di
Cagno und die Comune di Solbiate als bevorzugte Form der Erbringung des städtischen Reinigungsdienstes, insbesondere der Dienstleistung der Beseitigung von
festen städtischen Abfällen, die in den Art. 30 und 113 Abs. 5 Buchst. c des Decreto
legislativo Nr. 267/2000 vorgesehene Koordinierung mit anderen Gemeinden, genehmigten den Abschluss einer Vereinbarung mit der Comune di Varese über die entgeltliche Vergabe des städtischen Reinigungsdienstes an ASPEM und traten dieser als
öffentliche Anteilseigner bei, indem sie sich durch Zeichnung jeweils einer Aktie an
ihrem Grundkapital beteiligten.
44
Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt sich, dass das Grundkapital von
ASPEM 173 785 Euro beträgt, das in ebenso viele Aktien mit einem Nennwert von
jeweils 1 Euro aufgeteilt ist. Die Comune di Varese besitzt mit 173 467 Aktien die
Kapitalmehrheit. Die übrigen 318 Aktien verteilen sich auf 36 Gemeinden der Provinz
Varese, die jeweils zwischen 1 und 19 Aktien halten.
Dies ist hier nicht der Fall. Denn das vorlegende Gericht fordert den Gerichtshof auf,
seine Rechtsprechung zu der von mehreren Auftraggebern gemeinsam ausgeübten
Kontrolle über eine von diesen gemeinsam gehaltene beauftragte Einrichtung zu
erläutern sowie die Voraussetzungen, unter denen die Ausübung einer „Kontrolle
wie über die eigenen Dienststellen“ in einem solchen Fall zu bejahen ist, eine Frage,
die unbestreitbar mit dem Gegenstand der Ausgangsverfahren zusammenhängt. Der
Gerichtshof ist außerdem der Ansicht, dass die in den vorliegenden Ersuchen enthaltenen rechtlichen und tatsächlichen Angaben ausreichen, um ihm eine zweckdienliche
Beantwortung der vorgelegten Frage zu ermöglichen.
Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“
vor, wenn die betreffende Einrichtung einer Kontrolle unterliegt, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht, auf ihre Entscheidungen einzuwirken. Hierbei muss
die Möglichkeit gegeben sein, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die
wichtigen Entscheidungen dieser Einrichtung ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen
(Urteile Parking Brixen, Randnr. 65, Coditel Brabant, Randnr. 28, und Sea, Randnr.
65). Mit anderen Worten muss der öffentliche Auftraggeber in der Lage sein,
eine strukturelle und funktionelle Kontrolle über diese Einrichtung auszuüben
(Urteil Kommission/Italien, Randnr. 26). Der Gerichtshof verlangt auch, dass
diese Kontrolle wirksam ist (Urteil Coditel Brabant, Randnr. 46).
Nach der Rechtsprechung kann bei Einschaltung einer von mehreren öffentlichen
Stellen gemeinsam gehaltenen Einrichtung die „Kontrolle wie über die eigenen Dienststellen“ von diesen Stellen gemeinsam ausgeübt werden, ohne dass es notwendig
wäre, dass diese Kontrolle von jeder von ihnen einzeln ausgeübt wird (in diesem Sinne
Urteile Coditel Brabant, Randnrn. 47 und 50, sowie Sea, Randnr. 59).
Infolgedessen kann in einem Fall, in dem eine öffentliche Stelle einer Aktiengesellschaft
mit vollständig öffentlichem Kapital als Minderheitsgesellschafterin beitritt, um dieser
Gesellschaft die Verwaltung einer öffentlichen Dienstleistung zu übertragen, die Kontrolle, die die öffentlichen Stellen als Gesellschafter der Gesellschaft über diese ausüben,
dann, wenn die Kontrolle von diesen Stellen gemeinsam ausgeübt wird, als Kontrolle
wie über ihre eigenen Dienststellen angesehen werden (Urteil Sea, Randnr. 63).
Unter diesen Umständen ist es, wenn mehrere öffentliche Stellen eine gemeinsame
Einrichtung zur Erfüllung einer gemeinsamen Gemeinwohlaufgabe einschalten, zwar
nicht unbedingt erforderlich, dass jede dieser Stellen allein ein individuelles Kontrollrecht über diese Einrichtung hat, doch darf die über die Einrichtung ausgeübte Kontrolle
45
nicht nur auf der Kontrollbefugnis der öffentlichen Stelle beruhen, die Mehrheitsaktionärin der betreffenden Einrichtung ist, da andernfalls das Konzept der gemeinsamen
Kontrolle ausgehöhlt würde.
Hat ein öffentlicher Auftraggeber innerhalb einer gemeinsam gehaltenen beauftragten
Einrichtung eine Stellung inne, die ihm nicht die geringste Möglichkeit einer Beteiligung
an der Kontrolle über diese Einrichtung sichert, würde damit nämlich einer Umgehung
der unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Aufträge und Dienstleistungskonzessionen Tür und Tor geöffnet, da ein rein formaler Beitritt zu einer solchen Einrichtung oder deren gemeinsamem Leitungsorgan diesen öffentlichen Auftraggeber
von der Verpflichtung befreien würde, ein Ausschreibungsverfahren nach den Unionsvorschriften durchzuführen, obwohl er bei dieser Einrichtung in keiner Weise an der
Ausübung der „Kontrolle wie über eigene Dienststellen“ beteiligt wäre (vgl. in diesem
Sinne Urteil vom 21. Juli 2005, Coname, C-231/03, Slg. 2005, I-7287, Randnr. 24).
Daraus folgt, dass es in den Ausgangsverfahren Sache des vorlegenden Gerichts ist,
zu prüfen, ob die Unterzeichnung der gesellschaftsrechtlichen Nebenvereinbarung
durch die Comune di Cagno und die Comune di Solbiate, mit der ihnen das Recht
eingeräumt wird, konsultiert zu werden, ein Mitglied des Aufsichtsrats und – im Einvernehmen mit den anderen an der Vereinbarung beteiligten Gemeinden – ein Mitglied
des Verwaltungsrats zu ernennen, es diesen Gemeinden ermöglichen kann, tatsächlich zur Kontrolle von ASPEM beizutragen.
25 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.01.2013 –
Verg 56/12 (Betrieb von Informationssystemen der GKV)
Tritt eine öffentliche Stelle einer Aktiengesellschaft mit vollständig öffentlichem Kapital als Minderheitsgesellschafterin bei, um dieser Gesellschaft die Verwaltung einer
öffentlichen Dienstleistung zu übertragen, kann die Kontrolle, die die öffentlichen
Stellen als Gesellschafter über die Gesellschaft ausüben dann, wenn die Kontrolle
von diesen Stellen gemeinsam ausgeübt wird, als Kontrolle wie über ihre eigenen
Dienststellen angesehen werden (EuGH, Urteil vom 10.09.2009, C-573/07 – Sea,
Rn. 63). Unter diesen Umständen ist es, wenn mehrere öffentliche Stellen eine
gemeinsame Einrichtung zur Erfüllung einer gemeinsamen Gemeinwohlaufgabe einschalten, zwar nicht unbedingt erforderlich, dass jede dieser Stellen
ein individuelles Kontrollrecht über diese Einrichtung hat, doch darf die über die
Einrichtung ausgeübte Kontrolle nicht nur auf der Kontrollbefugnis der öffentlichen Stelle beruhen, die Mehrheitsaktionärin der betreffenden Einrichtung ist,
da anderenfalls das Konzept der individuellen Kontrolle ausgehöhlt würde. Hat
ein öffentlicher Auftraggeber innerhalb einer gemeinsam gehaltenen beauftragten Einrichtung eine Stellung inne, die ihm nicht die geringste Möglichkeit
einer Beteiligung an der Kontrolle über diese Einrichtung sichert, würde damit
nämlich einer Umgehung der unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche
46
Aufträge und Dienstleistungskonzessionen Tür und Tor geöffnet, da ein rein
formaler Beitritt zu einer solchen Einrichtung oder deren gemeinsamem Leitungsorgan diesen öffentlichen Auftraggeber von der Verpflichtung befreien
würde, ein Ausschreibungsverfahren nach den Unionsvorschriften durchzuführen,
obwohl er bei dieser Einrichtung in keiner Weise an der Ausübung der Kontrolle wie
über eigenen Dienststellen beteiligt wäre (vgl. zum Vorstehenden insgesamt EuGH,
Urteil vom 29.11.2012, C-182 und 183/11 – Econord, Rn. 29-33).
Im Fall Econord war es danach Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob die
Unterzeichnung einer gesellschaftsrechtlichen Nebenvereinbarung, mit der den Minderheitsaktionären der Aktiengesellschaft das Recht eingeräumt wurde, ein Mitglied
des Aufsichtsrats und – im Einvernehmen mit den anderen an der Vereinbarung beteiligten Gemeinden – ein Mitglied des Verwaltungsrats zu ernennen, es diesen Gemeinden ermöglichen konnte, tatsächlich zur Kontrolle der Auftragnehmerin beizutragen.
Im Streitfall ergibt die erforderliche Gesamtschau aller Rechtsvorschriften und maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. EuGH, Urteil vom 13.10.2005, C-458/03 –
Parking Brixen, Rn. 65; Urteil vom 11.05.2006, C-340/04 – Carbotermo, Rn. 36), dass
eine im Sinne der vorgenannten Maßstäbe ausreichende Beteiligung der Antragsgegnerin an den Leitungsorgangen der B... GmbH und damit mittelbar der Beigeladenen
vorliegt, die es ihr ermöglicht, tatsächlich zur Kontrolle der Beigeladenen beizutragen.
Anders als im Fall Econord wird die B... GmbH nicht von einem Mehrheitsgesellschafter dominiert, dem gegenüber die Minderheitsgesellschafter auch bei Bündelung
ihrer Stimmen (im Fall Econord hielten die 36 Minderheitsbeteiligten 318 Aktien, die
Mehrheitsaktionärin dagegen 173.467, vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts
Villalón vom 19.07.2012, Rn. 9) keinerlei Einfluss ausüben können. Die aus der Gesellschafterliste der B... GmbH ersichtliche Verteilung der Gesellschaftsanteile ermöglicht
auch den vielen kleinen Gesellschaftern eine Teilhabe an der Entscheidungsfindung in
der Gesellschafterversammlung. Gleiches gilt für den Aufsichtsrat, der ausschließlich
aus Vertretern der Gesellschafter besteht und dessen Sitzverteilung sich nach den an
der Gesellschaft beteiligten Kassenarten (Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen und Ersatzkassen) richtet. So können die Vertreter der jeweiligen Kassenarten
u.a. mit Mehrheit der Stimmen ein Vetorecht ausüben (§ 5 Nr. 9 des Gesellschaftsvertrags der B... GmbH). Einer Beteiligung an der Geschäftsführung selbst bedarf es
zur Ausübung der Kontrolle nicht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die
Geschäftsführung den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegt. Dies ist
hier der Fall. Der aus Vertretern der Gesellschafter bestellte Aufsichtsrat bestimmt den
oder die Geschäftsführer (§ 4 Ziff. 1 des Gesellschaftsvertrags der B... GmbH); diese
sind nach § 4 Ziff. 4 des Gesellschaftsvertrags an die Beschlüsse und Weisungen
der Gesellschafterversammlung gebunden. Damit ist, ohne dass weitere besondere
Umstände oder gesellschaftsrechtliche Nebenabreden erforderlich wären, im Sinne
der EuGH-Rechtsprechung eine Beteiligung der Antragsgegnerin an den Leitungsorganen der Holding wie auch der Beigeladenen gegeben.
47
II.
ANWENDBARE VERGABE- UND
VERTRAGSORDNUNG/ALLGEMEINE
VERGABEGRUNDSÄTZE
(§ 97 ABS. 1, 2 GWB)
26 OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.03.2012 –
Verg W 13/11 (Landesweite Biotopkartierung)
2) Der Nachprüfungsantrag ist auch überwiegend begründet.
a) Er ist allerdings unbegründet, soweit die Antragstellerin die Wahl der Vergabeordnung der VOL/A beanstandet. Die Vergabe der Leistung musste nicht nach den
Vorschriften der VOF erfolgen.
Zutreffend hat die Vergabekammer die ausgeschriebenen Arbeiten der Erfassung und
Kartierung von Biotopen und FFH-Lebensraumtypen als freiberufliche Dienstleistung
angesehen.
Bei den zu vergebenden Leistungen handelt sich um wissenschaftliche Tätigkeiten im
Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG und § 1 Abs. 2 PartGG, die – da sie von den Bietern
selbständig ausgeübt werden – freiberufliche Tätigkeiten darstellen (vgl. BFH, Urteil
v. 26.11. 1992, IV R 64/91, zitiert nach juris.de).
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV (i.d.F. v. 10.06.2010) haben öffentliche Auftraggeber bei
der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen die Bestimmungen des 2. Abschnitts des
Teils A der VOL/A (EG VOL/A) anzuwenden, sofern in den §§ 5 und 6 VgV nichts
anderes bestimmt ist. Gemäß § 5 VgV ist auf freiberufliche Dienstleistungen die
VOF nur anzuwenden, wenn ihr Gegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung
nicht vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann. Daraus folgt,
dass auch für freiberufliche Dienstleistungen die Vergabeordnung der VOL/A
vorrangig ist, sofern die Lösung der Aufgabe vorab eindeutig und erschöpfend
beschreibbar ist (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss v. 20.09.2006, 1 Verg 3/06, VergabeR 2007, 110; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.04.2010, Verg 55/09, VergabeR
2011, 112). Dass dies für den vorliegend zu beurteilenden Auftrag der Fall ist, sieht der
Senat nicht anders als die Vergabekammer.
Bei der Beurteilung, welche Anforderungen an die „eindeutige und erschöpfende
Beschreibbarkeit der Aufgabe“ zu stellen sind, ist auf den Zweck der Vorschrift des
48
§ 5 VgV abzustellen, der darin liegt, den Anwendungsbereich des Verhandlungsverfahrens nach VOF gegenüber demjenigen des vorrangigen Verfahrens nach VOL/A
abzugrenzen. Eine vorab eindeutig und erschöpfend beschreibbare Lösung im Sinne
von § 5 VgV liegt deshalb vor, wenn die Lösung so genau beschrieben werden kann,
dass sie Gegenstand eines offenen oder nichtoffenen Verfahrens sein kann (vgl. OLG
Saarbrücken a.a.O.; OLG München, Beschluss v. 28.04.2006, Verg 6/06; VergabeR
2006, 914). Das ist hier der Fall, denn es geht nicht darum, eine Problemstellung
durch geistig-kreative Schöpfung einer noch zu findenden Lösung zuzuführen. Das
zu erreichende Ziel der Biotoptkartierung liegt darin, die Ausstattung der Landschaft
an Hand von abgrenzbaren Biotoptypen zu beschreiben. Zum Erreichen der vorgegebenen Lösung der Biotopkartierung sind die entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten der Natur zu untersuchen, deren Ergebnisse nach anerkannten wissenschaftlichen Maßstäben zu werten und bestimmten Kategorien der zu erfassenden
Flächen zuzuordnen und schließlich in die Form einer digitalisierten Karte zu bringen.
Ohne weiteres zutreffend hat die Antragstellerin selbst die Aufgabe bildhaft dahin
beschrieben, dass die in der Natur vorzufindenden Gegebenheiten „in ein Schema
zu pressen“ seien. Jenes „Schema“ steht fest, denn den Auftragnehmern ist vorgegeben, welche Flächen mit welchen Angaben zu erfassen sind. Ebenso stehen der
zur Erreichung des Ziels einzuschlagende Weg und die anzuwendenden Methoden
fest. Der Auftraggeber hat dies in der Leistungsbeschreibung und den Anlagen dazu
bis in letzte Detail gehend erschöpfend beschrieben. Die Erfassung und Kartierung
in vorgegebener Kartierungstiefe erfolgt auf der Grundlage des vom Auftraggeber
vorgegebenen standardisierten Erfassungssystems.
27 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 –
C-368/10 (EKO und Max Havelaar)
c) Zum behaupteten Verstoß gegen Art. 2 der Richtlinie 2004/18
Der Grundsatz der Transparenz bedeutet, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, präzise und eindeutig in der Vergabebekanntmachung oder dem Lastenheft formuliert werden, so dass zum einen alle
gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter die
genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in
gleicher Weise auslegen können und zum anderen der Auftraggeber tatsächlich
überprüfen kann, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen (vgl. u. a. Urteil vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di
Frutta, C-496/99 P, Slg. 2004, I-3801).
Wie die Generalanwältin in Nr. 146 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, weisen Anforderungen an die Einhaltung der „Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des
gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens“ sowie die Verpflichtung, „zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und zu einer umwelttechnisch, sozial
49
und wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beizutragen“, nicht das Maß
an Klarheit, Präzision und Eindeutigkeit auf, das alle gebührend informierten und mit
der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter in die Lage versetzte, sicher und in vollem
Umfang zu wissen, welches die Kriterien sind, die diese Anforderungen umfassen.
Dies gilt erst recht für die an die Bieter gerichtete Aufforderung, in ihrem Angebot
anzugeben, auf welche Weise sie diese Kriterien erfüllen oder inwiefern sie zu den
vom Auftraggeber in Bezug auf den Kaffeemarkt und die Kaffeeproduktion angestrebten Zielen beitragen, ohne dass ihnen insoweit konkrete Angaben zu den von ihnen zu
erteilenden Auskünften gemacht werden.
Daher hat die Provinz Nord-Holland eine Klausel aufgestellt, die die Transparenzverpflichtung nach Art. 2 der Richtlinie 2004/18 nicht wahrt, indem sie den Bietern in
dem streitigen Lastenheft vorgeschrieben hat, die „Kriterien der Nachhaltigkeit der
Einkäufe und des gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens“ einzuhalten, „zur
Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und zu einer umwelttechnisch,
sozial und wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beizutragen“ und in ihrem
Angebot anzugeben, auf welche Weise sie die Kriterien erfüllen oder inwiefern sie
zu den vom Auftraggeber in Bezug auf den Kaffeemarkt und die Kaffeeproduktion
angestrebten Zielen beitragen.
28 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 –
Verg 10/12 (SatWaS)
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Nachprüfungsantrag ist von der Vergabekammer im Ergebnis zu Recht abgelehnt
worden.
1. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings statthaft und zulässig.
Im Streitfall hat die Prüfung einer Bereichsausnahme ausschließlich nach § 100 Abs. 2
Buchst. d GWB a. F., d. h. gemäß dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des Gesetzes
zur Änderung des GWB für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit vom 7.12.2011
am 14.12.2011 und vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG zur
Koordinierung der Vergabeverfahren in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit
am 21.8.2011 (vgl. Art. 72 Abs. 1 Richtlinie 2009/81) zu erfolgen. Einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts oder einer unmittelbaren Anwendung von
Richtlinienvorschriften (so die Vergabekammer) bedarf es nicht.
aa) Zu einer Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 2009/81/EG ist die Vergabekammer nur aufgrund der Annahme gekommen, das Vergabeverfahren habe
erst nach Ablauf der Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie (am 21.8.2011) durch
Angebotsaufforderung der Vergabestelle an die Beigeladene vom 31.8.2011
50
begonnen. Dies beruht indes auf einem Missverständnis bei dem für den
Beginn des Vergabeverfahrens zugrunde zu legenden Begriff. Diesem
Begriff hat im Sinn einer allgemeinen Meinung die Rechtsprechung der
Vergabesenate von Anfang an ein materielles Verständnis zugrunde gelegt,
wonach das Vergabeverfahren begonnen hat, wenn zwei Voraussetzungen
kumulativ gegeben sind, und zwar (vgl. insoweit BayObLG, Beschl. v. 22.1.2002
– Verg 18/01, NZBau 2002, 397, 398; Beschl. v. 27.2.2003 – Verg 25/02, VergabeR 2003, 669, 670 f.; Beschl. v. 28.5.2003 – Verg 7/03, VergabeR 2003, 563,
564; OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.12.2003 – Verg W 8/03, VergabeR 2004,
773, 774; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.6.2001 – Verg 3/01, NZBau 2001, 696,
698; Beschl. v. 11.3.2002 – Verg 43/01, NZBau 2003, 55; Beschl. v. 12.1.2004 –
VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343; Beschl. v. 9.12.2009 – VII-Verg 37/9; OLG Rostock, Beschl. v. 5.2.2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457, 458; Thüringer OLG,
Beschl. v. 14.10.2003 – 6 Verg 5/03, VergabeR 2004, 113, 118; zuletzt KG, Beschl.
v. 19.4.2012 – Verg 7/11, BA 12; Dittmann, in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 102
GWB Rn. 22):
■
Der öffentliche Auftraggeber entscheidet, einen gegenwärtigen oder künftigen Bedarf durch eine Beschaffung von Lieferungen, Dienst- oder Bauleistungen auf dem (Binnen-)Markt (und nicht durch Eigenleistung) zu decken
(interner Beschaffungsentschluss),
■
und er ergreift nach außen hin (über interne Überlegungen und Vorbereitungen hinaus) bestimmte, wie auch immer geartete Maßnahmen, um den
Auftragnehmer mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses zu ermitteln oder
bereits zu bestimmen (externe Umsetzung).
Davon ist in der Vergangenheit das OLG Naumburg abgewichen (Beschl. v. 8.1.2003
– 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224, 226 = VergabeR 2003, 196). Es hat ein formelles
Begriffsverständnis vertreten und im Interesse der Rechtssicherheit bestimmte konstitutiv wirkende förmliche Maßnahmen des Auftraggebers, in der Regel eine Vergabebekanntmachung, gefordert. Auf das Vorabentscheidungsersuchen des OLG Naumburg
(a. a. O., die Auslegung von Vorschriften der Rechtsmittelrichtlinie betreffend) hat der
EuGH einem materiellen Verständnis vom Beginn des Vergabeverfahrens den Vorzug
gegeben (Urt. v. 11.1.2005 – C-26/03, Stadt Halle, NZBau 2005, 111 = VergabeR 2005,
44, Rn. 28, 30, 33 bis 35, 38 f.). Der formale Begriffsansatz ist dadurch im Bereich
der vom vierten Teil des GWB erfassten Auftragsvergaben kraft verbindlicher
Interpretation durch den Gerichtshof gegenstandslos geworden. Die zeitlich danach
ergangene Entscheidung des OLG Naumburg vom 8.10.2009 (1 Verg 9/09) widerspricht der Auslegung der Rechtsmittelrichtlinie durch den Gerichtshof und ist – wie
der Streitfall lehrt – für die Vergabe- und die Nachprüfungspraxis irreführend, soweit
sie bei der Einleitung des Vergabeverfahrens weiterhin auf die Einhaltung gewisser
Förmlichkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber abgestellt sehen will.
51
Dem OLG Naumburg folgend hat die Vergabekammer für den Beginn des Vergabeverfahrens einen formalen Gesichtspunkt herangezogen, nämlich die an die Beigeladene
gerichtete Aufforderung zur Einreichung eines Angebots vom 31.8.2011. Dies steht im
Gegensatz zur Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Vergabesenate der Oberlandesgerichte. Ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof ist nicht
veranlasst. Die Angelegenheit ist aufgrund des Urteils des Gerichtshofs vom 11.1.2005
(a. a. O.) unionsrechtlich in der Weise geklärt, dass dergleichen Formalitäten für den
Beginn des Vergabeverfahrens nicht maßgebend sind. Eine Vorlage der Sache an den
Bundesgerichtshof scheidet aus, weil die unionsrechtlich zu beurteilende Rechtsfrage
seiner Judikatur nicht unterliegt.
Unabhängig davon ist die tatsächliche Beurteilung durch die Vergabekammer nicht
mehr lebensnah zu nennen. Die Beigeladene ist von Beginn an – so auch die
Antragstellerin (mit „Projektantenstatus“) – in die Entwicklung von MoWaS
eingebunden und von der Vergabestelle als künftiger Auftragnehmer ausgewählt worden, womit das Vergabeverfahren spätestens Anfang des Jahres 2011
begonnen hat. Das bestätigt der Beschaffungsauftrag des Bedarfsträgers BBK vom
19.11.2010 an die Vergabestelle (der sich gegen einen „Providerwechsel“ bei MoWaS,
m. a. W. für eine Beauftragung der Beigeladenen ausgesprochen hat). Darüber hinaus
ist nicht recht vorstellbar, wie bei einem komplexen IT-Auftrag der vorliegenden Art
auf die Angebotsaufforderung der Vergabestelle vom 31.8.2011 das Angebot der Beigeladenen bereits gut eine Woche danach, nämlich unter dem 9.9.2011, bei der Vergabestelle hat eingehen können, wenn mit ihr als Auftragnehmer nicht schon vorher
alle wesentlichen Konditionen des Auftrags ausverhandelt gewesen sind. Gemessen
an Art und Umfang des Auftrags sind die Verhandlungen zeitaufwändig gewesen. Sie
sind lange Zeit vor August 2011 (wenn auch mit Zustimmung der Vergabestelle möglicherweise zunächst nur mit dem BBK) aufgenommen und allein mit der Beigeladenen
geführt worden, weil diese den Auftrag hat erhalten sollen. Auf den in Auszügen in
Fotokopie vorgelegten E-Mail-Verkehr zwischen der Vergabestelle und der Beigeladenen im Juli und August 2011 über Einzelheiten kommt es nicht an.
52
III. VERFAHRENSARTEN NACH
DEN §§ 97 FF. GWB/FRISTEN FÜR
EU-VERGABEN
1.
Offenes Verfahren
29 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 –
Verg 58/11 (Pharmarabattvertrag)
f) Die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren liegen nicht vor.
Die Antragsgegnerin hat in der EU-Bekanntmachung zwar ein offenes Verfahren angegeben. Durch die Möglichkeit der Bieter, unter bestimmten Umständen Vorschläge
für Abänderungen zu machen, die zu Verhandlungen führen, kann es jedoch in ein
Verhandlungsverfahren umschlagen. Dies stellt eine nicht zulässige Verfahrensart dar.
2.
Nichtoffenes Verfahren
30 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012 – VII-Verg 75/11
(Unterhaltsreinigung, Außenreinigung, Winderdienst)
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer ist zulässig und begründet. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der
Antragstellerin zu Unrecht wegen fehlender Antragsbefugnis als unzulässig zurückgewiesen. Infolgedessen ist der Antragsgegnerin die Erteilung eines Zuschlags zu
untersagen. Bei fortbestehender Vergabeabsicht hat sie das Vergabeverfahren erneut
europaweit bekannt zu machen und das offene Verfahren zu wählen.
II. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
Die Antragsgegnerin hat, wie der Senat bereits im Beschluss vom 25. August 2011
und in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2012 ausgeführt hat, im Vergabeverfahren gegen § 101 Abs. 7 S. 1 GWB, § 4 VgV, § 3 Abs. 1 S. 1 EG VOL/A verstoßen,
indem sie das nicht offene Verfahren anstatt des offenen Verfahrens gewählt hat.
Das offene Verfahren ist der Regelfall, von dem nur in den gesetzlich zugelassenen
Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Ein gesetzlicher Ausnahmefall liegt jedoch
nicht vor.
53
Die Antragstellerin kann sich nicht auf den eng auszulegenden Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 2 lit. b) EG VOL/A berufen. Sie hat nicht dargetan, dass der
mit der Durchführung eines offenen Verfahrens verbundene Aufwand in einem
Missverhältnis zum Auftragswert stehen würde. Der Bruttoauftragswert beträgt
1.200.000 Euro. Die Mehrkosten für die Durchführung eines offenen Verfahrens hat
sie mit ca. 27.000 Euro beziffert. Dieser Betrag, unterstellt er wäre zutreffend, entspricht nur 2,25% des Auftragswerts. Von einem Missverhältnis kann daher nicht
einmal im Ansatz die Rede sein. Es ist überdies höchst zweifelhaft, ob der Antragsgegnerin überhaupt Mehrkosten in dieser Höhe entstehen würden. Bei der Kalkulation der
Mehrkosten ist sie nämlich davon ausgegangen, dass die Auswertung eines einzigen
Angebots durch einen Dienstleister einen ganzen Arbeitstag in Anspruch nimmt, so
dass bei zu erwartenden 30 zusätzlichen Angeboten 30 zusätzliche Arbeitstage zu je
900 Euro aufgewendet werden müssten. Aus praktischer Sicht erscheinen sowohl ein
solcher Aufwertungsaufwand als auch die Vergütung angesichts des überschaubaren Vergabegegenstandes völlig übersetzt. Außerdem reduziert sich der unmittelbare
Arbeitsaufwand der Antragsgegnerin, weil diese – wie sie selbst vorgetragen hat – bei
der Wahl des offenen Verfahrens die bislang durch eigene Mitarbeiter vorgenommene Eignungsprüfung durch einen Dienstleister vornehmen lassen würde. Ferner
ist davon auszugehen, dass in einem offenen Verfahren nicht nur mehr, sondern auch
wirtschaftlichere Angebote eingehen würden, als in einem nicht offenen Verfahren,
so dass die durch diese Verfahrenswahl entstehenden Mehrkosten voraussichtlich
mindestens teilweise kompensiert werden können.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf den Ausnahmefall des § 3 Abs. 2 lit.
d) EG VOL/A berufen. Die Wahl eines offenen Verfahrens ist nicht unzweckmäßig. Zwar kann auch die Dringlichkeit einer Vergabe die Wahl eines nicht offenen
Verfahrens begründen (vergleiche § 3 Abs. 3 Nr. 3 VOB/A). Unabhängig davon,
dass zweifelhaft ist, ob die Wahl des nicht offenen Verfahrens gegenüber der
Wahl eines offenen Verfahren überhaupt zu einer wesentlichen Beschleunigung
des Zuschlags führen würde, ist der Zeitdruck maßgeblich darauf zurückzuführen, dass zwei frühere Vergabeverfahren aufgehoben werden mussten, weil
Vergabefehler erkannt wurden. Die Auffassung der Vergabekammer, gestützt
auf Kaelble (in Müller-Wrede, VOL/A, 3. Aufl., § 3 EG, Rdnr. 46), ein Auftraggeber
könne sich auf die Dringlichkeit auch dann berufen, wenn er sie verursacht habe,
ist abzulehnen (so auch Hausmann/von Hoff in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A,
2. Aufl., § 3 EG VOL/A, Rdnr. 40; Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 3,
Rdnr. 55; Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 EG VOL/A, Rdnr. 10; § 3 VOB/A,
Rdnr. 28). Dass dieses Erfordernis nicht genannt ist, ist darauf zurückzuführen, dass
die Vorschrift keine Beispiele nennt. Im Übrigen ist auch bei § 20 EG VOL/A für eine
rechtmäßige Aufhebung anerkannt, dass der Aufhebungsgrund nicht vom Auftraggeber schuldhaft verursacht worden sein darf.
Dass die Antragstellerin bei der Wahl des offenen Verfahrens keine Zuschlagchance
gehabt hätte, wie die Antragstellerin meint, weil sie mindestens drei Referenzen ver-
54
langt hätte, um die Eignung der Bieter zu überprüfen, was vergaberechtlich nicht
zu beanstanden wäre (siehe: § 19 Abs. 5 EG VOL/A, § 7 Abs. 3 lit. a) EG VOL/A,
siehe dazu auch Hausmann/von Hoff in Kulartz, a.a.O., § 7 EG VOL/A, Rdnr. 50ff),
ist spekulativ und bedeutungslos. Es steht nämlich weder fest, dass die Antragsgegnerin tatsächlich mindestens drei Referenzen verlangt hätte, noch steht fest, dass
die Antragstellerin drei Referenzen aus vergleichbaren Dienstleistungsaufträgen nicht
vorlegen kann. Das Gegenteil hat sie im Senatstermin behauptet.
Infolgedessen hat die Antragsgegnerin einen Zuschlag zu unterlassen. Sofern Ihre
Vergabeabsicht fortbesteht, hat sie den festgestellten Vergaberechtsverstoß zu
beseitigen, dazu das Verfahren zurückzuversetzen und es unter erneuter europaweiter
Bekanntmachung im offenen Verfahren zu wiederholen.
31 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 – Verg 3/12
(Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen)
e) Die der Antragstellerin gegebene Bieterinformation und die Angebotswertung deuten allerdings darauf hin, dass die Vergabestelle – einigermaßen
unbegreiflich – trotz der ihr Insoweit durch den Senatsbeschluss vom
10.8.2011 (VII-Verg 36/11, BA 10 f. m.w.N.) zuteil gewordenen gegenteiligen
Belehrung bei der erneuerten Wertung weiterhin Eignungsmerkmale für die Vergabeentscheidung herangezogen hat (insbesondere Erfahrungen und Kenntnisse
der Bieter). Dies veranlasst ausnahmsweise jedoch keine Korrektur am Vergabeverfahren, denn dadurch sind die Auftragschancen der Antragstellerin
unzweifelhaft nicht beeinträchtigt worden (vgl. zu diesem Element der Begründetheitsprüfung bei Nachprüfungsanträgen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2010
– VII-Verg 47/10; Beschl. v. 15.6.2010 VII-Verg 10/10; Beschl. v. 14.4.2010 – VHVerg 80/09, IBR 2010, 580, 582 VergabeR 2011, 78; OLG München, u.a. Beschl.
v. 21.5.2010 Verg 2/10, VergabeR 2010, 992; ebenso: 1. Vergabekammer des Bundes im angefochtenen Beschluss vom 9.1.2012 – VK 1-162/11, BA 19; Herrmann,
VergabeR 2011, 2 ff.; a.A. Müller-Wrede, NZBau 2011, 650; Mantler, VergabeR
2011, 82, 83 f.). Die Antragstellerin ist nach eigenem, unbestrittenem Vorbringen
der größte unabhängige Informationsdienstleister in Deutschland und mit besten
strukturellen Unternehmensvoraussetzungen für die Ausführung des Auftrags
sowie ais bisheriger Auftragnehmer zudem mit Vorkenntnissen und Erfahrungen
ausgestattet. Davon ausgehend ist die Antragstellerin durch eine erneute, vergaberechtlich unzulässige Bewertung von Eignungsmerkmalen (mithin aufgrund
einer Rechtsverletzung) bei den Aussichten, den Auftrag zu erlangen, nicht
schlechter gesteift, sondern gegenüber der Beigeladenen begünstigt worden,
weil diese nicht in gleichem Maß wie die Antragstellerin über die für die Auftragsausführung benötigten Strukturen und Ressourcen sowie über Erfahrungen und
(Vor)Kenntnisse verfügt.
55
3.
Verhandlungsverfahren
32 VK Lüneburg, Beschluss vom 04.01.2012 –
VgK-54/2011 (Schulsanierung)
I.
Nach EU-Vorinformation am ... 2010 hat die Stadt ... mit europaweiter Bekanntmachung vom ... 2010 als Auftraggeberin einen Dienstleistungsauftrag für „Planung,
Bau und Zwischenfinanzierung für den Neubau des ... als Verhandlungsverfahren
mit vorgeschaltetem Teilnehmerwettbewerb ausgeschrieben. Gegenstand der
ausgeschriebenen Leistung sind Planung und Neubau eines Schulgebäudes mit
ca. 5.000 m² Nutzfläche auf Basis einer funktionalen Leistungsbeschreibung. Zum
Leistungsumfang gehören auch der Abbruch eines vorhandenen Schulgebäudes,
die Herstellung von Außenanlagen und die Bauzwischenfinanzierung.
2. II. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und überwiegend begründet.
Die Antragsgegnerin hat gegen das Gebot zu Gleichbehandlung und Transparenz verstoßen. Es ist nicht erkennbar, dass vergleichbare Angebote gewertet
worden sind. Die Antragsgegnerin hat in den Vergabeunterlagen für ihr Verhandlungsverfahren zwar Anforderungen an die zu erbringenden Leistungen
gestellt, diese aber im Laufe der Verhandlungsrunden nicht präzisierend fortgeschrieben. Im Ergebnis fehlt es an einheitlichen und klaren Qualitätsstandards
zur Sicherung einer Vergleichbarkeit der Angebote. In der Vergabeakte ist auch
nicht dokumentiert, dass die Angebote bezüglich der Erfüllung von Mindeststandards
überprüft worden sind. Statt der Vorgabe einheitlicher Grundlagen zur Angebotserarbeitung hat die Antragsgegnerin in ihre Aufforderungen zur Angebotsabgabe z. T.
wertungsrelevante unterschiedliche Forderungen und Anregungen aufgenommen.
Auf eine Bekanntgabe von Zwischenergebnissen hat sie verzichtet. Mit ihrer nicht
transparenten individuellen Einflussnahme auf die Gestaltung der Hauptangebote und
die Vorlage von Nebenangeboten hat sie die Chancengleichheit der Bieter, ein erfolgreiches Angebot abzugeben, beeinträchtigt, den Bietern eigene Handlungsspielräume
für die Angebotserstellung genommen und damit den Wettbewerb beeinträchtigt.
Vor Abschluss der Angebotswertung und Entscheidung über den Zuschlag hat sie
schließlich vergaberechtswidrige Nachverhandlungen mit der Beigeladenen geführt.
Die Chance auf einen Zuschlag setzt regelmäßig voraus, dass ein taugliches Angebot,
wie im vorliegenden Fall das finale Angebot der Antragstellerin, abgegeben wurde.
Weiterhin fehlt es an der Antragsbefugnis, wenn Gründe, die den Ausschluss
der Antragstellerin gemäß § 107 Abs. 2 GWB tragen sollen, evident sind (OLG
Schleswig, Beschluss vom 30.09.2010, 1 U 50/10). Das Angebot der Antragstellerin wurde nicht ausgeschlossen, sondern erhielt in der engeren Wahl des § 16
Abs. 6 Nr. 3 VOB/A nicht den Zuschlag.
56
Für die Entscheidung der Antraggegnerin war allein die Punktedifferenz der abschließenden Wertung des Angebotes der Beigeladenen zum Angebot der Antragstellerin
maßgebend.
Ob sich die dargestellte Rechtsverletzung bestätigt, insbesondere, ob die Antragstellerin tatsächlich von der Antragsgegnerin diskriminiert wurde bzw. die Antragsgegnerin die Informationen in der Weise weitergab, dass die Beigeladene gegenüber der
Antragstellerin begünstigt werden konnte, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern
der Begründetheit des Antrages (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.07.2006 –
VII Verg 23/06).
2. Die Antragstellerin ist dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die Antragsgegnerin
die in § 97 Abs. 1 und 2 GWB niedergelegten Grundsätze der Gleichbehandlung,
der Transparenz und des Wettbewerbs nicht beachtet hat.
2.1 Die Antragstellerin hat im Verfahren bis zur Information nach § 101 a GWB keinen
Verfahrensfehler gerügt. Mithin sind Verstöße gegen Vergabevorschriften, die
erkennbar waren und nicht gerügt wurden, der Begründetheitsprüfung grundsätzlich nicht mehr zugänglich, vgl. § 107 Abs.3 Nr. 2 und Nr. 3 GWB. Im Zeitraum
der Wertung, also von der Abgabe des finalen Angebotes bis zur Information
nach § 101a GWB, könnte die Präklusion zulasten der Antragstellerin nur insoweit eingetreten sein, als die Antragstellerin gerügte Verstöße erkannt und nicht
unverzüglich gerügt hat, vgl. § 107 Abs. 3 Nr.1 GWB. In die Zeit der Wertung
fallen die Gespräche am 30.09.11 und 07.10.11, die die Antragsgegnerin ohne
Kenntnis der Antragstellerin mit der Beigeladenen führte. Es kann dahinstehen,
ob die Bestimmung infolge des Begriffs „unverzüglich“ unwirksam ist, vgl. OLG
Celle Beschluss vom 26.04.2010, 13 Verg 4/10, weil die Antragsgegnerin die
Antragstellerin nicht über ihre Gespräche mit der Beigeladenen informiert hat. Die
Antragstellerin konnte mithin mangels Kenntnis eine Beschwer nicht rügen.
Die Verhandlungen der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen vor Erteilung des
Zuschlages können also von der Antragstellerin angegriffen werden.
2.2 Auch ein Verhandlungsverfahren hat den wesentlichen Prinzipien des Vergaberechts zu folge, als da sind: Gleichbehandlung, Transparenz und dem Grundsatz
des Wettbewerbs.
2.2.1 Der verfassungsrechtlich in Art. 3 GG verankerte Gleichheitsgrundsatz gehört
seit jeher zu den elementaren Prinzipien des deutschen Vergaberechts und hat
in § 97 Abs. 2 GWB, § 2 Abs. 2 VOB/A und für das Verhandlungsverfahren in
§ 3a Abs. 3 Nr. 1 VOB/A eine spezifische gesetzliche und vergabeordnungsrechtliche Normierung erfahren. Er ist in allen Phasen des Vergabeverfahrens zu
beachten und dient dazu, die Vergabeentscheidung im Interesse eines funktionierenden Wettbewerbs auf willkürfreie sachliche Erwägungen zu stützen (vgl.
57
grundlegend u. a. OLG Saarbrücken, 29.05.2002, 5 Verg 1/01 Seite 14 Nr. 4 mit
weiteren Nachweisen).
Daraus folgt, dass die im vorliegenden Fall nur mit der Beigeladenen nach Angebotseröffnung geführten Verhandlungsgespräche unzulässig waren.
Den Verstoß gegen den Kern des Gleichheitsgrundsatzes kann die Antraggegnerin
nicht damit rechtfertigen, dass sie sich die Ungleichbehandlung durch entsprechende
vorherige Verfahrensbestimmung und letztlich der rügelosen Einlassung der Bieter auf
diesen Verfahrensschritt erlaubt.
Die am Ende des Protokolls der Verhandlung über das zweite indikative Angebot enthaltene Bestimmung der Antragsgegnerin, dass sie die abschließende Verhandlung
des Bauwerksvertrages ausschließlich mit dem bevorzugten Bieter führen wird, kann
die Ungleichbehandlung der Bieter und hier die der Antragstellerin nicht rechtfertigen.
Der Begriff: „bevorzugter Bieter“ ist in der VOB/A nicht definiert. Die Antragsgegnerin
hat ihn auch nicht näher erläutert. Aus der Sicht eines verständigen Wettbewerbers
ist der Verfahrensschritt so zu verstehen, dass der bevorzugte Bieter derjenige Wettbewerbsteilnehmer ist, der nicht nur ein taugliches Gebot abgegeben hat, sondern als
Punktstärkster den Zuschlag erhalten soll. Mit diesem Bieter will die Antragsgegnerin
vor Zuschlag, abschließend über Einzelheiten des Bauwerksvertrages verhandeln. Diesem Verfahrensschritt, den sich die Antragsgegnerin eingeräumt hat, kommt große,
der Absage nach § 101a GWB gleiche Bedeutung zu. Der bevorzugte Bieter wird den
Zuschlag erhalten.
Das vergaberechtliche „Grundrecht“ auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung
gilt auch in diesem Verfahrensschritt, soweit es die besondere Verfahrensbestimmung nicht einschränkt. Im Übrigen darf also die Antragstellerin nicht nur weiterhin
auf Gleichbehandlung vertrauen, sondern hat den Anspruch auf Gleichbehandlung.
Wenn nun die Bestimmung der Beigeladenen zum bevorzugten Bieter die Wirkung
einer Absage an die Antragstellerin hat, muss die Erklärung in der dem § 101a GWB
entsprechenden Art und Weise erfolgen; als Information an alle Bieter hier also an
die Antragstellerin. Dies hat die Antragsgegnerin unterlassen. Sie hat aus Sicht der
Antragstellerin mit der Entscheidung die Beigeladene zum bevorzugen Bieter zu
bestimmen und abschließende Verhandlungen zu führen, das Wettbewerbsverfahren ohne Mitteilung an die Antragstellerin zu einem der Antragstellerin unbekannten
Zeitpunkt faktisch beendet. Folglich hätte die Antragsgegnerin vor Aufnahme der
Verhandlungsgespräche die Absage nach § 101a GWB an die Antragstellerin senden
müssen; was sie allerdings unterließ. Die Absage an die Antragstellerin nach § 101a
GWB folgte hingegen 20 Tage nach dem letzten Verhandlungsgespräch, am 27.10.11.
Auf ihr rechtswidrig gesetztes Nachverhandlungsverfahren kann sich die Antragsgegnerin nicht stützen.
58
Im Übrigen ist das Bevorzugte-Bieter-Verfahren, bei dem der Auftraggeber ein
Unternehmen bestimmt und nur mit diesem das Angebot endverhandelt, nicht
mehr zulässig. Die grundsätzliche Unzulässigkeit bestimmt sich aus Art. 44 Abs.
4 VKR sowie ihrer Umsetzung in § 3a Abs. 7 Nr. 2 VOB/A. Ausnahmsweise können allerdings dann Verhandlungen mit nur einem Unternehmen begonnen werden, wenn nach sachgerechter Reduzierung der Zahl der Angebote anhand der
Zuschlagskriterien lediglich ein geeigneter Bewerber übrig bleibt (vgl. Ingenstau
a. a. O. Rdnr. 35 zu § 3a VOB/A). Der bezeichnete Ausnahmefall lag aber zur Zeit
des Beginns der Verhandlung nicht vor.
(…)
Auch im Rahmen der Gleichbehandlung geführte Nachverhandlungen sind nur zulässig, um Zweifelsfragen zum Inhalt des Angebotes zu klären, nicht aber unvollständige
Angebotsunterlagen zu ergänzen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.09.2003,
2 Verg 8/03). Das grundsätzliche Verbot von Verhandlungen im Rahmen der
Aufklärung des Angebotsinhalts erfasst nicht nur die Änderung angebotener
Preise, sondern auch Änderungen von für die Vergabe maßgeblichen Bedingungen, wie z. B. der Leistungsbeschreibung, der Qualitätsanforderungen,
der Ausführungsbedingungen, der festgelegten Termine, der Gleitklauseln, der
Wettbewerbsbedingungen wie Erklärungen und Bescheinigungen (vgl. Kratzenberg
in Ingenstau/Korbion VOB Rdnr.: 21 zu § 15 VOB/A).
Soweit die Gespräche lediglich die Aufklärung des Angebotsinhalts nach § 15
VOB/A bezweckten, wären sie auch ohne die besondere Bestimmung zulässig
gewesen. Die erklärte Absicht des Antragsgegners war hingegen, den Bauwerksvertrag mit dem bevorzugten Bieter abschließend zu verhandeln. Eine
schlichte Angebotsaufklärung war mithin nicht beabsichtigt und wurde auch nur in
geringem Umfang durchgeführt, wie aus den Fragen, Antworten und Protokollen zu
entnehmen ist.
Die Gespräche sind auch nicht durch die Ausnahme in § 15 Abs. 3 VOB/A zulässig
gewesen.
Die Antragsgegnerin führte die Gespräche nicht in der Weise, dass aufgrund des
Leistungsprogramms notwendige unumgängliche technische Änderungen geringen
Umfangs und daraus sich ergebenden Änderungen der Preise verhandelt wurden.
Die Grundvoraussetzung der genannten Ausnahme, dass es sich um ein Angebot mit
Leistungsprogramm handelt, ist bei der in Rede stehenden Ausschreibung erfüllt.
Allerdings ist die Ausnahme auf unumgängliche notwendige technische Änderungen
begrenzt. Dies sind Änderungen, ohne die im betreffenden Einzelfall die sachgerechte
Ausführung nicht möglich wäre (vgl. Kratzenberg in Ingenstau/Korbion VOB Rdnr. 24
zu § 15 VOB/A).
59
Die Antragsgegnerin hat die Ausnahmen nicht dokumentiert. In der Auswertung derjenigen Fragen, die eingeleitet werden durch: Wir gehen davon aus, dass..., Gehen
wir Recht in der Annahme, dass..., Wir weisen darauf hin, dass, ... hierfür bedingte
Änderungen in der Planung und Ausführung gehen zulasten des Bieters, ... liegen in
der Risikosphäre des Bieters., Bestätigen Sie, dass...oder ..sollten widersprüchliche
Angaben bzw. Unstimmigkeiten zwischen ... gilt die höherwertige, bzw. umfangreichere Angabe zeigen die dort behandelten technischen Themen, dass nicht nur die
unumgänglichen technischen Änderungen behandelt werden, ohne die die sachgerechte Ausführung der Schule nicht möglich wäre:
Aus alledem folgt, dass die Antragsgegnerin zu einer Zeit, in der ihr die Gleichbehandlung der Bieter aufgegeben war, sich unzulässig allein dem Angebot
der Beigeladenen zuneigte und dieser damit die Möglichkeit gab, ihr Angebot
vor der Entscheidung über den Zuschlag zu ändern, der noch im Wettbewerb
befindlichen Antragstellerin eine solche Möglichkeit aber verweigerte. Der Vergabefehler ist evident, denn das Prinzip der Gleichbehandlung, gegen das die
Antragsgegnerin verstoßen hat, dient ausdrücklich dem Schutz der Interessen
aller Bieter, mithin der Antragstellerin.
Mit jeder der drei Verhandlungsrunden wurde die Detaillierung und mithin
die Planungstiefe vergrößert. So erhöhten sich bei den Bietern von Stufe zu
Stufe mit dem Aufwand auch die Planungskosten des Verfahrens. Den sich
vergrößernden Planungskosten stand lediglich die offensichtlich nicht kostendeckende Aufwandserstattung für den unterlegenen Bieter gegenüber.
Nimmt man zum Risiko noch den für den unterlegenen entgangenen Gewinn
hinzu, so ergibt dies einen von Stufe zu Stufe steigenden Wettbewerbsdruck.
Die VOB/A sucht mit der Bestimmung in § 8 Abs. 8 Nr. 1 VOB/A Abhilfe zu schaffen,
dann wenn von den Bewerbern verlangt wird, dass Entwürfe, Pläne, Zeichnungen,
statische Berechnungen, Mengenberechnungen oder andere Unterlagen ausgearbeitet werden. Insbesondere in den Fällen des § 7 Abs. 13 bis 15 VOB/A ist einheitlich
für alle Bieter in der Ausschreibung eine angemessene Entschädigung festzusetzen.
Die Regelungen des § 7 Abs. 13 bis 15 VOB/A betreffen Leistungsbeschreibungen
mit Leistungsprogrammen und sind im vorliegenden Fall durch die Bestimmung in
§ 8 Abs. 8 Nr. 2 durch die Einbeziehung der freihändigen Vergabe auch auf das hier zu
prüfende Verhandlungsverfahren anwendbar. Weyand a. a. O. beschreibt den vom Bieter
hinzunehmenden Wettbewerbsdruck in der Rdnr. 6827 unter Bezugnahme auf das OLG
Düsseldorf vom 30.01.2003 – I-5U 13/02 – wie folgt: Als Anbieter vermag er auch hinreichend sicher zu beurteilen, ob der zur Abgabe seines Angebotes bzw. zur Erlangung des
Zuschlages erforderliche Aufwand das Risiko seiner Beteiligung an dem Wettbewerb
und zusätzlicher Kosten lohnt. Glaubt er diesen Aufwand nicht wagen zu können, ist
aber gleichwohl an dem Auftrag interessiert, so muss er entweder versuchen, mit dem
Veranstalter des Wettbewerbs eine Einigung über die Kosten herbeizuführen oder aber
von dem Angebot bzw. den zusätzlich geforderten Musterarbeiten absehen und dies
den Konkurrenten überlassen, die zur Übernahme dieses Risikos bereit geblieben sind.
60
Auf den hier zu prüfenden Wettbewerb haben sich die Beteiligten und damit die
Antragstellerin durch die gesetzten Verfahrensbestimmungen einstellen können. Hierunter fällt der kalkulierte eigene Aufwand gemessen an dem ausgelobten Entgelt.
Wenn nun aber im Verfahren die von der Antragsgegnerin geforderte Detaillierung
der Angebote in den Stufen das vorher definierte Maß übersteigt, steigt auch der
Aufwand der Antragstellerin über zu kalkulierende Maß hinaus und die Antragstellerin
kommt in den hier festzustellenden übermäßigen Wettbewerbsdruck. Augenfällig ist
das bereits am offensichtlichen Missverhältnis zwischen dem ausgelobten Entgelt und
dem Aufwand der Antragstellerin.
Den Wettbewerbsdruck hätte die Antragsgegnerin beispielsweise durch die Bekanntgabe von Zwischenergebnissen vor jeder Verhandlungsrunde abbauen können. Sie
hätte dem Punktschwächeren damit die Möglichkeit gegeben, kostenreduzierend
aus dem Verfahren aussteigen zu können. Diese Möglichkeit blieb der Antragstellerin
infolge der vorenthaltenen Information versagt. Die Kammer ist der Ansicht, dass die
nunmehr für die Antragstellerin eingetretene Lage nicht in der Intensität der Belastung vorhersehbar war. Daher übersteigen die rechtlichen Folgen des fehlerhaften
Verhaltens der Antraggegnerin die einem durchschnittlichen Unternehmen zumutbare
Erkennbarkeit. Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge der vorenthaltenen Information,
wie auch der der unterschiedlichen Information nicht präkludiert.
Auch im Verhandlungsverfahren behalten die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung, sowie der Nichtdiskriminierung ihre Gültigkeit. Zwar unterliegt der Auftraggeber im Verhandlungsverfahren kaum Verfahrensbeschränkungen, hat sich aber
materiell an den Vergabegrundsätzen zu orientieren. So ist er auch im Verhandlungsverfahren verpflichtet, die Bieter gleich zu behandeln. Er muss allen Bietern die gleichen Informationen zukommen lassen und ihnen die Chance geben, innerhalb gleicher
Fristen und zu gleichen Anforderungen Angebote abzugeben. Das Transparenzgebot
verpflichtet ihn, den Verfahrensablauf – soweit bekannt – mitzuteilen und davon nicht
überraschend und willkürlich abzuweichen (vgl. OLG Düsseldorf, 28.05.2003 Verg
15/03).
Dem hat die Verhandlungsführung der Antragsgegnerin in der Zeit bis zur Eröffnung
des finalen Angebotes nicht genügt.
In den zwei Verhandlungsrunden, jeweils nach dem ersten und zweiten indikativen
Angebot, hat sie mit Aufforderungsschreiben der Antragstellerin und der Beigeladenen jeweils auf die jeweiligen Angebote bezogene, mithin unterschiedliche Hinweise
gegeben. Wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung dazu mitteilte, wollte sie die jeweiligen Stärken der Angebote entwickeln.
Hier leidet das praktizierte Verfahren an einem groben Fehler. Durch die individuelle fachliche Diskussion der indikativen Angebote ist bei beiden Bietern das
Vertrauen gewachsen, das beste Angebot abgeben zu können. Überraschend
61
und umso tiefer war dann die Enttäuschung der Antragstellerin, unterlegen zu
sein.
Bei baulichen und vertraglichen wettbewerbsrelevanten Einzelregelungen
sind unbedingt gleiche Hinweise zu geben, um gleiche Angebotsgrundlagen
zu sichern. Hier also der Hinweis an beide Wettbewerber auf die Zulässigkeit der
Fassadenausführung als Wärmedämmverbundsystem. Wird zusätzlich auch noch der
jeweilige Gesamtpunktestand als Zwischensumme an beide Wettbewerber und die
eigene, individuelle Punkteverteilung mitgeteilt, können sich die Bieter in der kommenden Verhandlungsrunde mit ihren Angeboten darauf einstellen.
In den Vergabeunterlagen nicht vorgegeben war auch die unter Nr. 2 b) erläuterte
Verfahrensweise der Zusammenführung von Einzelbewertungen zu einer Gesamtbewertung bei unterteilten Vorgaben. Die anhand eines Beispiels erläuterte Verfahrensweise, wonach bei nicht eindeutigem Ergebnis der Einzelbewertung immer zum
Vorteil eines Bieters bewertet wird, führt dazu, dass Bieter mit schlechteren qualitativen Einzelbewertungen bei entsprechender Zusammenführung gegenüber Bietern mit
eindeutig positiven Einzelbewertungen bevorzugt werden. Ob die Anwendung dieser
Methode in der Gesamtschau zu einem nennenswerten oder gar ausschlaggebenden
Wertungsvorteil für die Beigeladene geführt hat, ist nicht eindeutig feststellbar. Es gibt
auch Unterkriterien, bei denen diese Regelung für die Antragstellerin von Vorteil war.
33 VK Brandenburg, Beschluss vom 04.03.2012 –
VK 5/12 (Ingenieurleistungen)
Die Auftraggeberin schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union
vom ... 2011 die Vergabe von Ingenieurleistungen zum geordneten Abschluss der ... im
Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus.
II. 2. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig und offensichtlich unbegründet.
Die Antragstellerin hat hinsichtlich der im Zusammenhang mit dem Ausschluss ihres
Angebotes geltend gemachten Vergaberechtsverstöße – mit Ausnahme der mit
Schreiben vom ... 2012 beanstandeten vergaberechtswidrig unterbliebenen Nachverhandlungen – ihre Obliegenheit, sie unverzüglich gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB
zu rügen, nicht erfüllt.
Die Auftraggeberin war bereits deshalb nicht zu Nachverhandlungen mit der Antragstellerin verpflichtet, weil deren Angebot von der weiteren Wertung zwingend auszuschließen war. Das Angebot der Antragstellerin enthält Änderungen an den von
der Auftraggeberin eindeutig (s.o.) in der Aufforderung zur Abgabe des Angebotes
festgelegten Bedingungen. Die Antragstellerin hat entgegen dieser Vorgaben bei der
Erstellung ihres Honorarangebotes die in Anlage 12 zu § 42 Abs. 1 HOAI aufgeführ-
62
ten Grundleistungen der Leistungsphasen 2, 3 und 8 (zu bewerten mit den jeweils
angegebenen Prozentsätzen aus der Gesamtleistung) nicht vollständig in die Honorarberechnung einbezogen.
Grundsätzlich existiert im Anwendungsbereich der VOF keine Regelung, nach der
Angebote, die Änderungen an den Vergabeunterlagen enthalten, von der weiteren
Wertung auszuschließen sind. § 11 Abs. 3 VOF ist in Fällen wie diesen nicht einschlägig. Allerdings gelten auch im Verhandlungsverfahren nach der VOF die
übergeordneten Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz des Vergabeverfahrens als Ausdruck des Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG sowie § 97 Abs.
1 und 2 GWB. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet dabei jegliche Bevorzugung
von Unternehmen, deren Angebote nicht den von Seiten des Auftraggebers festgelegten Anforderungen entsprechen. Auch das Transparenzgebot gebietet die Einhaltung
bekannt gemachter Standards gegenüber allen Bietern bzw. deren Änderung nicht nur
gegenüber einzelnen, sondern allen Bietern in transparenter und diskriminierungsfreier
Weise (so auch VK Sachsen, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 1/SVK/039-11).
Die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens steht dem nicht entgegen,
denn Angebote können auch in einem Verhandlungsverfahren nur dann für das
weitere Verfahren berücksichtigt werden, wenn sie die durch den Auftraggeber
festgelegten Mindestanforderungen erfüllen (vgl. VK Sachsen, a.a.O.; VK Bund,
Beschluss vom 25. Mai 2004 – VK 1-51/04).
34 VK Sachsen, Beschluss vom 16.05.2012 –
1/SVK/010-12 (Schienenfahrzeuge)
Auch in einem Verhandlungsverfahren muss das erste Angebot den ausgereichten
Verdingungsunterlagen entsprechen. D.h. es können nur solche Angebote in der weiteren Wertung berücksichtigt werden, die zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe die
Mindestanforderungen erfüllen.
Soweit sich dennoch im Laufe des Verhandlungsverfahren ein Verzicht oder ein
Abweichen von einem aufgestellten „Muss“-Kriterium als notwendig erweist,
um das Verhandlungsverfahren erfolgreich zu beenden und den Beschaffungswillen der Auftraggeberin umzusetzen, so ist die Auftraggeberin verpflichtet,
diese Änderung sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleichermaßen bekannt zu
machen. Im Ergebnis ist den Bietern so dann die Möglichkeit einzuräumen, ein überarbeitetes Angebot ausschließlich unter Berücksichtigung dieser Änderung vorzulegen
(vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 12.04.2012, Az.: 2 Verg 1/12).
Sofern die Auftraggeberin im Verlauf der Verhandlungen keine Abschichtung
vornimmt, steht es ihr frei, wie viele Verhandlungsrunden sie mit den Bietern
führt. Entscheidend dabei ist, dass sie mit jedem an der Verhandlung beteiligten
63
Bieter gleichartige Verhandlungen führt und schlussendlich den Umfang und
den Termin für ein finales Angebot als Abschluss des Verhandlungsverfahrens
unmissverständlich bestimmt (vgl. VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.12.2011,
Az.: 1 VK LSA 32/11, VK Sachsen, Beschluss vom 18.10.2010, Az.: 1/SVK/036-10).
Diese dann ggf. vorliegenden Angebote hat die Auftraggeberin ihrer Wertung auf
Grundlage der verlautbarten Zuschlagskriterien, Unterkriterien und ggf. weiterer UnterUnterkriterien zu unterziehen und ihrer Zuschlagsentscheidung zu Grunde zu legen.
Angebote im Verhandlungsverfahren
Auch in einem Verhandlungsverfahren muss das erste Angebot den ausgereichten Verdingungsunterlagen, hier dem Lastenheft, entsprechen. D.h. es können
nur solche Angebote in der weiteren Wertung berücksichtigt werden, die zum
Zeitpunkt der Angebotsabgabe die Mindestanforderungen erfüllen (vgl. OLG
München, Beschluss vom 29.09.2009, Az.: Verg 12/09, VK Sachsen, Beschluss vom
25.08.2010, Az.: 1/SVK/027-10).
Soweit eine Bieterin, wie die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung darlegte,
Unstimmigkeiten im Lastenheft erkannt zu haben, die möglicherweise gesetzlichen
Regelwerken zuwiderlaufen oder diese ungenügend berücksichtigen, ist sie verpflichtet, diesen erkannten Mangel oder die erkannte Unklarheit des Lastenheftes
der Auftraggeberin vor Angebotsabgabe anzuzeigen. Darauf hatte die Auftraggeberin
mit den ausgereichten Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Leistungen,
Formblatt XXXXXX EG, unter Ziffer 1 ausdrücklich hingewiesen: „Enthalten die Vergabeunterlagen nach Auffassung des Bewerbers Unklarheiten, so hat er unverzüglich
die Vergabestelle vor Angebotsabgabe in Textform darauf hinzuweisen.“.
Es berechtigt die Bieterin nicht, wie vorliegend von der Antragstellerin ebenso wie
von der Beigeladenen vorgenommen, ein Angebot vorzulegen, welches zwar den
Rahmenbedingungen der umzusetzenden Normen entspricht, letztlich aber eine
Änderung der Verdingungsunterlagen enthält. Die Bieterinnen trifft die Obliegenheit,
bei der Angebotsabgabe, auch im Verhandlungsverfahren, die aufgestellten Mindestanforderungen, hier „Muss-Kriterien“ zu beachten und ihr Angebot gemäß den seitens
der Auftraggeberin erhobenen Anforderungen abzugeben.
Vorliegend kann es wegen der noch offen Eignungsprüfung und der ohnehin angekündigten Wiederholung der Verhandlungen dahingestellt bleiben, ob bei einem solchen
Vorgehen möglicherweise der Ausschluss desjenigen Angebotes erfolgen müsste.
Zwar sieht § 26 SektVO den Ausschluss eines Angebots wegen fehlender oder
unvollständiger Angaben oder Abweichungen von den Vergabeunterlagen nicht
ausdrücklich vor, sondern bestimmt nur, dass die Angebote vor Zuschlagserteilung zu prüfen und zu werten sind. Dem Sektorenauftraggeber, hier der
Auftraggeberin, steht somit grundsätzlich ein größerer Beurteilungsspielraum
64
zu. Es ist jedoch anerkannt, dass die allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze
des § 97 GWB, insbesondere das Transparenz- und das Gleichbehandlungsgebot,
auch in Vergabeverfahren nach der SektVO entsprechend gelten (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 16.02.2012, Az.: Verg W 1/12, OLG München, Beschluss vom
29.09.2009, Az.: Verg 12/09).
35 VK Bund, Beschluss vom 23.07.2012 – VK 3-81/12
(Rahmenvertrag Reparatur- und Wartungsdienste)
Auch im Verhandlungsverfahren mit vorangehendem Teilnahmewettbewerb trifft den
Bieter die Obliegenheit, bei der Abgabe seines Angebotes zumindest die vom
Auftraggeber aufgestellten Mindestanforderungen zu beachten und sein Angebot gemäß den Anforderungen abzugeben.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin (Ag) hat ... den Abschluss eines Rahmenvertrages über
Reparatur-und Wartungsdienste in Bezug auf Motoren ... im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit vorangehendem Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Herstellerin dieser Motoren ist die Antragstellerin (ASt).
a) Der Auftrag war in zwei Lose aufgeteilt, wobei das Los 1 insgesamt 13 Motoren
und das Los 2 in Summe 7 Motoren umfasste (Vergabebekanntmachung, II.2)).
Auftragsgegenstand in beiden Losen war die Instandsetzung von Motoren ... in
der Materialerhaltungsstufe 4 mit der Versorgungsnummer ... (Vergabebekanntmachung, II.1.5)).
Die Vergabebekanntmachung listete im Abschnitt III.2) „Teilnahmebedingungen“
unter dem Punkt III.2.3) „Technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ die folgenden
Eignungskriterien auf:
1. a) Entweder die Vorlage eines Nachweises, dass mindestens fünf vergleichbare
Instandsetzungen (Materialerhaltungsstufe 4) der ausgeschriebenen Baugruppe
in den letzten fünf Jahren ... durchgeführt wurden. Der Nachweis ist durch die
Angabe von Auftraggeber (Anschrift), Ansprechpartner (mit Tel. Nr.), Auftragsgegenstand und Leistungszeiten zu führen 1.b) oder die Vorlage des Nachweises
in Kopie über eine erfolgreich durchgeführte Probeinstandsetzung durch Zertifizierung einer behördlichen Stelle für die ausgeschriebenen Baugruppen (oder
baugleiche Referenzbaugruppen) in der Systeminstandsetzungstiefe Materialerhaltungsstufe 4 oder Zertifizierung durch den Hersteller 1.c) oder Eigenerklärung
der Herstellereigenschaft selbst.
65
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
a) Der Ausschluss der ASt vom Vergabeverfahren war nach § 19 Abs. 3 lit. d) EG
VOL/A geboten.
aa) Der Ausschluss erfolgte vielmehr zu Recht, da die ASt mit ihrem Angebot vom
Rahmenvertrag und den Ausschreibungsunterlagen abwich. Zudem wandelte sie,
wie bereits erwähnt, die Zustimmungserklärung in Anlage 4 zum Rahmenvertrag
dahingehend ab, dass sie den Rahmenvertrag nicht vorbehaltlos anerkennt. Dies
war nach den Ausschreibungsunterlagen jedoch unzulässig und sollte unmissverständlich zum Ausschluss des Angebotes führen. Auch im Verhandlungsverfahren mit vorangehendem Teilnahmewettbewerb trifft den Bieter die
Obliegenheit, bei der Abgabe seines Angebotes zumindest die vom Auftraggeber aufgestellten Mindestanforderungen zu beachten und sein Angebot
gemäß den Anforderungen abzugeben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3.
März 2010, Verg 46/09). Dies folgt auch aus einem Rückschluss zu § 18 EG
VOL/A. Aus Satz 2, wonach Verhandlungen im offenen und im nicht offenen
Verfahren unzulässig sind, lässt sich zunächst schließen, dass Verhandlungen nur im Verhandlungsverfahren zulässig sind. Darüber hinaus wird
aber deutlich, dass alle anderen Vorschriften der EG VOL/A, insbesondere
§ 19 Abs. 3 lit. d) EG VOL/A, auch im Verhandlungsverfahren Anwendung
finden, so dass zunächst einmal auch hier ein vollständiges, den Vorgaben
des Auftraggebers entsprechendes Angebot eingereicht werden muss. Die
ASt durfte daher nicht von sich aus Vertragsbestandteile zur Disposition stellen.
Soweit die ASt vorträgt, die Abweichungen seien lediglich als Verhandlungsvorschlag gedacht gewesen, hat sie dies nicht zum Ausdruck gebracht. Gegen eine
solche Auslegung spricht außerdem der Wortlaut ihres handschriftlichen Zusatzes
in Anlage 4 des Rahmenvertrages, in dem ausdrücklich das Wort „Änderung“
verwendet wird. Abweichungen vom Vertragstext stellen in jedem Fall eine Änderung dar. Dies gilt nicht nur für Streichungen, sondern auch für Zusätze.
bb) Darüber hinaus war die ASt auch deshalb vom weiteren Verfahren auszuschließen,
weil ihr Teilnahmeantrag vom 12. April 2012 unvollständig war und sie demnach
ihre Eignung nicht in der vorgeschriebenen Form nachgewiesen hatte.
36 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 –
Verg 10/12 (SatWaS)
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
(…)
d) Die Vergabestelle durfte den MoWaS-Auftrag nach § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG
im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben. Der Auftrag
66
konnte wegen seiner technischen Besonderheiten nur von der Beigeladenen
durchgeführt werden. Die Beschaffungsentscheidung der Vergabestelle
war beanstandungsfrei dahin ergangen, dass MoWaS auf dem bewährten
SatWaS aufbauen sollte. Die erforderliche Technik stand nur der Beigeladenen zur Verfügung. Dasselbe hat für den SatWaS-Auftrag im Jahr 2000 zu gelten, der ebenfalls ohne einen vorherigen Teilnahmewettbewerb der Beigeladenen
erteilt worden ist. Auch die Vereinbarungen über die Wartung und Aktualisierung
(Pflege) von SatWaS durften erlaubterweise allein im Wege von Verhandlungen
mit der Beigeladenen geschlossen werden. Die ebenfalls umstrittene Frage, ob
der Vergabestelle außerdem ein Verhandeln ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3
Abs. 4 Buchst. e VOL/A-EG gestattet war (zusätzliche Lieferungen zur teilweisen
Erneuerung oder Erweiterung), kann offen bleiben.
37 VK Nordbayern, Beschluss vom 20.11.2012 –
21 VK-3194-26/12 (Beschaffung eines ….)
Im streitgegenständlichen Vergabeverfahren ist die ASt allerdings mit ihrer Rüge
gegen das Verhandlungsverfahren präkludiert. Wenn in dieser Vergabeart die ASt
eine Verletzung in ihren Rechten erblicken will, hätte sie dies bis zur Abgabe ihres
Angebots rügen müssen.
Nach § 8 EG Abs. 1 VOL/A ist eine Leistung so erschöpfend zu beschreiben,
dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und
dass miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten sind. Selbst in einem
Verhandlungsverfahren muss der Auftraggeber klare Vorstellungen über die
Funktionen und Ziele der nachgefragten Leistung haben (Prieß in Kulartz/Marx/
Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, Rd. 82 zu § 8 EG). Der Auftraggeber hat die
Pflicht den Beschaffungsbedarf mit größtmöglicher Bestimmtheit festzulegen,
ebenso müssen Leistungsziel, Rahmenbedingungen und wesentliche Einzelheiten der Leistung feststehen (Prieß Rd. 83 a.a.O. unter Berufung auf OLG Naumburg
v. 16.09.2002 – 1 Verg 2/02).
Ohne eine detaillierte Leistungsbeschreibung und der exakten Festlegung von Mindestanforderungen kann die VSt das Angebot der ASt nicht mit der Begründung unberücksichtigt lassen, das Gerät erfülle nicht die erwarteten Anforderungen. Ebenso wenig
kann die VSt mit ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung durchdringen, in der Teststellung habe das Gerät der ASt die in E-mails vereinbarten Anforderungen nicht erfüllt.
Die ASt bestreitet dies und die VSt konnte weder die Festlegungen noch den Zeitpunkt
belastbar belegen. Unklarheiten in den Ausschreibungsunterlagen dürfen nicht zum
Nachteil eines Bieters ausschlagen (BayObLG v. 28.05.2003 – Verg 6/03 unter Bezug
auf Beck´scher VOB-Komm./Prieß A § 21 Rn 36). Der bloße Hinweis in der E-mail vom
9.5.2012 auf die Wichtigkeit einer langfristigen Garantie erfüllt nicht die Anforderung an
eine eindeutige Leistungsbeschreibung im Sinne von § 8 EG Abs. 1 VOL/A.
67
38 EuG, Urteil vom 15.01.2013 –
Rs. T-54/11 (Spanien./.Kommission)
Das Verhandlungsverfahren hat Ausnahmecharakter, wobei die Ausnahmefälle, in
denen der Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren zulässig ist, in Art. 6 Abs. 2 und 3
der Richtlinie 93/36/EWG abschließend und ausdrücklich aufführt sind.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Verhandlungsverfahren Ausnahmecharakter hat, wobei Art. 6 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 93/36 die einzigen Ausnahmefälle,
in denen der Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren zulässig ist, abschließend und
ausdrücklich aufführt (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 2008, Kommission/Italien, C 337/05, Slg. 2008, I 2173, Randnr. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Außerdem sind diese Bestimmungen nach ständiger Rechtsprechung als Ausnahme
von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der vom Unionsrecht anerkannten Rechte
im Bereich des öffentlichen Auftragswesens gewährleisten sollen, eng auszulegen
(vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2009, Kommission/
Deutschland, C 275/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55
und die dort angeführte Rechtsprechung).
Darüber hinaus trägt derjenige, der sich auf diese Ausnahmevorschriften berufen will,
die Beweislast dafür, dass die sie rechtfertigenden außergewöhnlichen Umstände
tatsächlich vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Italien, oben in Randnr.
34 angeführt, Randnr. 58, und Kommission/Deutschland, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 56).
39 VK Bund, Beschluss vom 25.01.2013 –
VK 3-5/13 (Rahmenvertrag Arzneimittel)
Da die ASt gemäß § 19 EG Abs. 3 lit. d) VOL/A (vgl. § 31 Abs. 2 Nr. 4 VSVgV) zwingend
von der Wertung auszuschließen war, hätte sie den Zuschlag auf ihr Angebot auch
dann nicht erhalten, wenn die Ag das Vergabeverfahren nicht aufgehoben hätte. Die
ASt profitiert somit von der Aufhebung, da sie im Rahmen der von der Ag vorbereiteten
neuen Ausschreibung die Möglichkeit erhält, sich erneut um den Auftrag zu bewerben.
Der zwingende Ausschlussgrund ist zu bejahen, weil die ASt mit ihrem Angebot von
den Ausschreibungsbedingungen abweicht, § 19 EG Abs. 3 lit. d) VOL/A. Denn die ASt
hat in ihrem ersten Angebot statt der geforderten Festpreise Richtpreise angegeben
und damit Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen. Auch im Verhandlungsverfahren besteht für die Bieter jedoch die Verpflichtung, zunächst ein
den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot abzugeben. Erst dann dürfen
die Angebote im Zuge der Verhandlungen abgeändert werden. Ob die ASt mit
ihrem zweiten Angebot zumindest teilweise Festpreise angeboten hat oder ob diese
68
aufgrund des Zusatzes, dass der Festpreis nicht für völlig defekte Baugruppen gelte,
nicht als Festpreise angesehen werden können, bedarf somit keiner Beantwortung.
Der Ausschlussgrund ist entgegen der Ansicht der ASt auch noch im laufenden Nachprüfungsverfahren zu beachten, auch wenn dieser im Rahmen der Auswertung der
Angebote keine Berücksichtigung gefunden hat. Insbesondere kann dieser Fehler
nicht durch das Vorantreiben des Verfahrens seitens der Ag geheilt werden. Dies
würde schon dem Gleichbehandlungsgebot nach § 97 Abs. 2 GWB, dem das Vergabeverfahren unterliegt, zuwiderlaufen. Darüber hinaus wäre die Vergleichbarkeit der
Angebote nicht mehr gegeben, wenn die ASt Richtpreise anbieten dürfte, während
alle anderen Bieter mit Festpreisen kalkulieren müssten.
4.
Beschleunigtes Verfahren
40 VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 –
1/SVK/001-12 (Institutsgebäude, FR Physik)
Der zulässige Antrag ist begründet (2.)
Die Antragstellerin ist in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt. Dem Auftraggeber war aufzugeben, das Vergabeverfahren in den Zeitpunkt vor Abgabe der Teilnahmeanträge zurückzuversetzen.
1. verkürzte Bekanntmachungsfristen
Die Verkürzung der Bekanntmachungsfrist ist vorliegend vergaberechtswidrig. Der
Auftraggeber hat die in § 7 Abs. 1 vorgesehene Frist von 37 Tagen auf 20 Tage abgekürzt. Er beruft sich insoweit auf § 7 Abs. 2 VOF. Nach § 7 Abs. 3 VOF beträgt in Fällen
besonderer Dringlichkeit die Frist für den Antrag auf Teilnahme mindestens 15 Tage,
oder mindestens 10 Tage bei elektronischer Übermittlung, jeweils ab dem Tag der
Absendung der Bekanntmachung (Beschleunigtes Verfahren). Die Dringlichkeit wird
insoweit mit den Maßnahmen zum Konjunkturpaket II begründet
1.1. Mitteilung der Kommission zur Verlängerung der Beschleunigungsregeln
Der Auftraggeber bezieht sich zum einen darauf, die Kommission habe eine Regelung
zur Annahme der Dringlichkeit bei größeren Vorhaben aufgrund konjunktureller Schwierigkeiten bis zum 31.12.2011 verlängert. Aus dieser „Verlängerung“ ergibt sich jedoch
keine Ermächtigungsgrundlage, von der Regelfrist des § 7 Abs. 1 VOF abzuweichen.
Nach einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 19.12.2008
(IP/08/2040) war diese der Ansicht, dass die Richtlinie 2004/18/EG über die Vergabe öffentlicher Aufträge den Rückgriff auf beschleunigte Verfahren erlaube, wenn
69
dies aus Dringlichkeitsgründen erforderlich sei. Die Kommission erkennt damit an,
dass der Ausnahmecharakter der aktuellen Wirtschaftslage dazu führen könne, dass
eine raschere Durchführung umfangreicher öffentlicher Arbeiten notwendig werde.
Die Annahme der Dringlichkeit sollte in den Jahren 2009 und 2010 für alle größeren
öffentlichen Projekte gelten.
Die „Verlängerung“ lässt sich nach den Recherchen der Vergabekammer allenfalls
auf die „NOTE TO THE MEMBERS OF THE ADVISORY COMMITTEE ON PUBLIC
CONTRACTS“ der Kommission vom 09.12.2010 stützen.
Das Schreiben hat nicht den Charakter einer „Ermächtigungsgrundlage“ wie eine
Richtlinie, denn es enthält lediglich folgende Aussage „As agreed with Commissioner
Barnier, we acknowledge that there might still be a need for further flexibility beyond
2010. Hence, Member States that wish to keep using the temporary anti-crisis measures can do so for one more year (until end 2011)“.
Diese Aussage hat damit weder einen normsetzenden bzw. normersetzenden
Charakter. Vielmehr lässt sie sich als Auslegung der Richtlinie 2004/18/EG, als
eine Aufforderung an die Mitgliedsstaaten entsprechendes umzusetzen oder
als einen Verzicht auf die Durchführung eines Vertragsverletzungsverfahrens
interpretieren. Weder auf Bundesebene, noch auf sächsischer Landesebene ist eine
Ermächtigungsgrundlage für das Jahr 2011 erkennbar.
1.2.Dringlichkeit des Vorhabens nach § 7 Abs. 2 VOF
Soweit sich der Auftraggeber zum anderen darauf beruft, die Dringlichkeit des Vorhabens an sich begründe die Beschleunigung, ist festzustellen, dass keine ausreichenden Gründe dokumentiert wurden.
Die Verkürzung der Frist ist nur in eng zu fassenden Ausnahmefällen zulässig,
weil dadurch der europaweite Wettbewerb faktisch begrenzt wird zugunsten der
beschleunigten Durchführung des Verfahrens. Die Dringlichkeit setzt die nach
objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende Eilbedürftigkeit der beabsichtigten
Beschaffung voraus. Die Eilbedürftigkeit muss sich zudem in aller Regel aus
Umständen ergeben, die nicht der organisatorischen Sphäre des öffentlichen
Auftraggebers selbst zuzurechnen sind (OLG Düsseldorf, B. v. 01.08.2005 – Az.:
VII – Verg 41/05; 3. VK Bund, B. v. 09.06.2005 – Az.: VK 3 – 49/05).
Diese Rechtfertigung ist in Zweifel zu ziehen. So wird im Vergabevermerk die Dringlichkeit im Wesentlichen lediglich durch den Baumanagementplan begründet. Sachliche,
technologische oder sonstige fachliche Gründe, die den schnellen Abschluss eines
Bauvorhabens bedingen, ergeben sich gerade nicht aus einem reinen Bauablaufplan.
Allenfalls ist aus diesem ersichtlich, dass sich das Bauvorhaben insgesamt in einem
Verzug der planerischen Absichten befindet. Das ist im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung nicht ausreichend.
70
1.3. Nachgeschobene Dringlichkeitsgründe
Im Schriftsatz vom 01.02.2012 schob der Auftraggeber erstmalig Dringlichkeitsgründe
nach und legte dar, das Institut, das das Laborgebäude betreibe, verliere seinen Exzellenzstatus, wenn kein Ersatzneubau für die unzureichenden bestehenden baulichen
Anlagen geschaffen würden. Zudem habe man als Institut einen Preis gewonnen.
Die hiervon anzuschaffenden Forschungsmittel benötigten im Abrufzeitraum eine
entsprechende bauliche Hülle.
Die Rechtsprechung zur Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen im Vergabenachprüfungsverfahren ist umstritten: Überzeugend ist aber insoweit der obergerichterlichen Rechtsprechung. So vertritt das OLG Düsseldorf (B. v. 17.3.2004 – Az.: VII –
Verg 1/04) die Ansicht, dass eine Heilung von Dokumentationsmängeln nicht zulässig
sei. Eine Ausnahme sei nur für solche Umstände möglich, die dem Auftraggeber erst
im Laufe des Nachprüfungsverfahrens bekannt werden (ebenso OLG Frankfurt a. M.,
B. v. 28.11.2006 – Az.: 11 Verg 4/06; B. v. 16.08.2006 – Az.: 11 Verg 3/06; Thüringer
OLG, B. v. 26.06.2006 – Az.: 9 Verg 2/06). Das ist hier nicht der Fall.
Im Ergebnis schließt sich das OLG München dieser Auffassung ebenfalls an. Sinn und
Zweck der Dokumentationspflichten des Auftraggebers sei es, das Verfahren objektiv
transparent und überprüfbar zu machen. Bedeutung und Funktion des Vergabevermerks würden entwertet, würde man dem Auftraggeber gestatten, den Nachweis für
ein Vorgehen, das hätte dokumentiert werden müssen, nachträglich zu führen (OLG
München, B. v. 21.08.2008 – Az.: Verg 13/08).
Die neuere Rechtsprechung des BGH ändert nichts an dieser Betrachtung. Demnach
sei mit Blick auf die Dokumentationspflichten im Allgemeinen zu unterscheiden zwischen dem, was nach § 20 Abs. 1 und 2 VOB/A 2009 oder § 24 VOL/A- EG im Vergabevermerk mindestens niederzulegen sei, und Umständen oder Gesichtspunkten, mit
denen die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung außerdem
nachträglich verteidigt werden solle. Solche vorgetragenen Überlegungen auf ihre
Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, könne der Vergabestelle schwerlich generell unter
dem Gesichtspunkt fehlender Dokumentation verwehrt werden. Der Auftraggeber
könne im Nachprüfungsverfahren nicht kategorisch mit allen Aspekten und Argumenten
präkludiert werden, die nicht im Vergabevermerk zeitnah niedergelegt worden seien.
Mit dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz wäre es nicht vereinbar, bei
Mängeln der Dokumentation im Vergabevermerk generell und unabhängig von deren
Gewicht und Stellenwert von einer Berücksichtigung im Nachprüfungsverfahren abzusehen und stattdessen eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Dieser Schritt sollte vielmehr Fällen vorbehalten bleiben, in denen
zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation
lediglich im Nachprüfungsverfahren nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (BGH, Beschluss vom 08.02.2011, X ZB
4/10). Demzufolge könne im Sinne von nachgeschobenen Gründen eine Heilung der
71
Dokumentation lediglich im Ergänzen von bereits durchgeführten Überlegungen liegen.
Gänzlich neue Umstände, die nicht Gegenstand der Entscheidung zum jeweiligen Zeitpunkt gewesen seien, könnten hier nicht berücksichtigt werden. Vorliegend waren
nach den Erkenntnissen der Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung die
vorgetragenen Überlegungen zum Exzellenzstatus der Forschungseinrichtung
nicht Gegenstand der Entscheidung, die Bekanntmachungsfrist abzukürzen.
Insofern kann sich der Auftraggeber nicht auf die erst nunmehr erstmalig im
Rahmen des Verfahrens vorgetragenen Umstände berufen.
5.
Verfahren mit Teilnahmewettbewerb/Auswahlkritieren
41
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011 –
Verg 84/11 (Gebäude- und Glasreinigung)
Gemäß § 20 Abs. 2 SektVO kann der Auftraggeber im Verhandlungsverfahren die
Zahl der Bewerber soweit verringern, dass ein angemessenes Verhältnis zwischen
den Besonderheiten des Vergabeverfahrens und dem zu seiner Durchführung erforderlichen Aufwand sichergestellt ist, wenn dies erforderlich ist. Die Auswahl dieser
Teilnehmer aus dem Kreis der als geeignet bewerteten Bewerber ist nicht in das
Belieben des Auftraggebers gestellt und darf auch nicht durch Losentscheid, sondern
nur anhand der in § 20 Abs. 1 SektVO genannten objektiven Kriterien vorgenommen
werden. Darunter sind Kriterien zu verstehen, die auftragsbezogen die Feststellung der
Eignung der Unternehmen ermöglichen (vgl. Vavra in Ziekow/Völlink, Vergaberecht,
§ 20 SektVO, Rdn. 3). Die Kriterien zur Reduzierung des Kreises der geeigneten
Bewerber müssen demnach eine Beurteilung der – besseren – Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bewerber zulassen.
Diesen Anforderungen genügt das Kriterium der Bonität. Ob ein Unternehmen
solide finanziert ist, seine Verbindlichkeiten erfüllt und wie seine Bonität objektiv
einzuschätzen ist, ist ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Beurteilung seiner
Zuverlässigkeit. Zudem erlaubt die Bonität Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit.
Ist ein Unternehmen solvent und wird seine Bonität als gut eingeschätzt, so ist mit
seinem Verbleiben am Markt und seiner andauernden Leistungsfähigkeit zu rechnen.
Die Antragsgegnerin war demnach grundsätzlich berechtigt, aus dem Kreis geeigneter
Bewerber diejenigen mit der besten Bonität für eine Teilnahme am Verhandlungsverfahren auszuwählen.
42 VK Bund, Beschluss vom 25.01.2012 –
VK 1-174/11 (Bewachungsdienstleistungen)
I.
72
Die Antragsgegnerin (Ag) schrieb durch ihre Vergabestelle ... Anfang ... 2011 als
„Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb“ die Vergabe „Abschluss
eines Rahmenvertrages über Bewachungsleistungen an zivil-gewerbliche Unter-
nehmen in der Liegenschaft ... „ aus. Die ausgeschriebenen Leistungen wurden
bisher von der Antragstellerin (ASt) erbracht.
2. II. Der Nachprüfungsantrag ist jedenfalls teilweise zulässig und hat in der Sache
erfolgt.
a) Der Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB, § 2 Abs. 1 VOL/A verpflichtet öffentliche Auftraggeber, im Wettbewerb zu beschaffen. Dies gilt nicht nur für
die Angebotswertung nach Maßgabe der bekanntgegebenen Zuschlagskriterien
als letzte Stufe der Wertung, sondern im gesamten Vergabeverfahren und damit
auch für die Auswahl eines Bieterkreises im Teilnahmewettbewerb wie im vorliegenden Fall. Denn bereits in diesem Stadium ist Wettbewerb um die begrenzten
Plätze für die Teilnahme am weiteren Verfahren zu gewährleisten. Dies schließt
mit ein, dass für die Auswahl der Bieter Auswahlkriterien bestimmt werden, die
einen Wettbewerb der Teilnehmer zulassen. Die entsprechenden Auswahlkriterien sind dabei so zu fassen, dass danach diejenigen Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, die die bestmögliche Leistung erwarten lassen
(vgl. VK Bund, Beschluss vom 14. Juni 2007, VK 1-50/07, m.w.N.), wobei dem
öffentlichen Auftraggeber hier ein Beurteilungsspielraum zusteht. Entsprechend
konkretisieren § 3 Abs. 8 lit. b VOL/A-EG und auch § 6a Abs. 6 VOB/A, die vorliegend zwar nicht unmittelbar anwendbar sind, aber letztlich einen allgemeinen
Rechtsgedanken formulieren, den Wettbewerbsgrundsatz, indem sie bestimmen,
dass bei Wettbewerben mit beschränkter Teilnehmerzahl eindeutige und nicht
diskriminierende Auswahlkriterien festzulegen sind.
Das Losverfahren als Auswahlmechanismus genügt den oben genannten
Anforderungen grundsätzlich nicht. Denn dieses hat seiner Natur nach nicht
die Auswahl der besten Bewerber zum Ziel, sondern führt gerade zu einer
zufälligen Bewerberauswahl. Unabhängig davon, ob eine Reduzierung der
Bewerberzahl durch Losverfahren im Rahmen der VOL/A überhaupt zulässig
ist, kann sie jedoch allenfalls dann zulässig sein – gleichsam als „ultimal ratio“ –,
wenn der öffentliche Auftraggeber unter den eingegangenen Bewerbungen eine
rein objektive Auswahl nach qualitativen Kriterien unter gleich qualifizierten
Bewerbern nicht mehr nachvollziehbar durchführen kann (vgl. OLG Rostock,
Beschluss vom 1. August 2003, 17 Verg 7/03 (zu einem VOF- Verfahren); VK Münster, Beschluss vom 26. August 2009, VK 11/09). Dies ist vorliegend jedoch nicht der
Fall. Denn die Ag hat sich auf die Forderung von allgemein üblichen und wenig bzw.
gar nicht im Hinblick auf den Ausschreibungsgegenstand oder ähnlich spezifizierten
Eignungsnachweisen beschränkt, die zudem lediglich als Ausschlusskriterien (und
nicht Auswahlkriterien) fungieren. So hat sie die Vorlage einer Bescheinigung der
Betriebshaftpflichtversicherung, einer Kopie des Handelsregisterauszugs, einer vorformulierten Zuverlässigkeitserklärung nach § 6 Abs. 5 VOL/A („Eigenerklärung gemäß
Formular BWB -B 013) und einer Bankerklärung verlangt, was kaum eine Zugangshürde für die meisten Unternehmen darstellen dürfte. Mit der Forderung von drei
73
Referenzen über vergleichbare Leistungen wird in gewisser Weise auf den Ausschreibungsgegenstand Bezug genommen – die „Vergleichbarkeit“ der Referenzleistungen
ist jedoch ein wenig präziser Begriff, der durch die Ag in der Bekanntmachung nicht
weiter konkretisiert wird und damit keine differenzierte Auswahl erlaubt, wie auch
der vorliegende Teilnahmewettbewerb gezeigt hat. Es kann hier auch nicht zugunsten
der Ag angenommen werden, dass ihr eine weitere Differenzierung der Auswahlkriterien tatsächlich nicht möglich war – und somit ein Losverfahren als „ultima ratio“ in
Betracht zu ziehen war –, da hierfür keine Anhaltspunkte ersichtlich sind und die Ag
diesbezüglich auch nichts in der Vergabeakte dokumentiert bzw. im Nachprüfungsverfahren schriftsätzlich oder mündlich vorgetragen hat. Nach allem handelt es sich bei
den fraglichen Eignungsnachweisen lediglich um gewisse Mindestanforderungen an
die Eignung und damit auch nur Ausschlusskriterien, nicht jedoch um Auswahlkriterien, die für die Auswahl des Bieterkreises unter mehreren geeigneten Bietern durch
Differenzierung nach besserem oder schlechterem Bewerber erlauben.
43 VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 –
1/SVK/001-12 (Institutsgebäude, FR Physik)
Der zulässige Antrag ist begründet (2.)
2. Berücksichtigung der Tatsache, dass Nachunternehmer eingesetzt werden als
Teilnahmekriterium
Die Berücksichtigung der Tatsache, dass Nachunternehmer eingesetzt werden sollen, indem der Einsatz von Nachunternehmern zur Abpunktung führt,
ist vergaberechtswidrig, denn das EU-Vergaberecht sieht keinen zwingenden
Eigenleistungsanteil des Bieters/Auftragnehmers vor.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschaffungsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers nur daraufhin zu kontrollieren ist, ob sie auf sach- und auftragsbezogenen Gründen beruht. Eine weitergehende Überprüfung insbesondere auf sachliche
Richtigkeit oder Nachvollziehbarkeit der Gründe ist mit dem Bestimmungsrecht des
Auftraggebers unvereinbar (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.02.2010 – Verg 42/09
VK Münster, Beschluss vom 24.06.2011 – VK 6/11). Der Auftraggeber hat einen weiten
Beurteilungsspielraum bei der Aufstellung der Teilnahmebedingungen, der nur eingeschränkt durch die Vergabekammer überprüfbar ist.
Die Aussage, dass ein Teilnehmer Nachunternehmer einsetzt, lässt nicht ohne
weitere Kenntnis der tatsächlichen Eignung den Rückschluss zu, dass der Bieter
weniger geeignet ist als ein Bieter, der die Leistung als Eigenleistung erbringt.
Ein entsprechender allgemeiner Erfahrungssatz lässt sich nicht bilden, da hierfür sachgerechte Erwägungen fehlen. Der Bieter, der Nachunternehmer einsetzt,
74
darf insoweit nicht diskriminiert werden, denn ein „Kern“ an eigener Leistungsfähigkeit darf nicht gefordert werden (OLG Düsseldorf, B. v. 22.10.2008 – Az.: VII-Verg
48/08; B. v. 28.06.2006 – Az.: VII – Verg 18/06; 1. VK Bund, B. v. 13.02.2007 – Az.:
VK 1 – 160/06; B. v. 13.02.2007 – Az.: VK 1 – 157/06; B. v. 01.02.2007 – Az.: VK
1 – 154/06; 1. VK Sachsen, B. v. 10.10.2008 – Az.: 1/SVK/051-08). Dementsprechend
darf der Auftraggeber auch nicht den Umstand, dass der Teilnehmer beabsichtigt,
Nachunternehmer einsetzt, zum Nachteil des Teilnehmers bei der Wertung berücksichtigen.
Damit ist die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
3. Hinweise der Vergabekammer
Zur Vermeidung möglicher Vergabenachprüfungsanträge erteilt die Vergabekammer
folgende Hinweise:
4.1. Zahl der Bewerber
Die Beschränkung auf drei Teilnehmer, die zur Angebotsabgabe aufgefordert
werden sollen, erscheint vergaberechtskonform. Nach der zwingenden Regelung
des Art. 44 Abs. 3 VKR ist in der Bekanntmachung die vorgesehene Mindestanzahl
der Unternehmen zu benennen, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Erfüllt
der Auftraggeber diese Pflicht nicht, muss er alle geeigneten Unternehmen, die sich
beworben haben, zur Angebotsabgabe zulassen.
Diese Vorgabe des Art. 44 Abs. 3 VKR ist in § 6a Abs. 6 VOB/A 2009, § 3 EG Abs. 5
VOL/A 2009 und § 10 Abs. 4 VOF 2009 richtlinienkonform umgesetzt worden.
Der Auftraggeber hat insoweit eine Festlegung getroffen, wie viele Bewerber zur
Angebotsabgabe aufgefordert werden. Dies ist vergaberechtskonform. § 10 VOF
sieht gerade eine Auswahl unter den Bewerbern vor. Es spricht auch nichts dagegen,
eine Beschränkung auf 3 Teilnehmer vorzunehmen, da damit noch ein Wettbewerb
gewährleistet ist.
4.3. Referenzen
4.3.1. Beschränkung auf Vorlage von 3 Referenzen
Die Beschränkung auf Vorlage von 3 Referenzen kann zur Vereinfachung des Aufwandes der Vergabestelle durchaus ein angemessenes Mittel sein. Es ist auch richtig,
dass es dem Bewerber obliegt, die entsprechenden Referenzen auszuwählen, um
sich in ein gutes Licht zu setzen (VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 02.04.2009 – VK
9/09). Vorliegend hat der Auftraggeber spezifische Anforderungen aufgestellt. Der
75
Auftraggeber hat das Recht, im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums
Referenzen vergleichbarer Projekte abzufordern.
Die Vergleichbarkeit bezieht sich auf das gesamte Projekt und muss sich damit
nicht notwendigerweise aus Einzelelementen verschiedener Projekte ergeben. Der
Teilnehmer kennt die Anforderungen und kann insoweit die drei besten Referenzen
aussuchen. Bei abstrakter Betrachtung dieser Forderung ist eine Rechtsverletzung der
Antragstellerin ist zunächst nicht erkennbar.
4.3.2. Mindestanforderungen an alle Referenzen
Zunächst ist zu unterscheiden, welche Anforderungen zum einen an die Vorlage der
Referenzen gestellt wurden, um am Teilnahmewettbewerb teilnehmen zu können
(4.3.2.) und welche Voraussetzungen zum anderen dazu führen, dass die Höchstpunktzahl erreicht werden kann (4.3.3.). Denn eine Einengung der Referenzanforderung, die
den Wettbewerb verhindert, ist nicht mehr vom Beurteilungsspielraum gedeckt.
So ist bei der Forderung nach Referenzobjekten als Nachweis der Fachkunde
festzustellen, dass, je enger der Kreis der zugelassenen Referenzobjekte gezogen wird, der damit bewirkte Eingriff in den freien Wettbewerb umso intensiver
wird. An die auftragsbezogene sachliche Rechtfertigung eines einschränkenden
Fachkundemerkmals sind deshalb hohe Anforderungen zu stellen (VK Lüneburg,
Beschluss vom 18.11.2011 – VgK-50/2011).
Vorliegend ist keine Überschreitung des Beurteilungsspielraums erkennbar, Es ist
keine Kumulierung der Referenzanforderung festzustellen, die den Markt in unzulässiger Weise einengt.
76
IV. VERFAHRENSGESTALTUNG DURCH
DEN AUFTRAGGEBER
1.
Bestimmungsrecht des Auftraggebers/Produktneutrale
Ausschreibung/Technische Spezifikationen
44 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 –
C-368/10 (EKO und Max Havelaar)
Erstens ist festzustellen, dass das Lastenheft nicht so ausgelegt werden kann, wie es
das Königreich der Niederlande tut.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Umfang des Lastenhefts aus der Perspektive potenzieller Bieter heraus zu bestimmen ist, da der Zweck der Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Aufträge nach der Richtlinie 2004/18 gerade den in
der Europäischen Union niedergelassenen potenziellen Bietern den Zugang zu
öffentlichen Aufträgen, die für sie von Interesse sind, garantieren soll (vgl. in
diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2007, Auroux u. a., C-220/05, Slg. 2007, I-385,
Randnr. 53). Im vorliegenden Fall konnte das Lastenheft von potenziellen Bietern nicht
anders als dahin verstanden werden, dass es sich auf die Innehabung der im Zusammenhang mit der fraglichen Anforderung oder dem fraglichen Wunsch genannten
Gütezeichen beziehe.
Formuliert waren diese Anforderung und dieser Wunsch nämlich im Anhang des Lastenhefts, der das „Anforderungsprofil“ enthielt, dem die Bieter gemäß Unterkapitel
5.2 Abschnitt 1 des Lastenhefts so, wie es formuliert war, genügen mussten. Die
Nrn. 31 und 35 dieses Profils verwiesen ausdrücklich und uneingeschränkt auf die
Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR und schlossen Alternativen aus, deren Einreichung im Übrigen nach Unterkapitel 3.4 des Lastenhefts verboten war. Unter diesen
Umständen ist nicht davon auszugehen, dass die hinsichtlich ihrer Bedeutung wenig
genaue Angabe, wonach „[ei]n wichtiger Gesichtspunkt .... das Bestreben der Provinz
Nord-Holland [ist], die Verwendung von ökologischen und Fair-Trade-Erzeugnissen in
Kaffeeautomaten zu erhöhen“, in Abschnitt II Nr. 1.5 der Vergabebekanntmachung
und Unterkapitel 1.3 des Lastenhefts – also an Stellen außerhalb derjenigen der Auftragsunterlagen zu Anforderungen oder Wünschen des Auftraggebers –, klar machen
konnte, dass die fragliche Anforderung bzw. der fragliche Wunsch allgemein den
Umstand betrafen, dass die fraglichen Erzeugnisse aus ökologischer Landwirtschaft
und fairem Handel stammen sollten.
77
Zweitens können die Klarstellungen, die später in den Nrn. 11 und 12 der Informationsmitteilung erfolgten, wonach der Verweis auf die Gütezeichen EKO und MAX
HAVELAAR im Zusammenhang mit dieser Anforderung und diesem Wunsch auch
gleichwertige Gütezeichen erfasse, also Gütezeichen, deren Vergabe auf identischen
oder vergleichbaren Kriterien beruhe, nach Art. 39 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 nicht
berücksichtigt werden.
Denn wie die Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können
mit den in dieser Bestimmung genannten zusätzlichen Auskünften zum Lastenheft
und zusätzlichen Unterlagen zwar bestimmte Klarstellungen vorgenommen und Informationen erteilt werden, sie können jedoch nicht – beispielsweise durch Berichtigungen – den Umfang der wesentlichen Bedingungen des Auftrags verändern, zu denen
die technischen Spezifikationen und die Vergabekriterien so, wie diese Bedingungen
im Lastenheft formuliert wurden, gehören, auf die die interessierten Wirtschaftsteilnehmer bei ihrer Entscheidung, ob sie die Einreichung eines Angebots vorbereiten
oder nicht oder aber auf eine Teilnahme am Verfahren über die Vergabe des fraglichen
Auftrags verzichten, vertraut haben. Dies ergibt sich sowohl daraus, dass in Art. 39
Abs. 2 der Begriff „zusätzliche Auskünfte“ verwendet wird, als auch aus der kurzen
Frist von sechs Tagen, die nach dieser Bestimmung zwischen der Erteilung solcher
Auskünfte und dem Schlusstermin für den Eingang der Angebote liegen kann.
Sowohl der Gleichheitsgrundsatz als auch die daraus folgende Verpflichtung
zur Transparenz gebieten, dass der Gegenstand öffentlicher Aufträge sowie die
Kriterien für ihre Vergabe vom Beginn des Verfahrens über die Vergabe dieser
Aufträge an klar bestimmt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2009,
Kommission/Frankreich, C-299/08, Slg. 2009, I-11587, Randnrn. 41 und 43).
Daher ist festzustellen, dass die Auftragsunterlagen, die den Gegenstand des Auftrags
und seine Vergabe bestimmen, zum einen vorschrieben, dass der zu liefernde Kaffee
und Tee mit den Gütezeichen EKO oder MAX HAVELAAR versehen sein müssten, und
zum anderen den Wunsch enthielten, dass die zu liefernden Zutaten mit denselben
Gütezeichen ausgestattet seien.
b) Würdigung durch den Gerichtshof
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass zum einen die technischen Spezifikationen nach
Art. 23 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen formuliert werden können, die Umwelteigenschaften umfassen
können. Nach dem 29. Erwägungsgrund dieser Richtlinie kann eine bestimmte Produktionsmethode eine solche Umwelteigenschaft darstellen. Wie zwischen den Parteien
unstreitig ist, stellt daher das EKO-Gütezeichen, soweit es auf Umwelteigenschaften
beruht und die in Art. 23 Abs. 6 der Richtlinie 2004/18 aufgezählten Voraussetzungen
erfüllt, ein „Umweltgütezeichen“ im Sinne dieser Vorschrift dar. Außerdem hat die Provinz Nord-Holland dadurch, dass sie eine Anforderung in Bezug auf eine Eigenschaft
78
des zu liefernden Kaffees und Tees unter Bezugnahme auf dieses Umweltgütezeichen
aufgestellt hat, insoweit eine technische Spezifikation festgelegt. Somit ist der erste
Teil des ersten Klagegrundes anhand dieser letzteren Vorschrift zu prüfen.
Nach Art. 2 der Richtlinie 2004/18, der die Grundsätze für die Vergabe öffentlicher Aufträgen regelt, behandeln die öffentlichen Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer gleich und nichtdiskriminierend und gehen in transparenter Weise
vor. Diese Grundsätze haben für technische Spezifikationen eine entscheidende
Bedeutung aufgrund der Gefahren einer Diskriminierung im Zusammenhang mit
deren Auswahl oder der Art und Weise ihrer Formulierung. Deshalb heben Art. 23
Abs. 2 und 3 Buchst. b und der letzte Satz des 29. Erwägungsgrundes der Richtlinie
2004/18 hervor, dass die technischen Spezifikationen allen Bietern gleichermaßen
zugänglich sein müssen und die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für den
Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern dürfen, dass sie so genau zu
fassen sind, dass sie den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln
und dem öffentlichen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen, und
dass sie klar festzulegen sind, so dass alle Bieter wissen, was die Anforderungen
des öffentlichen Auftraggebers umfassen. Art. 23 Abs. 6 der Richtlinie 2004/18 ist
insbesondere im Licht dieser Erwägungen auszulegen.
Aus Art. 23 Abs. 6 Unterabs. 1 ergibt sich, dass diese Bestimmung den öffentlichen
Auftraggebern bei Anforderungen in Bezug auf Umwelteigenschaften die Befugnis
verleiht, die detaillierten Spezifikationen eines Umweltgütezeichens, nicht aber ein
Umweltgütezeichen als solches zu verwenden. Das in Art. 23 Abs. 3 Buchst. b der
Richtlinie 2004/18 niedergelegte Klarstellungserfordernis – auf das sich Art. 23 Abs. 6
bezieht –, das im letzten Satz des 29. Erwägungsgrundes der Richtlinie erläutert wird,
steht einer extensiven Auslegung dieser Vorschrift entgegen.
Um die Überprüfung der Einhaltung einer solchen Anforderung zu vereinfachen,
ermächtigt Art. 23 Abs. 6 Unterabs. 2 die öffentlichen Auftraggeber zwar, anzugeben,
dass bei Waren, die mit einem Umweltgütezeichen ausgestattet sind, dessen detaillierten Spezifikationen sie verwendet haben, vermutet wird, dass sie den fraglichen
Spezifikationen genügen. Dieser Unterabs. 2 erweitert jedoch nicht den Umfang von
Art. 23 Abs. 6 Unterabs. 1, da er die Heranziehung des Umweltzeichens selbst nur
nachgeordnet gestattet, als Nachweis, dass „den in den Verdingungsunterlagen festgelegten technischen Spezifikationen“ genügt ist.
Nach Art. 23 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18 müssen die öffentlichen Auftraggeber nämlich jedes andere geeignete Beweismittel, wie technische Unterlagen
des Herstellers oder Prüfberichte anerkannter Stellen, akzeptieren.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass, wie das Königreich der Niederlande geltend
macht, der öffentliche Auftraggeber zwar von den interessierten Wirtschaftsteilnehmern erwarten darf, dass sie gebührend informiert sind und mit der üblichen Sorgfalt
79
handeln; eine solche berechtigte Erwartung setzt jedoch voraus, dass der öffentliche Auftraggeber selbst seine Anforderungen klar formuliert hat (vgl. in diesem
Sinne Urteil vom 22. April 2010, Kommission/Spanien, C-423/07, Slg. 2010, I-3429,
Randnr. 58). Diese Erwartung kann erst recht nicht ins Feld geführt werden, um die
öffentlichen Auftraggeber von den Verpflichtungen, die die Richtlinie 2004/18 ihnen
vorschreibt, zu entbinden.
Im Übrigen ist die dem öffentlichen Auftraggeber auferlegte Verpfl ichtung, die
detaillierten Umwelteigenschaften, die er vorschreiben will, auch dann ausdrücklich
anzugeben, wenn er die für ein Umweltzeichen festgelegten Eigenschaften verwendet, nicht nur weit von jedem übermäßigen Formalismus entfernt, sie ist auch
unerlässlich, um es potenziellen Bietern zu ermöglichen, sich auf ein einheitliches
und amtliches Dokument des öffentlichen Auftraggebers selbst zu stützen, ohne
dass sie also den Zufälligkeiten einer Informationssuche und möglichen im Laufe der
Zeit eintretenden Veränderungen der für ein Umweltgütezeichen geltenden Kriterien
ausgesetzt sind.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass der vom Königreich der Niederlande erhobene
Einwand, da das EKO-Gütezeichen über die ökologische Gewinnung der mit ihm
ausgestatteten Erzeugnisse Auskunft gebe, hätte die Angabe der detaillierten Eigenschaften eine Aufzählung sämtlicher Vorschriften der Verordnung Nr. 2092/91 erforderlich gemacht, was sehr viel weniger klar als ein Verweis auf dieses Gütezeichen
gewesen wäre, nicht stichhaltig ist. Die Richtlinie 2004/18 steht nämlich nicht
grundsätzlich einem Verweis – in der Vergabebekanntmachung oder dem Lastenheft – auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften für bestimmte technische
Spezifikationen entgegen, wenn ein solcher Verweis praktisch unvermeidbar
ist, soweit er zusammen mit sämtlichen zusätzlichen Angaben erfolgt, die von
der Richtlinie eventuell verlangt werden (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Spanien, Randnrn. 64 und 65). Da der Vertrieb von Erzeugnissen, die aus ökologischem
Landbau stammen und als solche präsentiert werden, in der Union das einschlägige
Unionsrecht beachten muss, kann ein öffentlicher Auftraggeber gegebenenfalls im
Lastenheft angeben, dass das zu liefernde Erzeugnis der Verordnung Nr. 2092/91
oder einer späteren, diese ersetzenden Verordnung entsprechen muss, ohne damit
gegen den Begriff „technische Spezifikation“ im Sinne von Nr. 1 Buchst. b des
Anhangs VI der Richtlinie 2004/18 oder gegen Art. 23 Abs. 3 dieser Richtlinie zu
verstoßen.
Zu der späteren Klarstellung in Nr. 11 der Informationsmitteilung, wonach der Verweis
auf das EKO-Gütezeichen auch gleichwertige Gütezeichen umfasste, ist über das in
den Randnrn. 54 bis 56 des vorliegenden Urteils Dargelegte hinaus hervorzuheben,
dass diese Klarstellung jedenfalls das Fehlen einer Identifizierung der dem fraglichen
Gütezeichen entsprechenden detaillierten technischen Spezifikationen nicht ausgleicht.
80
Aus alledem folgt, dass die Provinz Nord-Holland dadurch, dass sie im Lastenheft
vorgeschrieben hat, dass bestimmte zu liefernde Erzeugnisse mit einem bestimmten
Umweltgütezeichen versehen sind, anstatt die für dieses Umweltgütezeichen festgelegten detaillierten Spezifikationen zu verwenden, eine mit Art. 23 Abs. 6 der Richtlinie
2004/18 unvereinbare technische Spezifikation aufgestellt hat. Demnach ist der erste
Teil des ersten Klagegrundes begründet.
45 VK Arnsberg, Beschluss vom 14.05.2012 –
VK 6/12 (Umstellung Funktechnik)
Die Forderung nach Durchführung eines Funktionstest ist unzulässig, wenn nur ein
Bieter über die hierfür erforderlichen technischen Voraussetzungen verfügt und die
anderen Bieter deshalb kein Angebot abgeben können.
2.1 Verstoß gegen den Grundsatz der Vergabe im Wettbewerb nach § 97 Abs.1 GWB
Die Antragstellerin ist durch die nachträglich im Rahmen der Bieterfragenbeantwortung erfolgte Forderung des Funktionstest mit vollständigen digitalen Netz
mit Angebotsabgabe in ihren Rechten nach § 98 Abs.1 GWB im Wettbewerb
verletzt, da wie die Antragstellerin zutreffend vorgetragen hat, die Forderung
nach einem Funktionstest mit digitalem Netz nur solche Anbieter zuließ, die
bereits über ein solches im Stadtgebiet verfügten. Damit wurde der Wettbewerb
aufgrund der Frequenzbegrenzungen auf einen im Stadtgebiet zugelassene Betreiber
faktisch beschränkt, nämlich hier auf die zunächst für eine Inhousevergabe ins Auge
gefasste städtische Gesellschaft. Der Verweis auf eine Netzbeschaffung bei Dritten
ist aufgrund der restriktiven Vergabe von Frequenzen durch die Bundesnetzagentur
vor Zuschlag ausgeschlossen. Ein Funktionstest über Testfrequenzen hätte nicht die
notwendige Sicherheit eines 1:1 Betriebes gewährt.
Darüber hinaus hat ein Bieter keinen Anspruch darauf , dass ein anderer Netzbetreiber
– hier auch noch ein Konkurrent – ihm Zugang zu seinem Netz für einen solchen Test
gewährt, der darüber hinaus auch noch Beeinträchtigungen seines Netzes und seiner
Daten dadurch befürchten muss.
Die Beschränkung auf nur eine Bieterin erfüllt damit auch die Voraussetzungen eines
Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot iSd Rechtsprechung des OLG Düsseldorf.
Ein einer seiner neueren Entscheidungen zum unzumutbaren Wagnis hat das OLG
am Rande unter Ziff. II.1 lit. c) der Entscheidung vom 19.10.2011 , Az.: VII Verg 54/11,
VergabeR 2/2012, darauf hingewiesen, dass der Inhalt von Vergabeunterlagen gegen
§ 97 Abs.1 GWB verstößt, wenn er dazu führt, „dass nur noch ein Unternehmen oder
wenige Wirtschaftsteilnehmer ein Angebot einreichen können, weil die Risiken für
einen erheblichen Teil der Unternehmen nicht tragbar sind.“
81
2.2 Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach § 98 Abs.2 GWB
Durch diese Anforderung eines Funktionstest wurde die Antragstellerin auch
zugleich in ihrem Rechten auf Gleichbehandlung verletzt, da damit eine einzige
Anbieterin begünstigt wurde, ohne dass ein hinreichende Begründung für die
Beschränkung auf eine Bieterin dargelegt wurde.
Die Forderung nach einem Funktionstest wäre zu einem angemessenen Zeitpunkt
nach Vertragsschluss an sich zulässig gewesen, wenn man der Antragsgegnerin folgen will, dass sich darin nicht auch ein Eignungskriterium verbirgt.
Die Forderung nach Erbringung des Tests vor Angebotsabgabe – oder auch vor Vertragsschluss – führte jedoch – gewollt oder nicht gewollt – zu Reduzierung auf eine Bieterin.
Die Darstellung der mündlichen Verhandlung zur Notwendigkeit dieser Forderung
beschränkten sich auf die allgemeine Zunahme von Gewaltdelikten, vorzugsweise in
den bekannten Problembereichen, erhöht durch die Erweiterung der Einsatzkräfte flächendeckend in der Stadt. Dafür hat man zu Beginn des Jahres den Personalbestand
des Ordnungsamtes in diesem Bereich verdoppelt und die Umstellung auf ein digitales
Funknetz als arrondierende Maßnahme zur Erhöhung der Sicherheit des eingesetzten
Personals beschlossen. Insgesamt hat die Beschaffung allerdings nunmehr rund 1
1/2 Jahre in Anspruch genommen. Es bestand Einigkeit in der mündlichen Verhandlung, dass auch die Anforderung einer 96%igen Orts-Zeit-Wahrscheinlichkeit keine
100%ige Erreichbarkeit sichert, da sowohl in Kellern oder im Bereich von Stromleitungen/ Gleisanlagen alle Netze gestört sein können. Das damit dargelegte nachvollziehbare Interesse der Antragsgegnerin an einem raschen Wechsel rechtfertigt diese
Begrenzung des Marktes aber nicht. Die Marktbegrenzung war der Antragsgegnerin
auch unstreitig aufgrund des Hinweises ihres Rechnungsprüfungsamtes(Blatt 16 d.A.
Ziff. 1) bekannt. Eine Abwägung hierzu findet sich in der Akte ebenso wenig wie die
Prüfung von Alternativen, so dass hier auch nicht von einer hinreichend dokumentierten Ermessensentscheidung ausgegangen werden kann.
46 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012 –
Verg 7/12 (Anti-Grippe-Impfstoffe)
II. Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist
unbegründet.
1. Die Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin ist nicht deswegen zu beanstanden, weil sie Spritzen mit feststehender Kanüle ausschließt.
a) Die Antragsgegnerin hat die technischen Anforderungen in Form von Leistungsund Funktionsanforderungen beschrieben (§ 8 EG Abs. 2 Nr. 2 VOL/A, Art. 23
82
Abs. 3 lit. b) Richtlinie 2004/18/EG). Diese technische Anforderung sah vor, dass
nur Spritzen ohne oder mit abnehmbarer Kanüle angeboten werden durften.
b) Normen im Sinne von § 8 EG Abs. 4 VOL/A (= Art. 23 Abs. 5 Richtlinie 2004/18/
EG), auf die sich die Antragstellerin für ihre von der Leistungsbeschreibung abweichenden Erzeugnisse berufen könnte, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen führten
derartige Normen nur dazu, dass der Bieter unter den dort genannten Umständen
auch von der Leistungsbeschreibung abweichende Erzeugnisse anbieten dürften,
dies stünde jedoch nicht der Vergaberechtskonformität der Leistungsbeschreibung, sondern nur einem späteren Ausschluss des Angebots aus diesem Grunde
entgegen.
c) Die Leistungsanforderung verstößt auch nicht gegen § 8 EG Abs. 7 VOL/A (= Art.
23 Abs. 8 Richtlinie 2004/18/EG).
aa) Die Verpflichtung des Auftraggebers zur sogenannten produktneutralen Ausschreibung ist Ausfluss des Wettbewerbsgrundsatzes; es sollen möglichst viele
Bieter ihre Erzeugnisse anbieten können (vgl. Jaeger, ZWeR 2011, 365, 378 f.).
Des Weiteren dient diese Verpflichtung der Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit (vgl. EuGH, Urteil vom 10.05.2012 – C-368/10).
Dem Auftraggeber steht das Bestimmungsrecht zu, ob und welchen Gegenstand er wie beschaffen will. Solange er dabei die Grenzen beachtet und nicht
– offen oder versteckt – ein bestimmtes Produkt bevorzugt (und andere Anbieter
diskriminiert), ist er bei dieser Bestimmung im Grundsatz weitgehend frei.
Die Abgrenzung zwischen dem Gebot der produktneutralen Ausschreibung einerseits
und dem Bestimmungsrecht des Auftraggebers andererseits wird von den Vergabesenaten – zumindest nach Worten – in unterschiedlicher Akzentuierung beschrieben:
Der Senat (Beschlüsse vom 17.02.2010 – VII-Verg 42/09 – ISM-Funk; vom 03.03.2010
– VII-Verg 46/09 – Kleinlysimeter; s. auch vom 15.06.2010 – VII-Verg 10/10 – unterbrechungsfreie Stromversorgung; vom 22.09.2009 – VII-Verg 25/09 – Latexfreiheit; vom
11.02.2009 – VII-Verg 64/08 – Diktiergeräte) sowie das Oberlandesgericht München
(Beschluss vom 09.09.2010 – Verg 10/10 – Bestuhlung; s. auch schon Beschluss vom
28.06.2007 – Verg 7/07 – Laserdrucker) gehen davon aus, dass die Bestimmung des
Auftraggebers über die Beschaffung der Ausschreibung und Vergabe vorgelagert ist
(so auch Scharen, GRUR 2009, 345). Über die an die zu beschaffenden Gegenstände
zu stellenden technischen und ästhetischen Anforderungen bestimmt der Auftraggeber. Es ist grundsätzlich keine Markterforschung oder Markterkundung notwendig, ob
eine andere Lösung möglich ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass dieses Bestimmungsrecht grenzenlos ist; die Anforderung muss vielmehr objektiv auftrags- und
sachbezogen sein. Des Weiteren muss die Begründung nachvollziehbar sein. So hat
der Senat im Verfahren VII-Verg 46/09 nachgeprüft, ob der vom Auftraggeber vorge-
83
tragene Grund (zwecks Vergleichbarkeit mussten identische Kleinlysometer wie bei
einem Vorauftrag geliefert werden) eine tatsächliche Grundlage (waren im Vorauftrag
tatsächlich die nunmehr ausgeschriebenen Kleinlysometer geliefert worden?) hatten.
Die Oberlandesgerichte Jena (Beschluss vom 26.06.2006 – Verg 2/06 – Anna-AmaliaBibliothek) und Celle (Beschluss vom 22.05.2008 – 13 Verg 1/08 – Farbdoppler-Ultraschallsystem) gehen demgegenüber davon aus, dass der Auftraggeber sich zunächst
einen Marküberblick verschaffen und dann begründen muss, warum eine andere als
die von ihm gewählte Lösung nicht in Betracht kommt.
Die letztgenannte Auffassung engt nach Auffassung des Senats das Bestimmungsrecht des Auftraggebers zu sehr ein. Solange die Anforderung nicht dazu
führt, dass die Ausschreibung faktisch auf ein oder wenige Produkte zugeschnitten ist und die Anforderung objektiv sach- und auftragsbezogen ist, wird dem
Grundsatz der Vergabe im Wettbewerb und der Wahrung der Bietervielfalt hinreichend Rechnung getragen. Die Vergabenachprüfungsinstanzen können dem
Auftraggeber nicht eine technische oder ästhetische Lösung vorschreiben, die
zwar auch in Betracht kommt, aber vom Auftraggeber aus nachvollziehbaren
Gründen nicht gewünscht wird. Wird zudem verlangt, dass in den Vergabeunterlagen
der Ausschluss von Alternativen bereits bei der Entscheidung dokumentiert wird, wird
das Vergabeverfahren durch die Notwendigkeit des Auftraggebers, immer denkbare
Alternativen umfänglich zu prüfen und zu bewerten, stark verkompliziert. Wie auch
sonst ist der Auftraggeber nicht gehalten, die Ausschreibung so zuzuschneiden, dass
sie zum Unternehmens- oder Betriebskonzept eines jeden möglichen Bieters passt
(vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.11.2011 – 15 Verg 3/11 zur Losaufteilung).
Der Einwand, diese Rechtsprechung erlaube schrankenlos Produktbestimmungen,
greift nicht durch. Auch nach der Rechtsprechung des Senats wird das Vorhandensein
sachlich gerechtfertigter objektiver und plausibler Gründe geprüft, was willkürliches
und diskriminierendes Verhalten des Auftraggebers ausschließt.
Die Antragsgegnerin musste keine Fachlosaufteilung vornehmen. Auch wenn man
in gewissen Fallkonstellationen eine zwingende Fachlosaufteilung aus anderen
als den in § 97 Abs. 3 GWB genannten, und zwar kartellrechtlichen Gründen für
möglich hält, liegen derartige Gründe nicht vor. Eine Ausschreibung nach Fachlosen (1. Los: Fertigspritzen mit feststehender Kanüle; 2. Los: andere Fertigspritzen)
hätte dazu geführt, dass gegebenenfalls unterschiedliche Grippeschutzmittel von den
Ärzten hätten eingesetzt werden müssen. Zudem betraf die Abgrenzung der Fachlose
einen Punkt, nämlich die Kanülen, deren Kosten an sich von der Antragsgegnerin nicht
zu erstatten waren.
Die Antragsgegnerin kann sich auf die vorstehend dargestellten Gründe berufen,
obwohl diese – jedenfalls mit dieser Zielrichtung – im Vergabeverfahren nicht dokumentiert worden sind. Der Vergabevermerk, in dem die Antragsgegnerin ihre Leistungsbestimmung gerechtfertigt hat, bezog sich zwar auf eine Wahlfreiheit der Ärzte,
84
begründete dies jedoch mit arbeitsschutzrechtlichen Erwägungen. Die Antragsgegnerin konnte ihre Entscheidung jedoch auch nachträglich rechtfertigen. Es stellte eine
bloße Förmelei dar, wenn die Entscheidung des Auftraggebers wegen „fehlender“
Dokumentation aufgehoben würde, der Auftraggeber diese jedoch bei einem erneuten Vergabeverfahren in der Sache heranziehen dürfte. Antragsteller hätten dadurch
nichts gewonnen. Der Senat hat daher im Anschluss an die neuere Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs eine erst im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschobene Begründung in vergleichbaren Fallgestaltungen zugelassen (Beschluss vom
23.03.2011 – VII-Verg 63/10 m.w.N.). Im Übrigen hat sich die Antragsgegnerin bereits
vor Einleitung des Vergabeverfahrens jedenfalls mit dem Verschreibungsverhalten der
Ärzte befasst.
2. Die kartellrechtlichen Einwände der Antragstellerin greifen nicht durch.
a) Es kann offen bleiben, ob derartige Einwände in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu prüfen sind.
Unionsrecht fordert dies nicht, schließt dies aber auch nicht aus. Art. 1 Abs. 1 UA 3
Richtlinie 89/665/EWG i.d.F. von Art. 1 Richtlinie 2007/66/EG nennt als Prüfungsgegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens „das Gemeinschaftsrecht im Bereich
des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die
dieses Recht umsetzen“. Unionsrecht schließt auch gemeinsame Beschaffungen
öffentlicher Auftraggeber nicht aus, sondern überlässt die Entscheidung darüber den
Mitgliedstaaten (vgl. Art. 1 Abs. 10 RL 2004/18/EG und Erwägungsgrund 15).
Die nationale Vorschrift des § 97 Abs. 7 GWB bezieht sich lediglich auf „ Bestimmungen über das Vergabeverfahren“. § 104 Abs. 2 GWB nennt als zu prüfende
Ansprüche auch „sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber, die auf die
Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet
sind“. Dies schließt auf Kartellrecht gestützte Ansprüche nicht von vornherein
aus. § 104 Abs. 3 GWB (der seinem Wortlaut nach im Übrigen die Zuständigkeit
der ordentlichen Gerichte nur für Schadensersatzansprüche aufrecht erhält)
begründet nur die – gegebenenfalls parallele – Zuständigkeit der ordentlichen
Gerichte und Kartellbehörden, schließt aber eine gleichzeitige Zuständigkeit der
Vergabenachprüfungsinstanzen ebenso wenig aus („bleiben unberührt“). Der
Senat ist bei seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Handlungen mehrerer Auftraggeber unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten nicht überprüft
werden können, wenn sie sich zeitlich vor Beginn des Vergabeverfahrens zugetragen
haben. Ob dieses Argument die daraus gezogene Schlussfolgerung trägt, dass kartellrechtliche Verstöße auf Auftraggeberseite – anders als Kartellverstöße von Bietern
(§ 2 EG Abs. 1, § 6 EG Abs. 6 VOL/A) – nicht Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens sein können, kann mit Recht diskutiert werden. Der Bundesgerichtshof
(Beschluss vom 18.01.2000 – KVR 23/98 S. 21 BA) hat in einer Nebenbemerkung
geäußert, das unter einem besonderen Beschleunigungsbedürfnis stehende Vergabe-
85
verfahren sei zur Klärung komplexer und bei einer Prüfung von Kartellrecht regelmäßig
aufgeworfener Fragen der Marktabgrenzung und der Bewertung der Stellung des
Auftraggebers im fraglichen Markt nicht geeignet (ähnlich Dittmann, in Ziekow/Völlink,
a.a.O., § 104 GWB Rdnrn. 18 ff.). Soweit Scharen (GRUR 2009, 345) auf die Zumutbarkeit von Ermittlungen des Auftraggebers bei der Vergabeentscheidung und die
sich daraus ergebenden Grenzen einer Nachprüfung verweist, bleibt unklar, ob dies
auch für Handlungen des Auftraggebers selbst und Tatsachen gilt, die in seiner Sphäre
liegen. Im Ergebnis könnte freilich einiges dafür sprechen, kartellrechtliche Verstöße des Auftraggebers, die ohne zeitaufwändige Untersuchung einwandfrei
festzustellen sind, in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu berücksichtigen.
b) Die Antragsgegnerin verstößt jedenfalls nicht gegen Kartellrecht, soweit dieses
nach § 69 Abs. 2 SGB V auf sie Anwendung findet.
Soweit die Antragstellerin beanstandet hat, dass durch den Zusammenschluss der
einzelnen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft in Bayern ein marktstarker Nachfrager
aufgebaut werde, ist dies aus den von der Antragsgegnerin vor der Vergabekammer
vorgetragenen Gründen nicht der Fall. Auch wenn damit die gesetzlich Krankenversicherten in Bayern abgedeckt werden, ist der Marktanteil, gemessen an dem
in räumlicher Hinsicht bundesweit abzugrenzenden Markt, für die Annahme einer
marktbeherrschenden oder marktstarken Stellung der Antragsgegnerin zu gering. Mit
Rücksicht darauf, dass eine unterschiedliche Behandlung von Versicherten in Bayern
je nach Krankenkassenzugehörigkeit zu Schwierigkeiten führen könnte, die Gründe
für die Möglichkeit des Einsatzes individueller Kanülen nicht krankenkassenspezifisch
und gemeinsame Ausschreibungen durch mehrere Krankenkassen bereits in § 132e
Abs. 2 SGB V angelegt sind sowie zudem die Antragstellerin nicht geltend macht,
die Produktion – wenn auch unter Berücksichtigung einer gewissen Vorlaufzeit – auf
die Herstellung von Einwegspritzen ohne Kanüle nicht umstellen zu können, ist der
Nachfragezusammenschluss der gesetzlichen Krankenkassen in Bayern nicht als
kartellrechtswidrig anzusehen. Auch ist die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift
darauf nicht mehr zurückgekommen.
47 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012 –
Verg 10/12 (SatWaS)
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Der Nachprüfungsantrag ist von der Vergabekammer im Ergebnis zu Recht abgelehnt
worden.
1. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings statthaft und zulässig.
(…)
86
2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
a) Die Entscheidung der Vergabestelle, ausschließlich die Beigeladene zu Verhandlungen zuzuziehen und mit ihr den MoWaS-Vertrag zu schließen, beruht auf folgendem tatsächlichem und rechtlichem Befund:
Das satellitengestützte Warnsystem SatWaS war aufgrund des im Jahr 2000 mit der
Beigeladenen geschlossenen Vertrags bei Aufnahme der Verhandlungen (spätestens
Anfang des Jahres 2011) vorhanden. Es wurde aufgrund ungekündigter Vertragsbeziehung seit etwa zehn Jahren von der Beigeladenen betrieben. Die Beigeladene
unterhielt Anfang der 2000er Jahre sowie 2011 in Deutschland (und weltweit) als
einziges Unternehmen ein flächendeckendes Netz zur Informationsbeschaffung und
Versorgung von Medienbetreibern mit Nachrichten (in Form von Daten, Text und Bildern), insbesondere Warnmeldungen. Die dafür vorgehaltenen technischen Einrichtungen standen im Eigentum der Beigeladenen oder waren von ihr angemietet worden.
Erforderliche Systemprogramme waren von ihr entwickelt oder integriert worden.
Das modulare Warnsystem MoWaS sollte auf SatWaS aufbauen sowie unter dessen
Fortbestehen mit Blick auf bestimmte Funktionalitäten (z. B. Einbindung kommunaler
Leistellen und des lokalen Katastrophenschutzes) weiterentwickelt und erweitert werden. Grundlage dafür war § 6 Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe
des Bundes (ZSKG):
§ 6 Warnung der Bevölkerung
(1) Der Bund erfasst die besonderen Gefahren, die der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall drohen.
(2) Die für die Warnung bei Katastrophen zuständigen Behörden der Länder warnen
im Auftrage des Bundes auch vor den besonderen Gefahren, die der Bevölkerung in
einem Verteidigungsfall drohen. Soweit die für den Katastrophenschutz erforderlichen
Warnmittel für Zwecke des Zivilschutzes nicht ausreichen, ergänzt der Bund das Instrumentarium.
(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur Ausführung dieses Gesetzes das Verfahren für die Warnung der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall, insbesondere den
Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern sowie die Gefahrendurchsage
einschließlich der Anordnung von Verhaltensmaßregeln durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundesrates näher zu regeln.
Im Fall einer für den Wettbewerb geöffneten Vergabe des MoWaS-Auftrags wäre
eine Neuentwicklung und Nachbildung des SatWaS-Systems erforderlich gewesen,
mithin ein Auswechseln der Datenübertragungstechnik einschließlich potentieller
Medienbetreiber, dieses verbunden mit einem – auf Seiten der Vergabestelle fest-
87
zustellenden – bedeutend höheren Aufwand an Personal, Zeit und Kosten bei der
Planung, Ausschreibung, Ausführung, Projektüberwachung sowie bei der Betriebsaufnahme. Es wäre nicht nur die Schaffung eines praktisch vollkommen neuen Satelliteninformationssystems mit allen dafür erforderlichen technischen Installationen,
Nutzungsverträgen und Vereinbarungen mit Medienbetreibern notwendig gewesen
(die Antragstellerin verfügte 2011, wie sie im Senatstermin hat erklären lassen, über
lediglich etwa 50 Satellitenverbindungen zu Medienbetreibern, die Beigeladene hingegen über ca. 160), sondern es hätten auch Verbindungen zur Nachrichtenbeschaffung
weiträumig erneuert werden müssen.
Allerdings behauptet die Antragstellerin, die beauftragte Dienstleistung besser und
preiswerter als die Beigeladene sowie ohne einen höheren Zeitbedarf erbringen zu
können. Dazu habe sie, namentlich vor dem Hintergrund der ihr zur Verfügung stehenden Satellitenverbindungstechnik und untechnisch gesagt, lediglich auf dem Markt
beschaffbare Standardkomponenten zu einem System zusammenfügen müssen.
Darüber hinaus habe ihre Technik an das System der Beigeladenen „angekoppelt“
werden können. Dies ist zu verneinen.
Eine Öffnung der Auftragsvergabe für den Wettbewerb hätte schon beim
Auftraggeber höhere Transaktionskosten verursacht (siehe oben). Bei einer
vollkommen neuen Installation ist überdies mit anfänglichen Mängeln (z. B.
Fehlfunktionen) und deren aufwändiger Behebung zu rechnen. Ein Haushaltsbudget war dafür – wie außer Streit steht – nicht vorhanden. Außerdem war
bei einer Auftragsvergabe an einen dritten Auftragnehmer, insbesondere an
die Antragstellerin, mit höheren Beschaffungskosten zu rechnen. Auch dafür
fehlten Haushaltsmittel. Der Vortrag der Antragstellerin, sie habe MoWaS preiswerter errichten können als die Beigeladene, ist ohne nachprüfbare Substanz und in
der Sache illusorisch. Von einem dritten Auftragnehmer hätte zunächst einmal das
gesamte SatWaS-System – funktionsfähig und fehlerfrei – vollständig neu beschafft
werden müssen. Bei der Antragstellerin war insoweit eine lediglich bruchstückhaft
zu nennende Systemtechnik vorhanden. Allein die dafür anfallenden Kosten hätten
ein Angebot der Antragstellerin gegenüber der von der Beigeladenen in Rechnung
zu stellenden Vergütung erfahrungsgemäß beträchtlich verteuert. Mit der Bedeutung
eines zielstrebig zu erweiternden Warnsystems MoWaS für die Bevölkerung war dies
nicht zu vereinbaren.
Ein „Ankoppeln“ an das von der Beigeladenen errichtete System, zumal dann mit
Kompatibilitätsproblemen zu rechnen war, scheidet aus. Zwar hat die Beigeladene
insoweit für ein Bestehen von Ausschließlichkeitsrechten (gewerblichen, Urheberoder sonstigen Schutzrechten) nicht schlüssig vorgetragen. Jedoch scheitert ein
„Ankoppeln“ an eine bestehende Technik, wenn nicht an dem von der Beigeladenen behaupteten geschlossenen System, welches in Ermangelung von
Schnittstellen ein Anschließen technisch nicht zulässt (was im vorliegenden Fall
keiner Aufklärung bedarf), dann aber an ihrer erklärten Weigerung, der Antrag-
88
stellerin die für ihre Leistung erforderlichen Schnittstellen, m. a. W. Zugänge
zum SatWaS-System, zur Verfügung zu stellen. Die Beigeladene ist, selbst wenn
sie insoweit als marktbeherrschend anzusehen sein sollte, zu einer Öffnung der
von ihr für SatWaS vorgehaltenen Einrichtungen für Wettbewerber nach § 19
Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB nicht verpflichtet (vgl. Götting, in Loewenheim/Meessen/
Riesenkampff, 2. Aufl., § 19 GWB Rn. 89 m. w. N.; Wiedemann, in Handbuch des
Kartellrechts, 2. Aufl., § 23 Rn. 68 ff. m. w. N.). Darüber hin-ausgehend besteht keine
Veranlassung zu einer vertiefenden kartellrechtlichen Prüfung. Der Bundesgerichtshof
hat dazu obiter dictum bemerkt, das unter einem besonderen Beschleunigungsbedürfnis stehende Vergabeverfahren (und dann auch das Vergabenachprüfungsverfahren)
sei zu einer Klärung kartellrechtlicher Fragen nicht geeignet (BGH, Beschl. v. 18.1.2000
-KVR 23/98, BA 21). Ein kartellrechtswidriges Verhalten der Beigeladenen ist von der
Antragstellerin überdies nicht geltend gemacht worden. Dies ist darum – ungeachtet
dessen, ob kartellrechtliche Fragen in Vergabenachprüfungsverfahren überhaupt zu
untersuchen sind (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.6.2012 – VII-Verg 7/12,
Fertigspritzen, BA 10 bis 12) – nicht weiter zu problematisieren. Davon abgesehen
wäre bei einer Öffnung von Schnittstellen für eine anzukoppelnde Technik erfahrungsgemäß mit Kompatibilitätsproblemen zu rechnen gewesen. Dies hätte dem Erfordernis der Effektivität der Beschaffung widersprochen. Die Vergabestelle wollte – mit
Recht- ersichtlich solche Risiken schon im Ansatz vermeiden.
b) Bei dieser Sachlage ist die dokumentierte Beschaffungsentscheidung der Vergabestelle, mithin die Entscheidung, MoWaS auf der Grundlage des bestehenden
SatWaS-Systems entwickeln zu lassen, nicht zu beanstanden. Die Beigeladene
verfügte mit dem Vorgängersystem SatWaS als einziges Unternehmen in Deutschland über eine bewährte und flächendeckende Technik der Satellitenübertragung
von Informationen an Medienbetreiber. Durch ihre Beauftragung konnte die anzustrebende Funktionalität und Effektivität am ehesten gewährleistet erscheinen
und konnten – mit Blick auf die Bedeutung des Warnsystems für die Bevölkerung
– diesbezügliche Risikopotentiale entscheidend verringert werden. Abgesehen
von solchen technischen Überlegungen sprachen gewichtige wirtschaftliche
Gründe für eine Anknüpfung an das SatWaS-System.
aa) Bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft,
ein Verfahren oder dergleichen ist der öffentliche Auftraggeber im rechtlichen
Ansatz ungebunden. Die Entscheidung wird erfahrungsgemäß von zahlreichen
Faktoren beeinflusst, unter anderem von technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen oder solchen der (sozialen, ökologischen oder ökonomischen) Nachhaltigkeit. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren
Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Sie muss zunächst einmal
getroffen werden, um eine Nachfrage zu bewirken. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und
Weise der Beschaffung (überwiegende Rechtsprechung der Vergabesenate der
OLG, vgl. allein OLG München, Beschl. v. 28.7.2008 – Verg 10/08, BeckRS 2008,
89
17225; Beschl. v. 9.9.2010 – Verg 10/10, Bestuhlung; OLG Düsseldorf, Beschl.
v. 17.2.2010 – VII-Verg 42/09, ISM-Funk; Beschl. v. 3.3.2010 – VII-Verg 46/09,
Klein-Lysimeter; Beschl. v. 27.6.2012 – VII-Verg 7/12, Fertigspritzen, BA 6; Jaeger, ZWeR 2011, 365, 366; Scharen GRUR 2009, 345 – jeweils m. w. N.). Einer
besonderen vergaberechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf die Bestimmung
des Auftragsgegenstands durch den Auftraggeber nicht. Sie ergibt sich aus der
Vertragsfreiheit. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des
Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren.
bb) Nichtsdestoweniger unterliegt die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers beim
Beschaffungsgegenstand, und zwar im Interesse der von der Richtlinie 2004/18/
EG angestrebten Öffnung des Beschaffungswesens der öffentlichen Hand für den
Wettbewerb, aber auch der effektiven Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit
wegen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.5.2012 – C-368/10), bestimmten durch das Vergaberecht gezogenen Grenzen. So schreibt (nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 8 Satz
1 Richtlinie 2004/18/EG), auch für den Streitfall bedeutsam, § 8 Abs. 7 VOL/AEG vor, dass, soweit dies nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist,
der Auftraggeber in technischen Anforderungen (in einem weit zu verstehenden
Sinn) nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes
Verfahren verweisen darf, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder Produkte
ausgeschlossen oder begünstigt werden (gleichlautend u. a. § 7 Abs. 8 VOB/A).
Die genannten Normen beschreiben abschließend die für die Bestimmungsfreiheit (oder die Determinierungsfreiheit, so das OLG München) bestehenden
Beschränkungen. Die Subsumtion des jeweiligen Sachverhalts unter die genannten Normen obliegt den nationalen Gerichten.
Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung des Senats (vgl. oben, insbesondere zuletzt OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.6.2012 – VII-Verg 7/12, Fertigspritzen,
BA 5 bis 7) sind die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des
öffentlichen Auftraggebers indes eingehalten, sofern
■
die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,
■
vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene
Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei
getroffen worden ist,
■
solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen)
sind,
■
und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.
Bewegt sich die Bestimmung in diesen Grenzen, gilt der Grundsatz der Wettbewerbsoffenheit der Beschaffung nicht mehr uneingeschränkt.
90
Abgesehen davon, dass der Erfahrung nach jeder Auftraggeber vor einer
Beschaffungsentscheidung bestimmte und in der Regel ausreichende Marktforschungen anstellt (so auch im Streitfall, wie durch den Beschaffungsauftrag des
Bedarfsträgers BBK vom 19.11.2011 sowie durch den Vermerk der Vergabestelle
vom 23.8.2011 dokumentiert ist), ist der Auftraggeber nicht verpflichtet, sich
einen möglichst breiten Überblick über die in Betracht kommenden Leistungen
zu verschaffen, um die Beschaffungsentscheidung durch weitergehende Marktuntersuchungen, dazu noch – so wenn es an eigener Sachkunde mangelt – unter
sachverständige Hilfe, zu „verobjektivieren“, dies mit dem Ziel, eine möglichst
produkt- oder technikoffene Leistungsbeschreibung zu erreichen (so aber Jaeger,
ZWeR 2011, 365, 380, sowie im Grundsatz auch OLG Jena, Beschl. v. 26.6.2006 – 9
Verg 2/06, Anna-Amalia-Bibliothek, NZBau 2006, 735; OLG Celle, Beschl. v. 22.5.2008
– 13 Verg 1/08, Ultraschallsystem, sowie die Beschwerde). Die vorstehend in den
Grundzügen wiedergegebene Rechtsprechung des Senats akzentuiert die vergaberechtliche Überprüfung der Beschaffungsentscheidung des Auftraggebers insoweit
anders, als vor dem Hintergrund der vom Vergaberecht gleichermaßen bezweckten
und darum ebenfalls in den Blick zu nehmenden Verwaltungsaufgabenerfüllung die
Perspektive der Effektivität der Beschaffung von einer wettbewerblichen Norminterpretation nicht verdrängt werden darf (siehe zum selben Thema auch Frister, VergabeR
2011, 295; Burgi, NZBau 2009, 609). Damit ist die Forderung nach einer umfänglichen
Verobjektivierung der Beschaffungsentscheidung nicht zu vereinbaren, denn dadurch
erhöhten sich, und zwar ohne die Beschaffung im Sinn eines intendierten „best value
for taxpayers money“ zu fördern, fühlbar nicht nur der Zeitaufwand bei den Vergabeverfahren, sondern auch die Transaktionskosten beim öffentlichen Auftraggeber
und würde das Verfahren noch komplizierter, als es aufgrund der Zersplitterung der
nationalen (materiellen) Gesetze sowie einer Überziehung mit Verwaltungsvorschriften ohnehin schon ist. Die vergaberechtlichen Prüfungs- und Untersuchungspflichten
des Auftraggebers unterliegen Zumutbarkeitsgrenzen (vgl. auch Scharen, GRUR 2009,
345, 347 f.; EuGH, Urt. v. 15.5.2008 – C-147 und 148/06, Secap, NZBau 2008, 453,
Rn. 29 f.). Auch ist der Auftraggeber nicht verpflichtet, die Beschaffungsentscheidung
daran auszurichten, ob sie zum Unternehmenskonzept und zur Leistungsfähigkeit
jedes potentiell am Auftrag interessierten Unternehmens passt (OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 27.6.2012 – VII-Verg 7/12, Fertigspritzen, BA 7; Beschl. v. 11.2.2009 – VIIVerg 64/08, Diktiergeräte). Die Gegenmeinung führt in der Konsequenz auch dazu,
dass sich erst im Nachprüfungsverfahren herausstellt, welche und vom Auftraggeber
aus nachvollziehbaren Gründen gegebenenfalls unerwünschte Leistung einzukaufen
ist. Dies läuft infolge einer Überbewertung des wettbewerbsrechtlichen Aspekts der
Beschaffung auf eine ihnen nicht zustehende Bestimmung des Auftragsgegenstands
durch die Vergabenachprüfungsinstanzen hinaus.
Sofern der Auftraggeber die Beschaffungsentscheidung innerhalb der durch
Art. 23 Abs. 8 Richtlinie 2004/18 und § 8 Abs. 7 VOL/A-EG (§ 7 Abs. 8 VOB/A)
gezogenen Grenzen getroffen hat, kann der Antragsteller ebenso wenig mit dem
Einwand Erfolg haben, das von ihm angebotene (oder anzubietende) Produkt
oder Verfahren sei, um das Vertragsziel zu erreichen, genauso geeignet. Nach der
91
Gegenansicht (Jaeger, ZWeR 2011, 365, 376) könnte der Antragsteller dann auch mit
der Behauptung durchdringen, der Auftraggeber habe den Beschaffungsgegenstand
mangelhaft, mithin in einer für die Zielerreichung ungeeigneten Weise, festgelegt.
Einen dahingehenden Einwand hat der Senat als 27. Zivilsenat des OLG Düsseldorf
schon früher abschlägig beschieden (OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.2010 – I-27 U 1/09).
Letztlich ist auch kein sachlich gerechtfertigter Grund zu erkennen, eine Beschaffungsentscheidung, die der Auftraggeber innerhalb der durch Art. 23 Abs. 8 Richtlinie
2004/18 und § 8 Abs. 7 VOL/A-EG (§ 7 Abs. 8 VOB/A) gezogenen Grenzen getroffen
hat, in einem weiteren Prüfungsschritt (gewissermaßen überwölbend) abermals wettbewerblichen Anforderungen zu unterwerfen, ohne dass davon in den Tatbeständen
der genannten Vorschriften die Rede ist (a. A. Jaeger, ZWeR 2011, 365, 378).
cc) An den vorstehenden Grundsätzen gemessen hatte die Vergabestelle nachvollziehbare, objektive technische und wirtschaftliche Gründe für die von ihr getroffene Wahl, MoWaS auf dem SatWaS-System aufbauen und von der Beigeladenen errichten zu lassen. Allein die abzuwendenden Risiken von Fehlfunktionen,
Kompatibilitätsproblemen sowie von höherem Zeitbedarf rechtfertigten die Entscheidung. Die Vergabestelle durfte mit Blick auf die Bedeutung (Erweiterung und
Effektivierung des Warnsystems für die Bevölkerung) im Interesse der Systemsicherheit und Funktion jedwede Risikopotentiale ausschließen und den sichersten
Weg wählen. Die Beschaffungsentscheidung ist von der Vergabestelle infolgedessen willkürfrei aufgrund sachlich gerechtfertigter und auftragsbezogener Gründe
getroffen worden. Andere Wirtschaftsteilnehmer, namentlich die Antragstellerin,
sind dadurch nicht diskriminiert worden (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Beschl.
v. 14.4.2005 – VII-Verg 93/04, Geographisches Informationssystem, VergabeR
2005, 513). Weitere überobligationsmäßige Marktuntersuchungen hätten keine
anderen Erkenntnisse als die einer tatsächlichen Alleinstellung der Beigeladenen,
von der eine Beschaffung den sichersten Weg darstellte, erbracht. Eine Anwendung der in den Entscheidungen des OLG Jena (Beschl. v. 26.6.2006 – 9 Verg
2/06, Anna-Amalia-Bibliothek, NZBau 2006, 735) und des OLG Celle (Beschl.
v. 22.5.2008 – 13 Verg 1/08, Ultraschallsystem) aufgestellten Rechtssätze auf
den Streitfall führte – wie in den allermeisten Fällen anzunehmen ist, weil der
Auftraggeber in der Regel schon von sich aus Markterkundungen vornimmt, um
die zu seinem Bedarf passende Leistung zu ermitteln – zu keinem abweichenden
Ergebnis, so dass sich eine Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach
§ 124 Abs. 2 GWB erübrigt.
c) Durch die MoWaS-Auftragsvergabe ist ebenso wenig – wie die Antragstellerin
geltend macht – ein bereits im Jahr 2000 durch den an die Beigeladene ergangenen SatWaS-Auftrag geschaffener vergaberechtswidriger Zustand perpetuiert
worden, mit der Folge, dass sich, um die Dienstleistung einer satellitengestützten
Verbreitung von Warnmeldungen nicht auf Dauer dem Wettbewerb zu entziehen,
die Vergabestelle beim MoWaS-Auftrag nicht mehr mit Erfolg auf die oben angeführten Gründe für eine Erweiterung auf der Grundlage des bestehenden Warn-
92
systems berufen könnte (vgl. dazu VK Berlin, Beschl. v. 1.10.2003 – VK-B 1-21/03;
KG, Beschl. v. 19.4.2012 – Verg 7/11: Verpflichtung des Auftraggebers zur Beendigung des bestehenden Vertrages). Denn auch im Zeitpunkt des SatWaS-Auftrags
verfügte die Beigeladene als einzige über das erforderliche flächendeckende
und erprobte Satelliten-Nachrichtensystem, das eine reibungslose Funktion von
MoWaS erwarten ließ. Die im Jahr 2000 getroffene Beschaffungsentscheidung
wahrte ebenso die durch Art. 23 Abs. 8 Richtlinie 2004/18 und § 8 Abs. 7 VOL/AEG gezogenen Grenzen. Von der Aufrechterhaltung und Verfestigung eines vergaberechtswidrigen Zustands kann deswegen nicht gesprochen werden.
d) Die Vergabestelle durfte den MoWaS-Auftrag nach § 3 Abs. 4 Buchst. c VOL/A-EG
im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben. Der Auftrag
konnte wegen seiner technischen Besonderheiten nur von der Beigeladenen
durchgeführt werden. Die Beschaffungsentscheidung der Vergabestelle
war beanstandungsfrei dahin ergangen, dass MoWaS auf dem bewährten
SatWaS aufbauen sollte. Die erforderliche Technik stand nur der Beigeladenen zur Verfügung. Dasselbe hat für den SatWaS-Auftrag im Jahr 2000 zu gelten, der ebenfalls ohne einen vorherigen Teilnahmewettbewerb der Beigeladenen
erteilt worden ist. Auch die Vereinbarungen über die Wartung und Aktualisierung
(Pflege) von SatWaS durften erlaubterweise allein im Wege von Verhandlungen
mit der Beigeladenen geschlossen werden. Die ebenfalls umstrittene Frage, ob
der Vergabestelle außerdem ein Verhandeln ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3
Abs. 4 Buchst. e VOL/A-EG gestattet war (zusätzliche Lieferungen zur teilweisen
Erneuerung oder Erweiterung), kann offen bleiben.
e) Zu einer Fachlosvergabe, z. B. mit Blick auf ein zu schaffendes Redundanzsystem,
war die Vergabestelle nicht verpflichtet (§ 97 Abs. 3 GWB). Mehrere denkbare
Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Dabei steht dem Auftraggeber
eine Einschätzungsprärogative zu. Zu beanstanden sind lediglich Festlegungen, mithin Gesamtvergaben, die ohne Vornahme der gebotenen Abwägung
nicht mehr vertretbar sind und auf einer groben Fehleinschätzung beruhen
(vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.11.2009 – VII-Verg 27/09, Lärmschutzwandarbeiten; Beschl. v. 11.1.2012 – VII-Verg 52/11, Gebäudereinigung – Glasreinigung).
Davon kann im Streitfall nicht gesprochen werden. MoWaS stellt keine bloße
Ansammlung von Einzelkomponenten dar, sondern ein Gesamtsystem, dessen
Betrieb beschafft werden sollte. Der gestellten Aufgabe und der Bedeutung
gemäß (Erweiterung des Warnsystems für die Bevölkerung) durfte von der Vergabestelle ein besonderer Wert auf Gesichtspunkte der Systemsicherheit und
Funktion gelegt werden. Risikopotentiale durften ausgeschlossen und es durfte
der sicherste Weg gewählt werden. Schnittstellen für Teilauftragnehmer standen
außerdem nicht zur Verfügung (siehe oben). Bei diesem Befund ist die Entscheidung der Vergabestelle für eine Gesamtvergabe an einen Auftragnehmer nicht zu
kritisieren.
93
48 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.10.2012 –
Verg 34/12 (Küchentechnik Ersatzbau Uni Bielefeld)
Dass die Vergabestelle im Streitfall nicht produktspezifisch hat ausschreiben
(vgl. § 7 Abs. 8 Satz 1 VOB/A), sondern lediglich – gewissermaßen beispielsweise
– ein Planungsfabrikat angeben und gleichwertige Produkte hat zulassen wollen,
hat die Antragstellerin am Leistungsverzeichnis erkennen können. Diese Art und
Weise der Ausschreibung beruht nach der Erfahrung des Senats auf einer langjährigen und weit verbreiteten Praxis der öffentlichen Auftraggeber, die auch
der Antragstellerin nicht fremd sein kann. Vergabeunterlagen, namentlich Leistungsverzeichnisse, sind vor dem Hintergrund des Verständnisses eines fachkundigen
Bieters auszulegen. Die Antragstellerin ist infolgedessen nicht gehindert gewesen,
ihrerseits ebenfalls gleichwertige und gegebenenfalls preisgünstigere Produkte anzubieten und dadurch ihre Zuschlagschancen zu verbessern.
Die gegen die Gleichwertigkeit weiterer Hauptangebote gerichteten Angriffe der
Antragstellerin sind nach derzeitigem Prüfungsstand ohne Erfolg. Die Beurteilung der
Gleichwertigkeit einer angebotenen Variante durch die Vergabestelle ist nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob sie sich in Anbetracht der auf eine transparente
Vergabe im Wettbewerb gerichteten Zielsetzung des Gesetzes und der Vergabe- und
Vertragsordnungen als vertretbar erweist (BGH, Urt. v. 23.3.2011 – X ZR 92/09;
NZBau 2011, 438 Rn. 8). Dies hat auch im Vergabenachprüfungsverfahren zu gelten,
und unter diesem Gesichtspunkt hat die Antragstellerin gegen die Wertung der Vergabestelle nichts Erhebliches eingewandt.
49 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 19.10.2012 –
VK-SH 28/12 (Diktiergeräte)
1. Der öffentliche Auftraggeber hat unter Ausschöpfung seines Beurteilungsspielraums nachvollziehbar zu begründen und zu dokumentieren, dass objektive
Gründe für die Notwendigkeit bestimmter Markenprodukte bestehen und damit
ein Abweichen vom Gebot der Produktneutralität zulässig ist.
2. Bei der Entscheidung für eine Gesamtvergabe und gegen das Gebot der Losaufteilung gem. § 97 Abs. 3 Satz 3 GWB hat eine eingehende und für die Vergabenachprüfungsinstanz nachvollziehbare Abwägung unter Beachtung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu erfolgen.
3. Eine unwirtschaftliche Zersplitterung als Rechtfertigung für eine Gesamtvergabe
liegt nicht schon deshalb vor, weil das kleinere von insgesamt zwei Losen unter
dem Schwellenwert für eine europaweite Ausschreibung läge und gemessen am
Gesamtvolumen des Auftrags 10 Prozent ausmacht.
94
a) Produktneutralität
Der AG hat mit ihrer Leistungsbestimmung gegen das vergaberechtliche Gebot zur
produktneutralen Ausschreibung (§ 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB, § 8 EG Abs. 7 VOL/A,
Art. 23 Abs. 8 VKR) verstoßen.
Nach § 8 EG Abs. 7 VOL/A darf in den technischen Anforderungen nicht auf eine
bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion
verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte
begünstigt oder ausgeschlossen werden, soweit dies nicht ausnahmsweise durch den
Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist oder der Auftragsgegenstand nicht hinreichend
genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann. Ein Verweis auf eine
bestimmte Produktion oder Herkunft liegt vor, wenn der Auftraggeber ein konkretes
Produkt, einen konkreten Hersteller, Ursprungsort oder eine konkrete Bezugsquelle
vorgibt (VK Bund, Beschluss vom 27.08.2012, VK 2-65/12). Ein Verstoß gegen das
Gebot der Produktneutralität beziehungsweise eine ungerechtfertigte Abweichung bedeutet einen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz, den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot (VK Bund, Beschluss
vom 27.08.2012, VK 2-65/12).
Diese Grundsätze gebieten es, eine Ausschreibung so neutral zu formulieren, dass
nicht nur ein Produkt diese Anforderungen erfüllt. Der Grundsatz der Produktneutralität ist einer der zentralen Grundsätze des Vergaberechts. Ziel ist es, allen potentiellen
Bietern die gleiche Ausgangsposition zu bieten.
Demzufolge hat der Auftraggeber möglichst viele Wettbewerbsteilnehmer aufzufordern, an einer Ausschreibung teilzunehmen, damit sich durch einen breitangelegten
Wettbewerb das wirtschaftlichste Angebot für ihn herauskristallisiert. Ein bestimmter
Anbieter soll nicht von vornherein „ausersehen“ werden und den Zuschlag erhalten
(VK des Landes Hessen, Beschluss vom 26.01.2012, 69d VK- 45/2011 mit weiteren
Hinweisen).
Dieser Grundsatz kann allerdings das legitime Interesse eines Auftraggebers, ein
bestimmtes Produkt zu verwenden oder eine bestimmte Art der Ausführung zu
erhalten, nicht einschränken. Die Möglichkeiten zur Festlegung der Anforderungen
in der Leistungsbeschreibung werden lediglich dahingehend eingeschränkt, dass
es jeweils einer sachlichen Rechtfertigung bedarf. Diese können sich z.B. aus der
besonderen Aufgabenstellung oder aus technischen Anforderungen ergeben. Es muss
dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Auftraggeber letztlich (auch
kaufmännische) Verantwortung für die Maßnahme trägt. Es kann ihm daher nicht
verwehrt werden, die Kriterien festzulegen, die das zu beschaffende Produkt bzw.
die zu beschaffende Leistung erfüllen soll. Diesbezüglich hat der Auftraggeber einen
weiten Beurteilungsspielraum (VK Bremen, Beschluss vom 17.08.2011, 16 VK 4/11;
95
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.10.2009, VII-Verg 25/09; erkennende Kammer,
Beschluss vom 28.11.2006, VK-SH 25/06).
Der Wettbewerbsgrundsatz verpflichtet den Auftraggeber aber, sich vor Festlegung der Ausschreibungsbedingungen einen möglichst breiten Überblick über
die in Betracht kommenden Lösungen zu verschaffen und einzelne Lösungswege nicht von vornherein auszublenden. Da der Auftraggeber den ihm hierbei eingeräumten Beurteilungsspielraum auszuschöpfen hat, muss er prüfen
und positiv festzustellen, warum eine Lösungsvariante zur Verwirklichung des
Beschaffungszwecks nicht geeignet erscheint und diese Willensbildungs- und
Entscheidungsprozesse in den Vergabeakten dokumentieren (erkennende Kammer, Beschluss vom 28.11.2006, VK-SH 25/06; VK Lüneburg (BezR), Beschluss vom
02.12.2008, VgK-41/2008; OLG Jena, Beschluss vom 26.06.2006, 9 Verg 2/06).
Diese Prüfung ist vorliegend ausweislich des eigenen Vortrags des AG nicht in ausreichender Weise erfolgt. Er hat in seiner Stellungnahme vom [...] ausgeführt, er werde
vor einer erneuten Ausschreibung überprüfen, ob die vorhandene Datenverarbeitungssoftware mit Fremdgeräten (Hardware) tatsächlich kompatibel sei und inwieweit die
späteren Nutzer der digitalen Diktiergeräte bei ihrer Arbeit zusätzliche Dateiparameter
benötigten, die eine produktbezogene Ausschreibung zwingend erforderten bzw.
inwieweit auch produktneutral ausgeschrieben werden könnte. Dem entsprechend
hat der AG das Vergabeverfahren mit der Begründung aufgehoben, es sei notwendig
die Leistungsbeschreibung zu überprüfen, da auch Geräte anderer Hersteller geeignet
sein könnten. Der AG hat somit den Sachverhalt im Vorfeld nicht hinreichend ermittelt
und damit seinen Beurteilungsspielraum unstreitig nicht ausgeschöpft.
Die erkennende Kammer weist ergänzend darauf hin, dass die von dem AG bisher
vorgebrachten Argumente eine produktbezogene Ausschreibung nicht rechtfertigten.
Die von dem AG angeführte Begründung für das Absehen von einer produktneutralen Ausschreibung, dass bereits 90 Prozent aller [...] mit Geräten des Herstellers [...]
ausgestattet seien und die Beschaffungsaktivität des AG im Bereich Diktiergeräte
dem Abschlussbericht des Projektes „Digitales Diktat“ der [...] aus dem Jahr 2007
Rechnung tragen müsse, genügt den Anforderungen nicht.
Der mangelnde Einsatz von Produkten anderer Hersteller kann ein Absehen von einer
produktneutralen Ausschreibung nicht allgemein rechtfertigen (OLG Frankfurt a. M.,
Beschluss vom 29.05.2007, 11 Verg 12/06). Der Auftraggeber hat vielmehr nachvollziehbar zu begründen und zu dokumentieren, dass objektive Gründe für die Notwendigkeit bestimmter Markenprodukte bestehen. Maßgebend für die Beurteilung
können mithin nur die Eigenschaften und Beschaffenheit der zu vergebenden Leistung
sein, eben nicht aber die subjektiven Erwägungen, Überlegungen und Wünsche des
öffentlichen Auftraggebers und seiner [...]. Der AG ist verpflichtet, die Gründe für
96
die Systementscheidung im Einzelnen zu hinterfragen und festzustellen sowie die
Notwendigkeit der Bestellung gerade in dem angegebenen Verhältnis nachvollziehbar niederzulegen (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 29.05.2007, 11 Verg 12/06).
Insbesondere rechtfertigt nicht jeder Kompatibilitätsgesichtspunkt eine Abweichung von dem Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung. Anderenfalls
würde das Regel-Ausnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehrt (Kulartz/Marx/
Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl. 2011, § 8 EG Rz. 111). Vorliegend fehlt es an einer nachvollziehbaren Darlegung, inwieweit die nicht mehr zur Verfügung stehenden Informationen unverhältnismäßige Schwierigkeiten bei Gebrauch mit sich bringen würden
bzw. ob und inwieweit die Informationen erforderlich sind. Des Weiteren hat der AG
bestätigt, dass sich die Hersteller von digitalen Diktiergeräten auf einen gemeinsamen
Dateistandard geeinigt haben, so dass es grundsätzlich möglich sein könnte, ein mit
einem Diktiergerät eines Herstellers aufgenommenes Diktat mit Hilfe der Software
eines anderen Herstellers weiterzuverarbeiten.
Die vom AG bislang vorgebrachten Gründe können ein Absehen von der Losaufteilung
nicht rechtfertigen.
Entgegen der Auffassung des AG ist zur Überzeugung der Kammer nicht schlüssig dargetan, noch ersichtlich, dass mit einer Losaufteilung zwischen analogen und digitalen
Diktiergeräten von einer unwirtschaftlichen Zersplitterung auszugehen ist.
dd) Von einer Losvergabe kann der Auftraggeber nach § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB absehen, wenn dies für ihn unwirtschaftlich ist. Dabei ist nicht nur allein maßgeblich,
welchen prozentualen Anteil des Gesamtauftrages der auf das betreffende Los
entfallende Auftrag einnimmt. Vielmehr ist auch und vor allem darauf abzustellen,
wie viele der Auftraggeber bereits gebildet hat und welcher Auftragswert auf ein
zusätzliches Los entfallen würde. Ein öffentlicher Auftraggeber kann deshalb von
der Ausschreibung von Losen absehen, weil die gesonderte Wertung des Loses,
der Vertragsschluss und die gesonderte Abwicklung des Vertrages im Verhältnis
zu einer Gesamtausschreibung erfahrungsgemäß zu unverhältnismäßigem Aufwand führt und damit unwirtschaftlich im Sinne des § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB ist.
Der zusätzliche Aufwand ist umso eher als unverhältnismäßig anzusehen, je
mehr Lose der Auftraggeber ohnehin schon gebildet hat und je kleiner ein
zusätzliches Los (absolut gesehen) ist. Ausgehend von diesen Grundsätzen
hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Aufwand für ein zusätzliches Los
von insgesamt vier Losen mit einem Anteil von 6 Prozent an dem Gesamtvolumen als nicht unverhältnismäßig angesehen (Beschluss vom 11.01.2012,
VII-Verg 52/11). Die erkennende Kammer hat bei einem Anteil von ca. 0,7
Prozent bis 1 Prozent eine unwirtschaftliche Zersplitterung angenommen
(VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 07.09.2012, VK-SH 23/12).
Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Es müssten insgesamt lediglich
zwei Lose gebildet werden. Davon würde das kleinere Los nach Angaben des AG 10
97
Prozent des Gesamtauftrages betragen. Da es sich lediglich um zwei zu bildende Lose
handelt und von einem Auftragswert für analoge Diktiergeräte von rund [...] Euro auszugehen ist, wäre eine Losbildung mit keinem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden.
50 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2013 –
Verg 33/12 (Neubau Landesmuseum)
II. Der Nachprüfungsantrag ist nicht begründet.
1. Zu Recht hat der Antragsgegner das Angebot der Antragstellerin gemäß § 16
Abs. 1 Nr. 1b) i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A wegen Änderung an den Vergabeunterlagen aufgrund der fehlenden Gleichwertigkeit des angebotenen Produkts
für den Oberputz Typ 1 mit dem im Leistungsverzeichnis genannten Produkt ausgeschlossen.
a) Bei der Erstellung der Vergabeunterlagen hat der Antragsgegner nicht gegen das
Gebot zur produktneutralen Ausschreibung verstoßen.
aa) Das nationale Vergaberecht wie auch die maßgebliche EU-Richtlinie lassen unter
mehreren Voraussetzungen den Verweis auf eine bestimmte Produktion oder
Herkunft oder ein besonderes Verfahren oder auf Marken, Patente, Typen, einen
bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion zu.
(1) Gemäß der ersten Alternative des Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG,
umgesetzt u.a. in § 7 Abs. 8 Satz 1 VOB/A und § 8 Abs. 7 Satz 1 EG VOL/A, ist
eine Rechtfertigung durch den Auftragsgegenstand erforderlich, aber auch ausreichend (zu den Anforderungen im Einzelnen – sachliche Rechtfertigung durch den
Auftragsgegenstand; Angabe nachvollziehbarer objektiver und auftragsbezogener
Gründe, Bestimmung willkürfrei getroffen; tatsächliches Vorhandensein solcher
Gründe; keine Diskriminierung anderer Wirtschaftsteilnehmer – vgl. Senat,
Beschl. v. 01.08.2012, VII-Verg 10/12 MoWaS). Da in diesen Fällen ausschließlich
das ausgeschriebene Produkt (oder Verfahren etc.) geeignet ist, dem Beschaffungsbedarf des Auftraggebers zu genügen, ist das Angebot alternativer Produkte
unzulässig. Eine Gleichwertigkeitsprüfung findet nicht statt.
Ob im Streitfall für den streitgegenständlichen Oberputz Typ 1 eine Festlegung ausschließlich auf das im Leistungsverzeichnis genannte Produkt des Herstellers Knauf
durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt gewesen wäre, kann dahinstehen. Mit
dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ hat der Auftraggeber den Bietern die Möglichkeit, alternative gleichwertige Produkte anzubieten, ausdrücklich eröffnet.
(2) Die zweite Alternative des Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18/EG, umgesetzt
u.a. in § 7 Abs. 8 Satz 2 VOB/A und § 8 Abs. 7 Satz 2 EG VOL/A, gestattet den
98
Verweis auf ein bestimmtes Produkt, Verfahren etc. ausnahmsweise dann, wenn
der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich
beschrieben werden kann; solche Verweise sind mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen.
Teilweise wird die Auffassung vertreten, § 8 Abs. 7 Satz 2 HS 1 EG VOL/A und die
Parallelvorschriften setzten nicht voraus, dass die Beschreibung des Leistungsgegenstandes (objektiv) unmöglich ist, da anderenfalls dieser Ausnahmetatbestand de facto
leer laufe. Es reiche aus, wenn eine abstrakte Beschreibung wegen des zwingend
hohen Detailgrades dem Auftraggeber nicht zuzumuten sei oder wenn sie zu Missverständnissen führe. Die Gleichwertigkeit der Alternative bestimme sich in erster Linie
anhand des Auftraggeberwillens, wie und soweit dieser in der allgemeinen Leistungsbeschreibung zum Ausdruck komme. Sie sei dann gegeben, wenn der Auftraggeber
mit dem angegebenen Produkt funktional dasselbe Ergebnis erzielen könne und die
ihm wichtigen Leistungsmerkmale auch von dem Alternativangebot erfüllt würden.
Zum Schutz der Bieterinteressen sei der Auftraggeber jedoch verpflichtet, diejenigen
Merkmale, in Bezug auf die eine Gleichwertigkeit vorzuliegen habe, in der Beschreibung anzugeben, sodass deutlich werde, wann ein Produkt gleichwertig ist (vgl. VK
Halle, Beschl. v. 13.12.1999, VK Hal 20/99; VK Südbayern, Beschl. v. 15.03.1999,
120.3-3194.1-02-02/99).
Eine Auslegung, die in das Verständnis des Begriffs „nicht hinreichend genau und
allgemein verständlich beschrieben werden kann“ eine subjektive Komponente
(Zumutbarkeit) einführt, könnte jedoch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
erfordern. Außerdem kann gegen ein solches Verständnis sprechen, dass es sich bei
den entsprechenden Vorschriften und Ausnahmebestimmungen (Rückausnahmen)
handelt, die grundsätzlich eng auszulegen sind. Für die Entscheidung kommt es darauf
jedoch nicht an.
(3) Die Nennung eines bestimmten Produkts in der Leistungsbeschreibung –
erst recht mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ – kann auch so aufgefasst werden, dass das Produkt als Planungs-, Richt- oder Leitfabrikat,
d.h. nur beispielhaft genannt wird, aus Sicht des Auftraggebers aber gar
keine Festlegung auf ein bestimmtes Produkt erfolgen, sondern den Bietern
lediglich die Bearbeitung des Angebots erleichtert werden soll.
Auf das Vorliegen einer solchen Absicht deuten Formulierungen im Leistungsverzeichnis hin. Dieses enthält unter Ziff. 4 Buchst. i) den Passus:
„Die in der Leistungsbeschreibung enthaltenen Produktbezeichnungen gelten als
Qualitätsbeispiele. Alle wesentlichen technischen Merkmale sind im Positionstext
angegeben. Der Nachweis der Gleichwertigkeit der angebotenen Produkte obliegt
dem Bieter...“
99
Unter Ziff. 6 zu Fabrikatsangaben heißt es weiter:
„In diesem Leistungsverzeichnis werden in einigen Positionen beispielhaft Fabrikate
genannt, deren Eigenschaften bei der Planung zu Grunde gelegt wurden. Im Folgenden können vom Bieter gleichwertige Produkte angeboten werden, deren Gleichwertigkeit ist jedoch bei Angebotsabgabe vom Bieter nachzuweisen...“
Der Senat neigt dazu, eine derartige „unechte“ Produktorientierung für zulässig zu
erachten (vgl. Beschl. v. 01.10.2012, VII-Verg 34/12). Eine solche Art der Ausschreibung beruht auf einer langjährigen und verbreiteten Praxis der öffentlichen
Auftraggeber, die auch den Bietern in der Regel nicht fremd ist. Auch dies ist
jedoch nicht streitentscheidend.
bb) Im Streitfall ist zur Beschreibung der gewünschten Optik des Putzaufbaus Typ 1
der Verweis auf das im Leistungsverzeichnis genannte Produkt des Herstellers
Knauf gemäß § 7 Abs. 8 Satz 2 VOB/A auch in seiner engen, wörtlichen Auslegung zulässig. Der Auftragsgegenstand kann anderweitig nicht hinreichend genau
und allgemein verständlich beschrieben werden.
Für den Neu- und Umbau des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, das am
Domplatz in Münster und damit an exponierter Stelle verwirklicht werden soll, hat sich
der Antragsgegner für eine genau definierte, hochwertige Optik des Oberputzes „Typ
1“ entschieden. Im Leistungsverzeichnis heißt es hierzu in der Einleitung zu Ziff. 3:
„Diese optisch hochwertige Ausführung wird an den Fassaden des Vorplatzes zum
Dom sowie im Patio ausgeführt.“
Die Vertreterin des für den Auftraggeber tätigen Architekturbüros hat im Senatstermin
anschaulich geschildert, wie zur Erreichung der gewünschten Oberflächengestaltung
über einen längeren Zeitraum eine Vielzahl verschiedener Produkte und Zuschlagsstoffe ausprobiert wurde, bis man schließlich auf den Hersteller Knauf stieß, mit dessen Produkt Marmorit SM 700 Pro unter Zugabe bestimmter Zuschlagsstoffe (u.a.
Muschelkalk, Marmorsplitt, Silber Chips/Glimmer) ein Muster hergestellt werden
konnte, das den Erwartungen entsprach.
Die gewünschte Optik lässt sich verbal nicht anders beschreiben als – wie
geschehen – dadurch, dass ein Erscheinungsbild gefordert wird, das dem entspricht, das entsteht, wenn der vorgenannte Oberputz des Herstellers Knauf mit
den nach Material und Menge exakt bezeichneten Zuschlagsstoffen versehen
und nach vollständiger Trocknung – wie in Ziff. 3.3 des Leistungsverzeichnisses
vorgesehen – durch maschinelles Schleifen in mehreren Schleifgängen nachbehandelt wird.
Die von der Antragstellerin im Nachgang zum Senatstermin angeführten DIN-Normen
EN ISO 8785 und EN ISO 1302:2002 sind zur Beschreibung des Auftragsgegenstands
100
nicht geeignet. Insbesondere kann mit ihnen der durch die Zuschlagsstoffe hervorgerufene Glimmereffekt nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben
werden. Die DIN EN ISO 8785 befasst sich mit Oberflächenunvollkommenheiten (früher: Oberflächenfehlern) und beschreibt verschiedene Oberflächenstrukturen. Eine
Handreichung zur Darstellung eines Glimmereffekts findet sich nicht. Dasselbe gilt für
die erheblich umfangreichere DIN EN ISO 1302:2002, die eine Vielzahl von Parametern
zur Angabe der Oberflächenbeschaffenheit in technischen Produktdokumentation enthält, ebenfalls aber nicht geeignet ist, einen bestimmten Glimmereffekt darzustellen.
51 VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.01.2013 –
1 VK 44/12 (Metallbau/Fenster)
Ein Verweis auf ein Leitprodukt/-fabrikat – wie dies die Antragsgegnerin vorliegend
in ihrem LV getan hat – ist gemäß § 7 EG Abs. 8 Satz 2 VOB/A ausnahmsweise
dann zulässig, wenn der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein
beschrieben werden kann. Solche Verweise sind mit dem Zusatz „oder gleichwertig“
zu versehen. Dies hat die Antragsgegnerin getan und die Antragstellerin hat auch zu
keinem Zeitpunkt geltend gemacht, dass die Ausschreibung speziell auf ein Produkt
abziele und kein anderes Produkt die Anforderungen des LV erfüllen könne. Vielmehr
hat die Antragstellerin erst später im Nachprüfungsverfahren moniert, dass auch
das Leitprodukt die gestellten Anforderungen an das Längsschalldämmmaß nicht
generell und ohne Berücksichtigung der ausführenden Bauweise erfüllen könne.
Die VK Münster führt in dem o.g. Beschluss vom 26.07.2012 unter Verweis auf eine
Entscheidung des OLG Düsseldorf (Verg 61/09) allerdings zu Recht aus, dass § 7
Abs. 8 Satz 2 VOB/A grundsätzlich nicht bestimme, dass mit der Nennung eines
alternativen Produktes auch der Nachweis der Gleichwertigkeit vom Bieter zu führen
sei, weil sonst das Leitfabrikat unzulässiger Weise bevorzugt werde. Vielmehr reiche
es aus, wenn der Bieter in seinem Angebot die Gleichwertigkeit des angebotenen
Alternativprodukts mit dem Leitfabrikat behaupte und die Vergabestelle dies im Rahmen ihrer technischen Angebotsprüfung untersuche, aber auch untersuchen könne.
Demzufolge müsse eine Vergabestelle vom Bieter prüffähige Unterlagen bekommen
oder Hinweise auf die technischen Anforderungen, die sein Alternativprodukt erfüllt.
Nur so werde eine Vergabestelle in die Lage versetzt, eine Gleichwertigkeitsprüfung
durchzuführen. An anderer Stelle in dem genannten Beschluss der VK Münster heißt
es zutreffend:
„Wenn eine Vergabestelle eine solche Ausschreibung vornimmt, muss sie sich letztlich auf eine Gleichwertigkeitsprüfung einlassen, die mitunter komplexer und auch
in tatsächlicher Hinsicht (beispielsweise Sachverständigengutachten) umfangreicher
sein kann, als zuvor genau den Bietern in der Leistungsbeschreibung darzulegen, worauf es ihr hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes eigentlich ankommt.“
Mit anderen Worten: Hat die Vergabestelle bei solch einer Art von Ausschreibung prüffähige Unterlagen vom Bieter erhalten, kann sie sich nicht darauf
101
berufen, dass der Bieterin der (im Einzelfall sehr aufwändig zu führende) Nachweis der Gleichwertigkeit obliege. Sind die vorgelegten Unterlagen jedoch nicht
aussagekräftig oder weichen diese offensichtlich von den gestellten Anforderungen ab, dann geht dies zu Lasten der Bieter. In einem solchen Fall muss sich
der Auftraggeber nicht darauf einlassen, dass das angebotene Produkt „mehr kann“
(je nachdem wie das Produkt konkret verwendet oder eingebaut wird) als dies die
Produktdatenblätter des angebotenen Produkts dokumentieren. Dies gilt jedenfalls
für den Fall, dass die Bieterin bei ihrer Angebotsabgabe nicht ausdrücklich auf solche
Besonderheiten hinweist.
Da der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin bereits aus den o.g. Gründen
rechtmäßig war, bedarf es keiner Entscheidung, ob weitere – von der Antragsgegnerin
geltend gemachte – Ausschlussgründe vorlagen.
2.
Preis-/Haushaltsrechtliche Anforderungen/Vergabereife
52 OLG München, Beschluss vom 20.03.2013 –
Verg 5/13 (Akademie des bayerischen Bäckerhandwerks)
1. § 20 Abs. 3 VOF ist nicht nur Anspruchsgrundlage für einen entsprechenden
Honoraranspruch des Bieters, sondern beinhaltet auch eine verfahrensrechtliche
Vorgabe für die Durchführung des Vergabeverfahrens, deren Einhaltung der Bieter
zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens machen kann.
2. Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 3 VOF gibt für sich genommen keine Handhabe für
einen rechtswahrenden Ausstieg des Bieters aus dem Vergabeverfahren ab.
1. Die Vergabekammer Südbayern geht zutreffend davon aus, dass § 20 Abs. 3 VOF
dritt- und bieterschützend ist (§ 107 Abs. 2 GWB). § 20 Abs. 3 VOF billigt dem
Bieter nicht nur einen entsprechenden Honoraranspruch gegen den Auftraggeber zu, sondern beinhaltet auch eine verfahrensrechtliche Vorgabe für die
Durchführung des Vergabeverfahrens. Dies ergibt sich aus der wettbewerbsschützenden Komponente der Vorschrift. Insbesondere kleinere Architekturbüros,
denen eine Querfinanzierung nicht so ohne weiteres möglich ist, könnten, wenn
sie keine auskömmliche Aufwandsentschädigung erhalten, von vorneherein daran
gehindert sein, sich um einen von der öffentlichen Hand ausgeschriebenen Auftrag auch nur zu bewerben (OLG Koblenz, Urteil vom 06.07.2012, 8 U 45/11; a.
A. Weyand, Vergaberecht, 4. Auflage, RdNr. 24 zu § 20 VOF). Die Vergabe öffentlicher Aufträge im fairen Wettbewerb der Bieter ist ein wesentliches Anliegen des
Vergaberechts (§ 97 Abs. 1 GWB). Dies spricht entscheidend dafür, § 20 Abs. 3
VOF auch als verfahrensrechtliche Vorgabe für die Durchführung des Vergabeverfahrens anzusehen.
102
Die Antragsteller haben darüber hinaus zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der
öffentliche Auftraggeber, wenn § 20 Abs. 3 VOF auf eine Anspruchsgrundlage für den
Honoraranspruch verengt wird, im Gefolge des Vergabeverfahrens einer Vielzahl von
Honorarklagen gegenüber sehen kann. Dies könnte den Auftraggeber mit Aufwendungen belasten, die dieser bisher nicht in seine Kalkulation einbezogen hatte. Wird
§ 20 Abs. 3 VOF dagegen als Verfahrensvorschrift des Vergabeverfahrens angesehen,
muss der Bieter etwaige Verstöße auch dort rügen. Versäumt er dies, verhindert die
Sperrwirkung der Spezialzuweisung nach §§ 102 ff. GWB eine an das Vergabeverfahren anschließende Honorarklage im Zivilrechtsweg (OLG Koblenz, a. a. O.).
2. Selbst wenn der Senat zu Gunsten der Antragsteller unterstellt, dass die den Bietern abverlangte Planungsleistung nach der HOAI wesentlich höher wie mit dem
von der Vergabestelle festgesetzten Betrag von 5.000,00 Euro zu vergüten wäre,
hätten die Antragsteller dennoch, da sie sich mit dem Schreiben vom 29.10.2012
freiwillig aus dem Vergabeverfahren zurückgezogen haben, die Antragsbefugnis
für ein Vergabenachprüfungsverfahren aufgegeben und verloren. Damit war der
Nachprüfungsantrag der Antragsteller zur Vergabekammer Südbayern zumindest
unbegründet. Die gegen den antragsabweisenden Beschluss der Vergabekammer vom 13.02.2012 gerichtete Beschwerde ist unbegründet.
Die weitere Teilnahme am Vergabeverfahren war für die Antragsteller entgegen der
Einschätzung der Beschwerde nicht unzumutbar. Vielmehr waren die Antragsteller,
selbst wenn zu Gunsten der Antragsteller ein Verstoß gegen § 20 Abs. 3 VOF als gegeben unterstellt wird, gehalten, statt sich aus dem Vergabeverfahren zurückzuziehen,
die oben unter b) genannten vergaberechtlichen Rechtsbehelfe zu ergreifen.
Insbesondere besteht das von der Beschwerde behauptete Dilemma – die Antragsteller hätten vor dem Problem gestanden, dass eine weitere Teilnahme am Vergabeverfahren mit einem Verstoß gegen die Berufspflichten der Antragsteller verbunden
gewesen wäre – nicht. Zwar darf der Architekt gem. § 7 Abs. 3 HOAI die in der HOAI
festgesetzten Mindestsätze nur in Ausnahmefällen unterschreiten. Dennoch ergibt
sich, selbst wenn der Senat davon ausgeht, dass die Begrenzung der Ausgaben des
öffentlichen Auftraggebers im Vergabeverfahren kein Ausnahmefall im Sinne von § 7
Abs. 3 HOAI ist, im Zusammenhang mit dem von der Vergabestelle festgesetzten
Honorar von 5.000,00 Euro kein Verstoß des Architekten gegen dessen Berufspflichten. Die HOAI gilt im Vergabeverfahren nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar über
die Erstreckung gemäß § 20 Abs. 3 VOF. Im Vergabeverfahren wird die Architektenleistung nämlich nicht, was einer unmittelbaren Anwendbarkeit der HOAI entgegensteht, auf der Basis einer synallagmatischen vertraglichen Bindung erbracht, sondern
es handelt sich um eine Auftragsaquisation des Architekten, für die diesem eine vom
potentiellen Auftraggeber einseitig festgesetzte Aufwandsentschädigung zufl ießt
(vgl. Willenbruch-Harr, Vergaberecht, 2. Aufl., Rn 21 zu § 20 VOF; Koebele in Locher/
Koebele/Frik, HOAI, 11. Aufl., Rn 125 zu § 7 HOAI). Damit bewegt sich der Architekt
im Vergabeverfahren nicht im Rahmen der Verpflichtungen, die ihm über § 7 Abs. 3
103
HOAI auferlegt sein mögen. Dass § 7 Abs. 3 HOAI im verfahrensgegenständlichen
Kontext nicht passt, wird auch daran ersichtlich, dass diese Vorschrift, was im Vergabeverfahren, da dort die Aufwandsentschädigung von der Vergabestelle vorgegeben
wird, definitiv nicht in Betracht kommt, davon ausgeht, dass die Mindestsätze nach
der HOAI (in Ausnahmefällen) kraft schriftlicher Vereinbarung zwischen Architekten
und Auftraggeber unterschritten werden können.
53 OLG Koblenz, Beschluss vom 25.03.2013,
5 U 1481/12 (Architektenvertrag mit Baukostenvereinbarung)
Ein öffentlicher Auftraggeber kann einen Architektenvertrag mit einer Baukostenvereinbarung (HOAI § 6 Abs. 2) nicht wirksam schließen, wenn die einschlägige
Haushaltsordnung vorsieht, dass Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für
Baumaßnahmen [...] erst veranschlagt werden [dürfen], wenn Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen vorliegen, aus denen die Art der Ausführung, die Kosten
der Baumaßnahme, des Grunderwerbs und der Einrichtungen sowie die vorgesehene
Finanzierung und ein Zeitplan ersichtlich sind, weil zum Zeitpunkt der Beauftragung
des Architekten noch keine Planungen als Voraussetzungen für eine Kostenschätzung
oder Berechnung vorliegen.
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die mit Blickrichtung auf § 522 Abs.
2 ZPO erfolgte vorläufige Prüfung des Senats ergeben hat, dass die Entscheidung
des Landgerichts Bedenken begegnet unter einem Aspekt, der bisher noch nicht
angesprochen wurde und daher einen gerichtlichen Hinweis nach § 139 Abs. 2
ZPO erfordert.
Im Einzelnen:
a. § 24 der rheinland-pfälzischen Landeshaushaltsordnung vom 20. Dezember 1971
(LHO) lautet wie folgt:
(1) Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Baumaßnahmen dürfen erst
veranschlagt werden, wenn Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen vorliegen, aus denen die Art der Ausführung, die Kosten der Baumaßnahme, des
Grunderwerbs und der Einrichtungen sowie die vorgesehene Finanzierung und ein
Zeitplan ersichtlich sind. Den Unterlagen ist eine Schätzung der nach Fertigstellung der Maßnahme entstehenden jährlichen Haushaltsbelastungen beizufügen.
(2) Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für größere Beschaffungen und
größere Entwicklungsvorhaben dürfen erst veranschlagt werden, wenn Planungen und Schätzungen der Kosten und Kostenbeteiligungen vorliegen. Absatz 1
Satz 2 gilt entsprechend.
104
(3) Ausnahmen von den Absätzen 1 und 2 sind nur zulässig, wenn es im Einzelfall
nicht möglich ist, die Unterlagen rechtzeitig fertig zu stellen, und aus einer späteren Veranschlagung dem Land ein Nachteil erwachsen würde. Die Notwendigkeit einer Ausnahme ist in den Erläuterungen zu begründen. Die Ausgaben und
Verpflichtungsermächtigungen für Maßnahmen, für welche die Unterlagen noch
nicht vorliegen, sind gesperrt.
(4) Auf einzeln veranschlagte Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für
Zuwendungen sind die Absätze 1 bis 3 entsprechend anzuwenden. Das für Finanzen zuständige Ministerium kann Ausnahmen zulassen.“
b. Weiter bestimmt § 54 der rheinland-pfälzischen Landeshaushaltsordnung
folgendes:
„(1) Baumaßnahmen dürfen nur begonnen werden, wenn ausführliche Entwurfszeichnungen und Kostenberechnungen vorliegen, es sei denn, dass es sich um kleine
Maßnahmen handelt. In den Zeichnungen und Berechnungen darf von den in § 24
bezeichneten Unterlagen nur insoweit abgewichen werden, als die Änderung nicht
erheblich ist; weiter gehende Ausnahmen bedürfen der Einwilligung des für Finanzen
zuständigen Ministeriums. Dieses holt bei einzeln veranschlagten Baumaßnahmen
zuvor die Einwilligung des Landtags ein, soweit nicht aus zwingenden Gründen eine
Ausnahme hiervon geboten ist. Ist die Zustimmung nicht eingeholt worden, so ist der
Landtag alsbald zu unterrichten.
(2) Größeren Beschaffungen und größeren Entwicklungsvorhaben sind ausreichende
Unterlagen zugrunde zu legen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.“
c. Nach Art. 77 Abs. 2 der rheinland-pfälzischen Landesverfassung ist die vollziehende Gewalt und damit auch der Beklagte an Gesetz und Recht gebunden.
Nichts anderes besagt Art. 20 Abs. 3 GG. Für den Beklagten sind daher die unter
a. und b. zitierten Vorschriften der LHO bindend.
d. Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat der Senat Zweifel, ob das beklagte Land
wirksam einen Architektenvertrag mit einer Baukostenvereinbarung nach § 6 Abs.
2 HOAI schließen kann. Bei Beachtung von §§ 24, 54 LHO (ausführliche Entwurfszeichnungen und Kostenberechnungen!) dürften nämlich die Voraussetzungen
des § 6 Abs. 2 HOAI (zum Zeitpunkt der Beauftragung noch keine Planungen als
Voraussetzung für eine Kostenschätzung oder Kostenberechnung) niemals vorliegen.
2. Vor diesem Hintergrund wird dem beklagten Land aufgegeben (§§ 525, 142,
273 ZPO) dem Senat sämtliche nach Maßgabe der §§ 24, 54 LHO erstellten und
vorhandenen Unterlagen vorzulegen (doppelt für die gebotene Unterrichtung des
Klägers).
105
3.
Wahl-/Alternativpositionen
54 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.02.2012 –
Verg 87/11 (Versicherungsdienstleistungen)
Die Rügen der Antragstellerin sind teilweise begründet.
a) Selbstbehalte im Allgemeinen
Nicht begründet ist allerdings die Rüge, die durch die verschiedenen möglichen Selbstbehalte und Laufzeiten bestehenden „Variationsmöglichkeiten“ für ein Angebot seien
vergaberechtswidrig.
Dabei handelt es sich um Wahl- oder Alternativpositionen (vgl. zuletzt Senat, Beschluss
vom 13.04.2011 – VII-Verg 58/10; Prieß, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl.,
§ 8 EG Rdnr. 78). Dabei schreibt der Auftraggeber die von ihm zu vergebenden Leistungen – teilweise – in verschiedenen Alternativen aus. Einer dieser Alternativen entsprechende Angebote des Bieters sind nicht als „Nebenangebote“ und auch nicht als
„Varianten“ im Sinne des Art. 24 der Richtlinie 2004/18/EG anzusehen, weil sie nicht
von der Leistungsbeschreibung des Auftraggebers abweichen, vielmehr entsprechen
sie dieser (zur Terminologie s. auch Egger, Europäisches Vergaberecht, Rdnr. 1253
ff.). Auch die Tatsache, dass der Bieter jede der Alternativen anbieten kann, ändert
daran nichts, da ein Bieter durchaus mehrere Hauptangebote abgeben kann (Senat,
Beschluss vom 23.03.2010 – VII-Verg 61/09).
Eine derartige Verfahrensweise ist nicht – auch wenn sie den Grundsatz der Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung (§ 8 Abs. 1 EG VOL/A) tangiert
– nicht von vornherein zu beanstanden.
Es bestand ein berechtigtes Interesse des Auftraggebers, den genauen Inhalt einstweilen offen zu halten. In der Versicherungsbranche ist es allgemein üblich, dass
potentiellen Versicherungsnehmern Sachversicherungen mit verschiedenen Selbstbehalten angeboten werden (zu den Besonderheiten des Versicherungsmarktes s.
auch OLG Celle, VergabeR 2004, 397; OLG Jena VergabeR 2006, 522). Es liegen
keine Gründe vor, weshalb ein öffentlicher Auftraggeber von dieser Methode der
Vertragsanbahnung ausgeschlossen werden müsste. Der Versicherungsnehmer kann
anhand der Prämienhöhe (die mit der Ausschreibung auch abgefragt wird und dem
Auftraggeber vorher nicht bekannt ist) und der Schadenswahrscheinlichkeit entscheiden, welche Alternative letztlich für ihn günstiger ist. Ein solches Vorgehen dient damit
auch einem der Zwecke des Vergaberechts, es nämlich dem Auftraggeber zu ermöglichen, seinen Bedarf zu günstigen Preisen zu decken. Feste prozentuale Grenzen für
Alternativpositionen bestehen nicht (Prieß, a.a.O., § 8 EG Rdnr. 81); dies ist auch nicht
zur Verhinderung einer bloßen unzulässigen Markterkundung (§ 2 Abs. 3 VOL/A EG)
geboten. Allgemein lässt sich allenfalls sagen, dass bei besonders häufigem Auftreten
106
von Wahlpositionen deren Anforderungen genauer zu überprüfen sind. In konkreten
Fall bestehen wegen der allgemeinen Üblichkeit von Angeboten mit unterschiedlichen
Selbstbehalten in dieser Hinsicht jedoch keine Bedenken.
Des Weiteren waren die Kriterien, anhand deren die Antragsgegnerin zwischen
den einzelnen Alternativen entscheiden würde, bekannt zu geben. Bei Alternativpositionen besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber das Wertungsergebnis
durch seine Entscheidung für eine bestimmte Alternative aus vergaberechtsfremden Gründen das Wertungsergebnis beeinflusst. Zur Gewährleistung eines
transparenten Vergabeverfahrens muss dem Bieterkreis daher – entgegen der
Auffassung der Vergabekammer – vorab bekannt sein, welche Kriterien für die
Inanspruchnahme der Alternativen maßgeblich sein sollen (Senat, a.a.O.). Der
Antragstellerin ist zuzugeben, dass die ursprünglichen Vergabeunterlagen es daran
fehlen ließen. Die Frage der Bewertung der Selbstbehalte war in den Vergabeunterlagen nicht angesprochen; insbesondere waren die Selbstbehalte bei der Untermatrix
zum Kriterium „Qualität“ nicht erwähnt.
Jedoch hat die Antragsgegnerin auf die Rüge der Antragstellerin hin die maßgeblichen Kriterien nachträglich bekannt gegeben. Dies reichte aus. Das Schreiben der
Antragsgegnerin vom 4. Juli 2011 ist in diesem Punkt sämtlichen Bietern bekannt
gegeben worden. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist das Kriterium auch
hinreichend konkret. Die Antragsgegnerin hat auf den Durchschnitt der Schadensfälle
in den letzten Jahren abgestellt. Damit war klar, dass die Antragsgegnerin die zweite
der von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 7. September 2011 an die Vergabekammer aufgeführte Alternative gewählt hatte und die übrigen Alternativen nicht
in Betracht kamen.
4.
Kalkulationsvorgaben Preisvorgaben
55 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2012 –
Verg 42/12 (Unterhaltsreinigung)
1.
Die Antragsgegnerin hat Bietern eine wirksame Kalkulationsvorgabe gestellt. Es sollte
unter der Überschrift „den Angebotspreisen zugrunde liegender Tariflohn“ in die
Preisblätter der Tariflohn für Unterhaltsreinigung (bezogen auf den Zeitpunkt der erstmaligen Leistungserbringung 1.1.2013) eingetragen werden. Die Antragstellerin gab
vordergründig noch wahrheitsgemäß einen Betrag von neun Euro (netto) je Arbeitsstunde als den seinerzeit gültigen und für allgemeinverbindlich erklärten Tariflohn
an. Tatsächlich kalkulierte sie nach eigenem Vortrag unter Verstoß gegen die Festlegung der Antragsgegnerin anders, nämlich mit einem Stundenverrechnungssatz von
8,78 Euro (netto). Dazu fühlte sich die Antragstellerin ermächtigt, weil mit dem
31.10.2013 der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag für das Gebäudereiniger-
107
handwerk auslaufen wird. Für die Zeit danach setzte die Antragstellerin nur noch den
Mindestlohn von 8,62 Euro nach TVgG NRW an.
a) Kalkulationsvorgaben durch den öffentlichen Auftraggeber sind vergaberechtlich zugelassen. Sie beschränken zwar die Kalkulationsfreiheit der
Bieter und „kanalisieren“ in gewissem Umfang auch den Preiswettbewerb,
beruhen jedoch auf der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers hinsichtlich der Regularien des Vergabeverfahrens. Zudem begrenzen sie Spekulationsmöglichkeiten der Bieter und fördern insoweit die Chancengleichheit bei der
Bewerbung um den Auftrag. Wie sonstige Festlegungen des Auftraggebers in
den Vergabeunterlagen auch unterliegen sie nur dem Gebot der Eindeutigkeit und
Bestimmtheit.
56 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013,
Verg 44/12 (Kopierer und Multifunktionsgeräte)
2. Auch die von der Antragsgegnerin gewählte Preisstruktur lässt Vergaberechtsfehler nicht erkennen. Zunächst unterliegt es der Bestimmungsfreiheit des
öffentlichen Auftraggebers, auf welcher Grundlage angebotene Leistungen
abgerechnet werden sollen. Vorgaben, ob zu vereinbarende Vergütungen
auf der Grundlage von Einheits-, Einzel-, Stunden- oder Pauschalpreisen zu
berechnen sind, enthält das Vergaberecht für Lieferaufträge – wie hier – nicht
(§ 2 Abs. 4 EG VOL/A i.V.m. der Verordnung PR Nr. 30/53 sowie § 11 Abs. 1 Satz
1 EG VOL/A i.V.m. VOL/B). Die Wahl zwischen Einzel- oder Pauschalpreisen
unterliegt vielmehr dem Bestimmungsermessen des öffentlichen Auftraggebers. Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin, namentlich die Abwägung der für die Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit sprechenden Gründe
für eine Pauschalierung der Leistungen in einem einheitlichen „Klick-Preis“ („Allin-Preis“), ist nicht zu beanstanden. Die Pauschalierung der Leistungen soll den
Verwaltungsaufwand der Antragsgegnerin bei der Abrechnung über die Nutzung
von Kopier- und Multifunktionsgeräten zwischen den Ämtern der Antragsgegnerin verringern helfen und im Einklang mit der bisherigen Preisgenehmigung
des Betriebsausschusses stehen. Eine Änderung des bisher auf der Basis eines
„Klick-Preises“ praktizierten Abrechnungsmodells bedarf einer Neukalkulation
und einer erneuten Preisgenehmigung durch den zuständigen Ausschuss, was
die Antragsgegnerin nicht zuletzt wegen des mit einer Umstellung einhergehenden organisatorischen Aufwandes zu vermeiden sucht. Derartige Erwägungen
sind nachvollziehbar und dürfen angestellt werden. Dem Bieter wird auch nicht
deshalb ein unzumutbares Risiko überbürdet, weil ein einheitlicher Preis neben
berechenbaren Fixkosten auch optionale Leistungen und damit variable Kosten
zu berücksichtigen hat. Denn hierbei handelt es sich – wie bereits ausgeführt
worden ist – um Kalkulationsrisiken, die die Antragsgegnerin in zulässiger Weise
dem Bieter auferlegt hat.
108
Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Antragsgegnerin die Bildung von
Staffel- oder Folgepreisen nicht zugelassen hat. Denn durch die von ihr angegebenen Mengen, die die Bieter der Preiskalkulation zugrunde legen durften, hat sie
Art und Umfang der Leistungen bestimmt (§ 1 Nr. 1 VOL/B i.V.m. § 11 Abs. 1 EG
VOL/A), die bei einer erheblichen Abweichung in der späteren Auftragsdurchführung
ein Recht des Bieters auf Preisanpassung begründen (§ 2 Nr. 3 VOL/B i.V.m. § 11
Abs. 1 EG VOL/A). Bereits die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung
von Leistungen (VOL/B), die der öffentliche Auftraggeber zum Vertragsgegenstand
machen muss (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EG VOL/A), gewähren einen indirekten Staffeloder Folgepreis, durch den Bieter grundsätzlich hinreichend geschützt sind. Ob der
öffentliche Auftraggeber darüber hinaus Staffel- oder Folgepreise zulässt, unterliegt
seiner Bestimmungsfreiheit.
5.
Zuschlags- und Bindefrist/Frist zur Abforderung von
Angebotsunterlagen/Angebotserstellungsfrist
57 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste)
II. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
aa) Das Vergabeverfahren leidet an einem schwerwiegenden Mangel. Die mit insgesamt 8 Monaten bemessene Binde-/Zuschlagsfrist verstößt gegen § 12 Abs. 1
Satz 2 EG VOL/A. In Bezug auf die Bindefrist regelt § 12 Abs. 1 Satz 2 EG VOL/A,
dass Auftraggeber eine „angemessene“ Frist bestimmen, innerhalb der die Bieter
an ihre Angebote gebunden sind. Eine nähere Ausgestaltung des Merkmals der
Angemessenheit findet sich in § 12 Abs. 1 Satz 2 EG VOL/A zwar nicht. Diese
Vorschrift ist jedoch im Lichte des § 19 Abs. 2 VOL/A 2006 auszulegen. Diese
Vorschrift sah ausdrücklich vor, dass (jedenfalls) die Zuschlagsfrist so kurz
wie möglich und nicht länger zu bemessen ist, als der Auftraggeber für eine
zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötigt. § 12 Abs. 1 Satz 2 EG
VOL/A ist eine bieterschützende Norm und soll eine für den Bieter unzumutbar lange Bindung an sein Angebot verhindern. Bei der Festlegung der
Binde-/Zuschlagsfrist ist zu Gunsten der Bieter zu berücksichtigen, dass diese
während der Bindefrist in ihren geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen
erheblich eingeschränkt sind. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Bewerbung
um andere Aufträge und der Finanzierung weiterer Aufträge. Ein Bieter kalkuliert
bei Abgabe seines Angebots den finanziellen Aufwand unter Berücksichtigung
der vorgesehenen Vertragslaufzeit. Er muss deshalb auch Gelegenheit haben,
nach Überschreiten eines angemessenen Zeitraums von seinem Angebot wieder
Abstand nehmen zu können. Auch die generelle Ausdehnung der Zuschlags- und
Bindefrist bis zum rechtskräftigen Abschluss etwaiger Vergabenachprüfungsverfahren, wie die Antragsgegnerin anführt, ist einseitig auf die Interessen des
109
Antragsgegners zugeschnitten und daher vergaberechtswidrig (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.11.2007 – 1 VK 43/07). Auch der im Rahmen des
Nachprüfungsverfahrens vorgebrachte Hinweis der Antragstellerin, der Umfang
der Angebote rechtfertige eine längere Zuschlagsfrist, vermag nicht zu überzeugen. Gründe für einen erhöhten Arbeitsaufwand sind hier nicht ersichtlich und im
Übrigen auch nicht in den Vergabeakten dokumentiert.
Letztlich stellt eine unzumutbar lange Zuschlagsfrist auch eine Beschränkung des
Wettbewerbs dar, da nicht auszuschließen ist, dass sich Unternehmen aufgrund dieser Zuschlagsfrist gar nicht erst am Verfahren beteiligen. Demgegenüber steht es
der Antragsgegnerin selbstverständlich frei, den Vertragsbeginn entsprechend spät
anzusetzen.
58 VK Bund, Beschluss vom 05.10.2012 –
VK 3-114/12 (Reinigungsdienstleistungen)
I.
Die Antragstellerin (ASt), ein mittelständischer Anbieter von Gebäudereinigungsdienstleistungen, macht mit ihrem Nachprüfungsantrag geltend, die in der Bekanntmachung vorgesehene Frist für die Abforderung der Vergabeunterlagen verstoße gegen
Vergaberecht, weil es hierfür keine Rechtsgrundlage gebe.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Weder verstößt das Setzen einer Abforderungsfrist für die Vergabeunterlagen als
solches gegen Vergaberecht, noch begegnet der von der Ag vorgesehene zeitliche
Abstand zwischen Abforderungsfrist und Angebotsabgabefrist vergaberechtlichen
Bedenken.
a) Die Ag war befugt, eine Frist für die Abforderung der Vergabeunterlagen zu setzen.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Auffassung der ASt, dass weder § 12 VOL/A-EG
noch eine andere Regelung der VOL/A-EG die Möglichkeit einer Fristsetzung für das
Anfordern der Vergabeunterlagen ausdrücklich vorsieht.
Aus der Vorschrift des § 12 Abs. 7 VOL/A-EG ergibt sich, dass öffentliche Auftraggeber, die die Vergabeunterlagen und alle zusätzlichen Unterlagen nicht elektronisch zur
Verfügung stellen, die betreffenden Unterlagen innerhalb von 6 Tagen nach Eingang
des Antrags an die Unternehmen absenden müssen, wenn diese die Unterlagen
„rechtzeitig“ angefordert haben. Wann von einer „rechtzeitigen“ Anforderung der
Unterlagen ausgegangen werden kann, ergibt sich aus der Vorschrift nicht.
110
Hat ein öffentlicher Auftraggeber keine Frist für die Abforderung der Unterlagen
gesetzt, beurteilt sich die „Rechtzeitigkeit“ danach, ob die Unterlagen dem Bewerber
faktisch noch vor Ablauf der Angebotsfrist zugehen können. Mit Blick auf die Frist von
6 Tagen in § 12 Abs. 7 VOL/A-EG muss der Antrag des Bewerbers somit entsprechend
fristgemäß vor Ablauf der Angebotsfrist gestellt werden (Rechten, in Kulartz/Marx/
Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Aufl. (2011), § 12 Rn. 32.).
Hat der öffentliche Auftraggeber dagegen – wie vorliegend – eine Ausschlussfrist
gesetzt, ist diese maßgeblich (Rechten, a.a.O. Rn. 31). Zu einer Fristsetzung ist der
öffentliche Auftraggeber auch befugt. Nach Art. 36 Abs. 1 RL 2004/18/EG enthalten
die Bekanntmachungen die in Anhang VII Teil A aufgeführten Informationen und ggf.
jede andere vom öffentlichen Auftraggeber für sinnvoll erachtete Angabe gemäß dem
jeweiligen Muster der Standardformulare. Hinsichtlich des Bekanntmachungstextes bei
offenen Verfahren sieht RL 2004/18/EG, Anhang VII, Teil A, Nr. 11 lit. b) folgendes vor:
„Gegebenenfalls Frist, bis zu der die Unterlagen angefordert werden können.“
Durch die Verwendung der Formulierung „gegebenenfalls“ geht der Gemeinschaftsgesetzgeber davon aus, dass eine solche Frist gesetzt werden kann, aber nicht
gesetzt werden muss. Dementsprechend sieht die Durchführungsverordnung (EU)
Nr. 842/2011 der Kommission vom 19. August 2011 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen auf dem Gebiet der
öffentlichen Aufträge und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 in ihrem
Anhang II – Auftragsbekanntmachung unter Tz. IV.3.3 die Angabe eines „Schlusstermins für die Anforderung von Unterlagen oder die Einsichtnahme“ ausdrücklich vor.
Hierauf verweist § 15 Abs. 1 VOL/A-EG. Der in § 12 Abs. 7 VOL/A-EG verwendete
Begriff „rechtzeitig“ impliziert vor diesem Hintergrund ebenfalls die Zulässigkeit
einer Fristsetzung für die Abforderung der Vergabeunterlagen.
Das Setzen einer Abforderungsfrist bewirkt auch keine unangemessene Belastung des
Bewerbers. Denn eine Fristsetzung dient nicht nur der Transparenz und der Gleichbehandlung aller Bewerber, sondern trägt dazu bei, dass die für die Angebotserstellung
notwendigen Vergabeunterlagen den Bewerbern so frühzeitig vorliegen, dass diese
ihre Angebote sorgfältig erstellen können (Rechten, a.a.O. Rn. 31).
b) Entgegen der Auffassung der ASt ist es vergaberechtlich nicht zu beanstanden,
dass zwischen der Abforderungsfrist (22. Juni 2012) und der Angebotsabgabefrist
(24. Juli 2012) ein Zeitraum von mehr als vier Wochen lag.
Der RL 2004/18/EG sind keine Aussagen darüber zu entnehmen, welcher Zeitraum
zwischen der Abforderungsfrist einerseits und der Angebotsabgabefrist andererseits
maximal zulässig ist. Dies legt es nahe, dass der öffentliche Auftraggeber insoweit
einen Ermessensbzw. Beurteilungsspielraum hat.
111
Aus dem mit Schriftsatz vom 25. September 2012 von der Ag zu den Akten gereichten
Zeitablaufplan für das Vergabeverfahren geht hervor, dass diese von der Annahme
ausging, die Vergabeunterlagen würden den Bewerbern spätestens am 28. Juni 2012
vorliegen, und zwar auch denjenigen Bewerbern, die erst am 22. Juni 2012 die Vergabeunterlagen angefordert hatten (§ 12 Abs. 7 VOL/A-EG). Somit hatten die Bewerber
spätestens ab dem 28. Juni 2012 Gelegenheit, sich mit den Unterlagen vertraut zu
machen und sich auf die Ortsbesichtigungen vorzubereiten. Wie aus der Bekanntmachung (ebenda Tz. III.2.1, Rn. 7) hervorgeht, mussten die Bieter einen Nachweis
über die erfolgte Teilnahme an den Ortsbesichtigungen vorlegen. Dabei mussten die
Bieter zwingend für jedes Objekt des Loses an der Ortsbesichtigung teilnehmen.
Die Ortsbesichtigungen fanden in der 28. Kalenderwoche statt. Angesichts der
Vielzahl der ausgeschriebenen Liegenschaften sowie der Vielzahl der Bewerber war
der organisatorische Aufwand für die Ag erheblich. Um den Geheimwettbewerb zu
schützen, musste die Ag u.a. Zeitpuffer vorsehen, um den direkten Kontakt zwischen
den Bewerbern zu vermeiden.
Die aus der Ortsbesichtigung gewonnenen Erkenntnisse waren für die Bieter eine
wichtige Informationsquelle bei der Erstellung ihrer Angebote. Aus Sicht der Ag war
nicht von vornherein auszuschließen, dass nach der Ortsbesichtigung Bieterfragen zu
den Vergabeunterlagen gestellt werden würden, die beantwortet werden mussten
und ggf. sogar zu einer Änderung/Ergänzung der Vergabeunterlagen führen würden.
Diese Umstände sprechen nach Überzeugung der Vergabekammer dafür, dass der
von der Ag vorgesehene zeitliche Abstand zwischen Abforderungsund Angebotsabgabefrist nicht zu beanstanden ist. Von der ASt ist auch weder vorgetragen worden
noch ist es sonst ersichtlich, dass diese Frist mit den allgemeinen Grundsätzen des
§ 97 Abs. 1 und 2 GWB unvereinbar wäre.
59 VK Arnsberg, Beschluss vom 06.02.2013,
VK 21/12 (Rettungsdienstleistungen)
Der Antrag ist überwiegend begründet.
Die Rahmenbedingungen für die Erbringung der Hauptleistungen Vorhaltung der Rettungswachen, Beschaffung der Fahrzeuge und qualifiziertem Personals, das hinsichtlich der RTWs im Sonderbedarf im jeweiligen Rettungswacheneinsatzbereich bereits
am 1.2.2013 eingearbeitet sein muss im Verhältnis zu der Bearbeitungsfrist 30.11.2012
bis 14.1.2013 und Ausführungsfrist vom 29.1.bis 1.2.2013 sowie die Bewertungsmodalitäten für zusätzliches Personal in Form von sog. Führungskomponenten und das
Ausfallsicherungskonzept sind geeignet, sog. Newcomer im Verhältnis zu den bisherigen Leistungserbringern zu diskriminieren, vom Verfahren auszuschließen und den
Wettbewerb so auf die bisherigen Leistungserbringer zu reduzieren. Auf vergleichbare
Bedenken stößt die Zurückhaltung des Bedarfsplans.
112
2.1 die Vorbereitungsfrist nach § 10 Abs. 1 VOL/A
Nach § 10 Abs. 1 VOL/A sind für Bearbeitung und Abgabe der Angebote ausreichende Fristen vorzusehen. § 10 VOL/A findet gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 VgV
Anwendung. Die Fristbestimmungen des § 12 EG VOL/A sind daher grundsätzlich nicht bindend für den Auftraggeber. Die hier gewählten Fristen sind für die
Vorbereitung der Angebote nicht ausreichend.
Für die Abgabe eines Angebots für jedes dieser Lose war die Bereitstellung eines
Standorts erforderlich, der in zeitlicher Hinsicht (8 Minuten bis zu jeweiligen Unfallort)
und /oder räumlicher Hinsicht (1000m im Radius um den bisherigen Standort) liegen
musste, mit einem Nachweis der Verfügbarkeit. Darüber hinaus mussten die potentiellen Baulichkeiten bestimmten Standards entsprechen.
Im Zeitraum vom Freitag, den 30.11.2012 bis zum Abgabetermin des Angebots verblieben den Bietern damit aufgrund der Dezemberfeiertage 25 Arbeitstage, sofern
die zuständigen Behörden und sonstigen Ansprechpartner am 27. und 28.12.2012
überhaupt geöffnet hatten oder sonst erreichbar waren, wovon nicht auszugehen ist.
Auch wenn es bei der Berechnung der Fristen nicht auf Arbeitstage ankommt, sondern
grundsätzlich auf Kalendertage, ist dies zur Bewertung einer angemessenen Frist im
Dezember eines Jahres mit zu betrachten, da nur die Arbeitstage zu den erforderlichen
Vorbereitungen – hier Standortsuche und Ermittlung einer geeigneten Liegenschaft,
Verhandlungen mit Nutzungsberechtigten – geeignet sind. Behörden , Unternehmen
und Privatleute sind in der zweiten Dezemberhälfte und den jeweiligen Anschlusstagen bekanntlich kaum oder nur sehr erschwert zu erreichen, weil es naheliegt ,
zwischen den Feiertagen schon aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen und/oder
Urlaub zu nehmen. Entsprechend war der Zugang zu der Fa. ### erschwert, deren
Gutachten bei der Wahl eines neuen Standorts erforderlich gewesen wäre.
Ein Neuerwerb war wie eine Anmietung anderer als der bisherigen Standorte damit in
Sinne einer faktischen Unmöglichkeit ausgeschlossen. Abgesehen davon, dass solche
erst hätten begutachtet und verhandelt werden müssen, um kalkuliert zu werden,
wäre auch eine Herrichtung im zur Verfügung stehenden Ausführungszeitraum vom
29.1. bis 1.2. 2013 nicht möglich gewesen. Dies gilt auch für die vom Antragsgegner
vorgetragene Containerlösung. Die notwendigen Genehmigungen zu erlangen und
die Errichtung solcher Behelfsbauten waren in diesem Zeitraum faktisch und teilweise rechtlich (Genehmigungsbedürftigkeit) unmöglich. Damit verblieb es bei der
Anmietung der bisherigen Standorte, was nur für die Standorte überhaupt infrage
kommen konnte, die in städtischen Liegenschaften sind, was ebenfalls Verhandlungen
mit den jeweiligen Städten und Gemeinden voraussetzte. Dabei verbindliche Ergebnisse zu erzielen, die einen rechtlich belastbaren Verfügbarkeitsnachweis, wie ihn der
Antragsgegner in der abschließenden Liste der verlangten Nachweise vom 20.12.2012
(Freitag) vorgeschrieben hat, konnte im Zeitraum vom2.1. bis 11.1.2013 ebenfalls nicht
erreicht werden, da dazu Entscheidungen der Gremien erforderlich sein dürften. Der
113
Antragsgegner verlangte nämlich für eigene Grundstücke eine Kopie des Grundbuchs
oder „geeigneten Nachweis“ bei Drittgrundstücken, was jedenfalls eine gewisse
Vergleichbarkeit voraussetzt und damit eine reine „Glaubhaftmachung“ ausschließt.
Diese Forderung ist an sich auch nicht in Hinblick auf Bestand einer solchen Wache
nicht zu beanstanden, sondern nur in diesen Zeiträumen nicht beschaffbar.
Lediglich die bisherigen Leistungserbringer konnten daher in diesem Zeitraum
Standorte nachweisen. Damit war die erste nun grundsätzliche Bedingung, sich
an der Ausschreibung zu beteiligen nur noch für diese gegeben und damit der
Wettbewerb auf die bisherigen Leistungserbringer beschränkt. Der Einwand der
Antragsgegners, die Fristen überschritten die Mindestvorgaben des § 12 EG VOL/A
noch um drei Tagen und seien daher als hinreichend zu betrachten, kann in diesem
Einzelfall daher nicht als hinreichend oder als realistische Einschätzung betrachtet
werden.
6.
Vergabebekanntmachung
60 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2012 –
Verg 4/12 (Eignungskriterien)
Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, das Angebot der Antragstellerin wegen
fehlender Eignung – der fehlenden berufspraktischen Erfahrung der Mitarbeiterin L....
– von der weiteren Wertung auszuschließen, weil sie die beizubringenden Eignungsnachweise unter III.2.3) 3.a. der EU-Bekanntmachung hinsichtlich des Inhalts (siehe
1. aa), der Art (siehe 1. bb) und des Vorlagezeitpunkts (siehe 1. cc) nicht klar und eindeutig gefordert hat. Die Anforderungen sind unklar und lückenhaft. Der Auftraggeber
hat bereits in der Vergabebekanntmachung anzugeben, welche Nachweise zur Beurteilung der Eignung vom Bieter vorzulegen sind (§ 6 Abs. 3, § 12 Abs. 2 S. 2 l) VOL/A,
§ 7 Abs. 5 S. 1 EG VOL/A)). Diese müssen im Einzelnen aufgeführt werden, damit
sich die Bieter darauf einstellen und sich rechtzeitig die entsprechenden Nachweise
beschaffen können. Die Angaben der Bekanntmachung zu den mit dem Angebot
vorzulegenden Eignungsnachweisen müssen zudem klar und widerspruchsfrei
sein. Unklarheiten und Widersprüche gehen zu Lasten des Auftraggebers (siehe
auch: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02. Mai 2007, VII Verg 1/07; Dittmann in Kulartz
u.a., VOL/A, 2. A., § 16 VOL/A, Rdnr. 30f u. 177ff; Völlink in Ziekow/ders., Vergaberecht, § 12 VOL/A, Rdnr. 17 i.V.m. § 12 VOB/A, Rdnr. 31).
aa) Es ist unklar, welche Tätigkeiten nach dem Abschluss der Berufsausbildung als
berufspraktische Erfahrungen anerkannt werden können, insbesondere ist nicht
eindeutig ersichtlich, welcher konkrete Bezug zur Hilfsmittelversorgung gegeben
sein muss.
114
b) Die Antragsgegnerin war auch deshalb nicht berechtigt, das Angebot der Antragstellerin wegen fehlender Eignung von der weiteren Wertung auszuschließen,
weil sie die verlangten Nachweise nicht in einer abschließenden Liste im Sinne
von § 8 Abs. 3 VOL/A, § 9 Abs. 4 EG VOL/A) zusammengestellt hat. Sie hat zwar
eine Unterlage, den Anhang 17 „Liste zu erbringender Nachweise“ erstellt, dabei
handelt es sich aber – jedenfalls im Hinblick auf die im Zusammenhang mit III.2.3)
3.a) der EU-Bekanntmachung geforderten Nachweise – nicht um eine abschließende Liste im Sinne von § 8 Abs. 3 VOL/A, § 9 Abs. 4 EG VOL/A. Nach der
Rechtsprechung des Senats muss der Auftraggeber sämtliche verlangten
Nachweise – gleichviel, ob es sich um Eignungs- oder um sonstige Nachweise handelt – in einer den Vergabeunterlagen beizufügenden und für die
Bieter als Überblick (gewissermaßen als „Checkliste“, auf „einen Blick“ und
zum „Abhaken“) verwendbaren, verlässlichen gesonderten Aufstellung,
sogar wenn solche Nachweise bereits aus den übrigen Vergabeunterlagen
hervorgehen, aufführen und diese spätestens mit den Vergabeunterlagen
bekannt geben. Rechtsfolge und gebotene vergaberechtliche Sanktion
einer unterlassenen Aufstellung und Bekanntgabe einer ordnungsgemäßen abschließenden Liste ist, dass Nachweise dann als nicht wirksam vom
öffentlichen Auftraggeber gefordert anzusehen sind, und dass Angebote
wegen Fehlens geforderter Nachweise von der Wertung nicht ausgenommen
werden dürfen (siehe Beschluss vom 03. August 2011, VII Verg 30/11).
Diesen Anforderungen entspricht die von der Antragsgegnerin als Anhang 17 bekannt
gegebene „Liste zu erbringender Nachweise“ jedenfalls hinsichtlich der im Zusammenhang mit III.2.3) 3.a) der EU-Bekanntmachung vorzulegenden Nachweise ersichtlich nicht. Unter der Ziffer 5 des Anhangs 17 findet sich keine solche „Checkliste“,
sondern es wird lediglich der Wortlaut der EU-Bekanntmachung wiedergegeben.
2.
a) Entgegen ihrer Auffassung hätte die Antragsgegnerin bei der Berücksichtigung
der berufspraktischen Erfahrung der Mitarbeiterin L.... weder auf den Zeitraum bis
zur Abgabe des Angebots durch die Antragstellerin noch auf den Zeitraum bis zum
Vertragsschluss abstellen dürfen. Vielmehr hätte sie auf den Zeitraum bis zum
Vertragsbeginn abstellen müssen. Die Eignung eines Auftragnehmers muss nämlich erst zum Zeitpunkt der Ausführung des Auftrags vorliegen, wie sich schon
aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 5 VOL/A/§ 19 Abs. 5 EG VOL/A ergibt. Insoweit
ist eine Prognose des Auftraggebers im Rahmen seines Beurteilungsspielraums
erforderlich (siehe auch: Dittmann, a.a.O., § 16 VOL/A, Rdnr. 198 u. 203). Es ist
zu prüfen, ob der Bieter über die erforderlichen Mittel und Kapazitäten verfügt, die
zur ordnungsgemäßen und vertragsgemäßen Ausführung des ausgeschriebenen
Auftrags notwendig sind. Dies ist in finanzieller, wirtschaftlicher, fachlicher (personeller) und technischer (sachlicher) Hinsicht zu beurteilen (Dittmann, a.a.O., § 16
VOL/A, Rdnr. 194). Ein Auftraggeber ist jedoch berechtigt, ausnahmsweise auf
115
einen anderen Zeitraum abzustellen, wenn er dies in der Vergabebekanntmachung
entsprechend begründet. Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen.
7.
7.1
Anforderungen an Zuschlagskriterien
Maßstab der Wirtschaftlichkeit im Sinne von § 97 Abs. 5 GWB
61 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin)
3. Den Umgang des Antragsgegners mit dem Zuschlagskriterium „Betriebskosten“
hat schon das OLG Rostock in seinem Beschluss vom 03.08.2011 moniert. Er ist
auch im fortgesetzten Vergabeverfahren rechtlich fehlerhaft. Unabhängig davon,
ob es zutrifft, dass für die angegebenen Zuschlagskriterien Gewichtungen nicht
angegeben werden können, sind die Betriebskosten, auch wenn sie in der Aufforderung zur Angebotsabgabe als letztes Zuschlagskriterium genannt sind, keine
per se zu vernachlässigende Größe. Der mit dem Vorhaben befasste Mitarbeiter
der ehp Umweltplanung GmbH, Herr Jürgen Ehmke, hat dem Vorsitzenden der
Vergabekammer in einem Telefonat am 05.11.2010 während des vorangegangenen Nachprüfungsverfahrens (Az.: 1 VK 9/10) erklärt, die in der Leistungsbeschreibung jeweils in Klammern gesetzten Angaben zu technischen Parametern
seien als Richtwerte anzusehen, die nicht nur über-, sondern auch unterschritten
werden könnten, gleichwohl könne die Leistung als ordnungsgemäß angeboten
werden. Mithin spielen Betriebskosten dort eine Rolle, wo sie aufgrund von Spielräumen, die der Antragsgegner selbst in der Leistungsbeschreibung gelassen
hat, unterschiedlich ausfallen können. Erst recht sind sie bei Nebenangeboten
bedeutsam, die von etwa vorgegebenen Richtwerten oder Margen deutlich(er)
abweichen können. Das gilt konkret von den auch nach Auffassung der Vergabekammer berücksichtigungsfähigen Nebenangeboten 2 und 3 der Beigeladenen
(hierzu unter C. 2. f., g.), ferner vom Nebenangebot 4 der Beigeladenen. In allen
genannten Fällen spielt der Energieverbrauch eine Rolle, mithin auch die Energiekosten als Bestandteil der Betriebskosten.
Die Betriebskosten sind, unabhängig davon, ob der öffentliche Auftraggeber
sie als Zuschlagskriterium nennt oder nicht, ein unverzichtbarer Bestandteil des
Wirtschaftlichkeitsmaßstabes nach § 97 Absatz 5 GWB. Wirtschaftlichkeit ist
allgemein das Verhältnis von Nutzen und Aufwand. Je größer der Nutzen bei
einem bestimmten Aufwand oder je geringer der Aufwand bei einem bestimmten Nutzen, umso besser ist die Wirtschaftlichkeit und umgekehrt. Im Sinne
des Vergaberechts ist es das Verhältnis zwischen Leistung und Kosten (vgl. Dähne/
Schelle, VOB von A bis Z, 3. Auflage, Seite 1562). Kosten sind dabei der Preis und
die sonstigen mit der beschafften Leistung verbundenen Kosten. Nach geltendem
116
Haushaltsrecht sind die Kosten wegen des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit (vgl. § 6 Absatz 1 HGrG, § 7 Absatz 1 Satz 1 BHO; § 7 Absatz 1 Satz 1
LHO; § 43 Absatz 4 KV M-V) stets in vollem Umfang zu berücksichtigen. Es gibt keinen
Grund für die Annahme, dass der Bundesgesetzgeber den Wirtschaftlichkeitsmaßstab
in § 97 Absatz 5 GWB anders verstehen wollte als in diesem Sinne. Artikel 53 Absatz
1 Buchstabe a der Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR), der mit der Regelung im
GWB umgesetzt wurde, liefert ebenfalls keinen Anhalt dafür, dass auf der Kostenseite
des Wirtschaftlichkeitsmaßstabes Beliebigkeit herrschen soll. Ein solches Verständnis
wäre nämlich manipulativ und widersinnig. Tatsächlich setzt sich diese Regelung von
jener in Buchstabe b von Artikel 53 Absatz 1 VKR deutlich ab, wonach der öffentliche
Auftraggeber alternativ auch das Kriterium des niedrigsten Preises wählen darf. Offensichtlich ist auch nach europäischem Recht das wirtschaftlichste Angebot etwas anderes als das billigste Angebot. Deshalb hat der öffentliche Auftraggeber hinsichtlich der
Kostenbestandteile keine Auswahlmöglichkeit. Das ist bei Anwendung jener Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnungen zu berücksichtigen, in denen – wie in Artikel
53 Absatz 1 Buchstabe a VKR – mögliche Zuschlagskriterien genannt sind und nicht
nach leistungsbezogenen Kriterien einerseits und Kostenbestandteilen andererseits
differenziert ist (§ 16 Absatz 6 Nummer 3 Satz 2 VOB/A; § 16 Absatz 8 VOL/A). Es
kommt dabei nicht einmal darauf an, ob das Kriterium der Betriebskosten ausdrücklich
genannt worden ist. Als integraler Bestandteil des Wirtschaftlichkeitsmaßstabes sind
die Betriebskosten wie alle anderen sonstigen Kosten ebenso stets zu berücksichtigen
wie der Preis (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 04.10.2000, Az.: 17 W 12/00).
Voraussetzung für die Berücksichtigung der Betriebskosten ist, dass eine halbwegs zuverlässige Aussage über ihre künftige Höhe gemacht werden kann.
Zwar hat der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich ein weites Ermessen bei
der Ermittlung der Betriebskosten. Das Transparenzgebot und der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangen aber eine möglichst objektive, am Problem
ausgerichtete Vergleichsberechnung auch für die Betriebskosten. Obwohl solche auf die Zukunft gerichteten Modellrechnungen immer von Annahmen ausgehen,
müssen diese die voraussichtliche Wirklichkeit widerspiegeln. Die Berücksichtigung
des Zuschlagskriteriums „Betriebskosten“ im Rahmen der Wertung muss also
sachgerecht sein, d. h. von richtigen Energieverbrauchsdaten und realistischen, für
alle gleichen Annahmen bei der Nutzung der beschafften Gegenstände ausgehen.
Daneben müssen einer vergleichenden Modellrechnung realitätsnahe Nutzungszyklen
zugrunde gelegt. § 7 Absatz 1 Nummer 2 VOB/A, wonach alle die Preisermittlung
beeinflussenden Umstände in den Vergabeunterlagen anzugeben sind, kann dahin
verstanden werden, dass gerade im Hinblick auf einen notwendigen Vergleich der
Betriebskosten die Daten, die diesem Vergleich zugrunde gelegt werden sollen, in den
Vergabeunterlagen bekannt zu machen sind. Dem Transparenzgebot folgend, muss
der Auftraggeber in seiner Leistungsbeschreibung die Bieter zudem auffordern, die
für den erwarteten Betrieb richtigen technischen Kennzahlen mitzuteilen (vgl. 2. VK
Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2006, Az.: 2 VK 22/06).
117
Diesen Maßgaben hat der Antragsgegner nur teilweise entsprochen. Er hat Richtwerte
angegeben, und er hat die Bieter durch Gestaltung des Leistungsverzeichnisses dazu
angehalten, die technischen Daten der von ihnen angebotenen Produkte mitzuteilen.
Soweit es Nebenangebote betrifft, ist es ohnehin Sache der Bieter, die erforderlichen Daten im Rahmen ihres Gleichwertigkeitsnachweises anzugeben. Nach dem
Inhalt der Vergabeakten, namentlich der vorliegenden Vergabevermerke, und nach
dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat jedoch weder der Antragsgegner noch
die von ihm beauftragte Planungsgesellschaft explizite Berechnungen angestellt und
auf diese Weise ermittelt, ob und wie erhöhte oder verminderte Betriebskosten sich
auf die Gesamtkosten auswirken, die dem Antragsgegner entstehen. Auch im Nachgang zur mündlichen Verhandlung hat der Antragsgegner keine konkreten Aussagen
gemacht, insbesondere hat er der Vergabekammer keinen entsprechend ergänzten
Vergabevermerk übermittelt Der anwaltlich verfasste Schriftsatz des Antragsgegners
vom 02.02.2012 beschränkt sich wiederum auf allgemein gehaltene, unbezifferte Aussagen zur Höhe der Betriebskosten. Die Vergabekammer muss daraus den Schluss
ziehen, dass der Antragsgegner selbst oder durch seinen Planer keine Berechnung
ausgeführt hat, die den dargelegten Maßgaben entspricht.
Eine ausdrückliche Bezifferung der Kosten ist unerlässlich. Wie sich aus der
Vergabeakte ergibt, weisen die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen
nach Auffassung der ehp Umweltplanung GmbH wie des Antragsgegners nicht nur
hinsichtlich der Betriebskosten, sondern auch hinsichtlich des technischen Wertes
keine Unterschiede auf. Der BGH hat festgestellt, dass bei inhaltlich und qualitativ
gleichen Angeboten unter den in die engere Auswahl gekommenen Angeboten stets
das Angebot mit dem niedrigsten Preis das annehmbarste ist. Hier bleibt dem Auftraggeber kein Ermessens-und Beurteilungsspielraum (Urteil vom 16.10.2001, Az.: X ZR
100/99). Es versteht sich, dass mit Blick auf den Wirtschaftlichkeitsmaßstab an dieser
Stelle nur der Preis unter Berücksichtigung von etwaigen sonstigen Kosten – Betriebskosten – gemeint sein kann. Da es keinen Ermessens-und Beurteilungsspielraum gibt,
entscheidet ein noch so geringer (Gesamt-) Kostenunterschied.
62 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 9/12 (Nachforderung Erklärungen)
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Wertungsformel mit Art. 55 Abs.
1 der Richtlinie 2004/17/EG und dem – richtlinienkonform auszulegenden – § 97 Abs.
5 GWB (vgl. auch § 25 Abs. 4 Nr. 5 SektVO) vereinbar.
Die Vorschrift des § 97 Abs. 5 GWB selbst gibt keine Erläuterung, was unter dem
wirtschaftlich günstigsten Angebot zu verstehen ist. Art. 55 Abs. 1 lit a) der Richtlinie 2004/17/EG sieht vor, dass – wie hier – bei beabsichtigtem Zuschlag auf das
„wirtschaftlich günstigste Angebot“ zu den Kriterien auch der Preis gehört. Erwägungsgrund 55 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie 2004/17EG erläutert dies dahingehend, dass
118
die Angebote unter dem Gesichtspunkt des besten Preis-Leistungsverhältnisses zu
bewerten seien. Dem trägt die beanstandete UfAB-Formel Rechnung. Die Angebote werden – vorausgesetzt, sie erreichen eine bestimmte Qualität – zunächst
nach dem Verhältnis Leistungspunkte zu Preis (Kennzahl L/P) bewertet. In die
engere Wahl gelangen allein die Angebote, die mindestens 85% des Angebots
mit der besten Kennzahl L/P erreichen. Dadurch wird der Preis nicht zu einer
Nebensächlichkeit (vgl. zur Frage, welchen Stellenwert der Preis innerhalb einer
Matrix aufweisen muss, Hailbronner, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 97 GWB Rdnr.
138 m.w.N.), sondern durch die Einstellung in dem Quotienten zu einem wesentlichen Zuschlagskriterium. Dass im letzten Wertungsschritt nur noch die Qualität
eine Rolle spielt, ist nicht zu beanstanden. Der Schwankungsbereich von 15% ist eng
genug um zu verhindern, dass der Preis sowie das Preis-Leistungsverhältnis bei der
Bewertung „marginalisiert“ wird.
63 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 –
C-368/10 (EKO und Max Havelaar)
Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
2004/18 der öffentliche Auftraggeber, wenn er, wie im vorliegenden Fall, beschließt,
einen Auftrag an den Bieter zu vergeben, der aus seiner Sicht das wirtschaftlich
günstigste Angebot einreicht, verschiedene Kriterien anzuwenden hat, die er unter
Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie festzulegen hat, wobei die Richtlinie,
wie sich aus der Verwendung des Ausdrucks „z. B.“ ergibt, eine nicht abschließende
Aufzählung möglicher Kriterien enthält.
Art. 53 der Richtlinie 2004/18 wird durch den 46. Erwägungsgrund der Richtlinie
erläutert, dessen Abs. 3 und 4 klarstellen, dass die Zuschlagskriterien nicht nur wirtschaftlich, sondern auch qualitativ sein dürfen. Daher gehören zu den in Art. 53 Abs.
1 Buchst. a genannten Kriterien u. a. Umwelteigenschaften. Wie die Generalanwältin
in Nr. 103 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, heißt es im vierten Absatz des 46.
Erwägungsgrundes zudem, dass „ein öffentlicher Auftraggeber auch Kriterien zur
Erfüllung sozialer Anforderungen anwenden [kann], die insbesondere den in den ....
Spezifikationen [des Auftrags] festgelegten Bedürfnissen besonders benachteiligter
Bevölkerungsgruppen entsprechen, denen die Nutznießer/Nutzer der Bauleistungen,
Lieferungen oder Dienstleistungen angehören“. Daher ist davon auszugehen, dass
öffentliche Auftraggeber auch Zuschlagskriterien wählen dürfen, die auf soziale
Aspekte gestützt sind, die die Nutzer oder Nutznießer der Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, aber auch
andere Personen betreffen können.
Zweitens schreibt Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 vor, dass die
Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen. Insoweit stellt
der 46. Erwägungsgrund in seinem dritten Absatz klar, dass „[d]ie Festlegung dieser Kriterien .... insofern vom Auftragsgegenstand ab[hängt], als sie es ermöglichen
119
müssen, das Leistungsniveau jedes einzelnen Angebots im Verhältnis zu dem in den
technischen Spezifikationen beschriebenen Auftragsgegenstand zu bewerten sowie
das Preis-Leistungs-Verhältnis jedes Angebots zu bestimmen“, wobei das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ das mit dem „besten Preis-Leistungs-Verhältnis“ ist.
Wie sich drittens aus dem ersten und dem vierten Absatz dieses Erwägungsgrundes
ergibt, verlangt die Wahrung der Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung
und der Transparenz, dass die Zuschlagskriterien objektiv sind, was gewährleistet,
dass der Vergleich und die Bewertung der Angebote in objektiver Weise erfolgt und
somit unter Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs. Das wäre nicht der Fall
bei Kriterien, die dem öffentlichen Auftraggeber eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumten (vgl. zu entsprechenden Vorschriften der Richtlinien, die der
Richtlinie 2004/18 vorausgegangen sind, Urteil vom 17. September 2002, Concordia
Bus Finland, C-513/99, Slg. 2002, I-7213, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Viertens und letztens verpflichten, wie im zweiten Absatz dieses Erwägungsgrundes
hervorgehoben wird, dieselben Grundsätze den öffentlichen Auftraggeber in allen Stadien eines Verfahrens der Vergabe eines öffentlichen Auftrags, sowohl den Grundsatz
der Gleichbehandlung potenzieller Bieter als auch den Grundsatz der Transparenz der
Zuschlagskriterien zu wahren, wobei diese so zu formulieren sind, dass alle gebührend
informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter deren genaue Bedeutung
verstehen und sie somit in gleicher Weise auslegen können (vgl. u. a. zu entsprechenden Vorschriften der Richtlinien, die der Richtlinie 2004/18 vorausgegangen sind,
Urteil vom 4. Dezember 2003, EVN und Wienstrom, C-448/01, Slg. 2003, I-14527,
Randnrn. 56 bis 58).
Um die Begründetheit der Rüge des Fehlens eines hinreichenden Zusammenhangs
zwischen dem streitigen Zuschlagskriterium und dem Auftragsgegenstand zu beurteilen, sind zum einen die den Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR zugrunde
liegenden Kriterien zu berücksichtigen. Wie sich aus den Randnrn. 34 und 37 des vorliegenden Urteils ergibt, kennzeichnen diese zugrunde liegenden Kriterien Erzeugnisse
aus ökologischer Landwirtschaft bzw. fairem Handel. Zum ökologischen Landbau,
wie er durch das Unionsrecht, d. h. zur im vorliegenden Fall maßgeblichen Zeit durch
die Verordnung Nr. 2092/91 umschrieben war, heißt es in deren Erwägungsgründen
2 und 9, dass dieser Landbau den Umweltschutz begünstigt, insbesondere weil er
erhebliche Einschränkungen bei der Verwendung von Dünge- oder Schädlingsbekämpfungsmitteln bedeutet. Zum fairen Handel ergibt sich aus Randnr. 37, dass die von der
Stiftung, die das Gütezeichen MAX HAVELAAR vergibt, vorgeschriebenen Kriterien
Kleinerzeuger aus Entwicklungsländern fördern sollen, indem mit ihnen Handelsbeziehungen gepflegt werden, die die tatsächlichen Bedürfnisse dieser Erzeuger und nicht
nur die Gesetzes des Marktes berücksichtigen. Aus diesen Angaben ist ersichtlich,
dass das streitige Zuschlagskriterium Umwelt- und soziale Eigenschaften betraf, die
unter Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 fallen.
120
Zum anderen ist festzustellen, dass sich der Auftrag nach seiner Beschreibung in
Unterkapitel 1.4 des Lastenhefts insbesondere auf die Lieferung von Kaffee, Tee und
andere zur Herstellung der in den Automaten angebotenen Getränke erforderlichen
Zutaten bezog. Aus der Fassung des streitigen Zuschlagskriteriums ergibt sich im
Übrigen, dass dieses ausschließlich die im Rahmen dieses Auftrags zu liefernden
Zutaten betraf und keine Auswirkung auf die allgemeine Einkaufspolitik der Bieter
hatte. Mithin bezogen sich diese Kriterien auf Erzeugnisse, deren Lieferung ein Teil
des Gegenstands des fraglichen Auftrags war.
Wie sich schließlich aus Nr. 110 der Schlussanträge der Generalanwältin ergibt, ist es
nicht erforderlich, dass sich ein Zuschlagskriterium auf eine echte innere Eigenschaft
eines Erzeugnisses, also ein Element, das materiell Bestandteil von ihm ist, bezieht. So
hat der Gerichtshof in Randnr. 34 des Urteils EVN und Wienstrom entschieden, dass
es die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Unionsrechts
einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehren, im Rahmen der Vergabe eines
Auftrags über die Lieferung von Strom ein Kriterium festzulegen, das die Lieferung
von Strom aus erneuerbaren Energieträgern verlangt. Grundsätzlich steht somit einem
Zuschlagskriterium, das darauf abstellt, dass ein Erzeugnis fair gehandelt worden ist,
nichts entgegen.
Es ist daher festzustellen, dass das streitige Zuschlagskriterium den in Art. 53 Abs.
1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 verlangten Zusammenhang mit dem fraglichen
Auftragsgegenstand aufweist, so dass die Rüge der Kommission insoweit nicht
begründet ist.
Zu der Rüge, die Provinz Nord-Holland habe den Besitz bestimmter Gütezeichen zu
einem Zuschlagskriterium gemacht, genügt der Hinweis darauf, dass der öffentliche
Auftraggeber nach Nr. 35 des Anhangs A des Lastenhefts vorgesehen hatte, dass der
Umstand, dass die zu liefernden Zutaten mit den Gütezeichen EKO und/oder MAX
HAVELAAR ausgestattet seien, zur Vergabe einer bestimmten Punktzahl im Rahmen
der Rangfolge der konkurrierenden Angebote für die Zuschlagserteilung führe. Diese
Bedingung ist anhand der Erfordernisse der Klarheit und Objektivität zu prüfen, denen
die öffentlichen Auftraggeber insoweit zu genügen haben.
Was den spezifischen Fall der Verwendung von Gütezeichen angeht, hat der
Unionsgesetzgeber einige präzise Hinweise zu den Bedeutungen dieser Erfordernisse im Zusammenhang mit technischen Spezifikationen gegeben. Wie sich
aus den Randnrn. 62 bis 65 des vorliegenden Urteils ergibt, hat der Gesetzgeber,
nachdem er in Art. 23 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 hervorgehoben
hat, dass die technischen Spezifikationen so genau gefasst sein müssen, dass
sie den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln und dem
öffentlichen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen, dem Auftraggeber in Art. 23 Abs. 6 gestattet, die einem Umweltgütezeichen zugrunde
liegenden Kriterien anzuwenden, um bestimmte Eigenschaften eines Erzeug-
121
nisses vorzuschreiben, nicht jedoch, aus einem Umweltgütezeichen eine technische Spezifikation zu machen, da ein Umweltgütezeichen nur herangezogen
werden kann, um die Vermutung zu begründen, dass die mit ihm versehenen
Erzeugnisse die so definierten Eigenschaften erfüllen; dabei bleibt jedes andere
geeignete Beweismittel ausdrücklich vorbehalten.
Entgegen dem Vorbringen des Königreichs der Niederlande besteht kein Grund zu der
Annahme, dass die Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz andere Folgen hätten, wenn es sich um Zuschlagskriterien handelt, die ebenfalls wesentliche Bedingungen eines öffentlichen Auftrags sind, da sie entscheidend
dafür sein werden, welches der Angebote, die den vom öffentlichen Auftraggeber im
Zusammenhang mit den technischen Spezifikationen angegebenen Anforderungen
entsprechen, als erfolgreiches Angebot ausgewählt werden wird.
Zu der später in Nr. 12 der Informationsmitteilung erfolgten Klarstellung, dass der
Verweis auf die Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR auch gleichwertige Gütezeichen erfasse, ist hervorzuheben, dass über das in den Randnrn. 54 bis 56 des
vorliegenden Urteils Ausgeführte hinaus eine solche Klarstellung jedenfalls das Fehlen
einer Präzisierung in Bezug auf die den fraglichen Gütezeichen zugrunde liegenden
Kriterien nicht ausgleichen kann.
Nach alledem hat die Provinz Nord-Holland ein mit Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 unvereinbares Zuschlagskriterium aufgestellt, indem sie im Lastenheft
vorgesehen hat, dass, wenn bestimmte zu liefernde Erzeugnisse mit bestimmten
Gütezeichen versehen seien, dies zur Vergabe einer bestimmten Punktzahl im Rahmen der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots führe, ohne die Kriterien
aufgeführt zu haben, die diesen Gütezeichen zugrunde liegen, und ohne zugelassen
zu haben, dass der Nachweis, dass ein Erzeugnis diesen Kriterien genügt, durch jedes
geeignete Beweismittel erbracht werden kann. Folglich ist der dritte Klagegrund insoweit begründet.
64 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 – Verg 3/12
(Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen)
2. Die Beanstandungen der Antragstellerin am Vergabeverfahren sind unbegründet.
a) Eine übermäßige Bewertung des Angebotspreises in den berichtigten Ausschreibungsunterlagen (und zwar zu 50% statt bisher zu 30%).wird von der Beschwerde
ohne Erfolg behauptet. Beim Zuschlagskriterium des wirtschaftlichsten
Angebots ist dem öffentlichen Auftraggeber hinsichtlich der – vorher
bekannt gegebenen – Unterkriterien und ihrer Bewertung aufgrund seines
diesbezüglichen Bestimmungsrechts ein von den Nachprüfungsbehörden
nur begrenzt, insbesondere auf Vertretbarkeit, kontrollierbarer Festle-
122
gungsspielraum zuzuerkennen. Bestimmungen des Auftraggebers müssen
bei diesem Kriterium anderen Wirtschaftlichkeitsmerkmalen neben dem
Preis allerdings einen angemessenen Raum zur Bewertung einräumen. Der
Preis darf weder unter- noch überbewertet werden. Er stellt ein gewichtiges
Merkmal dar, das beim Zuschlagskriterium des wirtschaftlichsten Angebots
nicht am Rande der Wertung stehen darf, sondern vom Auftraggeber in ein
angemessenes Verhältnis zu den übrigen Wertungskriterien zu bringen ist
(vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 5.1.2001 – WVerg 11 und 12/00, VergabeR 2001, 41,
44; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.12.2001 – Verg 22/01. VergabeR 2002, 267, 274
f. sowie für die rechtlich genauso zu beurteilenden Bauauftragsvergaben Kulanz in
Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Komm. zur VOB/A, 2. Aufl., § 16 Rfl. 262 [unter Spiegelstrich „Preis“); Frister in Kapellmann/Messerschmidt, Komm. zur V0B, 3. Aufl.,
§ 16 VOB/A Rn. 119 f.). Eine Festlegung und Gewichtung von Zuschlagskriterien,
bei denen Wirtschaftlichkeitskriterien neben dem Angebotspreis nur eine marginale Rolle spielen oder der Preis eine übermäßige Bedeutung einnimmt, kann
demnach gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip nach § 97 Abs. 5 GWB, § 16 Abs.
8 VOL/A (genauso: § 16 Abs. 6 Nr. 3 Satz 2 VOB/A) verstoßen.
7.2
Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien
65 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste)
b) Das Bewertungssystem im Zuschlagskriterium „Qualität“ ist in mehrerlei Hinsicht
vergaberechtswidrig.
Zum einen stellt die im 2. Spiegelstrich von Frage 1 gestellte Frage „Werden von ihnen
Nachunternehmer eingesetzt und wenn ja, für welche Tätigkeit“? eine vergaberechtswidrige Vermischung von Eignungs- und Wertungskriterien dar.
Wenn der Bieter im Rahmen der Eignungsprüfung anhand der von dem Auftraggeber geforderten Angaben und Referenzen einmal nachgewiesen hat, dass
die von ihm vorgesehenen Nachunternehmer geeignet sind, ist die nochmalige
Wertung der Frage, ob und für welche Leistungen der Bieter Nachunternehmer
einsetzen wird, im Rahmen der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots
unzulässig (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.04.2008 – Verg 1/08). Der Bieter
hat im Übrigen bereits im Rahmen der Eignung erschöpfend angegeben, für welche
Leistungen er Nachunternehmer einzusetzen plant. Die Einlassung des Antragsgegners, die im Rahmen der Eignungsprüfung geforderten Angaben und Referenzen seien
genereller Natur, wohingegen es bei Frage 2 um den Einsatz dieser Nachunternehmer bei der konkreten Auftragsdurchführung ginge, geht fehl. Denn auch bereits im
Rahmen der Eignungsprüfung ging es gerade um die Frage, für welche konkreten,
auftragsbezogenen Leistungen welche Nachunternehmer geplant sind.
123
66 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2012 –
15 Verg 10/12 (Tragwerksplanung)
(a) Die Vergabekammer hat insoweit zutreffend in Abkehr von ihrer früheren
Auffassung entschieden, dass, wie es in § 11 Abs. 5 VOF zum Ausdruck
kommt und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH,
Beschluss vom 24.01.2008, Rs. C532/ 06 -juris, und Beschluss vom 12.11.2009
Rs. C-199/07 – juris) und des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 15.04.2008 –
X ZR 129/06 – juris Rn. 10 ff. zu § 25 VOL/A; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 03.08.2011 – VII-Verg 16/11 – juris Rn. 47; OLG München, Beschluss vom
10.02.2011 – Verg 24/10 – juris Rn. 61) entspricht, auch bei der Vergabe freiberuflicher Dienstleistungen die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags
ausschließlich nach Kriterien zu erfolgen hat, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen und damit rein auftragsbezogen
sind, während eine Berücksichtigung von personenbezogenen Eignungskriterien bei der Wertung unzulässig ist. Auch wenn eine eindeutige Benennung von Zuschlagskriterien bei der Vergabe vorab nicht beschreibbarer
freiberuflicher Dienstleistungen schwierig ist, weil die Auftragsvergabe
zwar nominell auf einem konkreten Leistungsangebot beruht, aber dennoch weitgehend einer Prognoseentscheidung darüber entspricht, welcher
Bewerber voraussichtlich die bestmögliche Leistung seiner Aufgabenstellung erbringen wird, die Wirtschaftlichkeit freiberuflicher Leistungen daher
im Grunde erst nach Abschluss der Dienstleistung bzw. Fertigstellung des
Werkes beurteilt werden kann, ist eine Berücksichtigung von Eignungskriterien bei der Wertung der Angebote nach § 11 Abs. 5 VOF ausgeschlossen.
Zu bewerten sind mit Gesichtspunkten wie dem Preis, der Ausführungsfrist,
Betriebs- und Folgekosten, der Gestaltung, Rentabilität oder dem technischen
Wert Eigenschaften der angebotenen Leistung, nicht aber des Anbieters (BGH,
Urteil vom 15.04.2008, a.a.O., Rn. 12, zu § 25 VOL/A; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn.
37; OLG München, a.a.O., Rn. 63). Als Zuschlagskriterien sind somit alle Kriterien
ausgeschlossen, die nicht der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen,
sondern im Wesentlichen mit der Beurteilung der fachlichen Eignung der Bieter
für die Ausführung des Auftrags zusammenhängen (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn.
37 ff.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.04.2008 – Verg 1/08 – juris Rn. 37).
Maßgeblich für die Beurteilung ist allein, ob das jeweilige Kriterium seinem Inhalt
und Kerngehalt nach der Beurteilung des Anbieters oder der angebotenen Leistung dient. Ist Ersteres der Fall, handelt es sich um ein Eignungskriterium, womit
sich ein Heranziehen als Kriterium auf der Wertungsstufe verbietet. Auch eine
Berücksichtigung von projektbezogenen Eignungskriterien oder von noch nicht
im Rahmen der allgemeinen Eignungsprüfung „verbrauchten“ Eignungskriterien
ist unzulässig (anders noch: OLG Rostock, VergabeR 2001, 315; OLG Stuttgart,
Beschluss vom 28.11.2002 – 2 Verg 10/02 – juris, Rn. 82 ff.).
124
(b) Die von der Antragsgegnerin durchgeführte Wertung aufgrund der Kriterien 1.1
„Auftreten des Büroinhabers“, 1.2 „Auftreten der vorgesehenen Projektleitung“,
1.3 „Form und Klarheit der Darstellung“, 1.4 „Sachlichkeit der Fragerunde und
Qualität der Antworten“, 1.6 „Vertrauen in das Büro hinsichtlich der Projektdurchführung“, 2.1 „Dargestellte projektspezifische fachliche Leistungen des Büros im
allgemeinen“ und 2.2 „Dargestellte projektspezifische fachliche Leistungen des
Projektteams“ stellt sich hiernach als unzulässige Vermischung von Eignungsund Zuschlagskriterien dar und verletzt somit die Antragstellerin in ihren Bieterrechten. Bei den genannten Kriterien handelt es sich – auch wenn sie teilweise
einen gewissen Projektbezug erkennen lassen – ausnahmslos um bieterbezogene
Kriterien, die nicht der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen und die
daher bei der Wertung, welches Angebot am ehesten die Gewähr für eine sachgerechte und qualitätsvolle Leistung bietet, nicht hätten verwendet werden dürfen. Die Verwendung unzulässiger Zuschlagskriterien ist ihrer Art nach geeignet,
die Leistungs- und Angebotsmöglichkeiten der Bieter nachteilig zu beeinflussen
(so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.04.2008, a.a.O., Rn. 39). Das Ausschreibungsverfahren ist daher, wie die Vergabekammer zutreffend entschieden
hat, in den Stand des Beginns des Verhandlungsverfahrens zurückzuversetzen.
Der Antragsgegnerin ist es durch eine solche Zurückversetzung möglich, die
Wertungskriterien zu korrigieren und das Verhandlungsverfahren fehlerfrei durchzuführen. Die Vergabekammer hat die Antragsgegnerin auch zu Recht für
verpflichtet gehalten, das Vergabeverfahren unter Bekanntgabe rechtmäßiger Zuschlagskriterien, also ohne die bisher vorgegeben Kriterien 1.1 „Auftreten des Büroinhabers“, 1.2 „Auftreten der vorgesehenen Projektleitung“,
1.3 „Form und Klarheit der Darstellung“, 1.4 „Sachlichkeit der Fragerunde
und Qualität der Antworten“.
67 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.2013,
Verg 35/12 (Gebäudereinigungsverträge)
2. Die Berücksichtigung der Darstellung des Schulungskonzepts als Zuschlagskriterium ist hingegen nicht vergaberechtswidrig.
a) Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, hat der Antragsgegner nicht
unzulässigerweise Eignungs- und Zuschlagskriterien vermischt. Bei dem streitgegenständlichen Schulungskonzept handelt es sich nicht um ein bieterbezogenes
Eignungskriterium.
Die Abgrenzung, ob es sich bei den einzelnen Wertungskriterien um Eignungsoder Zuschlagskriterien handelt, erfolgt anhand dessen, ob diese schwerpunktmäßig („im Wesentlichen“) mit der Beurteilung der fachlichen Eignung der Bieter für die Ausführung des betreffenden Auftrags oder mit der Ermittlung des
wirtschaftlich günstigsten Angebots im Sinne von § 19 Abs. 8 EG VOL/A bzw.
125
§ 16 Abs. 8 VOL/A zusammenhängen (vgl. EuGH, Urteil v. 12.11.2009, C-199/07
Kommission gegen Griechenland, Rn. 51 ff.; OLG Celle, Beschl. v. 12.01.2012, 13 Verg
9/11 m.w.N.). Als Zuschlagskriterien dürfen danach nur Kriterien zur Anwendung kommen, die mit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen, d.h. sich auf die Leistung beziehen, die den Gegenstand des Auftrags bildet (EuGH, Urteil v. 24.01.2008,
C-532/06 Lianakis, Rn. 26-30 m.w.N.; Senat, Beschl. v. 03.08.2011, VII-Verg 16/11;
Beschl. v. 02.05.2012, VII-Verg 68/11; Beschl. v. 15.02.2012, VII Verg 85/11; OLG
Naumburg, Beschl. v. 12.04.2012, 2 Verg 1/12; zu den Kriterien im Einzelnen vgl. OLG
Celle, Beschl. v. 12.01.2012, 13 Verg 9/11).
Auf den ersten Blick dient ein Schulungskonzept zwar seinem Kerngehalt nach der
Hebung der Qualifikation der Beschäftigten und wirkt sich eine höhere Qualifikation
der Mitarbeiter positiv auf die Eignung des Unternehmens aus. Im Streitfall hat der Auftraggeber mit den Anforderungen an die Darstellung des Schulungskonzepts jedoch
nicht das bloße Vorliegen von Kriterien abgefragt, sondern vom Bieter gefordert, dass
dieser sich konkret mit der ausgeschriebenen Leistung auseinandersetzt. Diese Auseinandersetzung soll vom Auftraggeber einer Bewertung unterzogen werden.
Die aufgabenbezogene Schulung der Mitarbeiter ist, wie auch in der Auswertung des
Pilotprojekts herausgearbeitet wurde, ein wesentlicher Faktor für die Erreichung des
vorgegebenen Qualitätsniveaus und damit ein integrierter Bestandteil der qualitätsorientierten Reinigung. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass nur Mitarbeiter, die
für die besonderen Anforderungen dieses Reinigungstyps geschult (und motiviert)
werden, die Reinigungsstandards halten und verbessern können. Demgemäß wird in
den Angebotsunterlagen eine plausible, auf die qualitätsorientierte Reinigung bezogene und kontrollierbare Darstellung des Schulungskonzepts gefordert. Dies schließt
die Vorlage eines allgemeinen, beim Bieter gebräuchlichen Konzepts aus.
Zur Auswertung hat der Auftraggeber eine Wertungsmatrix entwickelt, die den Grad
des Konzepts, die Vertragserfüllung zu sichern, d.h. die Erfüllung des mit dem Schulungskonzept verbundenen Zwecks der Leistungssteigerung, nach einem Punktesystem misst. Darüber hinaus hat er auftragsbezogene Leitfragen entwickelt und den
Bietern die Auswertung des Pilotprojekts und die Präsentation zur Neuausschreibung
der Reinigungsleistungen an die Hand gegeben, um ein geeignetes auftragsbezogenes Schulungskonzepts zu entwickeln.
Bei dieser Ausgestaltung ist die Heranziehung des Schulungskonzepts des Bieters als
Zuschlagskriterium nicht vergaberechtswidrig.
b) Zu beanstanden ist zwar, dass der Antragsgegner das Schulungskonzept in der
Bekanntmachung gleichwohl als Eignungskriterium aufgeführt hat. Dies erfordert
jedoch keine Rückversetzung des Vergabeverfahrens. Die Gesamtschau der Vergabeunterlagen lässt für jeden fachkundigen Bieter unmissverständlich erkennen,
dass die Darstellung des Schulungskonzepts ausschließlich als Zuschlagskrite-
126
rium berücksichtigt werden soll. Insbesondere die auftragsbezogenen Leitfragen,
die Auswertung des Pilotprojekts und die Präsentation zur Neuausschreibung
der Reinigungsleistungen zeigen das Konzept der qualitätsorientierten Reinigung
auf, das darauf beruht, durch die aufgabenbezogene Schulung der Mitarbeiter
eine Erhaltung und Verbesserung der Reinigungsstandards zu erzielen. Darüber
hinaus hat der Antragsgegner noch vor Ablauf der Angebotsfrist mit dem Nichtabhilfeschreiben zur Rüge gegenüber der Antragstellerin klargestellt, dass er die
Darstellung des Schulungskonzepts ausschließlich als Zuschlagskriterium berücksichtigen will.
7.3
Bekanntmachung (Transparenz) von Zuschlagskriterien
68 OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.03.2012 –
Verg W 13/11 (Landesweite Biotopkartierung)
2) Der Nachprüfungsantrag ist auch überwiegend begründet.
…
c) Zu Recht beanstandet die Antragstellerin das Zuschlagskriterium „Qualität (kalkulierte Stundenanzahl für die Arbeitsschritte)“ als intransparent.
Nach § 19 Abs. 8 EG VOL/A sind bei der Wertung der Angebote entsprechend
der bekannt gegebenen Gewichtung vollständig und ausschließlich die Kriterien zu
berücksichtigten, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt
sind. Diese Pflicht zur Bekanntmachung der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung dient der Transparenz des Verfahrens. Eine hinreichende Bekanntmachung
setzt voraus, dass der Auftraggeber den Bietern die Zuschlagskriterien klar und
unmissverständlich so spezifiziert bekannt gibt, dass den Bietern der konkrete
Wertungsmaßstab bewusst ist. Der Bieter muss bei Abgabe seines Angebots
wissen, auf welche Gesichtspunkte mit welcher Gewichtung es dem Auftraggeber ankommt, denn erst dann kann er sein Angebot nach den Bedürfnissen des
Auftraggebers gestalten (vgl. Vavra in Kulartz/Marx/Portz/Prieß a.a.O. § 19 EG VOL/A
Rn. 254; Stolz in Willenbruch/ Wieddekind a.a.O. § 19 EG VOL/A Rn. 91; Müller-Wrede
in Müller-Wrede a.a.O. § 19 EG VOL/A Rn. 202). Diesen Anforderungen genügt die
ohne nähere Spezifizierung gebliebene Angabe des Wertungskriteriums „Qualität
(kalkulierte Stundenanzahl für die Arbeitsschritte)“ nicht.
Zu erkennen ist zwar, dass der Auftraggeber die Qualität der Angebote anhand der
kalkulierten Stundenzahl beurteilen will. Unklar ist aber, ob er eine hohe, eine niedrige
oder eine mittlere Stundenzahl als Merkmal hoher Qualität bewerten will. Den Vergabeunterlagen ist dazu nichts zu entnehmen. Der Auftraggeber hat auch nicht bekannt
gemacht, nach welchem Wertungssystem er die Angebote im Kriterium „Qualität“
127
vergleichen und werten wird. Nach der Niederschrift über die Angebotswertung hat
er insoweit ein Punkteschema von 1 bis 10 herangezogen.
d) Ebenfalls begründet ist die von der Antragstellerin gegen den geforderten Nachweis von Erfahrungen mit der brandenburgischen Biotopkartierungsmethode und
dem brandenburgischen Erfassungsprogramm BBK (Ziff. III.2.3 der Bekanntmachung) gerichtete Rüge.
Die aufgestellte Anforderung, die als Nachweis der fachlichen Leistungsfähigkeit im
Sinne des § 7 Abs. 3 EG VOL/A grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, verletzt die
Antragstellerin in ihrem Recht auf Gleichbehandlung, § 97 Abs. 2 GWB, § 2 Abs. 1
Satz 2 EG VOL/A. Der geforderte Nachweis führt zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung brandenburgischer Bieter, weil er einzig brandenburgischer Erfahrungen
erfasst ohne gleichwertige Erfahrungen mit anderen Methoden und Erfassungsprogrammen zuzulassen. Gemäß § 7 Abs. 1 EG VOL/A können von den Bewerbern zum
Nachweis der Eignung nur Unterlagen und Angaben verlangt werden, die durch den
Gegenstand des Auftrages gerechtfertigt und angemessen sind. Entscheidend ist,
ob aus verständiger Sicht des Auftraggebers ein berechtigtes Interesse hinsichtlich
der verlangten Angaben und Eignungsnachweise besteht, so dass diese sachlich
gerechtfertigt und verhältnismäßig erscheinen und den Bieterwettbewerb nicht
unnötig einschränken (vgl. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Marx/Portz/Prieß a.a.O.
§ 7 EG VOL/A Rn. 22 ff).
Der Auftraggeber hat nicht dargelegt, dass die brandenburgische Methode der Biotopkartierung und namentlich das brandenburgische Erfassungsprogramm BBK derartige
Besonderheiten aufweisen, dass Erfahrungen mit anderen Biotopkartierungsverfahren
nicht als gleichwertig anzusehen seien. Dagegen spricht auch der Umstand, dass die
Kartierung der FFH-Lebensraumtypen unter anderem der Erfüllung der Berichtspflicht
der Mitgliedsstaaten EU gemäß Art. 17 der FFH-Richtlinie (RL 1992/43/EWG in der
aktuellen Fassung der RL 2006/105/EG) dient und damit gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben folgt.
Der Auffassung der Vergabekammer, die Forderung der Nachweise sei nach
§ 7 Abs. 5 Satz 2 EG VOL/A ohnehin so zu verstehen, dass andere geeignete
Nachweise möglich seien, ist nicht zu folgen. Diese Sichtweise genügt dem
Erfordernis an eine hinreichend transparente Bekanntmachung der Nachweise
nicht.
69 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.07.2012 –
11 Verg 6/12 (Reinigungsdienstleistungen)
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere frist- und
formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 116, 117 GWB). Sie hat auch in
der Sache Erfolg.
128
B. Der Nachprüfungsantrag hat im Ergebnis auch überwiegend Erfolg.
1. Der Antragsgegner wird mit der Fassung der Vergabeunterlagen den Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren nicht
gerecht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A, § 97 Abs. 1 GWB).
a) Wesentliche Ausprägung des Transparenzgebotes ist die Pflicht der Vergabestelle, klare und eindeutige Angaben zu allen Wertungs- und Zuschlagskriterien
zu machen (vgl. die Übersicht bei Weyand, Vergaberecht, 3. Aufl., § 97 GWB,
Rn. 322).Eine Vergabestelle kann eine rechtmäßige Zuschlagsentscheidung nur
dann treffen, wenn die maßgeblichen Anforderungen von allen beteiligten fachkundigen Bietern im gleichen Sinne verstanden und ihren Angeboten zugrunde
gelegt werden können [vgl. etwa OLG Schleswig Beschl. v. 15.4.2011 – 1 Verg
10/10 – Rn. 60 m.w.N.]. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Unklarheit für den Bieter nicht ohne Weiteres
erkennbar war und er sie subjektiv auch nicht erkannt hat, da in einer solchen
Konstellation aus der Sicht des Bieters kein Anlass für eine Nachfrage bei der
Vergabestelle besteht, so dass insoweit auch keine „Erkundigungslast“ des
Bieters entstehen kann [VK Bund, Beschl. v. 4.7.2011 – VK 2 – 61/11 – Rn. 84]. So
liegt der Fall auch hier. Das Verständnis der Antragstellerin ist so naheliegend, dass
sich eine etwaige Mehrdeutigkeit auch für den objektiven Erklärungsempfänger nicht
ohne weiteres ergeben muss.
70 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen)
c) Die Zuschlagskriterien „im Vergleich zur Ausgangssituation möglichst hohe Vorteile für den allgemeinen Haushalt der Gemeinde...“, „möglichst hoher Stellenwert ökologischer Aspekte ...“ oder „möglichst hohe Wertschöpfung vor Ort
durch Zuordnung von betrieblichen Prozessen zur Gemeindewerke-Gesellschaft
...“ sind vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
(1) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind die Zuschlagskriterien hinreichend bestimmt; auch mussten Unterkriterien nicht festgelegt werden.
Weist ein Beschaffungsvorhaben – wie hier – auch funktionale Elemente in der
Leistungsbeschreibung auf, sind an die Bestimmtheit der Zuschlagskriterien
geringere Anforderungen zu stellen, als bei Beschaffungsvorhaben mit einem
konkret umrissenen Leistungsprofil, bei dem die zu erbringende Leistung in jeder
Hinsicht eindeutig und erschöpfend beschreibbar ist. Die vorliegende Ausschreibung ist in Bezug auf die genannten Zuschlagskriterien im Wesentlichen funktionaler
Natur (§ 7 Abs. 3 Nr. 2, 3 SektVO). Dies bringt mit sich, dass die Zuschlagskriterien
129
offen formuliert werden konnten und Bieter im Gegenzug eine größere Freiheit beim
Leistungsangebot und der kaufmännischen Kalkulation haben (vgl. Senat, Beschl. v.
09.01.2013 – VII-Verg 26/12).
Soweit der in die Gemeindewerke-Gesellschaft aufzunehmende strategische Partner
Dienstleistungen wie kaufmännische, operative oder technische Betriebsführungsaufgaben ausführen soll, handelt es sich um weitgehend beschreibbare Leistungen, die
in konkret ausformulierten Kriterien ihren Niederschlag finden können und müssen.
Dies ist im Streitfall geschehen. Durch das mit einem Anteil von 20% gewichtete
Zuschlagskriterium „möglichst hohe Sicherheit bzw. Reduzierung von Risiken im
Hinblick auf eine wirtschaftliche, qualitativ hochwertige Aufgabenwahrnehmung ...“,
das durch die in den Vergabeunterlagen konkret ausformulierten Anforderungen an
die Angebote und die den Bietern im Januar und März 2012 übersandten Vertragsentwürfe Konkretisierungen erfahren haben, hat die Antragsgegnerin die Bieter in
transparenter und diskriminierungsfreier Weise über das von ihr gewünschte Anforderungsprofil rechtzeitig unterrichtet und zu erkennen gegeben, welches Gewicht sie
ihnen im Rahmen ihrer Wertung beimessen wollte.
Soweit die Antragsgegnerin über kaufmännische und technische Dienstleistungen hinaus aber unternehmerischen Erfolg für die Gemeindewerke-Gesellschaft nachgesucht
hat und hierfür im Rahmen des Verhandlungsverfahrens von den Bietern nicht nur
Renditezusagen, sondern auch Strategie- und Entwicklungsvorschläge abgefragt hat,
bedurfte es kreativer und innovativer Anregungen seitens der Bieter, die im Vorhinein
nicht erschöpfend beschreibbar und durch eine Festlegung detaillierter Zuschlagskriterien erfasst werden konnten, weil sie funktionale Leistungselemente enthalten. Dieser
Aufgabenstellung wurden die Zuschlagskriterien „im Vergleich zur Ausgangssituation
möglichst hohe Vorteile für den allgemeinen Haushalt der Gemeinde ...“, „möglichst
hohe Wertschöpfung vor Ort durch Zuordnung von betrieblichen Prozessen zur
Gemeindewerke-Gesellschaft ...“ in ausreichendem Maß gerecht; die Antragsgegnerin hätte anderenfalls den Spielraum in der Angebotsgestaltung der Bieter ohne
Not eingeschränkt. Wollte sie im Sinne einer Haushaltsbelebung den Ideenreichtum
der Bieter abschöpfen – was der Sinn einer Vergabe im Verhandlungsverfahren ist
– war sie berechtigt, die Zuschlagskriterien offen zu formulieren. Auch der von der
Antragstellerin kritisierte Zuschlagsfaktor „möglichst hoher Stellenwert ökologischer
Aspekte“ ist vergaberechtlich unbedenklich. Abgesehen davon, dass dieses Kriterium
durch den Zusatz „z.B. durch Engagement der Gemeindewerke-Gesellschaft in der
Erzeugung erneuerbarer Energien, ökologische Vorteile ...“, konkretisiert wird, war
die Antragsgegnerin auch hier wegen des funktionalen Charakters des Leistungsmerkmals nicht veranlasst, die Vielfalt möglicher Konzepte für eine Beteiligung der
Gemeindewerke-Gesellschaft an der Erzeugung regenerativer Energien von vornherein durch bestimmte Vorgaben einzuengen und möglicherweise andere attraktive und
innovative Ideen der Bieter zu verhindern.
(2) Die Zuschlagskriterien der Dienstleistungsvergabe sind vergaberechtlich ebenso
wenig zu beanstanden, soweit sie auf die Erzielung einer möglichst hohen Ren-
130
dite und die Gewinnung eines möglichst hohen Einflusses der Antragsgegnerin
auf die Aufgabenwahrnehmung der Gemeindewerke-Gesellschaft abzielen. Wie
der Senat in seinem Beschluss vom 9. Januar 2013 (VII-Verg 26/12, BA 25 f.)
ausgeführt hat, ist bei der Ausschreibung einer strategischen Partnerschaft – wie
hier – Zuschlagskriterium grundsätzlich das wirtschaftlichste Angebot (§ 97 Abs.
5 GWB). Dabei dürfen auch wirtschaftliche Ziele, welche die finanzielle Situation
der Kommune und eine Begrenzung ihrer unternehmerischen Risiken im Blick
haben, berücksichtigt werden. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn sich die
Kommune bei Eingehen einer ÖPP Einflussmöglichkeiten, auch entscheidende,
auf die Geschäftsführung des Unternehmens sichert. Solche Zuschlagsfaktoren
rechtfertigen sich nicht nur aus § 97 Abs. 5 GWB, sondern unmittelbar auch aus
den die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen betreffenden Bestimmungen
der Gemeindeordnung.
Zugesagte Renditen sind als nach § 3 Abs. 2 KAV unzulässige Finanzleistungen (Verstoß gegen das Nebenleistungsverbot) nur zu bewerten, wenn sie als eine spezifi sche Gegenleistung für die Einräumung von Wegenutzungsrechten vereinbart oder
gewährt werden (BGH, Urt. v. 29.09.2009 – EnZR 15/08 – juris Tz. 30; Senat, Beschl.
v. 09.01.2013 – VII-Verg 26/12, BA 23). Eine derartige Verknüpfung liegt hier nicht vor.
Die Antragsgegnerin hat sich für eine getrennte Vergabe der Wegenutzungsrechte
für Strom entschieden; vertragliche Verknüpfungen zwischen den im jetzigen Vergabeverfahren gemachten Renditezusagen und dem noch ausstehenden Verfahren zur
Vergabe der Stromkonzession sieht der ausgeschriebene Garantie- und Konsortialvertrag zwischen der Antragsgegnerin, der zu gründenden Gemeindewerke-Gesellschaft
und der Antragstellerin nicht vor.
Das Zuschlagskriterium „möglichst hohe Vorteile für den gemeindlichen Haushalt
...“ ist auch nicht wegen Verstoßes gegen das Preismissbrauchsverbot oder wegen
einer unzulässigen Umgehung der gesetzlichen Preiskontrolle bei Wasserpreisen zu
beanstanden. In § 2 Nr. 3 des Garantie- und Konsortialvertrages stellen die Vertragsbeteiligten zum einen ihr Einvernehmen darüber fest, dass die Wasserpreise nicht
neuordnungsbedingt, insbesondere nicht durch die Gründung der GemeindewerkeGesellschaft steigen werden. Zum anderen ergibt sich weder aus den Vergabeunterlagen noch aus den Vertragsentwürfen, dass eine Renditesteigerung aus dem
Tätigkeitsfeld der Wasserversorgung generiert werden soll und damit voraussichtlich
mit einer Anhebung der Wasserpreise einhergeht. Eine solche Verengung ist schon
aus betriebswirtschaftlicher Sicht lebensfremd und unberechtigt. Neben der Wasserversorgung soll der strategische Partner im Streitfall zudem eine Vielzahl weiterer
Aufgaben aus anderen Tätigkeitsfeldern erfüllen, die unabhängig von der Wasserversorgung renditeorientiert ausgeführt werden können, wie z.B. Personalkostenkalkulationen oder die Organisation von Betriebsabläufen. Eine Koppelung an die kommunalen
Wasserpreise ist keineswegs zwingend. Die Kritik der Antragstellerin zielt deshalb
auch mehr auf einen bereits jetzt befürchteten zukünftigen Kartellrechtsverstoß der
131
Antragsgegnerin (§§ 19, 20 GWB) und damit auf einen vorbeugenden Rechtsschutz
ab, der in Vergabenachprüfungsverfahren nicht zu erlangen ist (vgl. OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 09.01.2013 – VII-Verg 26/12, BA 22).
71 VK Hessen, Beschluss vom 21.03.2013 –
69d-VK-01/2013 (Solarkataster)
Der Antragsgegner hat nicht gegen das Gebot der Trennung von Eignungs- und
Zuschlagsprüfung verstoßen.
Die Eignungsprüfung ist eine unternehmensbezogene Untersuchung, mit der prognostiziert werden soll, ob ein Unternehmen nach seiner personellen, sachlichen
und finanziellen Ausstattung zur Ausführung des Auftrags in der Lage sein wird.
Die Wirtschaftlichkeitsprüfung bezieht sich dagegen nicht auf die konkurrierenden
Unternehmen, sondern auf ihre Angebote. Bewertet werden mit Gesichtspunkten
wie dem Preis, der Ausführungsfrist, der Betriebs- und Folgekosten, der Gestaltung,
der Rentabilität oder dem technischen Wert Eigenschaften der angebotenen Leistung,
nicht aber des Anbieters (BGH, Urt. v.15.04.2008 – X ZR 129/06, juris).
Vergaberechtlich zulässig sind solche Kriterien und Unterkriterien, die sich auf den
konkreten Leistungsinhalt des jeweiligen Angebots beziehen; hingegen vergaberechtswidrig sind Kriterien und Unterkriterien bei der Wirtschaftlichkeitsbewertung
eines Angebots, die sich stattdessen auf die Person des Bieters beziehen (BGH, Urt.
v. 14.04.2008 – X ZR 129/06, juris; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.08.2011- Verg 16/11,
juris; OLG Naumburg, Beschl. v. 03.09.2009 – 1 Verg 4/09, juris).
Für die Abgrenzung zwischen vergaberechtlich zulässigen leistungsbezogenen
Zuschlagskriterien und vergaberechtlich unzulässigen bieterbezogenen Zuschlagskriterien ist es maßgeblich, ob sich ein Wertungsaspekt in seinem wesentlichen Kern
bzw. hinsichtlich seines Bewertungsschwerpunkts auf Angaben stützen soll, die nur
für den konkreten Auftrag Bedeutung erlangen, oder auf Angaben zu den generellen
Fähigkeiten und Fertigkeiten des Bieters (OLG Naumburg, Beschl. v. 12.04.2012 – 2
Verg 1/12, juris; OLG München, Beschl. v. 10.02.2011 Verg 24/10, juris; OLG Karlsruhe,
Beschl. v. 12.07.2011 – 15 Verg 6/11, juris; OLG Celle, Beschl v. 12.01.2012 – 13 Verg
9/11, juris).
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ausgewählter Zuschlagskriterien bzw. Unterkriterien, kommt es zunächst in tatsächlicher Hinsicht darauf an, welchen objektiven
Bedeutungsgehalt ein fachkundiger und mit den Einzelheiten der Ausschreibung
vertrauter Bieter den bekannt gemachten Kriterien beimessen durfte. Insoweit ist
eine Auslegung der bekannt gemachten Informationen – Vergabebekanntmachung,
Vergabeunterlagen, nachfolgende Bieterinformationen – vor Ablauf der Angebotsfrist
bzw. der letzten Frist zur Überarbeitung der Angebote vorzunehmen. Diese Bewer-
132
tung ist stets auf den konkreten Einzelfall zu beziehen. Die jeweilige Benennung des
Kriteriums ist allein nicht entscheidend; Bedeutung können insbesondere auch seine
nähere Erläuterung sowie die für die Bieter erkennbaren Grundlagen der Bewertung
erlangen, d.h. derjenigen Angaben aus ihrem Angebot, die zur Beurteilung des Wertungsaspekts herangezogen werden sollen (OLG Naumburg, Beschl. v. 12.04.2012 – 2
Verg 1/12, Juris).
Nach diesen Maßstäben sind die von der Antragstellerin gerügten Zuschlagskriterien
bzw. Aspekte zu bewerten.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wiederholt der Aspekt „Auftragsbezogene Teambesetzung“ (3 B 3.1) gerade nicht das Eignungskriterium
„Beschreibung/Nachweis Mitarbeiterqualifikation“.
Dieser Aspekt bezieht sich hier nicht auf die abstrakte personelle Leistungsfähigkeit
und auch nicht auf die personellen Ressourcen des Bieters im Allgemeinen, sondern
auf das Konzept des Bieters – und zwar dahingehend, wie und in welchem Maße er
die zeitgerechte und planmäßige Ausführung des konkreten Auftrags gewährleisten
möchte. Es geht dem Antragsgegner ersichtlich um die Plausibilität des vorgelegten
Konzeptes (3 B 3), mithin um die leistungsbezogene Bewertung der Auftragsausführung. Nichts anderes gilt für den Unteraspekt „Mitarbeiterzahl ausreichend – kein
Risiko (3 B 4.1), der im Zusammenhang mit der Schlüssigkeit des Zeit- und Ablaufplanes steht (3 B 4).
Es ist ohne Weiteres nachvollziehbar und für einen fachkundigen Bieter ohne weitere
Erläuterungen auch erkennbar, dass ein Konzept bzw. Zeit- und Ablaufplan stets mit
Blick auf die Personalausstattung zu bewerten ist. Je weniger Personal zur Verfügung
steht, desto schlüssiger muss das vorgelegte Konzept der Bieter belegen, dass das Projekt im vorgesehenen Zeitrahmen auch ordnungsgemäß erfüllt werden kann .und kein
Risiko für die Projektlaufzeit besteht. Damit ist dieser Aspekt nicht auf die Bewertung
von abstrakten Fähigkeiten der Mitarbeiter eines Bieters gerichtet, sondern darauf, wie
und in welchem Umfang der Bieter seine Personalressourcen projektbezogen einsetzen und weiches Konzept er insoweit für die Leistungsausführung verfolgen möchte.
8.
Gesamtvergabe/Losaufteilung/Loslimitierung
72 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.01.2012 –
Verg 103/11 (Rabattvereinbarung Ciclosporin)
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen das Vergabeverfahren der Antragsgegnerinnen zum Abschluss einer Rabattvereinbarung betreffend das Fachlos 1 (Ciclosporin). Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag
zurückgewiesen.
133
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, verbunden mit einem Antrag gemäß § 118 Abs. 1 S. 3 GWB. Die Antragsgegnerinnen treten dem entgegen.
1. Wie die Vergabekammer unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats
zutreffend ausgeführt hat, stellt eine gesetzliche Substitutionsverpflichtung nach
§ 129 Abs. 1 SGB V keine notwendige Bedingung für die „Zusammenfassung“
verschiedener Präparate in einem Fachlos dar. Es reicht vielmehr aus, dass die
Präparate in nicht unerheblichem Umfang als austauschbar angesehen werden.
Die Vergabekammer hat sich demnach mit der Frage der Einstufung nach § 129
Abs. 1 SGB V nicht auseinandergesetzt.
Der Senat hat die umfangreichen Ausführungen der Antragstellerin zu den Besonderheiten der von ihr hergestellten und vertriebenen Ciclosporin-Präparate und ihrer
Anwendungsbereiche sowie der Besonderheiten von Critical-Dose-Wirkstoffen zur
Kenntnis genommen. Diese stellen jedoch die Ausführungen der Vergabekammer
nicht in Frage. Sie hat – von der Antragstellerin im Wesentlichen unwidersprochen
– festgestellt, dass sich in der Praxis jedenfalls eine hohe Substitutionsquote durchgesetzt hat. Die Frage der Motivation dafür ist unerheblich. Zu Unrecht wendet die
Antragstellerin ein, die Auffassung der Ärzte (gegebenenfalls der Apotheker) sei nicht
maßgeblich. Ob verschiedene „Varianten“ miteinander vergleichbar und austauschbar sind, entscheidet sich – wie bei der Marktabgrenzung üblich – nach
der Auffassung der Nachfrageentscheider. Dies sind die Ärzte (gegebenenfalls
auch die Apotheker), die vielfach die Besonderheiten der einzelnen Präparate für
vernachlässigbar und diese für gegenseitig austauschbar ansehen. Die Vergabekammer weist zutreffend darauf hin, dass diese Auffassung nicht willkürlich, sondern
durch die Einstufung der verschiedenen Präparate in eine Festbetragsgruppe nach
§ 35 SGB V sowie durch den Wortlaut des § 129 Abs. 1 SGB V („für ein gleiches
Anwendungsgebiet“ [Hervorhebung durch Senat], also nicht für alle Anwendungsgebiete)gestützt wird.
Die Besonderheiten der von Antragstellerin vertriebenen Präparate mögen zu einer
niedrigeren Austauschquote als bei anderen Wirkstoffpräparaten führen, schließen
einen hinreichenden Überschneidungsbereich jedoch nicht aus.
Auch die Tatsache, dass sich die Antragstellerin bei einer Teilnahme an dem Vergabeverfahren genötigt sieht, auch für Anwendungsbereiche Rabatte zu versprechen, in
denen ihre Präparate wegen ihrer Besonderheiten möglicherweise keinem oder nur
geringem Wettbewerb ausgesetzt sind, führt zu keiner anderen Beurteilung. Es bleibt
ihre Entscheidung, die mit einer Teilnahme oder Nichtteilnahme verbundenen Chancen
und Risiken gegeneinander abzuwägen.
2. Die Einwände der Antragstellerin gegen das Mehr-Partner-Modell teilt der Senat
aus den von der Vergabekammer im angefochtenen Beschluss angegebenen Gründen nicht. Die frühere Rechtsprechung der Vergabekammern des Bundes,
134
auf die die Antragstellerin verweist, ist überholt. Die Letztverantwortung
des Arztes (und gegebenenfalls des Apothekers) für eine ordnungsgemäße
Versorgung des Patienten und damit auch die therapeutisch begründete
Auswahl eines bestimmten Präparats muss auch das Vergaberecht anerkennen. Das gilt insbesondere bei Präparaten mit dem gleichen Wirkstoff, bei denen
bei bestimmten Fallkonstellationen medizinisch begründete Zweifel an einer Austauschbarkeit untereinander bestehen, wie die Antragstellerin hier geltend macht.
73 VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 –
1/SVK/050-11 (Straßenbau, Lärmschutzwand)
Der zulässige Antrag ist unbegründet (2.)
Die Antragstellerin ist nicht in ihren Rechten aus § 97 Abs. 3 und 7 GWB verletzt.
Soweit die Antragstellerin sich vorliegend darauf berief, dass die unterlassene Fachlosvergabe „Lärmschutzwandbau“ sie in ihren Rechten verletzte, so ist ihr zunächst
dahingehend Recht zu geben, dass in § 97 Absatz 3 Satz 2 GWB eine Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose als Regelfall vorgeschrieben ist. Nur in dem Ausnahmefall
der wirtschaftlichen oder technischen Erforderlichkeit ist gemäß § 97 Absatz 3 Satz 3
GWB die Bündelung und gemeinsame Vergabe mehrerer Teil- oder Fachlose zulässig.
Damit ist in diese Norm ein „Regel-Ausnahme-Prinzip“ eingeführt worden,
wonach eine Fachlosvergabe im Sinne eines an den öffentlichen Auftraggeber
gerichteten bieterschützenden und justiziablen vergaberechtlichen Gebots die
Regel zu sein hat. Eine Gesamt- oder zusammenfassende Vergabe darf dahingegen nach dem Willen des Gesetzgebers nur noch in Ausnahmefällen stattfinden
(OLG Düsseldorf, B. v. 08.09.2011, VII-Verg 48/11, VK Lüneburg, B. v. 25.03.2010 –
VgK-07/2010). Kommt eine Ausnahme aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen
in Betracht, hat sich der Auftraggeber in besonderer Weise mit dem Gebot einer
Fachlosvergabe und dagegen sprechenden Gründen auseinanderzusetzen. Der Verzicht auf die Fachlosvergabe ist in einem solchen Fall detailliert und nachvollziehbar
aktenkundig zu begründen. Im Rahmen der dem Auftraggeber obliegenden Entscheidung bedarf es dabei einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als
deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründe nicht
nur anerkennenswert sein, sondern überwiegen müssen.
Insoweit hatte die Vergabekammer in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die auszuschreibende Leistung überhaupt sinnvoll teilbar wäre, wobei maßgebend für diese Prüfung die mit dem Beschaffungsprojekt verfolgten Ziele und Zwecke im Rahmen einer
funktionalen Betrachtung sind. Ergibt sie, dass die benötigte Leistung grundsätzlich
auch in Form einer Losvergabe beschafft werden könnte, stellt sich in einem zweiten
135
Schritt die Frage, ob aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen im Einzelfall eine
Vergabe „en bloc“ doch erforderlich ist (VK Sachsen, B. v. 25.09.2009, 1/SVK/038
– 09 m. w. Nw.).
Dabei ist jedoch zunächst in aller Deutlichkeit darauf zu verweisen, dass der Maßstab
der rechtlichen Kontrolle durch die Vergabekammer beschränkt ist. So führt das OLG
Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 08.09.2011 (Az.: Verg 48/11) aus: „Die Entscheidung des Auftraggebers ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf
zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und
nicht auf einer Ermessensfehlbetätigung, namentlich auf Willkür, beruht. Dabei ist von
den Vergabenachprüfungsinstanzen auch zu beachten, dass das Vergaberecht
nicht nur Bieterechte eröffnen, sondern auch eine wirtschaftliche Leistungsbeschaffung gewährleisten soll. Der öffentliche Auftraggeber als Nachfrager hat
durch seine Ausschreibungen nicht bestimmte Märkte oder Marktteilnehmer
zu bedienen. Vielmehr bestimmt allein der Auftraggeber im Rahmen der ihm
übertragenen öffentlichen Aufgaben den daran zu messenden Beschaffungsbedarf und die Art und Weise, wie dieser gedeckt werden soll. Am Auftrag interessierte Unternehmen haben sich darauf einzustellen. Nicht aber hat der öffentliche
Auftraggeber – abweichend von den allgemeinen Gepflogenheiten – Ausschreibungen
so zuzuschneiden, dass sich bestimmte Unternehmen – auch wenn dies für sie von
wirtschaftlichem Vorteil ist – daran beteiligen können.“
1. Möglichkeit der Beschaffung im Wege einer Losvergabe
Der Begriff des Fachloses knüpft nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung an die
bei der Auftragsausführung anfallenden Gewerke an, sofern diese sachlich abgrenzbar
sind. Eine solche Abgrenzbarkeit lässt sich für Lärmschutzwandarbeiten im Zusammenhang mit Straßenbauarbeiten unproblematisch annehmen, die theoretische
Abgrenzbarkeit ist auftraggeberseits auch nicht wirklich in Abrede gestellt worden. Die
Antragstellerin hat dazu im Rahmen der mündlichen Verhandlung unwidersprochen
vorgetragen, dass sich bundesweit mittlerweile ein Markt von ca. 20 Unternehmen
bzw. Systemherstellern etabliert habe, die sich auf Lärmschutzwandarbeiten spezialisiert hätten. Abstrakt vergaberechtlich betrachtet, hätten vorliegend die Lärmschutzwandarbeiten demnach als Fachlos ausgeschrieben werden können.
Allerdings ließe sich bei einer solch abstrakten Betrachtungsweise jede größere
Baumaßnahme in einzelne Arbeitsschritte und Bauetappen oder auch Liefer- und
Transportleistungen (Transport Erdaushub) zerlegen, die in kleinteiligen Fachlosen zu
vergeben wären.
Insoweit sind die Argumente des Auftraggebers, die diesen zum Absehen von einer
Fachlosvergabe bewogen haben zu bewerten. Es ist zu prüfen, ob diese Argumente
auf unabweisbaren (wirtschaftlichen oder technischen) Gründen beruhen, die vorliegend eine Vergabe „en bloc“ erforderten. Dabei ist dieser Prüfung wiederum vor-
136
auszuschicken, dass die mit einer Fachlos- oder gewerkeweisen Vergabe allgemein
verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsmehraufwand sowie
ein höherer Aufwand bei Gewährleistungen eine Gesamtvergabe für sich allein nicht
rechtfertigen können, da ansonsten das Gebot der losweisen Vergabe leerliefe. Bei
solchen Argumenten handelt es sich um einen Fachlosvergaben immanenten und
damit typischerweise verbundenen Mehraufwand, der nach dem Zweck des Gesetzes
in Kauf zu nehmen ist und bei der Abwägung grundsätzlich unberücksichtigt zu bleiben
hat (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 25.11.2009 – Verg 27/09, B. v. 11.7.2007 – VII-Verg
10/07).
74
OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2012 –
1 Verg 2/12 (Gebäudereinigungsleistungen)
In dem Nachprüfungsverfahren
betreffend die Vergabe des Auftrags „Gebäudereinigungsleistungen für die Gebäude
des
Landkreises N.“
....
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2012 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Auftraggebers gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 23. November 2011 wird mit der Maßgabe als
unbegründet verworfen, dass Ziffer 1 des Tenors wie folgt neu gefasst wird:
Dem Auftraggeber wird untersagt, auf der Grundlage seiner am 15. Juli 2011 unter
2011/S 134-222948 bekanntgemachten Ausschreibung den Zuschlag zu erteilen. Für
den Fall fortbestehender Vergabeabsicht hat er unter Berücksichtigung der Rechtsaufassung des Senats neu über die Losaufteilung zu entscheiden.
2. Der Auftraggeber trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin.
3. Der Beschwerdewert wird auf 14.250 Euro festgesetzt.
2. Die Vergabekammer hat zutreffend festgestellt, dass die Glasreinigung ein
eigenständiges Fachlos ist (siehe auch OLG Düsseldorf v. 11.01.2012 – VII-Verg
52/11 – juris), sodass die hier in Rede stehenden Glasreinigungsarbeiten gemäß
§ 97 Abs. 3 Satz 2 GWB und § 2 Abs. 2 Satz 2 EG VOL/A grundsätzlich gesondert
vergeben werden müssen. Dies gilt auch dann, wenn der Auftraggeber – wie hier
137
– bereits eine Aufteilung in Gebietslose vorgenommen hat. Nach dem Wortlaut
des Gesetzes; sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt
nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben, wenn beides – wie hier – möglich ist.
3. Von einer gesonderten Vergabe darf ausnahmsweise abgesehen werden,
wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Dies ist nur der
Fall, wenn die Gründe für eine Zusammenfassung überwiegen (so zutreffend
OLG Düsseldorf a.a.O. juris Rn. 15). Zweckmäßigkeitserwägungen können ein
Absehen von einer Losvergabe nicht (mehr) rechtfertigen (Diehr in: Reidt/Stickler/
Glahs, Vergaberecht, 3. Auflage, § 97 GWB Rn. 57 f.). Nachteile, die üblicherweise mit einer Losvergabe verbunden sind, muss der Auftraggeber nach
dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich hinnehmen. Dazu gehören u.a.
ein höherer Koordinierungs- und Kontrollaufwand, der Wegfall von Synergieeffekten, soweit sie für eine Gesamtvergabe typisch sind, aber auch das
im Vergabevermerk angeführte Problem, den für Verschmutzungen insbesondere des Bodens Verantwortlichen festzustellen (Hailbronner in: Byok/
Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Auflage, § 97 GWB Rn. 69; Ziekow in;
Ziekow/Völling, Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 67; Vavra in: Kulartz/Marx/Portz/
Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 2 Rn. 57, 58; Kus in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß,
Kommentar zur VOL/A, § 2 EG Rn. 31; OLG Düsseldorf a.a.O. juris Rn. 24). Der
Senat nimmt den Vortrag des Auftraggebers, dass die Zentrale Vergabestelle der
Stadt München dazu eine andere Auffassung vertreten soll, zur Kenntnis, teilt
diese aber nicht.
75 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 100/11 (Drucker- und Multifunktionssysteme)
Mit Bekanntmachung vom Mai 2011 schrieb der Antragsgegner, ein kommunaler
Zweckverband, die Beschaffung von Druckern und Multifunktionssystemen einschließlich Administrations- und Abrechnungssoftware für den Kreis Herford im offenen Verfahren aus. Vorausgegangen war eine inhaltsgleiche Ausschreibung, welche
wegen möglicher Bevorteilung der Beigeladenen infolge Projektierung der Beschaffung aufgehoben worden war.
Die Leistungsbeschreibung enthielt hinsichtlich der zu liefernden Drucker und Systeme
sog. Geräte-Positionsblätter, teilweise mit Mindestanforderungen (KO-Kriterien). Der
Zuschlag sollte anhand der Kriterien Preis, Qualität und Funktionalität der Drucker
und Multifunktionssysteme sowie Qualität und Funktionalität der Software auf das
wirtschaftlichste Angebot ergehen. Von den 19 Unternehmen, welche die Vergabeunterlagen angefordert hatten, reichten nur die Antragstellerin und die Beigeladene
Angebote ein. Die Antragstellerin rügte eine unterbliebene Losaufteilung und eine auf
von der Beigeladenen angebotene Produkte zugeschnittene Leistungsbeschreibung.
Nachdem der Antragsgegner die Beanstandungen zurückgewiesen hatte, brachte die
138
Antragstellerin innerhalb von 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag an.
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der Nachprüfungsantrag unbegründet ist.
a) Die Beschwerde beanstandet zu Unrecht, die Ausschreibung habe in Teillose aufgeteilt werden müssen (§ 97 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GWB, § 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3
EG VOL/A).
aa) Die Auftragsvergabe ist auch in ihrer Gesamtheit für mittelständische Unternehmen wie das der Antragstellerin erreichbar (vgl. zum Begriff kleiner und mittlerer
Unternehmen Art. 2 Abs. 1 des Anhangs zur Empfehlung der EU-Kommission
vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen
und mittleren Unternehmen, ABl. EG Nr. L 124/36 v. 20.5.2003; Ziekow, in ders./
Völlink, Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 52). Der Auftrag kann von mittelständischen
Unternehmen ausgeführt werden. Dies wird indiziell vom Angebot der Antragstellerin, aber auch durch den Auftragswert von rund 570.000 Euro netto belegt.
Durch den Verzicht auf eine Teillosbildung ist die Fähigkeit der Antragstellerin,
sich als mittelständisches Unternehmen an der Gesamtausschreibung mit einem
Angebot zu beteiligen, nicht beeinträchtigt worden. Der Umstand, dass sich
die Antragstellerin bei einer Losaufteilung, insbesondere im Fall einer von
ihr als unterblieben beanstandeten Teillosbildung für die Bestückung der
Hausdruckerei des Kreises Herford, bessere Chancen jedenfalls für einen
dahingehenden Teilauftrag ausrechnet, begründet keine Verpflichtung des
Antragsgegners zu einer Losausschreibung. Der öffentliche Auftraggeber
ist nach den oben genannten Rechtsvorschriften nicht verpflichtet, eine
Ausschreibung so zuzuschneiden, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer
und deren einzelwirtschaftliche Interessen bedient werden (OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 25.11.2009 – VII-Verg 27/09).
bb) Davon abgesehen liegen im Streitfall hinreichende Gründe für eine Gesamtvergabe vor (§ 97 Abs. 3 Satz 3 GWB, § 2 Abs. 2 Satz 3 EG VOL/A). Eine Gesamtvergabe ist gerechtfertigt, sofern wirtschaftliche oder technische Gründe dies
erfordern. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt dem Auftraggeber bei
der Entscheidung für eine Gesamtvergabe wegen der dabei anzustellenden
prognostischen Überlegungen eine von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur
beschränkt zu kontrollierende Einschätzungsprärogative zu. Die Entscheidung des
Auftraggebers ist lediglich darauf zu prüfen, ob sie auf einer vollständigen und
zutreffenden Tatsachengrundlage beruht sowie aus vernünftigen Erwägungen
heraus und im Ergebnis vertretbar getroffen worden ist (vgl. OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 25.11.2009 – VII-Verg 27/09 m.w.N.; Beschl. v. 11.1.2012 – VII-Verg
52/11). Dies ist im Streitfall zu bejahen.
Der Antragsgegner hat im Vergabevermerk angegeben, dass – was auch aus der
Leistungsbeschreibung hervorgeht – alle Systembestandteile (insbesondere Drucker)
139
über eine einheitliche Bildschirmoberfläche erreichbar und steuerbar sein sollten.
Deswegen ist auch die Lieferung einer einheitlichen Software ausgeschrieben worden. Im Nachprüfungsverfahren hat die Beigeladene ergänzend vorgetragen, dass
ein von einer einheitlichen Software ansteuerbarer Druckerverbund angestrebt war,
in den auch die Hausdruckerei einbezogen sein sollte. Davon versprach man sich
nicht nur eine bessere Auslastung der Drucker, sondern auch eine Kostenersparnis,
was bei dem ausgeschriebenen Seitenpreis nachvollziehbar erscheint. Dabei handelt
es sich um anerkennenswerte Gründe, die eine Gesamtvergabe erlaubten. Denn es
ist eine Erfahrungstatsache, dass insbesondere bei der Integration unterschiedlicher
Hardwarekomponenten und Software im System Kompatibilitätsprobleme, technische Schwierigkeiten und Verzögerungen auftreten können, die zu Mehrkosten beim
Gebrauch führen. Das ist dem Senat aufgrund eigener Sachkunde aus zahlreichen
ähnlich gelagerten Vergaberechtsstreitigkeiten bekannt. Der Einholung eines von der
Antragstellerin gegenbeweislich beantragten Sachverständigengutachtens bedarf es
nicht. Denn der Antragsgegner hat die dargestellten Probleme mittels einer Gesamtvergabe von vorneherein ausschließen wollen. Dazu ist er aufgrund seines Leistungsbestimmungsrechts rechtlich in der Lage (ebenso OLG Brandenburg, Beschl. v.
27.11.2008 – VergW 15/08). Soweit zur Gesamtvergabe im Laufe des Nachprüfungsverfahrens vom Antragsgegner und von der Beigeladenen Gründe nachgeschoben
worden sind, ist dies grundsätzlich zugelassen. Eine Grenze ist nach der von der
Beschwerde nicht richtig verstandenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
8.2.2011 (X ZB 4/10 Rn. 73) erst dann erreicht, wenn aufgrund der nachgeschobenen
Begründung eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung nicht mehr gewährleistet
ist. Ein derartiger Fall liegt nicht vor.
c) Die Antragstellerin macht ohne Erfolg einen Verstoß gegen das Gebot zu produktoffener Ausschreibung geltend (§ 8 Abs. 7 Satz 1 EG VOL/A). Sie behauptet eine
verdeckte Produktspezifizierung (vgl. dazu OLG München, Beschl. v. 17.9.2007
– Verg 10/07; Beschl. v. 5.11.2009 – Verg 15/09), wonach die Leistungsanforderungen gemäß sechs sog. Geräte-Positionsblättern, und zwar
■
Positionsblatt 2: Arbeitsplatzdrucker 256 MB RAM,
■
Positionsblatt 4: 2 x 500-Blatt-(Einzugs-) Vorrichtung,
■
Positionsblatt 8: 9-fach-Mailbox-Finisher (Sorter),
■
Positionsblätter 10, 10a: Druckersprache Original Postscript 3,
■
Positionsblatt 11: Drucker für die Hausdruckerei (Drucker-Geschwindigkeit 80
Seiten/min),
in der Weise auf die von der Beigeladenen angebotenen Geräte (gewissermaßen
punktgenau) zugeschnitten gewesen sei, dass sie (insbesondere bei Mindestanforderungen) deren Spezifikationen nannte, wohingegen Konkurrenten auf teurere
140
Produkte anderer Hersteller hätten ausweichen müssen, mit höherwertigeren
Leistungsmerkmalen (teils auch erst nach Aufrüstung oder mit Zusatzausstattung). Falls dies stimmt (was nicht feststeht), hat der Antragsgegner allerdings
die Produkte der Beigeladenen vergaberechtlich unstatthaft begünstigt.
76 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012 –
Verg 7/12 (Anti-Grippe-Impfstoffe)
Die Antragsgegnerin musste keine Fachlosaufteilung vornehmen. Auch wenn man
in gewissen Fallkonstellationen eine zwingende Fachlosaufteilung aus anderen
als den in § 97 Abs. 3 GWB genannten, und zwar kartellrechtlichen Gründen für
möglich hält, liegen derartige Gründe nicht vor. Eine Ausschreibung nach Fachlosen (1. Los: Fertigspritzen mit feststehender Kanüle; 2. Los: andere Fertigspritzen)
hätte dazu geführt, dass gegebenenfalls unterschiedliche Grippeschutzmittel von den
Ärzten hätten eingesetzt werden müssen. Zudem betraf die Abgrenzung der Fachlose
einen Punkt, nämlich die Kanülen, deren Kosten an sich von der Antragsgegnerin nicht
zu erstatten waren.
Die Antragsgegnerin kann sich auf die vorstehend dargestellten Gründe berufen,
obwohl diese – jedenfalls mit dieser Zielrichtung – im Vergabeverfahren nicht dokumentiert worden sind. Der Vergabevermerk, in dem die Antragsgegnerin ihre Leistungsbestimmung gerechtfertigt hat, bezog sich zwar auf eine Wahlfreiheit der Ärzte,
begründete dies jedoch mit arbeitsschutzrechtlichen Erwägungen. Die Antragsgegnerin konnte ihre Entscheidung jedoch auch nachträglich rechtfertigen. Es stellte eine
bloße Förmelei dar, wenn die Entscheidung des Auftraggebers wegen „fehlender“
Dokumentation aufgehoben würde, der Auftraggeber diese jedoch bei einem erneuten Vergabeverfahren in der Sache heranziehen dürfte. Antragsteller hätten dadurch
nichts gewonnen. Der Senat hat daher im Anschluss an die neuere Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs eine erst im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschobene Begründung in vergleichbaren Fallgestaltungen zugelassen (Beschluss vom
23.03.2011 – VII-Verg 63/10 m.w.N.). Im Übrigen hat sich die Antragsgegnerin bereits
vor Einleitung des Vergabeverfahrens jedenfalls mit dem Verschreibungsverhalten der
Ärzte befasst.
77 OLG Schleswig, Beschluss vom 30.10.2012 –
1 Verg 5/12 (Postdienste)
3.21 In rechtlicher Hinsicht stehen Teil- und Fachlosvergabe selbständig nebeneinander, d. h. eine erfolgte Teillosvergabe lässt das ggf. bestehende Erfordernis
einer Fachlosvergabe nicht entfallen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 4. April
2012, 1 Verg 2/11, NZBau 2012, 598 [Rn. 19]). Für beide Fälle ist zu klären, welche
Bedeutung die Marktsituation für die Losbildung hat.
141
3.22 Für Fachlose vermitteln traditionell „Gewerke“ einen Anhaltspunkt, wie sie etwa
im Handwerksrecht bestehen (vgl. Anlagen A und B zur Handwerksordnung). Für
Dienstleistungsaufträge sind – ergänzend – weitere Abgrenzungshilfen zu berücksichtigen, wie sie etwa in tariflichen Regelungen oder gefestigten fachlichen Spezialisierungen – mit Herausbildung einer „Branche“ – zum Ausdruck kommen (vgl. Horn, NZBau
2011, 601/602). Die (Anerkennung und) Abgrenzung von bestimmten Fachlosen kann
im Einzelfall schwierig sein, insbesondere bei veränderlichen Marktverhältnissen.
Ob im vorliegenden Fall für Briefbeförderungen einerseits und Paketbeförderungen andererseits – begrifflich – unterschiedliche Fachlose zu bilden sind,
erscheint zweifelhaft. Unterschiede im Leistungsobjekt (Briefe/Pakete) führen
ohne Weiteres weder zu unterschiedlichen „Gewerken“ noch zu unterschiedlichen Märkten. Soweit für Reinigungsdienstleistungen eine Fachlosvergabe für
die „Objekte“ (Fenster-)Glas einerseits und Räume andererseits befürwortet wird
(vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 4. April 2012, a. a. O., Rn. 19; OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 11. Januar 2012, VII-Verg 52/11, NZBau 2012, 324 [Rn. 19]; anders:
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. März 2011, VII-Verg 63/10, NZBau 2011, 369 [Rn.
24 f.]), mag dies – ausgehend von der Betrachtung konkreter Marktverhältnisse (s.
o. 3.2) – richtig sein; diese „Feingliedrigkeit“ ist indes auf den vorliegenden Fall nicht
übertragbar. Es mag sein, dass für Paketbeförderungen andere „technische Einrichtungen“ benötigt werden; das allein begründet aber weder unter dem Aspekt einer
Spezialisierung noch einer Marktstruktur eine eigene Fachlosbildung.
Die genannten Überlegungen führen dazu, dass – im Ansatz – keine Fachlosbildung für die Beförderung von Briefen bzw. Paketen erforderlich ist. Wollte man
dies anders sehen, wäre insoweit § 97 Abs. 3 Satz 2 GWB zu prüfen. Nach derzeitigem
Sach- und Streitstand streiten die besseren Argumente für eine Zusammenfassung
der Brief- und Paketbeförderung in einem Los.
78 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.11.2012 –
Verg 28/12 (Gebäudereinigung, Glasreinigung, Winterdienst)
Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet.
Die Loslimitierung dahingehend, dass sich im Bereich der Niederlassung Düsseldorf
jeder Bieter nur auf fünf der 21 Gebietslose bewerben darf, ist nicht zu beanstanden. Ebenso wenig liegt diesbezüglich ein Dokumentationsmangel im Sinne des § 24
VOL/A EG vor.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist, jedenfalls in bestimmten Fällen, eine
Loslimitierung vergaberechtlich zulässig. In seiner Entscheidung vom 15. Juni
2000 (Verg 6/00, NZBau 2000, 440 – Euro-Münzplättchen III) hat der Senat
Loslimitierungen jedenfalls für bestimmte Fallgestaltungen gebilligt. Er hat dies
142
mit der dadurch verbundenen Streuung wirtschaftlicher und technischer Risiken
sowie dem Schutz auch zukünftigen Wettbewerbs gerechtfertigt. Das Landessozialgericht NRW hat mit Beschluss vom 30. Januar 2009 (L 21 KrW-/AbfG 1/08
SFB) die Vergaberechtskonformität einer Loslimitierung bei einem Auftrag über
Inkontinenzversorgung aus ähnlichen Erwägungen bejaht. In der Literatur (Kus in
Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 Rn. 70; Ziekow in Ziekow/
Völlink, Vergaberecht, § 97 GWB Rn. 61; Otting/Tresselt, VergabeR 2009, 584)
werden demgegenüber auch Einwände gegen die Zulässigkeit der Loslimitierung
erhoben. Es wird geltend gemacht, diese hindere besonders leistungsfähige
Unternehmen ungerechtfertigter Weise an der Abgabe eines Angebots für sämtliche Lose. Diese Kritik vernachlässigt jedoch die Bestimmungsfreiheit des
Auftraggebers, unter anderem auch durch eine Beschränkung von Losbeteiligungen die Regularien der Ausschreibung festzulegen. Der Senat hält
daher auch vor dem Hintergrund der kritischen Ausführungen jedenfalls für
bestimmte Fallgestaltungen, so zuletzt bezüglich der Lieferung (Hauszustellung)
von Inkontinenzartikeln (Senat, Beschl. vom 07.12.2011, VII-Verg 99/11), bei der
es auf eine laufende und jederzeitige Lieferfähigkeit des Auftragnehmers
besonders ankam, an seiner Rechtsprechung fest. Auch im vorliegenden Fall
rechtfertigen die Bedeutung der zu vergebenden Leistungen für den Auftraggeber, ihre Komplexität und ihr Umfang eine Loslimitierung.
b
Im Streitfall hat die Vergabekammer die Loslimitierung als solche auch nicht beanstandet. Soweit sie dem Antragsgegner aber vorgeworfen hat, ein ihm bei der
Entscheidung über eine Loslimitierung eingeräumtes Ermessen im Hinblick auf
die Wahl einer Angebots- oder Zuschlagslimitierung nicht ausgeübt zu haben, verkennt sie, dass es einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der Alternative
der Zuschlagslimitierung nicht bedurfte. Denn der Auftraggeber ist im Rahmen
seines Bestimmungsrechts frei, bei einer Loslimitierung zwischen einer Angebotslimitierung, einer Zuschlagslimitierung, bei der auf alle Lose geboten werden
muss, und einer Zuschlagslimitierung mit der Möglichkeit, Angebote auf Lose
nach Wahl des Bieters abzugeben, zu wählen.
c) Die Wahl einer Loslimitierung in der Form der Angebotslimitierung durch den
Antragsgegner ist nicht zu beanstanden.
Hinsichtlich der Erwägungen des Auftraggebers, die für oder gegen eine Angebotslimitierung sprechen, ist der Maßstab der rechtlichen Kontrolle beschränkt. Seine
Entscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf
vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf Beurteilungsfehlern, namentlich auf Willkür beruht. Dabei ist zu beachten, dass das Vergaberecht nicht
nur Wettbewerb und subjektive Bieterrechte eröffnet, sondern auch eine wirtschaftliche und den vom öffentlichen Auftraggeber gestellten Anforderungen entsprechende
Beschaffung gewährleisten soll. Der öffentliche Auftraggeber als Nachfrager hat durch
seine Ausschreibungen nicht bestimmte Marktteilnehmer zu bedienen. Vielmehr
bestimmt allein der Auftraggeber im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben den
143
daran zu messenden Beschaffungsbedarf und die Weise, wie dieser gedeckt werden
soll. Am Auftrag interessierte Unternehmen haben sich darauf einzustellen (vgl. auch
Senat, Beschluss vom 11.01.2012, VII-Verg 52/11 zur Fachlosvergabe).
Im Streitfall hat der Auftraggeber mit der Entscheidung für eine Loslimitierung zugleich
die Wahl getroffen, diese in Form einer Angebotslimitierung vorzunehmen. Im Ergebnisprotokoll des internen Workshops ist unter TOP 7 zur Loslimitierung der Beschluss
festgehalten, dass die Teilnehmer einer Loslimitierung zustimmen und in der Bekanntmachung und Aufforderung zur Angebotsabgabe eine Höchstzahl der Lose festgelegt wird, für die sich ein Bieter bewerben kann. Als Begründung wird angeführt:
„Gewährleistung der Reinigungssicherheit und Streuung des wirtschaftlichen und
technischen Risikos. Als Konsequenz dieser Begrenzung muss jeder Bieter, der mehr
als die Höchstzahl der Lose anbietet, ausgeschlossen werden.“
Einer darüber hinausgehenden Begründung bzw. Dokumentation in den Vergabeakten
bedurfte es entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin nicht. Die Vorteile
der Loslimitierung (Risikostreuung/Verhinderung der Abhängigkeit von einem Bieter,
Mittelstandsschutz/Verbesserung der Wettbewerbsmöglichkeiten auch für kleinere
Unternehmen, strukturelle Erhaltung des Anbieterwettbewerbs auch für die Zukunft)
sind in den mit Vergaberecht befassten Kreisen allgemein bekannt und lagen hier
wegen der Komplexität des Auftragsgegenstandes auf der Hand. Die Angebotslimitierung ist die in der Vergabepraxis übliche und in der früheren Rechtsprechung und vergaberechtlichen Literatur nahezu ausschließlich behandelte Form der Loslimitierung.
Spezifische Bieterinteressen brauchte der Auftraggeber bei der Wahl zwischen Angebots- und Zuschlagslimitierung nicht zu berücksichtigen. Die Argumentation der Vergabekammer und der Antragstellerin, sie, die Antragstellerin, habe bei einer Zuschlagslimitierung bessere Zuschlagschancen gehabt, überzeugt zudem nicht. Sowohl bei der
Angebots- als auch bei der Zuschlagslimitierung mit einer Wahlmöglichkeit für den
Bieter ziehen attraktive Lose mehr Angebote an. Dass für einige Lose überhaupt keine
Angebote abgegeben werden oder nur eines, ist bei der Zuschlags- wie auch bei der
Angebotslimitierung gleichermaßen denkbar.
Auch die vom Antragsgegner im Vergabenachprüfungsverfahren nachgeschobene
Begründung – auf die es nach den vorgenannten Ausführungen bereits nicht entscheidend ankommt – lässt keine Beurteilungsfehler erkennen (zur Nachholung einer
Begründung bzw. Heilung eines Dokumentationsmangels im Vergabenachprüfungsverfahren vgl. Senat, Beschluss vom 26.11. 2008, VII-Verg 54/08; Beschluss vom
21.07. 2010, VII-Verg 19/10; Beschluss vom 12.01. und 23.03. 2011, VII-Verg 63/10;
jeweils m.w.N. sowie BGH, Beschluss vom 08.02. 2011, X ZB 4/10). Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass es in der Vergangenheit zu Nicht- und Schlechtleistungen
gekommen sei, die Teilkündigungen und die Inanspruchnahme der Leistungen Dritter
im Wege der Ersatzvornahme erforderlich gemacht hätten. Eine Loslimitierung führe
zu einer höheren Qualitätsdichte und ermögliche zudem einen breiteren Wettbewerb, da der Auftrag in weitestgehend vergleichbare Gebietslose aufgeteilt worden
144
sei. Der in seinem Hause für die Ausarbeitung der Vergabebedingungen zuständige
Arbeitskreis habe durch eine Loslimitierung die Reinigungssicherheit gewährleisten
und das wirtschaftliche und technische Risiko streuen wollen. Es sei ihm auf eine
tägliche und vertragsgerechte Leistungserfüllung angekommen, die nicht in Abhängigkeit von einem oder wenigen Großanbietern erbracht werden, sondern auf einer
breiten mittelständischen Basis stehen solle. Im Senatstermin hat der Antragsgegner
auch ausgeführt, eine Zuschlagslimitierung, bei der die Bieter auf alle Gebietslose ein
Angebot abgäben, der Zuschlag jedoch auf maximal fünf Lose je Bieter beschränkt sei,
verbessere die Wettbewerbssituation nicht. Für jedes Gebietslos erfolge die Angebotswertung anhand der festgelegten Kriterien. Aufgrund der Vergleichbarkeit der
Lose sei es bei einer Zuschlagslimitierung sehr wahrscheinlich, dass bei allen Losen
derselbe Bieter das wirtschaftlichste Angebot abgebe. Damit müsse sich der einzelne
Bieter bei einer Zuschlagslimitierung gegen mehr Wettbewerber durchsetzen als bei
einer Angebotslimitierung.
Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden.
79 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen)
b) Der Bildung von Fachlosen bedurfte es nicht. Das Gebot der Losvergabe nach
§ 97 Abs. 3 Satz 2 GWB ist nicht zwingend. Dem Auftraggeber ist vielmehr eine
– gerichtlich nur beschränkt kontrollierbare – Einschätzungsprorogative zuzubilligen, ob und welche Teil- oder Fachlose er bildet. Von dem im § 97 Abs. 3
Satz 2 GWB enthaltenen Gebot der Fachlosvergabe kann abgesehen werden,
wenn die Art, insbesondere die Komplexität, des Beschaffungsvorhabens dies
rechtfertigt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.11.2009 – VII-Verg 27/09, Lärmschutzwandarbeiten). So liegt der Fall hier. Ausschreibungsgegenstand ist die
Aufnahme eines strategischen Partners in die Gemeindewerke-Gesellschaft, dem
vielfältige Aufgaben kaufmännischer oder technischer Art übertragen werden
sollen. Ausgehend von den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der zu gründenden
Gemeindewerke-Gesellschaft kommt zwar grundsätzlich auch eine in Lose aufgeteilte Vergabe an verschiedene Auftragsnehmer in Betracht, sei es getrennt nach
Straßenbeleuchtung, Wasserversorgung, Stromvertrieb oder kaufmännischer und
operativer Dienstleistungen. Dem Konzept des Beschaffungsvorhabens, nämlich
der Aufnahme eines strategischen Partners in eine kommunale Gesellschaft des
Privatrechts läuft eine solche Aufspaltung jedoch zuwider. Dadurch gingen nahezu
alle mit der Gesamtvergabe angestrebten und tatsächlich auch erreichbaren Synergieeffekte verloren. Das Projekt droht dadurch unwirtschaftlich zu werden, dies
zudem mit der Folge, dass der Kreis der am Auftrag interessierten Bieter stark
eingeschränkt worden wäre. Wenn die Antragsgegnerin bei einem derartigen
Befund von einer Losbildung abgesehen hat, ist dies vertretbar und hinzunehmen.
145
9.
Gestaltung der Ausschreibungsbedingungen/
Ungewöhnliches Wagnis
80 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2012 –
Verg 90/11 (Zytostatika)
Die Antragsgegnerin schrieb durch EU-weite Bekanntmachung vom August 2011 im
offenen Verfahren den Abschluss von Rahmenverträgen mit Apotheken zur Belieferung von 19 onkologischen Vertragsarztpraxen mit parenteralen Zubereitungen aus
Fertigarzneimitteln (Zytostatika) zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten aus.
II. 1. Wie der Senat im Beschluss vom 7. November 2011 (vgl. auch Senatsbeschluss
vom 07. März 2012 – VII-Verg 91/11) begründet hat, gilt das frühere grundsätzliche
Verbot („soll“) einer Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse für Umstände und
Ereignisse, auf die der Bieter keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die
Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann (vgl. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A),
nach § 8 EG VOL/A nicht mehr (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.10.2011
– VII-Verg 54/11, NZBau 2011, 762). § 8 EG VOL/A ist im Streitfall anzuwenden
– unabhängig davon, ob es sich beim ausgeschriebenen Auftrag um einen Dienstleistungsauftrag (vgl. § 4 Abs. 4 VgV, § 1 Abs. 3 EG VOL/A, Anhang I Teil B zur
VOL/A, Kategorie 25: Gesundheitswesen) oder um einen Lieferauftrag handelt.
Die Ausschreibungsbedingungen (nicht die Vertrags- oder Auftragsbedingungen; diese unterliegen prinzipiell der Gestaltungsfreiheit der Vertragsschließenden) können danach nur noch unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit zu
beanstanden sein, was freilich generell noch nicht der Fall ist, wenn der Bieter
gewisse Preis- und Kalkulationsrisiken, namentlich solche, die ihm typischerweise ohnedies obliegen, tragen soll. Die Zumutbarkeitsschwelle erhöht sich
bei einer Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen (im weiteren Sinn) zulasten
der Bieter. Angeboten bei Rahmenvereinbarungen wohnen – in der Natur der Sache
liegend und abhängig vom in der Regel ungeklärten und nicht abschließend klärbaren
Auftragsvolumen – erhebliche Kalkulationsrisiken inne, die typischerweise vom Bieter
zu tragen sind. Bei Rahmenvereinbarungen gelten die Gebote der Bestimmtheit, Eindeutigkeit und Vollständigkeit der Leistungsbeschreibung nur eingeschränkt. Sowohl
nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VOL/A als auch nach § 4 Abs. 1 EG VOL/A ist der in Aussicht
genommene Auftragsumfang lediglich „so genau wie möglich zu ermitteln“ (und
bekannt zu geben), er „braucht aber nicht abschließend festgelegt zu werden.“
Dagegen ist von der Antragsgegnerin nicht verstoßen worden (vgl. den Senatsbeschluss vom 7.11.2011, BA 5 vor a, BA 6 unter b). Die Antragsgegnerin hat im Rahmen
des Möglichen und Zumutbaren über den Auftragsumfang informiert. Die Verordnungszahlen (Gesamtmengen an Wirkstoffen) aus dem Zeitraum von April 1010 bis
146
März 2011 sind den Bietern bekannt gegeben worden. Daran ist nichts zu bemängeln
(ebenso: LSG NRW, Beschl. v. 22.7.2010 – L 21 SF 152/10 Verg, Rn. 65). Hinsichtlich
der sog. Umsetzungsquote der abzuschließenden Rahmenvereinbarungen sind in
den Vergabeunterlagen zwar keine Angaben vorgenommen worden. Doch lagen der
Antragsgegnerin diesbezüglich weder Erfahrungen noch Daten vor, die hätten bekannt
gemacht werden können. Bei der vorliegenden Ausschreibung handelt es sich um die
erste ihrer Art im Geschäftsbereich der Antragsgegnerin.
Mit seiner Auffassung zur Berücksichtigung ungewöhnlicher Wagnisse setzt sich der
Senat in keinen entscheidungserheblichen Widerspruch zu den Beschlüssen des OLG
Dresden (Beschl. v. 2.8.2011 – WVerg 4/11, VergabeR 2012, 119) und des OLG Jena
(Beschl. v. 22.8.2011 – 9 Verg 2/11, IBR 2011, 1299). Beide Entscheidungen betreffen
Extremfälle, in denen das Verwendungsrisiko hinsichtlich der Leistung vollständig auf
dem jeweiligen Bieter/Auftragnehmer lastete. Davon kann hier nicht gesprochen werden. Auch unter Zugrundelegung der von den OLG Dresden und Jena angewandten
Rechtssätze ist im vorliegenden Fall keine andere rechtliche Beurteilung geboten.
Dann ist der Bundesgerichtshof mit der Sache nicht zu befassen (§ 124 Abs. 2 GWB).
81 VK Bund, Beschluss vom 21.06.2012 –
VK 3-57/12 (Grippeimpfstoffe)
II. Der Nachprüfungsantrag ist größtenteils zulässig, aber unbegründet.
bb) Soweit die ASt eine Überbürdung unzumutbarer Kalkulationsrisiken rügt, liegt kein
Vergabefehler nach § 8 Abs. 1 EG VOL/A vor.
Das grundsätzliche Verbot, Bietern oder Auftragnehmern in der Leistungsbeschreibung oder in sonstigen Vergabeunterlagen ungewöhnliche Wagnisse
für Umstände oder Ereignisse aufzubürden, auf die er keinen Einfluss hat und
deren Einfluss auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann, ist
aus der VOL/A 2006 nicht in die Neuregelung der VOL/A übernommen worden.
Derartige Fälle können in Einzelfällen allenfalls unter dem Gesichtspunkt der
Unzumutbarkeit einer für den Bieter kaufmännisch vernünftigen Kalkulation
beanstandet werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2011, VII -Verg 54/11;
Beschluss vom 07.11.2011, VII -Verg 90/11).
Vorliegend waren die Ausschreibungsbedingungen für die Bieter jedoch nicht unzumutbar, denn der Markt für Grippeimpfstoffe unterliegt auch ohne Ausschreibungen
gewissen Schwankungen, die u.a. durch das Nachfrageverhalten und das Auftreten
von Pandemien bedingt sind. Das durch die Nichtvorhersehbarkeit der Abgabemenge
bedingte kalkulatorische Risiko kann dabei nicht dem originären Risikobereich des
Auftraggebers zugerechnet werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2011, VII
-Verg 62/11). Insofern war es ausreichend, dass die Ag die Referenzmengen aus dem
147
Vorjahr und deren Bedeutung für die zukünftigen Absatzvolumina in den Ausschreibungsunterlagen bekannt gemacht haben.
Daher ist auch nicht nachvollziehbar, warum die ASt davon ausgeht, dass jeder Bieter von einer anderen Berechnungsgrundlage ausgehe, wenn die entsprechenden
Referenzmengen von den Ag genannt wurden. Soweit die Bieter ihrer Kalkulation
weitere Datensätze oder Erfahrungswerte zugrunde legen, stellt dies keine Ungleichbehandlung durch die Ag dar. Dieser Umstand ist vielmehr wesentlicher Bestandteil
des Wettbewerbs.
Darüber hinaus dringt auch der Vorwurf, die Rahmenvereinbarungen begründeten ein
unzumutbares Risiko, nicht durch, denn das Risiko des Auftragnehmers, ob und in
welchem Umfang bestimmte Leistungen in Anspruch genommen werden, ist einer
Rahmenvereinbarung immanent. Daher stellt es keine unzumutbare Risikoverlagerung
dar, wenn der Bieter gewisse Preis-und Kalkulationsrisiken tragen soll, die nach dem
Vertragstypus ohnehin ihm obliegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.11.2011, VII
-Verg 90/11). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist hierdurch nicht verletzt, weil alle
Bieter den Kalkulationsrisiken in gleichem Maße ausgesetzt sind (OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 24.11.2011, VII -Verg 62/11).
Da durch die Vorschrift des § 132e Abs. 2 S. 2 SGB V sichergestellt wird, dass die
Ärzte den Rahmenvertrag abgesehen von besonderen Ausnahmesituationen umsetzen werden, resultiert auch aus diesem Umstand kein unzumutbares Kalkulationsrisiko
für die Bieter.
Die von der ASt ins Feld geführten Ausgleichsmöglichkeiten, nämlich die Zusicherung
einer Mindestabnahmemenge, sind mangels Vergabefehler weder als Kompensation
geboten noch scheinen diese sinnvoll, denn eine Mengengarantie ist mit den sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen – insbesondere dem Wirtschaftlichkeitsgebot
nach § 12 Abs. 1 SGB V sowie der Verpflichtung der Krankenkassen, die zur Verfügung stehenden Mittel grundsätzlich nur für die Erfüllung ihrer gesetzlich ausdrücklich
geregelten Ausgaben zu verwenden (§ 30 Abs. 1 SGB V) – nicht vereinbar. Anders
als andere öffentliche Auftraggeber decken die Ag keinen signifikant für sie selbst
bestimmten Bedarf, sondern sie werden frei von der Sachleistungsverpflichtung,
ihren Versicherten gegenüber, für die der Impfstoff vorgesehen ist. Die Zusage einer
Mindestabnahmemenge ist hiermit nicht vereinbar.
82 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.07.2012 –
11 Verg 6/12 (Reinigungsdienstleistungen)
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere frist- und
formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 116, 117 GWB). Sie hat auch in
der Sache Erfolg.
148
B. Der Nachprüfungsantrag hat im Ergebnis auch überwiegend Erfolg.
1. Der Antragsgegner wird mit der Fassung der Vergabeunterlagen den Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren nicht
gerecht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A, § 97 Abs. 1 GWB).
a) Wesentliche Ausprägung des Transparenzgebotes ist die Pflicht der Vergabestelle, klare und eindeutige Angaben zu allen Wertungs- und Zuschlagskriterien
zu machen (vgl. die Übersicht bei Weyand, Vergaberecht, 3. Aufl., § 97 GWB,
Rn. 322).Eine Vergabestelle kann eine rechtmäßige Zuschlagsentscheidung nur
dann treffen, wenn die maßgeblichen Anforderungen von allen beteiligten fachkundigen Bietern im gleichen Sinne verstanden und ihren Angeboten zugrunde
gelegt werden können [vgl. etwa OLG Schleswig Beschl. v. 15.4.2011 – 1 Verg
10/10 – Rn. 60 m.w.N.]. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Unklarheit für den Bieter nicht ohne Weiteres
erkennbar war und er sie subjektiv auch nicht erkannt hat, da in einer solchen
Konstellation aus der Sicht des Bieters kein Anlass für eine Nachfrage bei der
Vergabestelle besteht, so dass insoweit auch keine „Erkundigungslast“ des
Bieters entstehen kann [VK Bund, Beschl. v. 4.7.2011 – VK 2 – 61/11 – Rn. 84]. So
liegt der Fall auch hier. Das Verständnis der Antragstellerin ist so naheliegend, dass
sich eine etwaige Mehrdeutigkeit auch für den objektiven Erklärungsempfänger nicht
ohne weiteres ergeben muss.
2. Der Verstoß gegen das Transparenzgebot kann weder durch einen Ausschluss
des Angebots der Beigeladenen noch durch eine Wertung ohne das angebotene
Skonto behoben werden.
Nach den Vergabeunterlagen sollte ein von den Bietern eingeräumtes Skonto nicht
von vornherein unbeachtlich sein. Das begegnet vergaberechtlich keinen Bedenken
[BGH Urt. v. 26.10.1999 – X ZR 30/98 – Rn. 26; Senat, Beschl. v. 19.11.2009 – 11 Verg
4/09 – Rn. 85]. Auch die Antragstellerin erhebt insoweit keine Einwände.
(…)
c) Der Senat hat die Vergaberechtswidrigkeit der Vergabebedingungen insoweit von
Amts wegen zu berücksichtigen, obwohl sich die Beigeladene nicht am Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren beteiligt und die Vergaberechtswidrigkeit nicht
gerügt hat. Zwar ist der Vergabesenat nicht verpflichtet, von sich aus das Vergabeverfahren in jeder Hinsicht auf nicht geltend gemachte Verstöße zu untersuchen.
In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist jedoch auch anerkannt, dass in
Ausnahmefällen die Verhandlung und Entscheidung auch Vergabeverstöße einbeziehen muss, die nicht gerügt worden sind. Das trifft insbesondere dann zu, wenn
ein Zuschlag wegen offensichtlicher Intransparenz oder eines Diskriminierungspo-
149
tentials der Vergabeunterlagen nicht vergaberechtskonform erteilt werden könnte
(Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 120 Rn. 26). So liegt
der Fall auch hier. Eine vergaberechtskonforme Wertung ist nur möglich, wenn
die intransparente Klausel in Ziff. 8 durch eine von allen Bietern in gleicher Weise
verständliche, wettbewerbskonforme Regelung ersetzt wird.
3. Das Angebot der Beigeladenen kann auch nicht mit dem angebotenen Skonto
vergaberechtskonform gewertet und daraufhin überprüft werden, ob die Beigeladene trotz Unterschreitung des Mindestverrechnungssatzes die Gewähr für die
Zahlung des Tariflohns bietet.
a) Keinen vergaberechtlichen Bedenken begegnet es zwar, wenn ein Auftraggeber
bereits in den Vergabeunterlagen Aufgreifschwellen angibt, bei deren Erreichen
die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes im Rahmen der Angebotsaufklärung
näher untersucht wird (VK Bund, Beschl. v. 27.12.2011 VK 1 – 159/11; Beschl. v.
10.6.2011, VK 3 – 56/11). Prüfungsmaßstab für einen daraufhin möglichen Angebotsausschluss muss indes bleiben, ob ein Bieter plausibel darlegen kann, dass
er trotz Überschreitens der Aufgreifschwelle seiner gesetzlichen Verpflichtung
zur Zahlung des Mindestlohnes nachkommen wird und nicht – wie hier – eine
Preisvorgabe, bei der automatisch eine zum Angebotsausschluss führende Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes angenommen wird (VK Bund a.a.O.).
b) Selbst wenn Ziff. 8 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung – entgegen dem
eindeutigen Wortlaut und dem eindeutigen Willen des Antragsgegners – als
Bestimmung einer Aufgreifschwelle ausgelegt werden könnte, kommt eine Überprüfung des Angebots der Beigeladenen unter Berücksichtigung des angebotenen Skontos auf die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns im vorliegenden
Fall nicht in Betracht, weil damit eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung
der anderen Bieter und insbesondere der Antragstellerin verbunden wäre. Würde
die vorzunehmende Aufklärung ergeben, dass die Beigeladene trotz Unterschreitens der von dem Antragsgegner genannten Preisvorgabe so kalkuliert hat, dass
sie dennoch die Gewähr für die Einhaltung des Mindestlohns bietet, hätte sie das
günstigste Angebot abgegeben und wäre ihr der Zuschlag zu erteilen. Dadurch
würden die anderen Bieter benachteiligt, die – wie die Antragstellerin – davon ausgegangen sind, dass sie die Preisvorgabe des Antragsgegners nicht – auch nicht
durch Anbieten eines Skontos – unterschreiten dürfen, weil ihnen andernfalls der
Ausschluss droht. Die Antragstellerin hat nachvollziehbar vorgetragen, sie habe so
kalkuliert, dass sie die von dem Antragsgegner vorgegebene Preisvorgabe gerade
einhalte und habe sich deswegen am Angebot eines Skontos gehindert gesehen
(zu einer ähnlichen Konstellation vgl. VK Bund, Beschl. v. 4.7.2011, VK 2 – 61/11).
Hätte die Antragstellerin dagegen davon ausgehen können, dass ihr Angebot
jedenfalls nicht automatisch ausgeschlossen wird, wenn sie zusätzlich ein Skonto
anbietet, so hätte dies ihre Zuschlagschancen erhöht.
150
4. Der Verstoß gegen § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Abs. 1 VOL/A verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB. Das vergaberechtliche Gebot der
Transparenz in seiner Ausprägung als Gebot der Klarheit der Vergabeunterlagen
ist bieterschützend (VK Bund a.a.O, m.w.N.).
Stehen mehrere Angebote auf der Grundlage eines jeweils verschiedenen vertretbaren Auslegungsergebnisses miteinander im Wettbewerb, so kann daraus eine dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende
Vergabeentscheidung nicht mehr abgeleitet werden (OLG Schleswig a.a.O.).
Insbesondere kann der Vergabeverstoß – wie dargelegt – nicht dadurch beseitigt
werden, dass das Angebot der Beigeladenen ausgeschlossen oder ohne Skonto
gewertet wird. Da der Antragsgegner in seinem Aufforderungsschreiben eine in
mehrfacher Hinsicht unklare und damit rechtswidrige Formulierung verwandt
und die Antragstellerin damit in ihren Rechten verletzt hat, ist das Vergabeverfahren in das Stadium vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, um dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben, die Vergabeunterlagen im
Hinblick auf eine als solche gekennzeichnete Aufgreifschwelle neu zu gestalten und
um andererseits allen Bietern Gelegenheit zu geben, Angebote auch unterhalb des
Schwellenwertes abzugeben, ohne dadurch einen automatischen Ausschluss befürchten zu müssen. Dabei empfiehlt es sich gegebenenfalls klarzustellen, inwieweit Skonti
bei der Prüfung der „Auskömmlichkeit“ eines Angebotes berücksichtigt werden.
83 OLG München, Beschluss vom 06.08.2012 –
Verg 14/12 (Rest- und Sperrmüllabfuhr)
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge, die
Vergabeunterlagen würden den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt,
nicht präkludiert.
b) Den Bietern wird kein ungewöhnliches Wagnis auferlegt.
aa) Die Neuregelung der VOL/A 2009 sieht das Gebot für den Auftraggeber nicht
mehr vor, dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufzuerlegen. Gründe
für den Wegfall dieser Regelung sind nicht bekannt (Bernhardt in Ziekow/Völlink
Vergaberecht § 7 VOL/A Rn. 1). Seither ist umstritten, ob nach wie vor ein solches
Gebot besteht (OLG Dresden vom 2.8.2011 – Wverg 4/11; wohl auch Brauer, Die
Behandlung ungewöhnlicher Wagnisse nach der Neufassung der VOL/A, VergabeR 2012, 343 ff.) oder es nicht mehr besteht (Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß
VOL/A 2. Aufl. 2011 § 8 EG VOL/A Rn. 38ff.) oder ob es zwar nicht mehr besteht,
aber die Grenzen der Zumutbarkeit für eine vernünftige kaufmännische Kalkulation
einzuhalten sind (OLG Düsseldorf vom 7.12.2011 – Verg 96/11 i.V.m. OLG Düsseldorf vom 19.10.2011 – Verg 54/11).
151
Der Senat schließt sich der Ansicht des OLG Düsseldorf ausdrücklich an. Wenn
im Text der VOL/A das ungewöhnliche Wagnis nicht mehr enthalten ist, bedeutet
dies, dass, aus welchen Gründen auch immer, diese Regelung nicht mehr gelten
soll. Auf der anderen Seite kann dies aber keineswegs zur Folge haben, dass
eine Überbürdung sämtlicher Risiken auf den Auftragnehmer nun rechtens sein
kann. Grenze der Abwälzung von Risiken ist daher die Beachtung der allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze, welche einen Missbrauch der Nachfragemacht
des öffentlichen Auftraggebers missbilligen und infolgedessen unzumutbare
Anforderungen an die Bieter in den Ausschreibungsunterlagen als nicht tragbar einstufen (vgl. hierzu BGH vom 10.6.2008 – X ZR 78/07; OLG München vom
22.1.2009 – Verg 26/08; OLG Düsseldorf vom 19.10.2011 – Verg 54/11). Ist aufgrund
der Vorgaben in den Vergabeunterlagen eine vernünftige kaufmännische Kalkulation
nicht möglich, kann die Grenze zur Unzumutbarkeit überschritten sein.
bb) Hier werden dem Bieter (noch) keine unzumutbaren Risiken auferlegt. Eine Kalkulation ist möglich, auch wenn die Mengenabweichungen mit 20-25% grenzwertig erscheinen. Zunächst ist festzuhalten, dass weder dem Auftraggeber noch
dem Auftragnehmer eine zuverlässige Prognose über das Wegwerfverhalten der
betroffenen Bürger möglich ist. Anhaltspunkt für eine Kalkulation kann daher nur
die Müllmenge bzw. der Müllbehälterbestand der letzten Jahre bzw. des letzten
Jahres sein, welche der Antragsgegner hier auch offen gelegt hat. Wenn keine
grundlegenden Änderungen zu erwarten sind, kann daher der Kalkulation eine
gleich bleibende oder moderat ansteigende Müllmenge zugrunde gelegt werden.
Dem Bieter ist auch die Anzahl der im Jahr 2010 angemeldeten Müllbehälter
bekannt, so dass er einschätzen kann, welche Grundstücke angefahren werden
müssen. Den hohen Fixkostenanteil kann er kalkulieren. Soweit die Antragstellerin
vorträgt, sie müsse bei einer 20 – 25%-igen Steigerung der Müllmenge bzw. der
Müllbehälter ein weiteres Müllfahrzeug einkalkulieren, spricht dies nicht für eine
unzumutbare Kalkulation, weil auch bei einer geringen Steigerung des Müllvolumens weitere Fahrzeuge in Hinterhand gehalten werden müssen. Eine Bagatellgrenze, wie sie die Antragstellerin mit 5% vorträgt, hat die Rechtsprechung
im Bereich der VOL/A bisher nicht festgelegt. Die Entscheidung des OLG
Rostock (Beschluss vom 5.2.2003 – 17 Verg 14/02) ist nicht einschlägig. In
diesem Rechtsstreit ging es um die Frage, ob geringfügige Änderungen
in der Beschaffenheit des Leistungsgegenstands, welche mit weniger als
5% des Gesamtumfangs der Leistung beziffert wurden, zu einer Ausschreibungspflicht führen. Mit der Frage, ob Mengenänderungen von 20-25% zu
einer Anpassungspflicht nach § 2 VOL/B führen, hat sich das OLG Rostock nicht
befasst.
Es ist nach den Angaben des Antragsgegners auch nicht zu erwarten, dass sich die
Restmüll- bzw. Sperrmüllmenge im Vertragszeitraum entscheidend nach unten verringert. Eine gesetzliche Verpflichtung zur getrennten Sammlung von Biomüll und
152
Wertstoffen tritt erst ab 1.1.2015 ein. Der Antragsgegner bietet bereits eine Biotonne
an und hat nach seinen Ausführungen nicht die Absicht, eine verpflichtende Wertstofftonne einzuführen. Es kommt hinzu, dass sich allein durch die Verpflichtung zur
getrennten Sammlung von Biomüll und Wertstoffen die Zahl der Restmüllbehälter
kaum verändern wird. Jedenfalls führen diese Gegebenheiten nicht dazu, dass eine
vernünftige Kalkulation nicht mehr möglich wäre.
Im Gegensatz dazu war Gegenstand der Entscheidung des OLG Dresden (Beschluss
vom 2.8.2011 – WVerg 4/11) ein Rahmenvertrag, bei welchem zu Lasten des Bieters
eine jederzeitige Leistungsbereitschaft vorgesehen war, für den Auftraggeber aber
keine Abnahmeverpflichtung. In dieser Konstellation lag ein unzumutbares Ungleichgewicht der gegenseitigen Vertragspflichten vor (vgl. hierzu auch OLG Naumburg vom
05.12.2008 – 1 Verg 9/08).
84 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 44/12 (Kopierer und Multifunktionsgeräte)
Das frühere grundsätzliche Verbot einer Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse für
Umstände und Ereignisse, auf die der Bieter keinen Einfluss hat und deren Einwirkung
auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann (vgl. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A
2009), gilt nach § 8 EG VOL/A nicht mehr (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.10.2011 –
VII-Verg 54/11, NZBau 2011, 762; Beschl. v. 11.11.2011 und 28.3.2012 – VII-Verg 90/11;
Beschl. v. 7.12.2011 – VII-Verg 96/11). Die Ausschreibungsbedingungen können nur
noch unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit zu beanstanden sein, was generell
noch nicht der Fall ist, wenn Bieter gewisse Preis- und Kalkulationsrisiken, namentlich
solche, die ihm typischerweise ohnehin obliegen, tragen. Bei der Ausschreibung eines
Rahmenvertrags – wie hier – erhöht sich zudem die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten
der Bieter.
Diese Schwelle hat die Antragsgegnerin in ihrer Ausschreibung nicht überschritten:
a) Sie hat zunächst die Bieter im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren
über den Leistungsumfang informiert, indem sie aus den letzten beiden Jahren einen durchschnittlichen Jahresverbrauch (zu fertigende Kopien-Klicks für
Schwarz-weiß- und Farbkopien) für die Bereiche Verwaltung und Schulen ermittelt und diesen in ihr Preisblatt als zugrunde zu legendes Kalkulationsvolumen
aufgenommen hat. Auch hat sie die Anzahl zu berücksichtigender Geräte beziffert
und den den Ausschreibungsunterlagen beigefügten technischen Leistungsklassen zugeordnet. Dass sie ihren Zahlen den Zusatz „ca.“ hinzugefügt hat, ist nicht
zu beanstanden, weil sie hiermit lediglich zum Ausdruck gebracht hat, dass es
sich bei den angegebenen Volumina nicht um verbindliche Mengen, sondern um
Schätzwerte handelt, die periodisch einer konkreten Abrechnung – wie im Rah-
153
menvertrag vorgesehen – bedürfen. Schließlich hat sie eine Mindestanzahl abzunehmender Kopien unterteilt nach Schwarz-Weiß- und Farbkopien jeweils für die
Bereiche Verwaltung und Schule zugesagt, aus denen sich anhand der gewünschten Leistungsklassen einzusetzender Geräte eine konkrete Auslastungskapazität
ermitteln lässt.
b) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass sich die Antragsgegnerin insbesondere sowohl eine Rückgabe als auch einen Tausch sowie eine Zumietung
von Geräten ausbedungen hat. Zunächst unterliegt es der Gestaltungs- und
Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers, die Vertrags- und Auftragsbedingungen festzusetzen- Dass den Bietern hierdurch im Streitfall ein
unzumutbares Kalkulationsrisiko aufgebürdet wird, ist nicht ersichtlich. Optionale
Leistungselemente sind zunächst grundsätzlich Ausdruck eines im Vorhinein nicht
festlegbaren Auftragsvolumens und charakteristisch für Rahmenvereinbarungen.
Ihnen wohnt zugleich ein funktionales Leistungselement inne. Die Antragsgegnerin hat den Bietern gleichwohl auch hierzu in der Leistungsbeschreibung hypothetische, d.h. von ihr – allerdings auf der Grundlage von in der Vergangenheit
erhobenen Erfahrungswerten – geschätzte Zahlen sowohl in Bezug auf einen
Mehrbedarf an Kopien als auch an Geräten an die Hand gegeben, wodurch sie
den Rahmen des Auftragsvolumens umrissen hat, der für eine Preiskalkulation
herangezogen werden konnte.
(…)
10. Gestaltung der Vertragsbedingungen
85 OLG Naumburg, Urteil vom 20.12.2012 –
2 U 92/12 (Grundhafter Ausbau der Kreisstraße)
Die Beklagte hat ihre Berufung allein damit begründet, dass der Ausschluss des Angebots der Klägerin gerechtfertigt gewesen sei. Der damals zuständige 1. Zivilsenat des
Oberlandesgerichts Naumburg hat im Berufungsverfahren 1 U 50/10 mit seinem am
30.09.2010 verkündeten Urteil das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage
abgewiesen. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf
gestützt, dass der Ausschluss der Angebote der Klägerin durch die Beklagte wegen
Unvollständigkeit der Eignungsunterlagen zu Recht erfolgt sei.
Die Klage ist zulässig; insbesondere hat das Landgericht ein Feststellungsinteresse
der Klägerin nach § 256 ZPO zu Recht angenommen. Dieses Feststellungsinteresse
besteht auch bei Schluss der letzten mündlichen Verhandlung im zweiten Berufungsverfahren fort. Die Klägerin war nicht gehalten, zu der – inzwischen im Berufungsverfahren möglich gewordenen – bezifferten Leistungsklage überzugehen (vgl. Greger
in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 256 Rn. 7c m.w.N.).
154
Ungeachtet der vorgenannten Mängel des Nebenangebots Nr. 1 der Auftragnehmerin
hat die Beklagte auch nicht darzulegen vermocht, dass sie das Pauschalpreisangebot
der Auftragnehmerin als qualitativ gleichwertig hätte bewerten dürfen. Zwar trifft
es zu, dass eine Pauschalierung für den Auftraggeber das Risiko der Erhöhung der
Baukosten vermindert, weil Mehrmengen in einem gewissen Umfang nicht zu einer
Mehrvergütung führen. Andererseits beinhaltet eine Pauschalierung des Entgelts für
eine Bauleistung für den Auftraggeber das Risiko, dass er trotz des Auftretens von
Mindermengen bestimmter Leistungen den zuvor vereinbarten Preis unverändert zahlen muss. Gerade bei Tiefbauarbeiten, wie hier, sind unerwartete Baugrundverhältnisse mit Auswirkungen auf die auszuführenden Leistungen oder Mengenabweichungen nicht selten, so dass die nach § 5 Nr. 1 lit. b) VOB/A vorgesehenen
Voraussetzungen für den Abschluss eines Pauschalpreisvertrages – in Fällen, in
denen die Leistung nach Ausführungsart und Umfang genau bestimmt ist und
mit einer Änderung bei der Ausführung nicht zu rechnen ist – regelmäßig nicht
erfüllt sind.
11. Bedingungen für die Auftragsdurchführung
86 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 –
C-368/10 (EKO und Max Havelaar)
Wie in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bezeichnet das Gütezeichen
MAX HAVELAAR Erzeugnisse, die aus einer Form des fairen Handels stammen, von
aus Kleinerzeugern in Entwicklungsländern bestehenden Organisationen zu einem
Preis und zu Bedingungen erworben wurden, die günstiger als die durch die Marktkräfte bestimmten Bedingungen sind. Aus den Akten ergibt sich, dass das Gütezeichen auf vier Kriterien beruht, nämlich darauf, dass der gezahlte Preis kostendeckend
sein und einen Zuschlag auf den Weltmarktpreis enthalten muss, dass die Produktion vorfinanziert sein muss und dass zwischen Erzeuger und Importeur langfristige
Handelsbeziehungen bestehen müssen.
Es ist festzustellen, dass diese Kriterien nicht der Definition des Begriffs „technische Spezifikation“ in Nr. 1 Buchst. b des Anhangs VI der Richtlinie 2004/18
entsprechen, denn diese Definition stellt ausschließlich auf die Merkmale der
Erzeugnisse selbst, ihre Produktionsprozesse und -methoden, ihre Verpackung
oder ihre Verwendung und nicht auf die Bedingungen ab, unter denen der Lieferant sie vom Erzeuger erworben hat.
Dagegen fällt die Einhaltung dieser Kriterien unter den Begriff „Bedingungen für die
Auftragsausführung“ im Sinne von Art. 26 der Richtlinie.
Nach diesem Artikel können die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags nämlich insbesondere soziale Aspekte betreffen. Vorzuschreiben, dass der zu liefernde
155
Tee und Kaffee von Kleinerzeugern aus Entwicklungsländern stammt, zu denen für
sie günstige Handelsbeziehungen bestehen, ist ein solcher sozialer Aspekt. Somit ist
die Rechtmäßigkeit dieser Bedingung anhand von Art. 26 zu prüfen.
Festzustellen ist jedoch, dass die Kommission im Vorverfahren wie im Übrigen auch
in der Klageschrift die fragliche Klausel des Lastenhefts ausschließlich auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 8 der Richtlinie 2004/18 beanstandet und erst in ihrer Klageerwiderung geltend gemacht hat, dass ihr Vorbringen insoweit entsprechend für eine
Ausführungsbedingung nach Art. 26 der Richtlinie gelte.
Da der Gegenstand einer Klage nach Art. 258 AEUV durch das in dieser Bestimmung
vorgesehene vorprozessuale Verfahren eingegrenzt wird, muss die Klage auf die
gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein wie die mit Gründen versehene Stellungnahme, so dass eine Rüge, die nicht in der mit Gründen versehenen
Stellungnahme erhoben wurde, im Verfahren vor dem Gerichtshof unzulässig ist (vgl.
in diesem Sinne u. a. Urteil vom 9. Februar 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich,
C-305/03, Slg. 2006, I-1213, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der zweite Teil des zweiten Klagegrundes ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
87 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.2013 –
Verg 35/12 (Gebäudereinigungsverträge)
bb) Bei der Anforderung, dass der Auftragnehmer zur Erbringung seiner Leistungen
sozialversicherungspflichtiges Personal einzusetzen hat, handelt es sich um eine
zusätzliche Bedingung für die Ausführung des Auftrags im Sinne von Art. 26 der
Richtlinie 2004/18/EG und § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB. Die Mitteilung dieser Anforderung kann danach entweder in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen erfolgen, zu denen im Streitfall gemäß § 9 Abs. 1 Buchst. c) EG VOL/A
auch der abzuschließende Servicevertrag gehört.
Hat der Auftraggeber indes – wie im Streitfall – in der Bekanntmachung angegeben,
besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags sollten nicht gelten, hat er
sich damit festgelegt und ist für den weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens insoweit
gebunden, als eine nachträgliche Änderung im Lauf des Vergabeverfahrens nur zulässig ist, wenn sie in transparenter und diskriminierungsfreier Weise erfolgt.
Im Streitfall hat der Antragsgegner intransparent gehandelt (…)
b) Die Anforderung, nur sozialversicherungspflichtiges Personal einzusetzen, ist darüber hinaus vergaberechtswidrig, weil der erforderliche sachliche Zusammenhang
mit dem Auftragsgegenstand fehlt. Gemäß § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB können für
die Auftragsausführung zusätzliche Anforderungen an den Auftragnehmer gestellt
156
werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte
betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand
stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben.
Ein hinreichender sachlicher Zusammenhang ist hier nicht erkennbar. Zu Unrecht beruft
sich der Antragsgegner darauf, den Mietern sei der Einsatz von täglich wechselndem
Personal nicht zumutbar, ebenso wenig eine permanent andauernde Einarbeitungsphase des Personals; täglich wechselndes Personal garantiere auch kein hohes Niveau
an Reinigungsleistung. Der Einsatz von nicht sozialversicherungspflichtigem Personal
ist nicht notwendigerweise mit diesen Nachteilen verbunden. Die Antragstellerin
hat unwidersprochen vorgetragen, dass der Einsatz von geringfügig Beschäftigten
in aller Regel in kleineren Reinigungsrevieren mit einem Zeitaufwand von etwa bis
zu zwei Stunden täglich erfolge. Es handele sich um fest eingestellte Mitarbeiter,
die täglich zur Reinigung erschienen. Dies biete bessere Dispositionsmöglichkeiten
beim Ausfall einer Reinigungskraft. Auch böten beispielsweise vier noch nicht von
der Arbeit ermüdete Zwei-Stunden-Kräfte ein besseres Reinigungsergebnis als eine
Acht-Stunden-Kraft.
Auch im Übrigen hat der Antragsgegner einen sachlichen Zusammenhang der Anforderung, dass der Auftragnehmer zur Erbringung seiner Leistungen sozialversicherungspflichtiges Personal einzusetzen hat, mit dem Auftragsgegenstand nicht dargelegt. Der öffentliche Auftraggeber hat zwar bereits auf Grund seiner Verpflichtung zur
Wahrung des Allgemeinwohls in besonderem Maß soziale Belange zu beachten und
zu fördern. Dies allein reicht jedoch nicht aus, einem Auftragnehmer sozialrelevante, aber arbeitsrechtlich erlaubte Gestaltungsmöglichkeiten zu versagen. Die
arbeitsrechtlichen und sozialen Belange von geringfügig und zeitlich begrenzt
beschäftigten Arbeitnehmern werden durch nationales und europäisches Recht
geschützt (vgl. AÜG (BGBl. I 1995, S. 158), AEntG 2009 (BGBl. I 2009, S. 799), Richtlinie 2008/104/EG vom 19. November 2008 (ABl. EU L 327/9), Richtlinie 91/383/EWG
vom 29. Juli 1991 (ABl. EU L 206/19) sowie Richtlinie 96/71/EG vom 16. Dezember
1996 (ABl. EU L 18/1)). Insbesondere durch den gesetzlich festgelegten tariflichen
Mindestlohn nach § 3a Abs. 2 AÜG, Art. 2 lit. f) und Art. 5 RL 2008/104/EG und
die durch das Arbeitnehmerentsendegesetz begründete Pflicht des Arbeitgebers,
tarifvertragliche Arbeitsbedingungen zu gewähren, § 3 AEntsG, Art. 3 RL 96/71/
EG, werden vor allem diejenigen Arbeitnehmer geschützt, die in Gewerbebranchen
beschäftigt sind, in denen typischerweise eine Vielzahl auch ungelernter Arbeiter auf
Zeit eingesetzt werden. Zu solchen Branchen gehört neben dem Baugewerbe auch
das Gebäudereinigerhandwerk.
Infolge der Versagung arbeitsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch die Ausschreibungsbedingungen werden die Bieter nach § 97 Abs. 7 GWB in ihren Rechten
verletzt, weil dies Einfluss auf die Preiskalkulation und ihre wettbewerblichen Möglichkeiten hat.
157
12. Eignungsnachweise
12.1
Bekanntmachungspflicht
88 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste)
c) Des Weiteren hat die Antragsgegnerin gegen § 7 Abs. 5 Satz 1 EG VOL/A verstoßen.
Nach dieser Vorschrift gibt der Auftraggeber bereits in der Bekanntmachung an, welche
Nachweise vorzulegen sind.
Die Vorschrift schützt die Bieter in ihren Rechten auf ein diskriminierungsfreies Verfahren und stellt damit nicht lediglich eine an die Vergabestelle gerichtete Ordnungsvorschrift dar. Die abschließende Benennung der Eignungsnachweise schützt die Bieter
einerseits davor, dass nachträglich höhere Anforderungen gestellt werden und davor,
dass ein Wettbewerber durch nachträgliche Zulassung eines auf ihn zugeschnittenen Nachweises besser gestellt wird. Die Vorschrift unterliegt aufgrund ihrer auf alle
Bieter gerichteten Schutzwirkung nicht der Disposition einzelner Bieter und/oder des
Auftraggebers.
Über die Vergabebekanntmachung hinausgehende Nachweise dürfen nicht gefordert
und ihre Nichtvorlage somit auch nicht bei der Angebotswertung berücksichtigt werden. Beides liefe den Vorgaben des Transparenz- und des Gleichbehandlungsgebots
nach § 97 Abs. 1 und 2 GWB zuwider, in dessen Lichte die Vorschriften der VOL/A
auszulegen und zu handhaben sind.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin jedoch liegt ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5
Satz 1 EG VOL/A nicht zusätzlich auch in der Forderung nach einer „Selbstdarstellung“
des Bieters. Ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht verpflichtet, sämtliche Einzelheiten
seiner Nachweisforderungen schon in der Bekanntmachung anzugeben Rspr. Es reicht
vielmehr aus, dass der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung angibt, welche
Nachweise er von den Bietern fordert, und diese in den Verdingungsunterlagen weiter
konkretisiert. So liegt es hier. Die Antragsgegnerin hatte bereits in Ziffer III.2.1 „Angaben zu Bieter“ gefordert. Die in Nr. 6 von Ziffer V der Bewerbungsbedingungen
geforderte Selbstdarstellung samt den darin aufgeführten Einzelheiten stellt lediglich
eine Konkretisierung der geforderten „Angaben zu Bieter“ dar und war damit nicht
gesondert in die Bekanntmachung aufzunehmen.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5
Satz 1 EG VOL/A auch nicht in der Forderung nach Eignungsnachweisen zu den im
Auftragsfall vorgesehenen Nachunternehmern. Angaben zu Umsätzen und Refe-
158
renzen hatte der Antragsgegner in Ziffer III.2.2 der Bekanntmachung explizit
gefordert. Die Forderung nach Angaben zu Umsätzen und Referenzen auch in
Bezug auf die Nachunternehmer musste der Antragsgegner nicht gesondert
in der Bekanntmachung aufführen. Soweit nämlich der Auftraggeber für den
Fall eines Nachunternehmereinsatzes den Nachweis der Leistungsfähigkeit des
Nachunternehmers verlangt, handelt es sich im Rechtssinn schon um keinen
zusätzlich beizubringenden Nachweis. Mittels der Beauftragung eines Nachunternehmers will der Bieter einen Teil der vertraglichen Leistungen nicht selbst erbringen,
sondern durch einen Dritten ausführen lassen. Im Umfang einer beabsichtigten Nachunternehmerbeauftragung hat er folglich nicht die eigene Eignung und Leistungsfähigkeit, sondern – und zwar grundsätzlich anhand derselben Anforderungen, die vom
Auftraggeber für den Nachweis der eigenen Leistungsfähigkeit des Bieters aufgestellt
worden sind – die Leistungsfähigkeit des dritten Nachunternehmers nachzuweisen,
was in einem solchen Fall den Nachweis des Bieters ersetzt, im eigenen Unternehmen
für den betreffenden Leistungsteil leistungsfähig zu sein (OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 22.12.2004 – Verg 81/04).
Aus dem gleichen Grund geht auch der Vortrag der Antragstellerin fehl, die Antragsgegnerin habe Angaben zu Umsätzen und Referenzen in Bezug auf Nachunternehmer
auch in der Sache gar nicht erst fordern dürfen. Sofern die Antragstellerin meint, sie
könne die geforderten Angaben zu Umsätzen und Referenzen ihrer Nachunternehmer
nicht leisten, rechtfertigt dies keine abweichende Bewertung. Zum einen ist sie, sofern
sie auf die xxx zurückzugreifen gedenkt, privilegiert. Im Übrigen hat die Auftraggeberin
auch klargestellt, dass sich die Vergleichbarkeit der Umsätze und Referenzen lediglich
auf den Teil der Leistung beschränkt, die der betreffende Nachunternehmer im Auftragsfall jeweils faktisch übernimmt.
12.2
Liste von Eignungsnachweisen in Vergabeunterlagen
89 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.11.2012 –
Verg 8/12 (Wartung, Pflege- und Weiterentwicklung)
Der Antragsgegner musste bzw. durfte das Angebot der Beigeladenen auch deshalb nicht vom weiteren Vergabeverfahren ausschließen, weil er die vorzulegenden
Eignungsnachweise nicht in einer abschließenden Liste gemäß § 9 Abs. VOL/A-EG
aufgeführt hat. Der „Kriterienkatalog“ (Anhang 1 zum Angebotsvordruck) ist entgegen der Auffassung der Vergabekammer keine abschließende Liste im Sinne von § 9
Abs. 4 VOL/A-EG. Sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und Zweck der Norm
gebieten, dass der Auftraggeber sämtliche verlangten Nachweise – gleichviel,
ob es sich um Eignungs- oder um sonstige Nachweise handelt –, nochmals
gesondert in einer zusammenfassenden Liste aufzuführen und diese spätestens mit den Vergabeunterlagen bekannt zu geben hat. Eine solche nochmalige,
gesonderte Zusammenfassung neben dem „Kriterienkatalog“ fehlt. Rechtsfolge
159
und gebotene vergaberechtliche Sanktion einer unterlassenen Aufstellung und
Bekanntgabe einer abschließenden Liste nach § 9 Abs. 4 VOL/A-EG ist, dass
Nachweise dann als nicht wirksam vom Öffentlichen Auftraggeber gefordert
anzusehen sind, dass Bieter aus der Bekanntmachung und/oder den Vergabeunterlagen hervorgehende Nachweise nicht vorzulegen haben, und Angebote
wegen Fehlens geforderter Nachweise von der Wertung nicht ausgenommen werden
dürfen (siehe: Senat, Beschluss vom 3.8.2011 – VII-Verg 30/11, juris, und Beschluss
vom 23.5.2012 – VII-Verg 4/12, juris). Dass daraus resultierend gegebenenfalls das
„Eignungsniveau“ zugunsten eines oder mehrerer Bieter reduziert wird, weil im
Ergebnis auf das Vorliegen von Eignungsanforderungen verzichtet wird bzw. werden
muss, wie die Antragstellerin beanstandet, ist eine sowohl vom Auftraggeber als auch
vom unterliegenden Bieter hinzunehmende Folge der Entscheidung des Normgebers,
dem gemeinschaftsrechtlichen Transparenzgebot Geltung zu verschaffen. Im Übrigen
verkennt die Antragstellerin in diesem Zusammenhang, dass die Beigeladene dem
Antragsgegner nicht angeboten hat, die erforderlichen fachspezifischen Kenntnisse
im Bereich der europäischen Arzneimittelzulassungsverfahren erst nach dem vorgesehenen Vertragsbeginn zu erwerben. Vielmehr hat die Beigeladene mit Schreiben vom
27.1.2012 angeboten, diese Kenntnisse noch vor Vertragsbeginn zu erwerben, so dass
diese zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsbeginns am 1.4.2012 gegeben sind.
b) Der Antragsgegner musste das Angebot der Beigeladenen auch nicht gemäß § 19
Abs. 3 a) VOL/A-GG vom weiteren Vergabeverfahren ausschließen, weil sie wirksam geforderte Erklärungen, nämlich die „Zusage der in der Leistungsbeschreibung geforderten Erreichbarkeit einschließlich der garantierten Reaktionszeiten“
und die „Zusage zur Wochenend-, Feiertags- und Nachtarbeit“, nicht vorgelegt
hat. Wie die Vergabekammer im Ausgangspunkt zutreffend ausgeführt hat, rechtfertigte die Nichtvorlage noch keinen Ausschluss bzw. eine Zuschlagserteilung,
weil der Antragsgegner das ihm gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG zukommende
Nachforderungsermessen ausweislich der Vergabeakte noch nicht ausgeübt hatte.
Ob der Auftraggeber sein Ermessen vorab – wozu die Vergabekammer wohl neigt
– in der Weise ausüben kann, dass er die in § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG vorgesehene Möglichkeit, im Rahmen des ihm zukommenden Ermessens Erklärungen
und Nachweise innerhalb einer zu bestimmenden Nachfrist beim Bieter nachzufordern, bereits in den Vergabeunterlagen ausschließt, kann dahingestellt bleiben.
Der Auftraggeber ist jedenfalls verpflichtet, das ihm rechtlich eingeräumte
Ermessen in Kenntnis des vollständigen Sachverhalts und aller Umstände
pflichtgemäß auszuüben, nachdem ein Bieter geforderte Erklärungen und
Nachweise nicht vorgelegt hat. Eine dahingehende Ermessensausübung
hatte noch nicht stattgefunden. Damit kommt es auf die weiteren Erwägungen
der Vergabekammer zur rechtlichen Wirkung des Hinweises des Antragsgegners
auf Seite 3 des Aufforderungsschreibens – näher konkretisiert unter Ziffer 11 der
Leistungsbeschreibung – , wonach das Fehlen dieser Unterlagen bzw. Angaben
zwingend zum Ausschluss des Angebots führen soll, nicht mehr an.
160
Ein Angebotsausschluss wäre vorliegend nur in Betracht gekommen, wenn sich der
Antragsgegner innerhalb des ihm eingeräumten und nur eingeschränkt überprüfbaren
Ermessens entweder entschieden hätte, die fehlenden Erklärungen nicht nachzufordern oder die Beigeladene auf eine Nachforderung die fehlenden Erklärungen gleichwohl nicht vorlegt hätte. Der Antragsgegner hat die Beigeladene jedoch noch im Verlauf
des Beschwerdeverfahrens unter Berücksichtigung der Begründung des Beschlusses
der Vergabekammer zur Vorlage der beiden fehlenden Erklärungen aufgefordert und
damit das ihm durch § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A-EG eingeräumte Ermessen pflichtgemäß
ausgeübt. Nach dem Vorliegen der Nachweise hat er die Angebotswertung mit dem
Ergebnis wiederholt, dass der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen
ist. Dies ist nicht zu beanstanden.
12.3
Wettbewerbsoffene Ausgestaltung von Eignungsanforderungen
90 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2012 –
Verg 108/11 (Briefdienstleistungen)
B. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist begründet, denn der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig, aber unbegründet.
Entgegen der Auffassung der Vergabekammer musste die Antragsgegnerin die Beigeladene nicht gemäß § 97 Abs. 4 S. 1 GWB, § 19 Abs. 5 VOL/A EG wegen fehlender
Eignung von der Vergabe ausschließen, weil sie nicht die in der Vergabebekanntmachung in Verbindung mit der Leistungsbeschreibung geforderten drei vergleichbaren
Referenzen vorgelegt hat. Es ist nämlich im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die
Antragsgegnerin es der Beigeladenen ermöglicht hat, über die drei schon mit dem
Angebot eingereichten Referenzen eine weitere Referenz zum Nachweis ihrer
Eignung nachzureichen.
Die Antragsgegnerin durfte gemäß Art. 44 Abs. 2 S. 1, 48 Abs. 2, 6 RL 2004/18/EG,
§ 97 Abs. 4 S. 1 GWB i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 1 VOL/A EG von den potentiellen Bietern
Nachweise ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit verlangen. Sie
hatte gemäß Art. 48 Abs. 6 RL 2004/18/EG, § 7 Abs. 5 S. 1 VOL/A EG in der Bekanntmachung oder in der Aufforderung zur Angebotsabgabe anzugeben, welche Nachweise vorzulegen waren. In welcher konkreten Weise der Nachweis erfolgen konnte,
ergibt sich aus Art. 48 Abs. 2 RL 2004/18 EG, § 7 Abs. 3 VOL/A EG. Es ist daher nicht
zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin in Punkt III.2.3) der Bekanntmachung von
den potentiellen Bietern zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit die Vorlage
von drei mit den Auftragsgegenstand im Hinblick auf Leistungsgegenstand, Auftragsvolumen und Leistungsstellen vergleichbaren Unternehmensreferenzen mit jeweils
mindestens zwölf Monaten Laufzeit verlangt hat. Dem steht nicht entgegen, dass in
der Leistungsbeschreibung unter der Ziffer 8.3 näher ausgeführt wurde, dass bei der
Einreichung von mehr als drei Referenzen nur die Referenzen mit den Nummern 1
161
bis 3 in die Bewertung einbezogen würden. Diese Erläuterung konkretisiert nur die in
der Bekanntmachung angegebenen Erfordernisse zum Nachweise der Eignung. Sie
führt dagegen nicht zu einer unzulässigen Änderung oder Ergänzung, die die gestellten Anforderungen verschärft, erleichtert oder zurücknimmt (siehe dazu: Hänsel in
Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2011, § 7 VOL/A EG, Rn. 17 m.w.N; OLG München,
Beschluss vom 15.3.2012, Verg 2/12, juris, Rn. 60 m.w.N.).
Gleichwohl ist diese Regelung unter Ziffer 8.3 der Leistungsbeschreibung vergaberechtlich zu beanstanden, so dass es nicht auf die zwischen den Beteiligten
streitige Frage ankommt, zu welchem Zeitpunkt die Referenzen vorzulegen waren.
Der Umstand, dass die Antragsgegnerin unabhängig von der Anzahl der von
einem Bieter vorgelegten Referenzen, die Anzahl der in der Eignungsprüfung
zu berücksichtigenden Referenzen auf drei Stück beschränkt und sogar nur die
drei Referenzen berücksichtigen will, die vom Bieter mit den Nummern 1, 2
und 3 bezeichnet worden sind, verstößt gegen vergaberechtliche Grundsätze,
insbesondere aber gegen den Wettbewerbsgrundsatz aus § 97 Abs. 1 GWB. Die
Regelung unter Ziffer 8.3 hat einen abschreckenden Effekt auf die Bieter. Diese legen
dann in der Regel nicht mehr als drei Referenzen vor, um ihre Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachzuweisen. Daraus resultiert, dass die Eignungsprüfung
durch den Auftraggeber auf einer schmalen Tatsachengrundlage erfolgt. Legen Bieter
dagegen mehr als drei Referenzen vor und werden nur drei Referenzen bewertet, wird
der Eignungsprüfung durch den Auftraggeber fehlerhaft nicht der vollständige, mit
dem Angebot unterbreitete Sachverhalt zu Grunde gelegt. Dieser Wertungsmangel
wird dadurch verstärkt, dass nur die Referenzen berücksichtigt werden, die der Bieter
mit den Nummern 1, 2 und 3 bezeichnet hat.
Diese vergaberechtlichen Verstöße haben sich bei der Beigeladenen ausgewirkt.
Diese hat nur drei Referenzen vorgelegt, obwohl sie über mehr als drei Referenzen
verfügte, womit der abschreckende Effekt der Regelung belegt wird. Die Referenz
Nummer 2 war jedoch nicht vergleichbar im geforderten Sinn, weil der Auftrag nur ein
durchschnittliches tägliches Sendungsvolumen von unter 10% des in der Bekanntmachung genannten Sendungsvolumens aufwies, so dass die Antragsgegnerin, gestützt
auf eine unzureichende Tatsachengrundlage, zunächst beabsichtigte, die Beigeladene
auszuschließen und den Zuschlag der Antragstellerin zu erteilen.
Aufgrund der vergaberechtlichen Verstöße müsste das Vergabeverfahren richtigerweise
zurückversetzt, die Leistungsbeschreibung geändert, die Änderung gegenüber den Bietern bekannt gemacht und diese zur Erneuerung der Referenzen aufgefordert werden.
Anschließend müsste die Antragsgegnerin die Eignungsprüfung erneut durchführen.
Die Antragsgegnerin hat im Vergabeverfahren jedoch einen anderen Weg beschritten
und der Beigeladenen ermöglicht, weitere Referenzen nachzureichen, was sie unter
Hinweis auf § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A EG zu rechtfertigen versucht.
162
Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, liegt insoweit jedoch kein Fall des
§ 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A EG vor. Nach dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A EG
gilt die Nachforderungsmöglichkeit nur für fehlende, auf Aufforderung des Auftraggebers bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegte Erklärungen und Nachweise,
nicht aber für nicht den Vorgaben des Auftraggebers entsprechende Erklärungen und
Nachweise. Ein Nachweis fehlt, wenn er entweder nicht vorgelegt worden ist oder
formale Mängel aufweist. Der Auftraggeber ist nicht gefordert, im Rahmen der Prüfung, ob die Angebote formal vollständig sind, eine materiellrechtliche Prüfung der mit
dem Angebot vorgelegten Unterlagen vorzunehmen. Daraus folgt, dass eine Nachforderungspflicht – und folglich auch ein Nachforderungsrecht – des Auftraggebers im
Hinblick auf körperlich vorhandene Erklärungen oder Nachweise nur besteht, wenn
sie in formaler Hinsicht von den Anforderungen abweichen (so auch: Senat, Beschluss
vom 17.3.2011 – VII Verg 56/10, juris, Rn. 47; Beschluss vom 9.5.2011 – VII Verg 40/11,
juris, Rn. 92 ; OLG München, Beschluss vom 15.3.2012 – Verg 2/12, juris, Rn. 67f; OLG
Koblenz, Beschluss vom 30. März 2012 – 1 Verg 1/12, juris, Rn. 28).
Die von der Beigeladenen vorgelegte Referenz 2 entsprach den formalen Voraussetzungen an eine vorzulegende Referenz und war im Rahmen der formellen Eignungsprüfung nicht zu beanstanden. Sie war aber mangels Vergleichbarkeit im Rahmen
der materiellen Eignungsprüfung zu beanstanden und musste wegen Nichterreichens
der erforderlichen Mindestpunktzahl grundsätzlich zum Ausschluss des Angebots der
Beigeladenen führen (§ 97 Abs. 4 S. E GWB, § 19 Abs. 5 VOL/A EG), ohne dieser die
Möglichkeit zu eröffnen, „nachzubessern“. Auch aus § 7 Abs. 13 VOL/A EG ergibt
sich nichts anderes. Diese Norm bezieht sich nur auf bereits vorgelegte Nachweise
und deren Vervollständigung oder Erläuterung, nicht aber auf deren Austausch durch
andere, „bessere“ Nachweise.
Gleichwohl ist die Vorgehensweise der Antragsgegnerin vergaberechtlich nicht zu
beanstanden. Insoweit ist von der Vergabekammer übersehen worden, dass die
Antragsgegnerin bei einer objektiven Betrachtung durch ihre Vorgehensweise das
Vergabeverfahren zumindest gegenüber der Beigeladenen zurückversetzt und den in
Ziffer 8.3 der Leistungsbeschreibung gemachten Fehler objektiv behoben hat, wenngleich sich die Antragsgegnerin dies subjektiv so nicht vorgestellt hat, weil sie der
Beigeladenen ein Nachreichen im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 1 VOL/A EG ermöglichen
wollte. Auf die subjektive Vorstellung der Antragsgegnerin kommt es jedoch nicht
an, weil es bei der rechtlichen Beurteilung von Vorgängen im Vergabeverfahren nicht
maßgeblich ist, wie der Handelnde sie verstanden hat, sondern entscheidend ist die
objektive Bedeutung der Handlung oder Erklärung.
Die Verfahrensweise der Antragsgegnerin verstößt allerdings gegen den Grundsatz
des transparenten Vergabeverfahrens (§ 97 Abs. 1 GWB), weil sie gegenüber der
Antragstellerin den Inhalt des Gesprächs ihres zuständigen Mitarbeiters mit dem
Geschäftsführer der Beigeladenen und die eingeräumte Möglichkeit zur Nachreichung
von Referenzen nicht offen gelegt hatte. Des Weiteren stellte sich die Vorgehensweise
163
der Antragsgegnerin angesichts der internen Vorgaben, unter denen einem Bieter die
Möglichkeit zur Vorlage einer Ersatzreferenz gegeben werden sollte, als ermessensfehlerhaft dar, unter anderem weil nur früheren Auftragnehmern – unter weiteren
Bedingungen – die Möglichkeit zur Nachreichung von Referenzen gegeben werden
sollte. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin verletzt die Antragstellerin aber nicht
in ihren Rechten. Insbesondere verstößt die Verfahrensweise der Antragsgegnerin
nicht gegen das Diskriminierungsverbot/den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs.
2 GWB). Die Antragstellerin ist durch die der Beigeladenen eröffnete Möglichkeit
zur Nachreichung von Referenzen nicht in ihren Auftragschancen schlechter gestellt
worden. Wäre das Vergabeverfahren in transparenter Weise zurückversetzt und die
Leistungsbeschreibung geändert worden, hätte sich die Antragstellerin in der gleichen
Situation befunden. Die Beigeladene hätte die noch fehlende vergleichbare Referenz
nachreichen können, beiden Bietern wäre die geforderte Eignung zuerkannt worden,
und die Beigeladene hätte den Zuschlag erhalten müssen, weil sie das preisgünstigste
Angebot abgegeben hatte.
Soweit die Antragstellerin beanstandet hat, bei der von der Beigeladenen nachgereichten Referenz der ###### handele es sich um die Referenz einer Bietergemeinschaft, ergibt sich aus den von dieser vorgelegten Unterlagen in Verbindung mit der
Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 18.7.2012, dass die Beigeladene sich
zum Nachweis ihrer Eignung nur auf den von ihr im Rahmen der Bietergemeinschaft
erbrachten Leistungsanteil berufen hat, so dass die Referenz als vergleichbar im Sinne
der Vergabebekanntmachung anzusehen ist.
91 EuGH, Urteil vom 18.10.2012 – Rs. C-218/11 (Édukövízig)
Zur ersten und zur zweiten Frage
(…)
Nach Art. 44 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2004/18 kann der öffentliche Auftraggeber Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit
gemäß Art. 47 dieser Richtlinie stellen. Dieser Artikel sieht in Abs. 1 Buchst. b vor,
dass der öffentliche Auftraggeber von den Bewerbern und Bietern u. a. verlangen
kann, die Leistungsfähigkeit durch Vorlage ihrer Bilanz nachzuweisen.
Es ist jedoch festzustellen, dass Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und
finanzielle Leistungsfähigkeit nicht unter Bezugnahme auf die Bilanz im Allgemeinen
festgelegt werden können. Die Befugnis aus Art. 44 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie
2004/18 kann daher, soweit es sich um Art. 47 Abs. 1 Buchst. b handelt, nur unter
Bezugnahme auf ein oder mehrere bestimmte Elemente der Bilanz ausgeübt werden.
Bei der Wahl dieser Elemente belässt Art. 47 der Richtlinie 2004/18 den öffentlichen
Auftraggebern verhältnismäßig viel Freiheit. Im Gegensatz zu Art. 48 dieser Richtlinie, mit dem hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit
164
ein geschlossenes System eingeführt wird, das die Bewertungs- und Prüfungsmethoden, über die diese Auftraggeber verfügen, und damit ihre Möglichkeiten zum Aufstellen von Anforderungen begrenzt (vgl. zu den entsprechenden
Bestimmungen der der Richtlinie 2004/18 vorausgegangenen Richtlinien Urteil vom
10. Februar 1982, Transporoute et travaux, 76/81, Slg. 1982, 417, Randnrn. 8 bis 10 und
15), gestattet es Art. 47 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18 den öffentlichen Auftraggebern ausdrücklich, zu bestimmen, welche Nachweise für ihre wirtschaftliche
und finanzielle Leistungsfähigkeit die Bewerber oder Bieter vorzulegen haben.
Da Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 auf deren Art. 47 Bezug nimmt, besteht
die gleiche Wahlfreiheit auch bei der Bestimmung der Mindestanforderungen
an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit.
Die Wahlfreiheit ist jedoch nicht unbegrenzt. Nach Art. 44 Abs. 2 Unterabs. 2 der
Richtlinie 2004/18 müssen nämlich die Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und ihm angemessen sein.
Daraus folgt, dass die von einem öffentlichen Auftraggeber zur Festlegung von Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gewählten
Elemente der Bilanz objektiv geeignet sein müssen, über diese Leistungsfähigkeit
eines Wirtschaftsteilnehmers Auskunft zu geben, und dass die in dieser Weise festgelegte Schwelle der Bedeutung des betreffenden Auftrags in dem Sinne angepasst
sein muss, dass sie objektiv einen konkreten Hinweis auf das Bestehen einer zur
erfolgreichen Ausführung dieses Auftrags ausreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Basis ermöglicht, ohne jedoch über das hierzu vernünftigerweise erforderliche
Maß hinauszugehen.
Da die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Jahresabschluss der Gesellschaften nicht vollständig harmonisiert worden sind, kann nicht ausgeschlossen
werden, dass zwischen ihnen Unterschiede hinsichtlich eines bestimmten Elements
der Bilanz bestehen, unter Bezugnahme auf das ein öffentlicher Auftraggeber Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit festgelegt hat. Es ist jedoch festzustellen, dass in die Richtlinie 2004/18, wie sich aus dem Wortlaut ihres Art. 47 Abs. 1
Buchst. b und c und 5 ergibt, auch der Gedanke eingeflossen ist, dass ein öffentlicher
Auftraggeber auch dann berechtigt ist, einen Nachweis für die wirtschaftliche und
finanzielle Leistungsfähigkeit der Bewerber oder Bieter zu verlangen, wenn nicht jeder
potenzielle Bewerber oder Bieter zu seiner Erbringung objektiv in der Lage ist, sei es
auch – im Fall des Abs. 1 Buchst. b – wegen unterschiedlicher Rechtsvorschriften.
Eine solche Anforderung kann somit für sich genommen nicht als diskriminierend
angesehen werden.
Das Kriterium der Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle
Leistungsfähigkeit kann infolgedessen grundsätzlich nicht allein deshalb außer
Betracht bleiben, weil diesen Anforderungen durch Nachweise bezüglich eines
Elements der Bilanz entsprochen werden muss, das in den Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten möglicherweise unterschiedlich ausgestaltet ist.
165
(…)
Zur dritten Frage
Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob Art. 47 der Richtlinie 2004/18
dahin auszulegen ist, dass es, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer wegen Unterschieden
in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen er bzw. der öffentliche Auftraggeber ansässig ist, einer Mindestanforderung an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit hinsichtlich eines Bilanzpostens nicht entsprechen kann, unter
Bezugnahme auf den diese Mindestanforderung an die Leistungsfähigkeit festgelegt
wurde, ausreicht, dass sich dieser Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels auf die Kapazitäten eines anderen Unternehmens stützen kann, oder ob
ihm gestattet werden muss, den Nachweis seiner finanziellen und wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit im Sinne von Abs. 5 dieses Artikels durch Vorlage jedes anderen
geeigneten Belegs zu erbringen.
In einem solchen Fall resultiert das Unvermögen einer Tochtergesellschaft, Mindestanforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu genügen,
die unter Bezugnahme auf eine bestimmte Angabe in der Bilanz festgelegt wurden,
letztlich nicht aus einer Divergenz der Rechtsvorschriften, sondern aus einer Entscheidung der Muttergesellschaft, aufgrund deren die Tochtergesellschaft verpflichtet ist,
systematisch alle Gewinne an die Muttergesellschaft abzuführen.
In einem solchen Kontext verfügt die Tochtergesellschaft nur über die in Art. 47
Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 vorgesehene Möglichkeit, sich auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines anderen Unternehmens zu stützen,
indem sie dessen Zusage vorlegt, ihr die erforderlichen Mittel zur Verfügung
zu stellen. Es ist festzustellen, dass diese Möglichkeit einem solchen Kontext
besonders gut angepasst ist, da die Muttergesellschaft auf diese Weise das von
ihr verursachte Unvermögen ihrer Tochtergesellschaft, Mindestanforderungen
an die Leistungsfähigkeit zu entsprechen, selbst beheben kann.
(…)
13. Tariftreue-/Mindestlohnbestimmungen
92 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.07.2012 –
11 Verg 6/12 (Reinigungsdienstleistungen)
aa) Wie schon die Vergabekammer zu Recht festgestellt hat, ist die von dem
Antragsgegner in den Verdingungsunterlagen unter Ziff. 8 der Ergänzung zur
Angebotsaufforderung vorgenommene Verknüpfung von einem Mindeststundenverrechnungssatz und einem zwingendem Ausschluss eines Ange-
166
bots bei dessen Nichteinhaltung vergaberechtswidrig. Die Festlegung eines
Automatismus, wonach ein Angebot bei Unterschreitung der vorgegebenen
Mindestsätze ohne weitere Prüfung von der Wertung auszuschließen ist,
führt einen eigenständigen Ausschlussgrund in das Vergabeverfahren ein,
der in der VOL/A-EG in dieser Form nicht geregelt ist und den Bieter zudem
in seiner Kalkulationsfreiheit beschränkt; beides ist vergaberechtswidrig [vgl. VK
Bund, Beschl. v. 4.7.2011 – VK 2 – 61/11 – Rn. 79; Beschl. v. 27.12.2011 – VK 1 –
159/11 – Rn. 70; s. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2010 – VII Verg 33/10 –
Rn. 25]. Somit kommt es aus vergaberechtlichen Gründen nicht in Betracht, Bieter
automatisch wegen des Unterschreitens einer pauschal vorgegebenen Kalkulationsschwelle bzw. Mindeststundenverrechnungssatzes im Sinn der Vergabeunterlagen auszuschließen.
bb) Ist aber ein solcher Automatismus in Verbindung mit der Vorgabe einer Kalkulationsschwelle vergaberechtlich unzulässig, weil er die grundsätzliche Kalkulationsfreiheit der Bieter, die sich letztlich aus dem in § 97 Abs. 1 GWB ergebenden
Wettbewerbsprinzip ergibt, beschränkt, so können auch nicht einzelne Bestandteile eines Angebots, wie hier ein Skonto, bei der Wertung unberücksichtigt bleiben, soweit hierdurch eine vom Antragsgegner vergaberechtswidrig festgesetzte
Kalkulationsschwelle unterschritten wird.
Aus der von der Antragstellerin angeführten Entscheidung des OLG Düsseldorf
(Beschl. V. 25.04.2007, VII Verg 3/07) ergibt sich nichts anderes. Dort war ein Angebot
ausgeschlossen worden, weil die Überprüfung der Kalkulation ergeben hatte, dass die
Einhaltung der Mindestlöhne nicht gewährleistet ist. Eine solche Überprüfung war hier
zugunsten eines – unzulässigen – Automatismus gerade nicht vorgesehen.
c) Der Senat hat die Vergaberechtswidrigkeit der Vergabebedingungen insoweit von
Amts wegen zu berücksichtigen, obwohl sich die Beigeladene nicht am Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren beteiligt und die Vergaberechtswidrigkeit nicht
gerügt hat. Zwar ist der Vergabesenat nicht verpflichtet, von sich aus das Vergabeverfahren in jeder Hinsicht auf nicht geltend gemachte Verstöße zu untersuchen.
In der Rechtsprechung der Vergabesenate ist jedoch auch anerkannt, dass in
Ausnahmefällen die Verhandlung und Entscheidung auch Vergabeverstöße einbeziehen muss, die nicht gerügt worden sind. Das trifft insbesondere dann zu, wenn
ein Zuschlag wegen offensichtlicher Intransparenz oder eines Diskriminierungspotentials der Vergabeunterlagen nicht vergaberechtskonform erteilt werden könnte
(Wiese in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 120 Rn. 26). So liegt
der Fall auch hier. Eine vergaberechtskonforme Wertung ist nur möglich, wenn
die intransparente Klausel in Ziff. 8 durch eine von allen Bietern in gleicher Weise
verständliche, wettbewerbskonforme Regelung ersetzt wird.
3. Das Angebot der Beigeladenen kann auch nicht mit dem angebotenen Skonto
vergaberechtskonform gewertet und daraufhin überprüft werden, ob die Beige-
167
ladene trotz Unterschreitung des Mindestverrechnungssatzes die Gewähr für die
Zahlung des Tariflohns bietet.
a) Keinen vergaberechtlichen Bedenken begegnet es zwar, wenn ein Auftraggeber
bereits in den Vergabeunterlagen Aufgreifschwellen angibt, bei deren Erreichen
die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes im Rahmen der Angebotsaufklärung
näher untersucht wird (VK Bund, Beschl. v. 27.12.2011 VK 1 – 159/11; Beschl. v.
10.6.2011, VK 3 – 56/11). Prüfungsmaßstab für einen daraufhin möglichen Angebotsausschluss muss indes bleiben, ob ein Bieter plausibel darlegen kann, dass
er trotz Überschreitens der Aufgreifschwelle seiner gesetzlichen Verpflichtung
zur Zahlung des Mindestlohnes nachkommen wird und nicht – wie hier – eine
Preisvorgabe, bei der automatisch eine zum Angebotsausschluss führende Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes angenommen wird (VK Bund a.a.O.).
b) Selbst wenn Ziff. 8 der Ergänzung zur Angebotsaufforderung – entgegen dem
eindeutigen Wortlaut und dem eindeutigen Willen des Antragsgegners – als
Bestimmung einer Aufgreifschwelle ausgelegt werden könnte, kommt eine Überprüfung des Angebots der Beigeladenen unter Berücksichtigung des angebotenen Skontos auf die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns im vorliegenden
Fall nicht in Betracht, weil damit eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung
der anderen Bieter und insbesondere der Antragstellerin verbunden wäre. Würde
die vorzunehmende Aufklärung ergeben, dass die Beigeladene trotz Unterschreitens der von dem Antragsgegner genannten Preisvorgabe so kalkuliert hat, dass
sie dennoch die Gewähr für die Einhaltung des Mindestlohns bietet, hätte sie das
günstigste Angebot abgegeben und wäre ihr der Zuschlag zu erteilen. Dadurch
würden die anderen Bieter benachteiligt, die – wie die Antragstellerin – davon ausgegangen sind, dass sie die Preisvorgabe des Antragsgegners nicht – auch nicht
durch Anbieten eines Skontos – unterschreiten dürfen, weil ihnen andernfalls der
Ausschluss droht. Die Antragstellerin hat nachvollziehbar vorgetragen, sie habe so
kalkuliert, dass sie die von dem Antragsgegner vorgegebene Preisvorgabe gerade
einhalte und habe sich deswegen am Angebot eines Skontos gehindert gesehen
(zu einer ähnlichen Konstellation vgl. VK Bund, Beschl. v. 4.7.2011, VK 2 – 61/11).
Hätte die Antragstellerin dagegen davon ausgehen können, dass ihr Angebot
jedenfalls nicht automatisch ausgeschlossen wird, wenn sie zusätzlich ein Skonto
anbietet, so hätte dies ihre Zuschlagschancen erhöht.
4. Der Verstoß gegen § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Abs. 1 VOL/A verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB. Das vergaberechtliche Gebot der
Transparenz in seiner Ausprägung als Gebot der Klarheit der Vergabeunterlagen
ist bieterschützend (VK Bund a.a.O, m.w.N.).
Stehen mehrere Angebote auf der Grundlage eines jeweils verschiedenen vertretbaren Auslegungsergebnisses miteinander im Wettbewerb, so kann dar-
168
aus eine dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechende
Vergabeentscheidung nicht mehr abgeleitet werden (OLG Schleswig a.a.O.).
Insbesondere kann der Vergabeverstoß – wie dargelegt – nicht dadurch beseitigt
werden, dass das Angebot der Beigeladenen ausgeschlossen oder ohne Skonto
gewertet wird. Da der Antragsgegner in seinem Aufforderungsschreiben eine in
mehrfacher Hinsicht unklare und damit rechtswidrige Formulierung verwandt
und die Antragstellerin damit in ihren Rechten verletzt hat, ist das Vergabeverfahren in das Stadium vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, um dem Antragsgegner Gelegenheit zu geben, die Vergabeunterlagen im
Hinblick auf eine als solche gekennzeichnete Aufgreifschwelle neu zu gestalten und
um andererseits allen Bietern Gelegenheit zu geben, Angebote auch unterhalb des
Schwellenwertes abzugeben, ohne dadurch einen automatischen Ausschluss befürchten zu müssen. Dabei empfiehlt es sich gegebenenfalls klarzustellen, inwieweit Skonti
bei der Prüfung der „Auskömmlichkeit“ eines Angebotes berücksichtigt werden.
14. Zulassung/Ausschluss von Nebenangeboten
93 VK Sachsen, Beschluss vom 05.03.2012 –
1/SVK/003-12 (Technisches Zentrum)
Der Antrag der Antragstellerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB
war festzustellen.
Die von der Antragstellerin vorgetragenen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des
Wertungsvorganges greifen nur zum Teil. Die Vergabekammer hat nicht festgestellt,
dass das Angebot der Beigeladenen wegen Unvollständigkeit der Nachunternehmererklärungen auszuschließen sei (a). Ebenso hat die Auftraggeberin in Übereinstimmung mit den vergaberechtlichen Vorschriften keine Auskömmlichkeitsprüfung
durchgeführt (b). Auch der Ausschluss der Nebenangebote 2, 3, 5 und 6 begegnet
keinen vergaberechtlichen Bedenken (c). Schließlich hat die Vergabekammer keine
Vergaberechtsverstöße bei der Wertung der Angebote im nunmehr 3. Wertungsvorgang festgestellt (d).
c) Kein fehlerhafter Ausschluss der Nebenangebote
Der Ausschluss der Nebenangebote 2, 3, 5, und 6 erfolgte vergaberechtskonform.
aa) Die Nebenangebote 2, 5 und 6 waren deshalb zwingend von der weiteren Wertung auszuschließen, weil sie sich auf Positionen bezogen haben, für die nach den
Vergabeunterlagen keine Nebenangebote zugelassen waren.
169
Im Anwendungsbereich der Sektorenverordnung können nach § 8 Abs. 1 SektVO
Nebenangebote zugelassen werden. Die muss nach § 8 Abs. 2 SektVO in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen angegeben werden. Fehlt eine entsprechende
Angabe in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen, so sind nach § 8 Abs.
3 SektVO keine Angebote zugelassen.
Zwar war hier in der europaweiten Bekanntmachung des gegenständlichen Auftrages vom 02.11.2011 noch angegeben, dass Nebenangebote nicht zugelassen werden
sollen. Dies wurde allerdings von der Auftraggeberin mit neuerlicher europaweiter
Vergabebekanntmachung vom 10.11.2011 dahingehend geändert, dass Varianten nun
zulässig sein sollten. In den Vergabeunterlagen war die Möglichkeit der Abgabe von
Nebenangeboten weiter eingeschränkt. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe
(Formblatt 211EG) war dazu festgelegt, dass Nebenangebote zu Los 3 nur für Zimmerer- und Dachabdichtungsarbeiten: Titel 02, Untertitel 1 bis 3 und 5 bis 6 zugelassen
werden.
Eine solche Einschränkung ist grundsätzlich zulässig. Der Auftraggeber kann
durch eindeutige Formulierungen in den Vergabeunterlagen klarstellen, dass
bestimmte Festlegungen des Leistungsverzeichnisses verbindlich sind und
Nebenangebote hierzu nicht zugelassen werden. Die Festlegung im Formblatt
211EG der Aufforderung zur Angebotsabgabe war auch nicht deswegen „überholt“,
weil die zweite Bekanntmachung, in der Nebenangebote erst zugelassen worden
waren, der Versendung der Vergabeunterlagen zeitlich nachfolgte. Die Auftraggeberin
hätte, wenn die Auffassung der Antragstellerin richtig wäre, dann auch die Vergabeunterlagen selbst ändern müssen, damit es nicht zu einem inhaltlichen Dissens zwischen
Bekanntmachung und Vergabeunterlagen kommt. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Zudem
ist es im Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie möglich, Nebenangebote erst in
den Vergabeunterlagen zuzulassen. Die Sektorenkoordinierungsrichtlinie 2004/17/EG
schreibt in Art. 36 Abs. 1 Unterabsatz 2 vor, dass der Sektorenauftraggeber in den
Spezifikationen angeben muss, ob er Nebenangebote zulässt. Da die Spezifikationen
gemäß Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG auch (noch) in den Auftragsunterlagen
bekannt gegeben werden können, müssen Nebenangebote im Sektorenbereich also
nicht bereits in der Bekanntmachung zugelassen werden.
Damit war die Beschränkung der Zulassung von Nebenangeboten nur für bestimmte
Positionen des Leistungsverzeichnisses wirksam. Nebenangebote, die sich auf andere
Positionen beziehen müssen zwingend von der weiteren Wertung ausgeschlossen
werden und dürfen nicht mehr berücksichtigt werden. Im Anwendungsbereich der
SektVO existiert dazu zwar keine ausdrückliche Regelung, wie dies etwa in der VOL/A
und VOB/A der Fall ist. Allerdings ergibt sich dies aus den übergeordneten Gründen
der Gleichbehandlung und der Transparenz aus Art. 10 Richtlinie 2004/17/EG und § 97
Abs. 1 GWB.
170
94 BGH, Beschluss vom 23.01.2013 –
X ZB 8/11 (Briefdienstleistungen)
2. Ob der Nachprüfungsantrag bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses begründet oder unbegründet war, kann nicht mit der gebotenen Sicherheit beurteilt werden.
b) Bedenken begegnet demgegenüber die Annahme des Beschwerdegerichts,
die Vergabestelle hätte bei richtlinienkonformem Verständnis der einschlägigen
vergaberechtlichen Bestimmungen des nationalen Rechts Nebenangebote nicht
zulassen dürfen, weil als einziges Wertungskriterium der Preis vorgesehen war.
Das Oberlandesgericht leitet diese Auffassung daraus her, dass die Erteilung des
Zuschlags nach Art. 53 VKR entweder ausschließlich nach dem Kriterium des
niedrigsten Preises oder auf das gemäß verschiedener, festgelegter Kriterien
(Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik etc.) wirtschaftlich günstigste Angebot
erfolge, während Art. 24 Abs. 1 VKR so zu verstehen sei, dass Varianten lediglich
bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots
vergeben werden, zugelassen werden dürften, woraus sich im Umkehrschluss
ergebe, dass Varianten bei Vergabe allein nach dem Kriterium des niedrigsten
Preises nicht zugelassen seien.
aa) Keiner abschließenden Beurteilung bedarf in diesem Zusammenhang allerdings,
ob die nach dem Konzept der Vergabeunterlagen im Streitfall ermöglichten modifizierten Angebote Nebenangebote im Sinne der Vergabe und Vertragsordnung
für Leistungen waren, was der Vergabesenat im Gegensatz zur Vergabekammer
bejaht. Dafür spricht, dass rabattierte abweichende Vorsortierungen zwar eine
Mitwirkung der Antragsgegnerin erforderten, aber nicht von dieser vorgegeben,
sondern von den Bietern konzipiert wurden. Eine solche Modifikation des Hauptangebots war jedenfalls als Variante im Sinne von Art. 24 Abs. 1 VKR zuzulassen.
bb) Dem vorlegenden Oberlandesgericht ist auch zuzugeben, dass das Ergebnis
seiner grammatikalischen und systematischen Auslegung der herangezogenen
Richtlinienbestimmungen eine praktikable und vorhersehbare Anwendung der
einschlägigen Regelungen des Gemeinschaftsrechts ermöglicht. Gleichwohl
erscheint fraglich, ob diesem Ergebnis unter Einbeziehung der – in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorrangigen
-teleologischen Auslegung der Vorzug gegeben werden muss. Zweifelhaft
erscheint das deshalb, weil die Anwendung des so verstandenen Gemeinschaftsrechts vergaberechtliche Restriktionen mit sich bringt, die einer
kostengünstigen Beschaffung im Wettbewerb abträglich sein können, ohne
dass gleich oder höher zu bewertende gegenläufige Bieterinteressen diese
erforderten, wie anhand des Gegenstands des vorliegenden Vergabever-
171
fahrens veranschaulicht werden kann. Bei der hier nachgefragten Abholung
der auf eine bestimmte Art und Weise bereitgestellten (vorsortierten) Briefsendungen und ihrer Zustellung handelt es sich um in massenhafter Wiederkehr zu
erbringende homogene Dienstleistungen, bei denen die von den einzelnen Bietern angebotenen Ausführungen sich dementsprechend nicht unterschieden und
die vorgesehene Wertung allein anhand des Preises deshalb sachgerecht war.
Zugleich erscheint es als im Interesse wirtschaftlicher Mittelverwendung berechtigtes Anliegen der Vergabestelle, den Bietern nach Maßgabe festgelegter Mindestvoraussetzungen zu gestatten, Varianten anzubieten. Diese konnten sich nach
der Beschaffenheit des Vergabegegenstands im Streitfall vom Hauptangebot im
Wesentlichen nur in der Abholung der Sendungen bei modifizierter Vorsortierung
unterscheiden, was die Vergabebedingungen auch vorsahen. Dass das Gemeinschaftsrecht der Zulassung von Varianten dann entgegensteht, wenn das
Hauptangebot allein nach dem Preis zu werten ist, insbesondere, wenn die
Beschränkung auf dieses Wertungskriterium nach der Beschaffenheit des
Vergabegegenstands, wie im Streitfall, sachgerecht ist, erscheint deshalb
nicht zwingend. Offen erscheint ferner, ob Varianten, wenn sie unter diesen Voraussetzungen zugelassen werden, ebenfalls strikt nur unter dem Gesichtspunkt
des niedrigsten Preises gewertet werden dürfen. Denn insoweit ist zu bedenken,
dass die von den einzelnen Bietern angebotenen Varianten die Mindestbedingungen auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Maße erfüllen können.
Diese Unterschiede müssten aber ausgeblendet werden, wenn in solchen Fällen
gleichwohl nur der günstigste Preis entscheidend sein soll, was mit dem Gebot
einer wirtschaftlichen Beschaffung schwerlich vereinbar erscheint. Ob es in solchen Fällen mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar wäre,
Hauptangebote nach dem günstigsten Preis zu werten und für die Wertung von
Nebenangeboten zusätzliche Wertungskriterien zu definieren, oder ob sich aus
dem Umstand, dass für Letztere ohnehin Mindestbedingungen festgelegt werden
müssen, ergibt, dass die unterschiedliche Ausgestaltung dieser Mindestbedingungen in den einzelnen angebotenen Varianten auftraggeberseitig auch ohne
zusätzliche Wertungskriterien berücksichtigt werden darf, lässt sich den Regelungen des Gemeinschaftsrechts ebenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen. Der
Senat hätte deshalb vor der Entscheidung des Streitfalls in der Hauptsache den
Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung (Art. 267 Abs.
3 AEUV) ersucht. Für die hier nur noch zu treffende Kostenentscheidung ist der
Ausgang des Verfahrens demnach als offen zu betrachten. Es entspricht daher
der Billigkeit, die Hälfte der Gerichtskosten der Antragstellerin aufzuerlegen und
mit der anderen Hälfte die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu belasten. Eine
Beteiligung der Beigeladenen an der Kostenlast erscheint billig, weil sie sich mit
Anträgen am erst und zweitinstanzlichen Nachprüfungsverfahren beteiligt und als
für die Zuschlagserteilung vorgesehenes Unternehmen ein erhebliches Interesse
am Ausgang des Verfahrens hat.
172
15. Beteiligung von Projektanten am Vergabeverfahren
95 OLG Bremen, Beschluss vom 09.10.2012 – Verg 1/12
(Datenverarbeitung im Bereich Fahrgastinformation)
Ein Ausschluss der Beigeladenen folgt zudem nicht daraus, dass sie als Vertreterin
des ### Mitglied des ### ist.
§ 6 Abs. 7 VOL/A schreibt für unterschwellige Dienstleistungen vor, dass bei einem
Bieter oder Bewerber, der den Auftraggeber vor Einleitung des Vergabeverfahrens
beraten oder sonst unterstützt hat, sicherzustellen ist, dass der Wettbewerb durch
dessen Teilnahme nicht verfälscht wird. Das beruht auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes („Fabricom“, Urt. v. 11.11.2004, C-21/03; C-34/03, BeckRS
2005, 70162), dass auch derjenige, der mit Forschungs-, Erprobungs-, Planungs- oder
Entwicklungsarbeiten für Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen betraut
war, nicht von vornherein von der Beteiligung an der Ausschreibung dieser Leistungen
ausgeschlossen werden darf. Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert vielmehr,
Ihm die Möglichkeit zu geben zu beweisen, dass nach den Umständen des Einzelfalls
die von ihm erworbene Erfahrung den Wettbewerb nicht hat verfälschen können.
Dabei hat der vorliegende Fall die Besonderheit, dass zu den nach der maßgeblichen
Ausschreibung zu erbringenden Leistungen auch gehört, den ### in der Weiterentwicklung des ### zu unterstützen. Die Beigeladene hat somit – unabhängig von ihrer
Tätigkeit im ### – in den letzten fünf Jahren bereits im Rahmen der Vertragserfüllung
umfangreiche Planungs- und Entwicklungsarbeiten geleistet. Damit hatte sie allein
durch die Beauftragung und Durchführung mit dieser „Unterstützungstätigkeit“
eine Nähe zum „###“-Projekt und eine Vertrautheit mit den zu lösenden Problemen
erlangt, die ihr auch ohne Einbindung in den ### als Vertreterin des ### umfangreiche
Informationen über das Projekt verschafft hätten.
Dass ein Wettbewerber, der – wie hier die Beigeladene -bei der vorangegangenen Ausschreibung den Zuschlag erhalten hat, das durch die Leistungserbringung erworbene zusätzliche Know-how bei der nachfolgenden Ausschreibung
nutzen kann, liegt aber in der Natur der Sache. Wer die ausgeschriebene Dienstleistung bereits bislang durchgeführt hat, ist nahezu zwangsläufig besser mit der
Materie vertraut als Außenstehende, die die für das Angebot und die Kalkulation
wesentlichen Informationen den Angebotsunterlagen und eigenen Erfahrungswerten
entnehmen müssen. Dies gilt insbesondere für einen Vertrag der vorliegenden Art,
bei dem der Dienstleister fortlaufend an einer Programmentwicklung mitwirkt. Daraus
kann aber nicht gefolgert werden, dass bei Verträgen dieser Art die Vergabestelle zur
Wahrung der Chancengleichheit gezwungen wäre, den bisherigen Dienstleister aus
der Ausschreibung auszuschließen. Dies wäre weder damit zu vereinbaren, dass auch
dieser Dienstleister Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Auftragsvergabe hat, noch
entspräche es den berechtigten Interessen der Vergabestelle, von Ausschreibung zu
173
Ausschreibung bei Dienstleistungen der vorliegenden Art zu einem Wechsel des Vertragspartners gezwungen zu werden (siehe auch OLG Naumburg, Beschluss vom
05.12.2008, 1 Verg 9/08, BeckRS 2009, 02589, zu II. 3.2.1).
96 OLG München, Beschluss vom 11.04.2013 –
Verg 2/13 (Neubau Portalklinik Campus Innenstadt)
Der Antragsgegner, vertreten durch das zuständige Staatliche Bauamt, schrieb europaweit den Wettbewerb zur Planung eines Neubaus einer Portalklinik auf dem Campus
Innenstadt in M. aus. Unter Ziffer IV.5.4 der europaweiten Bekanntmachung hieß
es, dass die Entscheidung des Preisgerichts für den öffentlichen Auftraggeber nicht
bindend sei; unter Ziffer IV.5.5 waren die Namen von zehn ausgewählten Preisrichter
vermerkt, darunter Dr. Michael L.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Vorbemerkung:
Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus:
In der europaweiten Bekanntmachung war als einer der Preisrichter Dr. Michael L.
genannt. Bereits mit Übersendung seines Teilnahmeantrages war es dem Mitgeschäftsführer der Antragstellerin Stefan L. bekannt, dass sein Bruder Mitglied des
Preisgerichts war. Nach Abgabe des Teilnahmeantrages der Antragstellerin oder
spätestens mit dem Schreiben vom 25.6.2012, in welchem die Antragstellerin zur
Abgabe eines Wettbewerbsbeitrages eingeladen wurde, war es im Staatlichen Bauamt bekannt, dass verwandtschaftliche Beziehungen zwischen dem Preisrichter Dr.
Michael L. und dem Mitgeschäftsführer der Antragstellerin Stefan L. bestanden. Nach
dem Colloquium vom 20.7.2012 war es auch dem Preisrichter Dr. Michael L. bekannt,
dass sich das Architekturbüro seines Bruders am Wettbewerb beteiligen würde. Bis
zur Öffnung der Umschläge sahen weder die Antragstellerin noch der Antragsgegner
noch der Preisrichter Dr. Michael L. in dieser Konstellation ein Problem.
Dieser Sachverhalt hat sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ergeben.
So hat der Mitgeschäftsführer der Antragstellerin, Stefan L. in der mündlichen Verhandlung vom 11.3.2013 bei seiner Anhörung glaubhaft erklärt, er sei nach der Aufforderung zur Teilnahme davon ausgegangen, dass keine Einwände gegen seine Teilnahme
bestehen würden, da ja seit der europaweiten Bekanntmachung klar gewesen sei,
dass sein Bruder Dr. Michael L. im Preisgericht war. in der Krankenhausbranche sei
bekannt, dass die zwei Architekturbüros von zwei Brüdern geleitet würden. Die Antrag-
174
stellerin selbst hatte nach ihren Angaben keinen Zweifel, dass die verwandtschaftliche
Konstellation vom Antragsgegner geprüft und nicht beanstandet worden war. Der
Zeuge Dr. Michael L. ging gleichfalls davon aus, dass das Verwandtschaftsverhältnis
allen Architekten im Preisgericht und auch dem Auslober bekannt gewesen sei. Es
gebe etwa 10 bis 15 Architekturbüros, die sich speziell auf dem Krankenhaussektor in
dieser Größenordnung bewegen .Er habe nach dem Colloquium die Preisrichter nicht
auf das verwandtschaftliche Verhältnis hingewiesen, weil er von einer Prüfung dieser
Konstellation durch den Antragsgegner ausgegangen sei.
Demgegenüber erscheint es dem Senat nicht glaubhaft, dass es dem Staatlichen
Bauamt bei der auffälligen Namensgleichheit und der Spezialisierung der Abteilung
des Bauamts auf Universitätsbauten und Kliniken nicht bekannt gewesen sein soll,
dass es sich hier um Verwandte gehandelt hat, die beide Architekturbüros auf dem
speziellen Krankenhaussektor betreiben. Der Name L. gehört zu den nicht häufigen
Nachnamen in Deutschland, hinzu kommt, dass es auf dem nicht großen Gebiet der
Krankenhausplanung nicht allzu viele auf diesen Sektor spezialisierte Architekturbüros
gibt. So hat der Zeuge P., der Leiter des Staatlichen Bauamts, bekundet, dass es in
Architektenkreisen und speziell auch im Krankrenhaussektor bekannt sei, dass die
beiden Brüder L. Architekturbüros in diesem Sektor betreiben und dass dies auch den
Mitarbeitern des Bauamtes, soweit sie Architekten sind, bekannt sei.
Auch dem Zeugen A. vom Staatlichen Bauamt ist bei der Prüfung der Teilnahmeanträge die Namensgleichheit aufgefallen. Der Zeuge A. fügte hinzu, er habe zwar
an die Möglichkeit einer verwandtschaftlichen Beziehung gedacht, darin jedoch kein
Problem gesehen. Auch der Zeuge P., der Leiter des staatlichen Bauamts, hat bei seiner Aussage nach wie vor die Auffassung vertreten, dass der Architektenwettbewerb
ordnungsgemäß abgelaufen sei.
Aus der Zusammenschau dieser Aussagen ergibt sich zur Überzeugung des Senats,
dass den Beteiligten die Tatsache bekannt war, dass Stefan L. und Dr. Michael L. Brüder sind, welche beide Architekturbüros mit dem Spezialgebiet Krankenhausplanung
betreiben.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet; die Antragstellerin ist zu Unrecht vom
weiteren Verfahren ausgeschlossen worden. Zwar ist es vergaberechtlich bedenklich,
dass der Bruder des Mitgeschäftsführers der Antragstellerin Mitglied des Preisgerichts
war, doch ergibt sich daraus kein Grund, die Antragstellerin vom weiteren Verfahren
auszuschließen. Weder war die Antragstellerin dazu verpflichtet, auf das Verwandtschaftsverhältnis und damit auf § 16 VgV hinzuweisen noch können die Vorschrift
des § 16 Abs. 2 VOF oder des § 4 Abs. 2 RPW im konkreten Fall Grundlage für einen
Ausschluss der Antragstellerin sein.
a) Die vorrangig zu prüfende Vorschrift für die vorliegende Fallkonstellation ist § 16
VgV als ranghöchste Norm.
175
Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 VgV dürfen grundsätzlich als voreingenommen geltende natürliche Personen als Beauftragte eines Auftraggebers bei Entscheidungen in einem Vergabeverfahren nicht mitwirken, wenn ein Bieter oder Bewerber
Angehöriger einer solchen Person ist, Beauftragte eines Auftraggebers sind nicht nur
dessen Mitarbeiter, sondern auch Berater oder Ingenieure oder allgemein aufgrund
vertraglicher Beziehung im Lager des Auftraggebers bzw. in einem Näheverhältnis
zum öffentlichen Auftraggeber stehende Personen (Greb in Ziekow/Völlink Vergaberecht § 16 VgV Rn. 13). Da Sinn und Zweck der Vorschrift die Verhinderung einer
Wettbewerbsverzerrung oder unzulässigen Wettbewerbsbeeinträchtigung ist,
ist der Begriff des Beauftragten des öffentlichen Auftraggebers insgesamt nicht
zu eng auszulegen: er umfasst daher auch das vom Auftraggeber ausgewählte
und bestimmte Preisgericht. Aus dem gleichen Grund kann auch der Begriff des
Angehörigen in Abs. 2 nicht zu eng ausgelegt werden: Es genügt, wenn der Angehörige – hier der Bruder – ein Organ oder Vertreter einer juristischen Person ist, welche
sich am Ausschreibungsverfahren beteiligt. Sonst könnte die Vorschrift leicht durch
die Zwischenschaltung einer juristischen Person – wie z.B. bei einer Einmann – GmbH
– umgangen werden. Danach hätte Dr. Michael L. grundsätzlich nicht als Preisrichter
an der Auswahl der Preisträger teilnehmen dürfen, weil er Bruder des Mitgeschäftsführers der Antragstellerin ist.
Dennoch kann dieser Mangel bzw. der fehlende Hinweis der Antragstellerin auf diese
Besetzung nicht zu einem Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin führen.
Zum einen ist dieser Mangel von niemandem gerügt worden. Wie bereits ausgeführt,
bestand für die Antragstellerin schon keine Rügepflicht. Es bestand für sie auch keine
darüber hinausgehende Hinweispflicht aus dem zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Teilnehmer bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311
BGB. Im vorvertraglichen Schuldverhältnis bestehen gegenseitige Rücksichtnahmepflichten, um den Vertragspartner vor Schäden zu bewahren. Es ist schon
fraglich, ob und in welchem Ausmaß bei öffentlichen Ausschreibungen dem
Bieter über die Rügepflicht hinaus überhaupt derartige Hinweispflichten obliegen sollen, ohne dass das Gefüge der widerstreitenden Interessen zwischen
zwei potentiellen Vertragspartnern zu sehr aus den Angeln gehoben wird (vgl.
hierzu bereits OLG München vom 4.4.2013 – Verg 4/13). Das wird hier besonders
deutlich, weil die korrekte Zusammensetzung des Preisgerichts ureigenste Aufgabe
des öffentlichen Auftraggebers ist, der das mit einer Fehlbesetzung einhergehende
Risiko nicht allein und einseitig auf den Bieter abwälzen kann. Weiter könnte dem
Antragsgegner durch den fehlenden Hinweis nur dadurch ein Schaden entstehen, dass
ein dritter Teilnehmer einen Nachprüfungsantrag mit den entsprechenden finanziellen
Folgen stellen könnte. Das würde aber wiederum bedeuten, dass der Teilnehmer mit
seinem Hinweis in erster Linie zugunsten seiner Mitwettbewerber handelt, wozu er
keinesfalls verpflichtet ist. Doch können diese Überlegungen letztlich dahinstehen:
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war den Beteiligten das Verwandtschaftsverhältnis bekannt; ein Hinweis war daher schon aus diesem Grund nicht erforderlich.
176
Die mögliche Fehlbesetzung des Preisgerichts ist auch kein derart schwer wiegender Vergaberechtsfehler, dass er von Amts wegen von den Nachprüfungsinstanzen
berücksichtigt werden muss. Zwar postuliert § 110 Abs. 1 GWB den Untersuchungsgrundsatz, wonach der Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen ist Doch entspricht
es herrschender Meinung und Rechtsprechung, dass die Amtsermittlung nur im Rahmen der gestellten Anträge gilt, weil das Nachprüfungsverfahren als Antragsverfahren und nicht als allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle ausgestaltet ist und der Bieter
darüber disponieren kann, welche Vergaberechtsfehler er überprüft wissen will (vgl.
hierzu Dicks in Ziekow/Völlink § 110 GWB Rn. 6 ff; OLG München vom 9.8.2010 –
Verg 13/10). Ausnahmen werden nur für besonders gravierende Verstöße eingeräumt,
wie wenn z.B. der öffentliche Auftraggeber die Vergabeentscheidung gar nicht selbst
getroffen hat (OLG München vom 29.9.2009 – Verg 12/09 und vom 10.12.2009 Verg
16/09).
b) Ein Ausschlussgrund nach § 16 Abs. 2 Satz 2 VOF für die Antragstellerin besteht
nicht.
Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 VOF sind von der Teilnahme an Wettbewerben Personen
ausgeschlossen, die infolge ihrer Beteiligung an der Auslobung oder Durchführung
des Wettbewerbs bevorzugt sein oder Einfluss auf die Entscheidung des Preisgerichts nehmen können. Nach Satz 2 gilt das Gleiche für Personen, die sich durch
Angehörige oder ihnen wirtschaftlich verbundene Personen einen entsprechenden
Vorteil oder Einfluss verschaffen können. Nach dem Wortlaut von § 16 Abs. 1 und
Abs. 2 VOF wird nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen differenziert,
welche ausgeschlossen sein sollen. Dies liegt nach dem Sinn der Vorschrift auch auf
der Hand: verhindert werden soll – wie bei § 16 VgV – die wettbewerbsverzerrende
Einflussnahme auf das Preisgericht. Es kann dabei keine Rolle spielen, ob eine solche
Einflussnahme durch natürliche oder juristische Personen geschieht.
In Betracht kommt hier nur die Alternative des Satzes 2. Der Begriff „Angehörige“ ist
hier – wie bei § 16 VgV – dahingehend auszulegen, dass ein Verwandtschaftsverhältnis
auch zwischen einem Organ oder Vertreter einer juristischen Person und einer natürlichen Person bestehen kann. Zwar beschreibt der Begriff „Angehörige“ dem Wortlaut
nach nur natürliche Personen, doch ergibt sich aus Sinn und Zweck der Vorschrift,
die Beeinflussung eines Vergabeverfahrens durch voreingenommene Personen zu
verhindern und so eine Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden, dass sich das Angehörigenverhältnis auch auf Geschäftsführer oder sonstige Vertreter oder Bevollmächtigte
juristischer Personen beziehen muss. Sonst könnte durch eine Zwischenschaltung
juristischer Personen die Wettbewerbsbeeinflussung leicht umgangen werden.
Doch ist § 16 Abs. 2 VOF europarechtskonform auszulegen. Hier ist zunächst
festzustellen, dass § 16 Abs. 2 Satz 1 VOF eigentlich die sogenannte Projektantenproblematik regeln will (vgl. Weyand Vergaberecht 4.Aufl. § 16 VOF Rn. 7).
Es sollte verhindert werden, dass solche Personen, die durch ihre Beteiligung an der
177
Auslobung oder der Durchführung des Wettbewerbs durch ihren Wissensvorsprung
bei der Ausarbeitung der Angebote bevorzugt sind oder Einfluss auf die Entscheidung
des Preisgerichts nehmen können, diesen Wissensvorsprung unter Verstoß gegen
den Gleichbehandlungs- oder Wettbewerbsgrundsatz zu Lasten der anderen Bieter
ausnützen können und dadurch eine Wettbewerbsverzerrung eintritt. Satz 2 hat diese
Alternativen auf die Angehörigen ausgeweitet, um eine Bevorzugung oder Beeinflussung über den Umweg über Angehörige zu verhindern.
Würde man nun Satz 2 im streng wörtlichen Sinn anwenden, würde dies bedeuten, dass der öffentliche Auftraggeber durch die Besetzung des Preisgerichts die
Bestimmung der Teilnehmer steuern könnte. Denn solche Bieter, die Angehörige oder wirtschaftlich mit ihnen verbundene Personen im Preisgericht sitzen
hätten, könnten keinen Wettbewerbsbeitrag einreichen. Dies würde einen nicht
hinnehmbaren Eingriff in ihre Wettbewerbsposition und ihre Berufsausübungsfreiheit darstellen. So hat der EuGH auch bereits mehrfach entschieden, dass
bei der Teilnahme von Projektanten diese nicht zwangsläufig vom Verfahren
auszuschließen sind, sondern ihnen die Gelegenheit gegeben werden muss,
darzulegen, dass eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs trotz der Vorbefasstheit nicht eingetreten ist (EuGH vom 3.3.2005 – C- 21/03). Da Satz 2 die Regelung
des Satzes 1 nicht verschärfen, sondern lediglich auf Angehörige übertragen
wollte, liegt es nahe, die Rechtsprechung des EuGH auch auf die Angehörigen
zu übertragen. Auch in dieser Konstellation ist daher dem betroffenen Teilnehmer
oder Bieter der Nachweis zu ermöglichen, dass sich die Fallkonstellation nicht auf den
Wettbewerb ausgewirkt hat.
Dieser Nachweis ist der Antragstellerin gelungen. Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass sich die Mitwirkung des Preisrichters Dr. Michael
L. nicht wettbewerbsverfälschend auf die Entscheidung des Preisgerichts ausgewirkt
hat. Zunächst sind alle Beteiligten trotz Kenntnis des Verwandtschaftsverhältnisses
davon ausgegangen, dass der Wettbewerb ordnungsgemäß vonstatten geht. Die
Wettbewerbsarbeiten sind anonym und ohne handschriftliche Zusätze dem Preisgericht präsentiert worden. Weder der Preisrichter Dr. Michael L. noch der Preisrichter
P. haben den Verfasser des Entwurfs der Antragstellerin erkannt. Der Zeuge P. hat
ausgesagt, dass er nach wie vor das Vorgehen für korrekt halte. Die beiden Brüder
haben glaubhaft bekundet, dass sie keinen größeren Kontakt pflegen, da es infolge
einer Streitigkeit auf dem beruflichen Sektor zwischen ihnen zu einem Zerwürfnis
gekommen und zu einer Reduzierung auch der privaten Kontakte gekommen ist. Der
Senat hat anhand der Vergabeakten keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass Dr.
Michael L. in irgendeiner Art und Weise den Entwurf seines Bruders bevorzugt oder
benachteiligt hätte. Der Entwurf wurde auch nicht von ihm vorgestellt. Zudem hat
sich der Vorsitzende des Preisrichters bei allen Preisrichtern zu Beginn der Sitzung
versichern lassen, dass diese keinen Meinungsaustausch mit Wettbewerbsteilnehmern über deren Wettbewerbsarbeiten geführt haben und führen werden, sie keine
Kenntnis über die Wettbewerbsarbeiten erhalten haben, die Anonymität der Wett-
178
bewerbsarbeiten aus ihrer Sicht gewährleistet sei und sie es unterlassen werden,
Vermutungen über den Verfasser einer Arbeit zu äußern. Anhaltspunkte dafür, dass Dr.
Michael L. hier unzutreffende Angaben gemacht hat, liegen nicht vor. Das Preisgericht
selbst hat nach der Öffnung der Umschläge zunächst auch keine Veranlassung zu einer
Korrektur der Entscheidung gesehen.
c) Die Antragstellerin konnte auch nicht nach § 4 Abs. 2 RPW 2008 ausgeschlossen
werden.
Abgesehen davon, dass die RPW nur Richtlinien für Planungswettbewerbe und keine
gesetzlichen Vorschriften, Rechtsverordnungen oder Vertragsordnungen darstellen,
gelten für § 4 Abs. 2 RPW, der wörtlich mit § 16 Abs. 2 VOF identisch ist, die gleichen
Überlegungen.
179
V.
AUSLEGUNG DER LEISTUNGSBESCHREIBUNG/HINWEISPFLICHTEN/
ABGABE DER ANGEBOTE
97 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin)
Erkennt der Bieter, dass die Leistungsbeschreibung widersprüchlich, unverständlich oder in sich nicht schlüssig ist, so ist er zwar gehalten, die Zweifelsfragen vor Abgabe des Angebotes zu klären (OLG Düsseldorf, Beschluss vom
14.04.2010, Az.: VII-Verg 60/09; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 23.12.2005,
Az.: 11 Verg 13/05; Schleswig- Holsteinisches OLG, Beschluss vom 15.04.2011, Az.:
1 Verg 10/10). Im konkreten Fall kommt hinzu, dass die Bewerbungsbedingungen
ausdrücklich eine Hinweispflicht enthalten. Unterlässt es der Bieter, sich an den
Auftraggeber zu wenden, so führt dies aber lediglich dazu, dass der Bieter die
versäumte Sachaufklärung gegen sich gelten lassen muss (BayObLG, Beschluss
vom 22.06.2004, Az.: Verg 013/04). Das bedeutet(lediglich), dass er mit seinem Angebot so zu werten ist, wie es bei Submission vorliegt 1. VK Sachsen,
Beschluss vom 17.07.2002, Az.: 1/SVK/069-02). Bei Submission lag das Angebot der
Antragstellerin mit dem Hauptangebot und u. a. einem die Sandrutschen betreffenden
„Nebenangebot“ vor. Diese Angebotslage ist nach dem Gesagten maßgeblich.
98 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 9/12 (Nachforderung Erklärungen)
Die Beigeladene hat das Formblatt „Bewerbergemeinschaftserklärung“ ausgefüllt.
Auch wenn man davon ausgeht, dass das Formblatt „rechtsverbindlich“ zu unterzeichnen war (eine solche Anforderung stellt das Formblatt jedenfalls nicht ausdrücklich
auf), so ist auch diese Anforderung erfüllt; das Formblatt ist von jeweils einem Vertreter der beiden Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft unterzeichnet. Eine Anforderung,
wonach eine Unterschriftsleistung nur durch Vertreter statthaft war, die nach dem
Inhalt des Handelsregisters zur Vertretung befugt waren, lag nicht vor; vielmehr konnte
sich ihre Vertretungsmacht auch aus anderen Umständen ergeben (OLG Naumburg,
NZBau 2008, 788; Vavra, in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 13 Rdnr. 4; Dittmann,
in Kulartz/ Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 16 EG Rdnrn. 18 ff.). Aus diesem Grunde
ist unerheblich, dass die Erklärung von einem Geschäftsführer der A... GmbH
unterzeichnet wurde, der nach dem Handelsregister nur zusammen mit einem
weiteren Geschäftsführer oder Prokuristen vertretungsbefugt war; jedenfalls
180
war er im konkreten Fall vertretungsbefugt, wie sich bereits aus dem – von einem
Geschäftsführer und einem Prokuristen unterzeichneten – Begleitschreiben ergab.
Auch die Art der Beantwortung der Frage zum bevollmächtigten Vertreter der Bietergemeinschaft durch die Beigeladene berechtigte nicht zu deren Ausschluss. § 22
SektVO sieht – im Gegensatz zu § 21 Nr. 4 S. 1 VOL/A 2006, § 13 Abs. 6 S. 1 VOL/A
2009, § 16 Abs. 6 S. 1 EG VOL/A – eine Verpflichtung zur Mitteilung des bevollmächtigten Mitglieds nicht vor. Unabhängig davon war nach der gewählten Fragestellung
durch die Abweichung von der Formulierung in § 21 Nr. 4 S. 1 VOL/A 2006, § 13 Abs.
6 S.1 VOL/A 2009 unklar, ob das bevollmächtigte Mitglied der Bietergemeinschaft (in
diesem Falle also die A... GmbH) oder bestimmte natürliche Personen zu benennen
waren. Schließlich hätten unterlassene oder unklare Angaben dazu im Teilnahmeantrag oder im Angebot keine Wirkungen (vgl. § 21 Nr. 4 S. 2 VOL/A 2006, § 13 Abs. 6
S. 2 VOL/A 2009, § 16 Abs. 6 S. 2 EG VOL/A).
Dass die „Bewerberinformationen“ zwingend mit dem Teilnahmeantrag unterschrieben einzureichen waren, ergibt sich weder aus der EU-Bekanntmachung noch aus
den „Bewerberinformationen“. In der EU-Bekanntmachung war unter VI.3. lediglich
von einem Formblatt für die Eigenerklärungen und Angaben unter III.2. die Rede,
nicht dagegen von der Benutzung eines Formblatts für den Teilnahmeantrag selbst.
Die „Bewerberinformationen“ dienten „zur ersten Interessenteninformation“ und
verwiesen auf bestimmte Anforderungen an den Teilnahmeantrag, sollten also nicht
der Teilnahmeantrag selbst sein. Von einem Formblattzwang war lediglich unter 4.
(„Bewerbergemeinschaften“) die Rede, insoweit lag ein gesondertes Formblatt
bei. Im Übrigen war lediglich davon die Rede, dass der Bewerber bestimmte Eigenerklärungen vorlegen sollten, für die kein Formblatt beigefügt war und die auch in
den „Bewerberinformationen“ nicht enthalten waren. Auch 6. konnte lediglich als
Vorschlag für die Formulierung einer Eigenerklärung durch den Bewerber (die er auf
einem gesonderten Blatt abgeben konnte), nicht aber zwingend als durch Unterzeichnung der „Bieterinformationen“ abzugebende Erklärung ausgelegt werden.
99 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 –
C-368/10 (EKO und Max Havelaar)
Erstens ist festzustellen, dass das Lastenheft nicht so ausgelegt werden kann, wie es
das Königreich der Niederlande tut.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Umfang des Lastenhefts aus der Perspektive potenzieller Bieter heraus zu bestimmen ist, da der Zweck der Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Aufträge nach der Richtlinie 2004/18 gerade den in
der Europäischen Union niedergelassenen potenziellen Bietern den Zugang zu
öffentlichen Aufträgen, die für sie von Interesse sind, garantieren soll (vgl. in
diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2007, Auroux u. a., C-220/05, Slg. 2007, I-385,
181
Randnr. 53). Im vorliegenden Fall konnte das Lastenheft von potenziellen Bietern nicht
anders als dahin verstanden werden, dass es sich auf die Innehabung der im Zusammenhang mit der fraglichen Anforderung oder dem fraglichen Wunsch genannten
Gütezeichen beziehe.
Formuliert waren diese Anforderung und dieser Wunsch nämlich im Anhang des Lastenhefts, der das „Anforderungsprofil“ enthielt, dem die Bieter gemäß Unterkapitel
5.2 Abschnitt 1 des Lastenhefts so, wie es formuliert war, genügen mussten. Die
Nrn. 31 und 35 dieses Profils verwiesen ausdrücklich und uneingeschränkt auf die
Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR und schlossen Alternativen aus, deren Einreichung im Übrigen nach Unterkapitel 3.4 des Lastenhefts verboten war. Unter diesen
Umständen ist nicht davon auszugehen, dass die hinsichtlich ihrer Bedeutung wenig
genaue Angabe, wonach „[ei]n wichtiger Gesichtspunkt .... das Bestreben der Provinz
Nord-Holland [ist], die Verwendung von ökologischen und Fair-Trade-Erzeugnissen in
Kaffeeautomaten zu erhöhen“, in Abschnitt II Nr. 1.5 der Vergabebekanntmachung
und Unterkapitel 1.3 des Lastenhefts – also an Stellen außerhalb derjenigen der Auftragsunterlagen zu Anforderungen oder Wünschen des Auftraggebers -, klar machen
konnte, dass die fragliche Anforderung bzw. der fragliche Wunsch allgemein den
Umstand betrafen, dass die fraglichen Erzeugnisse aus ökologischer Landwirtschaft
und fairem Handel stammen sollten.
Zweitens können die Klarstellungen, die später in den Nrn. 11 und 12 der Informationsmitteilung erfolgten, wonach der Verweis auf die Gütezeichen EKO und MAX
HAVELAAR im Zusammenhang mit dieser Anforderung und diesem Wunsch auch
gleichwertige Gütezeichen erfasse, also Gütezeichen, deren Vergabe auf identischen
oder vergleichbaren Kriterien beruhe, nach Art. 39 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 nicht
berücksichtigt werden.
Denn wie die Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, können
mit den in dieser Bestimmung genannten zusätzlichen Auskünften zum Lastenheft
und zusätzlichen Unterlagen zwar bestimmte Klarstellungen vorgenommen und Informationen erteilt werden, sie können jedoch nicht – beispielsweise durch Berichtigungen – den Umfang der wesentlichen Bedingungen des Auftrags verändern, zu denen
die technischen Spezifikationen und die Vergabekriterien so, wie diese Bedingungen
im Lastenheft formuliert wurden, gehören, auf die die interessierten Wirtschaftsteilnehmer bei ihrer Entscheidung, ob sie die Einreichung eines Angebots vorbereiten
oder nicht oder aber auf eine Teilnahme am Verfahren über die Vergabe des fraglichen
Auftrags verzichten, vertraut haben. Dies ergibt sich sowohl daraus, dass in Art. 39
Abs. 2 der Begriff „zusätzliche Auskünfte“ verwendet wird, als auch aus der kurzen
Frist von sechs Tagen, die nach dieser Bestimmung zwischen der Erteilung solcher
Auskünfte und dem Schlusstermin für den Eingang der Angebote liegen kann.
Sowohl der Gleichheitsgrundsatz als auch die daraus folgende Verpflichtung
zur Transparenz gebieten, dass der Gegenstand öffentlicher Aufträge sowie die
182
Kriterien für ihre Vergabe vom Beginn des Verfahrens über die Vergabe dieser
Aufträge an klar bestimmt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2009,
Kommission/Frankreich, C-299/08, Slg. 2009, I-11587, Randnrn. 41 und 43).
Daher ist festzustellen, dass die Auftragsunterlagen, die den Gegenstand des Auftrags
und seine Vergabe bestimmen, zum einen vorschrieben, dass der zu liefernde Kaffee
und Tee mit den Gütezeichen EKO oder MAX HAVELAAR versehen sein müssten, und
zum anderen den Wunsch enthielten, dass die zu liefernden Zutaten mit denselben
Gütezeichen ausgestattet seien.
100 BGH, Urteil vom 20.11.2012 –
X ZR 108/10 (Friedhofserweiterung)
1. Der Erklärungswert der vom öffentlichen Auftraggeber vorformulierten Vergabeunterlagen ist gemäß den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden,
auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abstellenden Grundsätzen zu ermitteln.
2. Der gestellten Vergabebedingung einer „rechtsverbindlichen“ Unterzeichnung
des Angebots kommt lediglich der Erklärungsgehalt zu, dass der Unterzeichner
bei Angebotsabgabe über die erforderliche Vertretungsmacht verfügt haben
muss.
3. Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen „deutlicher“ Überschreitung
des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer
umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu
berücksichtigen ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das
Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen werden, die Aufhebung
andererseits aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen
erzielten Submissionsergebnisse sein darf (Weiterführung von BGH, Urteil vom
8. September 1998 – X ZR 48/97, BGHZ 139, 259 und Urteil vom 12. Juni 2001 –
X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293).
Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Klägerin hatte
ein wirksames Angebot abgegeben.
1. Das Berufungsgericht hat Inhalt und Bedeutung der Unterschriftsklausel nicht
rechtsfehlerfrei ermittelt.
a) Mit der Unterschriftsklausel hat die Beklagte als Vergabestelle eine vorformulierte
Vergabebedingung gestellt. Welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung des Umstands zu
183
ermitteln, dass die Vergabeunterlagen von der Vergabestelle vorformuliert sind
(BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – X ZR 78/07, VergabeR 2008, 782 Rn. 10 – Nachunternehmererklärung). Maßgeblich für das Verständnis ist dabei der objektive
Empfängerhorizont der potenziellen Bieter (BGH, Urteil vom 11. November 1993
– VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64; BGH, VergabeR 2008, 782 Rn. 10; BGH, Urteil vom
3. April 2012 – X ZR 130/10, VergabeR 2012, 724 Rn. 10 – Straßenausbau).
b) Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht geprüft
hat, wie das Erfordernis einer „rechtsverbindlichen Unterschrift“ aus Sicht der
potenziellen Bieter zu verstehen war. Es scheint die Klausel dahin zu verstehen,
dass sie nicht nur eine wirksame, den Bieter rechtlich bindende Unterzeichnung
des Angebots verlangt, sondern dass auch nachgewiesen oder zumindest erkennbar sein muss, dass der Unterzeichner über gesetzliche oder rechtsgeschäftliche
Vertretungsmacht verfügt. Denn seine Feststellung, dass die Unterzeichnerin
des von der Klägerin abgegebenen Angebots „intern zur Unterschrift berechtigt“
gewesen sei, kann nicht anders verstanden werden, als dass die Unterzeichnerin des Angebots die Klägerin kraft ihr erteilter Vollmacht vertreten konnte.
Seine Annahme, dass dies den Vorgaben der ausschreibenden Stelle nicht
genüge, begründet das Berufungsgericht jedoch nur mit der Erwägung, es
sei der Beklagten nicht zuzumuten, die Vertretungsberechtigung des Unterzeichners erst durch weitere Nachforschungen zu klären. Entscheidend ist
jedoch nicht, was der Beklagten zuzumuten ist, sondern welche Erklärungen
die Bieter den Vergabeunterlagen als ihnen abverlangt entnehmen konnten.
101 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013 –
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen)
In seinem Beschluss vom 9. Januar 2013, VII-Verg 26/12, dem ein insoweit vergleichbar gelagerter Fall zugrunde lag, hat der Senat ausgeführt (dort Seite 11 f.):
„Die Ausschreibung sog. strategischer Partnerschaften bei kommunalen Netzgesellschaften und das Verhältnis zu Konzessionsvergaben insbesondere nach § 46 EnWG
(vor allem mögliche Abhängigkeiten bei Getrennt- oder Zusammenvergabe sowie
bei Ausschreibungsbedingungen und Zuschlagsfaktoren) sind, genauso wie die
Ausgestaltung der Vergabeverfahren, in praktischer und rechtlicher Hinsicht komplex
und durch die Rechtsprechung (die zudem in verschiedenen Händen liegen kann,
siehe dazu allein die Urteile des OLG Schleswig vom 22.11.2012 – 16 U (Kart) 21 und
22/12 zu Konzessionsvergaben) noch nicht abschließend geklärt. Dasselbe hat für
die behaupteten Verstöße gegen Kartellrecht durch Bevorzugung eines mit dem Auftraggeber verbundenen Unternehmens (der Gemeindewerke-Gesellschaft) zu gelten
(§ 19 GWB: Missbrauchsverbot, § 20 GWB: Behinderungsverbot). Der gemeinsame
Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und
Gaskonzessionen befasst sich mit Konzessionsvergaben. Ob und unter welchen Vor-
184
aussetzungen eine Kommunen darin zugeschriebene Monopolstellung auf Auftragsvergaben der vorliegenden Art zu übertragen, ein Monopol einem Drittbeteiligten wie
der Antragsgegnerin zuzurechnen und eine missbräuchliche oder behindernde Ausnutzung von Marktmacht anzunehmen ist, kann keineswegs bereits als gesichert gelten,
sondern bedarf eingehender rechtlicher Untersuchung – zumal davon verschiedene
sachliche und möglicherweise auch geografische Märkte betroffen sind. Zu solchen
Rechtsfragen nimmt der Leitfaden keine Stellung (vgl. dazu Leitfaden Rn. 16 ff., 26).
Bei dem auf Seiten von Städten und Gemeinden erkennbaren Bestreben, Netzbetriebe
zu kommunalisieren (oder bisweilen auch zu rekommunalisieren), und zwar mittels Eingehens strategischer Partnerschaften (ÖPP), durch Konzessionsvergaben und/oder
durch mögliche Kombinationen der Aufträge und der Ausschreibungen wird vielmehr
in mehrfacher Hinsicht rechtliches Neuland betreten. Die meisten Konzessionsverträge nach EnWG laufen erst in den kommenden Jahren aus. Erfahrungen sind in der
Breite noch nicht erworben worden. Eine Kenntnis oder Erkennbarkeit von Rechtsverstößen setzt bei diesem Befund auf Antragstellerseite auch nicht gewissermaßen
schlagartig mit einer Hinzuziehung von Rechtsanwälten ein. Solches anzunehmen
wäre praxisfremd.
Trotzdem bleibt die Rügeobliegenheit ernst zu nehmen. Die Rechtsprechung zu den
angesprochenen Problemkreisen wird sich ausweiten und festigen. Bei „etablierten“
Energieversorgern gleich welcher Stufe wird sie in der Regel auf ein fundiertes Wissen um die tatsächlichen und spezifischen rechtlichen Hintergründe treffen, was die
Erkennbarkeit und Kenntnis von Verstößen gegen Vergaberechtsvorschriften fördern
kann.
Bei den einer Nachprüfung nach dem GWB nicht unterliegenden (reinen) Konzessionsvergaben nach § 46 EnWG ergibt sich – im Sinn einer unselbständigen Nebenpflicht
– eine Verpflichtung der Bieter, den Auftraggeber insbesondere auch auf Rechtsverstöße im Vergabeverfahren hinzuweisen, im Übrigen aus dem durch Anforderung der
Vergabeunterlagen begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnis nach §§ 241 Abs.
2, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB (vgl. dazu BGH, Urt. v. 9.6.2011 – X ZR 143/10, VergabeR 2011,
703, Rettungsdienstleistungen II; zu Hinweispflichten siehe BGH, Urt. v. 18.12.2008
– VII ZR 201/06, NZBau 2009, 232, Rn. 15, 23; BGH, NJW-RR 1987, 1306, 1307;
OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 23.12.2005 – 11 Verg 13/05, BeckRS 2006, 12422;
OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.1.2010 – I-27 U 1/09, VergabeR 2010, 531, 536 zu den
auf Konzessionsvergaben übertragbaren Regeln bei Vergaben unterhalb der AuftragsSchwellenwerte; LG Köln, Urt. v. 7.11.2012 – 90 O 59/12, Entscheidungsgründe unter
2.a); a.A. OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012 – 16 U (Kart) 22/12, UA 37 f.). Eine
Verletzung der vorvertraglichen Hinweispflicht wird im Allgemeinen angemessen nur
in der Weise zu sanktionieren sein, dass die betreffenden Rügen bei dem regelmäßig
anzustrengenden Verfügungsverfahren nach §§ 935 ff. ZPO von einer Nachprüfung
jedenfalls materiell-rechtlich ausgeschlossen sind (so auch LG Köln a.a.O.).“
Nichts anderes gilt hier.
185
102 OLG Naumburg, Urteil vom 22.02.2013 –
12 U 120/12 (Umweltbundesamt Dessau)
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, während die Anschlussberufung der Beklagten Erfolg hat. Denn das angefochtene Urteil beruht auf einem
Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1 1. Fall, 546 ZPO). Die Parteien haben bei Abschluss des
Bauvertrages die VOB/B (2000) wirksam in den Vertrag einbezogen.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Nachtragsvergütung für die monolithische
Ausführung der Wand-Stützen-Konstruktion nicht zu. Denn bei der geforderten Vergütung für den Nachtrag Nr. 36 (Hörsaal) handelt es sich weder um eine nach § 2 Nr.
5 VOB/B a. F. zu vergütende Leistungsänderung (§ 1 Nr. 3 VOB/B a. F.) noch um eine
zusätzliche Leistung im Sinne von § 2 Nr. 6 VOB/B. Die monolithische Verbindung
der Wände und Stützen ist bereits von dem ursprünglich erteilten Auftrag im Sinne
von § 2 Nr. 1 VOB/B a. F. umfasst gewesen. Soweit die Klägerin bei Vertragsschluss
davon ausgegangen sein sollte, problemlos industriell hergestellte Systemschalungen
verwenden zu können, handelt es um eine Fehlvorstellung, die auf den Umfang der
vertraglich geschuldeten Leistungen keinen Einfluss hat.
Im vorliegenden Fall liegt allerdings eine unklare Leistungsbeschreibung vor,
weil diese zwar den Werkerfolg formell vollständig, aber nicht kalkulierbar wiedergibt (z. B. Dähne, BauR 1999, 289, 293). Die von der Klägerin zu erbringenden
Schalungsarbeiten als solche werden im Leistungsverzeichnis nur pauschal beschrieben. Der Sachverständige Prof. Dr. H### hat in seinem Gutachten vom 24. März 2010
dazu nachvollziehbar ausgeführt, dass aus der Textfassung des Leistungsverzeichnisses nicht zu entnehmen sei, dass Wände und Stützen der Konstruktion des Hörsaales
monolithisch zu verbinden waren. Diese Tatsache könne nur aus einem detaillierten
Studium der das Leistungsverzeichnis begleitenden Planunterlagen entnommen werden. So werde in den die Ortbetonarbeiten betreffenden Positionen, von Wänden und
Stützen als getrennte Einheiten gesprochen. Es sei nicht zu erkennen, dass diese eine
monolithische Verbindung im Sinne einer Pfeilervorlage aufweisen sollen. Auch aus
den die Schalung betreffenden Positionen sei die monolithische Verbindung von Wand
und Stütze nicht ablesbar gewesen, da hier konsequent von getrennten Bauteilen
gesprochen werde. Da es sich bei diesen Positionen um die Beschreibung der Schalung für Wand und Stütze handele, wäre es notwendig gewesen, hier einen Hinweis
auf die monolithische Ausführung zu geben.
Das unklare Leistungsverzeichnis hätte die Klägerin aber nicht ohne weiteres
hinnehmen dürfen. Sie hatte vielmehr die Obliegenheit, sich daraus ergebende
Zweifelsfragen vor Abgabe ihres Angebotes zu klären. Denn der Sachverständige
hat in seinem Gutachten vom 24. März 2010 weiter ausgeführt, dass aus dem Plan
186
Nr. 4.01.C.100.00/11 (Anlage B 15) jedenfalls deutlich zu erkennen sei, dass Stützen und
Wände im Hörsaal monolithisch zu verbinden waren. Im Rahmen seiner mündlichen
Anhörung vor dem Senat am 31. Januar 2013 hat er dies nachvollziehbar dahin erläutert,
dass dies deshalb der Fall sei, weil in dem Plan keine freistehenden Stützen eingezeichnet waren. Auch wenn der Plan lediglich einen Maßstab 1 : 100 aufweise, hätten darin
die freistehenden Stützen eingezeichnet werden müssen. Genau dies sei aber nicht der
Fall. Der Ausschreibungstext und der Plan passten erkennbar nicht zusammen. Da es
sich um ein sehr komplexes Bauvorhaben handele, sei für den Bieter ohnehin eine sorgfältige Prüfung auch dieses wesentlichen Punktes angezeigt gewesen. Aus seiner Sicht
hätte die Klägerin nachfragen müssen, ob eine monolithische Ausführung geschuldet
sei. Wie letztlich die ausgeschriebenen Leistung im Ergebnis ausgeführt werde, könne
aus dem Plan allerdings nicht abgeleitet werden. Insbesondere könne daraus nicht
abgeleitet werden, dass zwingend eine monolithische Ausführung erforderlich sei.
Denkbar sei auch, dass eine Ausführung in mehreren Schritten erfolge, wobei dann
die statischen Vorgaben beachtet werden müssten. Grundsätzlich hätte man hier zwar
mit industriell vorgefertigten Schalungselementen arbeiten können – wenn man keine
monolithische Ausführung hätte herstellen wollen -allerdings hätte dann im Bereich
der Pfeiler die Vorsatzschalung gesondert angefertigt bzw. angepasst werden müssen,
weil sich die Winkel durch die Vorgabe des Bauwerks ständig änderten. Dies wäre im
Ergebnis genauso teuer gewesen wie eine monolithische Ausführung. Schon in seinem
Ergänzungsgutachten vom 16. Januar 2012 hatte der Sachverständige dazu nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Kosten bei 450.444,35 Euro netto gelegen hätten.
Die Klägerin musste bei ihrer Kalkulation auch den Plan Nr. 4.01.C.100.00/11 mitberücksichtigen. Denn den Ausschreibungsunterlagen war ein Zeichnungsverzeichnis
beigefügt, in dem auf diesen Plan Bezug genommen wird. Die Klägerin hat diesen
Plan auch unstreitig vor Abgabe ihres Angebotes bei der Beklagten eingesehen und
damit Kenntnis von dessen Inhalt.
Zwar gibt es nach der Rechtsprechung keine Auslegungsregel dahin, dass ein Vertrag
mit einer unklaren Leistungsbeschreibung allein deshalb zu Lasten des Auftragnehmers
auszulegen ist, weil dieser die Unklarheiten vor der Abgabe seines Angebotes nicht aufgeklärt hat (z. B. BGHZ 176, 23). Soweit nach Vertragsschluss eine vom Auftraggeber
angeordnete Änderung der Bauwerksplanung Änderungen der technischen Leistungen
zur Folge hat, kann dies daher durchaus als Änderung des Bauentwurfs anzusehen sein
(§ 1 Nr. 3 VOB/B a. F.) und zu einem geänderten Vergütungsanspruch des Auftragnehmers führen (§ 2 Nr. 5 VOB/B a. F.). Denn ein Auftraggeber könne grundsätzlich nicht
erwarten, dass ein Auftragnehmer bereit ist, einen Vertrag zu schließen, der es dem
Auftraggeber erlaube, die Vertragsgrundlagen beliebig zu ändern, ohne dass damit ein
Preisanpassungsanspruch verbunden wäre. Es verbiete sich insoweit nach Treu und
Glauben (§ 242 BGB), aus einer mehrdeutigen, die technischen Anforderungen betreffenden Passage der Leistungsbeschreibung derart weitgehende vergütungsrechtliche
Folgen für den Auftragnehmer abzuleiten (z. B. BGH, a. a. O.).
187
Im vorliegenden Fall ist das Risiko einer Fehlkalkulation allerdings nicht dadurch
begründet gewesen, dass der Beklagten erlaubt worden wäre, die dem Vertrag
zugrunde liegende Planung zu ändern. Vielmehr war die geschuldete Ausführung
abhängig von teilweise nicht ausreichend koordinierten Vertragsgrundlagen, wie sie
bereits bei Vertragsschluss feststanden. Ein Auftragnehmer muss, wenn sich aus dem
Leistungsverzeichnis und aus weiteren verfügbaren Unterlagen die Bauausführung
in bestimmter Weise nicht mit hinreichender Klarheit ergibt, er aber bei der Kalkulation maßgeblich darauf abstellen will, versuchen, insoweit aufkommende Zweifel
vor Abgabe des Angebotes auszuräumen, wenn sich das mit zumutbaren Aufwand
machen lässt (z. B. BGH, BauR 1987, 683).
Die Klägerin hätte sich im vorliegenden Fall jedoch ohne größeren Aufwand
weitere Erkenntnisse über die vorgesehene Bauweise verschaffen können und
müssen. Die Beklagte wäre als öffentliche Auftraggeberin dann ggf. sogar verpflichtet
gewesen, diese Informationen auch den anderen Bewerbern zugänglich zu machen
(§ 17 Nr. 7 VOB/A a. F.). Eine Nachfrage wäre für die Klägerin auch zumutbar gewesen.
Denn dies hätte nicht zwingend zur Nichtberücksichtigung ihres dann modifizierten
Angebotes und zur Erteilung des Zuschlags für das kostengünstigere Angebot eines
anderen Bieters geführt. Die Beklagte hätte dann unter Umständen die Ausschreibung
sogar aufheben müssen (§ 26 VOB/A a. F.).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagte auch
kein Anspruch auf Zahlung von 29.014,42 Euro nach § 2 Nr. 5 VOB/B a. F. deswegen
zu, weil die geometrischen Vorgaben im Fußbereich der Außenwand und der Pfeilervorlagen – Knick und Rücksprung – den Ausschreibungsunterlagen nicht entnommen
werden konnten. Zwar hat der Sachverständige dies in seinem schriftlichen Gutachten
vom 24. März 2010 so ausgeführt und die für die Realisierung der Schalungsarbeiten
beim Bau des Hörsaales notwendigen Kosten auf insgesamt 450.444,35 Euro netto
beziffert, wovon 24.381,87 Euro netto auf die nachträglich bekanntgebenden geometrischen Vorgaben im Fußbereich der Außenwand und der Pfeilervorlagen entfielen. In
seiner Anhörung vor dem Senat hat er dies aber dahin eingeschränkt, dass er sich nicht
mehr sicher sei, ob der Knick in alten Zeichnungen auf der gleichen Höhe eingezeichnet war. Hierzu bedarf es aber keiner näheren Aufklärung. Denn die Forderung der
Klägerin ist – worauf sich die Beklagte zu Recht beruft – insoweit jedenfalls erloschen
(§§ 362 Abs. 1, 366 Abs. 1 BGB). Denn diese hatte auf den Nachtrag Nr. 36 unstreitig
bereits 57.416,10 Euro an die Klägerin gezahlt, was das Landgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Schadensersatzanspruch wegen
Verschuldens bei Vertragsschluss (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Denn ein
solcher Anspruch besteht nur dann, wenn der Auftraggeber die nach § 9 Nr. 1 bis 3
VOB/A a. F. erforderlichen Angaben schuldhaft unterlassen hat. Bei einem auf dem
Vergabeverfahren nach der VOB/A beruhenden Vertragsschluss ist die Ausschreibung
so zugrundezulegen, wie sie der maßgebliche Empfängerkreis, also der potentielle
188
Bieter, verstehen muss. Grundlage der Auslegung ist der objektive Empfängerhorizont dieser potentiellen Bieter (z. B. BGH, NJW 2002, 1954). Neben dem Wortlaut
der Ausschreibung sind die Umstände des Einzelfalles unter anderem die konkreten
Verhältnisse des Bauwerks zu berücksichtigen (z. B. BGH, a. a. O.). Die Leistung ist
nach § 9 Nr. 1 VOB/A a. F. eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle
Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und ihre Preise
sicher berechnen können. Sofern Mängel der Leistungsbeschreibung jedoch ohne
Schwierigkeiten erkannt worden sind oder hätten erkannt werden können, scheidet
ein Schadensersatzanspruch aus (z. B. BGH, BauR 1988, 338). Der von dem öffentlichen Auftraggeber begangene Verstoß gegen die Leistungsbeschreibungspflichten nach § 9 VOB/A a. F. wird in diesem Fall durch das spätere Verhalten
des Bieters kompensiert, gleichgültig ob man dies als Mitverursachung oder als
Mitverschulden nach § 254 BGB qualifiziert (z. B. Dähne, BauR 1999, 289, 302).
Ein solcher Fall liegt – wie bereits ausgeführt wurde – auch hier vor. Denn die
Leistungsbeschreibung war zumindest für einen Fachmann ersichtlich unklar.
Diese Unklarheit durfte die Klägerin nicht durch eigene, für sie günstige Kalkulationsannahmen ausfüllen.
103 OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 –
Verg 4/13 (Ortsumgehung B.)
Die Zuverlässigkeit der Antragstellerin kann auch nicht mit dem Argument verneint
werden, dass sie durch das Angebot der niedrigen Einheitsprise eine wettbewerbsverzerrende oder unlautere Verhaltensweise an den Tag gelegt hat.
Eine Wettbewerbsverzerrung kann nicht mit der Neuberechnung des Angebotes der
Antragstellerin begründet werden. Die Neuberechnung mit den vom Antragsgegner
als nun zutreffend angesehenen Mengenvordersätzen krankt schon daran, dass der
Berechnung mittlere Preise zugrunde gelegt worden sind. Es ist aber völlig unklar,
welche Preise die Antragstellerin nach einer Korrektur des LV angeboten hätte bzw.
anbieten wird. Die Kalkulation ist ureigenste Aufgabe des Bieters; es obliegt seiner
Entscheidungsfreiheit, wie hoch er bei einzelnen Positionen seinen Gewinn kalkuliert
und ob er nicht auch bei korrekten Mengensätzen einen Subventionsabschlag vornehmen will. Eine Verschiebung der Bieterreihenfolge lässt sich daher zum jetzigen
Zeitpunkt – bei unterstellter Korrektur – nicht begründen. Eine Wettbewerbsverzerrung
kann auch nicht mit dem Argument untermauert werden, dass die Bieter im Grunde
genommen Angebote für eine Leistung abgeben, die sie in dieser Form nie erbringen
werden. Diese Sachlage ist nämlich für alle Bieter gleichermaßen gegeben – und im
konkreten Fall auch von einigen anderen Bietern außer der Antragstellerin erkannt
worden. Grundsätzlich stellt daher das Angebot niedriger Einheitspreise bis hin zum
Angebot von negativen Preisen (OLG Düsseldorf vom 8.6.2011 – Verg 11/11) für
sich gesehen keine Wettbewerbsverzerrung dar. Das Erkennen und Ausnutzen von
Unstimmigkeiten im LV unter entsprechender Berücksichtigung bei der Kalkulation
189
ist zwar ein Wettbewerbsvorteil für den findigen Bieter, doch ist diese Chance jedem
Beteiligten gleichermaßen eingeräumt.
In der Ausnutzung von Fehlern im LV liegt auch nicht generell eine unlautere Verhaltensweise. Es besteht für den Bieter nach den Bewerbungsbedingungen keine
Hinweispflicht auf Mängel des Leistungsverzeichnisses. Eine Hinweispflicht ergibt
sich nur bei Unklarheiten. Das LV ist aber nicht unklar, da es eindeutig die
Mengenvordersätze enthält. Soweit in der mündlichen Verhandlung geltend
gemacht worden ist, dass aus den Konstruktionsplänen klar ersichtlich sei, dass
die Mengenvordersätze zu hoch seien, stellt sich schon die Frage, warum der Bieter
schlauer zu sein hat als der öffentliche Auftraggeber, der als Vertragspartner nicht in
seinem Lager steht. Jedenfalls aber liegt keine Unklarheit vor, sondern ein wie es auch
der Antragsgegner ausgedrückt hat – mehr oder weniger klarer Widerspruch zwischen
LV und Konstruktionsplan. Das Risiko für die Widerspruchsfreiheit der eigenen Vertragsunterlagen trägt aber in erster Linie derjenige, der die Unterlagen aufgestellt hat,
und nicht derjenige, der sich um den Vertragsschluss bewirbt.
Eine Rügepflicht der Antragstellerin nach § 107 GWB bestand insoweit nicht. Die
Rügepflicht dient der Vorbereitung des Nachprüfungsverfahrens. Das Nachprüfungsverfahren hat den Sinn, dem Bieter den Primärrechtsschutz zu ermöglichen, also für
ihn bestehende Rechtsnachteile abzuwehren. Für die Antragstellerin bestand aber vor
der Aufhebungsentscheidung kein Anlass für eine Rüge, da ihr durch den Fehler im
LV kein Rechtsnachteil drohte, im Gegenteil, wäre eine Rüge für ihr Angebot kontraproduktiv gewesen.
Es besteht auch keine darüber hinausgehende Hinweispflicht aus dem zwischen dem
öffentlichen Auftraggeber und dem Bieter bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311 BGB. Im vorvertraglichen Schuldverhältnis bestehen gegenseitige
Rücksichtnahmepflichten, um den Vertragspartner vor Schäden zu bewahren. Es ist
schon fraglich, in welchem Ausmaß bei öffentlichen Ausschreibungen dem Bieter über
die Rügepflicht hinaus derartige Hinweispflichten obliegen sollen. Diese Frage kann
hier aber dahinstehen. Denn jedenfalls über die sich aus den Bewerbungsbedingungen
ergebende Pflicht, auf Unklarheiten hinzuweisen, kann diese Pflicht nicht hinausgehen. Sonst würde das Gefüge der widerstreitenden Interessen zwischen zwei
Vertragspartnern zu sehr aus den Angeln gehoben. Im Übrigen ist auch nicht recht
ersichtlich, inwieweit dem Antragsgegner durch den fehlenden Hinweis auf die – in
ihrer Höhe zudem noch unklar – unzutreffenden Mengenvordersätze nennenswerte
Schäden entstehen sollen.
190
VI. PRÜFUNG UND WERTUNG
DER ANGEBOTE
1.
Angebotsöffnung
104 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.01.2012 –
2 VK LSA 33/11 (Glas- und Unterhaltsreinigung)
Der Antrag ist begründet.
Die Antragstellerin hat gemäß § 97 Abs. 7 GWB einen Anspruch darauf, dass die
Antragsgegnerin das Vergabeverfahren ab Aufforderung zur Angebotsabgabe wiederholt, da der Eingang der Angebote teilweise nicht ordnungsgemäß dokumentiert ist.
Hierzu im Einzelnen:
2.1. Unzureichender Eingangsvermerk der Angebote
Die Antragsgegnerin hat es bei vier Angeboten, unter anderem bei der Antragstellerin,
versäumt, die Eingangsvermerke mit einem Namenszug zu versehen. Bei einem fünften Angebot, nämlich dem der Beigeladenen lag das Verpackungsmaterial in Gänze
nicht vor. Die Antragsgegnerin hat dadurch gegen die Regelungen des § 17 EG Abs.
1 VOL/A verstoßen. Ein Vermerk i.S. dieser Vorschrift dient der Beweissicherung. Er
muss daher in einem förmlichen Verfahren den Aussteller erkennen lassen.
Der Eingangsvermerk soll sicher stellen, dass der Wettbewerb zwischen den Bietern
unter gleichen Voraussetzungen stattfindet und nicht einzelne Bieter ihr Angebot nachträglich verändern. Er soll dokumentieren, dass die Angebote fristgemäß eingegangen
sind. Der Verhandlungsleiter soll aufgrund der Eingangsvermerke dies unkompliziert
prüfen können. Dies war nach der früheren Rechtslage ausdrücklich in § 22 Nr. 3
VOL/A normiert. Diese Vorschrift ist zwar entfallen. Eine entsprechende Prüfung ist
jedoch weiterhin erforderlich, da nicht fristgerecht eingegangene Angebote nach § 19
EG Abs. 3 lit. e VOL/A zwingend auszuschließen sind. Um bei Vertretungs- und
Mehrfachvertretungsfällen eindeutig festzustellen, wer die Sendung entgegen
genommen und verwahrt hat, ist ein Namenzug unabdingbar. Schließlich soll
gewährleistet sein, dass mit dem Namenszeichen eine konkrete Person die
Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit des gefertigten Vermerks und die
Authentizität der Posteingänge übernimmt und im Bedarfsfalle hierfür auch
in Verantwortung genommen werden kann (vgl. OLG Naumburg v. 31.03.2008 –
191
1 Verg 1/08 und OLG Naumburg v. 27.05.2010, 1 Verg 1/10). Dies war auf Grund der
fehlenden Namenszeichen nicht gewährleistet. Die Einhaltung dieser Vorschrift ist
bieterschützend.
Die Niederschrift zur Angebotsöffnung vom ............... kann schon allein deshalb den
Eingangsvermerk nicht ersetzen, da es an der geforderten Unmittelbarkeit der Kennzeichnung der Unterlagen selbst fehlt. Aus diesem Grund soll das Verpackungsmaterial
der Angebote selbst gekennzeichnet werden. Vor diesem Hintergrund machen -anders
als die Antragsgegnerin meint -auch weder Eintragungen der Poststelle im Posteingangsbuch noch entsprechende eidesstattliche Versicherungen den Eingangsvermerk
entbehrlich (vgl. OLG Naumburg a.a.O.) Die Vorschriften über die Dokumentation des
Vergabeverfahrens sind vielmehr zwingend einzuhalten, um mögliche Manipulationen
weitestgehend auszuschließen. Dies gilt in diesem Zusammenhang umso mehr, als
dass in dem Vergabeverfahren gerade die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen betroffen sind.
Zu Unrecht weist die Antragsgegnerin schließlich darauf hin, dass das Verpackungsmaterial nicht auf bis zum Abschluss des Verfahrens aufzuheben wäre.
Dies trifft schon deshalb nicht zu, da für die Bieter und die Nachprüfungsinstanzen eine umfassende Dokumentation des Verfahrens sicher gestellt sein muss.
Die Vorschrift des § 17 EG Abs. 3 VOL/A ist daher dahingehend auszulegen,
dass auf eine Verwahrung des Verpackungsmaterials erst nach Abschluss des
Vergabeverfahrens verzichtet werden kann.
105 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.02.2013 –
1 VK LSA 21/12 (arbeitsmedizinische Betreuung)
Im Gegensatz zur früheren Rechtslage des § 22 Nr. 3 VOL/A (2006) ist nunmehr
gemäß § 14 VOL/A (2009) in die Dokumentation der Angebotsöffnung nicht mehr
zwingend aufzunehmen, ob die Angebote insbesondere ordnungsgemäß verschlossen waren. Eine entsprechende Prüfung ist jedoch weiterhin erforderlich, da nicht
form- oder fristgerecht eingegangenen Angebote nach § 16 Abs. 3 e) VOL/A zwingend
auszuschließen sind.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin oder die übrigen konkurrierenden
Wettbewerber überhaupt ein zuschlagsfähiges Angebot gemessen an den §§ 14 und
16 VOL/A abgegeben haben. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Antragsgegner
durch sein Verhalten gegen elementare Grundlagen der Transparenz und des Wettbewerbs verstoßen hat. Entsprechend § 14 Abs. 1 sowie Abs. 2 Satz 1 VOL/A sind
Angebote ungeöffnet zu lassen, mit Eingangsvermerk zu versehen und bis zum Zeitpunkt der Öffnung unter Verschluss zu halten. Die Öffnung der Angebote ist von
mindestens zwei Vertretern gemeinsam durchzuführen und zu dokumentieren.
Ein Vermerk i. S. dieser Vorschrift dient der Beweissicherung. Er soll sicherstel-
192
len, dass der Wettbewerb zwischen den Bietern unter gleichen Voraussetzungen
stattfindet und nicht einzelne Bieter ihr Angebot nachträglich verändern. Im
vorliegenden Fall hat der Auftraggeber diese Sorgfaltspflichten in mehrfacher Hinsicht
nicht hinreichend beachtet.
So hat er entgegen den Angaben in der Eröffnungsniederschrift die Angebotsunterlagen in allen wesentlichen Teilen nicht gekennzeichnet. Dabei kann offen bleiben,
inwieweit trotz fehlender explizierter Regelung in der VOL/A 2009 nach wie vor
eine Kennzeichnung der Angebote zur Verhinderung von Manipulationen und
zur Gewährleistung eines fairen, ordnungsgemäßen Wettbewerbes notwendig
ist. Des Weiteren ist der Eröffnungsniederschrift zu entnehmen, dass der Verschluss von fünf Briefumschlägen versehrt gewesen sein soll. Nähere Ausführungen
finden sich dazu weder unter der Rubrik „Besonderheiten zur Niederschrift“ noch in
der Vergabedokumentation. Vorliegend weist nur das Verpackungsmaterial der Angebote der Beigeladenen und eines weiteren Bieters Beschädigungen durch Einrisse
auf, die Umschläge der restlichen drei Angebote sind dagegen unversehrt. Ferner
sind in der Vergabedokumentation für zwei Bieter die Eingangsdaten der Angebote
fehlerhaft vermerkt. es notwendig ist. Des Weiteren ist der Eröffnungsniederschrift
zu entnehmen, dass der Verschluss von fünf Briefumschlägen versehrt gewesen sein
soll. Nähere Ausführungen finden sich dazu weder unter der Rubrik „Besonderheiten zur Niederschrift“ noch in der Vergabedokumentation. Vorliegend weist nur das
Verpackungsmaterial der Angebote der Beigeladenen und eines weiteren Bieters
Beschädigungen durch Einrisse auf, die Umschläge der restlichen drei Angebote sind
dagegen unversehrt. Ferner sind in der Vergabedokumentation für zwei Bieter die
Eingangsdaten der Angebote fehlerhaft vermerkt.
Im Gegensatz zur früheren Rechtslage des § 22 Nr. 3 VOL/A ist zwar nunmehr gemäß
§ 14 VOL/A in die Dokumentation der Angebotsöffnung nicht mehr zwingend aufzunehmen, ob die Angebote insbesondere ordnungsgemäß verschlossen waren. Eine
entsprechende Prüfung ist jedoch weiterhin erforderlich, da nicht form-oder fristgerecht
eingegangene Angebote nach § 16 Abs. 3 e) VOL/A zwingend auszuschließen sind.
Da die Öffnung der Angebote im Bereich der VOL/A unter Ausschluss der Wettbewerber zu erfolgen hat, kommt der Eröffnungsniederschrift eine besondere
Bedeutung zu. Ihre Glaubwürdigkeit darf keinem Zweifel ausgesetzt werden.
Dies ist hier aufgrund der beschriebenen Widersprüche jedoch der Fall, so dass eine
Zuschlagserteilung auf der Grundlage der vorliegenden Angebote hinsichtlich der elementaren Bedeutung von Transparenz und Wettbewerb schon aus diesem Grunde
ausgeschlossen erscheint. Dies muss umso mehr gelten, als überdies Teile der
Angebotsunterlagen eines Bieters ein Ausfertigungsdatum enthalten, welches einen
Zeitpunkt nach Angebotseröffnung ausweist. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass die fragliche Unterlage nicht zum auftraggeberseitigen Anforderungsprofil
gehört. Es reicht vielmehr bereits aus, dass sie Bestandteil eines im Wettbewerb
stehenden Angebotes ist.
193
Die Beachtung von Formvorschriften durch die Vergabestelle soll letztlich der Wahrung
der Rechte aller Bieter im Rahmen des § 97 Abs. 7 GWB dienen.
Um die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens wiederherstellen zu können, ist zumindest eine erneute Angebotseinholung notwendig, denn keines der im Vergabeverfahren eingegangenen Angebote ist wertbar, weil ein unverfälschter Wettbewerb im
Hinblick auf den Verstoß gegen § 14 VOL/A nicht sichergestellt werden kann.
2.
Feststellung des Angebotsinhalts
106 OLG Koblenz, Beschluss vom 30.03.2012 –
1 Verg 1/12 (Evangelisches Krankenhaus)
II.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Auftraggebers hat Erfolg.
1. Die Antragstellerin hat keine Abweichung von einer technischen Spezifikation im Sinne des § 7 Abs. 5 VOB/A (siehe dazu OLG München v. 28.07.2008 –
Verg 10/08 – VergabeR 2008, 965) unterbreitet, sondern ein nicht zuschlagsfähiges Aliud angeboten, das auch als Nebenangebot schon deshalb nicht
gewertet werden kann, weil Varianten nicht zugelassen sind.
b) Entscheidend ist einzig und alleine die Frage: Entspräche die vertraglich geschuldete Leistung exakt dem, was der Auftraggeber haben will, wenn er den Zuschlag
auf das Angebot der Antragstellerin erteilte? Die Antwort ist Nein, denn es kommt
nicht darauf an, was technisch möglich wäre, sondern allein darauf, was im Angebot steht und wie dies zu verstehen ist.
Die Angabe „V. CG3-P-93-H13-3170x3170“ ist eindeutig und unmissverständlich:
Angeboten werden Filterflächendecken mit H13-Filtern und von den Vorgaben des
Leistungsverzeichnisses abweichenden Maßen. Im Angebot selbst finden sich keine
Anknüpfungspunkte dafür, dass etwas anderes angeboten werden sollte als das, was
dem Wortlaut entspricht. Auch aus dem beigefügten Produktdatenblatt ergibt sich
nichts anders; vielmehr ist dort zu lesen, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn CG3P-Filterflächendecken mit H13-Filtern ausgestattet werden. Dies entspricht im Übrigen der DIN 1946-4, die für Räume der Raumklasse I, wozu auch Operationsräume
gehören, Schwebstofffilter der Filterklasse H13 ausreichen lässt.
Die Praxis zeigt, dass es auch keinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, dass
Unternehmen immer genau das anbieten wollen, was der Auftraggeber über
194
die Leistungsbeschreibung „bestellt“ hat und Abweichungen im Angebot auf
einem – vom Auftraggeber als solches erkennbarem – Versehen beruhen.
Es gab somit für einen verständigen und redlichen Erklärungsempfänger keinen
Anlass anzunehmen, die Eintragung „CG3-P-93-H13-3170x3170“ beruhe auf einem
Schreibfehler o.ä., und daraus den Schluss zu ziehen, nach dem wahren Willen des
Erklärenden werde entgegen dem Wortlaut der Eintragung doch ausschreibungskonform angeboten.
c) Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass aus dem Umstand, dass sich der
Auftraggeber erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens auf die Mangelhaftigkeit des Angebots der Antragstellerin berufen hat, nicht geschlossen werden kann, er habe deren Angebot zunächst „richtig“ (im Sinne der Antragstellerin)
verstanden. Dieses Angebot lag in der Wertung an dritter Stelle und kam deshalb zunächst für den Zuschlag nicht in Betracht. Erst als sich abzeichnete, dass
die besser bewerteten Angebote wegen Abweichungen von den Vorgaben des
Leistungsverzeichnisses ausschlussgefährdet waren, wurden mehrere Angebote,
darunter das der Antragstellerin, erstmals mit der gebotenen Sorgfalt überprüft
und der neu entdeckte Mangel im Angebot der Antragstellerin mit Schriftsatz vom
12. Januar 2012 vorgetragen.
2. Die mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 24. Januar 2012 erklärte
Irrtumsanfechtung der Antragstellerin kann ihrem Angebot nicht mehr zum Erfolg
verhelfen.
a) Wäre die Produktbezeichnung – wovon möglicherweise die Vergabekammer
ausging – lediglich eine gesondert zu betrachtende Erläuterung zu der Willenserklärung Angebot, ginge die Anfechtungserklärung in Leere, weil nur Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen anfechtbar sind.
b) Ist die Produktbezeichnung – wovon der Senat ausgeht – integraler Bestandteil
der Willenserklärung Angebot, weil mit ihr die angebotene (Teil-)Leistung entsprechend dem Wunsch des Auftraggebers konkretisiert wird, kommt zumindest
nach Ablauf der Angebotsfrist eine Teilanfechtung (mit der Folge der Teilnichtigkeit entsprechend § 139 BGB) schon deshalb nicht in Betracht, weil ansonsten
eine vergaberechtlich unzulässige nachträgliche Änderung des Angebotsinhalts
vorläge. Bei unterstellter Zulässigkeit und Wirksamkeit der Anfechtung hat diese
vielmehr zur Folge, dass die Antragstellerin so zu behandeln ist, als habe sie nie
ein Angebot abgegeben.
d) § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A findet keine Anwendung, wenn eine geforderte
Erklärung formgerecht, lesbar und vollständig abgegeben wird, aber inhaltlich nicht geeignet ist, dem Angebot zum Erfolg zu verhelfen.
195
107 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.11.2012 –
Verg 38/12 (Klärschlammtransporte)
1. Der Auftraggeber ist bei der Angebotsprüfung verpflichtet, den wahren Willen des
Bieters durch Auslegung zu ermitteln.
2. Gibt ein Bieter in seinem Angebot Bruttopreisen anstelle der geforderten Nettopreise, so ist der Ausschluss des Angebots aus der Wertung nicht ohne Weiteres
gerechtfertigt, wenn es dem Auftraggeber zumutbar ist, durch relativ einfache
Rechenoperation die Brutto- in Nettopreise umzurechnen. Eine solche einfache
Umrechnung stellt keine Änderung der Vergabeunterlagen dar.
3.
3.1
Formelle der Prüfung der Angebote (1. Wertungsstufe)
Fehlende/Unklare Erklärungen
108 VK Brandenburg, Beschluss vom 01.08.2011 –
VK 22/11 (Endoskopiesystem)
Der Auftraggeberin aufzugeben, das Angebot der Antragstellerin nicht von der Wertung auszuschließen, sondern es unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer
auf allen Wertungsstufen zu werten und den durch die Antragstellerin gerügten Vergabefehlern abzuhelfen und die laufende Ausschreibung solange zu unterbrechen, wie
dies nicht geschehen ist.
II. Die Unvollständigkeit der elektronischen Fassung des Angebotes ist ebenfalls zu
Recht gemäß § 19 EG Abs. 3 Satz 1 lit. e, 16 EG Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VOL/A
als Ausschlussgrund herangezogen worden. Das Angebot war nach Ziff. 9 der
Besonderen Bewerbungsbedingungen unmissverständlich „mit allen Anlagen im
Original und einer Kopie (Papierform) sowie in elektronischer Fassung auf CD oder
DVD (alle Unterlagen jedenfalls auch im pdf-Format)“ einzureichen. Diese Anforderung erfüllt das Angebot der Antragstellerin in Bezug auf die mit dem Angebot
einzureichenden Wartungsvertragsentwürfe nicht – unabhängig davon, dass die
in Papierform eingereichten Vertragsentwürfe teils auch nicht der Anforderung
genügen, einen Vollwartungsvertrag und einen Teilwartungsvertrag vorzulegen.
Auf die Wettbewerbsrelevanz der fehlenden elektronischen Fassung der Vertragsentwürfe kommt es nach §§ 19, 16 VOL/A-EG für den Ausschluss nicht
an (vgl. VK Bund, Beschluss vom 2. Februar 2011 – VK 3-168/10 unter Hinweis auf
Dittmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 19 EG, Rn. 43). Unvollständige
Angebote sind zwingend von der Wertung auszuschließen, wenn sie nicht in
jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebenden Hinsicht vergleichbar
sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2003 – X ZB 43/02).
196
Eine Verpflichtung zur Nachforderung bestand für die Auftraggeberin nicht.
Bereits der Wortlaut des § 19 EG Abs. 2 VOL/A – können nachgefordert werden – überlässt dem Auftraggeber die Entscheidung, ob er von einem Bieter
Unterlagen nachfordert. Er kann daher grundsätzlich unvollständige Angebote
ausschließen, ohne von der Nachforderungsmöglichkeit Gebrauch zu machen.
Wird, wie vorliegend von der Auftraggeberin, auf die Nachforderungsmöglichkeit
gegenüber allen Bietern verzichtet, genügt der Auftraggeber dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Anspruch der Bieter, die Möglichkeit zur Vervollständigung seines
Angebotes eingeräumt zu erhalten, besteht nicht (VK Bund, a.a.O.)
Das Angebot der Antragstellerin war auch deshalb zwingend von der Wertung auszuschließen, weil es nicht den in den Verdingungsunterlagen festgelegten Mindestbedingungen entsprach. Angebote, die die in den Verdingungsunterlagen aufgestellten
Mindestanforderungen von vornherein nicht einhalten, sind auszuschließen (OLG
Brandenburg, Beschluss vom 5. Januar 2006 – Verg W 12/05).
Die Auftraggeberin hat in Ziff. 10 der Besonderen Bewerbungsbedingungen verlangt,
dass die Bieter mit ihren Angeboten zwei Vertragsentwürfe, den Entwurf eines Vollwartungsvertrages und den Entwurf eines Teilwartungsvertrages vorlegen („haben
... zwingend beizufügen“). Sie hat zugleich festgelegt, dass das Angebot aus dem
Verfahren ausgeschlossen wird, wenn ein solcher Vertragsentwurf fehlt. Der letztlich
gewählte Wartungsvertrag [Voll- oder Teilwartungsvertrag] sollte als Anlage 2 des
Vertrages über Lieferung, Inbetriebnahme und Wartung von Endoskopie-Equipment
(vgl. § 6 Abs. 1) die Einzelheiten der vertraglich zu vereinbarenden Wartungspflichten
regeln.
Die mit dem Angebot vorzunehmende Vorlage der beiden Wartungsvertragsvarianten hatte die Auftraggeberin als Mindestbedingung festgelegt. Die Antragstellerin
hat mit dem Angebot keinen Teilwartungsvertrag eingereicht. Das folgt zum Einen
bereits aus dem Leistungsumfang der beiden mit dem Angebot eingereichten und
als „Instandhaltungsverträge“ bezeichneten Vertragsentwürfe in Verbindung mit den
angebotenen „Wartungs“-Kosten. Die dem Angebot beigefügten „Instandhaltungsvertragsentwürfe“ könnten allenfalls als sich geringfügig unterscheidende „Vollwartungsvertragsentwürfe“ angesehen werden.
Zum Anderen wurde die abgeforderte Teilwartung selbst nach eigenem Vortrag der
Antragstellerin lt. E-Mail vom ... 2011 nicht mit dem Angebot eingereicht. Die Antragstellerin hat hier eingeräumt, dass es in ihrem Haus Unklarheiten im Hinblick auf den
Gebrauch der Begriffe „Wartung“ und „Instandhaltung/Instandsetzung“ gebe. Sie
hat ferner eingeräumt, dass sie den Leistungsumfang falsch eingeschätzt habe. Dem
folgt, dass der nachgereichte Vertragsentwurf vom ... 2011 nach Leistungsumfang und
Kosten mit dem ursprünglich angebotenen, geringfügig kostengünstigeren „Instandhaltungsvertrag“ nicht ansatzweise vergleichbar ist. Allerdings hat die Antragstellerin,
obwohl ihr mögliche Diskrepanzen im Verständnis der in DIN ... definierten Abstufun-
197
gen von Instandhaltung bis Wartung bewusst waren, keine klärende Bieterfrage an die
Auftraggeberin gerichtet. Eine Klärung hätte sich ihr jedoch aufdrängen müssen, denn
in den Verdingungsunterlagen ist ausnahmslos von „Wartung“ und „Wartungskosten“
die Rede.
Es kann dahinstehen, ob das Abweichen zwischen angebotener und der in
den Verdingungsunterlagen beschriebenen Leistung dogmatisch als Fall der
unzulässigen Änderung an den Verdingungsunterlagen einzuordnen ist, welcher zum zwingenden Ausschluss führt, oder ob ein nicht ausdrücklich in der
Verdingungsordnung enthaltener zwingender Ausschlussgrund wegen der sich
nicht deckenden und damit nicht zu einem Vertrag führenden Willenserklärungen vorliegt. Die Rechtsfolge des zwingenden Ausschlusses ist in jedem Fall
gegeben (vgl. OLG München, Beschluss vom 28. Juli 2008 – Verg 10/08).
109 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.05.2012 –
Verg 104/11 (Heeresflugplatz – Lüftungstechnische Anlagen)
3. Das Angebot der Beigeladenen ist, wie die Vergabekammer weiter zutreffend
ausgeführt hat und worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird,
auch nicht wegen fehlender Nachunternehmererklärungen auszuschließen. Die
Beigeladene hat sowohl das Formular 235EG („Verzeichnis der Unternehmerleistungen EG“) als auch das Formular 236EG („Verpflichtungserklärung anderer
Unternehmen EG“) mit dem Angebot vorgelegt. Damit hat sie mehr getan, als sie
hätte tun müssen, denn die Benennung eines konkreten Nachunternehmers im
Formular 235EG und die Vorlage einer entsprechenden Verpflichtungserklärung
– des Formulars 236EG – waren nach den Vergabeunterlagen überhaupt nicht
gefordert. An die gleichwohl erfolgte Benennung des Nachunternehmers X... war
die Beigeladene folglich mangels verbindlicher Festlegung nicht gebunden.
In dem mit dem Angebot vorzulegenden Formular 235EG hätte die Beigeladene nach
dessen Wortlaut sowie gemäß Ziffer 7 Satz 1 („Eignungsnachweise andere Unternehmen“) der „Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Bauleistungen“ (Formular
212 EG) lediglich Art und Umfang der Leistungen angeben müssen, für die sie sich der
Fähigkeiten anderer Unternehmen bedienen wollte. Es hätte daher ausgereicht, wenn
sie – wie geschehen – die entsprechenden Ordnungsziffern des Leistungsverzeichnisses (1.2.) und eine Beschreibung der Teilleistung (Lüftungsdecken) angegeben hätte
(so auch: BGH, Urteil vom 10. Juni 2008, X ZR 78/07 „Nachunternehmererklärung“,
NZBau 2008, 702 = VergabeR 2008, 782). Alle darüber hinausgehenden Angaben, wie die Angabe des Namens des Nachunternehmers beziehungsweise die
Angabe des Fabrikats waren dagegen nicht notwendig. Dass die Beigeladene
dennoch bereits in ihrem Angebot die Fa. X... als Nachunternehmer benannt
hat, führt nicht dazu, dass diese Angabe bindend wäre. Der Bundesgerichtshof
ist in seinem Urteil vom 10. Juni 2008 (a.a.O.) inzidenter davon ausgegangen,
dass eine derartige Angabe unverbindlich ist.
198
Überdies hat die Beigeladene – wie bereits vorstehend ausgeführt – bei der Angebotsaufklärung mit E-Mail vom 18. Juli 2011 gegenüber dem von der Antragsgegnerin
beauftragten Ingenieurbüro ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich nicht um
ein verbindlich angebotenes, sondern nur um ein beispielhaft vorangebotenes Fabrikat
gehandelt hat. Nachträglich abgegebene Erläuterungen eines Bieters darüber, wie er
sein Angebot im Zeitpunkt seiner Abgabe verstanden wissen wollte und welchem
Inhalt er ihm beimaß, sind bei der Auslegung des Angebots jedoch grundsätzlich
zu berücksichtigen. Zur Feststellung, welchen Inhalt der Erklärende seinem Angebot
tatsächlich beimisst, sind deshalb alle den Inhalt erläuternde Äußerungen des Bieters
heranzuziehen, die einen Rückschluss auf seinen Willen im Zeitpunkt der Angebotsabgabe zulassen (Senat, Beschlüsse vom 14. Oktober 2009 – VII-Verg 9/09 und
12. März 2007 – VII-Verg 53/06).
Zur Vorlage des Formulars 236EG mit dem Angebot wäre sie ausweislich Ziffer 7 Satz 2
(„Eignungsnachweise andere Unternehmen“) der „Bewerbungsbedingungen für die
Vergabe von Bauleistungen“ (Formular 212 EG) gar nicht verpflichtet gewesen. Diese
Verpflichtungserklärung hätte die Beigeladene erst auf gesonderte Aufforderung der
Antragsgegnerin, die nicht erfolgt ist, zu einem von dieser bestimmten Zeitpunkt vorlegen müssen (§ 6a Abs. 10 VOB/A und Ziffer 7 Satz 2 der Bewerbungsbedingungen).
Mangels einer verbindlichen Festlegung auf einen Nachunternehmer in ihrem Angebot
war die Beigeladene daher weder vor noch nach der Zuschlagserteilung an die von
ihr benannte Nachunternehmerin X... gebunden, sondern durfte stattdessen bei der
späteren Auftragsausführung einen anderen Nachunternehmer einsetzen.
110 VK Sachsen, Beschluss vom 15.11.2012 – 1/SVK/032-12
(Eigenverantwortlicher territorialer Winterdienst)
1. Bietererklärungen müssen klar und eindeutig sein. Der Auftraggeber ist nicht
gehalten, aus mehreren Erklärungen mögliche Schlüsse zu ziehen.
2. Ein Antragsteller hat kein schützenswertes Vertrauen in Bezug auf eine bisherige,
rechtswidrige Vergabepraxis des Auftraggebers. Auch eine Pflicht des Auftraggebers, den Antragsteller in besonderer Weise auf die Anforderungen nachgeforderter Erklärungen hinzuweisen, folgt daraus nicht.
Die Vergabekammer sieht hier auch kein schützenswertes Vertrauen in die Vergabepraxis der Auftraggeberin, welches die Antragstellerin von der Vorlage der geforderten Erklärungen entbinden könnte. Nach dem Vortrag der Antragstellerin hatte die
Auftraggeberin bei identischen Ausschreibungen der vergangenen Jahre gleichlautende Erklärungen der Antragstellerin akzeptiert. Auch wenn dies so wäre, würde
dies die Rechtsstellung der Antragstellerin in diesem Verfahren nicht verbessern. Auf
eine vergaberechtswidrige Praxis kann sich die Antragstellerin nicht berufen.
199
Dadurch würden die weiter im Wettbewerb befindlichen Bietern gegenüber der
Antragstellerin benachteiligt, was aus Gründen der Gleichbehandlung und der
Transparenz nicht zulässig ist.
Im Ergebnis war also festzuhalten, dass die Erklärung der Antragstellerin nicht ausreichend war und auch im Ergebnis der Nachforderung nicht die Anforderungen der
Auftraggeberin erfüllt hatte. Auf die Ausführungen der Antragstellerin, dass sie ausreichend Personal zur Verfügung habe, um den gegenständlichen Auftrag zu erfüllen,
kommt es nicht an. Dies wird von der Kammer auch nicht in Abrede gestellt.
3.2
Änderung der Vergabeunterlagen
111 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.02.2012 –
11 Verg 11/11 (Neubau Tunnel)
dd) In Betracht kommt jedoch eine Änderung an den Verdingungsunterlagen (§ 16
Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A). Hierunter fallen nicht nur manipulative Einwirkungen durch Streichungen, Einfügungen oder das Herausnehmen einzelner
Blätter (Vavra a.a.O. Rn. 6). Der Begriff der Änderung ist weit auszulegen
(OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 26.5.2009, 11 Verg 2/09). Weicht ein Bieter
von den Vorgaben der Vergabeunterlagen ab und bietet im Ergebnis eine andere
als die ausgeschriebene Leistung an, so ändert er damit die Vergabeunterlagen
(Christiani a.a.O. Rn. 62.). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Änderung technische
Vorgaben oder vertragliche Ansprüche betrifft (Stolz in: Willenbruch/Wieddekind,
Vergaberecht Kompaktkommentar, § 13 VOB/A Rn. 52). Änderungen können
insbesondere auch die Preise und die Kalkulation betreffen.
(a) Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beigeladenen, es sei den Bietern freigestellt
gewesen, auf welche Weise sie die von ihnen anzugebende Vortriebsbauzeit ermittelten. Überdies hält er die Einhaltung der Vorgaben der Bieteranmerkungen für
zwingend geboten, weil sie unmittelbar in die Berechnung der Verrechnungseinheit
und damit der Vergütung der Baustellenkosten gem. Pos. 00.0020.30 einfließen.
Hierzu heißt es in den Anlagen für Bietereintragungen unter 2.3 Vortriebsbauzeit:
„2.3.1. Allgemeines
Die Vortriebsbauzeit VBZ ergibt sich als Summe der Vortriebsdauer der Kalot-tenvortriebe in beiden Röhren, der zusätzlichen Vortriebsdauer für das Nachziehen von
Strosse und Sohle, der zusätzlichen Vortriebsdauer auf Grund von Wassererschwernissen, Rohrschirmherstellung, Brustankerung, Fußpfählen, sonstiger Vortriebsverzögerungen und Vortriebsunterbrechungen.
Die tatsächliche VBZ ist variabel und abhängig von der tatsächlichen Vortriebsklassenverteilung ... unter Berücksichtigung der vertraglichen Leistungsansätze. ...
200
Bei der Ermittlung der Vortriebstage für den Kalottenvortrieb ist zu berücksichtigen,
dass sich die Vortriebstage aus der Summe der Kalottenvortriebe in den Hauptröhren
errechnen.“
Es folgt Ziff. 2.3.3 Ermittlung der Vortriebsdauern Kalottenvortriebe, wo die Vortriebsdauer unter Berücksichtigung der vom AG prognostizierten VKL und der angebotenen
Vortriebsleistung für jede VKL zu berechnen und einzutragen war. Im Anschluss an
die dort vorgesehenen Eintragungen folgt 2.4 Ermittlung der Vortriebsbauzeit VBZ
Ausdrücklich heißt es in dem einleitenden Satz zu diesem Abschnitt:
„Der für die LV – Position 00.20.0030 zu vergütende Vordersatz wird gem. LV – Vorbemerkung Pkt. 2.2.3. wie folgt ermittelt:“
Es folgen zehn Zeilen für Z 1 – Z 10, an deren Ende sich jeweils eine gestrichelte
Linie und an deren Ende ein D (für Tage) befindet. In der Gesamtschau kann kein
Zweifel daran bestehen, dass in die vorgesehenen Zeilen Z 1 – Z 10 die auf den vorhergehenden Seiten ermittelten Zeiten (Vortriebsdauern für Nord- und Südröhre und
sog. Teilzeiten) zu übertragen waren. Erst recht kann es keinen vernünftigen Zweifel
geben, dass in der am Ende dieser Seite (Seite 11 von 17) in der Zeile „Vortrieb
bergmännischer Tunnel OZ 00.20.0030 (VBZtheor)“ auf der hier vorgesehenen Linie
vor D die Summe der sich aus den vorstehend eingetragenen Teilbeträgen Z 1 – Z 10
eingetragen werden sollte. Selbst wenn sich hier noch irgendein vernünftiger Zweifel
ergeben könnte, lässt sich dieser durch einen Blick in Ziff. 2.2.4. der Vorbemerkungen
LVZ unschwer beheben, wo es heißt:
„Bei der Ermittlung der Vortriebsbauzeit werden folgende Teilzeiten berücksichtigt:“
(Es folgt die Aufführung der Ziffern Z 1 – Z 10).
Damit gehen die Vorgaben zur Ermittlung der Vortriebsbauzeit so eindeutig aus den
Vergabeunterlagen hervor, dass aus der Sicht eines durchschnittlichen Bieters keine
Zweifel daran aufkommen konnten, wie sie zu erfüllen waren. Jedenfalls erlauben sie
nicht den Schluss, es seien beliebige Zahlen an dieser Stelle einzutragen.
Auch die Beigeladene hat nicht geltend gemacht, sie habe die Vorgaben missverstanden, sondern hat – so behauptet sie – lediglich gemeint, sie seien unzutreffend,
weil eine so ermittelte Vortriebsbauzeit nicht berücksichtige, dass sich die Bauzeiten
überlappten und die anzugebende Bauzeit dadurch länger als die tatsächliche Bauzeit
sei. Dies berechtigte die Beigeladene jedoch nicht, von den Vorgaben in den Bieterunterlagen willkürlich abzuweichen und eine Zeitangabe einzutragen, die aus den
dortigen Vorgaben unter Ziff. 2.3 und 2.4 in keiner Weise herleitbar ist.
(b) Die Abweichung in den Bietereintragungen ist auch nicht unerheblich, weil es sich
dabei nicht um Verdingungsunterlagen handelt oder die abweichenden Angaben
keinen Einfluss auf das Wertungsergebnis haben.
201
aa) Bei den Anlagen für Bietereintragungen handelt es sich um Vergabeunterlagen
und nicht um – wie die Beigeladene meint – nicht wertungsrelevante Schemata
für kalkulatorische Eintragungen. Das ergibt sich schon daraus, dass in Ziff. 2.4 zur
Ermittlung des für die LV – Position 00.20.0030 zu vergütenden Vordersatzes auf
das LVZ und die LV – Vorbemerkung Pkt. 2.2.3 Bezug genommen wird. Der nach
den dortigen Vorgaben zu ermittelnde Vordersatz wird über die Abrechnungsvereinbarung in LVZ 00.20.0030 als Vergütungsvereinbarung unmittelbarer und
wesentlicher Vertragsbestandteil.
Eine Änderung an den Verdingungsunterlagen hat die Beigeladene schon
dadurch bewirkt, dass sie diesen Vordersatz nicht wie vorgesehen ermittelt hat
und dadurch zu einer abweichenden Verrechnungseinheit gelangt. Obwohl sie
– wie die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 15.2.2012 zutreffend ausführt –
in der Position 00.20.0030 einen Pauschalbetrag von 6.000.440,58 EUR angeboten
hat, berechnet sie ihre Vergütung auf der Grundlage einer Verrechnungseinheit von
13.130,06 EUR (6.000.440,58 : 457) und damit annähernd so hoch die Antragstellerin, die eine wesentlich höhere Pauschale angeboten hat. Damit verschafft sich die
Beigeladene schon deswegen einen rechnerischen Vorteil, weil sie bei der wertungsrelevanten Pauschale ein günstigeres Angebot ausweisen kann, ohne dadurch bei
der Abrechnung wesentlich schlechter zu fahren als Konkurrenten mit einem höheren
Pauschalpreis. Hätte die Beigeladene die Vortriebsbauzeit wie in Ziff. 2.4 der Bietereintragungen und so wie die Antragstellerin ermittelt, ergäbe sich für sie lediglich eine
Verrechnungseinheit von 8.634,22 EUR.
Selbst wenn die Ermittlung der Verrechnungseinheit nur für die Berechnung von
Abschlagszahlungen während der Bauzeit von Bedeutung wäre, hätte sich die Beigeladene durch ihre von den Vergabeunterlagen abweichende Berechnung einen Vorteil
verschafft.
(bb) Der Senat vermag indes auch die Auffassung der Beigeladenen nicht nachzuvollziehen, wonach sich aus den Vergabeunterlagen verschiedene Berechnungsmethoden ableiten ließen. Die Vergabeunterlagen sind auch insoweit eindeutig.
Gem. Ziff. 2.2.4 der Vorbemerkungen zum LVZ errechnet sich die Anzahl der
vergüteten Kalendertage aus der Summe der Laufmeter Kalotte der tatsächlich
angetroffenen Vortriebsklassen jeder Tunnelröhre, geteilt durch die jeweiligen
Vortriebsklassen. Die Anzahl der zu vergütenden Kalendertage ergibt sich mithin
nicht nach der Berechnung der Beigeladenen, sondern nach dem vertraglich vorgesehenen Konzept. Darauf hätte die Beigeladene bei Zuschlagserteilung einen
vertraglichen Anspruch. Bei unveränderter Vortriebsklassenverteilung hätte die
Beigeladene nach dieser vertraglich vorgesehenen Vergütungsvereinbarung mindestens Anspruch auf eine Vergütung für 555,59 Tage. Bereits damit wäre die
angebotene Pauschale deutlich überschritten.
202
Die von der Beigeladenen jetzt angekündigte Abrechnung von lediglich 457 Tagen
findet in den Vergabeunterlagen keinen Niederschlag.
Ob das Angebot der Antragstellerin unabhängig von den unterschiedlichen Berechnungsmethoden preislich unverändert hinter dem der Beigeladenen zurückbleibt, ist
unerheblich. Angebote, die eine Änderung der Vergabeunterlagen enthalten, sind
zwingend auszuschließen, unabhängig davon, ob sich die Änderung zu Lasten
eines Wettbewerbers auswirkt, denn die Vorschrift dient auch dem Schutz des
Auftraggebers vor Angeboten, die er so nicht wollte (vgl. Weyand, Vergaberecht
Praxiskommentar, 3. Aufl., § 16 VOB/A Rn. 7711).
112 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin)
C. Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag unbegründet. 1. Es ist unschädlich, wenn
die Beigeladene mehr Referenzen beigebracht hat als vom Antragsgegner
gefordert. Die Bieter können ihren Angeboten ohne Weiteres auch weitere
Informationen, wie beispielsweise besondere Qualifikationsnachweise,
Informationsbroschüren oder auch Referenzen beifügen, ohne dass diese
Nachweise gefordert sein müssen. Die Angaben in solchen weitergehenden
Informationen muss eine Vergabestelle lediglich nicht prüfen, wenn sie diesbezüglich keine Vorgaben in ihren Vergabeunterlagen gemacht hat. Sie darf sie auch
nicht bei der Wertung berücksichtigen, wenn sie diese nicht zuvor gefordert hat
(VK Münster, Beschluss vom 19.10.2011, Az.: VK 15/11)
113 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.05.2012 – Verg 104/11
(Heeresflugplatz – Lüftungstechnische Anlagen)
Mit EU-Bekanntmachung vom 04. Juni 2011 schrieb die Antragsgegnerin das Gewerk
„Lüftungstechnische Anlagen“ im Zusammenhang mit der Baumaßnahme „Heeresflugplatz – GMB – Neubau-Trio Gebäude, ..., ... „ im offenen Verfahren aus. Es sollte
unter anderem eine Küchenlüftungsdecke mit einer Fläche von 330 qm erstellt werden. Angebote waren bis zum 12. Juli 2011 einzureichen. Nebenangebote waren nicht
zugelassen. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis.
Die Leistungsbeschreibung enthielt detaillierte Angaben zu den zu erbringenden Leistungen sowie zu den einzusetzenden Materialien und Produkten. Es mussten nur die
Preise für die einzelnen Leistungspositionen eingetragen, aber keine Hersteller- oder
Typenangaben gemacht werden.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer ist zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag
der Antragstellerin zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.
203
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt gemäß
§ 107 Abs. 2 GWB und hat rechtzeitig gerügt gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 4
GWB. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer verwiesen werden.
Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet. Wie die Vergabekammer zu Recht
ausgeführt hat, ist die Wertung der Antragsgegnerin, nach der die Beigeladene den
Zuschlag erhalten soll, vergaberechtsfehlerfrei erfolgt. Das Angebot der Beigeladenen
ist nicht von der Wertung auszuschließen.
1. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 VOB/A auszuschließen. Wie die Vergabekammer ausgeführt hat und worauf zur Vermeidung
von Wiederholungen verwiesen wird, hat die Beigeladene weder ein konkretes
Produkt oder einen konkreten Modelltyp, noch eine konkrete Art der Herstellung
oder Durchführung der ausgeschriebenen Leistung angeboten. Die Antragsgegnerin hat, um ein möglichst breites Feld von Angeboten zu erhalten, richtigerweise (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) ein produktneutrales Leistungsverzeichnis
erstellt, in welches die Bieter nur ihre Angebotspreise eintragen mussten.
Darüber hinausgehende Angaben waren nicht gefordert. Damit hatte sich
die Beigeladene grundsätzlich nur dazu verpflichtet, zu den von ihr angebotenen Preisen die im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Leistungen in
mittlerer Art und Güte zu erbringen (siehe: §§ 133, 157, 243 Abs. 1 BGB sowie
Formblatt 213EG (Angebotsschreiben EG), dort Ziffern 1 und 4).
Dem steht nicht entgegen, dass die Beigeladene hinsichtlich der Küchenlüftungsdecken (Ordnungsziffern 1.2. des Leistungsverzeichnisses) ein bestimmtes Fabrikat
benannt hat. Wie sich sowohl aus dem Formular 235EG (Verzeichnis der Unternehmerleistungen EG) als auch aus ihren beiden nicht zugelassenen Nebenangeboten
vom 11. Juli 2011 ergibt, hat die Beigeladene, obwohl dies so nicht gefordert war,
Lüftungsdecken eines bestimmten Fabrikats, nämlich des Fabrikats X... („Lüftungsdecken Fabr. X...“), angeboten. Allerdings hat sie dies in Ihrer E-Mail vom 18. Juli 2011 im
Zuge der Angebotsaufklärung durch die Antragsgegnerin dahingehend klargestellt und
relativiert, dass es sich lediglich um ein „vorangebotenes Fabrikat“ gehandelt habe.
Das Angebot der Beigeladenen ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch
nicht wegen eines Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik oder gegen
einschlägige technische Normen auszuschließen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/B). Bei
den anerkannten Regeln der Technik handelte es sich um die technischen Regeln
für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen
Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und feststehen, sowie
insbesondere in dem Kreis der für die Anwendung der betreffenden Regeln
maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker
durchweg bekannt und aufgrund praktischer Erfahrung als technisch geeignet,
204
angemessen und notwendig anerkannt sind. Erforderlich ist folglich die Anerkennung in Theorie und Praxis. Dabei handelt es sich um Mindestanforderungen, die an
eine ordnungsgemäße Leistung zu stellen sind. Die DIN-Normen können die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben oder hinter diesen zurückbleiben. Die vertraglich
vereinbarten Anforderungen an die Leistung können über die anerkannten Regeln der
Technik hinausgehen (siehe zum Ganzen: Oppler in Ingenstau/Korbion, VOB, 17. A.,
§ 4 Abs. 2 VOB/B, Rdnr. 39, 42, 46 u. 48 m.w.N.). Die Feststellung eines Verstoßes
der Beigeladenen gegen die anerkannten Regeln der Technik scheidet schon deshalb aus, weil nicht sie, sondern die Auftraggeberin die Konstruktionsweise und die
Ausführung der Lüftungsdecken im Leistungsverzeichnis im Einzelnen vorgegeben
hat. Darüber hinausgehende konkrete Festlegungen, insbesondere solche, die den
anerkannten Regeln der Technik, den DIN-Normen oder den vertraglichen Vereinbarungen widersprechen würden, sind durch die Beigeladene – wie bereits vorstehend
ausgeführt – nicht erfolgt. Der entgegenstehende Vortrag der Antragstellerin geht
damit ebenfalls ins Leere. Die Beigeladene hat in ihrem Angebot zudem zugesagt,
die einschlägigen Vorschriften für Küchenlüftungsdecken, wie die DIN-Norm 18869
(Einrichtung zur Be- und Entlüftung von gewerbsmäßigen Küchen), die VDI-Richtlinie
2052 (Raumlufttechnische Anlagen für Küchen, Ausgabe April 2006) und die Baufachliche Richtlinie 12.500, sowie die vertraglichen Vereinbarungen einzuhalten. Ein
Ausschluss der Beigeladenen wegen fehlender Eignung aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit käme aber nur dann in Betracht, wenn sie nicht willens oder in der Lage
wäre, ausschreibungskonform zu leisten (siehe: Senat, Beschlüsse vom 25. April 2012
– VII-Verg 61/11, 14. Juli 2011 – VII-Verg 61/11, 14. Oktober 2009 – VII-Verg 9/09 und
12. März 2007 – VII-Verg 53/06; OLG München, Beschlüsse vom 17. September und
15. November 2007 – Verg 10/07 „Uhrenanlage“). Dafür, dass die Beigeladene nicht
leistungswillig oder leistungsfähig ist, ist angesichts des modularen Aufbaus und der
individuellen Anfertigung der Lüftungsdecke nichts ersichtlich. Ob die Beigeladene bei
der Ausführung der Leistungen die anerkannten Regeln der Technik und die vertraglich vereinbarten Anforderungen tatsächlich einhalten wird, kann zum Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung naturgemäß nicht beurteilt werden.
114 VK Bund, Beschluss vom 07.05.2012 –
VK 3-33/12 (Profilgreifer)
II.
Vergabeunterlagen sind nach §§ 133, 157 BGB aus der Sicht eines objektiven
Erklärungsempfängers auszulegen, vorliegend also aus der Sicht eines sachkundigen Bieters. Bei der ASt handelt es sich um ein branchenerfahrenes Unternehmen, das nach eigenen Angaben als einzige an dem Vergabeverfahren beteiligte
Bieterin eine voll funktionsfähige, serientaugliche Anlage zur kontinuierlichen
Herstellung von dreidimensionalen Kohlefaser-Profilen entwickelt hat. Daher
hätte es gerade für die ASt erkennbar sein müssen, dass die Einfügung der
205
Preformanlage eine der wesentlichen technischen Anforderungen der Ag ist. In
der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer ist von der ASt auch unbestritten
geblieben, Kenntnis von dem „Design Freeze“ zu haben, der dazu führt, dass die
nachgeschaltete RTM-Anlage seit dem 12. Januar 2012 nicht mehr veränderbar ist.
115 VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.02.2013 –
1 VK 1/13 (Straßenbauarbeiten)
Der Nachprüfungsantrag ist in der Sache begründet.
Die Antragstellerin wurde durch den Ausschluss ihres Angebots in ihren Rechten
gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
Der Ausschluss ist nicht nach § 16 EG Abs. 1 lit. b) i.V.m. § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A
gerechtfertigt. Danach sind Angebote auszuschließen, wenn unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen durch den Bieter vorgenommen wurden. Hierauf hat
sich die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben an die Antragstellerin vom 21.12.2013 zu
Unrecht berufen.
Eine Leistungsbeschreibung, der es im entscheidenden Punkt für einen verständigen
Bieter an Klarheit und Unmissverständlichkeit mangelt, ist prinzipiell ungeeignet, einen
Ausschluss von Bieterangeboten zu rechtfertigen, OLG Düsseldorf, 28.1.2004, Verg
35/03; OLG Düsseldorf, 26.7.2005, Verg 71/04; VK Münster, 17.11.2005, VK 21/05.
Ist die geforderte Leistung eindeutig und erschöpfend beschrieben, dürfen die Bieter
diese Leistung auch nur entsprechend dem geforderten/ausgeschriebenen Standard
anbieten, wenn sie nicht wegen Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen
werden wollen. Andererseits darf der Auftraggeber nur solche Angebote werten,
die seinen ausgeschriebenen Anforderungen entsprechen, selbst wenn er im
Nachhinein seine Meinung ändert und „großzügiger“ sein möchte. Dies gilt
insbesondere für den Fall, dass es unterschiedliche Meinungen zur Richtigkeit
des besten technischen Standards gibt oder der Auftraggeber einen veralteten
technischen Standard ausgeschrieben hat (s. hierzu OLG Dresden, Beschluss
vom 17.05.2011, WVerg 3/11).
Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet dies, dass ein einstreifiger Einbau des
Betons vom öffentlichen Auftraggeber verlangt werden kann, egal, ob der einstreifige
Einbau nach den einschlägigen technischen Regelwerken die ausschließlich regelgerechte Variante ist oder der mehrstreifige Einbau ebenfalls regelgerecht ist. Dies setzt
jedoch voraus, dass die Bieter nach dem objektiven Empfängerhorizont hinreichend
klar und eindeutig aus der Bekanntmachung und/oder dem Leistungsverzeichnis (LV)
bzw. der Baubeschreibung den objektivierten Willen des Auftraggebers erkennen
können. Es genügt dagegen nicht, wenn der Auftraggeber subjektiv eine bestimmte
Einbauvariante möchte – und es dafür auch nachvollziehbare Gründe gibt –, der Wille
206
sich jedoch nicht eindeutig, unmissverständlich und ohne weitere Interpretationen aus
den den Bietern zur Verfügung stehenden Vergabeunterlagen ergibt.
3.3
Fehlende Preisangaben/Mischkalkulation
116 KG, Beschluss vom 14.08.2012 –
Verg 8/12 (Fahrscheinautomaten)
(1.) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist – wie die Vergabekammer zutreffend festgestellt hat und von keinem Verfahrensbeteiligten beanstandet wurde –
zulässig.
(2.) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist – allerdings entgegen der Auffassung der Vergabekammer – auch begründet.
Denn die Vergabestelle hat das Angebot der Antragstellerin vom 9. Januar 2012 gemäß
§§ 13 Abs. 1 Nr. 3, 16 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d) VOB/A zu Unrecht ausgeschlossen.
Die Vergabestelle durfte nämlich auf Grund der ihr bekannten Umstände nicht annehmen, dass Teile des Angebotes Ergebnis einer sog. Mischkalkulation waren. Dies
ergibt sich aus Folgendem:
(a.) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind solche Angebote von
der Wertung grundsätzlich auszuschließen, die auf einer Mischkalkulation beruhen, bei der durch sogenanntes „Abpreisen“ bestimmter ausgeschriebener Leistungen und sogenanntes „Aufpreisen“ anderer angebotener Positionen Preise
benannt werden, die die für die jeweiligen Leistungen geforderten tatsächlichen
Preise weder vollständig noch richtig wiedergeben (BGH, Beschl. v. 18.5.2004 – X
ZR 7/04, Rdnr. 24 zit. nach Juris).
In Konkretisierung dieser Rechtsprechung liegt nach Auffassung des Senats
eine Mischkalkulation allenfalls dann vor, wenn (1.) der Bieter in seinem Angebot einen bestimmten Positionspreis niedriger angibt als dies nach seiner diesbezüglichen internen Kalkulation – d.h. der Summe aus im Wesentlichen den
mutmaßlichen positionsbezogenen Kosten und dem angestrebten, positionsbezogenen Gewinn des Bieters – angemessen wäre, während (2.) der Bieter einen
anderen Positionspreis höher angibt, als dies nach seiner internen Kalkulation
angemessen wäre, und (3.) diese Auf- und Abpreisung in einem von dem Bieter
beabsichtigen, kausalen Zusammenhang steht. Die objektive Beweislast für das
Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt jedenfalls im Ausgangspunkt die Vergabestelle. Zum Zwecke des Nachweises kann die Vergabestelle im Verdachtsfalle dem
Bieter aufgeben, seine Kalkulation darzulegen bzw. den Hintergrund der Auf- und
Abpreisung zu erläutern.
207
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich vorliegend folgendes Bild:
(…)
(c.) Offen kann bleiben, welche Anforderungen im Einzelnen an den Nachweis
des Vorliegens einer Mischkalkulation zu stellen sind und ob eine ggf. nachgewiesene Mischkalkulation in jedem Fall den Angebotsausschluss rechtfertigt. In Bezug auf beide Fragen hält der Senat – wie die deutliche Mehrheit
der Oberlandesgerichte – eine weitgehende Großzügigkeit zu Gunsten des
Bieters für geboten. Denn zum einen ist es Aufgabe der Vergabestelle, dafür zu
sorgen, dass die von ihr vorgegebene Bewertungsmatrix keinen Anreiz für ein
Angebotsverhalten der Bieter schafft, das das Vergabeverfahren intransparent
und die Angebote der Bieter unvergleichbar werden lässt. Zum anderen entspricht
es dem natürlichen, wettbewerbsgemäßem Verhalten jedes Bieters, sein Angebot so zu kalkulieren, dass es nach den ihm bekannt gemachten Bewertungsmaßstäben des Auftraggebers möglichst attraktiv für den Auftraggeber erscheint.
Ferner spricht für eine Zurückhaltung beim Bieterausschluss wegen unzulässiger
Mischkalkulation, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Mischkalkulation im konkreten Fall regelmäßig nicht allein anhand objektiver Kriterien
festzustellen ist, sondern jedenfalls zu einem erheblichen Teil nur anhand subjektiver Einschätzungen des Bieters; dies gilt namentlich für die Frage, welche Kosten
eines Unternehmers einer bestimmten Angebotsposition zuzuordnen sind, welche Höhe der angestrebte Gewinn des Bieters hat, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen einer bestimmten Aufpreisung und einer bestimmten Abpreisung
besteht und ob der Bieter diesen Zusammenhang beabsichtigt hat (ähnlich zurückhaltend schon Senat, Beschl. v. 26.2.2004 – 2 Verg 16/03; dem im Ausgangspunkt zustimmend BGH, Beschl. v. 18.5.2004 – X ZB 7/04, Rdnr. 28 zit. nach Juris;
ebenso zurückhaltend OLG Celle, Beschl. v. 3.6.2010 – 13 Verg 6/10, Rdnr. 91 zit.
nach Juris: grundsätzlich ist jeder Bieter in seiner Kalkulation frei; OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 9.2.2009 – Verg 66/08, Rdnr. 55 zit. nach Juris: Mischkalkulation ist
‚nicht per se anstößig‘; OLG Rostock, Beschl. v. 8.3.2006 – 17 Verg 16/05, Rdnr.
69 zit. nach Juris: der Bieter muss seine Preise nur nachvollziehbar kalkulieren und
dies vortragen; OLG Naumburg, Beschl. v. 22.9.2005- 1 Verg 7/05, Rdnr. 48 ff.
zit nach Juris: Mischkalkulation ist nur dann unzulässig, wenn die Preisangabe mit
den ebenfalls vom Bieter übersandten ‚Unterlagen zur internen Preisermittlung‘
in nicht erklärbarem Widerspruch steht; OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.9.2005,
Rdnr. 63 zit. nach Juris: Mischkalkulation kann nur angenommen werden, wenn
sich der Bieter dazu bekennt; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 16.8.2005 – 11 Verg
8/05, Rdnr. 25, 28 und 33 zit. nach Juris: Mischkalkulation kann nur angenommen
werden, wenn ‚ganz eindeutige Indizien‘ für ein Auf- und Abpreisen sprechen und
die diesbezügliche Erläuterung des Bieters ‚substanzlos‘ ist).
Ebenfalls offen kann bleiben, ob diejenigen Umstände, die zum Nachweis des Vorliegens einer Mischkalkulation im Vergabenachprüfungsverfahren herangezogen
208
werden, wegen §§ 101a Abs. 1 Satz 1, 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB spätestens im Informationsschreiben der Vergabestelle an den ausgeschlossenen Bieter genannt sein
müssen oder ob die Vergabestelle derartige Umstände im Vergabenachprüfungsverfahren „nachschieben“ kann.
117 VK Thüringen, Beschluss vom 28.09.2012 –
250-4002-14693/2012-E-005-SM (Neubau Ortsumfahrung)
Es steht dem Bieter im Rahmen seiner Kalkulationsfreiheit frei, erwartete Vorteile und
Gewinne, die sich bei bestimmten Positionen des Leistungsverzeichnisses ergeben,
in anderen Positionen zu verrechnen. Hierin ist keine unzulässige Mischkalkulation zu
sehen.
Die von der VST solcherart gefertigte Argumentationskette leidet aber bereits an
einem Mangel im Tatsächlichen, indem sie nicht erklärt und erkläre kann worin im
Zuge der Abpreisung von Entsorgungspositionen, die Aufpreisung von Kosten- und
Leistungsbestandteilen in anderen Positionen (Asphaltpositionen) erfolgt sein soll.
Unter einer „Mischkalkulation“ wird allgemein der Vorgang verstanden, wenn Kostenbestandteile, die bei einer im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Position zu kalkulieren sind, bei einer anderen Position ausgewiesen werden, ohne dass dieses Vorgehen
zumindest offengelegt worden ist, dieser Vorgang dem Bieter wie der Vergabestelle
also bekannt waren.
Der Tatbestand einer „Mischkalkulation“ liegt aber dann nicht vor oder begründet das Verhalten eines Bieters den Vorwurf, eine solche (unzulässigerweise)
vorgenommen zu haben, in dem er eine oder mehrere Positionen im Leistungsverzeichnis tatsächlich besonders günstig ausgepreist hat, was allein wiederum der bloßen Verlagerung von Kosten einer Position in die andere Position
geschuldet gewesen sein soll.
Eine unzulässige „Ab“- und „Aufpreisung“ von Leistungspositionen ist hier nur dann
zu sehen, wenn diese Vorgänge in einem kausalen Zusammenhang einer Kosten- und
Preisverlagerung von einer/mehreren Position(en) in eine andere/andere Position(en)
stehen kann. Im Falle der AST ist diese Verlagerung von Kostenbestandteilen innerhalb
von Positionen ihres Angebotes durch die VST aber nicht nachgewiesen worden.
Die VST hat zunächst nichts dazu vorgetragen, dass den Schluss zuließe, gerade eine
solche Verlagerung von Kosten oder Preisbestandteilen sei mit dem Angebot der AST
Vorgenommen worden.
Die VST sieht allein die Abpreisung der oben beschriebenen Entsorgungspositionen
für ausreichend an, ihr Verdikt zum Angebot der AST auszusprechen. Dabei versteht
sie die Aussage der AST den „Vorteil aus Asphalteinkauf ... Euro“, schon begrifflich als
209
Beleg dafür, dass die „fehlende Aufpreisung der Asphaltpositionen“ hier darin bestehen soll, dass keine Reduzierung des EP der genannten Asphaltposition durch einen
„Vorteil aus Asphalteinkauf“ erfolgt sei, sondern eine Erhöhung des hier kalkulatorisch
angemessenen Einheitspreises auf den normal kalkulierten Asphaltpreis.
– Hätte die VST vor ihrer vorschnellen Ausschlussentscheidung die gebotene Aufklärung durchgeführt, hätte sie feststellen können, dass es bei den Einheitspreisanpassungen der Abfallentsorgungspositionen nicht um konkrete, projektbezogene
Nachlässe oder Rabatte auf Materialien aus bestimmten (anderen) Positionen eines
Leistungsverzeichnisses gegangen sei, sondern um Berücksichtigung von allgemeinen Vorteilen in Form von erwarteten Gewinnen aus der Beteiligung der AST an ###.
Letztendlich konnte die VST die geltend gemachten Einwände nicht entkräften oder
widerlegen. Sie hat vielmehr darauf verzichtet, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen. Dies hätte aber der Gegenstand einer weiteren Aufklärung sein können und
auch sein müssen.
Die VST ist schließlich nicht damit zu hören, dass kein Aufklärungsbedarf mehr bestanden hätte, als die AST in der Urkalkulation den Begriff „Vorteil aus Asphalteinkauf“
– jeweils bei den Entsorgungspositionen(!) – verwendet habe. Die Art der Verwendung dieses Begriffes bedingt schon den weiteren Aufklärungsbedarf. Ohne Not hat
die VST aber von der weiteren Aufklärung abgesehen, will sie doch den Beweis für
eine durch die AST vorgenommene unzulässige Mischkalkulation allein schon in der
Verwendung dieses Begriffspaares gesehen haben.
4.1.5 Eine Kosten- und Preisverlagerung ist hier also nicht schon darin zu sehen, dass
die AST aus sachfremden Zwecken und Gründen allein eine solche – wie beschrieben
– Preisanpassung vorgenommen und diese letztendlich auch offen gelegt hat.
So ist es hier. Mit der Vorlage der Urkalkulation hat die AST den Nachweis dafür
geführt, dass die für die Entsorgungspositionen geforderten Preise aus einer Preisanpassung stammen sollen, deren Grundlage der erwartete Gewinn aus der Beteiligung
an der Mischgutanlage ### bilden sollte.
Das Angebot der AST war also zu werten. Der Bewertung des Angebotes der AST
im Fortgang des Vergabeverfahrens der VST steht der Vorwurf einer (unzulässigen)
Mischkalkulation nicht im Wege.
Das Angebot kann auch gewertet werden, weil die in der Leistungsbeschreibung
vorgesehenen Preise – so wie auch gefordert – vollständig und mit dem Betrag angegeben war, der für die betreffende Leistung auch beansprucht wird. (vgl. dazu auch
Bauer, in: Heiermann, Riedl, Rusam VOB/A m. w. N.). Kosten- oder Preisverlagerungen sind nicht zu beanstanden, wenn im Angebot jedenfalls der Preis genannt wird,
210
den der Bieter nach dem Ergebnis seiner Kalkulation dem Auftraggeber tatsächlich in
Rechnung zu stellen beabsichtigt.
Um eine „unzulässige“ Mischkalkulation handelt es sich im vorliegenden Falle nicht,
weil die vorstehend beschriebenen Voraussetzungen vorliegen und daher keine Kostenund Preisverlagerung stattfindet.
Schon begrifflich fehlt es damit bereits an dem (erfüllten) Tatbestand einer „Mischkalkulation“, wenn, wie im Falle der AST, Drittmittel zur Preisanpassung von Angebotspreisen genutzt werden sollen, während eine Kosten- und Preisverlagerung im
Angebot selbst nicht stattfindet.
3.4
Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise
118 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.02.2012 –
11 Verg 11/11 (Neubau Tunnel)
Der Auffassung der Antragstellerin, § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil die Bestimmung nur für solche Unterlagen
gelte, die mit dem Angebot vorzulegen seien, wäre andernfalls aber auch nicht
zu folgen. Abgesehen davon, dass die von der Antragstellerin zur Stützung ihrer
Rechtsposition herangezogenen Entscheidungen VK Sachsen, Beschl. v.20.9.2011, 1/
SVK/0035-11 und VK Bund, Beschl. v. 14.12.2011, VK 1 – 153/11 P nicht vergleichbare
Sachverhalte betreffen, ist in der Rechtsprechung der Vergabesenate zwischenzeitlich anerkannt, dass § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A analog auf den Fall anzuwenden
ist, dass die Eignungsnachweise nicht bereits mit dem Angebot vorzulegen sind,
sondern erst nach Angebotsabgabe von der Vergabestelle angefordert werden
(OLG Celle, Beschluss v.16.6.2011, 13 Verg 3/11).
119 OLG Naumburg, Beschluss vom 23.02.2012 –
2 Verg 15/11 (Neubau Bundesstraße B 6n)
III. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist auch begründet. Die Antragsgegnerin hat ein subjektives Recht der Antragstellerin im Vergabeverfahren i.S. von
§ 97 Abs. 7 GWB verletzt, indem sie deren Nebenangebot Nr. 1 ausgeschlossen
hat, ohne der Antragstellerin zuvor Gelegenheit zur Nachreichung der fehlenden
Erklärungen zu geben bzw. die unaufgefordert vorgelegten Erläuterungen der
Antragstellerin im Rügeschreiben vom 16. August 2011 darauf zu prüfen, ob sich
hieraus ein plausibler und für sie nachvollziehbarer Nachweis der im Nebenangebot angegebenen Mengenabweichungen entnehmen lässt. Zu einer Aufforderung
zur Nachreichung der Erklärungen ist die Antragsgegnerin nach § 16 Abs. 1 Nr. 3
VOB/A verpflichtet.
211
1. Der Ausschluss eines Angebotes wegen fehlender Erklärungen oder Nachweise
ist in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A geregelt. Die Regelung bezieht sich entgegen der
Auffassung der Antragsgegnerin sowohl auf Haupt- als auch auf Nebenangebote.
In §§ 16, 16a VOB/A wird der Begriff der Angebote als Oberbegriff für Haupt- und
Nebenangebote verwendet. Dies entspricht dem Grundsatz, dass Haupt- und Nebenangebote grundsätzlich nach denselben Kriterien zu bewerten sind. Dort, wo lediglich
Hauptangebote gemeint sind (z. Bsp. § 16 Abs. 7 VOB/A) bzw. wo sich eine Regelung
ausschließlich auf Nebenangebote bezieht (z. Bsp. §16 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) und f), Abs.
8, § 16a Abs. 3 VOB/A), wird dies durch Verwendung der entsprechenden Begriffe
eindeutig zum Ausdruck gebracht. Dies zeigt auch eine Kontrollüberlegung: Bezöge
sich § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, wie die Antragsgegnerin meint, lediglich auf Hauptangebote, dann fehlte es in der VOB/A an einer Grundlage, unvollständige Nebenangebote
– mit Ausnahme fehlender Preisangaben – von der weiteren Wertung auszuschließen
und eine anderslautende Bestimmung der Vergabeunterlagen, wonach unvollständige
Nebenangebote dem Ausschluss unterliegen, wäre u.U. angreifbar.
2. Der von der Antragsgegnerin verlangte Nachweis der Mengenänderungen bei
technischen Nebenangeboten wird von den in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A genannten
„Erklärungen und Nachweisen“ erfasst. Die Regelung ist mithin einschlägig.
a) Der Begriff der Erklärungen und Nachweise in § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ist
weit auszulegen. Er bezieht sich sowohl auf bieterbezogene Eigen- und
Fremderklärungen als auch auf leistungsbezogene Angaben und Unterlagen (ohne nähere Erläuterungen ebenso Vavra in: Ziekow/Völlink, VergabeR,
2011, § 16 VOB/A Rn. 23; Stolz in: Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkomm.
VergabeR, 2. Aufl. 2011, 7. Los, § 13 VOB/A Rn. 32 und § 16 VOB/A Rn. 81).
b) Dem Begriff der geforderten Erklärungen und Nachweise liegt zugrunde, dass
nach dem nationalen Vergaberecht der Auftraggeber durch umfangreiche Vorgaben hinsichtlich der Form und der Inhalte der Angebote die Voraussetzungen dafür
schafft, dass die eingehenden Angebote bereits bei rein formaler Betrachtung
leicht miteinander vergleichbar sind und dass sie so vollständig sind, dass sie alle
vom Auftraggeber für ihre Wertung erforderlichen Informationen auch enthalten.
Für nichtpreisliche Ausschlusskriterien, wie hier die Einhaltung technischer Mindeststandards oder die Gleichwertigkeit i.S. von § 13 Abs. 2 VOB/A, oder graduelle Zuschlagskriterien, wie hier der technische Wert, sowie für die Prüfung der
Eignung der Bieter im Hinblick auf die bekannt gemachten Eignungskriterien sind
dies geforderte Erklärungen und Nachweise i.S. von § 13 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A. Der
Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A und – dem folgend – auch der Wortlaut des
§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A differenziert nicht zwischen den Erklärungen und Nachweisen mit Leistungsbezug und denjenigen mit Bieterbezug (vgl. Kratzenberg in:
212
Ingenstau/Korbion, 17. Aufl. 2010, Komm. z. VOB Teile A und B, § 13 Rn. 11 und
§ 16 Rn. 66; auch Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Komm. z. VOB/A, 2010,
§ 13 Rn. 68). Vom Begriff sind – letztlich aus teleologischen Erwägungen sowie
im Umkehrschluss aus § 13 Abs. 1 Nr. 5 und 6 VOB/A – lediglich solche Erklärungen nicht erfasst, die von der Vergabestelle vorformuliert worden und vom Bieter
an keiner Stelle individuell zu ergänzen oder auszufüllen sind (vgl. OLG München,
Beschluss v. 23.05.2007, Verg 3/07).
3. Die Nachforderungspflicht der Antragsgegnerin hinsichtlich des fehlenden Nachweises der Mengenänderungen im Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin ist
hier auch nicht ausnahmsweise durch den Schutzzweck des § 16 Abs. 1 Nr. 3
VOB/A ausgeschlossen.
a) Allerdings darf die Befolgung dieser Vorschrift nicht mit den allgemeinen
Grundsätzen des Vergabeverfahrens kollidieren. Grundsätzlich kommt die
Möglichkeit in Betracht, dass durch die Einräumung der Gelegenheit zur
Nachreichung von geforderten Erklärungen und Nachweisen die hiervon
betroffenen Bieter eine Chance zur Beeinflussung des Wettbewerbs erlangen, die gegenüber anderen Bietern mit von Anfang an vollständigen Angeboten eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Wettbewerbs darstellte.
In diesen Fällen muss die Pflicht des Auftraggebers zur Nachforderung entfallen. Ob durch die Nachreichungsmöglichkeit die Gefahr einer nachträglichen
Wettbewerbsverfälschung geschaffen wird oder nicht, ist an Hand der konkreten
Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
b) Im vorliegenden Fall wird durch die mit einer Nachforderung erstrebte Nachreichung des Nachweises des Zustandekommens der im Nebenangebot Nr. 1 der
Antragstellerin bereits eindeutig festgelegten Mengengerüste eine solche Gefahr
nicht begründet.
120 VK Nordbayern, Beschluss vom 07.03.2012 –
21 VK-3194-03/12 (Lieferung von Nahrungsmitteln)
1. Die VSt schrieb im EU-Amtsblatt vom xx.xx.xxxx die Lieferung von Nahrungsmitteln und Getränken für ... im Offenen Verfahren aus.
2. II. Der Antrag ist unbegründet.
a) Das Angebot der ASt kann nicht gewertet werden, weil geforderte Preise fehlen.
Nach § 19 EG Abs. 2 VOL/A können zwar Erklärungen und Nachweise, die auf Anforderung der Auftraggeber bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegt wurden,
213
nachgefordert werden. Der Auftraggeber ist jedoch nicht verpflichtet, fehlende
Erklärungen oder Nachweise nachzufordern. Es ist anerkannt, dass das Wort
„kann“ im Vergaberecht dem Auftraggeber ein Ermessen einräumt und ihn
nicht etwa zur Vornahme der Handlungen verpflichtet, die er vornehmen kann.
Der Auftraggeber kann also ein unvollständiges Angebot von der Wertung
ausschließen, ohne von der Nachforderungsmöglichkeit Gebrauch zu machen
(OLG Brandenburg v. 20.09.2011 – VergW 11/11, OLG Karlsruhe v. 23.03.11 – Verg
2/11). Sofern der öffentliche Auftraggeber von einem Nachfordern absieht, muss er
ein unvollständiges Angebot jedoch von der Wertung gemäß § 19 EG Abs. 3 Buchst.
a) VOL/A ausschließen, selbst wenn nur Preisangaben in unwesentlichen Einzelpositionen fehlen (Dicks in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Auflage,
Rdnr. 52 zu § 19 EG).
Ob vorliegend die VSt wegen des mit der ASt am 04.01.2012 stattgefundenen
Gesprächs, bei dem Inhalt und Umfang dieser Positionen unstreitig Thema waren,
verpflichtet werden kann, die fehlenden Preise nachzufordern, bedarf keiner Entscheidung.
121 BGH, Urteil vom 03.04.2012 – X ZR 130/10 (Kreisstraße)
1. Zu der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen
nicht enthalten, korrespondiert die Verpflichtung der Auftraggeber, die
Vergabeunterlagen so eindeutig zu formulieren, dass die Bieter diesen
Unterlagen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen von
ihnen wann abzugeben sind. Genügen die Vergabeunterlagen dem nicht,
darf der Auftraggeber ein Angebot nicht ohne Weiteres wegen Fehlens einer
entsprechenden Erklärung aus der Wertung nehmen.
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte in einem von ihr durchgeführten Vergabeverfahren betreffend den Ausbau einer Kreisstraße das von der Klägerin eingereichte Angebot zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen und sich dadurch
schadensersatzpflichtig gemacht hat.
Die Klägerin benannte zwar mit dem Angebot ihre vorgesehenen Nachunternehmer,
reichte die dazugehörigen Eignungsnachweise aber erst nach Ablauf der Angebotsfrist, im Rahmen eines Bietergesprächs, ein und wurde deshalb bei der Zuschlagserteilung nicht berücksichtigt.
2. II. Entscheidungsgründe: Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. a) Das Berufungsgericht ist zwar im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 21 Nr. 1 Abs. 1
Satz 3 und § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b VOB/A in der auch im Streitfall anzuwendenden
214
Fassung Angebote, die unvollständig waren, weil sie geforderte Erklärungen nicht
enthielten, regelmäßig ohne Weiteres von der Wertung auszuschließen waren
(vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – X ZR 243/05, NZBau 2005, 594 mwN; Urteil
vom 18. September 2007 – X ZR 89/04, VergabeR 2008, 69). Es entspricht aber
und zwar gerade mit Blick auf die Ausschlusssanktion für die Abgabe unvollständiger Angebote ebenso der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass aus den
Vergabeunterlagen für die Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen
muss, welche Erklärungen von ihnen verlangt werden (BGH, Urteil vom 10. Juni
2008 – X ZR 78/07, VergabeR 2008, 782 Rn. 10 – Nachunternehmererklärung).
Die Vergabestellen trifft insoweit die Verpflichtung, die Vergabeunterlagen klar
und eindeutig zu formulieren und Widersprüchlichkeiten zu vermeiden.
b) Dafür, ob die in vorformulierten Vergabeunterlagen vorgesehenen Erklärungen
diesen Anforderungen genügen, ist der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, maßgeblich
(BGH, Urteil vom 11. November 1993 VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64; BGH, VergabeR
2008, 782 Rn. 10). Die diesbezügliche Würdigung durch den Tatrichter unterliegt
der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Denn vorformulierte Angebotsunterlagen wie die im Formblatt 211 enthaltenen sind allgemeinen
Geschäftsbedingungen vergleichbar, deren Revisibilität in der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs anerkannt ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2005 X ZR
60/04, BGHZ 163, 321; Urteil vom 9. Juni 2010 VIII ZR 294/09, NJW 2010, 2877
ff.). Sie unterscheiden sich von Letzteren nur in dem für die Entscheidung des
Streitfalls unerheblichen Gesichtspunkt, dass mit allgemeinen Geschäftsbedingungen die vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner nach Vertragsschluss gestaltet werden, während vorformulierte Bedingungen für die Teilnahme
an einem Vergabeverfahren wie im Formblatt 211 die Konditionen festlegen, unter
denen die Bieter sich an den mehr oder minder streng formalisierten, zum Zwecke des Vertragsschlusses geführten Vergabeverfahren (offenes, nicht offenes
Verfahren bzw. Verhandlungsverfahren, öffentliche, beschränkte Ausschreibung,
freihändige Vergabe) beteiligen können.
2. Wird in den Vergabeunterlagen nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum
Ausdruck gebracht, dass eine bestimmte Erklärung vom Bieter schon bis
zum Ablauf der Angebotsfrist beizubringen ist, darf die Vergabestelle ein
Ange- bot, in dem diese Erklärung fehlt, nicht ohne Weiteres ausschließen.
Vielmehr muss sie dem betreffenden Bieter Gelegenheit geben, die Erklärung nachzureichen. Kommt sie dieser Obliegenheit nicht nach und erteilt sie
einem anderen Bewerber den Zuschlag, macht sie sich gegenüber dem ausgeschlossenen Bieter schadensersatzpflichtig, wenn eigentlich ihm der Zuschlag
hätte erteilt werden müssen.
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hätte die Beklagte das Angebot der
Klägerin nicht ohne Weiteres ausschließen dürfen.
215
a) Den Vergabeunterlagen ist nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zu entnehmen,
was den Bietern in Bezug auf die die Nachunternehmer betreffenden Eignungsnachweise obliegt. Der Text zu Nr. 3 des Formblatts 211 ist infolge der sprachlichen Verkürzung, in der er gefasst ist, vielmehr mehrdeutig und missverständlich
und dieser Mangel kann auch nicht im Wege der Auslegung durch die Bieter
behoben werden. Seinem Wortsinn nach, infolge der Verwendung der Präposition „durch“ und der Konjunktion „und“ („Vorlage ... durch den Bieter und ggf.
Nachunternehmer“), müssten die Nachunternehmer selbst die sie betreffenden
Eignungsnachweise beibringen. Es mag zwar sein, dass die Klausel, so verstanden, einem durchschnittlichen Bieter ungewöhnlich vorkommen wird.
Das führt aber nicht zu einem eindeutigen Verständnis der Vergabeunterlagen und rechtfertigt nicht die Annahme des Berufungsgerichts, dass der
durchschnittliche Bieter darüber im Bilde war, was von ihm verlangt war.
Das Formular kann ebenso gut dahin verstanden werden, dass die eigenen Pflichten des Bieters sich darin erschöpfen, die Nachunternehmer aufzufordern, die
geforderten Eignungsnachweise einzureichen, was im Übrigen umso näher liegt,
als der Bieter, um diese Anforderung zu erfüllen, ohnehin auf die Kooperation der
Nachunternehmer angewiesen ist.
4. Danach kommt es nicht auf den Einwand der Klägerin an, sie habe auch deshalb
nicht ausgeschlossen werden dürfen, weil die Forderung, die Eignungsnachweise
nach § 8 Nr. 3 Buchst. a bis f VOB/A 2006 für sämtliche vorgesehenen Nachunternehmer schon mit dem Angebot einzureichen, eine unzumutbare Belastung
darstelle. Dazu sind jedoch folgende Bemerkungen angezeigt.
a) Das Berufungsgericht hat bei Einnahme seines gegenteiligen Standpunkts die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missverstanden. Es vertritt nach dem
Zusammenhang der Urteilsgründe die Auffassung, dass, wenn die Beibringung
der Nachweise zu diesem frühen Zeitpunkt in den Vergabeunterlagen mit eindeutigem Wortlaut gefordert wird, entgegenstehende, die Frage der Zumutbarkeit
dieser Forderung betreffende Interessen der Bieter ohnehin nicht berücksichtigt
werden könnten. Das ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und wird durch diese auch nicht nahegelegt. Vielmehr hat der Senat
zu früheren Fassungen der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen
entschieden, dass Angebote von Bietern auszuschließen waren, wenn in den
Vergabeunterlagen geforderte Angaben, die zu machen den Bieter nicht unzumutbar belastete, nicht in den Angebotsunterlagen enthalten waren (vgl. etwa
BGH, Beschluss vom 18. Februar 2003 X ZR 43/02, BGHZ 154, 32, 43). Daraus
folgt im Gegenschluss, dass der öffentliche Auftraggeber nicht berechtigt war,
ein Angebot aus der Wertung zu nehmen, wenn der Bieter eine Anforderung
nicht erfüllt hatte, die diesen unzumutbar belastete. Für diese Rechtsfolge kann
es naturgemäß nicht darauf ankommen, ob diese Anforderung in den Vergabeunterlagen mit eindeutigem Wortlaut gestellt worden ist oder nicht. Gegenteiliges
ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 2008
216
(X ZR 78/07, VergabeR 2008, 782 Rn. 14 Nachunternehmererklärung), das das
Berufungsgericht in diesem Zusammenhang erörtert. Dort war den Vergabeunterlagen bereits bei interessengerechter Auslegung ein Inhalt beizulegen, der nicht
zu einer unzumutbaren Belastung der Bieter führte. Für die Schlussfolgerung des
Berufungsgerichts, dass unzumutbare Anforderungen bei klarem Wortlaut hingenommen werden müssen, bietet die Entscheidung indes keine Anhaltspunkte.
b) Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 10. Juni 2008 ausgeführt, dass es die Bieter unzumutbar belasten „kann“, wenn den Bietern durch die Vergabeunterlagen
ein unverhältnismäßiger Erklärungsaufwand bereitet wird (aaO Rn. 14). Dementsprechend ist die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit von diesbezüglichen
Anforderungen in den Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen zu beurteilen. Das Unternehmen, das Unzumutbarkeit geltend
macht, muss die dafür maßgeblichen Umstände dartun. Die Interessenlage kann
durchaus unterschiedlich zu beurteilen sein, je nachdem, ob es sich um ein vergleichsweise kleines Bauvorhaben mit einem voraussichtlich überschaubaren
Bieterkreis handelt, bei dem für den Einsatz von Nachunternehmern nach Art der
zu erbringenden Leistung außerdem möglicherweise ohnehin nur beschränkter
Raum ist, oder um ein größeres oder großes Bauvorhaben, bei dem die Bewerber
erfahrungsgemäß umfänglich Nachunternehmer einsetzen werden. Handelt es
sich um einen Fall der letzteren Art, kann es eher unzumutbar sein, wenn jeder
Bieter für jeden Nachunternehmer schon mit dem Angebot unter Umständen
umfangreiche Eignungsnachweise beibringen muss, wofür er zudem auf die zeitnahe Kooperation seitens dieser Unternehmen angewiesen ist. Wenn es, wie der
Senat im Urteil vom 10. Juni 2008 zum Ausdruck gebracht hat (aaO Rn. 14), schon
eine unzumutbare Belastung darstellen kann, wenn alle Bieter mit dem Angebot
sämtliche Nachunternehmer namentlich benennen müssen, gilt dies umso mehr
für eine formularmäßige Klausel, die es dem Auftraggeber erlaubt, durch bloßes
Ankreuzen zudem als erste angebotene Alternative zu bestimmen, dass alle Bieter
sogar die Eignungsnachweise für alle vorgesehenen Nachunternehmer bereits
mit dem Angebot beibringen sollen.
5. Nach allem wird das Berufungsgericht im wiedereröffneten Berufungsrechtszug
der nach seiner bisherigen Rechtsauffassung konsequenterweise offen gelassenen Frage nachzugehen haben, ob der Klägerin, wie diese geltend macht, der
Zuschlag hätte erteilt werden müssen.
122 LG Bonn, Urteil vom 16.01.2013 –
1 O 300/11 (Betoninstandsetzung)
Die Nachforderungspflicht gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 ist auf den Fall des
Fehlens einer nicht unterschriebenen Verpflichtungserklärung nicht entsprechend
anzuwenden.
217
Ein weiterer Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2009, welcher nach § 16 Abs. 1
Nr. 1 b VOB/A 2009 zum Ausschluss führt, liegt darin, dass die Klägerin die Verpflichtungserklärung (Besondere Vertragsbedingungen, Formblatt 11, 214/07) nicht selbst
unterschrieben hat. Ohne Erfolg bezieht sich die Klägerin insoweit auf § 16 Abs. 1 Nr.
3 VOB/A 2009, wonach beim Fehlen geforderter Erklärungen oder Nachweise diese
vom Auftraggeber nachzufordern sind. Mit Recht vertritt die Beklagte insoweit die
Auffassung dass diese Vorschrift keinen allgemeinen Korrekturtatbestand beinhaltet
sondern eng auszulegen ist. Auf das Fehlen von Unterschriften ist diese Vorschrift
nicht entsprechend anzuwenden (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.03.2012,
Verg. 2/12 sowie Bundeskartellamt Bonn, 3. Vergabekammer des Bundes, Beschluss
vom 21.04.2011, Aktenzeichen VK 3 -41/11 zur Parallelvorschrift des § 19 Abs. 2
VOL/A – EG.
123 OLG München, Beschluss vom 15.03.2012 –
Verg 2/12 (Altlastensanierung + Tiefendrainage)
3. Eine Abänderung einmal eingereichter Eignungsnachweise ist in der Regel nicht
zulässig.
d) Der Senat hält darüber hinaus die Abänderung eines einmal eingereichten Eignungsnachweises für vergaberechtlich unzulässig.
Die Beigeladene hat mit ihrem Angebot im Formular 124 angegeben, dass sie in den
letzten drei Jahren jeweils nur einen Umsatz erzielt hat, der unter 10 Mio. Euro liegt
und zu dieser Angabe noch hinzugefügt, dass der erzielte Umsatz zu 80–90% auf
Eigenleistungen beruht. Damit stand bereits mit Angebotsabgabe fest, dass die Beigeladene die Mindestanforderungen bezüglich der Umsatzzahlen nicht erfüllen konnte.
Dementsprechend hat auch die Vergabestelle auf ihrem der Beigeladenen übersandten Auswertungsformular beim Mindestumsatz das Wort „nein“ hinzugefügt.
Die Vergabestelle hat bei der Beigeladenen auch nicht Angaben zum Mindestumsatz
nachgefordert. Mit Schreiben vom 5.7.2011 hat sie vielmehr „die auf der folgenden
Seite angefragten Unterlagen“ nachgefordert. Damit können nur diejenigen Unterlagen gemeint gewesen sein, welche bisher noch nicht vorlagen, also mit „fehlt“
oder „Angabe fehlt“ gekennzeichnet waren. Aber selbst wenn man davon ausgeht,
dass die Vergabestelle auch die Angaben zum Mindestumsatz verlangt hat, liegt
keine Nachforderung vor. Eine Nachforderung sieht § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nur
für den Fall vor, dass Erklärungen oder Nachweise fehlen. Die Angaben zum
Mindestumsatz fehlten aber nicht; sie lagen vor und entsprachen der Wahrheit.
Eine Nachforderung scheidet im Übrigen auch schon deshalb aus, weil es sich
bezüglich derjenigen Unterlagen, welche bisher noch nicht eingereicht waren,
um eine Erstanforderung handelte (VK Münster vom 21.7.2011 – VK 9/11; Dittmann
in Kulartz/Kus/Portz/Prieß VOB/A § 16 Rn. 150). Im Übrigen dient die Nachforderungs-
218
verpflichtung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nicht der nachträglichen Verbesserung
bzw. Veränderung eines Angebotes, sondern nur der Nachreichung fehlender Erklärungen (VK Bund vom 14.12.2011 – VK 1-153/11).
3.5
Ausschluss wegen Wettbewerbsverstößen
124 VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.03.2012 – 2 VK LSA
35/11 (Entsorgungsleistungen vorbelasteter Abfälle)
2. Begründetheit
Der Antrag ist begründet.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner die Prüfung
und Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer wiederholt. Er hat dabei die Angebote der Beigeladenen zu 1) und zu 2)
gemäß § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A auszuschließen. Dem Antragsgegner ist es daher
verwehrt, auf das Nebenangebot der Beigeladenen zu 1) den Zuschlag zu erteilen. Es
bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Beigeladenen in Bezug auf
die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben.
Die Beigeladenen wären daher gehalten gewesen, den Anschein eines Verstoßes
gegen den Geheimwettbewerb bereits mit der Angebotsabgabe zu widerlegen und
einen entsprechenden Nachweis zu führen. Dies haben sie jedoch unterlassen.
Hierzu im Einzelnen:
Zwar lässt allein der Umstand, dass ein Unternehmer ein eigenes Angebot zum Vergabeverfahren abgegeben hat und gleichzeitig als Nachunternehmer eines anderen
Bieters fungiert, nicht zwingend auf einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb im
Sinne des § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A schließen. Hierfür müssen weitere Tatsachen
hinzukommen, die nach Art und Umfang des Nachunternehmereinsatzes sowie mit
Rücksicht auf die Begleitumstände eine Kenntnis von dem zur selben Ausschreibung
abgegebenen Konkurrenzangebot annehmen lassen (vgl. VK Schleswig-Holstein v.
17.09.2008 Az. VK-SH 10/08, mit weiteren Nachweisen, OLG Düsseldorf v. 13.04.2006
Az: VII Verg 10/06). Die Bieter können dann aufgrund der vorgenannten Vorschrift
nicht ausgeschlossen werden, wenn beiden Bietern – dem jeweils anderen Bieter in
ihrer Ausgestaltung unbekannt bleibende – Gestaltungsspielräume bei der Kalkulation
des eigenen Angebots verbleiben. Hier bestehen jedoch gewichtige Indizien, die
bei der gegebenen Fallkonstellation gegen eine wechselseitige Unkenntnis bei
beiden Bietern sprechen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass
die Beigeladene zu 2) als Nachunternehmerin der Beigeladenen zu 1) die ausgeschriebene Leistung in operativer Hinsicht vollständig erbringt. Diesbezüglich ist die Beigeladene zu 2) neben der Tatsache, dass sie sich als Bieterin am
Vergabeverfahren beteiligt hat, auch als Nachunternehmerin der Beigeladenen
219
zu 1) faktisch alleinige Leistungserbringerin. Bei dieser Sachlage besteht im
Vergleich zur Angebotslegung von voneinander vollkommen unabhängig agierenden Unternehmen eine deutlich erhöhte Gefahr von Verstößen gegen den
Geheimwettbewerb. Der Beigeladenen zu 2) waren aufgrund ihrer Kenntnis der im
Rahmenvertrag vereinbarten Preise darüber hinaus die Grundlagen der Kalkulation
der Beigeladenen zu 1) in ganz wesentlichem Umfang bekannt. Durch die detaillierte
Kenntnis der Leistungsbeschreibung konnte sie die der Beigeladenen zu 1) verbleibenden Kalkulationsspielräume weitestgehend abschätzen.
Der Beigeladenen zu 2) war weiterhin bekannt, dass sie einerseits ein eigenes Angebot
abgibt und andererseits in der beschriebenen Weise als Nachunternehmerin gegenüber der Beigeladenen zu 1) die Leistungen anbietet. Schließlich hat sie gegenüber
der Beigeladenen zu 1) eine entsprechende Verpflichtungserklärung abgegeben. Es
war aufgrund der örtlichen Nähe der Entsorgungsanlage der Beigeladenen zu 2) in
tatsächlicher Hinsicht fernliegend, dass die Beigeladene zu 1) weitere Angebote von
Nachunternehmern für die Leistungserbringung einholte. Hier ist zu berücksichtigen,
dass andere Entsorgungsanlagen weitere Anfahrtswege von der Betriebsstätte des
Antragsgegners aufweisen. Dies hätte eine signifikante Erhöhung der Transportkosten, die der Antragsgegner ihr in Rechnung stellen würde, zur Folge. Auch die Beigeladene zu 1) musste davon ausgehen, dass sich die Beigeladene zu 2) als Bieterin an
dem Vergabeverfahren beteiligt. Aus der Bieterinformation vom 14.07.2011 ergibt sich,
dass die Beigeladene zu 2) die Vergabeunterlagen abgefordert hatte. Sie hat durch
eine Anfrage dokumentiert, dass sie an der Abgabe eines Angebotes interessiert ist.
Der Antragsgegner hatte sein entsprechendes Antwortschreiben nicht anonymisiert.
Dieses Schreiben liegt dem Angebot der Beigeladenen zu 1) bei und ist ihr daher
bekannt.
Aufgrund dieser starken Indizien waren die Beigeladenen zu 1) und zu 2) bereits
bei der Angebotsabgabe gehalten, den Anschein einer unzulässigen Wettbewerbsabsprache zu widerlegen. Sie hatten dies nachvollziehbar darzulegen und
nachzuweisen. Die Umstände, die einem Angebotsausschluss nach § 19 EG Abs.
3 lit. f) VOL/A entgegen stehen könnten, entstammen allein ihrer Verantwortungsund Einflusssphäre (vgl. Kulartz/Marx/Portz/Prieß Kommentar zur VOL/A 2. Aufl.
2010 § 19 EG Rd. 150, vgl. zu ähnlichen Konstellationen auch OLG Düsseldorf, vom
11.05.2011, Verg. 1/11 sowie vom 14.09.2004, W (Kart) 25/04). Dieser Obliegenheit
sind die Beigeladenen nicht nachgekommen, obwohl sich ihnen die vorgenannten
Umstände hätten aufdrängen müssen. Daher ist der Ausschluss ihrer Angebote
nach § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A zwingend. Bei der gegebenen Sachlage war der
Antragsgegner nicht befugt, den Beigeladenen im Rahmen einer weiteren Aufklärung
nach der mündlichen Verhandlung Gelegenheit zu geben, entsprechende Unterlagen
beizubringen oder sonst diesbezügliche Angaben zu tätigen. Andernfalls bestünde
die Gefahr von manipulativen und miteinander abgestimmten Verhaltensweisen der
Beigeladenen. Aufgrund der hohen Bedeutung des Wettbewerbsgrundsatzes ist dies
von vornherein auszuschließen.
220
Darüber hinaus sind unabhängig hiervon die Hauptangebote der Beigeladenen zu 1)
nach § 19 EG Abs. 3 lit. d) VOL/A nicht wertbar, da sie Änderungen an den Verdingungsunterlagen enthalten. Die Beigeladene zu 1) hatte in ihren Hauptangeboten
erklärt, dass der Antragsgegner den Abfall auf einen Zwischenlagerplatz bringen solle.
Dort wolle sie diesen einer Qualitätskontrolle unterziehen, um dann diesen selbst oder
durch den Antragsgegner zur Verbrennungsanlage zu transportieren. Hiermit ist die
Beigeladene zu 1) von den Vorgaben der Verdingungsunterlagen abgewichen. Dort
hatte der Antragsgegner ausgeführt, dass er die Abfälle zur Entsorgungsanlage selbst
bzw. in einer gesonderten Ausschreibung mittels eines Dritten zur Anlage transportiert. Er hat in seiner Bieterinformation vom 16.08.2011 zudem klargestellt, dass er
eine Zwischenschaltung einer Umschlaganlage nicht in Betracht ziehe. Mit diesen
Vorgaben des Antragsgegners steht das Hauptangebot der Beigeladenen zu 1) nicht
in Einklang, das ausdrücklich den Einsatz eines Zwischenlagerplatzes vorsieht.
Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob der Antragsgegner bei der erneuten Prüfung und Wertung der Angebote befugt wäre, Nachweise und Erklärungen von den
Beigeladenen i.S. des § 19 EG Abs. 2 VOL/A nachzufordern. Unabhängig davon wird
jedoch darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Prüfung der Vollständigkeit der Angebote der Beigeladenen die Dokumentation des Antragsgegners unzureichend war.
So ist nicht dokumentiert worden, dass die Bankauskunft, die die Beigeladene zu 1)
am 19.12.2011 einreichte, nachgefordert wurde. Es fehlt auch eine Darstellung, dass
der Antragsgegner insoweit sein Ermessen betätigt hatte. Diese Unterlage fehlt im
Übrigen nach wie vor, soweit die Beigeladene zu 2) als Nachunternehmerin fungiert.
Weiterhin hat es der Antragsgegner unterlassen, zu prüfen, ob die Beigeladene zu 1)
ein preislich unangemessenes niedriges Angebot abgegeben hatte. Hierzu bestand
jedoch Anlass, da die Beigeladene zu 1) preislich das Angebot der Beigeladenen zu
2) unterboten hatte, obwohl diese als Nachunternehmerin die Leistung vollständig
erbringt. Weiterhin lag ihr Angebot mehr als 50% unter der Kostenschätzung des
Antragsgegners.
Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an, da die Angebote der Beigeladenen ohnehin
auszuschließen sind.
125 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 – Verg 3/12
(Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen)
Dasselbe hat für den behaupteten Verstoß der Beigeladenen gegen das Gebot des
Geheimwettbewerbs zu gelten. Das Vorbringen der Antragstellerin, die Beigeladene
sowie ein dritter Bieter hätten sich in ihren Angeboten gegenseitig als Nachunternehmer eingesetzt, ist ohne tatsächliche Substanz, bestritten und ohne Beweisangebot.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung
keineswegs jede (gegenseitige) Nachunternehmerbenennung bereits einen
Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs darstellt, sondern solches
221
allenfalls dann anzunehmen ist, wenn den Bietern daneben kein nennenswert
eigener Kalkulationsspielraum mehr verbleibt (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschl.
v. 13.4.2006 – VII-Verg 10/06, NZBau 2006, 810; Beschl. v. 9.4.2008 – VII-Verg
2/08, VergabeR 2008, 865; KG, Beschl. v. 13.3.2008 – 2 Verg 18/07, VergabeR
2008, 863; Thüringer OLG, Beschl. v. 29.8.2008 – 9 Verg 5/08). Auch insoweit sind
keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Verletzung des Geheimwettbewerbs zu
erkennen.
126 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.02.2013,
Verg 31/12 (Kommunalisierung von Versorgungsnetzen)
1. Die Antragstellerin ist mit ihren Angeboten wegen Verstoßes gegen den das Vergaberecht beherrschenden Grundsatz der Vertraulichkeit vom Vergabeverfahren
auszuschließen.
a) §§ 97 Abs. 1 GWB, 2 Abs. 1 Satz 1 EG VOL/A bestimmen, dass der öffentliche
Auftraggeber seine Leistungen im Wettbewerb zu beschaffen hat. Die Vergabeund Vertragsordnungen für Leistungen und Bauleistungen ordnen ergänzend an,
dass die Angebote derjenigen Bieter, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben, ausgeschlossen
werden (§§ 19 Abs. 3 lit. f EG VOL/A, 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. d VOB/A). Den genannten
Normen ist, als dem Wettbewerbsprinzip immanent, das vergaberechtliche Gebot
des Geheimwettbewerbs zu entnehmen, dessen Kehrseite die nur von der Bieteröffentlichkeit der Submission (§ 14 Abs. 1 Satz 1 VOB/A) durchbrochene und
noch nach Beendigung des Vergabeverfahrens zu wahrende Vertraulichkeit der
Angebote ist (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 8 VOB/A, § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 EG
VOL/A). Wesentliches und unverzichtbares Kennzeichen einer Auftragsvergabe
im Wettbewerb ist die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den
an der Ausschreibung teilnehmenden Bietern. Nur dann, wenn jeder Bieter die
ausgeschriebene Leistung in Unkenntnis der Angebote, Angebotsgrundlagen und
Angebotskalkulation seiner Mitbewerber um den Zuschlag anbietet, ist ein echter
Bieterwettbewerb möglich (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.09.2003 – VII-Verg
52/03 – juris Tz. 9). Dies gilt für alle Vergabeverfahren, auch für Verhandlungsverfahren nach der SektVO.
Der Begriff der wettbewerbsbeschränkenden Abrede ist mit Blick auf den das
gesamte Vergabeverfahren beherrschenden Wettbewerbsgrundsatz weit auszulegen.
Er ist nicht auf gesetzeswidriges Verhalten beschränkt, sondern umfasst auch alle
sonstigen Absprachen und Verhaltensweise eines Bieters, die mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot unvereinbar sind (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.04.2011
– VII-Verg 4/11 – juris Tz. 26; Beschl. v. 16.9.2003 – VII-Verg 52/03 – juris Tz. 7;
Beschl. v. 27.Juli 2006 – VII-Verg 23/06 – juris Tz. 41, 42; OLG München, Beschl. v.
11.8.2008 – Verg 16/08). Das Zustandekommen einer wettbewerbsbeschränkenden
222
Absprache erfordert keine ausdrückliche Verständigung zwischen zwei Unternehmen
darüber, wer welche Leistung zu welchem Preis anbietet. Sie ist vielmehr in aller
Regel schon dann verwirklicht, wenn ein Angebot in Kenntnis der Bedingungen des
Konkurrenzangebots zumindest aber wesentlicher Angebotsgrundlagen, erstellt wird
(vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27. Juli 2006 – VII-Verg 23/06 – juris Tz. 42; Thüringer
OLG, Beschl. v. 19.04.2004 – 6 Verg 3/04).
Die strenge Ausprägung, die der Vertraulichkeitsgrundsatz in den geltenden Vergaberechtsbestimmungen erfahren hat, gewährleistet zum einen, dass der öffentliche
Auftraggeber seiner gesetzlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Beschaffung nachkommen und die Ausschreibung ihrer Funktion als Auswahlverfahren zur Ermittlung
des annehmbarsten Angebots gerecht werden kann (so auch Glahs in Kapellmann/
Messerschmidt, VOB/A, 3. Aufl., § 2 Rn. 46). Gerade weil der einzelne Bieter nicht
weiß, welche Konditionen der Konkurrent seiner Offerte zu Grunde legt, wird er,
um seine Aussicht auf den Erhalt des Zuschlags zu steigern, bis an die Rentabilitätsgrenze seiner individuell berechneten Gewinnzone kalkulieren. Kennt ein Bieter
Leistungsumfang und Preise seines Konkurrenten, muss er nicht mehr potentiell
preisgünstigere Angebote unterbieten, sondern braucht sein Angebot nur noch
an den ihm bekannten Bedingungen auszurichten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v.
13.04.2011 – VII-Verg 4/11 – juris Tz. 29; Beschl. v. 27. Juli 2006 – VII-Verg 23/06
– a.a.O.).
Wegen seiner Wettbewerbsbezogenheit kommt dem Vertraulichkeitsgrundsatz darüber hinaus bieterschützende Funktion zu, wobei das Recht der Bieter, in einem fairen
und uneingeschränkten Leistungswettbewerb um die Zuschlagschance zu konkurrieren, nicht nur dann beeinträchtigt wird, wenn ein in Kenntnis der Inhalte anderer
Angebote kalkuliertes Angebot in Verdrängungsabsicht eingereicht wird, sondern
unabhängig davon bereits durch den einen echten Leistungswettbewerb ausschließenden Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz (OLG Düsseldorf, Beschl. v.
13.04.2011 – VII-Verg 4/11 – juris Tz. 30; Beschl. v. 11.05.2011 – VII-Verg 8/11 – juris
Tz. 42 ff.; Beschl. v. 11.05.2011 – VII-Verg 1/11 – juris Tz. 36; Beschl. v. 27. Juli 2006
– VII-Verg 23/06 – a.a.O.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen, hat die Antragstellerin den Vertraulichkeitsgrundsatz bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt verletzt, was
zwingend ihren Ausschluss von der Vergabe zur Folge hat. Denn sie hat
ein Angebot eingereicht, das nach wechselseitiger Kenntnislage in wesentlichen Teilen mit dem gleichzeitig eingereichten Angebot der Mitbewerberin Z...
nahezu identisch war. Im Senatstermin hat der Verfahrensbevollmächtigte der
Antragstellerin hierzu ausgeführt, beide Angebote hätten sich im Wesentlichen
nur durch eine von der Z... im Gegensatz zur Antragstellerin angebotenen Überkreuzbeteiligung, d.h. wechselseitige Gesellschaftsbeteiligungen zwischen Z...
und der Gemeindewerke-Gesellschaft, unterschieden, wodurch man vor dem
Hintergrund einer gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Unternehmensgruppe
die Angebotsbreite habe erweitern wollen. Hiervon habe man nach erfolgter
223
rechtlicher Beratung allerdings Abstand genommen; die Z... habe ihr Angebot
wenige Wochen später zurückgezogen. Die Angebote der Antragstellerin und der
Z... enthielten aber praktisch dieselben Business-Pläne und auch sonst zahlreiche
textliche und inhaltliche Übereinstimmungen, was ausreicht, festzustellen, dass
sie abgesprochen waren. Dies stellt einen Verstoß gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs dar. Von der Wertung sind infolgedessen alle betroffenen Angebote
auszuschließen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.09.2003 – Verg 52/03 – juris Tz.
10; Beschl. v. 27.07.2006 – VII-Verg 23/06 – juris Tz. 48), auch das der Antragstellerin.
Eine Milderung der Rechtsfolge scheidet auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots aus. Der Verstoß gegen den Geheimwettbewerb steht zweifelsfrei
fest und ist nicht lediglich zu vermuten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat
sich lediglich gegen eine automatisch eintretende Ausschlussfolge ausgesprochen,
bei der die näheren Tatumstände ungeprüft bleiben (vgl. EuGH, Urt. v. 19.05.2009 –
C-538/07 „Assitur“ – juris Rn 24 ff.; Urt. v. 23.12.2009 – C-376/08 „Serrantoni“ – juris
Rn. 38 ff.). Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht. Die Antragstellerin hat den
Verstoß gegen den Geheimwettbewerb eingeräumt. Was danach geschehen ist, ist
unumkehrbar und unwiderlegbar. Eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH
nach Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV bedarf es deshalb nicht.
Der Wettbewerbsverstoß ist durch Angebotsrücknahme der Z... nicht geheilt worden. Bereits wegen seiner bieterschützenden Funktion ist der Grundsatz des
Geheimwettbewerbs der Disposition des öffentlichen Auftraggebers entzogen.
Nach § 97 Abs. 7 GWB haben konkurrierende Bieter Anspruch auf Einhaltung
der Vorschriften über das Vergabeverfahren, das nach § 19 Abs. 3 lit. f EG VOL/A
einen Ausschluss im Fall wettbewerbswidriger Absprachen oder eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb zwingend vorschreibt. Die Antragstellerin
kann sich für ihren gegenteiligen Standpunkt nicht mit Erfolg auf den Senatsbeschluss
vom 09.04.2008 (VII-Verg 2/08) berufen. Im damals entschiedenen Fall war ein Verstoß gegen Grundsätze des Geheimwettbewerbs nicht festgestellt worden. Nur das
eröffnete dem Antragsteller einen Verbleib im Vergabeverfahren.
Das Argument der Antragstellerin, ein Wettbewerbsverstoß liege nicht vor, weil sie –
die Antragstellerin – das Angebot der Z... als zweites Hauptangebot zulässiger Weise
hätte einreichen können, trifft im Übrigen nicht den Kern. Richtig ist zwar, dass grundsätzlich mehrere Hauptangebote von einem Bieter eingereicht werden können (OLG
Düsseldorf, Beschl. v. 01.10.2012 – VII-Verg 34/12 – juris Tz. 6; Beschl. v. 09.03.2011
– VII-Verg 52/10 – juris Tz. 44 ff.; Beschl. v. 23.03.2010 – VII-Verg 61/09 – juris Tz. 15
ff.). Der Unterschied zum Streitfall liegt jedoch darin, dass sich bei Abgabe mehrerer
Hauptangebote durch einen Bieter wahrheitsgemäß lediglich ein Unternehmen in
eine Konkurrenz zu Wettbewerbern begibt. Eine wettbewerbsverfälschende Wirkung
ist davon nicht zu erwarten. Bei Parallelangeboten verbundener Unternehmen oder
224
Absprachen geben die Bieter unabhängige Angebote jedoch nur vor. Tatsächlich sind
sie es nicht. Im darin zu sehenden Scheinwettbewerb liegt die zu beanstandende
Wettbewerbsverfälschung.
3.6
Ausschluss wegen schwerer Verfehlung/Vergabesperren
127 VK Lüneburg, Beschluss vom 01.12.2011 –
VgK-53/2011 (Fahrbahnreinigung)
I.
Die Antragsgegnerin hat mit EU-Vergabebekanntmachung vom ... 2011 die
maschinelle Fahrbahnreinigung nach Unfällen mit wassergefährdenden Stoffen
für den Bereich ihres Geschäftsbereiches ... als Dienstleistungsauftrag gemäß
VOL/A europaweit im offenen Verfahren losweise für 12 Monate ab Auftragserteilung ausgeschrieben.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Die Antragsgegnerin hat das der Geschäftsführung der Antragstellerin im bei der
Staatsanwaltschaft ... unter dem Az.: ... anhängigen Ermittlungsverfahren vorgeworfene Verhalten im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zu Recht als nachweislich
schwere Verfehlung im Sinne des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG bewertet, die die Zuverlässigkeit der Antragstellerin als Bewerber in Frage stellt und sich im Rahmen des ihr
gemäß § 19 Abs. 4 VOL/A-EG eingeräumten Ermessens gehalten, als sie sich entschieden hat, das Angebot der Antragstellerin vom Vergabeverfahren auszuschließen.
Bei dem Begriff „schwere Verfehlung“ handelt es sich um einen unbestimmten
Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum
zukommt. Unter „schwerer Verfehlung“ werden erhebliche Rechtsverstöße verstanden, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit eines Unternehmens grundlegend in Frage
zu stellen. Hierzu zählen u. a. Verstöße gegen das GWB, z. B. unzulässige Preisabsprachen (vgl. Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Auflage, § 6 EG,
Rdnr. 103 f.), oder Verstöße gegen das StGB, wie z. B. Submissionsbetrug, Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung, Vorteilsnahme, Unterschlagung, Untreue,
Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung etc. (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 6
EG, Rdnr. 58). Grundsätzlich fallen unter den Begriff der schweren Verfehlung vor
allem auf den Geschäftsverkehr bezogene Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen
strafrechtliche Bestimmungen oder schwerwiegende Verstöße gegen Normen, die
grundlegende Prinzipien des Vergaberechts wie Wettbewerb und Gleichbehandlung
stützen (vgl. Prieß in: Beck‘scher VOBKommentar, § 8, Rdnr. 101). Als Bezugspunkt
für die Prüfung einer einem Bieterunternehmen anzulastenden schwerwiegenden
Verfehlung ist auf die verantwortlich handelnden Personen des Unternehmens abzustellen. Grundsätzlich gilt ein Bewerber als zuverlässig, wenn er seinen gesetzlichen
225
Verpflichtungen nachgekommen ist und eine einwandfreie Ausführung des Auftrags
erwarten lässt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2004 – Verg 48/04 =
VergabeR 2005, S. 207 ff., 210). Die einwandfreie Ausführung des Auftrags hängt
aber maßgeblich von den verantwortlich handelnden Personen ab. Bei Beteiligung
einer Personengesellschaft oder juristischen Personen kommt es mithin nicht auf das
Unternehmen selbst, sondern auf die für das Unternehmen verantwortlich handelnden Personen – wie vorliegend auf die Geschäftsführerinnen der Antragstellerin -an
(vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.07.2005 – Verg 42/05; OLG Saarbrücken,
Beschluss vom 29.12.2008 – 1 Verg 4/03; Müller-Wrede, a. a. O., § 6 EG, Rdnr. 61).
Voraussetzung für einen Ausschluss nach § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG ist, dass
eine schwere Verfehlung nachweislich begangen wurde. Nach dem Wortlaut der
Norm liegt mithin die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens
einer schweren Verfehlung beim Auftraggeber (vgl. Müller-Wrede, a. a. O., § 6
EG, Rdnr. 66; VK Nordbayern, Beschluss vom 22.01.2007 – 21 VK-3194-44/06;
VK Lüneburg, Beschluss vom 18.10.2005 – VgK-47/2005). Der Nachweis ist
zwar unzweifelhaft immer dann geführt, wenn sich der Auftraggeber auf einen
rechtskräftigen Bußgeldbescheid oder eine rechtskräftige Verurteilung berufen
kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.04.2006 – Verg 8/06, zitiert nach
ibr-online). Gleichwohl ist dies nicht zwingend erforderlich. Der Auftraggeber
ist vielmehr bereits bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte zu einem Ausschluss
berechtigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2003 – 1 Verg 4/03 = ZfBR
2004, S. 490; VK Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2006 – VK08/2006-L; für die
Zulässigkeit einer über den konkreten Angebotsausschluss hinausgehenden Vergabesperre KG, Urteil vom 17.01.2010 – 2 U 4/06 Kart, zitiert nach ibr-online). Denn zwischen dem Tatzeitpunkt und einer rechtskräftigen Entscheidung kann ein langer
Zeitraum liegen, in dem es dem Auftraggeber nicht zugemutet werden kann,
vertragliche Beziehungen mit dem betreffenden Unternehmen aufzunehmen.
Auch das Vorliegen einer Anklageschrift oder eines Eröffnungsbeschlusses
muss daher nicht abgewartet werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom
29.12.2003 – 1 Verg 4/03; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 24.06.2004 – 11 Verg
6/04; Müller-Wrede, a. a. O., § 6 EG, Rdnr. 67). Bei der Prüfung der Voraussetzungen
des § 6 Abs. 6 lit. c VOL/A-EG darf der Auftraggeber nach der Rechtsprechung des
BGH aber nur solche Umstände berücksichtigen, die sich im Rahmen gesicherter
Erkenntnis bewegen. Informationen müssen sich aus seriösen Quellen ergeben, so
dass der Verdacht eine gewisse Erhärtung erfährt (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1999 – X
ZR 30/98; Saarländisches OLG, Beschluss vom 29.12.2003 – 1 Verg 4/03; Hausmann/
von Hoff in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 111).
Der in der mit der Vergabeakte vorgelegten staatsanwaltlichen Ermittlungsakte dokumentierte Sachverhalt begründet zumindest den Vorwurf einer Vorteilsgewährung
nach § 333 Abs. 1 StGB und damit einer strafbaren Handlung.
226
128 KG, Urteil vom 08.12.2011 – 2 U 11/11 (Vergabesperre)
Die Verfügungsklägerin betreibt ein Bauunternehmen und beteiligt sich an Vergabeverfahren des Verfügungsbeklagten. Sie wendet sich gegen eine mit Schreiben der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 30. März 2011 ausgesprochene sechsmonatige Vergabesperre, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Das Bezirksamt Mitte zeigte mit Schreiben vom 4. Juli 2005 den Einsatz eines nicht
gemeldeten Nachunternehmers durch die Verfügungsklägerin auf der Baustelle Gymnasium/Musikschule an. Die Einzelheiten sind streitig.
Die Verfügungsklägerin erhielt u. a. den Zuschlag für das Bauvorhaben L in BerlinSpandau. Am 17. November 2009 war dort die Fa. I? als ihre Nachunternehmerin
tätig, ohne dass der Verfügungsbeklagte dem zugestimmt hatte. Mit Schreiben vom
2. Februar 2010 drohte er für den Fall des wiederholten Verstoßes gegen vertraglichen
Vereinbarungen die Verhängung einer auf sechs Monate befristeten Vergabesperre
an. Am 20. Januar 2011 waren auf der Baustelle für die zulässig eingesetzte Nachunternehmerin der Verfügungsklägerin – die I (im Folgenden: I ) – Herr S als Nachunternehmer und dessen Mitarbeiter N tätig. Der Verfügungsbeklagte hatte auch diesem
Einsatz nicht zugestimmt. Mit Schreiben vom 15. März 2011 zeigte das Bezirksamt
Spandau den unzulässigen Einsatz eines Herrn R als Nachunternehmer am gleichen
Tag an. Mit Schreiben vom 22. März 2011 zeigte es einen weiteren unzulässigen
Einsatz von Nachunternehmern am 18. März 2011 an. Die Einzelheiten dieser beiden
Vorfälle sind ebenfalls streitig.
II. Der Antrag auf Erlass eines einstweiligen Verfügung ist unbegründet. Es fehlt
am Verfügungsgrund, wobei offen bleiben kann, ob die Verfügungsklägerin einen
Unterlassungs- oder einen Beseitigungsanspruch geltend macht. Die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen §§ 33 Abs. 1 Satz 1, 19
Abs. 1, 20 Abs. 1 GWB sowie § 1004 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung
i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB, §§ 2 Abs. 2, 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) VOB/A 2009
bzw. i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB (Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb) sind nicht erfüllt.
1. Wettbewerbsrechtlicher Anspruch Die Vergabesperre ist ein einseitiges Verhalten
und wettbewerbsrechtlich gemäß § 22 Abs. 2 GWB nach deutschem Recht zu
beurteilen (Senat a.a.O. Rz 109 m. w. N.). Die Anwendbarkeit der bereits genannten Vorschriften des GWB scheitert daran, dass die insoweit darlegungspflichtige
Verfügungsklägerin keine Tatsachen vorgetragen hat, aus denen sich ergibt, dass
der Verfügungsbeklagte auf dem hier maßgeblichen Nachfragemarkt eine marktbeherrschende Stellung (§§ 19 Abs. 1 und § 20 Abs. 1 GWB i. V. m. § 19 Abs. 2
und 3 GWB) oder eine marktstarke Stellung (§ 20 Abs. 1 und Abs. 2 GWB) hat.
227
Die Umstände, die für die Bestimmung des sachlich relevanten Marktes zur
Verfügung stehen, zeigen, dass die Verfügungsklägerin allgemeine Bauleistungen anbietet, die nicht auf Großprojekte zugeschnitten sind (zur Bestimmung
des sachlich relevanten Marktes vgl. Immenga/Mestmäcker/Möschel, GWB, 4. Aufl.,
§ 19 Rz 24 ff und Rz 34 „Bauwirtschaft“). Denn aus den bei der Akte befindlichen
Unterlagen folgt, dass sie Aufträge von Bezirksämtern erhielt, die Abbrucharbeiten,
Kernbohrungen, Erstellung einer Eternit-Fassade und eines Wärmedämmverbundsystems, Stemm- und Maurerarbeiten sowie Putzarbeiten außen und innen umfassten.
Anhaltspunkte, dass der Verfügungsbeklagte auf dem Markt für allgemeine Bauleistungen unterhalb der Schwelle für Großprojekte – der aus Sicht eines durchschnittlichen Anbieters räumlich zudem nicht nur auf Berlin beschränkt ist (vgl. dazu BGH
ZIP 2000, 426 ff Juris Rz 28 m. w. N.) – eine marktbeherrschende oder marktstarke
Stellung hat, bestehen nicht.
2. Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung i. V. m. § 823
Abs. 2 BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB
a) Seit dem Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes am 1. Januar 1999
nimmt die vergaberechtliche Literatur überwiegend an, dass die Vorschriften der
VOB/A in den Fällen, in denen die sog. Schwellenwerte erreicht sind, Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB sind, soweit sie bieterschützenden Charakter haben
(vgl. Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB Teil A, 2001, Syst V Rz 288; weitere Nachweise siehe Senat a.a.O. Rz 120). Im vorliegenden Fall bedarf es allerdings keiner
Entscheidung zum Schutzgesetzcharakter der Vorschriften der VOB/A. Offen bleiben kann auch, welche Bedeutung es hat, dass nach den im Rahmen des wettbewerbsrechtlichen Anspruchs bereits dargestellten Aufträgen die Annahme, die
Verfügungsklägerin könne sich an EU-weiten Vergabeverfahren beteiligen, eher
fern liegt. Denn auch ein Eingriff in das – hinter spezielleren Vorschriften und
damit hinter einem etwaigen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zurücktretende –
Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb scheidet aus, wenn die
Vergabesperre die Anforderungen der VOB/A erfüllt (vgl. Senat a.a.O. Rz 121 m.
w. N.; Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl., § 823 Rz 126). Dies ist
hier der Fall.
b) Entgegen der von der Verfügungsklägerin vertretenen Ansicht bedarf es für
eine Vergabesperre keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung. Es ist
grundsätzlich anerkannt, dass die Möglichkeit einer Vergabesperre besteht.
Sie beruht auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, der auch für einen öffentlichen Auftraggeber gilt. Er ist zwar an die vergaberechtlichen Bestimmungen gebunden, danach aber nicht gehalten, Angebote von Unternehmern
einzuholen, die er generell für unzuverlässig halten darf (zum Vorstehenden:
Senat a.a.O. Rz 126).
228
Der von der Verfügungsklägerin in diesem Zusammenhang angeführte § 6 Abs. 3 AVG
für Vergabeverfahren, die nach dem 28. Oktober 2010 begonnen wurden (§ 11 AVG;
für die Zeit davor siehe § 1 Abs. 4 VergG Bln), steht der Vergabesperre ebenfalls nicht
entgegen. Die Regelung räumt dem Auftraggeber ein gebundenes Ermessen über die
Verhängung einer Vergabesperre ein, wenn der Auftragnehmer gegen Vorschriften
des AVG verstoßen hat. Aus der Regelung folgt aber keine Ermessensbindung dahingehend, dass nur in den dort genannten Fällen eine Vergabesperre ausgesprochen
werden kann. Denn sie trägt lediglich den Grundsätzen des neuen Vergaberechts
Rechnung (vgl. § 97 Abs. 4 GWB), ohne dass daraus zu entnehmen ist, dass die
allgemeinen Kriterien der Unzuverlässigkeit nicht mehr zu berücksichtigen sind. Dies
ergibt sich ohne weiteres aus der Überlegung, dass in diesem Fall die Möglichkeit
einer Vergabesperre gegenüber einem Auftragnehmer, dem Manipulationen des Vergabeverfahrens zur Last fallen („Korruption“; vgl. Senat a.a.O. Rz 130 ff), ebenfalls
ausschiede.
c) Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) VOB/A können Angebote von Bietern, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit als
Bewerber in Frage stellt, ausgeschlossen werden. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach § 2 Abs. 2 VOB/A 2009 scheidet in diesem Fall aus.
Ein Auftraggeber kann ein konkretes Angebot jedenfalls dann beurteilungsfehlerfrei ausschließen, wenn der Bieter schwerwiegende Rechtsverstöße
begangen hat und der Auftraggeber ihn deshalb zu Recht als unzuverlässig ansieht. Insbesondere Rechtsverstöße von einigem Gewicht, die sich
unmittelbar auf die Auftragsdurchführung beziehen, können die Grundlage
für eine Vergabesperre sein. Für eine Vergabesperre außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens müssen die Umstände, auf die die Sperre gestützt wird,
allerdings geeignet sein, den Ausschluss generell zu rechtfertigen. Dagegen ist
es nicht erforderlich, dass sich die Unzuverlässigkeit aus besonders schweren
Verfehlungen ergibt (zum Vorstehenden: Senat a.a.O. Rz 127, 128). Demgemäß
ist eine strafrechtliche Verurteilung keine Voraussetzung für eine solche Vergabesperre.
Der entgegen den vertraglichen Bestimmungen erfolgende Einsatz von Nachunternehmern ist ein schwerwiegender Rechtsverstoß bezogen auf den konkreten
Vertrag. Dies folgt ohne weiteres aus dem in § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B bestimmten
Recht zur Entziehung des Auftrags für den Fall, dass Leistungen – auf die der
Betrieb des Auftragnehmers eingerichtet ist – ohne Zustimmung des Auftraggebers nicht im eigenen Betrieb durchgeführt werden.
Vorliegend war Anlass für die mit Schreiben vom 30. März 2011 verhängte Vergabesperre der vertragswidrige Nachunternehmereinsatz am 20. Januar 2011. Es handelte
sich dabei nicht um den ersten und nicht um den letzten Vorfall dieser Art, wobei die
maßgeblichen Vertragsverstöße in den Jahren 2009 und 2011 ihrer Art nach jeweils
unstreitig sind. Die mehrfachen vertragswidrigen Nachunternehmereinsätze rechtfer-
229
tigten die Annahme des Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin sei generell
unzuverlässig. Auch wenn zugunsten der Verfügungsklägerin die von ihr behaupteten
näheren Umstände der Vertragsverstöße als zutreffend unterstellt werden, ergibt sich
keine andere Beurteilung. Es bedarf daher keiner weiteren Ausführungen zur Darlegungs- und Beweislast.
129 VK Nordbayern, Beschluss vom 12.06.2012 –
21 VK-3194-10/12 (Parkett- und Bodenbelagsarbeiten)
g) Die ASt hat den Ausschluss ihres Angebots am 03.05.2012 unverzüglich gerügt,
nachdem ihr mit Schreiben vom 03.05.2012 der Ausschluss mitgeteilt worden
war.
Gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A sind bei der Auswahl der Angebote, die für den
Zuschlag in Betracht kommen, nur Bieter zu berücksichtigen, die für die Erfüllung
der vertraglichen Verpflichtungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und
Zuverlässigkeit besitzen.
Für die Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters im Vergabeverfahren ist maßgebend, inwieweit die Umstände des einzelnen Falles die Aussage rechtfertigen, er
werde die von ihm angebotenen Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens
sind, vertragsgerecht erbringen. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist eine Prognoseentscheidung, die regelmäßig aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens des Bewerbers erfolgt. Zu den typische Fällen von Unzuverlässigkeit eines
Bewerbers gehört grundsätzlich auch mangelnde Sorgfalt bei der Ausführung früherer
Arbeiten, die zu Nachforderungen des Auftraggebers oder zu Gewährleistungsansprüchen geführt hat (Boesen, Vergaberecht, GWB § 97 Rz. 83 f.). Erforderlich ist eine
umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte unter
angemessener Berücksichtigung des Umfanges, der Intensität, des Ausmaßes
und des Grades der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzungen (OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 28.08.2001 – Verg 27/01). Aus der Tatsache einer Vertragsverletzung oder einer mangelhaften Leistung kann daher nur dann der Rückschluss
auf eine Unzuverlässigkeit des Unternehmers gezogen werden, wenn der Mangel gravierend ist, d.h. zu einer deutlichen Belastung des Auftraggebers, sei
es in tatsächlicher oder finanzieller Hinsicht, geführt hat (OLG Stuttgart, Urteil
vom 29.04.2003 – 1 U 130/02, IBR 2003, 496; VK Nordbayern, B. v. 18.12.2007 – Az.:
21.VK – 3194 – 47/07).
b) Vorliegend ist die VSt den Nachweis der Unzuverlässigkeit der ASt schuldig
geblieben.
aa) Den Ausschluss der ASt wegen deren Unzuverlässigkeit stützt die VSt auf
schlechte Erfahrungen mit der ASt aus drei vorausgegangenen Vergabeverfahren.
230
Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn ein Auftraggeber bei der Prüfung
der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit eines Bieters auf eigene,
auch schlechte, Erfahrungen aus früheren, abgeschlossenen Vertragsverhältnissen zurückgreift.
Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit kommt es auch darauf an, ob bei einer
Gesamtabwägung die positiven oder die negativen Erkenntnisse über einen Bieter
objektiv größeres Gewicht haben.
bb) Zwar ist es bei den drei angeführten Projekten offensichtlich zwischen der ASt und
der VSt zu Kommunikationsproblemen und Meinungsverschiedenheiten gekommen. Belastbare Nachweise für gravierende Fehler der ASt, wie sie etwa das
Ergebnis eines Gerichtsverfahrens oder eines Verfahrens nach § 18 Abs. 2
VOB/B möglicherweise hätte erbringen können, gibt es aber nicht.
Die Vergabekammer hat sich aufgrund der überlassenen Unterlagen und der Einlassungen in der mündlichen Verhandlung ein Bild von den Vorkommnissen um die drei
genannten vorangegangenen Projekte gemacht.
■
Beim Projekt ..... in ..... (xxxxx) wurde der ASt vorgeworfen, dass sie nach Auftragserteilung mitgeteilt hatte, sie wolle mit einer weiteren Firma eine ARGE zur
Abwicklung des Auftrages gründen. Da die VSt dem zugestimmt hatte, kann sie
mit diesem Vorgang nicht die Unzuverlässigkeit der ASt belegen.
■
Beim Projekt ..... (yyyyy) wurde der ASt wegen der zweifellos nicht fristgerechten
Ausführung mangelnde Termintreue vorgeworfen. Hier ist aber auch die Ursache
für die nicht vertragsgerechte Durchführung in die Betrachtung einzubeziehen.
Unstreitig ist ein großer Teil der Verzögerungen auf die Notwendigkeit zweier
Fachgutachten zurück zu führen. Zudem hat die ASt vorgebracht, sie sei durch
andere Handwerker und ungünstige Zeitabläufe behindert worden.
Zudem bestreitet die ASt, dass die Festlegung neuer Fertigstellungstermine – wie seitens der VSt vorgetragen – einvernehmlich erfolgt sei. Tatsächlich sind die hierzu von
der VSt vorgelegten Nachtragsschreiben nicht von der ASt unterzeichnet. Im Ergebnis
kann aus der teilweise durch besondere Umstände verursachten Nichteinhaltung der
Fertigstellungstermine nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass auch
die ordnungsgemäße Vertragsabwicklung des anstehenden Auftrags in Frage gestellt
wäre.
Die Qualität der Ausführung als solche hat die VSt der ASt nicht abgesprochen. Sie
hat zwar eine Mängelliste erstellt, die Maßnahme aber (in Abwesenheit der ASt) abgenommen. Dass die Mängelbeseitigung ebenfalls nicht termingerecht abgeschlossen
wurde, begründete die ASt damit, sie habe lediglich die von ihr zu vertretenden Mängel beseitigt, andere aber nicht.
231
Im Ergebnis und unter Würdigung der Schilderungen der unterschiedlichen
Standpunkte der Parteien ist die Vergabekammer zu der Überzeugung gelangt,
dass ein einseitiges, vorwerfbares Verschulden der ASt an den terminlichen
Verzögerungen nicht feststellbar ist. Damit bietet das Verhalten der ASt keine
ausreichenden Anhaltspunkte für das Fehlen ihrer Zuverlässigkeit.
■
Beim Projekt ..... (zzzzz) wurde der ASt der Auftrag für die Restarbeiten entzogen, weil die ASt Mängelbeseitigungsarbeiten zwar begonnen, jedoch nicht abgeschlossen habe. Diese Vertragsverletzungen, die die VSt erst im Rahmen des
Nachprüfungsverfahrens zur Begründung herangezogen hat, sind jedenfalls nicht
derart gravierend, als dass sie geeignet wären, die Unzuverlässigkeit der ASt im
Hinblick auf die jetzt ausgeschriebenen Bodenbelagsarbeiten zu begründen.
cc) Die VSt hat ausdrücklich betont, nicht die Schwere der einzelnen Mängel, sondern
deren Summe und Häufung hätten ihre Überzeugung von der Unzuverlässigkeit
der ASt begründet. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu berücksichtigen,
dass ein Ausschluss eines Unternehmens von der Vergabe öffentlicher Aufträge wegen Unzuverlässigkeit schwerwiegende Folgen für das Unternehmen haben kann (VK Nordbayern, B. v. 18.12.2007 – Az.: 21.VK – 3194 – 47/07).
Deshalb sind die Hürden für einen derartigen Ausschluss relativ hoch. Insbesondere muss es sich um gravierende und vor allem um nachgewiesene
Verfehlungen handeln.
dd) Die VSt hat insbesondere in der mündlichen Verhandlung ihre Verärgerung über
die bisherige Zusammenarbeit mit der ASt und ihre daraus resultierende Überzeugung von deren Unzuverlässigkeit deutlich gemacht. Jedoch darf der Ausschluss
eines Bieters vom Vergabeverfahren keine Sanktion für Probleme in der Vertragsabwicklung in vorangegangenen Vergabeverfahren sein (VK Brandenburg,
Beschluss vom 11.07.2007 – 1 VK 23/07).
Zweifellos gab und gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen der ASt und der VSt
über die Ursachen von Termin- und Kostenüberschreitungen, den Umfang der von der
ASt zu erbringenden Mängelbeseitigung, Kommunikationsprobleme und nachvollziehbare Zweifel der VSt an einer künftigen gedeihlichen Zusammenarbeit.
Die Klärung dieser Differenzen ist aber nicht Aufgabe der Vergabekammer im
Rahmen der Nachprüfung eines anderen öffentlichen Auftrags. Bloße Meinungsverschiedenheiten, die hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung
bestehen, sind nicht geeignet, einen Ausschluss wegen Unzuverlässigkeit zu
begründen (OLG Brandenburg, B. v. 14.09.2010 – Az.: Verg W 8/10).
c) Bei einer zusammenfassenden Würdigung ist danach festzustellen, dass die von
der VSt sowohl aus vorangegangenen Ausschreibungsverfahren gewonnenen
Erfahrungen als auch die im streitgegenständlichen Verfahren getroffenen Fest-
232
stellungen nicht ausreichend sind, Zweifel an der Leistungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit der ASt zu begründen. Die VSt hat deshalb in ihrer Prognoseentscheidung zu Unrecht die Zuverlässigkeit der ASt verneint.
130 OLG München, Beschluss vom 05.10.2012 –
Verg 15/12 (Grundschule G.-Straße)
1. Die (außerordentliche) Kündigung eines Auftrags entbindet den öffentlichen Auftraggeber nicht von den Vorschriften des Vergaberechts.
2. Schreibt der öffentliche Auftraggeber nach der Kündigung eines Bauauftrages die
Bauleistung erneut aus, ist der gekündigte Unternehmer nicht von vornherein von
der Teilnahme am Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen.
3. Der Auftraggeber darf bei der Prüfung der Eignung eines Bieters, also der Prognose,
ob der Bieter nach seiner personellen, finanziellen und technischen Ausstattung in
der Lage sein wird, den Auftrag durchzuführen, Erfahrungen mit einbeziehen, die
er selbst mit einem bestimmten Bieter in der Vergangenheit gemacht hat, ohne
dass hierauf gesondert in der Vergabebekanntmachung oder den Ausschreibungsunterlagen hingewiesen werden muss.
4. Die Erfahrungen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Auftragsverhältnisses geführt haben, können die Prognose rechtfertigen, dass bei erneuter Beauftragung dieses Bieters nicht mit einer ordnungsgemäßen Leistungsabwicklung
zu rechnen ist, ohne dass im Nachprüfungsverfahren positiv festgestellt werden
muss, dass die außerordentliche Vertragskündigung durch den Auftraggeber
gerechtfertigt war.
2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unbegründet, da die vergaberechtliche Entscheidung der Antragsgegnerin die Antragstellerin nicht in ihren Rechten
verletzt.
Soweit die Antragsgegnerin den Ausschluss der Antragstellerin auf § 16 Abs. 1 Nr. 2 c
VOB/A (nachweislich schwere Verfehlung) gestützt hat, dürften die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Gründe die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung
insoweit stellt, nicht erfüllen (vgl. im einzelnen Kratzenberg in Ingenstau/Korbion, VOB,
17. Aufl., § 16 VOB/A, Rn. 40 ff). Ein weiteres Eingehen auf die vielfältigen kontroversen Argumente der Verfahrensbeteiligten zu dieser Thematik bedarf es nicht. Denn
die Beurteilung der Antragsgegnerin, sie habe begründete Zweifel daran, dass die
Antragstellerin die Leistung, die Gegenstand der Ausschreibung ist, ordnungsgemäß
und vertragsgerecht erbringen wird, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die Eignung der Antragstellerin (§ 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A) rechtsfehlerfrei
und im Rahmen des ihr zu Gebote stehenden Beurteilungsspielraums verneint.
233
Der Auftraggeber darf anerkanntermaßen bei der Prüfung der Eignung Erfahrungen mit einbeziehen, die er selbst mit einem bestimmten Bieter in der
Vergangenheit gemacht hat (Kratzenberger in Ingenstau/Korbion, VOB 17. Aufl.
§ 16 VOB/A Rn. 79). Ein solches Vorgehen ist weder sachwidrig noch muss der
Auftraggeber hierauf bei der europaweiten Ausschreibung hinweisen. Die Argumentation der Vergabekammer, die Eignung dürfe ausschließlich anhand der in der
Bekanntmachung veröffentlichten Kriterien geprüft werden, greift insoweit zu kurz.
Insbesondere wenn es um die Vergabe eines Vorhabens geht, dem eine Kündigung
des bisherigen Auftragnehmers voranging, ist es dem Auftraggeber nicht verwehrt,
die negativen Erfahrungen in Bezug auf den gekündigten Bieter bei der Eignungsprognose zu berücksichtigen (OLG Brandenburg vom 14.09.2010, Verg W 8/10, OLG
Düsseldorf vom 04.02.2009, VII ZR 152/08).
Unzweifelhaft sind die Grenzen des Beurteilungsspielraums nicht überschritten, wenn
der Auftraggeber den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens für unzuverlässig
hält, weil er ihm rechtmäßig aus wichtigem Grund gekündigt hat und es gerade um
den Zuschlag des Auftrags geht, der die Vollendung des ursprünglich vom gekündigten
Bieter begonnenen Werkes bezweckt. Es liegt auf der Hand, dass die Umstände, die
eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, in aller Regel auch die Prognose tragen, dass der Bieter auch bei einer erneuten Beauftragung das Werk nicht zuverlässig
und ordnungsgemäß fertigstellen wird. Soweit die Antragstellerin meint, vorliegend
werde ein gänzlich neuer und anderer Bauauftrag vergeben, der alte Vertrag sei beendet und sie begehre auch keine Fortsetzung dieses gekündigten Vertrages, vermag
sie den engen sachlichen Zusammenhang zwischen dem gekündigten und dem neuen
Auftrag nicht in Frage zu stellen. Es mag sein, dass die Leistungsbeschreibung des
ausgeschriebenen streitgegenständlichen Auftrags im Detail Abweichungen gegenüber dem gekündigten Auftrag aufweist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass es
objektiv um ein und dasselbe Objekt geht, welches nunmehr nach der Kündigung der
Antragstellerin fertiggestellt werden soll und dass deshalb die Antragsgegnerin die
Vorfälle, die zur Kündigung geführt haben bei ihrer Eignungsprognose ebenso berücksichtigen darf, wie das Verhalten der Antragstellern im Anschluss an die Kündigung.
Vorliegend ist die Frage, ob für die von der Antragsgegnerin ausgesprochene
fristlose Kündigung hinreichende wichtige Gründe vorlagen, zwischen den
Beteiligten umstritten. Allerdings muss in einem Nachprüfungsverfahren von
den Nachprüfungsinstanzen nicht abschließend festgestellt werden, ob eine
außerordentliche Vertragskündigung des Auftraggebers gerechtfertigt war oder
nicht. Dies zu entscheiden, ist Sache der Zivilgerichte. Vergaberechtlich überprüfbar ist allein, ob der Auftraggeber zu Recht oder Unrecht einen Bieter als
unzuverlässig und damit als nicht geeignet i.S. von § 97 Abs. 4 GWB angesehen
hat oder nicht. Hierbei ist der bereits dargelegte Beurteilungsspielraum des Auftraggebers zu beachten. Ausreichend für die Berechtigung der Annahme, der Bewerber
sei unzuverlässig, sind nicht nur auf der Hand liegende Vertragsverletzungen, sondern
auch solche Umstände des Einzelfalles, die die Besorgnis rechtfertigen, die reibungslose Durchführung des Auftrags sei nicht zu erwarten (OLG Brandenburg a.a.O.).
234
4.
4.1
Eignungsprüfung (2. Wertungsstufe)
Ermittlungspflicht des Auftraggebers
131 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011 –
Verg 84/11 (Gebäude- und Glasreinigung)
Das Vorgehen der Antragsgegnerin begegnet aber deswegen durchgreifenden
vergaberechtlichen Bedenken, weil sie im Hinblick auf die Bonitätsbewertung
weder eine eigene Prüfung und Kontrolle vornimmt noch den Bewerbern die
Möglichkeit einräumt, Einwände und Korrekturen an der eingeholten Auskunft
anzubringen. Eignungsentscheidungen dürfen nur auf einer gesicherten Erkenntnisgrundlage erheben, die der Auftraggeber grundsätzlich eigenverantwortlich herstellen
muss. Bei jeder Eignungsprüfung und damit auch bei Auswahlentscheidung der am
besten geeigneten Bewerber nach § 20 Abs. 1 SektVO muss der Auftraggeber alle
Umstände, die für die Bewertung der Eignung von Bedeutung sind, aufklären. Er darf
sich weder auf Vermutungen stützen noch Zweifelsfragen offen lassen. Umstände,
die nicht auf eigener gesicherter Erkenntnis beruhen, dürfen bei der Bewertung nicht
berücksichtigt werden (BGH, Urteil v. 26.10.1999 – X ZR 30/98). Dass Auftraggeber
sich auf eine von anderen Stellen durchgeführte Eignungsprüfung beschränken, ist
ausdrücklich nur im Rahmen der Präqualifikation vorgesehen.
Mit der vollständigen Delegation der Ermittlung und der ungeprüften Übernahme der
für die Eignungsbewertung maßgeblichen Erkenntnisse an ein Wirtschaftsunternehmen, zudem in einem fehleranfälligen Bereich, genügt der öffentliche Auftraggeber
seiner vergaberechtlichen Pflicht zur Schaffung einer hinreichend sicheren Erkenntnisgrundlage nicht. Dies bedeutet nicht, dass die Verwertung von Bonitätsbewertungen der Creditreform-Auskunft in Vergabeverfahren ausgeschlossen ist. Der
Auftraggeber muss aber sicherstellen, dass diese Angaben nicht ungeprüft und
ohne jede Korrekturmöglichkeit zur Grundlage der Eignungsbewertung werden.
Der Auftraggeber muss derartige Auskünfte und Angaben nicht selbst kontrollieren.
Insoweit ist es ausreichend aber auch erforderlich, dass die Bewerber bzw. Bieter
Gelegenheit haben, die sie betreffenden Auskünfte auf ihre sachliche Richtigkeit hin
zu kontrollieren und gegebenenfalls Einwände und Korrekturen anzubringen, deren
Berechtigung der Auftraggeber überprüfen muss. Entgegen der Auffassung der
Antragsgegnerin ist es nicht Sache des Bieters bzw. Bewerbers, vor einer Bewerbung durch eine entsprechende Kontrolle des der Creditreform-Auskunft zur Verfügung stehenden Datenmaterials dafür zu sorgen, dass dem Auftraggeber nur sachlich
richtige Auskünfte erteilt werden. Dadurch würde die den Auftraggeber treffende
vergaberechtliche Obliegenheit, eine hinreichend sichere Erkenntnisgrundlage für die
Eignungsprüfung zu schaffen, vollständig auf den Bieter delegiert.
235
4.2
Eignungsprofil wird nicht entsprochen
132 EuGH, Urteil vom 10.05.2012 –
C-368/10 (EKO und Max Havelaar)
Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie
2004/18 der öffentliche Auftraggeber, wenn er, wie im vorliegenden Fall, beschließt,
einen Auftrag an den Bieter zu vergeben, der aus seiner Sicht das wirtschaftlich
günstigste Angebot einreicht, verschiedene Kriterien anzuwenden hat, die er unter
Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie festzulegen hat, wobei die Richtlinie,
wie sich aus der Verwendung des Ausdrucks „z. B.“ ergibt, eine nicht abschließende
Aufzählung möglicher Kriterien enthält.
Art. 53 der Richtlinie 2004/18 wird durch den 46. Erwägungsgrund der Richtlinie
erläutert, dessen Abs. 3 und 4 klarstellen, dass die Zuschlagskriterien nicht nur wirtschaftlich, sondern auch qualitativ sein dürfen. Daher gehören zu den in Art. 53 Abs.
1 Buchst. a genannten Kriterien u. a. Umwelteigenschaften. Wie die Generalanwältin
in Nr. 103 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, heißt es im vierten Absatz des 46.
Erwägungsgrundes zudem, dass „ein öffentlicher Auftraggeber auch Kriterien zur
Erfüllung sozialer Anforderungen anwenden [kann], die insbesondere den in den ....
Spezifikationen [des Auftrags] festgelegten Bedürfnissen besonders benachteiligter
Bevölkerungsgruppen entsprechen, denen die Nutznießer/Nutzer der Bauleistungen,
Lieferungen oder Dienstleistungen angehören“. Daher ist davon auszugehen, dass
öffentliche Auftraggeber auch Zuschlagskriterien wählen dürfen, die auf soziale
Aspekte gestützt sind, die die Nutzer oder Nutznießer der Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, aber auch
andere Personen betreffen können.
Zweitens schreibt Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 vor, dass die
Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen. Insoweit stellt
der 46. Erwägungsgrund in seinem dritten Absatz klar, dass „[d]ie Festlegung dieser Kriterien .... insofern vom Auftragsgegenstand ab[hängt], als sie es ermöglichen
müssen, das Leistungsniveau jedes einzelnen Angebots im Verhältnis zu dem in den
technischen Spezifikationen beschriebenen Auftragsgegenstand zu bewerten sowie
das Preis-Leistungs-Verhältnis jedes Angebots zu bestimmen“, wobei das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ das mit dem „besten Preis-Leistungs-Verhältnis“ ist.
Wie sich drittens aus dem ersten und dem vierten Absatz dieses Erwägungsgrundes
ergibt, verlangt die Wahrung der Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung
und der Transparenz, dass die Zuschlagskriterien objektiv sind, was gewährleistet,
dass der Vergleich und die Bewertung der Angebote in objektiver Weise erfolgt und
somit unter Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs. Das wäre nicht der Fall
236
bei Kriterien, die dem öffentlichen Auftraggeber eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit einräumten (vgl. zu entsprechenden Vorschriften der Richtlinien, die der
Richtlinie 2004/18 vorausgegangen sind, Urteil vom 17. September 2002, Concordia
Bus Finland, C-513/99, Slg. 2002, I-7213, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Viertens und letztens verpflichten, wie im zweiten Absatz dieses Erwägungsgrundes
hervorgehoben wird, dieselben Grundsätze den öffentlichen Auftraggeber in allen Stadien eines Verfahrens der Vergabe eines öffentlichen Auftrags, sowohl den Grundsatz
der Gleichbehandlung potenzieller Bieter als auch den Grundsatz der Transparenz der
Zuschlagskriterien zu wahren, wobei diese so zu formulieren sind, dass alle gebührend
informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter deren genaue Bedeutung
verstehen und sie somit in gleicher Weise auslegen können (vgl. u. a. zu entsprechenden Vorschriften der Richtlinien, die der Richtlinie 2004/18 vorausgegangen sind,
Urteil vom 4. Dezember 2003, EVN und Wienstrom, C-448/01, Slg. 2003, I-14527,
Randnrn. 56 bis 58).
Um die Begründetheit der Rüge des Fehlens eines hinreichenden Zusammenhangs
zwischen dem streitigen Zuschlagskriterium und dem Auftragsgegenstand zu beurteilen, sind zum einen die den Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR zugrunde
liegenden Kriterien zu berücksichtigen. Wie sich aus den Randnrn. 34 und 37 des vorliegenden Urteils ergibt, kennzeichnen diese zugrunde liegenden Kriterien Erzeugnisse
aus ökologischer Landwirtschaft bzw. fairem Handel. Zum ökologischen Landbau,
wie er durch das Unionsrecht, d. h. zur im vorliegenden Fall maßgeblichen Zeit durch
die Verordnung Nr. 2092/91 umschrieben war, heißt es in deren Erwägungsgründen
2 und 9, dass dieser Landbau den Umweltschutz begünstigt, insbesondere weil er
erhebliche Einschränkungen bei der Verwendung von Dünge- oder Schädlingsbekämpfungsmitteln bedeutet. Zum fairen Handel ergibt sich aus Randnr. 37, dass die von der
Stiftung, die das Gütezeichen MAX HAVELAAR vergibt, vorgeschriebenen Kriterien
Kleinerzeuger aus Entwicklungsländern fördern sollen, indem mit ihnen Handelsbeziehungen gepflegt werden, die die tatsächlichen Bedürfnisse dieser Erzeuger und nicht
nur die Gesetzes des Marktes berücksichtigen. Aus diesen Angaben ist ersichtlich,
dass das streitige Zuschlagskriterium Umwelt- und soziale Eigenschaften betraf, die
unter Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 fallen.
Zum anderen ist festzustellen, dass sich der Auftrag nach seiner Beschreibung in
Unterkapitel 1.4 des Lastenhefts insbesondere auf die Lieferung von Kaffee, Tee und
andere zur Herstellung der in den Automaten angebotenen Getränke erforderlichen
Zutaten bezog. Aus der Fassung des streitigen Zuschlagskriteriums ergibt sich im
Übrigen, dass dieses ausschließlich die im Rahmen dieses Auftrags zu liefernden
Zutaten betraf und keine Auswirkung auf die allgemeine Einkaufspolitik der Bieter
hatte. Mithin bezogen sich diese Kriterien auf Erzeugnisse, deren Lieferung ein Teil
des Gegenstands des fraglichen Auftrags war.
237
Wie sich schließlich aus Nr. 110 der Schlussanträge der Generalanwältin ergibt, ist es
nicht erforderlich, dass sich ein Zuschlagskriterium auf eine echte innere Eigenschaft
eines Erzeugnisses, also ein Element, das materiell Bestandteil von ihm ist, bezieht. So
hat der Gerichtshof in Randnr. 34 des Urteils EVN und Wienstrom entschieden, dass
es die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Unionsrechts
einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehren, im Rahmen der Vergabe eines
Auftrags über die Lieferung von Strom ein Kriterium festzulegen, das die Lieferung
von Strom aus erneuerbaren Energieträgern verlangt. Grundsätzlich steht somit einem
Zuschlagskriterium, das darauf abstellt, dass ein Erzeugnis fair gehandelt worden ist,
nichts entgegen.
Es ist daher festzustellen, dass das streitige Zuschlagskriterium den in Art. 53 Abs.
1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 verlangten Zusammenhang mit dem fraglichen
Auftragsgegenstand aufweist, so dass die Rüge der Kommission insoweit nicht
begründet ist.
Zu der Rüge, die Provinz Nord-Holland habe den Besitz bestimmter Gütezeichen zu
einem Zuschlagskriterium gemacht, genügt der Hinweis darauf, dass der öffentliche
Auftraggeber nach Nr. 35 des Anhangs A des Lastenhefts vorgesehen hatte, dass der
Umstand, dass die zu liefernden Zutaten mit den Gütezeichen EKO und/oder MAX
HAVELAAR ausgestattet seien, zur Vergabe einer bestimmten Punktzahl im Rahmen
der Rangfolge der konkurrierenden Angebote für die Zuschlagserteilung führe. Diese
Bedingung ist anhand der Erfordernisse der Klarheit und Objektivität zu prüfen, denen
die öffentlichen Auftraggeber insoweit zu genügen haben.
Was den spezifischen Fall der Verwendung von Gütezeichen angeht, hat der
Unionsgesetzgeber einige präzise Hinweise zu den Bedeutungen dieser Erfordernisse im Zusammenhang mit technischen Spezifikationen gegeben. Wie sich
aus den Randnrn. 62 bis 65 des vorliegenden Urteils ergibt, hat der Gesetzgeber,
nachdem er in Art. 23 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 hervorgehoben
hat, dass die technischen Spezifikationen so genau gefasst sein müssen, dass
sie den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln und dem
öffentlichen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen, dem Auftraggeber in Art. 23 Abs. 6 gestattet, die einem Umweltgütezeichen zugrunde
liegenden Kriterien anzuwenden, um bestimmte Eigenschaften eines Erzeugnisses vorzuschreiben, nicht jedoch, aus einem Umweltgütezeichen eine technische Spezifikation zu machen, da ein Umweltgütezeichen nur herangezogen
werden kann, um die Vermutung zu begründen, dass die mit ihm versehenen
Erzeugnisse die so definierten Eigenschaften erfüllen; dabei bleibt jedes andere
geeignete Beweismittel ausdrücklich vorbehalten.
Entgegen dem Vorbringen des Königreichs der Niederlande besteht kein Grund zu der
Annahme, dass die Grundsätze der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz andere Folgen hätten, wenn es sich um Zuschlagskriterien handelt, die eben-
238
falls wesentliche Bedingungen eines öffentlichen Auftrags sind, da sie entscheidend
dafür sein werden, welches der Angebote, die den vom öffentlichen Auftraggeber im
Zusammenhang mit den technischen Spezifikationen angegebenen Anforderungen
entsprechen, als erfolgreiches Angebot ausgewählt werden wird.
Zu der später in Nr. 12 der Informationsmitteilung erfolgten Klarstellung, dass der
Verweis auf die Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR auch gleichwertige Gütezeichen erfasse, ist hervorzuheben, dass über das in den Randnrn. 54 bis 56 des
vorliegenden Urteils Ausgeführte hinaus eine solche Klarstellung jedenfalls das Fehlen
einer Präzisierung in Bezug auf die den fraglichen Gütezeichen zugrunde liegenden
Kriterien nicht ausgleichen kann.
Nach alledem hat die Provinz Nord-Holland ein mit Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 unvereinbares Zuschlagskriterium aufgestellt, indem sie im Lastenheft
vorgesehen hat, dass, wenn bestimmte zu liefernde Erzeugnisse mit bestimmten
Gütezeichen versehen seien, dies zur Vergabe einer bestimmten Punktzahl im Rahmen der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots führe, ohne die Kriterien
aufgeführt zu haben, die diesen Gütezeichen zugrunde liegen, und ohne zugelassen
zu haben, dass der Nachweis, dass ein Erzeugnis diesen Kriterien genügt, durch jedes
geeignete Beweismittel erbracht werden kann. Folglich ist der dritte Klagegrund insoweit begründet.
b) Zum behaupteten Verstoß gegen Art. 44 Abs. 2 und Art. 48 der Richtlinie 2004/18
Wie sich aus Art. 48 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 2004/18 ergibt, zählt dieser Artikel
die Punkte, auf deren Grundlage der öffentliche Auftraggeber die technische
und berufliche Leistungsfähigkeit der Bieter bewerten und überprüfen kann,
abschließend auf. Außerdem ermächtigt Art. 44 Abs. 2 der Richtlinie den öffentlichen Auftraggeber zwar, Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit festzulegen, denen ein Bieter genügen muss, damit sein Angebot bei der Vergabe
des Auftrags berücksichtigt wird, doch dürfen diese Anforderungen nach Art.
44 Abs. 1 hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit nur
durch Bezugnahme auf die in Art. 48 aufgeführten Punkte festgelegt werden.
Entgegen dem Vorbringen des Königreichs der Niederlande knüpft die Anforderung
der Einhaltung der „Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des gesellschaftlich
verantwortlichen Verhaltens“ an keinen dieser Punkte an.
Insbesondere die im Rahmen dieser Anforderungen verlangten Informationen, nämlich
die Angabe „[der Art und Weise, in der der Bieter] die Kriterien der Nachhaltigkeit der
Einkäufe und des gesellschaftlich verantwortlichen Verhaltens erfüllt und zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und zu einer umwelttechnisch, sozial
und wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beiträgt“, können nicht einer
„Beschreibung der technischen Ausrüstung des Lieferanten ...., seiner Maßnahmen
239
zur Qualitätssicherung und seiner Untersuchungs- und Forschungsmöglichkeiten“
gemäß Art. 48 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 gleichgestellt werden. Der
Begriff „Qualität“, der nicht nur in dieser Bestimmung, sondern auch in den Buchst.
b, d und j von Art. 48 Abs. 2 verwendet wird, muss nämlich im Kontext dieses Art. 48
als technische Qualität der Leistungen oder Lieferungen von vergleichbarer Art wie
die der Leistungen oder Lieferungen, die den Gegenstand des fraglichen Auftrags
bilden, verstanden werden, da der öffentliche Auftraggeber berechtigt ist, von den
Bietern zu verlangen, dass sie ihn darüber informieren, wie sie die Qualität dieser
Leistungen oder Lieferungen in dem in diesen Buchstaben b, d und j vorgesehenen
Umfang kontrollieren und garantieren.
Demnach hat die Provinz Nord-Holland eine nach Art. 44 Abs. 2 und Art. 48 der Richtlinie 2004/18 nicht erlaubte Mindestanforderung an die technische Leistungsfähigkeit
aufgestellt, indem sie im Rahmen der im Lastenheft aufgeführten Eignungskriterien
und Mindestanforderungen die Bedingung vorgeschrieben hat, dass die Bieter die
Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des gesellschaftlich verantwortlichen
Verhaltens einhalten und angeben, wie sie diese Kriterien einhalten und zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und einer umwelttechnisch, sozial und
wirtschaftlich verantwortlichen Kaffeeproduktion beitragen. Mithin ist der erste Teil
des zweiten Klagegrundes begründet.
133 OLG Koblenz, Beschluss vom 13.06.2012 –
1 Verg 2/12 (Eignungsprofil)
1. Gegenstand der EU-weiten Ausschreibung im offenen Verfahren ist die Vergabe
von Abfallentsorgungsleistungen. Die Gesamtleistung ist in 16 Lose aufgeteilt.
Im jetzigen Beschwerdeverfahren geht es noch um das Los 3 (Sammlung und
Beförderung von Bioabfall im Landkreis N. unter Einsatz eines Behälteridentifikationssystems). Der Vertrag soll eine Laufzeit von 3 Jahren haben, optional ist eine
zweimalige Verlängerung um jeweils zwei Jahre vorgesehen.
Nach der Leistungsbeschreibung sind Bioabfälle „biologisch verwertbare Küchenabfälle, insbesondere Obst-, Gemüse- und sonstige Speisereste sowie Grünabfälle wie
Laub, Gras-, Baum- und Strauchschnitt mit einem Durchmesser von max. 8 cm“,
die von den Bürgern in auf den Hausgrundstücken bereitgestellte „braune Tonnen“
(Abfallbehälter unterschiedlicher Größe mit einem Fassungsvermögen von 60 l bis
240 l) entsorgt werden.
Laut Bekanntmachung vom 30. Juni 2011 war mit dem Angebot u.a. eine „Auflistung
von repräsentativen Referenzaufträgen der letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahre
für mit den angebotenen Leistungen vergleichbare Leistungen, mit Benennung der
durchgeführten Dienstleistung, Durchführungszeitraum der Dienstleistung, Bezeichnung des Auftraggebers (Telefon- Nr.), und Vergütung pro Jahr“ vorzulegen.
240
II.
1. An der Feststellung, dass die US-Army kein kommunaler Auftraggeber, der Truppenübungsplatz Hohenfels keine kommunale Gebietskörperschaft ist und Soldaten, die sich dort für Tage oder wenige Wochen zu Übungszwecken aufhalten,
keine Einwohner sind, kommt man nicht vorbei. Weil die Beigeladene keinen
anderen Referenzauftrag angegeben hat, genügt sie nicht dem vom Auftraggeber
ordnungsgemäß bekanntgemachten Eignungsprofil. Im Ergebnis kann dahinstehen, ob der Angebotsausschluss, wie von der Vergabekammer angenommen, aus
§ 19 Abs. 3 lit. a) EG VOL/A folgt, oder ob das Angebot, wozu der Senat neigt,
wegen fehlender Eignung des Bieters (§ 19 Abs. Abs. 5 EG VOL/A) aus der Wertung zu nehmen ist.
a) Wie sich (nicht nur) aus Art. 44 Abs. 2 VKR ergibt, ist der Auftraggeber berechtigt, das auftragsbezogene Eignungsprofil über Mindestanforderungen an die
Leistungsfähigkeit zu definieren. Gemäß §§ 7 Abs. 5 EG, 15 Abs. 1 EG VOL/A
i.V.m. Art. 36 Abs. 1 VKR und dem Standardformular 2 (Anhang II der VO (EG)
1564/2005; siehe auch Anhang VII zu Art. 36 Abs. 1 VKR unter A Bekanntmachung Ziffer 17) hat der Auftraggeber in dem Formular für die Bekanntmachung
unter III.2.3) in der rechten Spalte anzugeben, ob und welche Mindestanforderungen er an die technische Leistungsfähigkeit der potentiellen Auftragnehmer stellt.
Dies hat der Beschwerdeführer hier dadurch getan, dass er unmissverständlich
mindestens eine Referenz über „die behältergestützte Sammlung und Beförderung von Abfällen im kommunalen Auftrag ... für ein Entsorgungsgebiet mit
mind. 40 000 Einwohnern“ verlangt hat. Damit hat er sich zugleich dahingehend
festgelegt, dass ein Bieter, der nicht mindestens einen derartigen Auftrag gerade
ausführt oder in jüngere Vergangenheit ausgeführt hat, mangels Eignung nicht als
Auftragnehmer in Frage kommt.
b) Diese Mindestanforderung, die im Übrigen von niemandem gerügt wurde, ist entgegen der jetzt vom Auftraggeber ergebnisorientiert vertretenen Auffassung nicht
vergaberechtswidrig. Bei der Festlegung des auftragsbezogenen Eignungsprofils
ist der Auftraggeber weitgehend frei. Er muss keine Mindestanforderungen
festlegen (und sich damit selbst binden), aber er hat das Recht dazu. Die
Grenze zur Rechtswidrigkeit ist erst überschritten, wenn eine Forderung unzumutbar ist – wobei sich die Unzumutbarkeit noch nicht allein daraus ergibt, das
ein Unternehmen zur Erfüllung nicht in der Lage ist – oder nicht mehr der Befriedigung eines mit Blick auf das konkrete Beschaffungsvorhaben berechtigten Informations- und/oder Prüfungsbedürfnisses dient, sondern ohne jeden sachlichen
Grund ausgrenzend und damit wettbewerbsbeschränkend wirkt (siehe dazu auch
Hausmann/Hoff in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl., § 7 EG Rn. 21 f.)
Dies ist hier nicht der Fall. Es ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein
entsorgungspflichtiger Landkreis sich bei der Erfüllung einer wichtigen öffentlichen
Aufgabe nur eines Unternehmens bedienen will, das eine entsprechende Leistung
241
zumindest schon einmal für eine andere kommunale Gebietskörperschaft mit einer
bestimmten Größe erbracht hat oder derzeit erbringt. Die Prüfung der Zweckmäßigkeit
einer derartigen Vorgabe gehört nicht zu den Aufgaben der Nachprüfungsbehörden.
c) Die Vorgabe in der Bekanntmachung ist eindeutig und keiner vom Wortlaut
abweichenden Auslegung zugänglich. Für die vom Auftraggeber nunmehr
vertretene Auffassung, das Eignungsprofil könne auch durch andere, der
Mindestanforderung vergleichbare Referenzaufträge erfüllt werden, findet
sich weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen irgendein Ansatz.
Es ist zwar richtig, dass der Auftraggeber zunächst allgemein festgelegt hat, er wolle
die Eignung anhand von Referenzaufträgen über der angebotenen Leistung vergleichbare Leistungen prüfen. Seinen recht weiten Beurteilungsspielraum hat er sich aber
selbst freiwillig durch eine eindeutige und unmissverständliche Mindestanforderung
an die Bieter erheblich eingeengt (siehe auch Hausmann/Hoff in: Kulartz/Marx/Portz/
Prieß, VOL/A, 2. Aufl., § 7 EG Rn. 31 f.) Von dieser Mindestanforderung ist er jedenfalls
vor Angebotsabgabe nie mehr abgerückt; Bekanntmachung und Vergabeunterlagen
sind insoweit deckungsgleich.
Es ist also nicht so, wie der Auftraggeber jetzt glauben machen will, dass der Nachweis der Eignung auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung auch allein durch
Referenzen geführt werden kann, von denen keine einzige seinen eigenen Vorgaben
genügt, wenn sie nur irgendwie vergleichbare Leistungen betreffen. Er selbst hat diese
Möglichkeit bewusst und nach außen eindeutig ausgeschlossen. Ob der Auftraggeber,
wenn er gewusst hätte, dass auch die US-Army in Deutschland Entsorgungsaufträge
vergibt, anders als geschehen ausgeschrieben hätte, ist unerheblich; er hat es nicht
getan.
Die gesamte Argumentation des Auftraggebers lässt außer Acht, dass es hier – anders
als in dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 6. März 2008 (VII-Verg 53/07 – juris)
– nicht um die mehr oder weniger beispielhafte Umschreibung der Vergleichbarkeit in
den Vergabeunterlagen geht, sondern um eine ausdrücklich bekannt gemachte Mindestanforderungen zur technischen Leistungsfähigkeit. Auch der vom Auftraggeber
angeführten Entscheidung des Senats vom 15. Oktober 2009 (1 Verg 9/09 – VergabeR
2010, 696) lag eine völlig andere Fallgestaltung zugrunde. Der damalige Auftraggeber hatte sich, was nicht nur vergaberechtlich zulässig ist, sondern durchaus auch
klug sein kann, gerade nicht durch enge Vorgaben selbst gebunden, sondern u.a.
bekanntgegeben: „Sofern Sie noch nicht oder nicht über hinreichende Referenzen
im Bereich abfallwirtschaftlicher Leistungen verfügen, können Sie weitere Angaben
machen, warum Sie sich/Ihr Unternehmen für ausreichend fachkundig und leistungsfähig für die Erbringung der abgefragten Leistungen halten.“ Mit einer entsprechenden
Bekanntmachung im jetzigen Verfahren wäre gegen die Beauftragung der Beigeladenen wahrscheinlich nichts einzuwenden gewesen.
242
d) Der Auftraggeber darf seine Anforderungen an die Eignung jedenfalls nach
Angebotsabgabe weder verschärfen noch zugunsten einzelner Bieter auf
die Erfüllung seiner Vorgaben verzichten. Folglich kommt die Beigeladene
als Auftraggeberin nicht in Betracht.
134 OLG Koblenz, Beschluss vom 25.09.2012 –
1 Verg 5/12 (Lieferung von Holzhackgut)
Fordert der Auftraggeber von den Bietern die Vorlage einer „Erklärung des Unternehmers über den Gesamtumsatz des Unternehmens sowie den Umsatz bezüglich
der Leistung, die Gegenstand der Vergabe vergleichbar ist, bezogen auf die letzten
drei Geschäftsjahre“, beinhaltet dies nicht ohne weiteres die Mindestanforderung, ein
Unternehmen müsse, um überhaupt als geeignet beurteilt zu werden, in jedem der
letzten drei Geschäftsjahre Umsatz gemacht haben.
2. Die Antragstellerin wurde Anfang Juli 2011 gegründet und hat ihre Geschäftstätigkeit am 11. Juli 2011 aufgenommen.
In der Bekanntmachung vom 12. April 2012 heißt es unter III.2.2) zur wirtschaftlichen
und finanziellen Leistungsfähigkeit unter 5., vorzulegen sei eine „Erklärung des Unternehmers über den Gesamtumsatz des Unternehmens sowie den Umsatz bezüglich
der Leistung, die Gegenstand der Vergabe vergleichbar ist, bezogen auf die letzten
drei Geschäftsjahre.“
Aus dieser Forderung, die ihre Rechtsgrundlage in dem gleichlautenden § 7 Abs. 2
lit. d) EG VOL/A hat, folgt entgegen der Auffassung der Vergabekammer nicht ohne
weiteres, dass die Auftraggeberin für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit die Mindestanforderung aufgestellt hat, ein Unternehmen müsse, um
überhaupt als geeignet beurteilt zu werden, in jedem der letzten drei Geschäftsjahre Umsatz gemacht haben (was bei der Antragstellerin unmöglich ist). Eine
solche Qualifizierung wird weder dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 2 lit. d) EG
VOL/A noch der Bedeutung von Mindestanforderungen gerecht.
Nach § 7 Abs. 2 lit. d) EG VOL/A kann der Auftraggeber Angaben über den Umsatz
verlangen. Damit soll er in die Lage versetzt werden, sich u.a. ein Bild darüber zu
machen, in welchem finanziellem Rahmen sich die bisherige Geschäftstätigkeit eines
Bieters bewegte und ob er voraussichtlich über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
verfügt, die für die Ausführung des konkreten Auftrags notwendig ist. Der Drei-JahresZeitraum ist keine Mindestvoraussetzung, sondern eine Begrenzung. Dies ergibt sich
zwar nicht aus dem nationalen Recht. Allerdings heißt es in dem zugrundeliegenden
Art. 47 Abs. 1 lit c) VKR, dass Angaben zum Umsatz „höchstens in den letzten drei
Geschäftsjahren“ verlangt werden dürfen. Zudem hat in § 7 Abs. 2 lit. d) EG VOL/A
unionsrechtswidrig keinen Niederschlag gefunden, dass Art. 47 Abs. 1 lit. c) VKR
Newcomern (wie der Antragstellerin), die noch keine vollen drei Jahre tätig waren,
243
die Möglichkeit einräumt, Angaben für die Zeit ab Gründungsdatum oder dem Datum
der Aufnahme der Geschäftstätigkeit zu machen, „sofern entsprechende Angaben
verfügbar sind“. In diesem Sinne ist § 7 Abs. 2 lit. d) EG VOL/A unionsrechtskonform
auszulegen, und in diesem Sinne ist grundsätzlich auch eine Forderung zu verstehen, die sich auf diese nationale Norm stützt (Hausmann/von Hoff in: Kulartz/Marx/
Ports/Prieß, VOL/A, 2. Auflage 2011, § 7 EG Rn. 44; siehe auch OLG Düsseldorf v.
31.10.2007 – VII-Verg 24/07 – juris Rn. 29 – zum gleichlautenden § 7a Nr. 3 Abs. 1 lit
c) VOL/A 2006).
Eine – nicht von vorn herein unzulässige – unmissverständliche Mindestanforderung,
ein Bieter müsse vor Erteilung des Auftrags bereits drei Jahre auf dem einschlägigen
Markt tätig gewesen sein, hat die Auftraggeberin nicht aufgestellt. Nach Art. 44 Abs. 2
Unterabs. 3 VKR müssen Mindestanforderungen in der Bekanntmachung angegeben
werden. Das gemäß § 15 Abs. 1 EG VOL/A zu verwendende „Standardformular 2“
(Anhang II der VO (EU) Nr. 842/2011 v. 19.08.2011) enthält dafür – jeweils unter der
Überschrift: „Möglicherweise geforderte Mindeststandards: (falls zutreffend)“ gesonderte Rubriken. Werden diese ausgefüllt, wird dies auch im Bekanntmachungstext
entsprechend kenntlich – was hier nicht der Fall ist.
Vorliegend ergibt sich – anders als z.B. im Falle des Meisterbriefes – eine Mindestanforderung auch nicht aus der Art des geforderten Nachweises.
Die Auftraggeberin hat somit nur zum Ausdruck gebracht, dass sie mit Blick auf Art
und Umfang des ausgeschriebenen Auftrags die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bieter ergebnisoffen anhand von Unterlagen/Angaben prüfen will,
die aus der jüngeren Vergangenheit stammen. Ob die Angaben der Antragstellerin
hier ausreichen, um deren Leistungsfähigkeit zu bejahen, muss die Auftraggeberin in
eigener Verantwortung entscheiden.
4.3
Vorsätzlich falsche Angaben zu eignungsrelevanten Umständen
135 OLG Hamm, Urteil vom 12.09.2012 –
12 U 50/12 (Erweiterung Industriepark)
b. Vorsätzlich falsche Angaben zur Eignung, die gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 9) VOB/A
zwingend zum Ausschluss führen, sind der Klägerin indes nicht vorzuwerfen.
aa. Vorsatz im Sinne dieser Vorschrift verlangt, dass falsche Erklärungen gewollt
und in voller Kenntnis der Fehlerhaftigkeit abgegeben werden (Frister in:
Kapellmann/Messerschmidt, a.a.O., § 16, Rdnr. 27). Den Angaben der Klägerin
unter Ziff. 3 ihres Angebots vom 9.2.2011 lasst sich das nicht entnehmen.
Nach § 1 Abs. 1 S. 1 HWO ist der selbständige Betrieb eines zulassungspflichtigen
Handwerks als stehendes Gewerbe nur den in der Handwerksrolle eingetragenen
244
natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften gestattet. Gemäß
§ 1 Abs. 2 S. 1 HWO ist ein Gewerbebetrieb ein Betrieb eines zulassungspflichtigen
Handwerks, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und ein Gewerbe vollständig
umfasst, das in der Anlage A aufgeführt ist, oder Tätigkeiten ausgeübt werden, die für
dieses Gewerbe wesentlich sind.
Das Straßenbauerhandwerk ist ein in der Anlage A aufgeführtes Gewerbe. Im Zeitpunkt der Angebotserklärung verfugte die Klägerin über die entsprechende Eintragung
in die Handwerksrolle nicht. Zur Ausführung des Auftrags war die Eintragung mit dem
Straßenbauerhandwerk nach dem Inhalt der vorgelegten allgemeinen Baubeschreibung grundsätzlich erforderlich.
Zwar lässt sich das Gewerk „Kanalbau“ (Ziff. 1.3 der allgemeinen Baubeschreibung)
dem Maurerhandwerk zuordnen (vgl. OLG Köln GewArch 2000, 73, juris Tz. 17). Mit
dem Maurerhandwerk war die Klägerin seit dem 19.11.2009 in die Handwerksrolle eingetragen. Die vorgesehenen Pflasterarbeiten (Ziff. 1.1 der allgemeinen Baubeschreibung) gehören zumindest auch zum nichthandwerklichen Garten- und Landschaftsbau
(OLG Köln, a.a.O.). Hinsichtlich der Asphaltierungsarbeiten kommt es für die Abgrenzung zum Garten- und Landschaftsbau auf den Gesamtcharakter der herzustellenden
Anlage an (OLG Düsseldorf GewArch 2002,34). Vorliegend handelt es sich nach Art
und Umfang der Anlage – Neuerstellung einer Industriestraße, 700 m Ausbaulange –
indes um wesentliche Tätigkeiten des Straßenbauerhandwerks, die über den bloßen
Garten- und Landschaftsbau hinausgehen.
Dennoch lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin davon ausging, dass sie mangels
Eintragung mit dem Straßenbauerhandwerk den Auftrag nicht (vollständig) ausführen
durfte. Denn für Asphaltarbeiten war der Einsatz eines Nachunternehmers vorgesehen.
Die Ausführung eintragungspflichtiger Leistungen durch Nachunternehmer war der
Klägerin nicht von vorneherein versagt, etwa nach § 4 Abs. 8 Nr. 1 S. 1 VOB/B (vgl.
VK Sachsen, 10.2.2012, 1/SVK/001-12, juris Tz. 57) oder aufgrund einer zu erbringenden Eigenleistungsquote (vgl. OLG Frankfurt a. M., NZBau 2007, 466, juris Tz. 35 ff.:
Unzulässigkeit eines Eigenleistungsanteil; hier überdies in Bekanntmachung und
Angebotsaufforderung auch nicht verlangt).
4.4
Insolvenz des Bieters/Nachunternehmers
136 OLG Schleswig, Beschluss vom 30.05.2012 –
1 Verg 2/12 (Tragspritzenfahrzeuge)
II.
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der
sofortigen Beschwerde ist gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zulässig und begründet. Der
245
Senat entscheidet – wie aus dem Tenor ersichtlich -, ohne zuvor den oder die anderen
von der Entscheidung betroffenen Auftragsbewerber (nachholend) beizuladen (§ 109
Satz 1 GWB; vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juni 2002, Verg 24/02,
NZBau 2002, 639 m. w. N.). Eine Beiladung wirkt verfahrenskostenerhöhend; dazu
sowie zu der Frage, welche Bieter für eine Beiladung in Betracht kommen, sollen
die (bisherigen) Beteiligten im Beschwerdeverfahren zunächst angehört werden. Die
vorliegende Entscheidung nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB verlängert nur den Suspensiveffekt der Beschwerde, ohne bereits abschließend auf Rechte Beizuladender
einzuwirken. Der Senat beabsichtigt, im Beschwerdeverfahren zeitnah zu terminieren,
so dass der oder die Beizuladende(n) noch zu Gehör kommen können.
Ein Antrag nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ist (nur dann) abzulehnen, wenn unter
Berücksichtigung aller möglicherweise betroffenen Interessen die nachteiligen Folgen
einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde
die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Als „Vorteile“ in diesem Sinne sind
auch die Interessen der Antragstellerin an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes
anzusehen; dieses (Individual-)Interesse dient zugleich dem öffentlichen Interesse
an einer Durchsetzung der im Interesse der Allgemeinheit liegenden Beachtung des
Vergaberechts (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 3. April 2012, 2 Verg 3/12, Juris
[Tn. 24]). Den Interessen der Antragstellerin an einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde käme ein geringes Gewicht zu, wenn ihrer
Beschwerde bereits jetzt – absehbar – die Erfolgsaussichten abzusprechen wären.
Das ist indes nicht der Fall.
Dabei behält der Senat die Frage, ob die Rechtslage – unterschiedslos – für alle drei
betroffenen Lose gleich zu beurteilen ist, der (zeitnahen, s. o.) Klärung im Hauptsacheverfahren vor. Eine unterschiedliche Beurteilung könnte – im Hinblick auf § 107 Abs.
2 GWB – in Betracht kommen, weil das Angebot der Antragstellerin nur in Bezug auf
Los 2 das Günstigste ist, während es in Bezug auf Los 3 und Los 4 nur zweit- bzw.
viertrangig ausgefallen ist. Ob im Hinblick auf den für den Fall einer Zusammenfassung der Lose 2 – 4 angebotenen „Preisnachlass“ für die Antragstellerin – rechtlich
bedenkenfrei (vgl. VK Bund, Beschluss vom 5. Februar 2008, VK-3 08/08, S. 10 des
Beschluss-Abdrucks, zu b; a. A. VK Nordbayern, Beschluss vom 30. September 2010,
21 VK-3194-33/10, S. 12 des Beschluss-Abdrucks, zu bb) – eine alle Lose umfassende
Zuschlagschance entsteht, erscheint auch rechnerisch zweifelhaft. Dies bedarf weiterer Erörterung, so dass eine nach Losen differenzierte Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde im vorliegenden Verfahren unterbleibt.
Soweit die Vergabekammer sich in ihrem Beschluss – nach der Formulierung der
Beschlussgründe sogar entscheidungstragend – von Amts wegen auf den (zwingenden) Ausschlussgrund nach § 19 Abs. 3 lit. d EG VOL/A gestützt hat, überzeugt dies
nicht. Die Antragstellerin hat die (Vergabe- oder) Vertragsunterlagen in ihrem Angebot
nicht geändert, sie hat lediglich an einer – nach dem Angebotsvordruck zur Ausfüllung
vorgesehenen Stelle – ihre Zahlungsbedingungen („1/3 Anzahlung ...“) eingetragen.
246
Der Senat folgt insoweit der Beschwerdebegründung (S. 9 – 11); die Frage, ob der
später, im Schreiben vom 26. Januar 2012 erklärte „Verzicht“ auf die Anzahlung eine
unzulässige Nachverhandlung ist, ist unerheblich.
Im Ausgangspunkt ist der Antragsgegnerin und der Vergabekammer darin zu folgen,
dass eine (insolvenzbedingte) Leistungsunfähigkeit der Nachunternehmerin Fa. AZ
der Antragstellerin wie eine eigene Leistungsunfähigkeit – und damit Ungeeignetheit
– zuzurechnen ist, mit der Folge, dass ihr Angebot für eine Zuschlagerteilung nicht
in Betracht kommt (§ 19 Abs. 5 EG VOL/A; vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.
November 2011, VII-Verg 60/11, VergabeR 2012, 179). Folglich ist der Fokus auf die
Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Fa. AZ zu richten.
Rechtsgrundlage für die diesbezügliche Ausschlussentscheidung ist § 19 Abs. 4 EG
VOL/A i. V. m. § 6 Abs. 6 lit. a EG VOL/A. Die genannten Normen fordern auf der
Tatbestandsseite ein Insolvenzverfahren oder einen darauf zielenden Eröffnungsantrag
(das ist bzgl. der Fa. AZ gegeben) und auf der Rechtsfolgenseite Ermessen („können
... ausgeschlossen werden“). Die Prüfung erfolgt – wie das OLG Düsseldorf in seinem
Beschluss vom 5. Dezember 2006 (VII-Verg 56/06, NZBau 2007, 668/670) formuliert
hat, zunächst „in einem typisierenden Sinn“, um anschließend – einzelfallbezogen –
eine beurteilungs- und ermessensgerechte Entscheidung zu finden.
Die allgemeine, mit jeder Auftragsvergabe verbundene Gefahr, dass ein Bieter/
Auftragnehmer – mehr oder weniger zeitnah – nach Zuschlagserteilung insolvent wird, muss jeder Auftraggeber hinnehmen (zu § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B 2006
vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 9. Dezember 2011, 1 U 72/11, ZInsO 2012, 440).
Demgegenüber eröffnet der Fall der Insolvenz bzw. der auf eine Insolvenzeröffnung gerichtete Antrag vor Zuschlags-/Auftragserteilung einen Entscheidungsspielraum des Auftraggebers zum Bieterausschluss, wenn dem Bieter infolge
dieser Umstände „die für die Erfüllung der vertraglichen Pflicht erforderliche
Eignung“ (Leistungsfähigkeit) abhanden gekommen ist (vgl. § 19 Abs. 5 EG
VOL/A). Zur Tatbestandsseite der in § 19 Abs. 4 EG VOL/A i. V. m. § 6 Abs. 6 lit. a
EG VOL/A bestimmten Ausschlussnormen gehören damit nicht nur das „Faktum“
der Insolvenz bzw. eines Insolvenzantrages und die dadurch entstandene „abstrakte
Gefahrenlage“ für die Vergabestelle. Erforderlich ist auch eine – einzelfallbezogene
– Prognose zur entfallenen bzw. zur fortbestehenden Leistungsfähigkeit des betroffenen Unternehmens. Bei dieser Prognoseentscheidung steht der Vergabestelle ein
Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin nachprüfbar ist,
ob allgemeine Bewertungsgrundsätze beachtet worden sind (vgl. OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 10. August 2011, VII Verg 34/11, VergabeR 2011, 855 [bei Juris Tn.
51], m. w. N.).
Die Ergebnisse der zur Tatbestandsseite gehörenden Prüfungen führen zu einer –
mehr oder weniger starken – Wirkung auf die Ermessensentscheidung, insbesondere,
was die Verantwortbarkeit der Übernahme verbleibender Prognoseunsicherheiten und
247
Risiken anbetrifft. Je stärker solche Unsicherheiten die Erfüllung der (künftigen) vertraglichen Verpflichtungen gefährden, desto eher wird die Ermessensentscheidung für
einen Ausschluss ausfallen dürfen. Bei längerfristig abzuwickelnden Aufträgen wird
dies anders zu beurteilen sein als bei Verträgen über einmalige Lieferungen. Auch die
Rechtsfolgen eines erst nach Insolvenzeröffnung geschlossenen Vertrages sind im
Rahmen der Ermessensentscheidung abzuwägen; in Bezug auf den konkreten Auftrag
ist zu entscheiden, ob eine – auf diese Weise entstehende – vorab zu berichtigende
Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) die Vertragserfüllung hinreichend sichern kann. Für
eine Masseverbindlichkeit haftet der Insolvenzverwalter (§ 61 InsO), der bezüglich
einer Fortführung des Unternehmers zu einer realistischen Einschätzung der Werthaltigkeit diesbezüglicher Geschäfte verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober
2011, IX ZR 105/09, ZInsO 2012, 137). Eine Vergabestelle ist – sicher – nicht dazu
aufgerufen, eine Planinsolvenz (§§ 217 ff. InsO) bzw. eine sanierende Insolvenz
zu unterstützen, sie ist aber gehalten, in ihre Ermessensentscheidung eine einzelfallbezogene Beurteilung der Risiken einer Beauftragung einzustellen. Die
Beurteilung dieser Risiken hängt auch davon ab, welche „Sicherungen“ durch
insolvenzrechtliche Vorschriften und Prüfpflichten bestehen.
Den damit umrissenen Anforderungen an die nach § 19 Abs. 4 EG VOL/A i. V. m.
§ 6 Abs. 6 lit. a EG VOL/A zu treffende Ausschlussentscheidung wird die von der
Antragsgegnerin getroffene Entscheidung nicht gerecht.
Der Senat hat berücksichtigt, dass weder an die „Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung“ i. S. d. § 101 a Abs. 1 Satz 1 GWB noch an die (konkrete) Ermessensausübung im Zusammenhang mit der Ausschlussentscheidung nach § 19 Abs. 4 EG
VOL/A i. V. m. § 6 Abs. 6 lit. a EG VOL/A überspannte Anforderungen gestellt werden
dürfen. Im Rahmen des § 101 a Abs. 1 Satz 1 GWB darf die Vergabestelle sich kurz
fassen (vgl. Zeiss, in: jurisPK-Vergaberecht, 2011, § 101a Rn. 31 m. w. N.). Die Ausfüllung der Beurteilungs- und Ermessensspielräume zum Bieterausschluss bei
Insolvenz verlangt keine zeitraubende Recherche, die dem Beschleunigungsziel
des Vergabeverfahrens zuwiderläuft. Als Mindeststandard muss – aber – eine
aussagekräftige Begründung unter Verzicht auf allgemeine Floskeln verlangt
werden. Das Ausschlussermessen muss – erkennbar – ausgeübt worden sein, indem
auf die konkreten Umstände des Einzelfalls zumindest kurz eingegangen wird. Die
Antragstellerin hat zur gesellschaftsrechtlichen Struktur von „Z. alt“ und „Z. neu“ und
zum Geschäftsbesorgungsvertrag „Material“ für die Ermessenausübung geliefert, das
in den „Erläuterungen“ der Antragsgegnerin keinerlei Niederschlag gefunden hat.
Eine nur auf „typisierende“ allgemeine Merkmale abstellende Entscheidung verfehlt
die – gewollte – Überprüfung dieser Merkmale durch konkrete, einzelfallbezogene
Ermessenserwägungen.
Der Senat hat erwogen, ob die nach § 101 a Abs. 1 Satz 1 GWB mitgeteilten „Erläuterungen“ durch spätere – nachgeschobene – Ermessensgründe erweitert oder
auch ersetzt werden können. Würde dies verneint, bedürfte es keiner Prüfung der
248
gedankenreichen Anwaltsüberlegungen im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren
auf – eine Ausschlussentscheidung tragende – Ermessensgründe.
Das OLG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 5. Dezember 2006 (a.a.O., S. 670
[zu 2.]) ohne nähere Begründung spätere, erst im Nachprüfungsverfahren vorgetragene
Beurteilungs- und Ermessensgründe berücksichtigt; diese Gründe beruhten auf einer
Entscheidung der Vergabestelle. Ob dies auch auf Gründe anwendbar ist, die sich in
Schriftsätzen des Beschwerdeverfahrens finden, ist zweifelhaft. Im Verwaltungsrecht
ist eine Nachholung oder nachträgliche Ergänzung der Begründung von Ermessensentscheidungen zwar grundsätzlich zulässig (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, § 114 Satz
2 VwGO), doch gilt dies nicht bei erstmaliger Ausübung bisher fehlenden Ermessens,
wenn es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung ankommt (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 14. Januar 1999, 6 B 133.98, NJW 1999, 2912; vgl. Fricke,
in: jurisPR-BVerwG 8/2012, Anm. 4). Auf das Vergaberecht übertragen könnte zwar
argumentiert werden, dass die Vergabestelle „ihre“ Vergabe auch während der Dauer
eines Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahrens „unter Kontrolle“ halten darf und
– dementsprechend – die Vergabeentscheidung auch nachträglich ändern oder auf
andere (neue) Gründe stützen darf. Allerdings sind nachträglich vorgebrachte Argumente nicht zugleich auch als „Ermessensgründe“ anzuerkennen. Eine sachgerechte
Ermessensentscheidung entsteht aus einer ergebnisoffenen Faktengrundlage
und ihrer Bewertung, nicht aus einer bloßen Abwehr von Argumenten des Prozessgegners.
137 OLG Celle, Beschluss vom 18.02.2013 –
13 Verg 1/13 (Fenster- und Fassadenbauten)
Zu Unrecht wirft der Antragsteller dem Antragsgegner vor, dieser sei davon ausgegangen, dass eine mangelnde Eignung des Antragstellers bereits aufgrund des Insolvenzverfahrens grundsätzlich indiziert sei. Richtig ist, dass es bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Bieters keine Regelvermutung gibt, dass nach
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens der Bieter finanziell nicht leistungsfähig ist und es
daher nicht zulässig wäre, im Rahmen der Prüfung des fakultativen Ausschlusses nach
§ 16 Abs. 1 Nr. 2 a VOB/A-EG den Auftraggeber zu berechtigen, sein Ermessen generalisierend zu betätigen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2012 – VerG 68/11,
juris Rn. 14). Insoweit besteht Einigkeit in der Rechtsprechung und Literatur, dass
ein fakultativer Ausschluss aufgrund allein bestehender abstrakter Gefährdungslage
wie durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht vorgenommen werden darf,
sondern es einer konkreten Überprüfung der Eignung mit dem Auftraggeber zustehenden Beurteilungsspielraum und einer nachfolgenden ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Ausschluss des Bieters bedarf (OLG Düsseldorf, Beschluss vom
5. Dezember 2006 – VII VerG 56/06, juris Rn. 16; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss
vom 30. Mai 2012 – I VerG 2/12, juris Rn. 22). Der Antragsgegner hat vorliegend eine
einzelfallbezogene Prognose zur Leistungsfähigkeit des Antragstellers in Einklang mit
249
der zitierten Rechtsprechung durchgeführt und dies auch dokumentiert. Richtig ist
zwar, dass der 7. Absatz des Vergabevermerks mit dem Wort „Grundsätzlich indiziert
ein eröffnetes Insolvenzverfahren die mangelnde Eignung eines Bewerbers“ beginnt.
Die folgenden Sätze belegen jedoch (gekennzeichnet durch das Wort „aber“ gleich
im nachfolgenden Satz) die im Einklang mit der Rechtsprechung stehende zutreffende Rechtsauffassung des Antragsgegners im Hinblick auf die im pflichtgemäßen
Ermessen stehende einzelfallbezogene Prognoseentscheidung. Der Antragsgegner
hat damit nicht sachwidrig allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Grundlage seiner Ermessensentscheidung gemacht. Nicht zu beanstanden ist jedoch der
Ausgangspunkt des Auftraggebers, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines
Bieters nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zweifelhaft ist, da mit Eröffnung
des Insolvenzverfahrens feststeht, dass das Vermögen des Bieters zur Deckung der
Kosten des Insolvenzverfahrens nicht ausreichend ist.
Im Rahmen der Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit hat sich der Antragsgegner Informationen über den Bestand und die Fortführung des Unternehmens der
Insolvenzschuldnerin sowie deren finanziellen Situation beschafft. Hierzu hat er – wie
im Vergabevermerk festgehalten ist – u. a. Internetrecherchen sowie fernmündliche
Erkundigungen eingeholt. Zu Unrecht wirft der Antragsteller dem Antragsgegner vor, auf die zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen komme es zur
Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers nicht
an. Für den Antragsgegner ist es durchaus von erheblicher Bedeutung, welche Gläubiger in welcher Höhe Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet
haben, um sich ein umfassendes Bild über die wirtschaftliche Krise der Bieterin
und damit deren Zuverlässigkeit zu machen. Trotz durchgeführter Recherchen hat
der Antragsgegner hierzu keine ausreichenden Angaben erhalten. Ein Insolvenzplan
besteht nicht. Im Gegensatz zu der Auffassung des Antragstellers kann der Antragsgegner diesen Umstand bei seiner Beurteilung berücksichtigen. Denn hieraus können
sich Anhaltspunkte für die Fortführung des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin
ergeben. Auszugehen ist davon, dass die Insolvenzordnung als Ziel des Insolvenzverfahrens entweder die Verwertung des Schuldnervermögens mit anschließender
Erlösverteilung oder insbesondere zum Erhalt des Unternehmens abweichende
Regelungen in einem Insolvenzplan vorsieht (§ 1 InsO). Der Insolvenzplan im Sinne
des § 217 InsO kann insbesondere dem formulierten Ziel der Fortführung des Schuldnerunternehmens dienen. Wenn der Antragsteller im Vergabeverfahren wiederholt
betont, eine Fortführung des Unternehmens bzw. die übertragene Sanierung sei nach
wie vor beabsichtigt, so würde dies die Vorlage eines Insolvenzplans nahelegen, d. h.
das Fehlen eines Insolvenzplans spricht indiziell nicht für die von dem Antragsteller
aufgestellten Behauptungen. Der Umstand, dass die Gläubigerversammlung einen
Insolvenzplan nicht in Auftrag gegeben hat, ist unerheblich. Auch der Insolvenzverwalter ist zur Vorlage eines Insolvenzplans berechtigt (Uhlenbruck, a. a. O., vor § 217
Rn. 34). Liegt ein Insolvenzplan nicht vor, so ist es aus Sicht des öffentlichen
Auftraggebers sachgerecht, konkrete Angaben zu Verbindlichkeiten des Unternehmens zu erfragen. Dies hat der Antragsgegner getan und – unstreitig –
250
keine Informationen z. B. durch Vorlage eines Liquiditätsstatus erhalten. Im
Hinblick auf die reibungslose Durchführung des zu vergebenden Auftrags und die
sich anschließende Gewährleistungszeit ist es für den die öffentlichen Interessen
zu wahrenden Auftraggeber von entscheidender Bedeutung, ob das in Insolvenz
geratene Bieterunternehmen über eine ausreichend gesicherte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und zwar auch für den 5-jährigen Gewährleistungszeitraum verfügt.
Hierzu hat der Antragsgegner keine verlässlichen Informationen erhalten. Nicht zu
beanstanden ist in diesem Zusammenhang, dass der Antragsgegner das vom Antragsteller angebotene Gespräch nicht geführt hat. Ein solches Gespräch macht nur Sinn,
wenn der Antragsgegner zuvor in schriftlicher Form über notwendige Angaben zur
finanziellen Situation des Unternehmens verfügt, um sachgerecht in einem Gespräch
reagieren zu können.
5.
Ungewöhnlich niedriger Preis (3. Wertungsstufe)
138 EuGH, Urteil vom 29.03.2012 –
Rs. C-599/10 (SAG ELV Slovensko a.s.)
Nach Art. 55 der Richtlinie 2004/18 muss der öffentliche Auftraggeber, wenn im Fall
eines bestimmten Auftrags Angebote den Eindruck erwecken, im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig zu sein, vor Ablehnung dieser Angebote „schriftlich Aufklärung über die Einzelposten des Angebots verlangen, wo er dies für angezeigt hält“.
Aus diesen zwingend abgefassten Bestimmungen geht eindeutig hervor, dass der
Unionsgesetzgeber vom öffentlichen Auftraggeber verlangen wollte, dass er die Einzelposten der ungewöhnlich niedrigen Angebote überprüft, indem er ihn in diesem
Zusammenhang dazu verpflichtet, die Bewerber zur Vorlage der erforderlichen Belege
für die Seriosität dieser Angebote aufzufordern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27.
November 2001, Lombardini und Mantovani, C-285/99 und C-286/99, Slg. 2001,
I-9233, Randnrn. 46 bis 49).
Es stellt daher ein Erfordernis der Richtlinie 2004/18 dar, dass eine effektive
kontradiktorische Erörterung zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem
Bewerber zu einem zweckmäßigen Zeitpunkt im Verfahren der Prüfung von
Angeboten stattfindet, damit der Bewerber den Nachweis der Seriosität seines
Angebots erbringen kann; dadurch soll Willkür des öffentlichen Auftraggebers
verhindert und ein gesunder Wettbewerb zwischen den Unternehmen gewährleistet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Lombardini und Mantovani, Randnr. 57).
Zum einen ist die Aufzählung in Art. 55 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18
zwar nicht abschließend, aber auch nicht nur beispielhaft; sie lässt dem öffentlichen
Auftraggeber also bei der Auswahl der maßgeblichen Gesichtspunkte, die zu berücksichtigen sind, bevor ein Angebot, das den Eindruck erweckt, ungewöhnlich niedrig zu
251
sein, abgelehnt wird, nicht völlig freie Hand (Urteil vom 23. April 2009, Kommission/
Belgien, C-292/07, Randnr. 159).
Zum anderen hat der öffentliche Auftraggeber, um die praktische Wirksamkeit von Art.
55 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 zu gewährleisten, die an die betreffenden Bewerber
gerichtete Aufforderung klar zu formulieren, so dass diese in zweckdienlicher Weise
den vollen Beweis der Seriosität ihrer Angebote erbringen können.
Allerdings ist es allein Sache des nationalen Richters, anhand des gesamten Akteninhalts zu überprüfen, ob die betreffenden Bewerber aufgrund der Aufforderung zur
Erläuterung ihres Angebots dessen Zusammensetzung ausreichend darlegen konnten.
Im Übrigen steht Art. 55 der Richtlinie 2004/18 einer nationalen Bestimmung wie
§ 42 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 25/2006, die im Wesentlichen vorsieht, dass, wenn ein
Bewerber einen ungewöhnlich niedrigen Preis ansetzt, der öffentliche Auftraggeber
ihn schriftlich auffordert, diesen zu erläutern, keineswegs entgegen; vielmehr gebietet er, dass die nationalen Rechtsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen
eine solche Bestimmung enthalten (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Belgien,
Randnr. 161).
Mithin steht Art. 55 der Richtlinie 2004/18 insbesondere dem Standpunkt eines
öffentlichen Auftraggebers entgegen, der – wie es in der dritten Vorlagefrage
heißt – behauptet, er sei nicht verpflichtet, vom Bewerber eine Erläuterung eines
ungewöhnlich niedrigen Preises zu verlangen.
Zum Fall eines Angebots, das ungenau ist oder nicht den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen entspricht
Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 2004/18 – anders als bei ungewöhnlich
niedrigen Angeboten – keine Bestimmung enthält, die ausdrücklich regelte, was zu tun
ist, wenn der öffentliche Auftraggeber im Rahmen des nichtoffenen Ausschreibungsverfahrens feststellt, dass das Angebot eines Bewerbers ungenau ist oder nicht den
in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen entspricht.
Wesensbedingt kann bei einem nichtoffenen Ausschreibungsverfahren nach
der Auswahl der Bewerber das von ihnen eingereichte Angebot grundsätzlich
nicht mehr geändert werden, weder auf Betreiben des öffentlichen Auftraggebers noch auf Betreiben des Bewerbers. Bei einem solchen Verfahren stehen der
Grundsatz der Gleichbehandlung der Bewerber und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Transparenz Verhandlungen zwischen dem öffentlichen Auftraggeber
und einem Bewerber entgegen.
Dürfte der öffentliche Auftraggeber von einem Bewerber, dessen Angebot seiner
Auffassung nach ungenau ist oder nicht den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen entspricht, Erläuterungen verlangen, könnte nämlich,
252
wenn letztlich das Angebot dieses Bewerbers ausgewählt würde, der Eindruck entstehen, dass der öffentliche Auftraggeber dieses Angebot insgeheim ausgehandelt
hat – zum Nachteil der anderen Bewerber und unter Verstoß gegen den Grundsatz
der Gleichbehandlung.
Im Übrigen ergibt sich weder aus Art. 2 noch aus irgendeiner anderen Bestimmung der Richtlinie 2004/18, noch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung,
noch aus der Verpflichtung zur Transparenz, dass der öffentliche Auftraggeber
in einer solchen Situation verpflichtet wäre, mit den betreffenden Bewerbern
Kontakt aufzunehmen. Darüber, dass den öffentlichen Auftraggeber insoweit keinerlei Verpflichtung trifft, können sich diese im Übrigen nicht beklagen; schließlich
ist die fehlende Klarheit des Angebots allein auf einem Verstoß gegen ihre Pflicht
zur Sorgfalt bei der Erstellung des Angebots zurückzuführen, die für sie wie für die
anderen Bewerber gilt.
Es läuft also nicht Art. 2 der Richtlinie 2004/18 zuwider, dass in einer nationalen
Regelung keine Bestimmung enthalten ist, nach der der öffentliche Auftraggeber
verpflichtet ist, in einem nichtoffenen Ausschreibungsverfahren von den Bewerbern
zu verlangen, ihre Angebote im Hinblick auf die in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen Spezifikationen zu erläutern, bevor er sie, weil sie ungenau sind
oder nicht diesen Spezifikationen entsprechen, ablehnt.
Jedoch verbietet Art. 2 der Richtlinie 2004/18 insbesondere nicht, dass die Angebote
ausnahmsweise in einzelnen Punkten berichtigt oder ergänzt werden, insbesondere
wegen einer offensichtlich gebotenen bloßen Klarstellung oder zur Behebung offensichtlicher sachlicher Fehler – vorausgesetzt diese Änderung läuft nicht darauf hinaus,
dass in Wirklichkeit ein neues Angebot eingereicht wird. Er verbietet daher auch nicht,
dass die nationale Regelung eine Bestimmung wie § 42 Abs. 2 des Gesetzes Nr.
25/2006 enthält, die im Wesentlichen vorsieht, dass der öffentliche Auftraggeber die
Bewerber schriftlich dazu auffordern kann, ihr Angebot zu erläutern, ohne allerdings
irgendeine Änderung des Angebots zu verlangen oder zu akzeptieren.
Bei der Ausübung des Ermessens, über das der öffentliche Auftraggeber somit verfügt, hat er die verschiedenen Bewerber gleich und fair zu behandeln, so dass am Ende
des Verfahrens zur Auswahl der Angebote und im Hinblick auf das Ergebnis dieses
Verfahrens nicht der Eindruck entstehen kann, dass die Aufforderung zur Erläuterung
den oder die Bewerber, an den bzw. die sie gerichtet war, ungerechtfertigt begünstigt
oder benachteiligt hätte.
Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist zu ergänzen, dass die Aufforderung zur Erläuterung des Angebots erst nach Kenntnisnahme von sämtlichen Angeboten durch den öffentlichen Auftraggeber erfolgen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil Lombardini und Mantovani, Randnrn. 51 und 53).
253
Im Übrigen ist eine solche Aufforderung in gleicher Weise an alle Unternehmen zu
richten, die sich in derselben Situation befinden, es sei denn, ein objektiv nachprüfbarer Grund rechtfertigt insoweit eine unterschiedliche Behandlung der Bewerber,
insbesondere, wenn das Angebot im Hinblick auf andere Gesichtspunkte ohnehin
abzulehnen ist.
Außerdem hat sich die Aufforderung auf alle Punkte des Angebots zu erstrecken, die
ungenau sind oder nicht den in den Verdingungsunterlagen enthaltenen technischen
Spezifikationen entsprechen; der öffentliche Auftraggeber darf das Angebot nicht
wegen Unklarheit eines Punktes ablehnen, der nicht Gegenstand der Aufforderung
gewesen ist.
6.
6.1
Wertung der Angebote
Wertungsfehler
139 VK Bund, Beschluss vom 29.03.2012 –
VK 2-175/11 (Rahmenvertrag Entnahme Sedimente)
Die Ag hat mit den von ihr verwendeten Vergabeunterlagen jedenfalls nicht
explizit zum Ausdruck gebracht, dass sie hinsichtlich der Binnen-Gewichtung
der einzelnen Leistungspositionen in Bezug auf das Wertungskriterium „Preis“
flächendeckend den Faktor 1 ansetzen werde. Im Gegenteil hat sie beim verständigen Bieter eher einen anderen Eindruck erweckt. So sprechen schon die exakten
Angaben zu den Volumina der Gebietslose in der Bekanntmachung der Ag dafür, dass
ein internes prognostisches Mengengerüst existiert und dass dieses im Zweifel auch
die Grundlage für die Preiswertung bilden könnte; hierauf wurde bereits im Zusammenhang mit der Zulässigkeitsprüfung (siehe oben) hingewiesen.
Zudem greift die Argumentation der Ag nicht, dass doch jedem Bieter klar sein müsse,
dass bei umfangreichen Leistungsverzeichnissen wie im vorliegenden Fall flächendeckend alle Preise für sämtliche über 170 Leistungspositionen mit dem Faktor 1
aufaddiert werden, wenn sich aus den Vergabeunterlagen nicht explizit etwas Anderes
ergibt. Denn eine solche Vorgehensweise widerspricht aller wirtschaftlichen und haushalterischen Vernunft und ist damit aus Sicht eines verständigen Bieters gerade nicht
zu erwarten. Vielmehr wäre zu erwarten gewesen, dass die Ag ihren Gestaltungsspielraum zur Festlegung einer Binnen-Gewichtung auf Grundlage einer Schätzung
und Prognose insbesondere anhand ihrer Erfahrungswerte aus dem vorangegangenen
Rahmenvertrag nutzt, um sehr selten oder in geringem Umfang abgerufene Einzelleistungen in eine wirtschaftlich angemessene Relation zu regelmäßig oder sehr
häufig abgerufenen Einzelleistungen zu setzen. Für die Ag besteht angesichts ihrer
Vorgehensweise das objektive Risiko, dass prognostisch mit an Sicherheit grenzender
254
Wahrscheinlichkeit sehr häufig anfallende, aber relativ billige Einzelpositionen – wie
etwa der gefahrene Pkw-Kilometer oder typische kleinteilige Probenentnahme- oder
Analyseleistungen – einerseits vom Bieter mit einem relativ hohen Einzelpreis angesetzt werden und sich so wegen der Häufigkeit über die Multiplikation tatsächlich
über vier Jahre Vertragslaufzeit zu einem sehr hohen Kostenfaktor entwickeln, dass
dies aber andererseits bei der Preiswertung rechnerisch nicht relevant wird, weil eine
Binnen-Gewichtung – sprich Multiplikation mit einem angemessenen Faktor – dieser
billigen Einzelpositionen bei der Wertung unterbleibt und selbige deswegen gegenüber den in der Praxis nur sehr selten abgerufenen, aber teuren Einzelpositionen rechnerisch marginalisiert werden. Bei dieser Vorgehensweise besteht das hohe Risiko,
dass der Zuschlag gerade auf ein letztlich vollkommen unwirtschaftliches Angebot
erteilt wird. Wenn ein öffentlicher Auftraggeber bei der Preiswertung derart
unvernünftig vorgehen möchte, so spricht im Hinblick auf § 2 EG Abs. 1 Satz 1
VOL/A – angesichts der berechtigten Erwartungen der verständigen Bieter an
eine wirtschaftlich und haushalterisch rationale Vorgehensweise – viel dafür,
dass er dies in den Vergabeunterlagen explizit und eindeutig zum Ausdruck
bringen muss. Dies ist hier nicht geschehen.
b. Die Vorgehensweise der Ag ist als dem Sinn und Zweck einer Wirtschaftlichkeitsprüfung im Sinne des § 97 Abs. 5 GWB widersprechend und damit als vergaberechtswidrig zu bewerten.
Zwar steht der Ag im Hinblick auf die Binnen-Gewichtung der einzelnen Leistungspositionen in Bezug auf das Wertungskriterium „Preis“ und damit im Hinblick auf die
Bewertungsmethode ein weiter Gestaltungsspielraum zu (hierzu unter (1)). Jedoch
wurden die Grenzen dieses der Ag zuzugestehende weiten Gestaltungsspielraums
vorliegend durch ein flächendeckendes schlichtes Aufaddieren aller über 170 Einzelpositionen mit dem Faktor 1 in vergaberechtswidriger Weise überschritten, weil die
Ag auf diese Weise methodisch nicht in der Lage ist, das wirtschaftlichste Angebot
im Sinne des § 97 Abs. 5 GWB bzw. des Art. 53 VKR zu ermitteln (hierzu unter (2)).
140 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 1/12 (Planungsleistung Realschule)
Darüber hinaus ist die Wertung des Angebots der Antragstellerin fehlerhaft
erfolgt. So ist negativ bewertet worden, dass die Antragstellerin die Ausführungsbetreuung des Projekts „durch (zu) viele Hände durchreichen“ wolle. Dies
darf mit Blick auf die in § 5 Abs. 6 VOF, Art. 25 und Art. 47 Abs. 2, 48 Abs. 3 Richtlinie
2004/18/EG getroffenen Regelungen zu Unteraufträgen und zur sog. Eignungsleihe
jedoch nicht nachteilig bewertet werden. Ferner hat das Angebot der Antragstellerin eine Abwertung erfahren, weil diese den Vertragsentwurf erst auf Nachforderung eingereicht habe. Diese Überlegung ist sachwidrig. Fehlende Erklärungen
255
und Nachweise können vom Auftraggeber zum Anlass genommen werden, diese
nachzufordern. Dies ist in § 11 Abs. 3 VOF vorgesehen. Dann darf sich der Umstand,
dass nachgefordert worden ist, nicht negativ auswirken.
Sachfremd ist auch die Erwägung, die Antragstellerin habe ihre Präsentation nicht
durch beide Gesellschafter durchgeführt, sondern nur durch den Architekten V., wogegen das Büro B. alle Architekten in die Präsentation einbezogen habe. Hierbei handelt
es sich um ein kaum messbares geschmackliches Kriterium, das über die Qualität
einer Präsentation schlechterdings nichts aussagen kann.
141 VK Lüneburg, Beschluss vom 23.11.2012 –
VgK-43/2012 (Entsorgungsdienstleistungen)
Schließlich ist unter Berücksichtigung der gesamten Dokumentation in der Vergabeakte entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht davon auszugehen, dass
der Antragsgegner unter Verstoß gegen das Transparenzgebot gemäß § 97 Abs. 1
GWB und gegen die Vorgaben des § 19 EG VOL/A keine dem öffentlichen Auftraggeber obliegende eigenverantwortliche Entscheidung im Vergabeverfahren getroffen
hat, sondern unreflektiert dem Vergabevorschlag des von ihm mit der Begleitung
beauftragten Ingenieurbüros xxxxxx gefolgt ist.
Es ist nicht festzustellen, dass der Auftraggeber die Grenze der Beteiligung externer
Dritter überschritten hat. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehindert, sich bei
der Vorbereitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens ganz oder teilweise der
Hilfe Dritter zu bedienen, die über einen qualifizierten Sachversand verfügen (vgl. 1.
VK Sachsen, Beschluss vom 15.02.2011 – 1/SVK/052-10, zitiert nach ibr-online).
Nicht zulässig ist es dagegen, die Verantwortung für die Vergabe an externe Dritte
vollständig zu übertragen. Der Auftraggeber hat das Handeln der eingeschalteten
Stelle zu begleiten, zu überwachen und ggf. zu korrigieren (vgl. OLG Celle, Beschluss
vom 07.06.2007 – 13 Verg 5/07, zitiert nach ibr-online). Er muss insbesondere eigenverantwortlich die wesentlichen Schritte des Vergabeverfahrens durchführen und
nachvollziehen. Dazu gehört insbesondere, dass sich der öffentliche Auftraggeber
im Verhandlungsverfahren an Vertragsverhandlungen beteiligt, mögliche Ausschlussgründe nachvollzieht und über den Zuschlag in Kenntnis der gesamten Aktenlage
entscheidet und nicht die Mitwirkung an dem Vergabeverfahren auf ein bloßes
„Abnicken“ beschränkt (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 09.07.2010 – 11
Verg 5/10, zitiert nach ibr-online).
Diese Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur eigenverantwortlichen Entscheidung besteht nach wie vor ungeachtet der Tatsache, dass die VOL/A in der
Fassung vom 20.11.2009 keine ausdrückliche diesbezügliche Regelung mehr enthält.
256
§ 2 Nr. 3 der VOL/A in der Fassung vom 06.04.2006 enthielt noch ausdrücklich folgenden Grundsatz:
„Leistungen sind unter ausschließlicher Verantwortung der Vergabestellen an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Bewerber zu angemessenen Preisen zu
vergeben.“
Ungeachtet der Tatsache, dass diese ausdrückliche Regelung entfallen ist, gilt der
Grundsatz der eigenverantwortlichen zutreffenden Entscheidung des öffentlichen
Auftraggebers aber nach wie vor. Er ergibt sich ohne weiteres bereits aus § 97 Abs.
1 GWB. Dort heißt es ausdrücklich:
„Öffentliche Auftraggeber beschaffen Waren, Bau- und Dienstleistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren.“ (Hervorhebung durch die Vergabekammer.)
Auch im Übrigen verpflichten die Regelungen des Vergaberechts unmittelbar und
unmissverständlich den öffentlichen Auftraggeber selbst. So heißt es etwa in § 19
EG Abs. 8 VOL/A:
„Bei der Wertung der Angebote berücksichtigen die Auftraggeber entsprechend der
von ihnen bekannt gegebenen Gewichtung vollständig und ausschließlich die Kriterien,
die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind.“
Weiter heißt es in § 19 EG Abs. 9 VOL/A:
„Bei der Entscheidung über den Zuschlag berücksichtigen die Auftraggeber verschiedene durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigte Kriterien ...“ (Hervorhebungen
jeweils durch die Vergabekammer.)
Es ist daher davon auszugehen, dass der Grundsatz der eigenverantwortlichen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers und die dazu entwickelte Rechtsprechung
zu den Grenzen der Beteiligung Dritter am Vergabeverfahren nach wie vor fortgelten
(so auch Fett in: Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 2. Auflage, 8. Los, § 24 VOL/A EG, Rdnr. 5).
Dieser Pflicht und Verantwortung im Hinblick auf eine eigene Vergabeentscheidung
genügt ein Auftraggeber, wenn er zumindest die Wertung durch einen externen Dritten und dessen Zuschlagsvorschlag durch einen Prüfungsvermerk mit verantwortlicher Unterschrift billigt (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 04.06.2010, 11 Verg
4/10; OLG München, Beschluss vom 29.09.2009, Verg 12/09 – jeweils zitiert nach
ibr-online).
257
6.2
Prüfung und Bewertung von Losen
142 VK Bund, Beschluss vom 31.01.2012 –
VK 3-3/12 (Losbewertung)
2. II. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Die ASt kann nach ständiger Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (s. OLG
Düsseldorf Beschluss vom 27.07.2005, VII-Verg 108/04, und vom 22.08.2007, VIIVerg 27/07) die ihr günstigen Bewertungen ihres Konzeptes zu anderen Losen
nicht selektiv heranziehen, um im vorliegenden Vergabeverfahren eine bessere
Bewertung zu erzielen. Der Ag ist bei der Prüfung, ob das abgegebene Angebot
den durch die Bewertungsmatrix aufgestellten Einzelvorgaben entsprach, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dabei ist ihr bei der Vergabe von Wertungspunkten
ein Ermessen zuzuerkennen. Da nur die Angebote der Bieter, die zu einem Los
abgegeben wurden, in Konkurrenz zueinander stehen, muss lediglich sichergestellt sein, dass in Bezug auf das jeweilige Einzellos eine gleichförmige und
willkürfreie Behandlung der hierzu abgegebenen Angebote gewährleistet ist.
(OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 2. März 2005, VII-Verg 70/04; vom 23. März 2005,
VII-Verg 68/04; und vom 27. Juli 2005, VII-Verg 108/04).
Beim Kriterium I.1 sollte das strategische Vorgehen bei der auftragsbezogenen Zusammenarbeit mit Akteuren des regionalen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes erläutert
werden. dabei sollten die regionalen Akteure benannt und Art und Umfang der
Zusammenarbeit beschrieben werden. In der Wertung zum Angebot der ASt heißt
es diesbezüglich:
„Zusammenarbeit mit den regionalen Akteuren werden unzureichend beschrieben
(Kontakt zu Netzwerken etc. fehlt)“
Zum Kriterium III.1, wonach der vorgesehen Personaleinsatz differenziert nach den
vorgesehenen Funktionen und dem geplanten Einsatz in Wochenstunden beschrieben
werden sollte, insbesondere auch das Zusammenwirken des eingesetzten Personals
in der Maßnahme, lautet die Wertung:
„Das Zusammenwirken des eingesetzten Personals wird nicht ausreichend erläutert.“
Bei dem Kriterium Startphase IV.3 sollte der Ablauf beispielhaft skizziert werden. Es
geht darum aufzuzeigen, wie die unterschiedlichen Hemmnisse der der Zielgruppe
berücksichtigt werden. In der Wertung wird dazu zu den Losen ausgeführt:
„Seite 16-14 beispielhafte Skizzierung fehlt“.
258
Bezüglich des Kriteriums IV.4 wurde verlangt den Ablauf der Eingliederungsphase
beispielhaft zu skizzieren und die im Aktivierungs- und Eingliederungsplan fixierten
Ergebnisse unter Berücksichtigung der Maßnahmeinhalte und der geforderten Berufsfelder umgesetzt werden. In der Wertung wird dazu zu beiden Losen ausgeführt:
„Seite 16-14 beispielhafte Skizzierung fehlt“.
Beim Los 2 wird unter IV.4 zusätzlich ausgeführt:
„......Die Umsetzung der fixierten Ergebnisse in den Berufsfeldern wird unzureichend
dargestellt.“
Hinsichtlich des Kriterium IV.5 der Schlüssigkeit des Gesamtkonzepts sind keine
Ausführungen des Bieters erforderlich. Es wird bewertet, in wie weit die Zusammenführung der Ausführungen zu den Wertungsbereichen II.1 bis IV.4 den Eingliederungserfolg erwarten lässt. In der Bewertung wird diesbezüglich ausgeführt:
„Insgesamt ist die praktische Umsetzung der Maßnahme nur unzureichend beschrieben (bzw. Los 2 „unzureichend erläutert“). Eine Strategie zur Erreichung der Eingliederungsquote ist nur in Ansätzen beschrieben und nachvollziehbar.“
Im Übrigen wurden die Kriterien mit zwei Punkten und folgender Begründung bewertet:
„Die konzeptionelle Darstellung entspricht den Anforderungen, weil keine Anhaltspunkte für eine Zielerreichung in besonderer Weise sprechen (3 Punkte) und gegenüber den Anforderungen keine Einschränkungen erkennbar sind, die eine Bewertung
mit 1 Punkt rechtfertigen würden.“
Die Begründungen zeigen, dass die Ag den Beurteilungs- und Ermessensspielraum
ausreichend ausgefüllt und nicht überschritten hat. Die Ag hat auch keine Gründe für
die Wertung in unzulässiger Weise nachgeschoben. In der Stellungnahme der Ag
vom 17.01.2012 werden die Ausführungen des Vergabevermerks nur wiederholt und
teilweise an Beispielen vertieft beschrieben.
6.3
Prüfung und Bewertung von Nebenangeboten
143 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin)
2. Der Antragsgegner hat das – finanziell bedeutsamste – Nebenangebot 8 der Beigeladenen auch in Ansehung des gegebenen Beurteilungsspielraumes zu Unrecht
berücksichtigt. a. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein öffentlicher Auftraggeber
die Gleichwertigkeit eines Nebenangebotes zu Recht bejaht oder verneint, sind die
259
folgenden Maßgaben zu beachten: Das Merkmal der Gleichwertigkeit findet sich
weder in den Basisparagraphen noch in den a-Paragraphen; es ist lediglich in § 13
Absatz 2 VOB/A für die Fallgruppe der Abweichung von technischen Spezifikationen erwähnt; solche Abweichungen von technischen Spezifikationen gelten aber
nach § 16 Absatz 7 VOB/A gerade nicht als Nebenangebot. Es bestehen jedoch
keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass für den Vergleich des Nebenangebots
mit dem Leistungsverzeichnis dieselben Kriterien herangezogen werden, die für
Abweichungen von den technischen Spezifikationen innerhalb eines Hauptangebots gelten (BGH, Beschluss vom 23.03.2011, Az.: X ZR 92/09). Es kommt also
darauf an, ob die Leistung dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit,
Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit mindestens gleich kommt.
Mit dem „geforderten Schutzniveau“ verweist § 13 Absatz 2 VOB/A auf die
Vorstellungen und den Willen des Auftraggebers. Die Gleichwertigkeit eines
Nebenangebots hängt maßgeblich von dem Zweck ab, den der Auftraggeber
mit der Ausschreibung verfolgt (OLG Celle, Urteil vom 21.08.2003, Az.: 13 Verg
13/03; OLG Koblenz, Beschluss vom 29.08.2003, Az.: 1 Verg 7/03). Das Nebenangebot muss mit hinreichender Sicherheit geeignet sein, dem Willen des Auftraggebers in allen technischen und wirtschaftlichen Einzelheiten gerecht zu werden
(VK Sachsen, Beschluss vom 14.12.2001, Az.: 1/SVK/123/01). Für den Willen des
Auftraggebers kommt es maßgeblich auf die Vergabeunterlagen an; mit ihnen bringt
der Auftraggeber für die Bieter erkennbar zum Ausdruck, auf welche Leistungsmerkmale es ihm wesentlich ankommt (BayObLG, Beschluss vom 29.04.2002, Az.: Verg
10/02; VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.03.2006, Az.: VK-SH 02/06; VK
Südbayern, Beschluss vom 19.06.2007, Az.: Z3-3-3194-1-18-05/07; Beschluss vom
24.06.2004, Az.: 37-05/04). Die Erkennbarkeit für alle Bieter ist vor dem Hintergrund
des Transparenzgebotes in § 97 Abs. 1 GWB und des Diskriminierungsverbotes in
§ 97 Abs. 2 GWB zwingend erforderlich. Dabei kommt es nicht auf das an, was der
individuelle Bieter erkennt oder zu erkennen vermag (OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 23.03.2005, Az.: VII-Verg 02/05). Beim Vergabeverfahren nach der VOB/A ist
vielmehr der objektive Empfängerhorizont maßgebend, also die Sicht der potentiellen
Bieter (BGH, Urteil vom 23.01.2003, Az.: VII ZR 10/01, Urteil vom 18.04.2002, Az.:
VII ZR 38/01, Urteil vom 28.02.2002, Az.: VII ZR 376/00), die mit der geforderten
Leistung in technischer Hinsicht vertraut sind (Brandenburgisches OLG, Beschluss
vom 14.09.2004, Az.: Verg W 5/04).
260
VII. AUFKLÄRUNGSVERHANDLUNGEN/
AUFHEBUNG DES
VERGABEVERFAHRENS
1.
Aufklärungsverhandlungen – Grenzen
144 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 61/11 (Moabiter Werder)
Die Antragsgegnerin schrieb im Januar 2011 nach der VOB/A die Lieferung und Montage der Küchentechnik im Rahmen eines Neubaus „Moabiter Werder“ europaweit
im offenen Verfahren aus. Als Montagebeginn war für die Grobinstallation der 18.
September 2012 und für die Feininstallation der 22. Juli 2013 vorgesehen.
Im Leistungsverzeichnis sind die geforderten Eigenschaften der einzelnen Positionen
u.a. hinsichtlich der zu verwendenden Materialien, Abmessungen und elektrischen
Anschlusswerte konkret beschrieben. Bestimmte Hersteller, Typen oder Geräte waren
von den Bietern nicht einzutragen. Einziges Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis.
Nach Korrespondenz mit der Beigeladenen und einem Aufklärungsgespräch informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin unter dem 26. April 2011, dass der
Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen ergehen solle.
Die hierauf am 2. Mai 2011 erhobene Rüge der Antragstellerin wies die Antragsgegnerin am 4. Mai 2011 zurück. Am 10. Mai 2011 stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes. Sie begehrte die Feststellung, dass
sie durch die Verletzung von Vergaberecht in ihren Rechten verletzt ist und beantragte
weiter, dass die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen trifft, die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern.
In der Sache haben die Verfahrensbeteiligten vornehmlich darum gestritten, ob die
Auskömmlichkeitsprüfung des Angebotspreises der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin vergaberechtskonform war, § 16 Abs. 6 Nr. 2 VOB/A eine bieterschützende
Wirkung hat und ob das Angebot der Beigeladenen in verschiedenen Punkten vom
Leistungsverzeichnis abweicht und darum auszuschließen ist.
Die Vergabekammer hat, soweit sich die Antragstellerin auf die Unauskömmlichkeit
des Angebots der Beigeladenen berief, den Nachprüfungsantrag als unzulässig ver-
261
worfen und ihn im Übrigen zurückgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird
verwiesen.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde verfolgt und vertieft die Antragstellerin ihre Rügen
weiter. Sie ist der Auffassung, ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der
Antragsgegnerin auch hinsichtlich der Preisprüfung sei bereits aus dem Gleichheitsgebot des § 97 Abs. 2 GWB abzuleiten. Sowohl die Antragsgegnerin als auch die
Vergabekammer hätten diesbezüglich ihre Pflicht zur zutreffenden und vollständigen
Sachverhaltsermittlung verletzt. Wenn die Beigeladene auskömmliche Preise angegeben haben sollte, habe sie eine Leistung kalkuliert, die nicht vollständig dem Ausschreibungsgegenstand entspreche. Auch die nach Angebotsabgabe erfolgten Erklärungen
der Beigeladenen seien vergaberechtlich zu berücksichtigen. Danach werde mit den
beabsichtigten Produkten das Leistungsverzeichnis nicht vollständig bedient.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer aufzuheben,
2. festzustellen, dass sie durch die Verletzung von Vergaberecht in ihren Rechten in
dem Vergabeverfahren verletzt ist,
3. der Antragstellerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
4. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Angebotswertung unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts zu wiederholen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss.
Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Juli 2011 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer
einstweilen verlängert.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der
Verfahrensbeteiligten, die Akte der Vergabekammer und die Vergabeakte verwiesen.
B.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg. Die Angebotswertung
erfolgte vergabefehlerfrei. Das Angebot der Beigeladenen ist nicht von der Wertung
auszuschließen.
262
I.
Die von der Beigeladenen angebotenen Leistungen entsprechen den Vertragsunterlagen.
1. Die Beigeladene hat innerhalb der Angebotsfrist ein formell ordnungsgemäßes
Angebot abgegeben. Da die Antragsgegnerin darauf verzichtet hat, in der Leistungsbeschreibung Typen- und Herstellerangaben abzufragen, hat die Beigeladene, indem sie ohne weitere abweichende Erklärungen lediglich Preise in die
einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses eingesetzt hat, erklärt, zu den
genannten Preisen ausschreibungskonform liefern zu wollen.
2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den nachträglichen Erklärungen der Beigeladenen im Rahmen der Angebotsprüfung.
a) Wie die Vergabekammer zutreffend ausgeführt hat, ist nach Ablauf der
Angebotsfrist eine Änderung des Angebots ausgeschlossen; eine solche
konnte auch nicht einvernehmlich im Wege eines Aufklärungsgesprächs
erfolgen (zu den Grenzen eines Aufklärungsgesprächs s. auch EuGH, Urteil
vom 29.03.2012, C-599/10).
b) Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen käme aber in Betracht,
wenn die Beigeladene durch ihr Verhalten oder nachträgliche Erklärungen
zu erkennen gegeben hätte, dass sie nicht willens oder in der Lage ist, eine
ausschreibungskonforme Leistung zu erbringen (vgl. Senatsbeschlüsse vom
14. Oktober 2009, VII Verg 9/09, und 12. März 2007, VII Verg 53/06, jeweils
m.w.N; mit anderer rechtlicher Begründung OLG München, Beschluss vom 15.
November 2007, Verg 10/07). So wäre das Angebot auszuschließen, wenn
sich die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Zuge der Angebotsprüfung bereits verbindlich auf bestimmte Hersteller und Typen festgelegt
hätten oder die Beigeladene zu erkennen gegeben hätte, nur bestimmte
Produkte liefern zu können oder zu wollen, und diese von den aus dem Leistungsverzeichnis ersichtlichen Anforderungen abweichen würden. Dies ist
indes nicht der Fall.
aa) Erklärungen der Beigeladenen zu bestimmten Herstellern und Typen finden sich
allein im Antwortschreiben der Beigeladenen vom 4. März 2011 auf das Schreiben
der Antragsgegnerin vom 28. Februar 2011 und im Protokoll des Aufklärungsgesprächs vom 28. März 2011. Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 erkundigte sich
die Antragsgegnerin, ob der Angebotspreis der Beigeladenen bezüglich näher
bezeichneter Positionen auch die im Leistungsverzeichnis als Zubehör ausgewiesenen Counter-Geräte und das im Leistungsverzeichnis aufgeführte integrierte
Energiemanagement beinhaltet, bezüglich der Position 04.02.20 (DruckgarBraisiere GN 3/1 kippbar) auch, ob das zusätzliche Dampfgaren mit lebensmittelgerechtem Dampf beinhaltet ist. Schließlich fragte sie an, ob die Hochleistungsverdampfer (Positionen der Kältetechnik) mit den Angebotspreisen auch die
263
ausgeschriebenen technischen Bedingungen realisieren und fügte an, es sei sehr
von Vorteil, wenn Datenblätter der Hersteller zur Verfügung gestellt würden.
Danach ist zwar erkennbar, dass die Beteiligten im Aufklärungsgespräch zu
dem Ergebnis gelangten, Zweifel an den erörterten Einzelheiten des Angebots
seien ausgeräumt und auch die von der Beigeladenen im Schreiben vom 4. März
2011 genannten Kochblockgeräte des Herstellers X... seien ausschreibungskonform. Eine beide Seiten bindende Erklärung, dass im Falle des Zuschlags nur
diese Geräte Vertragsgegenstand sein sollten, kann hierin aber nicht gesehen
werden. Bei einer hersteller- und produktneutralen Ausschreibung bleibt der
erfolgreiche Bieter gemäß § 243 BGB grundsätzlich frei, ein Gerät von mittlerer
Art und Güte seiner Wahl zu liefern. Berücksichtigt man, dass die Lieferung und
Montage erst zwei Jahre später erfolgen sollten, kann erst recht nicht angenommen
werden, dass sich die Beigeladene ihrer Wahlmöglichkeit und damit der Möglichkeit,
auf etwaige Änderungen der Preise oder des Angebots der Zulieferer reagieren zu
können, bereits begeben wollte.
Die Beigeladene hat aber auch im Übrigen an keiner Stelle zu erkennen gegeben,
ausschließlich zur Lieferung der ihrer internen Kalkulation zu Grunde liegenden Geräte
bereit oder in der Lage zu sein. Im Gegenteil hat sie durchgehend und hinsichtlich jeder
erörterten Position zum Ausdruck gebracht, ausschreibungskonform liefern zu wollen.
II. Das Angebot der Beigeladenen ist des Weiteren nicht gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1
VOB/A oder § 19 Abs. 6 Satz 2 EG VOL/A unter dem Gesichtspunkt einer Unauskömmlichkeit des Angebotspreises von der Wertung auszuschließen.
Die von den Beteiligten erörterte Frage, ob und inwieweit die Vorschriften über die
Preisprüfung bieterschützenden Charakter haben, kann hier dahinstehen. Die Antragstellerin ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht in ihren Rechten verletzt.
1. Der Angebotspreis der Beigeladenen ist nicht unangemessen niedrig bzw. steht
nicht in einem offenbaren Missverhältnis zur Leistung. Das Angebot der Antragstellerin liegt nur knapp 12% über dem der Beigeladenen. Diese Preisdifferenz
befindet sich weit unter der Aufgreifschwelle, deren Erreichen der Auftraggeber zum Anlass nehmen muss, die Höhe des Angebots zu überprüfen. Diese
Schwelle liegt bei einem Preisabstand von 20% zum nächst höheren Angebot
(Thüringer OLG, BauR 2000, 396; BayOblG, VergabeR 2004, 743; OLG Frankfurt
a. M., Beschluss vom 30. März 2004, 11 Verg 4/04; OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 23. März 2005, VII Verg 77/04; a.A. OLG München, VergabeR 2006, 802,
807 in einem obiter dictum).
2. Die Antragsgegnerin hat zudem eine ausführliche Preisprüfung gemäß § 16 Abs.
1 Nr. 2 VOB/A (§ 19 Abs. 6 EG VOL/A) vorgenommen. Sie hat zunächst im Rahmen der gebotenen Prüfung des Gesamtpreises die Beigeladene aufgefordert,
264
ihre Kalkulation durch Vorlage der Formblätter zur Preisermittlung 221 oder 222
sowie der Aufgliederung der Einheitspreise nach Formblatt 223 offenzulegen.
Neben deren Auswertung erfolgte eine schriftliche Aufklärung zu Einzelpositionen, bezüglich derer die Auskömmlichkeit der genannten Preise zur Sicherung der
Vollständigkeit und Funktion der Gerätepositionen zunächst nicht nachvollziehbar
war. Nachfragen hierzu wurden im Aufklärungsgespräch geklärt.
Die Antragsgegnerin ist danach in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis
gelangt, dass ein Grund für den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen nicht
vorliegt, ihr Angebot vielmehr in der Wertung verbleibt und als das wirtschaftlichste
den Zuschlag erhalten soll.
III. Das Vorbringen der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung zur zwischenzeitlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen und personellen Lage der Beigeladenen und die nachgelassenen Schriftsätze der Antragsgegnerin und der
Beigeladenen hierzu geben keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung analog § 156 ZPO wieder zu eröffnen. Ohne dass es auf das ergänzende Vorbringen
der Beigeladenen zur Kompensation des finanziellen Verlusts im Folgejahr und
zu ihrer ausreichenden personellen Ausstattung ankäme, sind bereits die von der
Antragstellerin vorgetragenen Umstände nicht geeignet, im Rahmen einer erneuten Prüfung der Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit die Beigeladene als zur
Auftragsdurchführung ungeeignet anzusehen.
1. Bei der Prüfung der Eignung eines Bieters hat der öffentliche Auftraggeber eine
Prognoseentscheidung zu treffen, im Rahmen derer ihm ein Beurteilungsspielraum zukommt. Hat er die Eignung geprüft und bejaht, erlangt aber vor wirksamer
Zuschlagserteilung Kenntnis von Umständen, die – bezogen auf den zu vergebenden Auftrag – nunmehr Zweifel an der Eignung des Bieters begründen, muss er
erneut in die Eignungsprüfung eintreten.
2. Im Streitfall gibt das Vorbringen der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung
keine Veranlassung zu einer erneuten Eignungsprüfung durch die Antragsgegnerin.
a) Die Beigeladene hatte – wie sie in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 2. April
2012 bestätigt hat – ausweislich ihrer nunmehr vorliegenden Bilanz für das Jahr
2010 einen erheblichen Verlust zu verzeichnen; die Antragstellerin hat diesen mit
400.000 Euro beziffert. Dies rechtfertigt indes nicht den Schluss, dass der Beigeladenen die erforderlichen Mittel zur Finanzierung und Durchführung des streitgegenständlichen Auftrags fehlen. Maßgebliche Auswirkungen des – bereits im vorvorigen Geschäftsjahr erlittenen – finanziellen Verlusts auf die Geschäftstätigkeit
der Beigeladenen sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Weder befindet sie
sich in der Insolvenz noch in Liquidation. Auch dafür, dass ihre Kapitalausstattung
unzureichend und sie nicht liquide wäre, Zahlungsverpflichtungen nicht nachkäme
oder ihr die Kreditlinie gekündigt worden wäre, liegen keine Anhaltspunkte vor.
265
b) Des Weiteren ist auch nach dem – streitigen – Vortrag der Antragstellerin, die
Beigeladene habe drei Mitarbeiter aus der Planungs- und Kalkulationsabteilung
„verloren“ und verfüge nicht mehr über genügend Mitarbeiter, um den Auftrag
auszuführen, nicht zu besorgen, dass die Beigeladene nicht in der Lage wäre, die
zu vergebenden Leistungen fristgerecht zu erbringen. Die Durchführung des Auftrags, die sich über mehr als ein Jahr erstrecken soll, steht nicht unmittelbar bevor,
vielmehr muss das Gebäude, in welches die Küche eingebaut werden soll, erst
noch errichtet werden. Dafür, dass die Beigeladene bei Bedarf nicht mehr rechtzeitig ausreichend qualifizierte Kräfte einstellen könnte, bestehen keine Anhaltspunkte. Insbesondere ist weder ersichtlich noch nachvollziehbar dargelegt, dass
es ihr an den hierfür erforderlichen finanziellen Mitteln fehlen würde.
2.
Aufhebungsverfahren
145 OLG München, Beschluss vom 31.10.2012,
Verg 19/12 (Kinderpalliativzentrum)
a) Dahinstehen kann allerdings, ob die Mitteilung über die Aufhebung der Ausschreibung in einer § 126a BGB entsprechenden Form stattgefunden hat. Die Aufhebungsmitteilung wäre auch bei einer dieser Vorschrift widersprechenden
Form nicht unwirksam, weil die Form keine konstitutive Wirkung hat (Herrmann aaO § 17 VOB/A Rn. 20).
3.
Aufhebungsgründe
146 VK Berlin, Beschluss vom 14.10.2011 –
VK-B 2-24/11 (Elektroinstallationsarbeiten)
1. Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist die Vergabe von Elektroinstallationsarbeiten. Sie sind Teil der Instandsetzung und Modernisierung von insgesamt
703 Wohneinheiten. Mit Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vom ... (Amtsblatt
der EG 2011/S ...) schrieb die Antragsgegnerin, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, im offenen Verfahren die in insgesamt 32 Lose zerlegte Leistung aus.
Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das vorliegende Verfahren bezieht sich
ausschließlich auf Los ... (... Bauabschnitt Elektro).
(…)
2. II. Der zulässige Antrag ist in der Sache teilweise erfolgreich.
1.3 Die Antragstellerin hat die geltend gemachten Verstöße ordnungsgemäß und
nach Kenntniserlangung rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB gerügt.
266
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin bildet das aufgehobene Verhandlungsverfahren mit dem vorangegangenen Offenen Verfahren keinen
einheitlichen Vorgang in dem Sinne, dass die nicht gerügte Aufhebung des
Offenen Verfahrens zugleich die Nachprüfung der Aufhebung des nachfolgenden Verhandlungsverfahrens hindert. Das gilt auch dann, wenn jeweils
derselbe Aufhebungsgrund herangezogen wurde, denn beide Verfahren
sind auseinanderzuhalten.
Gegenstand der Nachprüfung ist lediglich das Verhandlungsverfahren. Dieses Verhandlungsverfahren ist ein eigenständiges förmliches Verfahren. Die
Antragsgegnerin hat ihre einheitliche materielle Beschaffungsabsicht in zwei
voneinander zu unterscheidenden formellen Vergabeverfahren umgesetzt (OLG
Naumburg Beschl. v. 18.8.2011, Az. 2 Verg 3/11). Es ist Sache der Antragstellerin
zu entscheiden, welches der Verfahren sie angreift, denn auch insoweit tritt keine
übergreifende Wirkung ein. Die Antragstellerin muss vielmehr im zweiten Verfahren
ihre Rügeverpflichtung neu beachten (OLG Koblenz Beschl. v. 18.9.2003, Az. 1 Verg
4/03) und trägt das Risiko, mit einer Beanstandung im Nachprüfungsverfahren wegen
unterlassener Rüge abgeschnitten zu sein.
Die Ansicht der Antragsgegnerin, auf die formale Trennung komme es nicht an, findet
keine Grundlage in der VOB/A. Soweit § 3 Abs. 6 Nr. 1 VOB/A Verhandlungen nur
unter Wahrung des ausgeschriebenen Auftrags gestattet, handelt es sich um eine
besondere Zulässigkeitsvoraussetzung dieser Vergabeart, weil sie den Wettbewerb
am stärksten reduziert. Aus dem Tatbestandsmerkmal der Leistungsidentität kann
jedoch nicht auf eine Verfahrensidentität geschlossen werden. Instruktiv führt die
erste Vergabekammer des Bundes (Beschl. v. 9.4.2001, Az. VK 1 07/01) zur Systematik der Vorschrift aus:
„Das in § 3a VOB/A vorgesehene Stufenverhältnis zwischen den verschiedenen
Vergabearten, wonach die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens den erfolglosen
Ablauf eines offenen bzw. nicht offenen Verfahrens zur Voraussetzung hat, macht ja
gerade die Aufhebung des ersten Verfahrens zur Bedingung für die Zulässigkeit des
Verhandlungsverfahrens. Das erste Verfahren muss wirksam aufgehoben sein, um
das zweite zulässigerweise einleiten zu können. Daraus wird deutlich, dass es sich
bei dem nachgeschalteten Verhandlungsverfahren um ein eigenständiges Verfahren
handelt, dessen Zulässigkeit nach den hierfür geltenden Bestimmungen zu überprüfen
ist, nicht etwa um ein einheitliches, durchgehendes Verfahren in zwei verschiedenen
Vergabearten. Das Stufenverhältnis belegt das Gegenteil der Annahme der Antragsstellerin, es belegt nämlich, dass der fortbestehende generelle Vergabewille gerade
nicht zu einem einheitlichen und durchgehenden Verfahren in ‚anderem Kleid‘ führt.“
Diesen Ausführungen, die uneingeschränkt auf die aktuelle Fassung der Vorschrift
übertragbar sind, schließt sich die Kammer an.
267
Die Antragstellerin hat die schriftliche Mitteilung der Aufhebung vom 8.6.2011 mit
Schreiben vom 10.6.2011 beanstandet, indem sie auf die Wirtschaftlichkeit ihres
Angebots hinwies. Sie hat damit form-und fristgerecht im Sinne des § 107 Abs. 3
GWB gerügt und die inhaltlichen Voraussetzungen einer Rüge erfüllt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch in der Sache weitgehend erfolgreich. Die
Antragsstellerin ist durch die Aufhebung des Verhandlungsverfahrens in ihrem
Recht auf Beachtung der Vergabevorschriften aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt,
denn ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A liegt nicht vor. Die
Antragsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, das Verfahren habe zu einem
unwirtschaftlichen Ergebnis geführt.
Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A kann eine Ausschreibung aus schwerwiegenden
Gründen aufgehoben werden. Obwohl die Vorschrift lediglich eine Aufhebung
der allein im Offenen und Nichtoffenen Verfahren stattfindenden „Ausschreibung“ gestattet, ist anerkannt, dass sie auch im Verhandlungsverfahren Anwendung findet (OLG Celle Beschl. v. 13.11.2011, Az. 13 Verg 15/10 für die insoweit
gleichlautende Vorgängerregelung).
Der Antragsgegnerin ist zuzugeben, dass die Annahme des Angebots im Parallelverfahren kein Präjudiz für die hier zu beurteilende Rechtsfrage schafft, denn sie kann am
Ende einer wirtschaftlichen Folgenabwägung, ohne weiteres das einzig in der Wertung
vorhandene und womöglich überteuerte Angebot annehmen, um ihr Beschaffungsziel
zu erreichen. Allerdings kann sich die Antragsgegnerin im Rahmen der von ihr verfochtenen getrennten Betrachtung der Bauabschnitte nicht auf einen schwerwiegenden
Grund für die Aufhebung des Verfahrens zum zweiten Abschnitt berufen.
Als Ausnahmevorschrift stellt § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A strenge Anforderungen
an diese schwerwiegenden Gründe. Sie müssen in ihrer Gewichtung den zuvor
in Nrn. 1 und 2 genannten gleich stehen und greifen nur, wenn sie erst nach
Beginn der Ausschreibung eingetreten sind oder dem Ausschreibenden jedenfalls vorher nicht bekannt sein konnten (BGH Urt. v. 8.9.1998, Az. X ZR 99/96).
Während § 17 Abs. 1 c) VOL/A die Verfahrensaufhebung bei unwirtschaftlichem
Ergebnis ausdrücklich gestattet, fehlt eine solche Regelung in § 17 VOB/A. Sie
ist aber auch für die Bauauftragsvergabe anzuerkennen, denn das Gebot an den
öffentlichen Auftraggeber, aus haushaltsrechtlichen Gründen die Mittelverwendung sparsam und wirtschaftlich durchzuführen, gilt gleichermaßen. Würde der
Auftraggeber trotz sorgfältig ermittelter Kostenschätzung verpflichtet werden,
den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, das kostenmäßig erheblich über dem
von ihm veranschlagten Kostenansatz liegt, würde dies das Gebot zur sparsamer
Wirtschaftsführung unterlaufen (BGH Beschl. v. 5.11.2002, Az. X ZR 232/00). Diese
Grundsätze gelten auch dann, wenn im Verfahren lediglich ein Angebot zu werten ist
(vgl. VK Düsseldorf Beschl. v. 28.9.3007, Az. VK 27/2007-B).
268
Bemessungsgrundlage für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Angebots ist
demnach die Kostenschätzung der Antragsgegnerin. Sie war in einer der Materie
angemessenen und methodisch vertretbaren Weise unter Berücksichtigung der vorhersehbaren Kostenentwicklungen zeitnah aufzustellen (BGH Beschl. v. 5.11.2002,
Az. X ZR 232/00).
Die der Kammer auf Anforderung eingereichten Schriftstücke des Ingenieurbüros
zur Kostenberechnung, die der Antragsgegnerin zuzurechnen sind, genügen diesen
Anforderungen nicht. (…)
3. Die Vergabekammer hat die Aufgabe, auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken. Sie ist gemäß § 114 Abs. 1 GWB bei ihrer Entscheidungsfindung nicht an die gestellten Anträge gebunden. Ziel ihrer Entscheidung ist die
Einwirkung auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens. § 114 GWB vermittelt
ihr einen weiten Entscheidungsspielraum, der seine Schranken in dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet. Die Maßnahme muss jedoch geeignet sein, die
Rechtsverletzung zu beseitigen, gleichzeitig aber auch das mildeste Mittel hierfür
sein. Obwohl die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A nicht vorlag, kann sie die Antragsgegnerin
nicht verpflichten, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Ausschreibende auch
dann, wenn kein Aufhebungsgrund besteht, nicht gezwungen werden,
einen der Ausschreibung entsprechenden Auftrag zu erteilen (BGH Beschl.
v. 18.2.2003, Az. X ZB 43/02).
Die Kammer steht insoweit nicht in Widerspruch zu ihrem Beschluss vom 5.11.2009
(Az. VK B 2-35/09). Im dort zu entscheidenden Fall sah sich die Vergabestelle an
einem Zuschlag nur durch einen rechtlichen Umstand gehindert, der sich später als
irrelevant erwiesen hatte: Das Angebot der dortigen Antragstellerin hatte die Produktanforderung sowie alle sonstigen Voraussetzungen der Ausschreibung erfüllt und
war überdies nach dem alleinigen Wertungskriterium Preis von den in der Wertung
verbliebenen Angeboten das wirtschaftlich günstigste. In dieser – hier ersichtlich nicht
gegebenen – Konstellation war die Verpflichtung zur Zuschlagserteilung zulässig.
(…)
Die Vergabekammer weist unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung und
folgenden gescheiterten Vergleichsverhandlungen außerhalb des Nachprüfungsverfahrens vorsorglich darauf hin, dass sich die Antragstellerin in den aufzunehmenden
Verhandlungen im Interesse einer Einigung nicht auf formale Betrachtungen der
Darlegungs-und Beweislast zurückziehen, sondern gegebenenfalls ihre Angebotspositionen erläutern und verständlich machen sollte. Denn aus den vorangegangen Ausführungen ergibt sich bereits für das Vergabeverfahren selbst
eine Mitwirkungs-und Informationspflicht des Bieters, die den Rückzug auf rein
prozessuale Positionen nicht zulassen.
269
147 VK Bund, Beschluss vom 09.02.2012 – VK 3-6/12
(Vorbereitung und Eingliederung von Jugendlichen)
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Aufhebung der Ausschreibung ist
mit § 17 Abs. 1 lit. b) VOL/A vereinbar (nachfolgend lit. a)). Die Zuweisung der bis
zum 13. Januar 2012 von der ASt mit ... betreuten Teilnehmer an die Bg zu 1) bis
3) war keine unzulässige de-facto Vergabe (nachfolgend lit. b)).
a) Die Aufhebung der Ausschreibung bzgl. Los 141 war nach § 17 Abs. 1 lit. b) VOL/A
zulässig.
Nach § 17 Abs. 1 lit. b) VOL/A können Vergabeverfahren ganz bzw., bei Vergabe
nach Losen, auch teilweise aufgehoben werden, wenn sich die Grundlagen des
Vergabeverfahrens wesentlich geändert haben. Für eine wesentliche Änderung
der Grundlagen ist eine derartige Änderung erforderlich, dass eine Auftragsvergabe auf der Grundlage der bisherigen Vergabeunterlagen für den Auftraggeber
oder die Bieter unzumutbar geworden ist (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom
3. Januar 2005, VII-Verg 72/04). Die Umstände müssen so erheblich sein, dass eine
Anpassung der Angebote nicht in Betracht kommt. Zudem dürfen diese Gründe erst
nach Einleitung der Ausschreibung eingetreten oder bekannt geworden sein.
Dies zugrunde legend ist vorliegend festzustellen, dass sich die Grundlagen der Ausschreibung bzgl. Los 141 so wesentlich geändert haben, dass eine Auftragsvergabe
auf der Grundlage der bisherigen Vergabeunterlagen für die Ag unzumutbar geworden
ist.
Die streitgegenständliche Ausschreibung ist am 21. März 2011 im Deutschen Ausschreibungsblatt bekannt gemacht worden. Die Ag hat in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer deutlich gemacht, dass die Planung der zur Verfügung
stehenden finanziellen Ausgabemittel sowie des voraussichtlichen Bedarfs an Teilnehmerplätzen Anfang des Jahres 2011 erfolgte. Bei der Planung sei – wie bei allen
vorangegangenen Ausschreibungen von ... – maßgeblich auf Erfahrungswerte aus
der Vergangenheit abgestellt worden. Die Planung werde dadurch erschwert, dass
die Ausgabemittel jeweils nur für ein Kalenderjahr bewilligt werden, während die ...n
üblicherweise im September eines Jahres beginnen und erst im Folgejahr enden.
aa) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass fehlende Haushaltsmittel als
ein die Aufhebung einer Ausschreibung rechtfertigender Grund im Sinne
des § 17 Abs. 1 lit. b) VOL/A in Betracht kommen können (OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 8. Juni 2011,VII- Verg 55/10, abgedr. in NZBau, 2011/699 m.w.N.).
Die Ag hat in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer dargelegt, erst
Anfang 2012 von der zentralen Dienststelle davon in Kenntnis gesetzt worden
zu sein, dass die ihr im Jahr 2012 für ... zur Verfügung stehenden Ausgabemittel
270
deutlich hinter den Annahmen zum Zeitpunkt der Planung zurückbleiben werden.
Erst am 4. Januar 2012 sei ihr mitgeteilt worden, dass die verfügbaren Ausgabemittel um fast ... gekürzt worden sind.
Festzuhalten bleibt, dass aktuell nicht einmal die Mindestteilnehmerplatzzahl von
Los 141 erreicht wird. Dass sich hieran nach dem 1. April 2012 etwas ändern wird,
erscheint im Hinblick auf das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am
Arbeitsmarkt als wenig wahrscheinlich.
Nach den Vergabeunterlagen haben die Auftragnehmer einen Anspruch auf Vergütung
jedenfalls in Höhe der Mindestteilnehmerplatzzahl. Wird die Mindestteilnehmerplatzzahl – wie hier – unterschritten, führt dies faktisch dazu, dass die Ag eine Vergütung
für nicht erbrachte Leistungen entrichten muss. Es ist nicht zumutbar, die Ag dazu
zu verpflichten, die Ausschreibung von Los 141 fortzusetzen, obwohl feststeht,
dass nicht nur bei dem streitgegenständlichen Auftrag, sondern auch bei den
bereits bestehenden Verträgen mit den Bg zu 1) bis 3) eine Auslastung der Verträge nicht erreicht wird. Das öffentliche Interesse, öffentliche Haushaltsmittel
sparsam zu verwenden, überwiegt in einem solchen Falle das Interesse der ASt,
die Ausschreibung von Los 141 fortzusetzen. Dafür spricht auch die Erwägung,
dass seit dem vorgesehenen Vertragsbeginn (5. September 2011) für die Teilnehmer
an ... bereits mehr als die Hälfte der 10-monatigen Regelförderdauer verstrichen ist.
Würde die Ag, der Entscheidung der Vergabekammer vom 25. Juli 2011 Folge leistend,
das Vergabeverfahren in den Stand vor der Versendung der Vergabeunterlagen zurückversetzen und den Bietern Gelegenheit zur erneuten Angebotsabgabe geben, würden
ggf. nur noch wenige Wochen oder Monate für die Ende Juni 2012 auslaufenden ...n
verbleiben.
148 VK Brandenburg, Beschluss vom 02.04.2012 –
VK 6/12 (Trockenbauarbeiten)
Die Überschreitung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel erst jenseits
einer Abweichung von 10% stellt einen schwerwiegenden Grund im Sinne von
§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A dar, der die Vergabestelle zur Aufhebung der Ausschreibung berechtigt.
Im Rahmen der Gesamtbaumaßnahme schrieb die Auftraggeberin im Supplement
zum Amtsblatt der Europäischen Union vom ... 2011 als Los 10 Trockenbauarbeiten/
Holztüren aus.
Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97
Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil die Aufhebung der Ausschreibung zu Unrecht erfolgt ist.
271
Die Antragstellerin macht in der Sache geltend, dass kein Grund für die Aufhebung
im Sinne der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, der hier nach § 6 Abs. 1 VgV
Anwendung findet, vorgelegen habe. Hierzu ist im Ausgangspunkt zu bemerken,
dass es einem öffentlichen Auftraggeber, hier der Auftraggeberin, frei steht, von
einem Beschaffungsvorhaben Abstand zu nehmen, auch wenn der Grund hierfür nicht unter eine Kategorie des § 17 Abs. 1 VOB/A fällt; die Tatsache, dass ein
Vergabeverfahren initiiert worden war, begründet keinen Kontrahierungszwang.
Vorliegend gibt die Auftraggeberin jedoch ihr Bauvorhaben nicht auf, sondern
verfolgt es vielmehr unverändert in einem anderen Vergabeverfahren, nämlich
dem Verhandlungsverfahren, weiter. In einem solchen Fall kommt es darauf an, ob
im Bezug auf das ursprüngliche Vergabeverfahren ein Aufhebungsgrund gegeben ist.
Wenn dies nicht der Fall sein sollte, gibt es keine Berechtigung, das öffentliche Ausschreibungsverfahren zu beenden und das Beschaffungsverfahren auf der Grundlage
der Ausnahmevorschrift des § 3 a Abs. 6 S. 1 VOB/A im Verhandlungsverfahren fortzuführen. So liegt der Fall hier. Weder die Annahmen, von denen die Auftraggeberin
ausgegangen ist, noch die Erkenntnisse, die die Vergabekammer aus dem vorliegenden Nachprüfungsverfahren gewonnen hat, lassen den Rückschluss zu oder belegen
gar, dass die öffentliche Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt hat.
Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A kann die Ausschreibung „aus anderen schwerwiegenden Gründen“ aufgehoben werden. Die gilt u. a., wenn die Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt hat. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist eine von
den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung
(OLG Celle, Beschluss vom 10. Juni 2010 – 13 Verg 18/09). Nicht im Ermessen liegt
jedoch die Entscheidung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 1
VOB/A vorliegen (Kulartz, VOB/A, Portz, § 17 Rn. 17 unter Verweis auf Dieck-Bogatzke
VergabeR 2008, 392, 393). Dabei ist stets zu beachten, dass die Aufhebung einer
Ausschreibung aufgrund des zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes immer
nur das letzte Mittel sein darf.
Für § 17 Abs. 1 Satz 3 VOB/A ist anerkannt, das es sich hierbei um eine eng
auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, an deren Anwendung ein strenger
Maßstab anzulegen ist (OLG Celle a.a.O.). Das Erfordernis strenger Anforderungen
folgt insbesondere daraus, weil sich Bewerber und Bieter im Vertrauen darauf auf
die Ausschreibung eingelassen haben, dass auch tatsächlich eine Vergabe erfolgt.
Sie sollen daher an ihren Anforderungen von Zeit und Kosten für die Erstellung ihrer
Angebote nicht enttäuscht werden (Kulartz a.a.O., Rn. 28). Nach der Rechtsprechung
des BGH bedarf es für das Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes stets einer
Interessenabwägung der maßgeblichen Verhältnisse im Einzelfall (BGH, Urteil vom 12.
Juni 2001 – X ZR 150/99). Ein durch § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A gedeckter Grund zur
Aufhebung wegen eines nicht wirtschaftlichen Ergebnisses oder wegen einer
Budgetüberschreitung ist nicht gegeben, wenn der Auftraggeber den Preis nur
subjektiv für überhöht hält, obwohl er den gegebenen Marktverhältnissen entspricht. Entsprechend hatte der BGH bereits vor In-Kraft-Treten des Vergaberechts-
272
änderungsgesetzes einen schwerwiegenden Grund zur Aufhebung der Ausschreibung
angenommen, wenn der Auftraggeber zwar vorab eine vertretbare Kostenschätzung
vorgenommen und auch insoweit Finanzmittel bereitgestellt hat, die aufgrund der
Ausschreibung abgegebenen Angebote aber deutlich über den geschätzten Kosten
liegen und das Vorhaben im Ergebnis wegen der erheblichen Finanzierungslücke ganz
aufgegeben werden musste (BGH, Urteil vom 8. August 1998 – X ZR 99/96).
Der Auftraggeberin ist im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass eine Kostenschätzung geeigneter Maßstab für die angenommene Überschreitung des kalkulierten
Finanzbedarfs sein kann. Der Rückgriff auf den Schätzpreis setzt indes voraus, dass
dieser zutreffend gebildet wurde. Angesichts des Umstandes, dass eine Kostenschätzung prognostischen Charakter hat, ist dem Auftraggeber zwar ein gewisser
Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Erforderlich ist aber, dass der Auftraggeber bei der
Kostenschätzung mit der gebotenen Sorgfalt vorgeht und alle bei der Ausarbeitung der
Schätzung erkennbaren Daten in einer den Umständen des geplanten Vergabeverfahrens angemessenen und methodisch vertretbaren Weise berücksichtigt (BGH, Urteil
vom 5. November 2002 – X ZR 232/00). Der Beurteilungsspielraum wird daher
überschritten, wenn der Auftraggeber bei der Preisschätzung Faktoren außer
Betracht lässt, deren Bedeutung für die zu erwartenden Preise sich geradezu
aufdrängt. Dies war im vorliegenden Verfahren der Fall, denn die Auftraggeberin hat
in ihrer Kostenberechnung vom ... 2011 unter den OZ 2.2.1.150, 2.2.2.120, 3.2.2.10,
3.2.2.100, 4.2.1.230 und 4.2.2.100 den jeweils angegebenen Einheitspreis hinsichtlich
der angegebenen Menge nicht als Gesamtpreis ausgewiesen und der Gesamtsumme
hinzugerechnet. Nach den Berechnungen der Vergabekammer sind die Kosten deshalb mit XX.XXX,XX EUR brutto zu niedrig kalkuliert. Rechnet man diesen Differenzbetrag der Kostenrechnung der Auftraggeberin hinzu, ergibt sich ein Gesamtbetrag
von X.XXX.XXX,XX EUR brutto.
149 VK Bund, Beschluss vom 04.07.2012 – VK 1-64/12
(Rahmenvertrag Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen)
bb) Da es einem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich frei steht, ein einmal
eingeleitetes Vergabeverfahren auch anders als durch einen Zuschlag zu
beenden, kann die Aufhebung einer Ausschreibung mangels Aufhebungsgründen i.S.d. § 17 VOL/A zwar rechtswidrig, aber dennoch wirksam sein,
wenn der öffentliche Auftraggeber hierfür zumindest einen die Aufhebung
der Sache nach rechtfertigenden Grund hat (vgl. nur Dieck-Bogatzke, VergabeR
2008, 392, 395 ff. m.z.N. aus der Rspr.). Solche Gründe liegen hier jedoch nicht vor:
Insbesondere besteht die Beschaffungsabsicht der Ag unstreitig fort und die hinreichende Finanzierung – der einzige Grund, auf den sich die ASt insoweit beruft – ist
angesichts der eingegangenen Angebote ebenfalls gesichert (vgl. bereits oben unter
2a) aa)).
273
Ein sachlicher Grund im o.g. Sinne, eine Ausschreibung aufzuheben, – auf den
sich die Ag hier allerdings nicht einmal berufen hat – könnte auch dann vorliegen, wenn das Vergabeverfahren fehlerbehaftet und deshalb ohnehin zurückzuversetzen wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 16. November 2010, VII-Verg
50/10, und vom 10. November 2010, VII-Verg 28/10). Dies wäre hier der Fall, wenn
die Ag bei ihrer „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“ (Vermerk vom 15. Mai 2012) neue
Zuschlagskriterien angewendet hätte, die sie den Bietern vorher nicht bekannt gegeben hat. Sollte diese Vorgehensweise wegen § 8 Abs. 1 S. 1 lit. b), § 16 Abs. 7 VOL/A
rechtswidrig sein, könnte die Ag die Ausschreibung aus diesem Grund zurückversetzen. Entgegen der Auffassung der Ag handelt es sich jedoch bei ihrer „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“ nicht um eine Prüfung auf der vierten Wertungsstufe anhand
von Zuschlagskriterien, sondern um die Prüfung, ob die Angebotspreise angemessen
sind i.S.d. § 16 Abs. 6 VOL/A (dritte Wertungsstufe, vgl. hierzu bereits oben unter
2a)aa)), so dass eine Rückversetzung der Ausschreibung wegen schwerwiegender
Rechtsfehler hier nicht in Betracht kommt.
150 OLG München, Beschluss vom 31.10.2012 –
Verg 19/12 (Kinderpalliativzentrum)
a) Dahinstehen kann allerdings, ob die Mitteilung über die Aufhebung der Ausschreibung in einer § 126a BGB entsprechenden Form stattgefunden hat. Die Aufhebungsmitteilung wäre auch bei einer dieser Vorschrift widersprechenden
Form nicht unwirksam, weil die Form keine konstitutive Wirkung hat (Herrmann aaO § 17 VOB/A Rn. 20).
b) Nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A kann die Ausschreibung aufgehoben werden, wenn
andere schwerwiegende Gründe bestehen. Wie die Formulierung „kann“ zeigt,
handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Die Ermessensentscheidung
kann von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüft werden (OLG
Karlsruhe vom 27.7.2009 – 15 Verg 3/09; OLG Celle vom 10.6.2010 – 13 Verg
18/09), nämlich daraufhin, ob die Vergabestelle überhaupt ihr Ermessen ausgeübt
hat (Ermessensnichtgebrauch) oder ob sie das vorgeschriebene Verfahren nicht
eingehalten, von einem nicht zutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, sachwidrige Erwägungen in die Wertung mit eingeflossen sind oder der Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt worden ist
(Ermessensfehlgebrauch). Da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt,
sind an die Prüfung, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, besonders
strenge Anforderungen zu stellen. Als schwerwiegender Grund ist von der
Rechtsprechung anerkannt worden, dass keines der abgegebenen Angebote
einen angemessenen Preis aufweist (OLG Frankfurt a. M. vom 28.6.2005 – 11
Verg 21/04). Eine unangemessen hohe Abweichung von der Kostenschätzung
wurde bei einer Abweichung von 23% (OLG Frankfurt a. M. aaO) bzw. von 16%
(OLG Karlsruhe aaO) angenommen.
274
c) Nach diesen Grundsätzen ist die Aufhebungsentscheidung nicht vergaberechtskonform zustande gekommen. Der Antragsgegner hat bei der Aufhebungsentscheidung sein Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt, weil er von einem
unzutreffenden bzw. nicht vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist.
Wie der Vergabevermerk zeigt, ist der Antragsgegner bei seiner Aufhebungsentscheidung davon ausgegangen, dass die in der Wertung verbliebenen Angebote
– und damit auch das Angebot der Antragstellerin – unangemessen hohe Preise
aufweisen. Grundlage dieser Einschätzung waren die Kostenberechnungen vom
6.10.2011 bzw. 16.5.2012, die aber die ausgeschriebenen Planungsleistungen
nicht enthielten. Der Antragsgegner hat daher für seine Preisbeurteilung einen
unzutreffenden Vergleichsmaßstab gewählt. Die Bewertung des Angebots der
Antragstellerin als preislich unangemessen hoch war daher fehlerhaft.
Der Antragsgegner ist auch nach wie vor nicht dazu in der Lage, einen fundierten
Vergleichsmaßstab zu benennen. Dem Senat ist jedenfalls bis zum jetzigen Zeitpunkt
nicht klar, in welcher Höhe Planungsleistungen zusätzlich zu den Bauausführungsleistungen ausgeschrieben sind. Die vorgelegten und die in der mündlichen Verhandlung
dargestellten Berechnungen sind widersprüchlich und enthalten vier verschiedene
Schätzungsmodelle sowie unterschiedliche Angaben dazu, inwieweit Planungsleistungen bereits erbracht sind, inwieweit Baunebenkosten diese Planungsleistungen
umfassen und wo sie möglicherweise eingerechnet sind, wobei der Senat nochmals
darauf hinweist, dass er eine Einberechnung einer gesondert ausgeschriebenen Leistung in andere Positionen für bedenklich hält. Dem Senat ist es jedoch verwehrt, sein
eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Vergabestelle zu setzen, zumal
wegen des nicht errechenbaren Vergleichsbetrages die Höhe der Abweichung des
angebotenen Preises von dem der Ausschreibung zugrunde gelegten und kalkulierten
Auftragswert nicht möglich ist.
151 BGH, Urteil vom 20.11.2012 –
X ZR 108/10 (Friedhofserweiterung)
1. Der Erklärungswert der vom öffentlichen Auftraggeber vorformulierten Vergabeunterlagen ist gemäß den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden,
auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter abstellenden Grundsätzen zu ermitteln.
2. Der gestellten Vergabebedingung einer „rechtsverbindlichen“ Unterzeichnung
des Angebots kommt lediglich der Erklärungsgehalt zu, dass der Unterzeichner
bei Angebotsabgabe über die erforderliche Vertretungsmacht verfügt haben
muss.
3. Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen „deutlicher“ Überschreitung
des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer
275
umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu
berücksichtigen ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das
Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen werden, die Aufhebung
andererseits aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen
erzielten Submissionsergebnisse sein darf (Weiterführung von BGH, Urteil vom
8. September 1998 – X ZR 48/97, BGHZ 139, 259 und Urteil vom 12. Juni 2001 –
X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293).
Wann ein vertretbar geschätzter Auftragswert so „deutlich“ überschritten ist,
dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung nach § 26 Nr. 1 Buchst. c
VOB/A aF/§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nF gerechtfertigt ist, lässt sich nicht durch
allgemeinverbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen. Vielmehr
ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine alle Umstände des
Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil
vom 12. Juni 2001 X ZR 150/99, VergabeR 2001, 293, 298). Dabei ist davon auszugehen, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich
überhöhten Preisbildung weit jenseits einer vertretbaren Schätzung der Auftragswerte zugewiesen werden darf, sondern sie in solchen Fällen zur sanktionsfreien
Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigt sein müssen, dass andererseits das
Institut der Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht zu einem für die Vergabestellen
latent verfügbaren Instrument zur Korrektur der in öffentlichen Ausschreibungen bzw.
offenen Verfahren erzielten Submissionsergebnisse geraten darf. Außerdem ist zu
berücksichtigen, dass § 26 Nr. 1 VOB/A aF (§ 17 Abs. 1 VOB/A nF) nach Sinn und
Zweck der Regelung eng auszulegen ist (BGH, Urteil vom 8. September 1998 X ZR
48/97, BGHZ 139, 259, 263) und dass auch mit angemessener Sorgfalt durchgeführte Schätzungen nur Prognoseentscheidungen sind, von denen die nachfolgenden
Ausschreibungsergebnisse erfahrungsgemäß mitunter nicht unerheblich abweichen.
Das Ausschreibungsergebnis muss deshalb in der Regel ganz beträchtlich über dem
Schätzungsergebnis liegen, um die Aufhebung zu rechtfertigen.
Dass der Auftrag nach der beschränkten Ausschreibung zu einer Auftragssumme
von 242.000 Euro vergeben werden konnte, ist für die Frage, ob das wertungsfähige
Submissionsergebnis der ersten Ausschreibung deutlich überteuert war, nur von
eingeschränktem Erkenntniswert. Denn dabei ist zu bedenken, dass das Submissionsergebnis der vorangegangenen öffentlichen Ausschreibung nach Maßgabe von
§ 22 VOB/A aF, § 14 VOB/A nF publik geworden ist und dass dies die Preisbildung im
zweiten Vergabeverfahren beeinflussen konnte. Nach den Mechanismen des Marktes
wird für einen Bieter, der das Ergebnis der ersten Ausschreibung kennt, die Annahme
naheliegen, diesen Preis unterbieten zu müssen, um eine realistische Chance auf den
Zuschlag zu haben, auch wenn das Angebot mit dem geringsten Preis (rd. 244.000
Euro) letztlich nicht gewertet werden durfte. Dass die Baumaßnahme zum Preis von
242.000 Euro durchgeführt wurde, rechtfertigt unter diesen Voraussetzungen nicht
die Annahme, dass dieser Preis der Marktpreis (vgl. OLG Karlsruhe, VergabeR 2010,
96, 100) war.
276
152 VK Bund, Beschluss vom 25.01.2013 –
VK 3-5/13 (Rahmenvertrag Arzneimittel)
Ungeachtet der Zulässigkeitsfrage ist der Nachprüfungsantrag auch unbegründet. Das
Vergabeverfahren durfte nach § 20 EG Abs. 1 Buchstabe c) VOL/A bzw. § 37 Abs. 1
Nr. 3 VSVgV aufgehoben werden, weil kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt werden
konnte.
Ob die Voraussetzungen des § 20 EG Abs. 1 lit. c) VOL/A (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 3
VSVgV) vorliegen, hängt nach Lage des Falles in erster Linie davon ab, ob die Differenz
zwischen den geschätzten Kosten einerseits und den Angebotspreisen andererseits
einen schwerwiegenden Grund zur Aufhebung darstellen.
a) Die Kostenschätzung der Vergabestelle muss zunächst vertretbar sein, d.h. die
gewählte Schätzungsmethode muss ein wirklichkeitsnahes Ergebnis ernsthaft
erwarten lassen (s. BGH, Urteil vom 20. November 2012, X ZR 108/10).
b) Die abgegebenen Angebote müssen für eine Aufhebung deutlich über der Kostenschätzung liegen. Die lässt sich nach der Rechtsprechung nicht durch allgemein
verbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen festlegen, vielmehr ist eine alle
Umstände des Einzelfalles einzubeziehende Interessenabwägung vorzunehmen
(s. BGH, Urteil vom 20. November 2012, X ZR 108/10).
Da die Aufhebungsregelung eine Ausnahmevorschrift ist, ist diese eng auszulegen.
Die Abweichung zwischen der Kostenprognose und den nachfolgenden Ausschreibungsergebnissen darf nicht unerheblich sein.
Die gegenüber der Ag angebotenen Preise lagen erheblich über der Kostenschätzung
der Ag. Allein das Angebot der ASt lag durchschnittlich 102% über den geschätzten
Kosten. Hinsichtlich einer angebotenen Versorgungsnummer überschritt das Angebot
der ASt den geschätzten Wert sogar um mehr als 200%.
Ein derartiger Preisanstieg scheint nicht durch die mit dem Festpreis auf den Auftragnehmer zukommenden zusätzlichen Risiken gerechtfertigt. Der ASt ist zwar grundsätzlich zuzugestehen, dass sich die zusätzlichen Festpreisrisiken auch im Angebotspreis
niederschlagen müssen. Allerdings kann es sich dabei im Wesentlichen nur um das
Risiko des Auftragnehmers hinsichtlich des tatsächlichen Instandsetzungsumfangs
handeln, da ein Gewinnzuschlag bereits im Selbstkostenerstattungspreis enthalten
war. Zudem hat die ASt selbst ausgeführt, dass die Effektivität beim Selbstkostenerstattungspreis keine Rolle gespielt hat. Dies lässt jedoch eher den Schluss zu, dass
ein wirtschaftlich agierendes Unternehmen ein Festpreisangebot vorlegen können
müsste, das unterhalb der bislang angefallenen tatsächlichen Kosten liegt, zumindest
aber im Durchschnitt nicht den doppelten Umfang der Selbstkostenerstattungspreise
aufweist.
277
153 OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 –
Verg 4/13 (Ortsumgehung B.)
a) Eine Ausschreibung kann rechtmäßig unter den Voraussetzungen der Ziffern 1 – 3
des § 17 EG VOB/A aufgehoben werden.
Ob die tatsächlichen Voraussetzungen der Ziffern 1 – 3 vorliegen, ist von den Nachprüfungsinstanzen uneingeschränkt überprüfbar, und zwar auch insoweit, als die Tatbestandsalternativen unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Da die Aufhebung einer
Ausschreibung den Ausnahmefall für die Beendigung einer Ausschreibung darstellt
und die Bieter auf die Durchführung und den ordnungsgemäßen Abschluss vertrauen
dürfen, ist die Vorschrift des § 17 EG VOB/A eng auszulegen (Herrmann in Ziekow/
Völlink Vergaberecht vor § 17 VOB/A Rn. 2 m.w.N.).
Auf der Rechtsfolgenseite der Vorschrift zeigt demgegenüber die Formulierung „kann“,
dass es sich bei der Frage, ob bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eine
Aufhebung der Ausschreibung erfolgen soll, um eine Ermessensentscheidung handelt. Diese kann von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüft werden
(OLG München vom 6.12.2012 – Verg 25/12 und vom 31.10.2012 – Verg 19/12; OLG
Celle vom 10.6.2010 – 13 Verg 18/09; OLG Karlsruhe vom 27.7.2009 – 15 Verg 3/09),
nämlich daraufhin, ob die Vergabestelle überhaupt ihr Ermessen ausgeübt (Ermessensnichtgebrauch) oder ob sie das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten, von
einem nicht zutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist,
sachwidrige Erwägungen in die Wertung mit eingeflossen sind oder der Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt worden ist (Ermessensfehlgebrauch).
b) Es liegt kein Grund zur Aufhebung der Ausschreibung nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 2
VOB/A vor.
Nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, wenn
die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen. Eine grundlegende
Änderung der Vergabeunterlagen wird dann angenommen, wenn eine ganz entscheidende Abänderung der bisherigen Absicht zur Leistungserbringung erforderlich wird
(OLG Köln vom 18.6.2010 – 19 U 98/09) oder wenn die ursprünglichen Leistungsanforderungen für Auftraggeber und Bieter nicht mehr zumutbar sind – etwa ähnlich
dem Wegfall der Geschäftsgrundlage – und die notwendigen Änderungen auch nicht
mit den Regelungen der VOB/B aufgefangen werden können, ohne dass dadurch eine
Wettbewerbsverzerrung eintritt (Herrmann in Ziekow/Völlink aaO § 17 VOB/A Rn. 2).
Eine grundlegende Änderung der Vergabeunterlagen kann hier nicht bejaht werden.
aa) Grundlage der Aufhebungsentscheidung waren die beiden Positionen 02.08.0090
und 02.10.0150, die unstreitig unzutreffend in den Mengenvordersätzen von dem
beratenden Ingenieurbüro berechnet worden sind. In Anbetracht des gesamten
Volumens des Auftrags in Höhe von ca. 1 Mio. Euro und den weiteren zahlreichen
278
anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses, die sich überwiegend weder
in der preislichen Größenordnung noch in den Mengenvordersätzen wesentlich
von diesen beiden Positionen unterscheiden, ist die vom Antragsgegner aufgrund
angenommener Mittelpreise errechnete Preisdifferenz von 44.000 Euro von
untergeordneter Bedeutung, die keinesfalls zu einer Aufhebung der Ausschreibung zwingt. Diese beiden Positionen stellen auch keine Schlüsselpositionen oder
ganz herausragende Positionen dar, von welchen andere Positionen entscheidend
abhängen. Vielmehr ist die Änderung von zwei Mengenvordersätzen von 35 t
auf 18 t bzw. von 25 t auf 17 t ohne größeren Aufwand zu bewerkstelligen. Es
ist hier zudem zu berücksichtigen, dass nach übereinstimmender Auffassung in
der mündlichen Verhandlung zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit gesagt
werden kann, wie viel t Stahl in diesen beiden Positionen bei der Bauausführung
tatsächlich anfallen werden.
bb) Die im Laufe des Nachprüfungsverfahrens vom Antragsgegner nachgeschobenen
weiteren Positionen können eine Aufhebung nach § 17 EG Abs.1 Nr. 2 VOB/A
ebenfalls nicht begründen.
Es ist schon fraglich, ob alle diejenigen Positionen, die vom Antragsgegner in der
Beschwerdebegründung angeführt worden sind, tatsächlich nicht den baulichen
Gegebenheiten entsprechen und mengenmäßig unzutreffend berechnet worden sind.
Zum einen waren sich die Verfahrensbeteiligten einig, dass der Mengenansatz stets
mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist, weil sich die faktisch einzubauende
Menge erst nach Erstellung der vom Auftragnehmer geschuldeten Statikberechnungen ergebe. So zeigen die Positionen 02.08.0020 (56m statt 60m), 02.08.0030
(120m statt 125m), 02.08.0040 (88m statt 95m) und 02.10.0080 (418 ³ statt 450 ³)
auch nur geringe Abweichungen auf. Es kommt hinzu, dass der Antragsgegner zur
Untermauerung seiner Auffassung, die Berechnung dieser Positionen sei nun richtig,
keine substanzielle Begründung bzw. Nachberechnung vorweisen konnte. Welche
Unwägbarkeiten hier bestehen, zeigt im Übrigen auch die Tatsache, dass der Antragsgegner im Gegensatz zur Antragstellerin die Mengenvordersätze bei den Positionen
02.10.0110 und 02.10.0120 nach wie vor für zutreffend hält. Neben den unter a) bereits
aufgeführten Positionen verbleiben als weitere gewichtige Positionen daher lediglich
die Positionen 02.12.0040 (240 ² statt 125 ²) und 02.15.0050 (27,60 m statt 40m).
Aber selbst wenn der Senat diese beiden Positionen noch zusätzlich berücksichtigt
– wobei die Position 02.12.0040 eine Mehrforderung statt einer Minderforderung enthält -, sind auch diese Fehler nicht so schwerwiegend, dass sie eine grundlegende
Änderung der Vergabeunterlagen erfordern. Auch hier gilt: es handelt sich weder
um Schlüsselpositionen noch ist eine Korrektur der Mengenvordersätze mit einem
unzumutbaren Aufwand verbunden.
c) Es liegt auch kein anderer schwerwiegender Grund im Sinne des § 17 EG Abs. 1
Nr. 3 VOB/A vor.
279
Da es sich bei dieser Alternative um einen Auffangtatbestand handelt, sind an die
Prüfung, ob ein schwerwiegender Grund vorliegt, besonders strenge Anforderungen
zu stellen. Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur dahingehend, dass der
Grund genauso gravierend sein muss wie die in Ziffer 1 und 2 genannten Gründe. Als
schwerwiegende Gründe hat die Rechtsprechung auch gravierende rechtliche Fehler
anerkannt. Die Entscheidung, ob in einem rechtlichen Fehler ein Aufhebungsgrund
gesehen werden kann, kann nur nach einer Interessenabwägung auf Grundlage der
Verhältnisse im Einzelfall getroffen werden. Ein Aufhebungsgrund ist zu bejahen, wenn
einerseits der Fehler von so großem Gewicht ist, dass ein Festhalten des öffentlichen
Auftraggebers an dem fehlerhaften Verhalten mit Gesetz und Recht schlechterdings
nicht zu vereinbaren wäre und andererseits von den an dem Ausschreibungsverfahren
teilnehmenden Unternehmen erwartet werden kann, dass sie auf die Bindung des
Ausschreibenden an Recht und Gesetz Rücksicht nehmen (BGH vom 12.6.2001 – X
ZR 150/99). Hierher zählen in erster Linie solche schweren rechtlichen Mängel, die
im weiteren Verfahren nicht mehr behoben werden können, wie z.B. eine unterlassene europaweite Ausschreibung (OLG Koblenz vom 10.4.2003 – 1 Verg 1/03). Ist
eine Heilung des Fehlers ohne besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit
möglich, scheidet ein Aufhebungsgrund regelmäßig aus: es ist das mildere Mittel der
Fehlerkorrektur zu wählen.
Unter Beachtung dieser Grundsätze vermag der Senat keinen schwerwiegenden
Grund zur Aufhebung der Ausschreibung zu sehen. Der Antragsgegner hat insoweit
vorgetragen, durch das Verhalten der Antragstellerin sei eine Wettbewerbsverzerrung
eingetreten, weiche eine Fortsetzung der Ausschreibung unmöglich mache. Dieser
Argumentation folgt der Senat nicht. Eine Korrektur der jetzt vom Antragsgegner als
unzutreffend angesehenen Mengenvordersätze ist durch die Übersendung entsprechend korrigierter Leistungsverzeichnisse an die bisherigen Bieter ohne weiteres
möglich. Eine Wettbewerbsverzerrung tritt nicht ein, da nach einer Korrektur alle bisherigen Bieter ihr Angebot neu kalkulieren können, und nicht nur die Antragstellerin.
Ihr vermeintliches Wissen um Fehler im LV wird dann allen anderen Bietern gleichfalls
bekannt. Dass auch der Antragsgegner letztlich nicht von einer ausschreibungshindernden Wettbewerbsverzerrung ausgeht, zeigt im Übrigen die Tatsache, dass er
eine Neuausschreibung mit geänderten Mengenvordersätzen geplant hat. An dieser
Neuausschreibung könnten sich ebenfalls die bisherigen Bieter beteiligen. Doch ist
der Umweg zu diesem Ergebnis über eine Aufhebung der Ausschreibung und Neuausschreibung nicht notwendig.
Ähnliches gilt für das weiter vom Antragsgegner vorgebrachte Argument, Ziel der
Aufhebung sei es auch gewesen, unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen. Ob die
Verhaltensweise der Antragstellerin überhaupt wettbewerbswidrig und unlauter war,
kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Das unlautere Verhalten eines Bieters
kann grundsätzlich nicht zu einer rechtmäßigen Aufhebung der Ausschreibung führen.
Vielmehr ist eine Entscheidung zu seinen Lasten zu treffen, wie etwa der Ausschluss
seines Angebots, nicht aber zu Lasten aller Bieter, die sich ihrerseits nicht wettbewerbswidrig verhalten haben.
280
d) Es kommt hinzu, dass die Fehler im LV vom Antragsgegner, welcher für das von
ihm beauftragte Ingenieurbüro gegenüber den Bietern einzustehen hat, verursacht worden sind. Es ist einhellige Ansicht in Literatur und Rechtsprechung, dass
es zum Merkmal einer rechtmäßigen Aufhebung zählt, dass der Aufhebungsgrund
nicht vom Auftraggeber verschuldet sein darf (OLG München vom 28.8.2012
-Verg 11/12; OLG Düsseldorf vom 16.2.2005 – VII Verg 72/04 und vom 16.11.2010
Verg 50/10).
Da es somit schon an einem rechtmäßigen Aufhebungsgrund fehlt, kam es auf die
Frage, ob das Ermessen korrekt ausgeübt worden ist, nicht mehr an.
e) Es liegt auch nicht aus sonstigen Gründen eine wirksame Aufhebung der Ausschreibung vor.
Es trifft zwar zu, dass wegen der Vertragsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers
auch eine rechtswidrige, also nicht durch einen Aufhebungsgrund gedeckte, oder eine
vom Auftraggeber verschuldete Aufhebung wirksam sein (vgl. hierzu OLG München
vom 28.8.2012 – Verg 11/12; BGH vom 20.11.2012 – X ZR 108/10) und der öffentliche
Auftraggeber sich auf die Leistung von Schadensersatz zurückziehen kann. Der Entscheidung des OLG München vom 28.8.2012 – und soweit aus dem veröffentlichten
Sachverhalt ersichtlich auch der Entscheidung des BGH vom 20.11.2012 – lag aber eine
Fallkonstellation zugrunde, in welcher die Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung
von den Verfahrensbeteiligten nicht angegriffen worden ist. Hier hat die Antragstellerin
aber die Aufhebungsentscheidung des Antragsgegners als vergaberechtswidrig gerügt
und deren Wirksamkeit in Frage gestellt. Zudem will der Antragsgegner nach wie vor
die Beschaffungsmaßnahme durchführen und weder vollständig noch zeitweise auf
die Baumaßnahme verzichten. Auf die Frage, ob eine wirksame Aufhebung (wenn
auch rechtswidrig oder selbst verschuldet) den Wegfall der Beschaffungsabsicht voraussetzt, kam es daher nicht an. Jedenfalls ist eine unwirksame Aufhebung nicht auf
die Fälle beschränkt, in welchen die Aufhebung nur zum Schein erfolgt oder nur dem
Zweck dient, einen Bieter zu diskriminieren. Dies würde den Primärrechtsschutz der
Bieter zu sehr einschränken.
281
VIII. VERTRAGSSCHLUSS/VERTRAGSAUSLEGUNG/NACHTRÄGE
154 BGH, Urteil vom 06.09.2012 –
VII ZR 193/10 (Asphaltmischgut)
1. Erteilt der Auftraggeber in einem öffentlichen Vergabeverfahren über Bauleistungen den Zuschlag auf das Angebot des Bieters unter Herausnahme einzelner
Leistungen, ohne dass dies in der Ausschreibung so vorgesehen ist, liegt darin
gemäß § 150 Abs. 2 BGB die Ablehnung des Angebots verbunden mit einem
neuen Angebot des Auftraggebers.
2. Enthält das neue Angebot wegen der Verzögerung des Vergabeverfahrens eine
neue Bauzeit und bringt der Auftraggeber eindeutig und klar zum Ausdruck, dass
er den Vertrag mit diesen Fristen zu dem angebotenen Preis bindend schließen
will, kann es nicht dahin ausgelegt werden, der Zuschlag sei auf eine Leistung
zur ausgeschriebenen Bauzeit erteilt worden (Fortführung von BGH, Urteile vom
22. Juli 2010 – VII ZR 213/08, BGHZ 186, 295 und VII ZR 129/09, BauR 2010, 1929
= NZBau 2010, 628 = ZfBR 2010, 810; Urteil vom 25. November 2010 – VII ZR
201/08, BauR 2011, 503 = NZBau 2011, 97 = ZfBR 2011, 235).
3. Ein solches modifiziertes Angebot des Auftraggebers kann regelmäßig nicht dahin
ausgelegt werden, dass stillschweigend das Angebot unterbreitet wird, die Vergütung wegen dem Auftragnehmer infolge der Bauzeitänderung etwa entstehender
Mehrkosten in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B anzupassen.
4. Nimmt der Bieter das modifizierte Angebot an, muss er die Leistung in der neuen
Bauzeit zu den vereinbarten Preisen erbringen.
Die Klägerin fordert als Auftragnehmerin von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Mehrvergütung wegen erhöhter Kosten für die Beschaffung von Asphaltmischgut und Bodenmaterial aufgrund einer sich aus einem verzögerten Vergabeverfahren
ergebenden Veränderung der Bauzeit sowie die Erstattung damit im Zusammenhang
stehender vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Die Klägerin unterbreitete der Beklagten nach öffentlicher Ausschreibung des Neubaus
einer Teilstrecke der B 101n unter dem 17. November 2004 ein Vertragsangebot mit
einer Angebotssumme von 7.113.491,35 Euro. Die Arbeiten sollten gemäß Ziffer 2 der
Besonderen Vertragsbedingungen frühestens 14 Werktage nach Zuschlagserteilung
282
begonnen werden und spätestens am 31. Mai 2006 beendet sein. Die ursprünglich
bis 28. Februar 2005 laufende Zuschlags- und Bindefrist wurde mehrfach einvernehmlich, zuletzt bis 15. Juni 2005, verlängert. An diesem Tag erteilte die Beklagte
„auf Basis des Angebots“ der Klägerin den Auftrag zu einer Auftragssumme von
6.524.718,61 Euro. Die geänderte Auftragssumme resultiert unter anderem daraus,
dass verschiedene Positionen der ausgeschrieben und angebotenen Leistungen nicht
zur Ausführung kommen und eine Position gesondert beauftragt werden sollte. Das
Auftragsschreiben hatte weiterhin folgenden Inhalt:
„Da sich der Beginn der Ausführung nunmehr um 3,5 Monate verschiebt, werden
unter Hinweis auf § 6 Nr. 2 und Nr. 4 VOB/B und in Abweichung von Ziffer 2.3 der dem
Angebot zugrundeliegenden Besonderen Vertragsbedingungen folgende Termine Vertragsbestandteil:
■
Gesamtfertigstellung der Baumaßnahme: 15.9.2006
■
…“.
b) Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass das neue Angebot
der Beklagten nicht nur hinsichtlich der Leistungen und der Preise von dem Angebot der Klägerin abwich, sondern auch hinsichtlich der Bauzeit. Danach wollte die
Beklagte die Bauzeit nicht etwa unverbindlich vorschlagen, sondern verbindlich
neu regeln.
aa) Der Senat hat sich bereits ausführlich damit befasst, wie der Zuschlag auf ein
Angebot auszulegen ist, der zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die ausgeschriebenen und dementsprechend angebotenen Bauzeiten nicht mehr einzuhalten
sind. Bei der Auslegung von Erklärungen im formalisierten Vergabeverfahren ist
zu berücksichtigen, dass diese regelmäßig so zu verstehen sind, dass sie im Einklang mit den vergaberechtlichen Bestimmungen stehen. Auch im Rahmen des
für den modifizierten Zuschlag geltenden § 150 Abs. 2 BGB sind die Grundsätze
von Treu und Glauben anzuwenden. Sie erfordern, dass der Empfänger eines Vertragsangebots, wenn er von dem Vertragswillen des Anbietenden abweichen will,
dies in der Annahmeerklärung klar und unzweideutig zum Ausdruck bringt. Erklärt
der Vertragspartner seinen vom Angebot abweichenden Vertragswillen nicht
hinreichend deutlich, so kommt der Vertrag zu den Bedingungen des Angebots
zustande (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 – VII ZR 11/08, BGHZ 181, 47 Rn. 35;
Urteil vom 22. Juli 2010 VII ZR 213/08, aaO Rn. 19). Auf dieser Grundlage hat der
Senat den Fall entschieden, dass der Zuschlag seinem Wortlaut nach unverändert
erteilt worden ist. Dann ist der Zuschlag so zu verstehen, dass er sich auf die ausgeschriebenen und angebotenen Fristen und Termine bezieht, selbst dann, wenn
sie wegen Zeitablaufs obsolet geworden sind (BGH, Urteil vom 11. Mai 2009 VII
ZR 11/08, aaO Rn. 37).
283
bb) Gleiches gilt für den Fall, dass in dem Zuschlagsschreiben zwar eine neue Bauzeit
angesprochen wird, dieses jedoch nicht eindeutig zum Ausdruck bringt, dass der
Vertrag nur zu veränderten zeitlichen Bedingungen geschlossen werden soll. Der
Senat hat hervorgehoben, dass der Auftraggeber sich im Zweifel vergabekonform
verhalten will und dies nur möglich ist, wenn er den Zuschlag auf ein unverändertes Angebot abgibt. Daran habe er im Regelfall auch ein erhebliches Interesse,
weil der Auftragnehmer sonst die Möglichkeit hätte, das nunmehr wegen der
Veränderung der Bauzeit vom Auftraggeber abgegebene neue Angebot abzulehnen oder eine preisliche Anpassung zu verlangen, was dann erneut als neues
Vertragsangebot zu werten wäre. Auf diese Weise würde das Ziel des Vergabeverfahrens verfehlt. Der Zuschlag auf das unveränderte Angebot mit den wegen
Zeitablaufs bereits obsolet gewordenen Fristen und Terminen sei die einzige
Möglichkeit, das Vergabeverfahren sicher mit einem Vertragsschluss zu beenden
(BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 VII ZR 213/08, aaO Rn. 20; Urteil vom 22. Juli 2010
– VII ZR 129/09, BauR 2010, 1929 Rn. 27 = NZBau 2010, 628 = ZfBR 2010, 810).
Der Senat hat auch darauf hingewiesen, dass an einem Zustand, der das Ergebnis
des Vergabeverfahrens offen halte, niemand interessiert sein könne und dies tunlichst vermieden werden müsse (BGH, Urteile vom 22. Juli 2010 – VII ZR 213/08
und VII ZR 129/09, jeweils aaO). Auch ein Bieter müsse im Zweifel nicht damit
rechnen, dass der Auftraggeber gerade dieses Ergebnis durch eine veränderte
Annahme des Angebots herbeiführen wolle, mit der er sich zudem vergabewidrig
verhalten würde. Der Senat hat deshalb die Erklärungen des Auftraggebers vergabekonform als Vorschlag für eine neue Bauzeit ausgelegt, über die die Parteien
im Rahmen des bestehenden Vertrages neu verhandeln müssten. Zugleich ist mit
der Bauzeit auch der vertragliche Vergütungsanspruch anzupassen (BGH, Urteil
vom 22. Juli 2010 VII ZR 213/08, aaO Rn. 25). Auf dieser Grundlage kann dem
Auftragnehmer in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B ein Anspruch
auf Mehrvergütung zustehen, wenn infolge der Bauzeitänderung Mehrkosten entstanden sind.
cc) Diese Erwägungen setzen voraus, dass die Erklärungen des Auftraggebers in
seinem Zuschlag Spielraum für eine derartige Auslegung lassen. Voraussetzung
dafür ist, dass der Auftraggeber nicht eindeutig und klar zum Ausdruck gebracht
hat, dass er den Zuschlag nur mit den veränderten Bedingungen in der Weise
erteilen will, dass diese Vertragsbeststandteil werden. Dementsprechend hat
der Senat in den genannten Fällen auch dargestellt, dass die jeweils abgegebenen Erklärungen in diesem Sinne nicht eindeutig sind. Das hat er beispielsweise
daraus abgeleitet, dass Erklärungen abgegeben wurden, wonach der Vertrag mit
dem Zuschlag verbindlich geschlossen sein sollte, was nicht möglich gewesen
wäre, wenn der Zuschlag ein verändertes Angebot dargestellt hätte (BGH, Urteil
vom 22. Juli 2010 – VII ZR 213/08, aaO Rn. 16). Ähnlich liegt es, wenn der Auftrag
zu den Bedingungen des Angebots „hiermit“ erteilt wird und der Vertrag als mit
dem Zuschlagsschreiben geschlossen bezeichnet wird (BGH, Urteil vom 22. Juli
284
2010 – VII ZR 129/09, aaO Rn. 21). Auch die Bitte um schriftliche Auftragsbestätigung legt das Vorliegen eines neuen Angebots nicht nahe, weil der Auftraggeber
nach den Vergabevorschriften dann nicht eine Auftragsbestätigung, sondern eine
unverzügliche Annahmeerklärung fordern soll, § 28 Nr. 2 Abs. 2 VOB/A (BGH,
Urteil vom 22. Juli 2010 – VII ZR 213/08, aaO Rn. 17; Urteil vom 22. Juli 2010 VII
ZR 129/09, aaO Rn. 23).
dd) Für die vom Senat entwickelte interessengerechte Auslegung nicht eindeutig als bindend zu verstehender Angaben zur neuen Bauzeit ist kein Raum,
wenn sich aus dem Zuschlag klar und eindeutig ergibt, dass die neue Bauzeit Bestandteil des Vertrages werden soll. Das ist der Fall, wenn über die
Bauzeit nicht mehr verhandelt werden soll, der Auftraggeber sie also einseitig vorgeben will und er dem Auftragnehmer nur die Möglichkeit lässt,
sie als Vertragsbestandteil anzunehmen oder das so geänderte Angebot
– eventuell verbunden mit einem eigenen Vorschlag – abzulehnen. Denn
dann fehlt es eben daran, dass die Erklärungen auch als unverbindliches
Verhandlungsangebot für den Fall zu verstehen sein können, dass der Vertrag zur ausgeschriebenen und angebotenen Bauzeit geschlossen wird. Ob
eine Erklärung im Zuschlagsschreiben in dieser Weise verstanden werden
muss, hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller Umstände durch Auslegung zu ermitteln. Dabei wird er sich auch von den bereits dargestellten
Erwägungen leiten lassen müssen, dass vom Auftraggeber im Zweifel ein
vergabekonformes und interessengerechtes Verhalten zu erwarten ist. Das
bedeutet jedoch nicht, dass bei einem klaren und eindeutigen Willen zu
einer veränderten Annahme das damit abgegebene neue Angebot nicht so
ausgelegt werden kann, dass sich der Auftraggeber möglicherweise nicht
vergabekonform verhält und damit unter Umständen auch gegen seine Interessen und die Interessen des Auftragnehmers die Angaben zur Bauzeit als
bindend verstanden wissen will. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass
der Auftraggeber sich stets vergabekonform verhält. Rechtlich ist es möglich,
dass der Auftraggeber unter Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot einen
Zuschlag unter veränderten Bedingungen erteilt und damit ein neues Angebot
im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB abgibt. Diese Erklärung ist, wie das Berufungsgericht richtig entschieden hat, nicht gemäß § 134 BGB nichtig. Ungeachtet der
Frage inwieweit ein solches neues Angebot in Widerspruch zu vergaberechtlichen
Bestimmungen steht, ist es jedenfalls dann – wenn wie hier – keiner der unterlegenen Bieter ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, wirksam (vgl. BGH, Urteil
vom 22. Februar 2005 – KZR 36/03, NZBau 2005, 530; OLG Jena, BauR 2008,
1452; OLG Celle, BauR 2006, 161; OLG Düsseldorf, NZBau 2004, 113; Weyand,
Vergaberecht, 6. Aktualisierung 2012, § 15 VOB/A, Rn. 84; Pünder/Schellenberg/
Nowak, Vergaberecht, 1. Aufl., § 114 GWB, Rn. 23, 24; Wagner/Jürschik, VergabeR 2012, S. 401, 406/407; Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404, 408; Poschmann,
Vertragsänderungen unter dem Blickwinkel des Vergaberechts, S. 309).
285
155 OLG Zweibrücken, Urteil vom 01.10.2012 –
7 U 252/11 (Schülerbeförderungsbeitrag)
f) Die Durchführung des Vertrages mit Fahrzeugen, die keine Schiebetüren
haben, ist auch nicht unzumutbar für die Beklagte.
Die Umrüstung oder Neuanschaffung von Fahrzeugen, um den Einsatz von Fahrzeugen mit vereinbarungsgemäßer Ausstattung der Türen zu gewähren, ist nicht unverhältnismäßig.
aa) Der Einwand der Unverhältnismäßigkeit eines Nachbesserungsverlangens im
Sinne des § 635 Abs. 3 BGB ist gerechtfertigt, wenn mit der Nachbesserung der
in Richtung auf die Beseitigung des Mangels erzielbare Erfolg oder Teilerfolg bei
Abwägung aller Umstände des Einzelfalles in keinem vernünftigen Verhältnis zur
Höhe des dafür erforderlichen Geldaufwandes steht (BGH NJW-RR 2002, 661;
NJW 1996, 3269; OLG Zweibrücken, NJOZ 2006, 2318), wenn also das Bestehen
auf ordnungsgemäßer Vertragserfüllung im Verhältnis zu dem dafür erforderlichen
Aufwand unter Abwägung aller Umstände einen Verstoß gegen Treu und Glauben
darstellt (BGH NZM 2009, 490; NJW-RR 2008, 971; NJW-RR 2006, 304; NJW
1973, 138). Zutreffend hat das Erstgericht darauf hingewiesen, dass dann, wenn
der Besteller objektiv ein berechtigtes Leistungsinteresse an der ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrages hat, ihm regelmäßig nicht wegen hoher Kosten die
Nachbesserung verweigert werden kann (BGH NJW-RR 2002, 661).
Insofern ist es zwar zutreffend, dass der Beklagten durch Umbaumaßnahmen beziehungsweise die Neuanschaffung von Fahrzeugen, ggfls. auch von Kraftomnibussen
samt zusätzlich erforderlichen Umbaumaßnahmen, erhebliche Kosten entstehen.
Diese Erfordernisse kommen jedoch nicht überraschend. Zudem wird die vertragliche Vorgabe nicht dadurch unzumutbar, dass die Beklagte möglicherweise anders
kalkuliert hat, da das Kalkulationsrisiko insofern allein bei der Beklagten liegt.
bb) Insbesondere aber besteht ein objektives Interesse der Klägerin an der Einhaltung der Vertragsbedingungen, da es sich um einen im Vergabeverfahren
zustande gekommenen Vertrag handelt. Denn als öffentlicher Auftraggeber
hat sie das Vergaberecht zu beachten.
(1) Insofern könnte eine Abweichung von dem Vertrag vergaberechtliche Konsequenzen haben. Denn zwar können auch öffentliche Aufträge bei entsprechendem
Parteiwillen grundsätzlich jederzeit geändert werden, da sie durch übereinstimmende Willenserklärungen von Auftraggeber und Bieter zustande kommen;
dieser Vertragsfreiheit setzt indes das Vergaberecht Grenzen (vgl. Greb/Stenzel,
NZBau 2012, 404).
286
Dabei ist insbesondere zu beachten, dass eine wesentliche Änderung eines dem Vergaberecht unterliegenden Vertrages vergaberechtlich als Neuvergabe zu werten ist
(EuGH – Pressetext – EuZW 2008, 465). Denn das Vergaberecht darf nicht dadurch
umgangen werden, dass ein bestehender Vertrag in wesentlichen Punkten geändert
wird, ohne diesen Vorgang dem Wettbewerb zu öffnen (Greb/Stenzel, NZBau 2012,
404).
Eine ohne erforderliche Neuvergabe vorgenommene Änderung stellt eine sogenannte
de-facto-Vergabe dar, die zur Rechtswidrigkeit des Gesamtvertrags (so z.B. Wagner/
Jürschik, VergabeR 2012, 401) oder nur der Änderungen und gegebenenfalls zur
Nichtigkeit des Vertrags führen kann. Insofern ist die Vergabestelle als Adressat des
Vergaberechts gehalten, derartige Rechtsverletzungen zu vermeiden.
(2) Der EuGH hat in seiner „Pressetext“-Entscheidung als Kriterium zur Abgrenzung
ausgeführt, dass eine wesentliche Vertragsänderung vorliegt, wenn der Vertrag
durch die (nachträglichen) Änderungen der Bestimmungen wesentlich andere
Merkmale aufweist als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrages erkennen lässt (EuGH EuZW 2008, 465, 467 Rn. 34). Das ist dem EuGH zufolge (EuZW
2008, 465, 467 Rn. 35-37) insbesondere dann der Fall, wenn
■
die Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrags in einer im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehenen Weise zu Gunsten des Auftragnehmers ändert,
■
durch die Änderung Bedingungen eingeführt werden, die die Zulassung anderer
als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des
ursprünglich angenommenen Angebotes erlaubt hätten, wenn sie Gegenstand
des Vergabeverfahrens gewesen wären, oder
■
wenn die Änderung den Auftrag in großem Umfang auf bisher nicht vorgesehene
Leistungen erweitert.
Aus vergaberechtlicher Sicht ist mithin die Auswirkung der Änderung auf den Wettbewerb maßgebend (Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404, 405).
Damit setzt eine rechtswidrige de-facto-Vergabe entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unbedingt voraus, dass die Änderung an den essentialia negotii vorgenommen wird.
Da die Frage der Ausstattung der einzusetzenden Fahrzeuge mit Schiebetüren
offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Kosten für Anschaffung, Umbau und
Unterhalt der entsprechenden Fahrzeuge hat, liegt jedenfalls nicht fern, dass dieser
Aspekt Auswirkungen auf die Kalkulation und damit die Chancen der Bieter im Vergabeverfahren hat.
287
(3) In Anbetracht dessen, dass über die genaue Abgrenzung zwischen ausschreibungsfreien und ausschreibungspflichtigen Vertragsmodifikationen
erhebliche Unsicherheit besteht, zumal jeweils eine Einzelfallbetrachtung
erforderlich ist (vgl. EuGH a.a.O.; Krohn, NZBau 2008, 619; Greb/Stenzel,
NZBau 2012, 404; Wagner/Jürschik, VergabeR 2012, 401), besteht vorliegend
ersichtlich ein objektives Interesse der Klägerin, möglicherweise rechtswidrige Vertragsänderungen durch Änderung der Anforderungen an die zu
verwendenden Türen zu vermeiden, zumal es für eine Vertragsänderung
hinsichtlich der Verwendung von Schiebetüren schon kein Anpassungsbedürfnis gibt, da sich nicht etwa die Rahmenbedingungen oder der Stand der
technischen Entwicklung geändert haben.
(4) Dabei ist bereits das Risiko für die Klägerin als Vergabestelle, durch eine solche
Änderung gegen das Vergaberecht zu verstoßen und sich zudem ggfls. schadensersatzpflichtig gegenüber Mitbewerbern zu machen, unzumutbar und begründet
ein nachvollziehbares Interesse an der Beibehaltung der Vertragsklausel.
156 BGH, Urteil vom 14.03.2013 –
VII ZR 116/12 (Berufsausbildungszentrum)
1. Steht die nach § 2 Nr. 3 oder Nr. 5 VOB/B zu bestimmende Vergütung für Mehrmengen oder geänderte Leistungen in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung, kann die dieser Preisbildung zugrunde liegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sein.)
2. Beträgt die nach § 2 Nr. 3 oder Nr. 5 VOB/B zu bestimmende Vergütung das
22-fache des üblichen Preises, kann ein auffälliges Missverhältnis vorliegen. Ein
auffälliges Missverhältnis ist nur dann wucherähnlich, wenn der aufgrund dieses
auffälligen Missverhältnisses über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil
sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer
Weise erheblich ist, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen
werden kann. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine Vermutung für ein sittlich
verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers.)
3. Hat der Auftragnehmer diese Vermutung durch den Nachweis entkräftet, ihm sei
bei der Preisbildung zu seinen Gunsten ein Berechnungsfehler unterlaufen, so
verstößt es gegen Treu und Glauben und stellt eine unzulässige Rechtsausübung
dar, wenn er den hierauf beruhenden, in einem auffälligen, wucherähnlichen
Missverhältnis zur Bauleistung stehenden Preis für Mehrmengen oder geänderte
Leistungen verlangt.)
4. Vorbehaltlich anderer Anhaltspunkte zum mutmaßlichen Parteiwillen ist in diesen
Fällen entsprechend § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung geschuldet.
288
Die Revision der Klägerin hat zu einem geringen Teil Erfolg.
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht der Klägerin für die im Vergleich
zur Ausschreibung entstandenen Mehrmengen der Position 200 nur den üblichen
Einheitspreis von 25,50 Euro zugesprochen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die einer Preisbildung
zugrunde liegende Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn der
nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 oder § 2 Nr. 5 VOB/B neu zu vereinbarende Einheitspreis
für Mehrmengen in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung steht. Hinzutreten müssen subjektive Umstände, wie zum Beispiel eine
verwerfliche Gesinnung des Begünstigten. Für ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers kann eine Vermutung sprechen (BGH, Urteil vom 18.
Dezember 2008 – VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213).
Der Bundesgerichtshof hat bereits angenommen, eine entweder auf § 2 Nr. 3 oder
§ 2 Nr. 5 VOB/B gegründete Vereinbarung der Parteien, für Mehrmengen eine (im
Vergleich zum üblichen und angemessenen Preis) um mehr als das Achthundertfache
und damit außerordentlich überhöhte Vergütung festzulegen, begründe die Vermutung, ihr liege ein sittlich verwerfliches Gewinnstreben des Auftragnehmers zugrunde.
Diese Vermutung gründet sich auf die Besonderheiten des Bauvertrages. Die Vereinbarung eines außerordentlich überhöhten Preises für Mehrmengen fußt auf
der Vereinbarung eines außerordentlich überhöhten Einheitspreises in der dem
Preisanpassungsverlangen zugrunde liegenden Position des Leistungsverzeichnisses. Regelmäßig beruht die Vereinbarung dieses Einheitspreises auf einem
entsprechenden Angebot des Auftragnehmers, dem das Leistungsverzeichnis
zum Zwecke der Bepreisung übergeben worden ist. In dem Fall, dass der Auftragnehmer in einer Position des Leistungsverzeichnisses einen außerordentlich
überhöhten Einheitspreis angegeben hat, besteht die widerlegbare Vermutung,
dass er in dieser Position auf eine Mengenmehrung hofft und durch Preisfortschreibung auch für diese Mengenmehrung einen außerordentlich überhöhten
Preis erzielen will. Die vertragsuntypische Spekulation des Auftragnehmers
durch Einsatz deutlich überhöhter Einheitspreise ist regelmäßig mit der Erwartung verbunden, einen außerordentlichen Gewinn zu erzielen, der andererseits
zu nicht eingeplanten Mehrkosten bei dem Auftraggeber führt, denen kein entsprechender Gegenwert gegenübersteht. Regelmäßig beruht die Bildung überhöhter Preise auch auf einem nicht offengelegten Informationsvorsprung des
Auftragnehmers, der Anlass zu der Spekulation gibt, sei es die auf Tatsachen
oder Erfahrungssätze gegründete Erwartung oder sogar die Gewissheit von
Mengenmehrungen. Dieses Verhalten eines späteren Auftragnehmers widerspricht eklatant dem gesetzlichen Leitbild eines Vertrages, das – nicht anders
als die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – einen fairen, von Treu
und Glauben geprägten Leistungsaustausch im Blick hat, vgl. § 157 BGB. Es
begründet die Vermutung, der Auftraggeber, der über entsprechende Informationen
289
möglicherweise nicht verfügt oder die mit der Preisgestaltung verfolgte Absicht im
Einzelfall nicht erkennt, solle aus sittlich verwerflichem Gewinnstreben übervorteilt
werden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – VII ZR 201/06, aaO Rn. 15).
b) aa) Nach der Feststellung des Berufungsgerichts übersteigt der neu zu vereinbarende Preis den üblichen Werklohn um mehr als das 12-fache. Aufgrund der
eingetretenen Mengenmehrung führe das zu einer um ca. 92.000 Euro netto überhöhten Vergütung. Das wird von den Parteien nicht in Frage gestellt.
Diese Überschreitung begründet objektiv auch unter Berücksichtigung von gewissen
Schwankungen zwischen einzelnen Einheitspreisen im Vergleich zu üblichen Preisen,
die sich bei den ursprünglich ausgeschriebenen Mengen häufig ausgleichen werden,
ein auffälliges Missverhältnis zur Bauleistung.
Dieses ist auch wucherähnlich. Für diese Feststellung bedarf es allerdings einer
zusätzlichen Kontrolle, ob der aufgrund dieses auffälligen Missverhältnisses
über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut gesehen als
auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich ist, dass
dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Denn
obwohl die einzelne Preisermittlungsregelung für sich genommen an dem Maßstab
der Sittenwidrigkeit zu messen ist, kann von einer wucherähnlichen Auswirkung nur
gesprochen werden, wenn der Werklohn insgesamt in nennenswerter Weise beeinflusst wird, die zugleich auch die Vermutung sittlich verwerflichen Gewinnstrebens
trägt. Dabei kommt in Betracht, dass je größer der absolute Betrag ist, desto kleiner die
relative Überschreitung sein kann, bis zu der die Auswirkungen noch hingenommen
werden können (BGH, Urteil vom 07.03.2013 – VII ZR 68/10, zur Veröffentlichung in
BGHZ bestimmt). Hier beträgt die absolute Überschreitung des Preises ca. 92.000
Euro netto, das sind nahezu 22% des ursprünglichen Angebotspreises von insgesamt 426.092,84 Euro für den gesamten Auftrag. Beide Werte sind jedenfalls
ausreichend erheblich, ohne dass feste Grenzwerte bestimmt werden müssten.
bb) Dieses Missverhältnis begründet die Vermutung eines sittlich verwerflichen
Gewinnstrebens der Klägerin. Es spielt keine Rolle, ob Abweichungen in diesem
Ausmaß bei Kalkulationen geringfügiger Leistungspositionen nicht vollkommen
ungewöhnlich sind, was die Revision geltend macht. Solange es hierfür keine
Erklärung gibt, die die genannte Vermutung widerlegt, bedeutet das allenfalls, dass
sittenwidrige Spekulationen auf Mengenmehrungen zu wucherähnlichen Preisen
nicht nur in ganz seltenen Ausnahmefällen vorkommen. Ob die Rechtsprechung
bei Grundstücksgeschäften und im Miet- und Pachtrecht, nach der bereits ein
Missverhältnis mit einer doppelt so hohen Gegenleistung im Vergleich zum Wert
der Leistung den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zulässt, auf die hier in
Rede stehenden Fälle – wie die Revision geltend macht – nicht übertragen werden
kann, muss an dieser Stelle nicht entschieden werden. Das hier vorliegende oben
beschriebene auffällige, wucherähnliche Missverhältnis ist jedenfalls damit nicht
vergleichbar und ausreichend, die Vermutungswirkung zu begründen.
290
cc) Das Berufungsgericht hat die Vermutung zu Recht als nicht widerlegt angesehen.
Es musste der unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung der Klägerin, die Position 200 sei ungenau beschrieben worden und sie habe mit ihrer Kalkulation nur
eventuellen Unwägbarkeiten Rechnung tragen wollen („Angstzuschlag“), nicht
nachgehen. Angesichts der hier vorliegenden Höhe der Überschreitung des
üblichen Preises kann diese nicht plausibel allein mit einem allgemeinen, nicht
näher erläuterten „Angstzuschlag“ erklärt werden, zumal die Kalkulation im Übrigen
von der Klägerin ebenfalls nicht näher dargelegt worden ist.
dd) An die Stelle der nichtigen Vereinbarung zur Vergütung tritt die Vereinbarung, die Leistungen nach den üblichen Einheitspreisen zu vergüten (vgl.
BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – VII ZR 201/06, aaO Rn. 29 ff.).
2. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Position
200 könne auch nicht für neun Stück mit dem vereinbarten Einheitspreis berechnet werden. Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der
Vermutungswirkung für das sittlich verwerfliche Gewinnstreben bezieht sich nur
auf Vereinbarungen zur Bildung eines neuen Einheitspreises für Mehrmengen,
geänderte Leistungen oder zusätzliche Leistungen. Die Prüfung der Sittenwidrigkeit kann sich zwar grundsätzlich auch auf die Vereinbarung einzelner Einheitspreise beziehen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – VII ZR 201/06, aaO Rn. 9).
Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts muss
allerdings der Zusammenhang mit dem gesamten Rechtsgeschäft gewürdigt werden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – VII ZR 201/06, aaO Rn. 14). Soweit
sich die vereinbarten Einheitspreise auf die im Vertrag geschätzten Mengen
beziehen, kommt es bei der Prüfung eines objektiv auffälligen Missverhältnisses
nur auf die Endsumme des Vertrages an (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 1976 – VII ZR 327/74, BauR 1977, 52). Denn für den Auftraggeber ist diese
das entscheidende Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der von ihm
versprochenen Vergütung für die Werkleistung in dem geschätzten Umfang. Die
Höhe der einzelnen Einheitspreise spielt daneben keine selbständige Rolle mehr.
Darin liegt der entscheidende Unterschied zu der Preisbildungsvereinbarung für
Leistungen, die in den Positionen und/oder Mengen des Einheitspreisvertrages
noch gar nicht vorgesehen sind.
3. Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht im Rahmen der Leistungsposition 130 nur 159 T-Verbindungen für vergütungspflichtig gehalten hat.
Das Berufungsgericht hat gemeint, dass die Beklagte angesichts der extremen Verteuerung der gesamten Baumaßnahme durch die T-Verbindungen, die auch nicht
annähernd den damit verbundenen Mehrwert widerspiegelte, in Kenntnis dieser Kostenproblematik teilweise von der Maßnahme Abstand genommen hätte. Denn nach
dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien seien im Bereich der Bäder – nur
dort habe es die Brandschutzproblematik, welche Anlass für die Umplanung war,
291
gegeben – vereinbarungsgemäß nur 159 T-Anschlüsse ausgeführt worden. Der mit
den weiteren T-Verbindungen in den Trennwänden zwischen den Zimmern verbundene Vorteil sei allenfalls gering gewesen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts
hätte die Klägerin die Beklagte auf diese Verteuerung hinweisen müssen.
Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Berufungsgericht ist zugleich mit Recht (vgl. unter 4.) davon ausgegangen, dass
die Mehrmengen lediglich mit dem üblichen Preis von 41,81 Euro pro Stück zu vergüten seien. Es hat nicht festgestellt, dass die Beklagte in Kenntnis dieses geschuldeten
Preises nicht bereit gewesen wäre, sämtliche 261 Stück T-Verbindungen ausführen zu
lassen. Vielmehr hat es ausdrücklich auf den überhöhten Preis und die hieraus resultierende große Gesamtsumme abgestellt. Diese schuldete die Beklagte jedoch auch bei
Ausführung der 261 Anschlüsse nicht. Es kann offen bleiben, ob auch die Annahme
einer Hinweispflicht grundsätzlich rechtsfehlerhaft ist. Denn jedenfalls beruht auch
diese Annahme auf der fehlerhaften Prämisse, es komme zu einer extremen Verteuerung der gesamten Baumaßnahme, auf die die Klägerin hätte hinweisen müssen.
Damit scheidet ein Schadensersatzanspruch der Beklagten aus, der dahin geht, von
einer Vergütungspflicht für die 159 Stück übersteigende Menge der T-Verbindungen
befreit zu werden.
4. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Geltendmachung einer Vergütung für alle ausgeführten T-Verbindungen auf der Basis
des vereinbarten Einheitspreises der Position 130 gegen Treu und Glauben (§ 242
BGB) verstieße und eine unzulässige Rechtsausübung darstelle.
a) Das Berufungsgericht hat es für möglich gehalten, dass die Klägerin nicht schon
bei der Erstellung ihres Angebots in sittenwidriger Weise auf eine Mengenmehrung in dieser Position spekuliert hatte. Vielmehr könne ihr Vorbringen zutreffen,
der überhöhte Preis beruhe auf einer einfachen Fehleingabe in Form einer verrutschten Dezimalstelle im Rahmen einer Tabellenkalkulation. Von Letzterem ist
daher auch in der Revisionsinstanz zu Gunsten der Klägerin auszugehen.
b) Der Senat muss nicht entscheiden, ob die Berechnung einer Vergütung gemäß
§ 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B oder gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B so erfolgen muss, wie es
die Klägerin tut und es das Berufungsgericht grundsätzlich für richtig hält, mit
der Folge, dass der Einheitspreis in der dort vorgenommen Weise zur Grundlage
des neuen Preises gemacht wird. Denn einen solchen Preis kann die Klägerin
jedenfalls nicht verlangen.
c) Die Regelungen in § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B ebenso wie in § 2 Nr. 5 VOB/B (und
in § 2 Nr. 6 Abs. 2 VOB/B) gehen davon aus, dass die Parteien in den dort näher
beschriebenen Fällen einen (neuen) Preis für die betroffenen Leistungen verein-
292
baren. Kommt eine derartige Vereinbarung nicht zustande, kann der auf Zahlung
gerichtete Anspruch im Wege der Klage geltend gemacht werden (BGH, Urteil
vom 21. März 1968 – VII ZR 84/67, BGHZ 50, 25, 30). Der Anspruch ergibt sich
aus den Preisermittlungsregelungen der VOB/B. Er entsteht in der sich daraus
ergebenden Höhe mit der Mengenmehrung oder der Ausübung des einseitigen
Leistungsbestimmungsrechts nach § 1 Nr. 3 VOB/B (vgl. BGH, Urteil vom 18.
Dezember 2008 – VII ZR 201/06, BGHZ 179, 213 Rn. 8; Urteil vom 27. November
2003 – VII ZR 346/01, BauR 2004, 495 = NZBau 2004, 207 = ZfBR 2004, 254).
aa) Soweit die vereinbarten Preisermittlungsregelungen vorsehen, dass ein
außergewöhnlich hoher Preis auch für Mehrmengen oder geänderte Leistungen gilt, ist die Preisvereinbarung nichtig, wenn die neu zu bestimmende
Vergütung in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung steht und der Vereinbarung dieses Preises ein sittlich verwerfliches
Gewinnstreben des Auftragnehmers zugrunde liegt. Ein auffälliges Missverhältnis ist dann wucherähnlich, wenn der aufgrund dieses auffälligen Missverhältnisses über das übliche Maß hinausgehende Preisanteil sowohl absolut gesehen
als auch im Vergleich zur Gesamtauftragssumme in einer Weise erheblich ist,
dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann. Unter
diesen Voraussetzungen besteht eine Vermutung für ein sittlich verwerfliches
Gewinnstreben des Auftragnehmers (BGH, Urteile vom 18. Dezember 2008 VII
ZR 201/06, BGHZ 179, 213; vom 7. März 2013 – VII ZR 68/10, zur Veröffentlichung
in BGHZ bestimmt; vgl. oben unter 1.).
Hat der Auftragnehmer diese Vermutung durch den Nachweis entkräftet, ihm
sei bei der Preisbildung zu seinen Gunsten ein Berechnungsfehler unterlaufen,
so verstößt es gegen Treu und Glauben, § 242 BGB, wenn er den hierauf beruhenden, in einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis zur Bauleistung
stehenden Preis für Mehrmengen oder geänderte Leistungen verlangt. Denn
mit diesem Verlangen würde er sich faktisch in Widerspruch zu seiner Behauptung setzen, er habe nicht vorgehabt, einen Einheitspreis zu bilden, der ihm
einen unangemessenen Gewinn verschafft, und es entspreche deshalb nicht
seinem Willen, eine derartige Vergütung zu erhalten. Der Auftragnehmer würde
in diesem Fall seinen Berechnungsfehler, der sein sittlich verwerfliches Gewinnstreben ausschließt, in der Weise ausnutzen, dass er gleichwohl den unangemessenen,
wucherähnlichen Preis durchsetzt. Das wäre die Ausnutzung einer Rechtsposition, die
mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist.
Dem kann die Revision nicht entgegenhalten, die Kalkulation sei grundsätzlich unerheblich, der Auftragnehmer sei seinerseits nicht berechtigt, einen Kalkulationsirrtum
zu seinen Lasten zu berichtigen. Die Angaben zur Kalkulation sind erheblich, wenn ein
Einheitspreis gebildet worden ist, der im Falle von Mengenmehrungen oder geänderten Leistungen zu einem auffälligen, wucherähnlichen Missverhältnis von Leistung
und Gegenleistung führt. Der Auftragnehmer ist regelmäßig nur in der Lage, die sittlich
verwerfliche Gesinnung bei der Preisbildung zu widerlegen, indem er den hohen Preis
293
nachvollziehbar so erläutert, dass eine sittlich verwerfliche Gesinnung ausscheidet
(vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2010 – VII ZR 160/09, NZBau 2010, 367). Insoweit
muss er in aller Regel auf die Grundlagen der Kalkulation zurückgreifen. Muss er auf
diese Weise offenbaren, dass dem hohen Preis ein Rechenfehler zugrunde liegt, der
ihm in gleicher Weise einen unangemessenen Gewinn verschaffen würde wie bei
einer von vornherein spekulativen Kalkulation, so ist es nicht gerechtfertigt, ihm die
Vorteile dieser Kalkulation zu belassen.
bb) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler ein auffälliges, wucherähnliches
Missverhältnis des Preises für die Mehrmengen im Vergleich zu den hiermit
vergüteten Leistungen angenommen. Dieser Preis übersteigt den üblichen Preis
um das ca. 22-fache. Der aufgrund dieses auffälligen Missverhältnisses über das
übliche Maß hinausgehende Preisanteil in Höhe von ca. 300.000 Euro ist sowohl
absolut gesehen als auch gemessen an dem Auftragswert von 426.092,84 Euro
in einer Weise erheblich, dass dies von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden kann.
d) Fehlt es damit an einem durchsetzbaren Anspruch auf Vergütung für die in Rede
stehenden Leistungen auf der Grundlage der Regelungen der VOB/B, enthält der
Vertrag für diese atypischen Fälle eine unbewusste Lücke. Dass die Parteien die
Leistungsposition bepreisen wollten, steht allerdings fest.
Mangels geeigneter Anknüpfungspunkte an die Vertragspreise und mangels sonstiger
Umstände kann aus dem Vertrag keine neue Vereinbarung zur Höhe in ergänzender
Vertragsauslegung gefunden werden. Es bietet sich deshalb eine entsprechende
Anwendung des § 632 Abs. 2 BGB an, wonach die übliche Vergütung als vereinbart
anzusehen ist, wenn die Höhe der Vergütung nicht bestimmt ist (vgl. auch BGH, Urteil
vom 18. Dezember 2008 – VII ZR 201/06, aaO Rn. 32). Dies kommt dem mutmaßlichen Parteiwillen am nächsten.
157 BGH, Urteil vom 21.03.2013 – VII ZR 122/11 (Aushubmaterial)
Der öffentliche Auftraggeber hat in der Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung auszuhebenden und zu entfernenden Bodens nach den Erfordernissen des
Einzelfalls anzugeben. Sind erforderliche Angaben zu Bodenkontaminationen nicht
vorhanden, kann der Bieter daraus den Schluss ziehen, dass ein schadstofffreier Boden
auszuheben und zu entfernen ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 –
VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172).
I.
Das Berufungsgericht führt aus, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Mehrvergütung
der im Zusammenhang mit den behaupteten Kontaminationen entstandenen Kosten
nicht zu.
294
Der Klägerin sei gemäß den maßgeblichen Vertragsunterlagen und sonstigen Umständen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein außergewöhnliches Wagnis aufgebürdet worden. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. K. habe zwar bei seiner Anhörung
im Termin vom 23. Juni 2010 zunächst ausgeführt, dass ein Bieter mangels Feststellungen in der Baugrunduntersuchung zum Salzgehalt der Asphaltdeckschicht davon
habe ausgehen dürfen, dass dieser Parameter auch ansonsten keine Rolle spiele. Auf
Vorhalt der Einwände der Beklagten habe der Sachverständige sodann in seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2011 allerdings klargestellt, dass sich mangels einer Untersuchung der Asphaltdeckschicht auf eine Chloridbelastung für einen verständigen Bieter gerade nicht der Schluss habe aufdrängen dürfen, eine solche Belastung komme
in den darunter befindlichen, hier relevanten Bodenschichten überhaupt nicht vor. In
seiner weiteren Anhörung am 9. März 2011 habe der Sachverständige schließlich ausgeführt, dass eine Untersuchung der Asphaltdecke auf Chloride ohnehin üblicherweise
nicht stattfinde, so dass sich aus dem vorliegenden Befund (keine Hinweise auf eine
Chloridbelastung dieser Schicht) für die als Fachunternehmen ausreichend verständige
Klägerin keinesfalls der Schluss habe aufdrängen dürfen, die darunter liegende Schicht
sei auf jeden Fall ohne Einschränkungen zu verwenden.
Dies gelte hier umso mehr, als der fachkundigen Klägerin durchaus hätte bekannt
sein können, dass der betreffende Streckenabschnitt angesichts seiner örtlichen Lage
winterdienstlicher Behandlung ausgesetzt gewesen sein könnte, möge hieraus auch
– zu Gunsten der Klägerin unterstellt – eine Salzbelastung nicht zwingend resultieren. Hinzu komme, dass nach den weiteren Erörterungen des Sachverständigen eine
Salzbelastung in dieser Schicht ohnehin selten vorkomme, mithin eine diesbezügliche
Untersuchung dieser Schicht auf eine solch seltene Belastung auch nicht naheliege.
Umso weniger habe Anlass für einen durchschnittlichen Bieter bestanden, allein aus
dem Fehlen weiterer Angaben zu einer vorhandenen Chloridbelastung der Deckschicht
sicher zu schließen, dass eine solche auch in den darunter liegenden Schichten nicht
auftreten würde.
Zu keinem anderen Ergebnis führe auch der von der Klägerin angeführte Umstand,
dass in vergleichbaren Fällen bei entsprechenden Anhaltspunkten stets auf eine Kontamination in den Ausschreibungsunterlagen hingewiesen worden sei. Hieraus ergebe
sich weder ausdrücklich noch konkludent eine Übernahme des Risikos etwaiger Kontaminationen durch den Bauherrn.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. In der Revision ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin behaupteten Kontaminationen des Aushubmaterials vorliegen.
2. Die Auslegung, welche Leistung von der Vergütungsabrede in einem Bauvertrag
erfasst wird, obliegt dem Tatrichter. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet
295
nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte
Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen
oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht.
a) Ein Bieter darf die Leistungsbeschreibung einer öffentlichen Ausschreibung
nach der VOB/A im Zweifelsfall so verstehen, dass der Auftraggeber den
Anforderungen der VOB/A an die Ausschreibung entsprechen will (vgl. BGH,
Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15; Urteil vom
11. März 1999 – VII ZR 179/98, BauR 1999, 897, 898 = ZfBR 1999, 256; Urteil vom
9. Januar 1997 – VII ZR 259/95, BGHZ 134, 245, 248; Urteil vom 11. November
1993 – VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64, 68). Danach sind die für die Ausführung
der Leistung wesentlichen Verhältnisse der Baustelle, wie z.B. Bodenverhältnisse, so zu beschreiben, dass der Bewerber ihre Auswirkungen auf die
bauliche Anlage und die Bauausführung hinreichend beurteilen kann. Die
„Hinweise für das Aufstellen der Leistungsbeschreibung“ in Abschnitt 0 der Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, DIN 18299 ff.,
sind zu beachten, § 9 Nr. 1 bis 3 VOB/A a.F. (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011
– VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172 Rn. 15). Sowohl nach DIN 18299 [Ausgabe 2000]
Abschnitt 0.1.18 (ebenso DIN 18299 [Ausgabe 2006] Abschnitt 0.1.20) als auch
nach DIN 18300 [Ausgabe 2000 und Ausgabe 2006] Abschnitt 0.2.3 ist in der
Leistungsbeschreibung eine Schadstoffbelastung nach den Erfordernissen des
Einzelfalls anzugeben (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11,
BGHZ 192, 172 Rn. 22). Die ausdrückliche Angabe einer Bodenkontamination
ist allerdings nicht in jedem Fall zwingend; sie kann unterbleiben, wenn sich aus
den gesamten Vertragsumständen klar ergibt, dass eine derartige Kontamination
vorliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 – VII ZR 67/11, BGHZ 192, 172
Rn. 22). Denn in solchen Fällen ist den in § 9 VOB/A a.F. zum Schutz des Bieters
enthaltenen Ausschreibungsgrundsätzen Genüge getan, weil dieser auch ohne
Angaben in der Ausschreibung eine ausreichende Kalkulationsgrundlage hat.
296
IX. RECHTSSCHUTZ DER
WIRTSCHAFTSTEILNEHMER IM
NACHPRÜFUNGSVERFAHREN
1.
1.1
Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 GWB)
Anlass für Einreichung einer Rüge
158 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012 –
Verg 67/11 (Pharmarabattverträge)
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nicht – und zwar auch nicht teilweise –
wegen Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 GWB) unzulässig.
a) Die Antragstellerin war allerdings – anders als sie meint – nicht gemäß § 107 Abs.
3 S. 2 GWB (diese Vorschrift löst die früheren Grundsätze über Rügeobliegenheiten bei De-facto-Vergaben ab) von einer Obliegenheit zur Rüge entbunden.
Bereits der von § 107 Abs. 3 S. 2 GWB in Bezug genommene Wortlaut des § 101b
Abs. 1 Nr. 2 GWB spricht gegen die Auffassung der Antragstellerin. Denn die Antragsgegnerin ist wegen der beabsichtigten Vergabe an eine Vielzahl von Unternehmen,
darunter auch die Antragstellerin, herangetreten. Reidt (in Reidt/Stickler/Glahs,
Vergaberecht, 3. Aufl., § 107 GWB Rdnr. 65) ist daher der Auffassung, für das am
Vergabeverfahren beteiligte Unternehmen gelte § 107 Abs. 3 S. 2 GWB nicht (unklar
Braun, in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 101b GWB Rdnr. 46).
Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Senats (s. Beschluss vom 03. August
2011 – VII-Verg 33/11 m.w.N.) die Vorschrift des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB vor dem
Hintergrund des Art. 2d Abs. 1 lit. a) der Rechtsmittelrichtlinie erweiternd dahin
auszulegen, dass sie bei Auftragsvergaben „ohne vorherige Veröffentlichung
einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union“ eingreift. Dies
bedeutet aber nicht automatisch, dass in derartigen Fällen auch die Rügeobliegenheit entfällt. Der Gesetzgeber ist in § 107 Abs. 3 S. 2 GWB davon ausgegangen, dass demjenigen, der infolge Nichtveröffentlichung und Nichtbeteiligung
an dem Vergabeverfahren von dem Verfahren keine Kenntnis erlangt hat, eine
Rüge nicht zugemutet werden könne. Die frühere Rechtsprechung zu „De-factoVergaben“ betraf Fallgestaltungen, in denen die Vergabe „am Antragsteller vorbei“ lief.
Diese Erwägungen treffen auf ein Unternehmen, das am Vergabeverfahren beteiligt
297
wurde, nicht zu. Eine derartige Auslegung, wie sie die Antragstellerin begehrt, würde
dazu führen, dass in allen Fällen, in denen eine ordnungsgemäße EU-Bekanntmachung
fehlt, eine Rüge entbehrlich wäre.
Soweit die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2011
darauf verwiesen hat, nicht sie, sondern ihre Konzernmutter sei von der Antragstellerin
angeschrieben worden, trifft dies nach den Unterlagen zwar zu. Der Antragstellerin
ist die geplante Vergabe jedoch – wie von der Antragsgegnerin ersichtlich im Hinblick
auf die Konzernklausel des § 2a Abs. 5 des Vertrages geplant – durch Weitergabe
der Unterlagen bekannt geworden; nach den Vergabeunterlagen stand damit einer
Beteiligung auch der Antragstellerin nichts im Wege.
Darüber hinaus könnte § 107 Abs. 3 S. 2 GWB allenfalls in dem Zeitraum bis zur EUBekanntmachung gelten.
b) Eine Rüge war jedoch bereits deshalb entbehrlich war, weil die Antragsgegnerin von vornherein nicht gewillt war, Rügen im Hinblick auf angebliche
Verstöße gegen das Vergaberecht zu entsprechen.
Es ist allgemein anerkannt, dass eine Rüge entsprechend dem Rechtsgedanken
des § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich ist, wenn der Auftraggeber von vornherein nicht gewillt ist, der Rüge nachzugehen (vgl. Byok, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 3. Aufl., § 107 GWB Rdnrn. 105 ff.). Dies kann u.a. dann angenommen
werden, wenn der Auftraggeber eine gleichlautende Rüge anderer Bieter oder
am Auftrag interessierter Unternehmen zurückgewiesen hat. Jedoch reicht es
im Allgemeinen nicht aus, wenn der Auftraggeber erst im Nachprüfungsverfahren
die Rüge als unbegründet ansieht, weil oftmals aus diesem späteren prozessualen
Verhalten nicht hinreichend zuverlässig auf die Haltung der Vergabestelle vor Einleitung
des Nachprüfungsverfahrens geschlossen werden kann.
In diesem Fall steht fest, dass die Antragsgegnerin vergaberechtlichen Rügen von
vornherein nicht nachgeben wollte. Sie hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, ihr
sei bewusst gewesen, sich außerhalb des Vergaberechts zu bewegen. Sie hatte damit
ersichtlich von vornherein vor, an ihrer Rechtsauffassung, einen Pharma-Rabattvertrag
auch außerhalb des Vergaberechts abschließen zu können, unter allen Umständen
festzuhalten und diese notfalls einem Vergabenachprüfungsverfahren unterziehen zu
lassen.
c) Des Weiteren war eine Rüge der Antragstellerin, Konzerne würden vergaberechtswidriger Weise benachteiligt, bereits deshalb entbehrlich, weil die Antragsgegnerin jedenfalls in einem späteren Stadium erklärtermaßen zu einer Abhilfe
nicht bereit war.
298
159 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 28.02.2012 –
2 VK 8/11 (Sanierungsbeauftragter)
II. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
2) Auch hinsichtlich der von der Antragstellerin monierten unzulässigen Vermischung
von Eignungs- und Zuschlagskriterien innerhalb der von der Antragsgegnerin versendeten Wertungsmatrix („Wichtungstabelle“) hat es die Antragstellerin versäumt,
diesen von ihr unterstellten Vergaberechtsverstoß unverzüglich zu rügen, was zu
einer diesbezüglichen Präklusion gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB führt.
Zwar hatte die Antragstellerin wiederholt und letztmalig mit Schreiben vom 20.06.2011
eine ihrer Ansicht nach unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien
in Fragebogen und Wichtungstabelle gerügt. Allerdings sendete die Antragstellerin
ihrerseits daraufhin mit Schreiben vom 06.07.2011 geänderte entsprechende Anlagen
zu, ohne dass die Antragstellerin im Folgenden ihre diesbezügliche Rüge wiederholt
hätte. Vielmehr wurden Rügen im weiteren Verlauf mit Schreiben der Antragstellerin
vom 08.07.2011, 13.07.2011 und 23.08.2011 nurmehr auf die Punkte „Offenlegung
von Unterkriterien“ und „Verfahrensart VOL“ beschränkt. Auch wenn es grundsätzlich nicht erforderlich ist, in einem Vergabeverfahren ein- und denselben Verfahrensverstoß mehrfach zu rügen, gilt dies ausnahmsweise dann nicht, wenn
die Vergabestelle im bisherigen Vergabeverfahren einzelne Verfahrensschritte
wiederholt und hierbei den bereits gerügten Vergaberechtsverstoß wiederholt (vgl. Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl., Rdnr. 109 zu § 107
GWB; OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, 1 Verg 4/03, juris Rdnr. 40 f.). In
Anwendung dieser Grundsätze oblag es der Antragstellerin, die von ihr bereits früher
erhobene Rüge einer Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien unverzüglich,
jedenfalls also innerhalb von zwei Wochen (siehe oben unter II 1.), erneut anzubringen,
nachdem die Antragsgegnerin durch die Überarbeitung des Fragebogens sowie der
Wichtungstabelle einen neuen Sachverhalt geschaffen hatte. Die erneute Rüge hätte
somit nach Zugang des Schreibens der Antragsgegnerin vom 06.07.2011 (08.07.2011)
nebst dortigen Anlagen zumindest bis zum 22.07.2011 erfolgen müssen, was jedoch
von der Antragsgegnerin versäumt wurde.
160 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.04.2012 –
Verg 100/11 (Drucker- und Multifunktionssysteme)
Mit Bekanntmachung vom Mai 2011 schrieb der Antragsgegner, ein kommunaler
Zweckverband, die Beschaffung von Druckern und Multifunktionssystemen einschließlich Administrations- und Abrechnungssoftware für den Kreis Herford im offenen Verfahren aus. Vorausgegangen war eine inhaltsgleiche Ausschreibung, welche
wegen möglicher Bevorteilung der Beigeladenen infolge Projektierung der Beschaffung aufgehoben worden war.
299
Die Leistungsbeschreibung enthielt hinsichtlich der zu liefernden Drucker und Systeme
sog. Geräte-Positionsblätter, teilweise mit Mindestanforderungen (KO-Kriterien). Der
Zuschlag sollte anhand der Kriterien Preis, Qualität und Funktionalität der Drucker
und Multifunktionssysteme sowie Qualität und Funktionalität der Software auf das
wirtschaftlichste Angebot ergehen. Von den 19 Unternehmen, welche die Vergabeunterlagen angefordert hatten, reichten nur die Antragstellerin und die Beigeladene
Angebote ein. Die Antragstellerin rügte eine unterbliebene Losaufteilung und eine auf
von der Beigeladenen angebotene Produkte zugeschnittene Leistungsbeschreibung.
Nachdem der Antragsgegner die Beanstandungen zurückgewiesen hatte, brachte die
Antragstellerin innerhalb von 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag an.
Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der Nachprüfungsantrag unbegründet ist.
1. Der Nachprüfungsantrag ist entgegen der Auffassung der Vergabekammer allerdings nicht bereits wegen eines Verstoßes gegen die Rügeobliegenheit nach
§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unzulässig, soweit die Antragstellerin eine unterlassene Losvergabe beanstandet. Die Annahme der Vergabekammer, die Antragstellerin habe schon die Angabe in der Bekanntmachung „Aufteilung in Lose:
Nein“ zum Anlass für eine Rüge nehmen müssen, ist offensichtlich fehlerhaft.
Der Rügetatbestand des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB setzt eine Kenntnis
der zugrundeliegenden Tatsachenvorgänge und die – zumindest laienhafte
– rechtliche Vorstellung des Antragstellers von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften voraus (vgl. allein BGH VergabeR 2007, 59 Rn. 35; OLG
Düsseldorf VergabeR 2008, 671; 2004, 511, 512). Bereits die erforderliche
Tatsachenkenntnis ist im Streitfall zu verneinen. Aufgrund der Vergabebekanntmachung wusste die Antragstellerin lediglich, dass eine Losaufteilung
nicht erfolgt war. Die tatsächlichen Gründe dafür kannte sie nicht. Davon hat
sie erst durch den Vortrag des Antragsgegners im Nachprüfungsverfahren
erfahren. Auch das an die Antragstellerin gerichtete vorprozessuale Schreiben
des Antragsgegners vom 6.6.2011 hat darüber keinen Aufschluss gegeben. Es
erschöpfte sich in einer bloßen Wiederholung des Gesetzeswortlauts (§ 97 Abs.
3 Sätze 2 und 3 GWB). Auftragsbezogene Gründe waren darin nicht genannt.
Nicht einmal der Inhalt des darüber verfassten Vergabevermerks vom 20.4.2011
ist bekannt gegeben, sondern es ist darauf lediglich mit einer kryptischen Bemerkung Bezug genommen worden („... ist selbstverständlich in der Vergabeakte
begründet“). Bei diesem Befund kann ein Verstoß gegen die Rügeobliegenheit
schlechterdings nicht angenommen werden. Die Antragstellerin konnte nur eine
Verdachtsrüge ausbringen. Dazu ist der Antragsteller nach § 107 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 GWB indes nicht gehalten (so bereits OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.8.2000
– Verg 9/00). Die Rügefrist nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB ist von der Antragstellerin im Übrigen eingehalten worden (Rüge vor Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe).
300
1.2
Inhaltliche Anforderungen an die Rüge/Rügen „ins Blaue“
161 OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.05.2012 – Verg W 5/12
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin hat eine Verletzung des
Vergaberechts hinreichend konkret gerügt.
Grundsätzlich ist an die Anforderungen für eine ordnungsgemäße Rüge ein
großzügiger Maßstab anzulegen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2002
– WVerg 4/02; OLG München, Beschluss vom 07.08.2007 – Verg 8/07 – zitiert nach
juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.2011 – VII-Verg 58/10 – zitiert nach juris).
Lediglich pauschale und unsubstantiierte „ins Blaue hinein“ erhobene Behauptungen in der Erwartung, die Amtsermittlungspflicht der Vergabekammer werde zum
Nachweis eines Vergabeverstoßes führen, reichen nicht aus (OLG München und OLG
Düsseldorf jeweils a.a.O.).
Andererseits hat ein Bieter naturgemäß nur begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens. Deshalb darf er im Vergabenachprüfungsverfahren behaupten,
was er auf der Grundlage seines – oft nur beschränkten – Informationsstands
redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf, etwa wenn es um
Vergabeverstöße geht, die sich ausschließlich in der Sphäre der Vergabestelle
abspielen oder das Angebot eines Mitbewerbers betreffen (vgl. OLG Frankfurt
a. M., Beschluss vom 09.07.2010 – 11 Verg 5/10 – zitiert nach juris). Der Antragsteller
muss zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen
hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Ein
Mindestmaß an Substantiierung ist einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen
Vergabeverstößen reichen nicht aus (OLG Frankfurt a. M., OLG Düsseldorf und OLG
München, jeweils a.a.O.). Nimmt er dagegen ihm bekannte Tatsachen zum Anlass,
auf eine möglicherweise unzutreffende Wertung zu schließen, so können die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge erfüllt sein.
Gemessen an diesen Grundsätzen genügt zumindest die im Nachprüfungsantrag erhobene Rüge, die Auftraggeberin habe einseitig kalkulationsrelevante Anforderungen
fallengelassen, ohne allen Bietern Gelegenheit zur Anpassung zu geben, indem sie
nachträglich von den Vorgaben des Brandenburger Vergabegesetzes abgewichen sei,
und die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Rüge, aufgrund dieses Vortrages
müsse die Antragstellerin davon ausgehen, dass die für den Zuschlag vorgesehene
Bieterin die nach dem Brandenburger Vergabegesetz erforderlichen Erklärungen nicht
eingereicht habe und ihr Angebot deshalb unvollständig sei, den Anforderungen an
eine hinreichende Substantiierung eines Verstoßes gegen vergaberechtliche Vorschriften. Die Rüge ist auch unverzüglich und unmittelbar mit dem Nachprüfungsantrag
geltend gemacht worden.
301
1.3
Einreichung der Rüge/Rügezugang
162 VK Sachsen, Beschluss vom 11.04.2012 – 1/SVK/005-12
(Installation von Fernmeldetechnischen Anlagen)
Allerdings wurde die Rüge am 2. März 2012, einem Freitag, erst um 16:36 Uhr bzw.
17:36 Uhr – dies ließ sich durch die Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung
nicht abschließend aufklären – per Fax an den Auftraggeber übermittelt.
Bei der Rüge gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich zwar nicht um eine
Willenserklärung, für die § 130 BGB unmittelbar gilt. Sie stellt keine Äußerung eines
auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichteten Willens dar (vgl. Ellenberger, in
Palandt, BGB, 70. Aufl., vor § 116 Rdnr. 1). Sie ist jedoch als geschäftsähnliche Handlung anzusehen (Ellenberger, a. a. O., vor § 104 Rdnr. 6), denn sie bewirkt den Erhalt
der Geltendmachung eines Vergaberechtsverstoßes in einem nachfolgenden Nachprüfungsverfahren. Insoweit ist sie einer rechtzeitigen Anmeldung eines Anspruchs nach
§ 651g Abs. 1 BGB (mit der Folge der Verhinderung eines Anspruchsausschlusses)
vergleichbar, die gleichfalls als geschäftsähnliche Handlung eingestuft wird (BGHZ
145, 343).
Für derartige geschäftsähnliche Handlungen gilt u. a. § 130 BGB entsprechend (vgl.
Ellenberger, a. a. O., § 130 Rdnr. 3). Zugegangen ist eine geschäftsähnliche Handlung
dann, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen (Ellenberger,
a. a. O., § 130 Rdnr. 1). Das bedeutet, dass der körperliche Eingang als solcher nicht
ausreicht, sondern noch die im Allgemeinen bestehende Möglichkeit hinzukommen
muss, dass der Empfänger vom Inhalt Kenntnis nehmen kann.
So ist es z. B. anerkannt, dass ein nach allgemeinem Geschäftsschluss in den Briefkasten eingeworfener Brief erst am nächsten Geschäftstag zugegangen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.12.2011 – Verg 81/11.) Rügen, die also nach Dienstschluss
bei der Vergabestelle eingehen, sind der Vergabestelle erst am nächsten Arbeitstag
zugegangen (OLG Dresden, B. v. 11.09.2006; WVerg 13/06; sowie in ständiger
Rechtsprechung: VK Sachsen, B. v. 06.07.2010 – 1/SVK/013-10; B. v. 24.05.2007, 1/
SVK/029-07; B. v. 16.11.2006, 1/SVK/097-06), wobei die Sonn- und Feiertage bei der
Ermittlung der Zeitdauer bis zum Rügevortrag mit einzuschließen sind (VK Sachsen,
B. v. 08.06.2006 – 1/SVK/050-06).
An einem Freitag ist aber auch um 16:36 Uhr nicht mehr mit der Kenntnisnahme
durch einen Vertreter der Behörde zu rechnen. Damit war die Rüge erst am
nächsten Werktag, Montag, dem 5. März 2012, zugegangen.
302
Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall ein Abweichen von der Wochenfrist rechtfertigen würden waren für die Vergabekammer nicht ersichtlich. Insbesondere handelt
es sich bei dem gerügten Vergaberechtsverstoß nicht um einen, der aufgrund seiner
Komplexität besondere Kenntnisse erfordern würde.
1.4
„Unverzüglichkeit“ i. S. d. i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB
163 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19.09.2011 –
1 VK 5/11 (Tischlerarbeiten)
II. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
Zwischen dem Zugang des Schreibens der Antragsgegnerin vom 19.08.2011 und der
Rüge der Antragstellerin am 26.08.2011 liegen mehr als drei Tage.
Unverzüglich im Sinne von § 107 Absatz 3 Nummer 1 GWB ist nach verbreiteter Auffassung der Spruchpraxis eine Rüge innerhalb einer Frist von ein bis
drei Tagen (OLG Celle, Beschluss vom 08.03.2007, Az.: 13 Verg 2/07; OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/03; OLG München, Beschluss vom
13.04.2007, Az.: Verg 01/07; Beschluss vom 28.02.2007, Az.: Verg 01/07; zu den
zahlreichen Entscheidungen von Vergabekammern vgl. Weyand, Vergaberecht 2011,
ibr-online-Kommentar, § 107, 18.5.23.3.3.3)
Dieser Auffassung ist jedenfalls dann beizupflichten, wenn der maßgebliche Sachverhalt ganz einfach gelagert ist (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 28.07.2010, Az.: 17
Verg 3/10). Das trifft insbesondere dann zu, wenn die Übersendung von Vergabeunterlagen verweigert wird. In diesem Fall nämlich liegt die mögliche Rechtswidrigkeit
auf der Hand, es bedarf bei weitem keiner ausgiebigen juristischen Prüfung, um zu
einer solchen Einschätzung zu gelangen.
Der Anwendung der Präklusionsregelung des § 107 Absatz 3 Nummer 1 GWB steht
das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 28.01.2010 (Rs. C-406/08 – Uniplex)
nicht entgegen. Das deutsche Recht gibt lediglich eine einzige zeitliche Vorgabe für die
Erhebung der Rüge. Der Gesetzgeber hat darin zwar nicht eine konkret bezifferte Frist
bestimmt, sondern den Rechtsbegriff „unverzüglich“ verwendet, der in § 121 Absatz
1 BGB legal als „ohne schuldhaftes Zögern“ definiert ist. Die Regelung ist durch ihre
Ausformung in einer mehr als 100jährigen Rechtsprechung hinreichend genau, klar
und für die Bieter vorhersehbar (OLG Rostock, ebda., m. w. N.).
303
164 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012 – VII-Verg 75/11
(Unterhaltsreinigung, Außenreinigung, Winderdienst)
I.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
2. Auch die Rügeobliegenheit ist von der Antragstellerin beachtet worden. Sie hat
den Mangel des Vergabeverfahrens durch ihr E-Mail-Schreiben vom 9. Juni 2011
rechtzeitig im Sinne von § 107 Abs. 3 S. 1 GWB gerügt. Gemäß § 107 Abs. 3
S. 1 Nr. 1 GWB hat ein Antragsteller einen Verstoß gegen Vergabevorschriften
gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen, sobald er diesen positiv
erkennt, wobei der Zeitpunkt des Vorliegens positiver Kenntnis grundsätzlich
vom Auftraggeber nachzuweisen ist (Dicks, a.a.O., Rdnr. 40). Damit obliegt es
dem Auftraggeber, einen Umstand aus der Sphäre des Antragstellers nachzuweisen. Der Antragsteller ist daher bei einem substantiierten Bestreiten
des Antragsgegners verpflichtet, zum Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung
substantiiert vorzutragen und gegebenenfalls auch Unterlagen, die den
Zeitpunkt der Kenntniserlangung belegen, vorzulegen (Byok, in Byok/Jaeger,
Kommentar zum Vergaberecht, 3. A., § 107, Rdnr. 113). Die Antragsgegnerin hat
substantiiert bestritten, dass die Antragstellerin erst am 7. Juni 2011 von der EUBekanntmachung vom 31. Mai 2011 erfahren hat. Die Antragstellerin hat daraufhin
jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2012 durch die Vorlage der
schriftlichen Informationen des von ihr beauftragten Auftragsdienstes Si Consult
Gesellschaft für Wirtschaftsberatung mbH vom 4. Juni 2011, einem Samstag,
belegt, dass ihr Geschäftsführer tatsächlich erst am 7. Juni 2011, einem Dienstag,
von der Ausschreibung erfahren hat. Damit war die zwei Tage später erfolgende
Rüge der Antragstellerin vom 9. Juni 2011 jedenfalls unverzüglich im Sinne von
§ 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB. Auf die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ unionsrechtskonform ist (vgl. dazu ausführlich Byok, a.a.O., § 107 Rn. 107
ff.), kommt es daher nicht an. Die Rügefrist des § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GWB ist
eingehalten, weil die Antragstellerin ihren Teilnahmeantrag noch bis zum 15. Juni
2011 hatte abgeben können.
165 VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.03.2012 –
VK-SH 3/12 (Briefpostdienste)
Die Antragstellerin hat auch rechtzeitig gegenüber der Antragsgegnerin gerügt. Die
von der Antragstellerin vorgebrachten Rügen ergaben sich allesamt aus der Bekanntmachung sowie den Verdingungsunterlagen. Damit war es gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 und 3 GWB ausreichend, bis Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist
zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin zu rügen. Dies ist hier der Fall.
Ausweislich Ziffer IV 3.4 der Bekanntmachung lief die Angebotsfrist am 31.01.2012 ab.
Die Rügen der Antragstellerin erfolgten am 17.01.2012 und damit rechtzeitig.
304
Richtig ist zwar, dass die Regelungen des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB
und die des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB selbstständig nebeneinander stehen.
Wird also der aus den Verdingungsunterlagen ersichtliche Verstoß gegen Vergabevorschriften vom Bieter schon zu einem früheren Zeitpunkt vor Ablauf der
Angebotsfrist erkannt, ist dieser im Interesse einer zügigen Vergabe nach § 107
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB grundsätzlich unverzüglich zu rügen, so dass die Privilegierung aus § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB keine Anwendung findet
(erkennende Kammer, Beschluss vom 03.12.2008 – VK-SH 12/08; Beschluss vom
5.10.2005 – VK- SH 23/05; 1. VK Bund, Beschluss vom 20.01.2010 – VK 1 – 230/09;
VK Niedersachsen, Beschluss vom 15.01.2010 – VgK-74/2009).
166 OLG München, Beschluss vom 06.08.2012 –
Verg 14/12 (Rest- und Sperrmüllabfuhr)
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist mit ihrer Rüge, die
Vergabeunterlagen würden den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt,
nicht präkludiert.
a) Die Antragstellerin hat die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB nicht versäumt.
Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB sind Verstöße gegen Vergabevorschriften,
die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der
in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Die Antragstellerin hat ihre Rüge,
durch die Mengenschwankungen werde den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt, am Tag vor der Frist zur Angebotsabgabe gerügt. Da die Vorgaben
zur Berechnung des Einheitspreises erst aus den Vergabeunterlagen erkennbar
waren, hat die Antragstellerin den von ihr behaupteten Fehler rechtzeitig gerügt.
b) Die Antragstellerin hat nicht gegen ihre Rügepflicht nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
GWB verstoßen. Nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag
unzulässig, wenn der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 15.3.2012 – Verg
2/12 – festgestellt hat, hat sich nach der Neuregelung des § 107 GWB und
der Entscheidung des EuGH vom 28.1.2010 – C-406 und 456/08 – der Anwendungsbereich des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB stark geändert. Während
bisher nach herrschender Ansicht Sinn der Rügepflicht war, dem öffentlichen Auftraggeber noch die Heilung des gerügten Mangels zu ermöglichen
und ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden sowie zur Beschleunigung
des gesamten Verfahrens beizutragen, stellt der EuGH in erster Linie darauf
ab, dass für den Primärrechtsschutz klare Verhältnisse bezüglich des Fristablaufs herrschen sollen. Ob der öffentliche Auftraggeber den Mangel noch
beheben kann, spielt keine Rolle. Auch in den klaren Fristenregelungen des § 107
305
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB ist eine Heilung eines gerügten Mangels bis zur
Angebotsabgabe nicht mehr möglich. Es kommt hinzu, dass § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr.
4 GWB bei Zurückweisung einer Rüge dem Bieter die Pflicht auferlegt, innerhalb
von 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Das bedeutet, dass
derjenige Bieter, der noch vor Angebotsabgabe einen Mangel rügt, gezwungen
ist, bei Zurückweisung der Rüge auch dann, wenn die Frist zur Angebotsabgabe
noch nicht abgelaufen ist und er noch nicht einschätzen kann, ob sein Angebot
überhaupt in die engere Wahl kommt, einen Nachprüfungsantrag zu stellen und
das Kostenrisiko auf sich zu nehmen, obwohl der Erfolg des Nachprüfungsantrags
auch davon abhängt, an welcher Stelle sein Angebot in der Rangfolge steht. Dies
stellt eine entscheidende Schlechterstellung gegenüber denjenigen Bietern dar,
welche sich auf § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB berufen.
Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken, welche sich nach der Entscheidung des EuGH gegen die Verwendung des Begriffs „unverzüglich“ in § 107
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ergeben, sprechen die dargestellten Bedenken zusätzlich für eine zumindest einengende Auslegung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB.
Es entsprach im Übrigen auch schon bisher der gängigen Rechtsprechung, dass der
Bieter nicht dazu verpflichtet ist, die Ausschreibungsunterlagen sofort nach Erhalt auf
Fehler durchzuschauen (vgl. z.B. OLG Naumburg vom 5.12.2008 – 1 Verg 9/08). Er
kann auch nicht durch Formulierungen in den Vergabeunterlagen dazu .gezwungen
werden, da eine Pflicht zur sofortigen Durchsicht der Vergabeunterlagen – gerade
auch bei Unternehmen des Mittelstandes – unzumutbar ist, wenn mehrere Ausschreibungen parallel laufen. Wann der Bieter welches Angebot bearbeitet, steht in seinem
Ermessen. Zumindest aber ist wegen der genannten Aspekte die Rügefrist großzügig
zu bemessen. Hier hat die Antragstellerin im Übrigen vorgetragen, dass sie nach Einholung von Rechtsrat unverzüglich am nächsten Tag gerügt hat.
167 VK Hessen, Beschluss vom 21.03.2013 –
69d-VK-01/2013 (Solarkataster)
Soweit allerdings eine Vorabinformation i.S.v. § 101a GWB als unzureichend
gerügt wird, muss diese Rüge hingegen noch am Tage ihres Zugangs, spätestens jedoch am Folgetag, erfolgen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.08.2004 Verg
54/04, juris; VK Hessen, Beschl. v. 09.10.2009 – 69 d VK – 36/2009, juris; VK Nordbayern, Beschl. v. 26.08.2009 – 21.VK – 3194 – 30/09, juris; Beschl. v. 28.01.2009
-21. VK – 3194 – 63/08, juris).
Vor diesem Hintergrund ist die Rüge der Antragstellerin erst sieben Tage nach Zugang
des Bieterinformationsschreibens nicht mehr unverzüglich erhoben. Die Antragstellerin hat dieses Schreiben unstreitig am Freitag, den 11. Januar 2013, per Fax erhalten.
Aufgrund dessen – vorstehend dargelegten – Inhalts waren der Antragstellerin mit
Erhalt des Schreibens alle Tatsachen bekannt, auf die Sich ihre Rüge vom 18. Januar
2013 letztlich auch stützte.
306
1.5
„Erkennbarkeit“ eines Vergabefehlers i.S.d. § 107 Abs. 3 S. 1
Nr. 2/3 GWB
168 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011 –
Verg 84/11 (Gebäude- und Glasreinigung)
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Gegen Rügeobliegenheiten ist von der
Antragstellerin nicht verstoßen worden.
a. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer ist die Antragstellerin mit
ihrem Vorbringen, der Einsatz des von der Creditreform-Auskunft ermittelten
Bonitätsindexes als ausschließliches Auswahlkriterium sei vergaberechtswidrig, nicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB präkludiert. Zwar hatte die
Antragsgegnerin auf die Verwendung dieses Kriteriums unter Ziff. VI.3. der
Bekanntmachung hingewiesen. Wegen Erkennbarkeit in den Vergabeunterlagen unterliegen aber nur solche Verstöße gegen Vergabevorschriften
einer Rügeobliegenheit, die sich auf eine allgemeine Überzeugung der Vergabepraxis gründen und die als auftragsbezogene Rechtsverstöße gewissermaßen laienhaft und ohne Anwendung juristischen Sachverstands ins
Auge fallen. Übersteigerte tatsächliche und rechtliche Anforderungen sind
bei dem regelmäßigen Umfang der Vergabeunterlagen, aber auch bei dem
hohen Angebotsdruck, dem Wirtschaftsteilnehmer generell unterliegen,
abzulehnen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 3.08.2011 – VII-Verg 30/11; Dicks in
Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 107 GWB Rdn. 50 m.w.N.). Als ein in diesem
Sinne erkennbarer Rechtsverstoß stellt sich der Einsatz des von der CreditreformAuskunft ermittelten Bonitätsindexes als alleiniges Auswahlkriterium weder bei
Anlegung eines subjektiven noch eines objektiven Maßstabs an die Erkennbarkeit
dar. Bei der Beantwortung der Frage, welchen Voraussetzungen die Auswahl der
Bewerber bei einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb genügen
muss, handelt es sich nicht um vergaberechtliches Allgemeingut. Insbesondere
kann der einschlägigen Bestimmung des § 20 Abs. 1 SektV, wonach die Auswahl
anhand objektiver Kriterien zu erfolgen ist, nicht entnommen werden, ob darüber
hinausgehende Anforderungen an die Bewerberauswahl zu stellen sind, so dass
die Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes spezifisches vergaberechtliches
Fachwissen vorauszusetzt.
169 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2012 –
15 Verg 10/12 (Tragwerksplanung)
b) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist hinsichtlich des beanstandeten
Verstoßes gegen das Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien zulässig und begründet.
307
aa) Der Antrag ist insbesondere nicht deshalb unzulässig, weil es an einer nach § 107
Abs. 3 Satz 1 GWB erforderlichen Rüge der Antragstellerin fehlen würde.
(a) Gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig,
wenn der Antragsteller den im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber
dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Die Rügeobliegenheit entsteht
erst mit Kenntnis von den tatsächlichen Umständen, aus denen die Beanstandung
abgeleitet wird und setzt die zumindest laienhafte rechtliche Wertung voraus,
dass sich aus diesen die Missachtung von Bestimmungen des Vergaberechts
ergibt (MünchKomm-Jaeger, a.a.O., Rn. 38). Für eine solche Kenntnis des Antragstellers trägt der Antragsgegner die Beweislast (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 29.12.2001 – Verg 22/01 – juris Rn. 26, m.w.N.; MünchKomm-Jaeger, a.a.O.,
Rn. 50).
(ii) Die Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes muss sich sowohl auf die
den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen (OLG München, Beschluss vom 29.07.2010 – Verg 9/10 – juris
Rn. 67). In der Rechtsprechung ist allerdings umstritten, ob hierbei objektiv auf
die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Unternehmens (so wohl OLG
München, a.a.O.; vgl. auch Reidt/Stickler/Glahs-Reidt a.a.O.; jurisPK-Summa, VergabeR, 3. Aufl., § 107 GWB, Rn. 215 ff.) oder subjektiv auf den Kenntnisstand des
konkreten Unternehmens abzustellen ist (so z. B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom
18.10.2006 – VII-Verg 35/06 – juris Rn. 27).
Diese Frage kann indes vorliegend offen bleiben, da weder unter Anwendung des
objektiven noch des subjektiven Maßstabes für die Antragstellerin eine Erkennbarkeit
des Vergabeverstoßes vorlag. Es bedarf daher keiner näheren Erörterung, dass der
Wortlaut der Bestimmung des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB – Erkennbarkeit
des Vergabeverstoßes – und die Zielsetzung des Gesetzes, effektiven Bieterschutz zu
gewähren und diesen nicht einzuschränken, für einen objektiven – allerdings an den
durchschnittlichen Erkenntnismöglichkeiten der angesprochenen Branche bzw. des
angesprochenen Bieterkreises orientierten – Maßstab sprechen (vgl. OLG Karlsruhe,
a.a.O., Rn. 30).
Für die Erkennbarkeit nach objektiven Kriterien wird gefordert, dass ein sorgfältig
handelndes und prüfendes Unternehmen, das mit den wichtigsten Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe vertraut ist, den Vergabeverstoß erkennen kann, ohne besonderen Rechtsrat einzuholen zu müssen (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 31; Reidt/Stickler/
Glahs-Reidt, a.a.O., Rn. 58; jurisPK-Summa, a.a.O., Rn. 222). Eine Rügepräklusion
kommt daher nach dieser Auffassung nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen in Betracht (Ziekow/
Dicks/Völlink-Dicks, Vergaberecht 2011, § 107 Rn. 49; OLG Düsseldorf, Beschluss
308
vom 03.08.2011 – VII-Verg 16/11 – juris Rn. 44). Der Verstoß muss so offensichtlich sein, dass er einem durchschnittlich erfahrenen Bieter auffallen muss (jurisPKSumma, a.a.O., Rn. 221, m.w.N.). Von einem Bieter ist dabei zwar zu erwarten, dass
er einen Vergaberechtsverstoß erkennt, der sich durch bloßes Lesen der einschlägigen
Normen und einen Vergleich mit dem Text der Vergabeunterlagen ohne Weiteres
feststellen lässt; eine umfassende Kenntnis der dem Verfahren zugrunde liegenden
Vergabeordnung ist von den Teilnehmern eines Vergabeverfahrens aber richtigerweise nicht zu erwarten (jurisPK-Summa, a.a.O., Rn. 222 ff.). Insbesondere muss ein
Bieter nach zutreffender Auffassung keine Literaturstimmen oder vergaberechtliche
Rechtsprechung zu den Vergabeordnungen und dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen kennen (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.07.2008 – 11
Verg 4/08 – juris Rn. 50 ff., und Beschluss vom 10.06.2008 – 11 Verg 3/08 – juris Rn.
50 ff.), die Vergabeunterlagen gewissermaßen routinemäßig auf etwaige Rechtsverstöße überprüfen oder sie durch Einholung externen Rechtsrats auf das Vorliegen von
Vergabefehlern prüfen lassen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.10.2006 – VII-Verg
35/06 -j uris Rn. 28). Er muss weder Nachforschungen noch Prüfungen anstellen, um
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Kenntnis von einem Rechtsverstoß zu
verschaffen (OLG München, Beschluss vom 23.06.2009 – Verg 8/09 – juris Rn. 38;
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2005 – Verg 74/04 – juris Rn. 46).
(iii) Hiernach musste die Antragstellerin den Verstoß gegen das Verbot der Vermischung von Eignungs- und Wertungskriterien nicht erkennen, bevor sie von ihren
Verfahrensbevollmächtigten hierüber unterrichtet wurde und dies am 09.08.2012
geltend gemacht hat. Unabhängig davon, ob man einen subjektiven, also individuellen, oder objektiven, also auf einen durchschnittlich verständigen Bieter
abstellenden Erkenntnismaßstab zugrunde legt, ist, wie die Vergabekammer zu
Recht ausgeführt hat, ein Verstoß gegen das Verbot, ein „Mehr an Eignung“ bzw.
eine spezielle Eignung für das Projekt im Rahmen der Zuschlagsentscheidung zu
berücksichtigen und Eignungs- und Zuschlagskriterien zu vermischen, nicht ohne
Weiteres erkennbar (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 32 zur VOL/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.08.2011 – VII-Verg 16/11 – juris Rn. 44; OLG München,
Beschluss vom 29.07.2010 – Verg 9/10 – juris Rn. 65 ff., 69 zur VOL/A). Dabei
kann offen bleiben, ob die diesbezüglich zur VOL/A ergangene Rechtsprechung noch so neu ist, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass
sie in den maßgeblichen Kreisen weite Verbreitung gefunden hat und daher
als allgemeines Wissen vorausgesetzt werden kann (so noch OLG Karlsruhe,
a.a.O.; OLG München, a.a.O.). Denn jedenfalls im Bereich der Vergabeordnung
für freiberufliche Dienstleistungen ist dies der Fall, weil die hierzu ergangene
Rechtsprechung noch deutlich jünger ist (vgl. OLG München, Beschluss vom
10.02.2011 – Verg 24/10 – juris; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Ein anderes ergibt sich
auch nicht mit Blick auf die Regelung in § 11 Abs. 5 Satz 2 VOF, die ausdrücklich
auf die gebotene Abgrenzung der Zuschlagskriterien von den Eignungskriterien
hinweist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich aus § 11 Abs. 5 Satz 2 VOF zwar
309
das Gebot einer Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien entnehmen
lässt, dass aber aus der Regelung gerade nicht – auch für den rechtlichen Laien
eindeutig und unmissverständlich hervorgeht, dass eine Berücksichtigung von Eignungskriterien bei der Wertung schlichtweg unzulässig ist. Aus dem Gebot einer
Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien muss der rechtsunkundige Laie
auch nicht zwingend auf ein hieraus folgendes Verbot der Berücksichtigung von
Eignungskriterien bei der Wertung schließen. Hinzu kommt, dass neben der Regelung des § 11 Abs. 5 Satz 2 VOF für Architekten- und Ingenieurleistungen § 20
Abs. 1 und 2 VOF zu beachten ist, der § 11 Abs. 5 VOF bei richtiger Betrachtung
zwar nicht verdrängt, sondern ergänzt (Müller-Wrede, Kommentar zur Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen, 4. Aufl., § 11 Rn. 1, § 20 Rn. 1), und
sich bei unbefangener Betrachtung durchaus so verstehen lässt, dass auch bei der
Wertung im Bereich der Leistungen von Ingenieuren und Architekten personenbezogene Kriterien Beachtung finden dürfen. Der Eindruck, dass jedenfalls bei der
Wertung von Angeboten von Architekten und Ingenieuren auch bieterbezogene
Kriterien Berücksichtigung finden können, kann dabei für den rechtunkundigen
Bieter auch dadurch entstehen oder verstärkt werden, dass in § 20 Abs. 1 Satz 1
VOF der Zweck der Auftragsverhandlungen dahingehend beschrieben wird, dass
diese der Ermittlung des Bieters dienen, der im Hinblick auf die gestellte Aufgabe
am ehesten Gewähr für eine sachgerechte und qualitätsvolle Leistungserfüllung
bietet, dass also gerade nicht das projektbezogene Leistungsangebot in den Fokus
gestellt wird, sondern vielmehr der Bieter selbst. Zu Recht hat insoweit die Vergabekammer darauf hingewiesen, dass dieser Eindruck durch die Regelung in § 20
Abs. 2 Satz 1 VOF verstärkt wird, durch die den Bietern zugestanden wird, zum
Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit Referenzobjekte vorzulegen. Denn auch Referenzen haben eine Aussagekraft insbesondere hinsichtlich der Person des Bieters
und dessen Erfahrung und Fähigkeiten in dem jeweiligen Bereich, nicht dagegen
hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit des konkreten Projekts, auf die es ausschließlich
für die der Eignungsprüfung nachfolgende Zuschlagsentscheidung ankommt.
Insbesondere für Architekten und Ingenieure, die regelmäßig keine juristische
Vorbildung besitzen, ist hiernach ein Verstoß gegen das Verbot der Vermischung
von Eignungs- und Zuschlagskriterien nicht ohne Weiteres aus dem Text der
Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen erkennbar. Mit Blick auf den
Horizont der Architekten und Ingenieure ist zudem zu berücksichtigen, dass
deren Verständnis vom Vergaberecht von der früher in beachtlichen Kreisen
vertretenen Auffassung geprägt sein kann, dass die Verwendung von Eignungskriterien für die Zuschlagsentscheidung jedenfalls dann zulässig ist, wenn diese
Kriterien einen gewissen Projektbezug aufweisen und noch nicht für die Eignungsprüfung „verbraucht“ sind (vgl. hierzu: OLG Rostock, VergabeR 2001, 315,
m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 28.11.2002 – 2 Verg 10/02 – juris Rn. 82 ff.);
weiter ist mit Blick auf die Perspektive der von den Regelungen in § 11 Abs. 5 und § 20
VOF betroffenen Architekten und Ingenieure zu bedenken, dass deren Leistungen
310
kreativ-schöpferischer Natur sind und daher von vornherein untrennbar mit der Person
des Dienstleisters/Bieters verbunden sind. Auch in Anbetracht der Regelung in § 11
Abs. 5 Satz 2 VOF ist die Rechtslage mithin keineswegs so eindeutig und klar, dass
auch dem nicht rechtskundigen und durch die Besonderheiten seiner Branche vorgeprägten Architekten oder Ingenieur ohne Weiteres erkennbar ist, ob und inwieweit das
Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien im Bereich der Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen greift. Nichts anderes gilt deshalb, weil
es sich bei dem Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien um
einen wichtigen Grundsatz im Vergabeverfahren handelt. Denn dieser Grundsatz gerät
für den bietenden Architekten oder Ingenieur weniger im Vergabeverfahren selbst in
den Fokus, als in einem etwaigen nachfolgenden Nachprüfungsverfahren, an dem der
durchschnittliche Bieter jedoch nur ausnahmeweise beteiligt ist.
Hinzuweisen ist schließlich ergänzend darauf, dass sogar die – überwiegend mit
Juristen besetzte – Vergabekammer, wie ihre Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung zeigen, offenbar der Auffassung zuneigt, dass es nach der
Vergabeordnung für freiberufliche Dienstleistungen zulässig und auch sinnvoll
ist, projektbezogene Eignungskriterien bei der Wertung zu berücksichtigen.
Zudem ist für den juristisch nicht vorgebildeten Laien auch die konkrete Abgrenzung von Zuschlags- und Eignungskriterien bzw. die Einordnung vorgegebener
Kriterien als Eignungs- oder Zuschlagskriterien im Einzelfall nicht ohne Weiteres
möglich. Dies gilt vorliegend insbesondere mit Blick auf die von der Antragsgegnerin
verwendeten Kriterien „Vertrauen in das Büro hinsichtlich der Projektdurchführung“,
„Dargestellte projektspezifischen fachliche Leistungen des Büros im allgemeinen“
und „Dargestellte projektspezifischen fachliche Leistungen des Projektteams“, weil
diese Kriterien gerade nicht eindeutig und ausschließlich auf die Person des Bieters
bezogen sind, sondern einen Projektbezug aufweisen.
Die Vergabekammer hat schließlich zu Recht ausgeführt, dass aufgrund des Umstands,
dass das Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien in der Praxis
der Vergabestellen noch immer vielfach keine hinreichende Beachtung findet, von einer
Verbreitung des Verbots als allgemeines Wissen und damit von einer Erkennbarkeit
eines solchen Verstoßes für den durchschnittlichen Bieter (noch) nicht ausgegangen
werden kann. Zutreffend hat die Vergabekammer insoweit auch darauf hingewiesen,
dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer selbst die Auffassung vertreten haben, dass im Vergabeverfahren nicht
gegen das Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien verstoßen
wurde, weil im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen insoweit ein großzügigerer Maßstab anzulegen sei.
Nachdem ein Bieter nicht gehalten ist, Nachforschungen anzustellen und bei
Fachleuten Rechtsrat zur Aufdeckung etwaiger Vergaberechtsverstöße einzu-
311
holen, ist die Antragstellerin auch nicht deshalb gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
und 3 GWB mit ihrem Nachprüfungsantrag präkludiert, weil sie erst sechs Tage
nach Erhalt des Informationsschreibens der Antragsgegnerin ihre Verfahrensbevollmächtigten mit der Sache betraut hat.
Auch wenn man für die Erkennbarkeit einen subjektiven Maßstab anlegen und auf
die individuellen Verhältnisse und Kenntnismöglichkeiten der Antragstellerin abstellen
wollte, wäre die Erkennbarkeit des gerügten Vergabeverstoßes nicht zu bejahen. Allein
der Umstand, dass es sich bei der Antragstellerin um ein großes und erfahrenes Ingenieurbüro handelt, das sich in der Vergangenheit an einigen Vergabeverfahren beteiligt
hat, reicht hierfür nicht aus; vielmehr müsste die Frage der Prüfung von Eignungskriterien als Zuschlagskriterien in einem der Vergabeverfahren aufgeworfen worden und
maßgeblicher Punkt für die Entscheidung gewesen sein (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.,
Rn. 34). Dies wird von der Beigeladenen jedoch nicht behauptet.
1.6
„Wartepflicht“ zwischen Rüge und Nachprüfungsantrag?
170 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2012 –
15 Verg 10/12 (Tragwerksplanung)
(c) Ein Verstoß der Antragstellerin gegen ihre Rügeobliegenheit liegt auch nicht deshalb vor, weil die kurze zeitliche Folge von Rüge und Nachprüfungsantrag der
Antragsgegnerin keine Möglichkeit ließ, vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens auf die Rüge zu reagieren. Auch wenn die Regelung in § 107 Abs. 3
GWB darauf abzielt, der Vergabestelle die Möglichkeit zu geben, etwaige
Vergaberechtsverstöße möglichst frühzeitig zu beseitigen und hierdurch
ein Nachprüfungsverfahren zu vermeiden, so ist doch entgegen der Auffassung der Beigeladenen und der Antragsgegnerin eine „Wartefrist“ mangels
gesetzlicher Grundlage nicht anzuerkennen (vgl. OLG Frankfurt a. M.,
Beschluss vom 06.03.2006 – 11 Verg 11/05 – und – 11 Verg 12/05 – juris Rn.
36; OLG Naumburg, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 Verg 5/05 – juris Rn. 32;
MünchKomm-Jaeger, a.a.O., Rn. 43). Auch kann der Zweck des § 107 Abs. 3
GWB selbst dann noch erreicht werden, wenn zeitgleich eine Rüge und ein Nachprüfungsantrag eingereicht werden; auch bei laufendem Nachprüfungsverfahren
ist die Vergabestelle nämlich keineswegs gehindert, einen vom Antragsteller zeitgleich mit dem Nachprüfungsantrag gerügten Verstoß gegen vergaberechtliche
Bestimmungen zu beheben und zu beseitigen (vgl. MünchKomm-Jaeger, a.a.O.).
Im Übrigen kann, was die Antragstellerin zu Recht geltend macht, mit Blick auf
das Gebot effektiven Rechtsschutzes jedenfalls dann nicht an dem Erfordernis
einer dem Nachprüfungsantrag vorgelagerten Rüge festgehalten werden, wenn
der Antragsteller – wie hier – von dem Vergabefehler so spät erfährt, dass zu
befürchten ist, dass er seine Rechte infolge der bevorstehenden Zuschlagserteilung nicht mehr geltend machen kann (vgl. MünchKomm-Jaeger, a.a.O., Rn. 45).
312
2.
Nachprüfungsverfahren (§§ 114 ff. GWB) –
Zuständigkeit/Stellung Vergabekammer
171 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 – Verg 3/12
(Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen)
e) Die der Antragstellerin gegebene Bieterinformation und die Angebotswertung deuten allerdings darauf hin, dass die Vergabestelle – einigermaßen
unbegreiflich – trotz der ihr Insoweit durch den Senatsbeschluss vom
10.8.2011 (VII-Verg 36/11, BA 10 f. m.w.N.) zuteil gewordenen gegenteiligen
Belehrung bei der erneuerten Wertung weiterhin Eignungsmerkmale für die Vergabeentscheidung herangezogen hat (insbesondere Erfahrungen und Kenntnisse
der Bieter). Dies veranlasst ausnahmsweise jedoch keine Korrektur am Vergabeverfahren, denn dadurch sind die Auftragschancen der Antragstellerin
unzweifelhaft nicht beeinträchtigt worden (vgl. zu diesem Element der Begründetheitsprüfung bei Nachprüfungsanträgen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2010
– VII-Verg 47/10; Beschl. v. 15.6.2010 VII-Verg 10/10; Beschl. v. 14.4.2010 – VHVerg 80/09, IBR 2010, 580, 582 VergabeR 2011, 78; OLG München, u.a. Beschl.
v. 21.5.2010 Verg 2/10, VergabeR 2010, 992; ebenso: 1. Vergabekammer des Bundes im angefochtenen Beschluss vom 9.1.2012 – VK 1-162/11, BA 19; Herrmann,
VergabeR 2011, 2 ff.; a.A. Müller-Wrede, NZBau 2011, 650; Mantler, VergabeR
2011, 82, 83 f.). Die Antragstellerin ist nach eigenem, unbestrittenem Vorbringen
der größte unabhängige Informationsdienstleister in Deutschland und mit besten
strukturellen Unternehmensvoraussetzungen für die Ausführung des Auftrags
sowie ais bisheriger Auftragnehmer zudem mit Vorkenntnissen und Erfahrungen
ausgestattet. Davon ausgehend ist die Antragstellerin durch eine erneute, vergaberechtlich unzulässige Bewertung von Eignungsmerkmalen (mithin aufgrund
einer Rechtsverletzung) bei den Aussichten, den Auftrag zu erlangen, nicht
schlechter gesteift, sondern gegenüber der Beigeladenen begünstigt worden,
weil diese nicht in gleichem Maß wie die Antragstellerin über die für die Auftragsausführung benötigten Strukturen und Ressourcen sowie über Erfahrungen und
(Vor)Kenntnisse verfügt.
172 VK Bund, Beschluss vom 25.05.2012 –
VK 3-54/12 (Bundesauftragsverwaltung)
II.
1. Der Nachprüfungsantrag ist in entsprechender Anwendung der §§ 83 VwGO, 17
a GVG an die zuständige Vergabekammer des Landes ... zu verweisen. Die Vergabekammer des Bundes ist für die Entscheidung dieses Nachprüfungsverfahrens
nicht zuständig.
313
Der streitgegenständliche Auftrag ist gemäß § 104 Abs. 1 GWB i.V.m. § 106 a Abs.
2 GWB dem Land ... zuzurechnen. Das vorliegende Vergabeverfahren betrifft die
Erbringung von Bauleistungen im Rahmen des Bundesautobahnbaus. Hierbei
handelt es sich also um eine Maßnahme der Verwaltung der Bundesautobahnen, die die Bundesländer gemäß Art. 90 Abs. 2 GG im Wege der Bundesauftragsverwaltung wahrnehmen. Für die Nachprüfung eines solchen Vergabeverfahrens ist gemäß § 106 a Abs. 2 GWB die Vergabekammer des jeweiligen
Landes zuständig (s. z.B. OLG Celle, Beschluss vom 06. Juni 2011, 13 Verg 2/11), im
vorliegenden Fall die Vergabekammer des Landes ..., weil der betreffende Streckenabschnitt der Autobahn von diesem Bundesland verwaltet wird.
Maßgeblich für die Frage, wem der streitgegenständliche Auftrag i.S.d. § 104 Abs. 1
GWB zuzurechnen ist, ist die objektive Rechtslage, nicht die unzutreffende Angaben in der Bekanntmachung. Entscheidungserheblich ist also hier, dass die Ag das
verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren als Vertreterin durchführt, wobei das
Land ... seinerseits eine Aufgabe im Rahmen einer Auftragsverwaltung für den Bund
wahrnimmt.
2. Der Nachprüfungsantrag ist an die zuständige Vergabekammer des Landes ... zu
verweisen; § 83 VwGO, § 17 a GVG sind insoweit entsprechend anwendbar (so
auch OLG Bremen, Beschluss vom 17. August 2000, Verg 2/2000; Beschluss des
OLG Düsseldorf vom 18. Januar 2005, VII-Verg 104/04).
Die Vergabekammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil über die
Zulässigkeit und Begründetheit des Nachprüfungsantrages die Vergabekammer des
Landes ... zu entscheiden hat.
173 KG, Beschluss vom 13.09.2012 – Verg 4/12 (Rahmenvertrag)
Soweit die Antragstellerin nunmehr hilfsweise beanstandet, der Antragsgegner werde
künftige Einzelaufträge, die in Ausfüllung der Rahmenverträge zu vergeben sein werden, mutmaßlich nur der S... GmbH erteilen und die Antragstellerin von vornherein
außer Betracht lassen (vgl. Seiten 2 und 3 des Schriftsatzes vom 14.8.2012, Bd. I Bl.
155 und 156 d.A.), ist der Vergabenachprüfungsantrag unstatthaft.
Zwar würde die von der Antragstellerin befürchtete Vorgehensweise des
Antragsgegners eine unzulässige De-facto-Vergabe darstellen (vgl. Haak in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Aufl., § 4 VOL/A EG Rdnr. 54). Vergabenachprüfungsanträge in Bezug auf De-facto-Vergaben sind jedoch gemäß § 101b
Abs. 1 GWB nur statthaft, wenn eine De-facto-Vergabe bereits stattgefunden
hat (vgl. Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 101b Rdnr. 24). Präventive Vergabenachprüfungsanträge zur Verhinderung befürchteter, künftiger De-facto-Vergaben
314
sind dem Vergaberecht unbekannt. Hierauf hat der Senat bereits mit seiner Verfügung
vom 26.7.2012 hingewiesen (Bl. 143 d.A.).
174 OLG München, Beschluss vom 18.10.2012 –
Verg 13/12 (Hochschulcampus Garching)
Nach nationalem Recht haben die Vergabekammern zwar eine gerichtsähnliche
Stellung, sind aber keine Gerichte (OLG Brandenburg vom 7.8.2008 – Verg W
11/08 mit online-Anmerkung Gröning; OLG Celle vom 4.5.2001 – 13 Verg 5/00).
Die Auslegung des Begriffs „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV obliegt aber
nicht den nationalen Gerichten, sondern dem EuGH. Inzident hätte der EuGH
bei einer Befassung mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen daher
auch darüber zu befinden, ob eine deutsche Vergabekammer – im Gefüge des
deutschen Gerichts- und Rechtsmittelsystems – ein Gericht im Sinne des Art.
267 AEUV sein kann. Die Vergabekammer Südbayern geht davon aus, dass sie ein
Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV ist, der Senat sieht das nicht so. Doch wenn
eine Angreifbarkeit der Aussetzung samt Vorabentscheidungsersuchen und
eine Überprüfung durch den Senat als statthaft angesehen würde, könnte eine
abschließende europarechtliche Klärung dieser Frage unmöglich gemacht und
letztlich dem EuGH die Entscheidungsbefugnis über diese Frage genommen
werden. Daher kann zumindest für den Fall, dass mit der Aussetzung letztlich
auch die Befugnis von Vergabekammern zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH geklärt werden soll, eine Anfechtung eines solchen
Aussetzungsbeschlusses mit Vorabentscheidungsersuchen nicht als statthaft
angesehen werden. Hiervon kann auch keine Ausnahme für offensichtlich nicht
annahmefähige Ersuchen gemacht werden, da die Prüfung der Zulässigkeit und
Begründetheit von Vorlagebeschlüssen ebenfalls allein dem EuGH obliegt.
Stuft der EuGH eine deutsche Vergabekammer als Gericht im Sinne des Art. 267
AEUV ein, dann hätte der Senat keine Bedenken, die zivilprozessualen Überlegungen
auf das Nachprüfungsverfahren zu erstrecken, zumal es verschiedene Möglichkeiten
für einstweilige Regelungen gibt, wobei es dem Senat in diesem Zusammenhang
bewusst ist, dass im Falle von de-facto-Vergaben der einstweilige Rechtsschutz nur
schwer möglich sein dürfte. Stuft der EuGH eine deutsche Vergabekammer nicht als
Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV ein, ist die Frage europarechtlich abschließend
geklärt, so dass mit weiteren Vorabentscheidungsersuchen von Vergabekammern
nicht mehr zu rechnen wäre.
315
3.
Nachprüfungsverfahren – Gegenstand
175 VK Münster, Beschluss vom 08.06.2012 –
VK 6/12 (Erwerb und Betrieb Strom und Gasnetze)
Nach Wertung der Angebote erzielte die Beigeladene 91,3864 Punkte, während das
Angebot der Antragstellerin mit 57,7988 Punkten bewertet wurde.
Insbesondere erhielt die Beigeladene beim 1. Zuschlagskriterium (Sicherheit der
Netzübernahme) erheblich mehr Punkte als die anderen Bieter, da sie beabsichtigt
hinsichtlich des Netzerwerbs höhere Risiken zu übernehmen als beispielsweise die
Antragstellerin. Weiterhin erhielt die Beigeladene auch beim 2. Zuschlagskriterium
(Rendite des Gesamtprojekts) die meisten Punkte, weil ihr Angebot gemessen an der
Nettogewinnausschüttung besser eingestuft wurde.
II. 2. Die Antragsgegnerin ist Sektorenauftraggeberin iSv § 98 Nr. 4 GWB, weil sie
beabsichtigt, den Betrieb der Strom- und Gasnetze selbst zu erbringen.
(3) Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergibt sich aus § 107 Abs. 2 GWB. Sie hat
mit einem Angebot am Verfahren teilgenommen und hat reelle Chancen mit ihren
Anträgen eine Korrektur der Vergabeentscheidung zu bewirken, soweit sie mit
ihren Beanstandungen durchdringen sollte.
Gemäß § 104 Abs. 2 GWB sind aber auch „sonstige Ansprüche gegen öffentliche
Auftraggeber“ von den Vergabekammern im Rahmen der Nachprüfungsverfahren zu
prüfen. Als sonstige Ansprüche kommen die Bestimmungen aus §§ 19 und 20 GWB,
aus § 3 KAV und aus dem EnWG in Betracht.
Der BGH, 3.7.2008, I ZR 145/05 meinte dazu, dass das Kartellvergaberecht die zivilrechtlichen Ansprüche, die im Fall von Vergabeverstößen geltend gemacht werden
können, nicht abschließend regelt. Das GWB enthält für das Kartellvergaberecht kein
in sich abgeschlossenes Rechtsschutzsystem, das eine Verfolgung von Rechtsverstößen nach § 4 Nr. 11 UWG (so der BGH) ausschließt. Vielmehr setzt § 104 Abs. 2
GWB ausdrücklich voraus, dass wegen Vergabeverstößen neben § 97 Abs. 7 GWB
auch andere sonstige Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung gegen öffentliche
Auftraggeber bestehen. Die Vorschrift des § 104 Abs. 2 GWB begründet damit als
Spezialregelung für den Bereich des Kartellvergaberechts eine ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammern nur für den Primärrechtsschutz gegen den Auftraggeber.
Soweit ein Bieter gegen einen Mitbewerber vorgehen will, hat er § 104 Abs. 3 GWB
zu beachten. Geht ein Bieter aber gegen den öffentlichen Auftraggeber vor und beanstandet er die Verletzung „sonstiger Ansprüche“, so muss er diese im Wege eines
Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern geltend machen.
316
Die von den Vergabenachprüfungsinstanzen zu prüfenden „sonstigen Ansprüche“
können somit aus sehr unterschiedlichen Rechtsgebieten stammen, vgl. BGH, a.a.O
für den Bereich des UWG, vgl. OLG Düsseldorf, 19.12.2007, Verg 51/07 für den
Bereich des SGB, und Beschluss vom 13.8.2008, Verg 42/07 für den Bereich des
§ 107 GO NRW, VK Münster, 22.7.2011, VK 7/11 für den Bereich KrW-/AbfG.
Ausgehend von dieser Rechtsprechung, die die Kammer für zutreffend hält, können
vor einer Vergabekammer somit grundsätzlich auch Verstöße gegen das EnWG, den
§ 3 KAV und den §§ 19 und 20 GWB zur Überprüfung gestellt werden.
Als „sonstige“ Ansprüche außerhalb des Vergaberechts zu prüfen sind daher
nur solche, die einen Bezug zu einem Vergabeverfahren haben. Ob die kartellrechtlichen Bestimmungen der §§ 19, 20 GWB aufgrund des Beschleunigungsgrundsatzes davon grundsätzlich ausgenommen sein sollen, so Dittmann
a.a.O., lässt die Kammer vorliegend dahin gestellt. Denn nach Auffassung des OLG
Düsseldorf, vgl. u.a. 13.8.2008, Verg 42/07, sind „sonstige Ansprüche“ (aus anderen Rechtsgebieten) sehr wohl in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu prüfen,
soweit sie zeitlich mit der Vergabe zusammentreffen und sie Auswirkungen auf den
Wettbewerb haben.
Die Bildung eines Kartells iSv § 1 GWB liegt beispielsweise in der Regel vor dem
Beginn eines Nachprüfungsverfahrens. Auch im Bereich der Busdienstleistungen, die
nur betrieben werden können, wenn die obsiegenden Bieter über eine nach dem
PBefG erforderliche Konzession verfügen, handelt es sich um Genehmigungen, die
auf einer Stufe vor oder nach der Vergabe entschieden werden können, vgl. dazu OLG
Düsseldorf, 2.3.2011, Verg 48/10. Es fehlt in diesen Fällen bereits an einer zeitlichen
Einbindung in das Ausschreibungsverfahren.
Demgegenüber sind aber Schutzrechte aus anderen Vorschriften in die Prüfung einzubeziehen, soweit dadurch ein Verstoß gegen die Wettbewerbsgrundsätze bei der
Vergabe eines öffentlichen Auftrages konkret möglich erscheint, was insbesondere
dann der Fall sein kann, wenn bestimmte Anforderungen aus diesen Schutzgesetzen
mit der konkreten Ausschreibung verknüpft werden.
Vorliegend kann davon ausgegangen werden, dass sich diese Schutzrechte aus den
§§ 19 und 20 GWB, dem § 3 KAV und dem EnWG ergeben können, so dass jedenfalls zunächst für die Zulässigkeit festgestellt werden kann, dass die Verletzung solcher Bestimmungen als sonstige Ansprüche gegen einen öffentlichen Auftraggeber
auch in einem Nachprüfungsverfahren vor einer Vergabekammer gemäß § 104 Abs.
2 GWB geltend gemacht werden können. Ob tatsächlich ein Verstoß gegen diese
Bestimmungen vorliegt, der Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, ist eine Frage
der Begründetheit.
317
Sind die Leistungen und auch die übrigen Vertragsbestandteile so klar beschrieben, dass sie vom Bieter einheitlich verstanden werden müssen, ist insbesondere das sie treffende Risiko hinreichend deutlich dargestellt, verstoßen die
Vergabeunterlagen nicht gegen den Grundsatz der Transparenz, vgl. OLG Düsseldorf, 19.10.2011, Verg 54/11.
176 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2012 –
Verg 7/12 (Anti-Grippe-Impfstoffe)
2. Die kartellrechtlichen Einwände der Antragstellerin greifen nicht durch.
a) Es kann offen bleiben, ob derartige Einwände in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu prüfen sind.
Unionsrecht fordert dies nicht, schließt dies aber auch nicht aus. Art. 1 Abs. 1 UA 3
Richtlinie 89/665/EWG i.d.F. von Art. 1 Richtlinie 2007/66/EG nennt als Prüfungsgegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens „das Gemeinschaftsrecht im Bereich
des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die
dieses Recht umsetzen“. Unionsrecht schließt auch gemeinsame Beschaffungen
öffentlicher Auftraggeber nicht aus, sondern überlässt die Entscheidung darüber den
Mitgliedstaaten (vgl. Art. 1 Abs. 10 RL 2004/18/EG und Erwägungsgrund 15).
Die nationale Vorschrift des § 97 Abs. 7 GWB bezieht sich lediglich auf „ Bestimmungen über das Vergabeverfahren“. § 104 Abs. 2 GWB nennt als zu prüfende
Ansprüche auch „sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber, die auf die
Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet
sind“. Dies schließt auf Kartellrecht gestützte Ansprüche nicht von vornherein
aus. § 104 Abs. 3 GWB (der seinem Wortlaut nach im Übrigen die Zuständigkeit
der ordentlichen Gerichte nur für Schadensersatzansprüche aufrecht erhält)
begründet nur die – gegebenenfalls parallele – Zuständigkeit der ordentlichen
Gerichte und Kartellbehörden, schließt aber eine gleichzeitige Zuständigkeit der
Vergabenachprüfungsinstanzen ebenso wenig aus („bleiben unberührt“). Der
Senat ist bei seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Handlungen mehrerer Auftraggeber unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten nicht überprüft
werden können, wenn sie sich zeitlich vor Beginn des Vergabeverfahrens zugetragen
haben. Ob dieses Argument die daraus gezogene Schlussfolgerung trägt, dass kartellrechtliche Verstöße auf Auftraggeberseite – anders als Kartellverstöße von Bietern
(§ 2 EG Abs. 1, § 6 EG Abs. 6 VOL/A) – nicht Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens sein können, kann mit Recht diskutiert werden. Der Bundesgerichtshof
(Beschluss vom 18.01.2000 – KVR 23/98 S. 21 BA) hat in einer Nebenbemerkung
geäußert, das unter einem besonderen Beschleunigungsbedürfnis stehende Vergabeverfahren sei zur Klärung komplexer und bei einer Prüfung von Kartellrecht regel-
318
mäßig aufgeworfener Fragen der Marktabgrenzung und der Bewertung der Stellung
des Auftraggebers im fraglichen Markt nicht geeignet (ähnlich Dittmann, in Ziekow/
Völlink, a.a.O., § 104 GWB Rdnrn. 18 ff.). Soweit Scharen (GRUR 2009, 345) auf die
Zumutbarkeit von Ermittlungen des Auftraggebers bei der Vergabeentscheidung und
die sich daraus ergebenden Grenzen einer Nachprüfung verweist, bleibt unklar, ob dies
auch für Handlungen des Auftraggebers selbst und Tatsachen gilt, die in seiner Sphäre
liegen. Im Ergebnis könnte freilich einiges dafür sprechen, kartellrechtliche Verstöße des Auftraggebers, die ohne zeitaufwändige Untersuchung einwandfrei
festzustellen sind, in einem Vergabenachprüfungsverfahren zu berücksichtigen.
b) Die Antragsgegnerin verstößt jedenfalls nicht gegen Kartellrecht, soweit dieses
nach § 69 Abs. 2 SGB V auf sie Anwendung findet.
Soweit die Antragstellerin beanstandet hat, dass durch den Zusammenschluss der
einzelnen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft in Bayern ein marktstarker Nachfrager
aufgebaut werde, ist dies aus den von der Antragsgegnerin vor der Vergabekammer
vorgetragenen Gründen nicht der Fall. Auch wenn damit die gesetzlich Krankenversicherten in Bayern abgedeckt werden, ist der Marktanteil, gemessen an dem
in räumlicher Hinsicht bundesweit abzugrenzenden Markt, für die Annahme einer
marktbeherrschenden oder marktstarken Stellung der Antragsgegnerin zu gering. Mit
Rücksicht darauf, dass eine unterschiedliche Behandlung von Versicherten in Bayern
je nach Krankenkassenzugehörigkeit zu Schwierigkeiten führen könnte, die Gründe
für die Möglichkeit des Einsatzes individueller Kanülen nicht krankenkassenspezifisch
und gemeinsame Ausschreibungen durch mehrere Krankenkassen bereits in § 132e
Abs. 2 SGB V angelegt sind sowie zudem die Antragstellerin nicht geltend macht,
die Produktion – wenn auch unter Berücksichtigung einer gewissen Vorlaufzeit – auf
die Herstellung von Einwegspritzen ohne Kanüle nicht umstellen zu können, ist der
Nachfragezusammenschluss der gesetzlichen Krankenkassen in Bayern nicht als
kartellrechtswidrig anzusehen. Auch ist die Antragstellerin in der Beschwerdeschrift
darauf nicht mehr zurückgekommen.
4.
Nachprüfungsverfahren – Antragsgegner
177 OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 –
Verg 4/12 (Neubau einer Brücke)
1. Nach der Rücknahme des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin kann offen
bleiben, ob sich der Antrag gemäß § 108 GWB gegen den Freistaat Bayern oder
die Bundesrepublik Deutschland hätte richten müssen.
a) Zu der Rechtsfrage, ob bei Ausschreibungen von Bauleistungen für Autobahnen
bzw. Bundesfernstraßen durch Behörden eines Landes richtiger Antragsgegner
319
im Nachprüfungsverfahren das Land oder der Bund ist, werden in der Rechtsprechung unterschiedliche Meinungen vertreten. Eine Reihe von Oberlandesgerichten stützt sich auf verwaltungs- bzw. verfassungsrechtliche Erwägungen. Sie vertreten den Standpunkt, das Land führe im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung
die Ausschreibung in eigener Verantwortung durch (Prinzip des landeseigenen
Vollzugs von Bundesgesetzen), weswegen sich auch der Nachprüfungsantrag
gegen das Land zu richten habe (OLG Brandenburg vom 19.02.2008, Verg W
22/07; OLG Düsseldorf vom 14.09.2009, VII-Verg 20/09 und vom 25.11.2009,
VII-Verg 27/09, Rn. 43, 44 zitiert nach juris; OLG Koblenz vom 10.06.2010, 1 Verg
3/10 und OLG Celle vom 06.06.2011, 13 Verg 2/11). Demgegenüber hält der
Senat die zivilrechtlichen Vertragsbeziehungen für maßgeblich. Auch wenn
das Vergaberecht für den öffentlichen Auftraggeber bei Beschaffungsvorgängen besondere Verpflichtungen und Regelungen statuiert, ist sowohl
das vorvertragliche Schuldverhältnis als auch der Vertrag selbst, der durch
den Zuschlag zustande kommt, dem Zivilrecht zuzuordnen. Werden im Rahmen der Vergabe des öffentlichen Auftrags Rechte des Bieters bzw. Bewerbers
verletzt, begründet dies einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2
BGB (früher cic) (vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB,
2. Aufl., Rn. 121 zu § 99 GWB). Dieser Anspruch richtet sich gegen den Rechtsträger, mit dem der öffentliche Auftrag zustande gekommen ist bzw. bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise zustande gekommen wäre. Ihm ist das Handeln der
Stellen zuzurechnen, die bei der Ausschreibung und Zuschlagsentscheidung für
ihn tätig sind. Nach den eindeutigen Vorgaben der Ausschreibung wird vorliegend
nicht der Freistaat Bayern, sondern die Bundesrepublik Deutschland Vertragspartner im Falle eines Zuschlags. Sie wird vom Freistaat Bayern bzw. seinen Behörden
beim Vertragsschluss vertreten. Berechtigt und verpflichtet aus dem Vertrag ist
demnach der Bund und nicht das Land (vgl. auch BGH vom 22.10.2010, Az. VII
ZR 129/09: Klage eines Bieters gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Mehrvergütung wegen verzögertem Vergabeverfahren). Dies schließt auch die Rechte
und Pflichten im vorvertraglichen Verhältnis ein, weswegen nach Meinung des
Senats die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch den Freistaat Bayern,
dieser vertreten durch die Autobahndirektion S.) öffentlicher Auftraggeber gemäß
§ 98 GWB und richtiger Antragsgegner des Nachprüfungsverfahrens im Sinne
von § 108 Abs. 2 GWB ist. Der Senat kann sich nicht der Auffassung der Antragstellerin anschließen, dass die verfassungsrechtlichen Vorschriften zur Bundesauftragsverwaltung einer solchen Betrachtungsweise entgegenstehen. Die Bundesauftragsverwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass den Ländern schon nach
der Ausgestaltung dieses Verwaltungstyps in Art. 85 GG nur die Wahrnehmungskompetenz uneingeschränkt zusteht. Die Sachkompetenz ist ihnen von vornherein nur unter dem Vorbehalt zugewiesen, dass nicht der Bund die konkurrierende
Sachkompetenz in Anspruch nimmt, die ihm nach Art. 85 Abs. 3 GG in Gestalt
einer umfassenden Weisungsbefugnis zusteht (vgl. BVerfG vom 04.05.2010, 2
BvL 8/07 m.w.N.). Weswegen der Rechtsträger, der Vertragspartner wird und
320
der auch in sachlicher Hinsicht die Entscheidungshoheit behält, nicht auch im
gerichtlichen Nachprüfungsverfahren als Antragsgegner die Verantwortung für die
Ordnungsmäßigkeit der Ausschreibung übernehmen soll, ist nicht einsichtig. Aus
§ 106 a Abs. 2 GWB lässt sich in dieser Frage ebenfalls nichts Entscheidendes
ableiten. Die Vorschrift bestimmt, dass für Nachprüfungsverfahren in Angelegenheiten der Bundesauftragsverwaltung die Vergabekammern der Länder zuständig
sind. Ob damit das Land (so Portz in Kulartz/Kus/Portz, Rn. 18 zu § 106 a GWB)
oder der Bund richtiger Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren ist, bleibt offen.
Auch die Gesetzesmaterialien zu § 106 a GWB (BT-Drucksache vom 13.06.2008,
BT 16/10112) enthalten hierzu keinerlei Erwägungen.
Nachdem der Nachprüfungsantrag letztlich zurückgenommen wurde, kann die Streitfrage jedoch dahinstehen. Auch von einer Rubrumsberichtigung sieht der Senat
angesichts der kontroversen Standpunkte im Verfahren und den abweichenden Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte ab.
b) Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass er den Nachprüfungsantrag der
Antragstellerin unabhängig von der Frage, wer richtiger Antragsgegner ist,
nicht für unzulässig hält. Die Anforderungen an einen Nachprüfungsantrag,
der unter hohem Zeitdruck gestellt werden muss, dürfen nicht überspannt
werden. Ungewissheiten hinsichtlich des Auftraggebers sind von Amts
wegen aufzuklären und gehen nicht zu Lasten des Bieters (vgl. Möllenkamp
in Kulartz/Kus/Portz, 2. Aufl., Rn. 18 zu § 108 GWB), zumal, wie auch das streitgegenständliche Verfahren zeigt, die richtige Bezeichnung des Antragsgegners
äußerst schwierig sein kann. Es ist deshalb anerkannt und entspricht gängiger
Übung, dass sich der Bieter im Nachprüfungsantrag darauf beschränken
kann, die – zweifelsfrei nicht passivlegitimierte – Vergabestelle als Antragsgegner zu nennen. Selbst bei anwaltlich vertretenen Bietern steht dies der
Zulässigkeit des Verfahrens nicht entgegen, sofern sich aus der Antragsschrift
bzw. den Anlagen zweifelsfrei ergibt, welcher konkrete Beschaffungsvorgang
bzw. welche Ausschreibung zur Überprüfung gestellt wird. Die Vergabekammer
oder der Senat berichtigen dann von Amts wegen das Rubrum. Vorliegend wurde
im Nachprüfungsantrag die richtige Vergabestelle genannt, auch gab es keinerlei
Zweifel, welcher Beschaffungsvorgang und welche Ausschreibung im Streit stehen. Eindeutig richtete sich der Nachprüfungsantrag gegen den verantwortlichen
Rechtsträger, für den die Vergabestelle gehandelt hat. Dass die Antragstellerin in
Übereinstimmung mit zahlreichen Oberlandesgerichten und Literaturmeinungen
das Land als Antragsgegner bezeichnet hat, hält der Senat für unschädlich, zumal
hilfsweise auf den Hinweis der Kammer hin eine Auslegung angeregt wurde.
321
5.
Nachprüfungsverfahren – Antragsbefugnis
(§ 107 Abs. 2 GWG)/Kausalität von Vergabefehlern
178 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012 – VII-Verg 75/11
(Unterhaltsreinigung, Außenreinigung, Winderdienst)
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer ist zulässig und begründet. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der
Antragstellerin zu Unrecht wegen fehlender Antragsbefugnis als unzulässig zurückgewiesen. Infolgedessen ist der Antragsgegnerin die Erteilung eines Zuschlags zu
untersagen. Bei fortbestehender Vergabeabsicht hat sie das Vergabeverfahren erneut
europaweit bekannt zu machen und das offene Verfahren zu wählen.
I.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Es soll ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag vergeben werden, der den maßgeblichen Schwellenwert überschreitet (§§ 99,100 Abs. 1 GWB).
1. Die Antragstellerin ist entgegen der Auffassung der Vergabekammer gemäß § 107
Abs. 2 GWB antragsbefugt. Ein Antragsteller muss grundsätzlich ein Interesse
am Auftrag darlegen, eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen, sowie
einen entstandenen oder drohenden Schaden durch die behauptete Rechtsverletzung vortragen. Die Antragsbefugnis erfüllt allerdings nur die Funktion
eines groben Filters, dem die Aufgabe zukommt, von vornherein eindeutige
Fälle, in denen eine Auftragsvergabe für den Antragsteller aussichtslos ist,
auszusondern. Gegen die Antragsbefugnis kann nicht eingewandt werden,
das Angebot des Antragstellers sei von der Wertung, aus welchen Gründen
auch immer, zwingend auszuschließen, denn dies ist eine Frage der Begründetheit des Nachprüfungsantrag (Dicks, in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 107
Rn. 9).
Wie der Senat bereits im Beschluss vom 25. August 2011 und in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2012 ausgeführt hat, musste die Antragstellerin ihr Interesse
am Auftrag nicht durch die Abgabe eines Angebots dokumentieren, weil es sich bei
der Wahl der falschen Verfahrensart um einen gewichtigen Vergaberechtsverstoß handelt. In diesem Fall reicht es aus, wenn das Interesse am Auftrag durch eine vorprozessuale Rüge und den abschließenden Nachprüfungsantrag dokumentiert wird (Dicks,
a.a.O., § 107, Rdnr. 12 u. 16). Es ist nämlich weder gerechtfertigt noch zumutbar,
von einem Antragsteller zur Darlegung seiner Antragsbefugnis die Einreichung eines
Angebots zu verlangen, dessen Grundlagen er im Vergabenachprüfungsverfahren als
rechtswidrig bekämpft, so dass bei einem Erfolg des Nachprüfungsbegehrens die zur
Angebotserstellung aufgewendete Zeit und Mühe als unnötig vertan erscheinen muss
(siehe auch: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.07.2003 – Verg 26/03).
322
Die Antragstellerin ist möglicherweise auch in eigenen Rechten verletzt. Die
Antragstellerin hat die Wahl des nicht offenen Verfahrens anstatt des offenen
Verfahrens als vergaberechtswidrig beanstandet. Die Wahl des nicht offenen
Verfahrens führt dazu, dass nicht alle interessierten Bieter ein Angebot abgeben
können, sondern nach Festlegung der Antragsgegnerin höchstens zehn Bieter
zur Angebotsabgabe aufgefordert werden.
Die Antragstellerin hat weiter dargelegt, dass ihr die Entstehung eines Schadens droht.
Es reicht aus, wenn ein Antragsteller in einem neuen, ordnungsgemäßen Vergabeverfahren bessere Chancen haben könnte oder sich seine Aussichten im beanstandeten
Vergabeverfahren verschlechtert haben könnten. Es kommt dagegen nicht darauf an,
ob der Antragsteller bei einer korrekten Durchführung des Vergabeverfahrens den
Zuschlag erhalten oder zumindest eine reelle Chance darauf haben würde (Dicks,
a.a.O., § 107, Rdnr. 22f, 25). Die Aussichten der Antragstellerin können sich durch
die Wahl des nicht offenen Verfahrens schon deshalb verschlechtern, weil nach
den Ausschreibungsbedingungen möglicherweise nur Bieter ausgewählt und
zur Angebotsabgabe aufgefordert worden wären, die zahlreiche (bis zu acht)
Referenzen vorgelegt haben, sodass die Antragstellerin, die so viele Referenzen
nicht beibringen kann, durch die Wahl der Verfahrensart davon bedroht ist, zu
einer Angebotsabgabe nicht zugelassen zu werden.
179 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2012 – Verg 3/12
(Bereitstellung und Bewertung von Nachrichtenmeldungen)
e) Die der Antragstellerin gegebene Bieterinformation und die Angebotswertung deuten allerdings darauf hin, dass die Vergabestelle – einigermaßen
unbegreiflich – trotz der ihr Insoweit durch den Senatsbeschluss vom
10.8.2011 (VII-Verg 36/11, BA 10 f. m.w.N.) zuteil gewordenen gegenteiligen
Belehrung bei der erneuerten Wertung weiterhin Eignungsmerkmale für die Vergabeentscheidung herangezogen hat (insbesondere Erfahrungen und Kenntnisse
der Bieter). Dies veranlasst ausnahmsweise jedoch keine Korrektur am Vergabeverfahren, denn dadurch sind die Auftragschancen der Antragstellerin
unzweifelhaft nicht beeinträchtigt worden (vgl. zu diesem Element der Begründetheitsprüfung bei Nachprüfungsanträgen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2010
– VII-Verg 47/10; Beschl. v. 15.6.2010 VII-Verg 10/10; Beschl. v. 14.4.2010 – VHVerg 80/09, IBR 2010, 580, 582 VergabeR 2011, 78; OLG München, u.a. Beschl.
v. 21.5.2010 Verg 2/10, VergabeR 2010, 992; ebenso: 1. Vergabekammer des Bundes im angefochtenen Beschluss vom 9.1.2012 – VK 1-162/11, BA 19; Herrmann,
VergabeR 2011, 2 ff.; a.A. Müller-Wrede, NZBau 2011, 650; Mantler, VergabeR
2011, 82, 83 f.). Die Antragstellerin ist nach eigenem, unbestrittenem Vorbringen
der größte unabhängige Informationsdienstleister in Deutschland und mit besten
strukturellen Unternehmensvoraussetzungen für die Ausführung des Auftrags
sowie ais bisheriger Auftragnehmer zudem mit Vorkenntnissen und Erfahrungen
323
ausgestattet. Davon ausgehend ist die Antragstellerin durch eine erneute, vergaberechtlich unzulässige Bewertung von Eignungsmerkmalen (mithin aufgrund
einer Rechtsverletzung) bei den Aussichten, den Auftrag zu erlangen, nicht
schlechter gesteift, sondern gegenüber der Beigeladenen begünstigt worden,
weil diese nicht in gleichem Maß wie die Antragstellerin über die für die Auftragsausführung benötigten Strukturen und Ressourcen sowie über Erfahrungen und
(Vor)Kenntnisse verfügt.
180 VK Brandenburg, Beschluss vom 18.04.2012 –
VK 9/12 (Fäkalwasser und Fäkalschlamm)
Der Auftraggeber schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom
... 2011 das Absaugen und Transportieren von Fäkalwasser und Fäkalschlamm aus den
privaten Kleinkläranlagen und Sammelgruben im Einzugsgebiet des ... für den Zeitraum ... 2013 bis ... 2015 mit der Option der möglichen dreimaligen Verlängerung im
Offenen Verfahren europaweit aus. Als Zuschlagskriterium benannte der Auftraggeber
den niedrigsten Preis, Ziff. IV.2.1) der Bekanntmachung.
II. 2. Das Nachprüfungsverfahren dient nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle und der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der objektiven
Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens an sich. Sein einziger Zweck ist es,
einem am Auftrag interessierten Unternehmen die Möglichkeit zu geben,
den Auftraggeber zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen, das notwendig ist, um einen wegen eines Fehlers des Auftraggebers dem Antragsteller
entstandenen oder drohenden Schaden zu beseitigen bzw. zu verhindern.
Im Hinblick auf diesen Zweck ist ein Nachprüfungsantrag gemäß § 107 Abs. 2
GWB dann zulässig, wenn ein Unternehmen ein Interesse am Auftrag hat und
eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend macht, und
wenn es ferner darlegen kann, dass ihm durch die behauptete Verletzung der
Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Antragsteller schlüssig behauptet,
dass und welche vergaberechtlichen Vorschriften verletzt worden sein sollen und
dass er ohne die Rechtsverletzung eine Chance auf Erteilung des Zuschlags hätte,
sodass der behauptete eingetretene oder drohende Schaden auf die Verletzung
vergaberechtlicher Vorschriften zurückzuführen ist (OLG Brandenburg, Beschluss
vom 3. November 2011 – Verg W 4/11 m.w.N.).
Die Antragstellerin hat zwar ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe ihres Angebotes dokumentiert. Sie kann aber nicht mit Erfolg geltend machen, dass ihr durch
eine etwaige Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften ein Schaden entstanden
ist oder zu entstehen droht. Ein Schaden würde dann drohen, wenn die Chancen
der Antragstellerin auf den Zuschlag durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß
verschlechtert worden sein könnten. Das ist – auch bei Anlegung eines nicht allzu
324
strengen Maßstabes an die in § 107 Abs. 2 GWB genannten Voraussetzungen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004 – 2 BvR 2248/03; BGH, Beschluss vom 1.
Februar 2005 – X ZB 27/04) – hier nicht der Fall. Die Antragstellerin hat ihrer Darlegungslast nicht genügt, weil nach ihrem Vorbringen ein Schadenseintritt offensichtlich
ausgeschlossen ist.
Einziges Zuschlagskriterium ist vorliegend der niedrigste Preis. Es ist weder
durch die Antragstellerin schlüssig dargelegt noch sonst ersichtlich, inwieweit durch das vorgetragene Verhalten des Auftraggebers ihre Chancen auf
den Zuschlag eingeschränkt oder negativ beeinflusst worden sein könnten.
Maßgeblich für die von der Antragstellerin beanstandete Schlechterstellung ist die
Bewertung ihres Angebotes anhand des bekannt gegebenen Zuschlagskriteriums.
Die Antragstellerin hat den Zuschlag deshalb nicht erhalten, weil ihr Angebot durch
den Auftraggeber nicht als das mit dem niedrigsten Angebotspreis ermittelt worden war. Gegen die Wertungsentscheidung anhand des niedrigsten Preises wendet
sich die Antragstellerin weder mit ihrem Rügevorbringen, noch mit dem Inhalt ihres
Nachprüfungsantrages. Wertungsfehler, die auch die Wertung des derzeit auf Rang
1 platzierten Angebots beeinflusst hätten können, hat die Antragstellerin ebenfalls
nicht dargelegt.
181 VK Bund, Beschluss vom 21.06.2012 –
VK 3-57/12 (Grippeimpfstoffe)
II. Der Nachprüfungsantrag ist größtenteils zulässig, aber unbegründet.
bb) Überwiegend kann die ASt auch eine Verletzung in eigenen Rechten geltend
machen. Die Prüfung der Antragsbefugnis ist bei fehlendem Angebot auf
solche Vergaberechtsverstöße beschränkt, die sich tatsächlich auf die
Behinderung bei der Erstellung und Abgabe des Angebotes beziehen. Damit
scheiden grundsätzlich die Beanstandungen aus, die sich auf die Behandlung der von den Mitbewerbern vorgelegten Angebote beziehen (VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2012 – 1/SVK/050-11). Mangels eines eigenen Angebotes ist die ASt durch die behaupteten Verstöße, es habe keine ausreichende
Eignungsprüfung der Nachunternehmer stattgefunden und der Ausschluss der
Nachforderungsmöglichkeit von Unterlagen nach § 19 Abs. 2 EG VOL/A sei vergaberechtswidrig, nicht betroffen. Die ASt hat auch nicht dazu vorgetragen, warum
sie im Falle einer Angebotsabgabe durch diese Bestimmungen in eigenen Rechten verletzt sein könnte.
Daneben ist fraglich, ob die ASt – die Richtigkeit ihres Vortrages unterstellt – die
Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB geltend macht, soweit sie die
gemeinsame Ausschreibung der Ag als kartellrechtswidrig angreift. In der der ASt
bekannten Entscheidung der erkennenden Vergabekammer vom 20. März 2009 (VK 3 –
325
22/09, dort S. 34 ff. m.w.N.) ist bereits ausführlich dargelegt worden, dass das Kartellverbot (§ 1 GWB) und das Verbot des Missbrauches einer marktbeherrschenden
Stellung (§§ 19, 20 GWB) keine Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Sinne
des § 97 Abs. 7 GWB sind.
6.
Nachprüfungsverfahren – Akteneinsicht
182 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.02.2012 –
11 Verg 11/11 (Neubau Tunnel)
Nach dem Sach- und Streitstand ist davon auszugehen, dass die Vertreter der Antragstellerin im Beisein des Vorsitzenden der VK I Akteneinsicht nehmen konnten und der
Angebotsteil „Anlage für Bietereintragungen“ nicht von der Akteneinsicht umfasst
sein sollte, aber dennoch – wohl infolge eines Versehens – den Vertretern der Antragstellerin und deren Verfahrensbevollmächtigten zugänglich gemacht wurde. Unter diesen Umständen besteht kein Verwertungsverbot, auch wenn die VK andernfalls eine
so weit gehende Akteneinsicht möglicherweise nicht gewährt hätte. Gewährt die VK
eine über das gebotene Maß hinausgehende Akteneinsicht, so hat dies im Nachprüfungsverfahren keine weiteren Folgerungen für ein Verwertungsverbot (Dreher in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. § 11 Rn. 21). Dieser Ansicht folgt der
Senat jedenfalls für einen Fall wie hier, wo die erlangten Kenntnisse zumindest
keinen hochsensiblen Bereich wie etwa Kalkulationsunterlagen betreffen, sondern technische Daten zur Ermittlung der Vortriebsgeschwindigkeit. Derartige
Daten sind nicht in jedem Fall und zwingend von der Akteneinsicht ausgenommen und
können einem Mitbieter auch unter anderen Umständen zugänglich gemacht werden,
etwa bei der Einsicht in einen Vergabevermerk.
Der Senat gelangt daher nach Abwägung aller für und gegen ein Verwertungsverbot
sprechenden Umstände zu der Überzeugung, dass ein Verwertungsverbot im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt erscheint.
7.
Nachprüfungsverfahren – Entscheidungsinhalt
183 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.02.2012 –
1 VK 07/11 (Neubau Kläranlage Lubmin)
III. Gemäß § 114 Absatz 1 Satz 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten
Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der
betroffenen Interessen zu verhindern; dabei ist sie an die Anträge der Verfahrensbeteiligten nicht gebunden (§ 114 Absatz 1 Satz 2 GWB).
326
§ 114 GWB vermittelt der Vergabekammer damit einen weiten Entscheidungsraum,
der nur innerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Schranken findet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2003, Az.: Verg 64/02; OLG Stuttgart, Beschluss vom
28.11.2002, Az.: 2 Verg 14/02). Die Vergabekammer kann alles unternehmen, was
für die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens erforderlich ist. Die Maßnahme muss
jedoch geeignet sein, die Rechtsverletzung zu beseitigen, gleichzeitig aber auch
das mildeste Mittel hierfür sein (VK Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2007, Az.:
VK-23/2007-B; 1. VK Sachsen, Beschluss vom 24.03.2011, Az.: 1/SVK/005-11; VK
Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.06.2011, Az.: VK-SH 07/11; VK Südbayern,
Beschluss vom 24.08.2010, Az.: Z3-3-3194-1-31-05/10; Beschluss vom 17.06.2009,
Az.: Z3-3-3194-122- 05/09; allgemeine Auffassung).
Nach Lage der Dinge kann die Vergabekammer nicht dem Hauptantrag der
Antragstellerin folgen, den Antragsgegner anzuweisen, ihr den Zuschlag zu
erteilen. Die Vergabekammern sind im Rahmen ihrer Entscheidungen grundsätzlich nicht befugt festzustellen, welchem Bieter der Zuschlag zu erteilen ist
(VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.05.2009, Az.: 1 VK 21/09; 2. VK Bund,
Beschluss vom 04.05.2001, Az.: VK 2-12/01; 3. VK Bund, Beschluss vom 24.01.2011,
Az.: VK 3-150/10; 1. VK Sachsen, Beschluss vom 01.10.2002, Az.: 1/SVK/084-02). Nur
in Ausnahmefällen, in denen unter Beachtung aller dem Auftraggeber zustehenden
Wertungs- und Beurteilungsspielräume die Erteilung des Zuschlags an den Antragsteller die einzige rechtmäßige Entscheidung ist, kann eine dementsprechende Anweisung
der Vergabekammer an den Auftraggeber in Betracht kommen – Reduzierung des
Handlungs-, Wertungs- und Beurteilungsspielraums auf Null – (OLG Celle, Beschluss
vom 10.01.2008, Az.: 13 Verg 11/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.2005,
Az.: VII-Verg 19/05; Beschluss vom 27.04.2005, Az.: VII-Verg 10/05; Beschluss vom
30.5.2001, Az.: Verg 23/00; OLG München, Beschluss vom 29.07.2010, Az.: Verg
09/10). Einem Ausspruch auf Zuschlagserteilung steht auch entgegen, dass nach
der Rechtsprechung des BGH ein Bieter keinen Anspruch darauf hat, dass in einem
Vergabeverfahren ein der Ausschreibung entsprechender Auftrag erteilt wird (BGH,
Beschluss vom 18.2.2003, Az.: X ZB 43/02; Urteil vom 05.11.2002, Az.: X ZR 232/00).
Von daher kann die Vergabekammer im Wesentlichen nur dem Hilfsantrag der Antragstellerin entsprechen, die Wertung der Angebote unter Beachtung der Auffassung der
Vergabekammer zu wiederholen, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens wieder herzustellen und den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.
184 OLG München, Beschluss vom 31.01.2013 –
Verg 31/12 (Ortsumgehung L.-K.)
Der Senat lässt dahingestellt, ob der Antrag der Antragstellerin auf Feststellung der
Unwirksamkeit des zwischen der Beigeladenen und den Antragsgegnern abgeschlossenen Vertrages deshalb unwirksam ist, weil sich die Antragstellerin nicht mehr auf die
Rüge der verletzten Informationspflicht nach § 101a GWB berufen kann.
327
a) Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass der zwischen der Beigeladenen
und den Antragsgegnern geschlossene Vertrag gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB
für unwirksam erklärt wird. Von den beiden in § 101 b Abs. 1 GWB genannten
Alternativen kommt hier lediglich § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB in Betracht, weil der
Antragsgegner ein Vergabeverfahren durchgeführt hat. Auch wenn dieses Verfahren fehlerhaft nicht europaweit, sondern nur national durchgeführt worden ist,
liegt ein Fall der de-facto-Vergabe nicht vor.
b) § 101a GWB ist auch in den Fällen zu beachten, in denen die Vergabestelle fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass eine europaweite Ausschreibung nicht erforderlich ist (Braun in Ziekow/Völlink Vergaberecht § 101a GWB Rn. 24). Der Grund
liegt darin, dass die Rechte und letztlich der Primärrechtsschutz der Bieter durch
eine fehlerhafte Handlungsweise des Auftraggebers nicht geschmälert werden
soll, wenn eine Auftragsvergabe im Oberschwellenbereich vorliegt. Die Rüge der
fehlenden Vorabinformation hat die Antragstellerin auch unverzüglich erhoben;
auf die Streitfrage, ob nach dem Urteil des EuGH vom 28.1.2010 (C-406/08) § 107
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB überhaupt noch angewandt werden kann, kommt es
daher nicht an.
c) Der Senat lässt es offen, ob sich die Antragstellerin auf die Rüge der fehlenden
Information nach § 101a GWB noch berufen kann. Die Antragstellerin hat nicht
gerügt, dass die Ausschreibung zu Unrecht nach nationalen Regeln vonstatten
gegangen ist. Die Vergabekammer hat angenommen, dass die Antragstellerin mit
der Rüge der fehlenden europaweiten Ausschreibung präkludiert sei, da sie diese
Rüge spätestens mit Angebotsabgabe hätte erheben müssen, weil ihr zu diesem
Zeitpunkt die Überschreitung des Schwellenwertes bekannt gewesen sei. Da sie
die Nichtanwendung des Vierten Teils des GWB wegen der Präklusion nicht mehr
rügen könne, könne sie folgerichtig auch nicht mehr nach § 101b GWB vorgehen.
Wenn die Antragstellerin eine Rügepflicht bis zur Angebotsabgabe gehabt hätte, hätte
sie sich allerdings nicht auf eine Verletzung der Informationspflicht nach § 101a GWB
berufen können. Sinn der Rügepflicht ist es u.a., dem Auftraggeber eine Heilung des
gerügten Mangels zu ermöglichen. Außerdem soll vermeiden werden, dass sich ein
Bieter zunächst auf ein vergaberechtswidriges Verfahren einlässt und dann, wenn der
Zuschlag auf das eigene Angebot nicht erteilt wird, eine Rüge erhebt. Eine solche
Rüge wäre rechtsmissbräuchlich, § 242 BGB; sie widerspricht, wie es bereits die Vergabekammer ausgeführt hat, den gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten in einem
vorvertraglichen Pflichtenverhältnis. Voraussetzung für eine Präklusion mit der Rüge
der fehlenden europaweiten Ausschreibung wäre aber, dass die Antragstellerin die
Überschreitung des Schwellenwertes für die restliche Baumaßnahme gekannt und
sie zusätzlich rechtlich gewusst hätte, dass es sich bei den einzelnen Ausschreibungen um eine Gesamtbaumaßnahme gehandelt hat. Denn mit der ausgeschriebenen
Baumaßnahme alleine wurde der Schwellenwert nicht überschritten. Der Senat lässt
diese Frage offen.
328
4. Der Feststellungsantrag der Antragstellerin ist jedenfalls nicht begründet. Da ihr
Angebot zwingend auszuschließen ist, weil es den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses nicht entspricht, haben sich die fehlende europaweite Ausschreibung und die fehlende Vorabinformation nicht zu ihren Lasten ausgewirkt.
a) Nach § 101 b Abs. 1 Nr. 1 GWB ist ein Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn
der Zuschlag unter Verstoß gegen § 101 a GWB erteilt wird. Doch kann ein Feststellungsantrag eines Bieters nur dann begründet sein, wenn sich dieser Verstoß
auch zu seinen Lasten ausgewirkt hat, er also kausal in seinen Rechten verletzt
worden ist, oder dies zumindest nicht auszuschließen ist. Das Nachprüfungsverfahren dient auch bei derartigen Fallkonstellationen nicht einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern dem Individualschutz des einzelnen Bieters. Eine
rein „abstrakte“ Unwirksamkeitserklärung würde dazu führen, dass ein Bieter,
der auch bei einer ordnungsgemäßen Vorabinformation keine Aussicht auf
den Zuschlag gehabt hätte, eine neue Ausschreibung veranlassen könnte.
Er könnte damit, auch wenn die Nichtberücksichtigung seines Angebotes zu
Recht erfolgt ist, durch ein neues Ausschreibungsverfahren seine Position
verbessern, indem er nun ein geändertes Angebot vorlegt. Das ist nicht der
Sinn eines Nachprüfungsverfahrens. Dieses soll einem zu Unrecht nicht berücksichtigten Bieter die Möglichkeit verschaffen, zu einer rechtmäßigen Berücksichtigung seines Angebotes und gegebenenfalls zum Zuschlag zu gelangen. Hat sich
aber der Vergaberechtsverstoß nicht kausal für den Bieter ausgewirkt, ist also
sein Angebot auch bei ordnungsgemäßem Ablauf des Nachprüfungsverfahrens
aus anderen Gründen zu Recht nicht berücksichtigt worden, ist er im Endergebnis
in seiner Rechtsposition nicht beeinträchtigt; er hat weder einen Anspruch auf
eine Wiederholung oder Neudurchführung des Ausschreibungsverfahrens noch
auf eine Feststellung nach § 101 b Abs. 2 GWB.
8.
Verfahren der sofortigen Beschwerde (§§ 116 ff. GWB)
185 OLG Naumburg, Beschluss vom 13.02.2012 –
2 Verg 14/11 (Beschwerderücknahme)
Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2012 ihre sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt vom 19. Oktober 2011 zurückgenommen. Die
Rücknahme der sofortigen Beschwerde nach § 116 GWB ist entgegen der Auffassung
des Antragsgegners ohne Einwilligung des Verfahrensgegners wirksam.
a) Nach den Verfahrensregelungen des GWB steht die Rücknahme der sofortigen Beschwerde in jeder Lage des Beschwerdeverfahrens zur freien Disposition des Beschwerdeführers, solange und soweit noch eine formell
rechtskräftige Entscheidung des Vergabesenats über sie aussteht. Eine
329
Einschränkung der Rücknahmemöglichkeit – wie sie beispielsweise § 269
Abs. 1 ZPO für die Rücknahme einer Klage vorsieht – enthält das GWB
nicht (vgl. entsprechende Erwägungen zur Rücknahme des Nachprüfungsantrages BGH, Beschluss v. 24.03.2009, X ZB 29/08 „Antragsrücknahme im
Beschwerdeverfahren“, VergabeR 2009, 607; ausdrücklich für die Rücknahme der
sofortigen Beschwerde in der mündlichen Verhandlung Thüringer OLG, Beschluss
v. 22.08.2002, 6 Verg 3/02; OLG München, Beschluss v. 21.09.2010, Verg 15/10;
ebenso Wiese in: Kulartz/ Kus/ Portz, GWB, § 120 Rn. 48; Dicks in: Ziekow/ Völlink, VergabeR, § 116 GWB Rn. 4 m.w.N.; Stickler in: Reidt/ Stickler/ Glahs, GWB,
3. Aufl. 2011, § 116 Rn. 27). Damit fehlt es bereits an einer Rechtfertigung der
Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers.
b) Selbst wenn man es grundsätzlich für zulässig hielte, eine solche Beschränkung
aus einer Gesetzesanalogie herzuleiten, bestünde kein Zustimmungserfordernis.
Für eine entsprechende Anwendung wäre auf § 516 Abs. 1 und 2 ZPO zurückzugreifen (vgl. Dicks, a.a.O.; Summa in: juris-PK, 2. Aufl. 2008, § 116 Rn. 55). Denn
die Rücknahme der sofortigen Beschwerde ähnelt – wie auch die Rücknahme eines
Antrags nach § 115 Abs. 2 S. 5 GWB oder eines Antrags nach § 115 Abs. 2 S. 6
GWB – wegen ihrer Ausgestaltung als ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung
der Vergabekammer nicht der Rücknahme einer Klage, sondern der Rücknahme
einer Berufung. Dies gilt trotz des Umstandes, dass das Nachprüfungsverfahren
vor der Vergabekammer kein erstinstanzliches (also kein gerichtliches) Verfahren
darstellt (vgl. OLG München, a.a.O.). Die Erhebung einer sofortigen Beschwerde
ist – anders als regelmäßig eine Klage – fristgebunden; sie kann nur innerhalb
kurzer Zeit erfolgen. Daraus folgt auch, dass der Beschwerdegegner im Falle der
Rücknahme der sofortigen Beschwerde nicht jederzeit einer erneuten Anbringung
ausgesetzt ist. Vielmehr wird durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde
die zuvor ergangene Entscheidung der Vergabekammer, die der Beschwerdegegner akzeptiert hatte, bestandskräftig und vollstreckbar.
Eines besonderen Schutzes bedarf ein Beschwerdegegner, anders als ein Beklagter,
nicht. Für die Ähnlichkeit zu einer Berufung spricht auch die allgemein für statthaft erachtete Möglichkeit der (unselbständigen) Anschließung. Die Anschlussbeschwerde ist
wegen ihrer Struktur, ihrer Funktion und vor allem wegen ihrer Beschränkungen
nicht etwa mit einer Widerklage, sondern nur mit einer Anschlussberufung vergleichbar. In der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Kostenlast im Beschwerdeverfahren wurde vor der Aufnahme des § 78 GWB in die Verweisungsnorm des
§ 120 Abs. 1 GWB zuletzt einheitlich auf § 97 ZPO, also die Kostenvorschrift für das
Rechtsmittelverfahren, zurückgegriffen (vgl. nur BGH, Beschluss v. 19.12.2000, X ZB
14/00, BGHZ 146, 202). Auch die Kostenentscheidung bei Rücknahme der sofortigen
Beschwerde wurde und wird im Allgemeinen auf eine entsprechende Anwendung des
§ 516 Abs. 3 ZPO gestützt (vgl. OLG Naumburg, zuletzt Beschluss v. 13.01.2012, 2 Verg
13/10; OLG Düsseldorf, Beschlüsse v. 22.07.2005, VII-Verg 28/05; v. 12.01.2006, VIIVerg 35/05 und v. 03.06.2009, VII-Verg 7/09; OLG München, Beschluss v. 08.11.2010,
330
Verg 20/10, VergabeR 2011, 228; OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 12.12.2007, 11
Verg 11 + 12/07). In den vorzitierten Entscheidungen ist die Rücknahmeerklärung des
Rechtsmittelführers jeweils für wirksam erachtet worden, ohne dass eine Zustimmung
des Rechtsmittelgegners überhaupt erwähnt wird.
2. II. Durch die Rücknahme der sofortigen Beschwerde verliert die Anschlussbeschwerde ihre Wirkung (§ 524 Abs. 4 ZPO analog). Wer sich sein Rechtsmittel
bzw. seinen Rechtsbehelf auf jeden Fall und unabhängig vom Verfahrensgegner
erhalten möchte, muss selbst sofortige Beschwerde innerhalb der Frist des § 117
Abs. 1 GWB einlegen (vgl. Dicks, a.a.O., § 116 Rn. 8 f.; Stickler, a.a.O., § 117 Rn.
8). Für den Eintritt der Verlustwirkung ist es unerheblich, zu welchem Zeitpunkt
die Rücknahme des Hauptrechtsmittels erklärt wird, d.h. diese Wirkung tritt auch
dann ein, wenn die Rücknahme – wie hier – erst nach der Antragstellung in der
mündlichen Verhandlung erklärt wird.
III. Nach Rücknahme der sofortigen Beschwerde sind die hieraus resultierenden
Rechtsfolgen mangels ausdrücklicher Regelung in §§ 120 Abs. 1 i.V.m. 78 GWB
in entsprechender Anwendung des § 516 Abs. 3 ZPO von Amts wegen auszusprechen, mithin der Verlust des Rechtsmittels und die Kostenfolge im Beschwerdeverfahren. Die Pflicht zur Kostentragung umfasst alle Kosten des Beschwerdeverfahrens, insbesondere auch die Kosten der Anschlussbeschwerde (vgl. nur
Zöller, Komm. z. ZPO, 29. Aufl. 2012, § 524 Rn. 43 m.w.N. zur zivilprozessualen
Rechtsprechung). Die außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen sind
hier nicht zu erstatten, weil dies nicht der Billigkeit i.S. von § 78 S. 1 GWB
entspräche. Der Senat erachtet eine Kostenerstattung nur dann für billig,
wenn sich ein Beigeladener durch ausdrückliche Antragstellung ähnlich
einem streitgenössischen Nebenintervenienten am Beschwerdeverfahren
beteiligt (vgl. Senatsbeschluss vom 22.12.2011, 2 Verg 10/11 „Rettungsdienst
Harz“ m.w.N.).
186 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.02.2013 –
Verg 47/12 (Willy-Brandt-Begegnungs- und Dialogschule)
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil der Nachprüfungsantrag ohne Erfolg
ist. Da die Beteiligten trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Termin am 30.01.2013
nicht erschienen sind, war gemäß § 69 Abs. 2 GWB nach Lage der Akten zu entscheiden. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird auf die Ausführungen des
Senats im Beschluss vom 17.12.2012 verwiesen, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach
§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB zurückgewiesen worden ist. Das weitere Vorbringen des
Antragsgegners mit Schriftsatz vom 29.01.2013, nach dem am 26.01.2013 der
Zuschlag erteilt worden sein soll, gibt dem Senat keinen Anlass zu einer hiervon
abweichenden Entscheidung. Denn der Schriftsatz war nicht zu berücksichtigen,
331
weil er dem Gericht erst einen Tag vor der mündlichen Verhandlung zugegangen
ist und der Antragstellerin kein rechtliches Gehör mehr gewährt werden konnte.
9.
Kostentragung im Nachprüfungsverfahrens/Allgemeines/
Gegenstandswert
187 BGH, Beschluss vom 25.01.2012 –
X ZB 3/11 (Rettungsdienstleistungen IV)
III. Die zulässigen sofortigen Beschwerden der Antragstellerinnen sind in der Sache
unbegründet.
Die Frage, ob § 128 GWB in der durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 790) geschaffenen und seit dem 24. April
2009 geltenden Fassung ermöglicht, die einem Beteiligten zur Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen einem anderen
Beteiligten aufzuerlegen, wenn nach Erledigung der Hauptsache keine Entscheidung
der Vergabekammer ergangen ist, ist mit dem vorlegenden Oberlandesgericht zu
verneinen.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bot § 128 Abs. 4 in seiner
bis zum 24. April 2009 geltenden Fassung nur bedingt eine Grundlage für die
Erstattung der notwendigen Aufwendungen der Beteiligten vor der Vergabekammer (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2009 X ZB 29/08, VergabeR 2009, 607
Rn. 10 mwN Antragsrücknahme im Beschwerdeverfahren). Wie für den Fall der
Antragsrücknahme gab das Gesetz auch für den hier gegebenen Fall der Einstellung des Nachprüfungsverfahrens nach übereinstimmender Erledigungserklärung
keine Handhabe dafür, die notwendigen Aufwendungen eines Beteiligten einem
anderen aufzuerlegen, was zur Folge hat, dass diese von jedem selbst zu tragen
waren
2. Für die vorliegend gegebene Konstellation besteht die bisherige Rechtslage nach
dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts unverändert fort. Die Regelung in § 128 Abs. 3 Satz 5 GWB nF kann entgegen der
Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden nicht als Grundlage dafür
herangezogen werden, die notwendigen Aufwendungen eines Beteiligten
einem anderen aufzuerlegen. Sie bezieht sich ausschließlich auf die in
Absatz 3 geregelte Kostenlast betreffend die Gebühren und Auslagen für
die Amtshandlungen der Vergabekammern (§ 128 Abs. 1 GWB). Das ergibt
sich aus der Systematik des Gesetzes. Es hat in seinen Kostenregelungen seit je
zwischen der Kostentragungslast für die Gebühren und Auslagen auf der einen
und für die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten auf der anderen Seite
332
unterschieden und die Ersteren stets in § 128 Abs. 3 GWB und die Letzteren
in § 128 Abs. 4 GWB geregelt. Davon ist das Oberlandesgericht Dresden zwar
auch ausgegangen. Es meint jedoch, die im Gesetzgebungsverfahren diskutierten
Formulierungsalternativen und insbesondere die vom Bundesrat für seinen Änderungsvorschlag gegebene Begründung, welche die Situation bei übereinstimmender Erledigungserklärung betreffe, machten deutlich, dass die dort angestellten
Erwägungen zugunsten einer Kostenregelung nach Billigkeitsgrundsätzen für den
Fall der Hauptsachenerledigung nicht auf die Gebühren und Auslagen beschränkt,
sondern für die Kosten des Nachprüfungsverfahrens insgesamt gelten sollten.
Dem kann nicht beigetreten werden.
3. Die Gesetzgebungsmaterialien bieten – worauf zurückzukommen sein wird –
keine Grundlage dafür, in § 128 Abs. 3 Satz 5 GWB entgegen seinem Wortlaut
und losgelöst von seiner systematischen Stellung im Gesetz auch eine auf die
notwendigen Aufwendungen der Beteiligten anwendbare Regelung zu sehen.
Das Gesetz unterscheidet begrifflich seit je zwischen den zusammenfassend als
Kosten bezeichneten Gebühren und Auslagen der Vergabekammer (§ 128 Abs. 1
bis 3 GWB) und den in § 128 Abs. 4 geregelten notwendigen Aufwendungen der
Beteiligten. Vor diesem Hintergrund kann aus dem Umstand, dass der Bundesrat modifizierende Vorschläge zu dem Regierungsentwurf für einen geänderten
§ 128 Abs. 3 GWB unterbreitet und dabei von „Kosten“ gesprochen hat, nicht
auf einen Regelungswillen betreffend die notwendigen Aufwendungen geschlossen werden. Das gilt umso mehr, als durch das Gesetz zur Modernisierung des
Vergaberechts auch § 128 Abs. 4 GWB modifiziert werden sollte und worden
ist. Während § 128 Abs. 3 Satz 4 GWB nF nach wie vor eine Regelung für die
Fälle der Rücknahme und der sonstigen Erledigung des Nachprüfungsantrags
vorsieht, ist in § 128 Abs. 4 Satz 3 GWB nF eine Kostenregelung nur für den Fall
der Antragsrücknahme getroffen worden. In solchen Fällen soll der Antragsteller
die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und des Beigeladenen zu
tragen haben. Die Regelungen für die Erstattung der Auslagen und Gebühren
einerseits und der notwendigen Aufwendungen andererseits sind somit zwar
inkongruent, es besteht jedoch nach den Gesetzgebungsmaterialien und
den sonstigen Umständen kein Raum dafür, in § 128 Abs. 4 Satz 4 GWB nF
eine planwidrige Regelungslücke zu sehen, die durch analoge Anwendung
geschlossen werden dürfte. Die divergierenden Kostenfolgen bei Antragsrücknahme einerseits und bei Erledigung der Hauptsache andererseits sind nicht miteinander unvereinbar. Jedenfalls besteht kein Raum, das Gesetz anders als in den
Grenzen seines Wortlauts anzuwenden.
IV. Zu Recht hat die Vergabekammer die durch ihre Inanspruchnahme festgesetzten
Gebühren und Auslagen dem Antragsgegner auferlegt. Die gesetzliche Grundlage
für diese nach billigem Ermessen getroffene Entscheidung ist in § 128 Abs. 3 Satz
5 GWB nF zu sehen, wonach die Entscheidung, wer die Kosten, das heißt die
Gebühren und Auslagen, zu tragen hat, nach billigem Ermessen zu treffen ist.
333
1. Allerdings bedarf die gesetzliche Neuregelung in § 128 Abs. 3 GWB der Auslegung, weil in dem modifizierten Teil des jetzigen Satzes 4 der Bestimmung und
dem neu eingefügten Satz 5 widersprüchliche Normbefehle unvermittelt nebeneinanderstehen. Danach soll bei Rücknahme oder anderweitiger Erledigung des
Nachprüfungsantrags einerseits dem Antragsteller die Hälfte der Gebühr auferlegt werden, andererseits soll die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat,
nach billigem Ermessen erfolgen. Die zuletzt genannte Regelung ist, wie auch das
vorlegende Oberlandesgericht zu Recht meint, maßgeblich. Der widersprüchliche
Wortlaut der gesetzlichen Regelung beruht ersichtlich auf Missverständnissen
zwischen den Gesetzgebungsorganen im Gesetzgebungsverfahren. Nach § 128
Abs. 3 Satz 3 GWB aF war angeordnet, dass bei Rücknahme oder anderweitiger
Erledigung des Nachprüfungsantrags vor Entscheidung der Vergabekammern nur
die Hälfte der Gebühr zu entrichten ist. Diese Regelung wollte der Regierungsentwurf durch den jetzigen § 128 Abs. 3 Satz 4 GWB, wonach in solchen Fällen „der
Antragsteller“ die Hälfte der Gebühr zu entrichten habe, ersetzen. Eine Begründung hierfür wurde nicht gegeben. Die diesem Vorschlag zugeordnete Erläuterung im Begründungsteil des Regierungsentwurfs bezieht sich offensichtlich auf
die Regelung in § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB nF (vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 25
zu Nr. 23 Buchst. bb). In seiner Stellungnahme zu RegE für § 128 Abs. 4 Satz 4
GWB schlug der Bundesrat vor: „Nach Satz 4 (neu gemeint ersichtlich: „alt“) wird
folgender Satz eingefügt: ‚Die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, erfolgt
nach billigem Ermessen‘“. Zur Begründung wies der Bundesrat darauf hin, dass
es in bestimmten Konstellationen unbillig sein könne, dem Antragsteller die Kosten aufzuerlegen (vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 39 Nr. 32). In der Gegenäußerung
der Bundesregierung hierzu ist ausgeführt, dass dem Anliegen des Bundesrates
dadurch Rechnung getragen werden könne, dass § 128 Abs. 3 Satz 4 (neu) GWB
dahin gefasst wird, dass die Entscheidung über die Kostentragungslast nach billigem Ermessen erfolgt, wenn sich der Antrag vor Entscheidung der Vergabekammer durch Rücknahme oder anderweitig erledigt hat (aaO S. 43 zu Nr. 32). Danach
ist offensichtlich, dass der Wortlaut des Gesetzes redaktionell verunglückt ist.
Ausdrücklich übereinstimmend gewollt war die Gesetz gewordene Regelung in
§ 128 Abs. 4 Satz 5 GWB nF. Unberührt bleiben sollte ebenfalls die Gebührenreduktion auf die Hälfte bei Antragsrücknahme. Insoweit ist es bei der Fassung des
Gesetzes aber zu einem redaktionellen Versehen gekommen, indem gleichzeitig
der Vorschlag für die Modifizierung von § 128 Abs. 4 Satz 4 GWB gemäß dem
Regierungsentwurf und die Anregung des Bundesrats übernommen wurden. Der
Wille der Gesetzgebungsorgane ging insoweit ersichtlich dahin, dass in Fällen der
Rücknahme oder sonstiger Erledigung des Nachprüfungsverfahrens vor einer Instanz beendenden Entscheidung nach wie vor nur die hälftige Gebühr zu entrichten
sein sollte. Die Worte „hat der Antragsteller“ gemäß dem Änderungsvorschlag
im Regierungsentwurf wären dementsprechend wieder durch das Wort „ist“ zu
ersetzen gewesen. In diesem Sinne ist die gesetzliche Regelung anzuwenden (i.
Erg. ebenso Summa in jurisPK-VergR § 128 GWB Rn. 36 ff.; Kompaktkommentar
Vergaberecht/Hardraht, 2. Aufl., 14. Los, § 128 GWB Rn. 38 mwN in Fn. 69).
334
2. Das vorlegende Oberlandesgericht befürwortet, die Gebühren und Auslagen dem
Antragsgegner aufzuerlegen, wie dies bereits die Vergabekammer entschieden
hat. Dem ist beizutreten. Das Oberlandesgericht hat dazu zutreffend ausgeführt, dass sich die Billigkeitsentscheidung über die Kostentragungslast
zwar grundsätzlich an dem bei summarischer Prüfung voraussichtlichen
Verfahrensausgang orientiert und bei offenem Ausgang regelmäßig eine
Kostenteilung naheliegen wird, dass aber nach den Umständen des Einzelfalls unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit von diesem Schema abgewichen werden kann. Das Oberlandesgericht hat im Ergebnis auch zu Recht angenommen, dass im Streitfall solche Umstände die Belastung des Antragsgegners
mit den Gebühren und Auslagen rechtfertigen. Diese sind darin zu sehen, dass
der Antragsgegner selbst sich vor der Vergabekammer darauf berufen hat, gar
nicht verpflichtet gewesen zu sein, die fraglichen Rettungsdienstleistungen als
Dienstleistungsauftrag im offenen Verfahren nach der VOL/A auszuschreiben,
weil sie im Rahmen einer nicht dem Vergaberecht unterliegenden Dienstleistungskonzession zu erbringen gewesen wären; das Vergabeverfahren sei nur
„rein vorsorglich“ durchgeführt worden. Mit der Ankündigung der Ausschreibung
im offenen Verfahren nach der VOL/A im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften einschließlich der Benennung der Vergabekammer als der
für ein Nachprüfungsverfahren zuständigen Stelle hat der Antragsgegner jedoch
zumindest den Rechtsschein eines dem Vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unterliegenden Vergabeverfahrens gesetzt und den
am Auftrag Interessierten durch den von ihm gesetzten Rahmen eines üblichen
Vergabeverfahrens Veranlassung gegeben, sich bei vermeintlichen Vergabeverstößen in der für solche Verfahren vorgesehenen Weise an die Vergabekammer
zu wenden. An der Setzung dieses Rechtsscheins muss sich der Antragsgegner
billigerweise – auch unter Kausalitätsgesichtspunkten – festhalten lassen, wenn
er dem Nachprüfungsverfahren durch Aufhebung der Ausschreibung nachträglich
die Grundlage entzieht.
188 OLG Naumburg, Beschluss vom 13.02.2012 –
2 Verg 14/11 (Beschwerderücknahme)
…
IV. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des gerichtlichen Beschwerdeverfahrens
beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.
1. Der Senat legt dabei zunächst die Summe der geprüften jährlichen Brutto-Angebotsendbeträge der Antragstellerin für die Lose 1, 2 und 4 zugrunde. Die sofortige
Beschwerde der Antragstellerin ist auf die Steigerung der Zuschlagschancen
für diese Angebote gerichtet. Der Gegenstand der Anschlussbeschwerde – die
Durchsetzung der Zuschlagsabsicht des Antragsgegners auf das Angebot der Beigeladenen für Los 1 – ist teilweise identisch mit dem vorgenannten Gegenstand,
335
so dass seine zusätzliche Berücksichtigung nicht in Betracht kommt (§ 45 Abs. 2
i.V.m. Abs. 1 S. 3 GKG).
2. Entsprechend der Laufzeit des ausgeschriebenen befristeten Vertrages ist der
10-fache Betrag des Jahresbetrages anzusetzen.
a) Mit § 50 Abs. 2 GKG soll – den Grundsätzen der §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG
i.V.m. § 3 ZPO folgend – das wirtschaftliche Interesse in Gestalt einer pauschalierten Gewinnerwartung maßgeblich sein; die bezifferte Festlegung auf 5% dient
dabei der Vereinfachung der Kostenentscheidung. Aus Sicht der das vorliegende
Beschwerdeverfahren betreibenden Antragstellerin geht es wirtschaftlich darum,
Umsatz- und Gewinnchancen für die nächsten zehn Jahre entweder durch die
Zuschlagserteilung zu sichern oder bei Zuschlagserteilung an die Beigeladene
endgültig zu verlieren. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin wird
gerade durch die lange Laufzeit des befristeten Vertrages geprägt, denn die
wirtschaftliche Attraktivität des ausgeschriebenen Auftrags resultiert nicht
unerheblich aus dieser relativ langen Vertragsdauer und damit der beachtlichen
Amortisationsmöglichkeiten von Anfangsinvestitionen (so schon OLG Naumburg,
Beschluss v. 06.04. 2005, 1 Verg 2/05 „Betriebsführung II“, VergabeR 2005, 726;
und Beschluss v. 30.12.2002, 1 Verg 11/02 „Heyer-Vertrag“, JurBüro 2004, 86).
b) Etwas Anderes ergibt sich jedenfalls hier auch nicht aus der Vorschrift des § 3
Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 VgV.
Es spricht schon vieles dagegen, die unionsrechtlichen Grundsätze zur Schätzung des
Netto-Auftragswerts des gesamten Beschaffungsvorhabens, die den Regelungen des
§ 3 VgV zugrunde liegen, generell zur Auslegung des nationalen Kostenrechts heranzuziehen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der nationale Gesetzgeber bei seinen
kostenrechtlichen Vorschriften derartige Überlegungen angestellt hätte. Die konkrete
kostenrechtliche Vorschrift für das Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB enthält
vielmehr eine deutliche Abkehr von den Grundsätzen des § 3 VgV, indem maßgeblich
auf die Brutto-Auftragssumme des verfahrensgegenständlichen Auftrags, der wiederum u.U. nur ein Teilauftrag des Gesamtbeschaffungsvorhabens ist, abgestellt wird.
Es ist im Übrigen auch nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weshalb Privilegierungen
des öffentlichen Auftraggebers bei der Ermittlung des Schwellenwertes, wie sie § 3
Abs. 4 Nr. 2 VgV darstellt, quasi automatisch zu kostenrechtlichen Privilegierungen der
Verfahrensbeteiligten eines Nachprüfungsverfahrens führen sollten.
Davon zu unterscheiden ist, ob die Erwägungen zur Begrenzung der Schätzwerte des
Gesamtauftrags nach Einzelregelungen des § 3 VgV im Einzelfall in gleicher Weise auf
die Bewertung des Kosteninteresses übertragbar sind. So ist es nachvollziehbar, bei
unbefristeten Verträgen eine begrenzte Laufzeit anzunehmen, weil eine tatsächliche
Vermutung dafür sprechen mag, dass sie nach einer gewissen Laufzeit typischerweise von einem der beiden Vertragspartner durch Kündigung beendet werden; zum
336
Ausschluss willkürlicher Festlegungen mag eine Orientierung an § 3 Abs. 4 Nr. 2 Alt.
1 VgV sachgerecht sein.
Für befristete Dienstleistungsverträge trifft diese Erwägung jedenfalls nicht zu. Für
beide Vertragspartner, insbesondere auch für den Auftragnehmer, ist durch die feste
Vereinbarung einer langen, aber gleichwohl bestimmten Vertragslaufzeit eine hohe
Vertragssicherheit gegeben, dass eine Umsatzchance während der gesamten Laufzeit
besteht. Für den Mitbewerber bedeutet eine lange Laufzeit des befristeten Vertrages,
dass der öffentliche Auftraggeber für diese Zeit seinen Beschaffungsbedarf allein
durch Inanspruchnahme seines Vertragspartners deckt. Das Motiv der Beschränkung
des § 3 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 VgV – eine fehlende Vermutungswirkung für das Bestehen
eines Interesses an grenzüberschreitender Leistungserbringung bei einem Dienstleistungsauftrag, bei dem der vierjährige Auftragswert noch nicht für eine Überschreitung
des relativ geringen Schwellenwerts ausreicht – rechtfertigt eine kostenrechtliche
Privilegierung im Nachprüfungsverfahren vor dem Senat nicht.
3. Der sich hieraus rechnerisch ergebende Betrag rechtfertigt die Festsetzung innerhalb der Gebührenstufe von mehr als 550.000 Euro bis zu 600.000 Euro.
189 OLG München, Beschluss vom 28.02.2012 –
Verg 16/11 (Kostenfestsetzung)
Mit Beschluss vom 24.01.2012 wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem
Antragsgegner zu 3/4 und der Antragstellerin zu 1/4 auferlegt. Der Streitwert des
Beschwerdeverfahrens wurde auf 4.500,00 Euro festgesetzt. Mit Schreiben vom
25.01.2012, eingegangen am 27.01.2012, beantragte die Antragstellerin die Festsetzung der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Mit Schreiben vom 31.01.2012, eingegangen am 02.02.2012, beantragte der Antragsgegner die Festsetzung der Kosten
vor der Vergabekammer und die Festsetzung der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Mit Verfügung vom 06.02.2012 wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass der
Rechtspfleger am Beschwerdegerichts nicht verpflichtet ist, die Festsetzung der
Kosten vor der Vergabekammer vorzunehmen und eine Anrechnung der Kosten vor
der Vergabekammer nur nach den Vorschriften des § 15 a RVG erfolgen kann. Die Parteien hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 15.02.2012 teilte der
Antragsteller mit, dass die Auffassung des Rechtspflegers geteilt wird, der Rechtspfleger am Beschwerdegericht sei nicht verpflichtet, die Kosten vor der Vergabekammer
festzusetzen. Mit Schreiben vom 16.02.2012 teilte der Antragsgegner mit, dass der
Antrag auf Festsetzung der Kosten vor der Vergabekammer aufrechterhalten bleibt,
weil die Festsetzung der Gebühren vor der Vergabekammer „üblich“ ist und vor dem
Oberlandesgericht München auch in einem anderen Verfahren, Verg 24/10, auch so
gehandhabt wurde.
337
Der Argumentation des Antragsgegners kann nicht gefolgt werden. Bei der zitierten
Entscheidung Verg 24/10 handelt es sich um einen Kostenfestsetzungsbeschluss des
Rechtspflegers, der nicht als bindende obergerichtliche Entscheidung angesehen werden muss. Der Kostenbeamte des Oberlandesgerichts setzt die Kosten aufgrund der
rechtskräftigen Kostengrundentscheidung des Oberlandesgerichts fest, vgl. §§ 120
Abs. 2, 78 Satz 3 GWB i.V.m. § 103 ff. ZPO. Nach § 78 Satz 3 ZPO finden ausdrücklich
die Vorschriften der ZPO Anwendung. Der Rechtspfleger am Beschwerdegericht
ist gesetzlich nicht verpflichtet, die Kosten vor der Vergabekammer festzusetzen. Ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren findet nicht statt, § 128 Abs.
4 Satz 5 GWB. Die Verpflichtung des Rechtspflegers für die Festsetzung der
Kosten vor der Vergabekammer würde auch dem Gedanken des Gesetzgebers
widersprechen, der gerade für die Festsetzung der Kosten vor der Vergabekammer durch die Schaffung des § 128 Abs. 4 Satz 5 GWB die gesetzliche Grundlage
dafür entzogen hat, dass die Vergabekammern ihre eigenen Kosten festsetzen,
vgl. hierzu auch Bechthold 6. Aufl. zu 3 128 Abs. 4 Rndnr. 17 GWB
190 OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.03.2012 – Verg W 2/12
(Abfalllogistik- und Entsorgungsdienstleistungen)
Die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes kann nicht
schematisch beantwortet werden. Es ist vielmehr eine Entscheidung geboten,
die den Umständen des Einzelfalles gerecht wird. Maßgeblich ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt zu erfassen,
hieraus die für eine sinnvolle Rechtswahrung oder Rechtsverteidigung nötigen
Schlüsse zu ziehen und das danach Gebotene gegenüber der Vergabekammer
vorzubringen (vgl. BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131
ff, zitiert nach juris Rn. 61; Senat, Beschluss vom 11.12.2007 – Verg W 6/07, zitiert
nach juris Rn. 22).
Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des
Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände wie etwa die sachliche und personelle Ausstattung der Beteiligten bestimmend seien (vgl. BGH a.a.O.), also beispielsweise ob das
beim öffentlichen Auftraggeber verfügbare Personal juristisch hinreichend geschult
und zur Bearbeitung der im jeweiligen Nachprüfungsverfahren relevanten Sach- und
Rechtsfragen in der Lage ist. Ferner ist die Bedeutung und das Gewicht des in Rede
stehenden Auftrages für den Aufgabenbereich der Vergabestelle in die Beurteilung
einzubeziehen und den im Vergabenachprüfungsverfahren geltenden kurzen Fristen
Rechnung zu tragen (vgl. Weyand, Vergaberecht, 3. Auflage § 128 GWB Rn. 5142
m.w.N.). Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist dabei auf die Sicht ex ante bezogen
auf den Zeitpunkt der Vollmachtserteilung abzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom
30.05.2008 – Verg W 5/08, VergabeR 2009, 468, zitiert nach juris Rn. 90).
338
2. Gemessen an diesen Maßstäben ist die Hinzuziehung der anwaltlichen Bevollmächtigten der Auftraggeberin als notwendig anzusehen. Es handelt sich im
Streitfall um ein umfangreiches Vergabeverfahren von erheblicher wirtschaftlicher
Bedeutung. Allein der Umfang des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin betrug 33 Seiten. Gegenstand des Verfahrens waren spezifisch vergaberechtliche, das Verfahren betreffende Probleme, die über den Kernbereich
der Tätigkeit einer Vergabestelle hinausgehen, wie etwa die Zulässigkeit der
Bildung der Bietergemeinschaft der Beigeladenen, die Voraussetzungen
eines Ausschlusses wegen eines Unterpreisangebotes nach § 27 Abs. 1
SektVO und die Zulässigkeit des Ausschlusses des Angebotes der Antragstellerin wegen Nichtberücksichtigung der Vorgaben der Auftraggeberin in
den Ausschreibungsunterlagen, die spezielle Rechtskenntnisse erfordern,
deren Vorhandensein auch bei den Mitarbeitern einer Rechtsabteilung nicht
zwingend vorauszusetzen ist.
191 OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.04.2012 –
11 Verg 6/11 (Gebührenentscheidung)
2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der Antragsgegner genießt im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Kostenfreiheit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2
Verwaltungskostengesetz (in Verbindung mit § 128 Abs. 1 Satz 2 GWB). Von der
Pflicht zur Zahlung von Gebühren für Amtshandlungen und dementsprechend von
der Pflicht zur Erstattung der Verwaltungskosten befreit sind danach die Bundesrepublik Deutschland und die Länder.
Maßgeblich für die Kostenbefreiung ist die Rolle als Beteiligter im Nachprüfungsverfahren und nicht – wie die Vergabekammer offenbar gemeint hat – ob
der Antragsgegner im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung tätig geworden
ist oder nicht. Denn die Kosten und Gebühren des Verfahrens sind – ganz oder
teilweise – von dem unterliegenden Beteiligten zu tragen (§ 128 Abs. 3 GWB).
Selbst soweit der Antragsgegner hier im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung
tätig geworden sein sollte, war er im Nachprüfungsverfahren passivlegitimiert und
der Nachprüfungsantrag demzufolge gegen ihn zu richten (OLG Celle a.a.O.). Daher
kommt es nicht darauf an, ob der Bund Gebührenbefreiung genießt, sondern, ob im
vorliegenden Nachprüfungsverfahren der Antragsgegner, also das Land, gebührenbefreit ist. Dies ergibt sich sowohl aus § 8 Abs. 1 Nr. 2 Verwaltungskostengesetz wie aus
§ 8 Abs. 1 Nr. 2 Hessisches Verwaltungskostengesetz, ohne dass die für die Kostenbefreiung des Bundes dort vorgesehene Befreiungsgrenze von 500,- Euro eine Rolle
spielt. Der Senat kann demzufolge offen lassen, ob § 128 Abs. 1 Satz 2 GWB nur auf
das Verwaltungskostengesetz (Bund) oder auch auf die Verwaltungskostengesetze
der Länder Bezug nimmt.
339
Wegen des Prinzips des landeseigenen Vollzugs von Bundesgesetzen (Art. 83, 84
GG) gilt die Kostenbefreiung auch für jenen Teil des Aufgabenbereichs des Landesbetriebes Straßenbau, der die Straßenbaulast bei Bundesfernstraßen betrifft (OLG
Düsseldorf a.a.O.). Der Antragsgegner ist auch nicht berechtigt, die Gebühren Dritten
aufzuerlegen und hat keinen Ausgleichsanspruch gegenüber dem Bund.
192 VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13.04.2012 –
3 VK 5/11 (Seebrücke von Zinnowitz)
I.
Mit Beschluss vom 15.11.2011 hob die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin
die streitgegenständliche Ausschreibung auf, nachdem die Kommunalaufsichtsbehörde dies wegen dort festgestellter Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften empfohlen hatte. Hierdurch hat sich das Vergabenachprüfungsverfahren
gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB kraft Gesetzes auch ohne eine entsprechende
Erklärung der Antragsgegnerin erledigt (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom
16.05.2000, 11 Verg 1/99, Rdnr. 84, zitiert nach juris).
Im Falle einer Erledigung des Verfahrens erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten des
Verfahrens zu tragen hat, gemäß § 128 Absatz 3 Satz 5 GWB nach billigem Ermessen.
Im Rahmen dieses Ermessens ist vorrangig darauf abzustellen, wie das Verfahren
aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes ausgegangen wäre.
In Anwendung dieser Grundsätze entspricht es der Billigkeit, der Antragsgegnerin die
Verfahrenskosten aufzuerlegen, da ohne die Aufhebung der Ausschreibung durch die
Antragsgegnerin die Kammer aller Voraussicht nach gemäß §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 97
Abs. 7 GWB eine entsprechende Anordnung getroffen hätte.
Die Antragsgegnerin hatte ein Konglomerat aus möglichen Bau-, Planungs- und freiberuflichen Leistungen sowie gebäudedienstähnlichen Leistungen im Gesamtwert von
ca. 15 Mio. Euro im offenen Verfahren (§ 101 Abs. 1 GWB) ausgeschrieben, wobei
sowohl der Ausschreibungstext als auch die Leistungsbeschreibung offen ließen, auf
Grundlage welchen Regelungswerkes (VOB oder VOL) die Ausschreibung erfolgen
sollte. Wenngleich sich die im Einzelnen einzuhaltenen Verfahrensvorschriften aus
den jeweiligen Vergabe- und Vertragsordnungen (VOB/A, VOL/A, VOF) ergeben, gilt
unabhängig davon für das von der Antragsgegnerin gewählte offene Verfahren das
Erfordernis der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (vgl. Werner
in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl., Rdnr. 7 zu §101 GWB; Horn/
Zeiss in: jurisPK-VergR, 3. Aufl., Rdnr. 11 zu § 101 GWB). Schon an dieser mangelte
es vorliegend. So enthält die von der Antragsgegnerin herausgegebene „Leistungsbeschreibung für die Neugestaltung der Seebrücke Ostseebad Zinnowitz“ vom
12.05.2011 beispielsweise die Begrenzung einer möglichen Bebauung der vorhandenen Seebrücke „auf 50 m Breite und 100 m Länge innerhalb der inkommunalisierten
Fläche“, ohne Lage und Ausmaß dieser Fläche auch nur andeutungsweise zu benen-
340
nen. Auch werden, worauf die Antragstellerin zurecht hinweist, in der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin dem potentiellen Investor Verträge (Options- und
Pachtvertrag) in Aussicht gestellt, ohne deren Inhalte auch nur zu skizzieren.
Im Übrigen deutet der Hinweis der Antragsgegnerin am Ende des Ausschreibungs
bzw. Leistungsbeschreibungstextes, dass sich aus der Teilnahme an der Ausschreibung ein Rechtsanspruch auf Zuschlagserteilung nicht ableite, zudem auf eine vergaberechtlich unzulässige (vgl. §§ 2 Abs. 4 VOB/A, 2 Abs. 3 VOL) Ausschreibung
lediglich zu Markterkundungszwecken hin.
Führen diese nach summarischer Prüfung festgestellten (wahrscheinlichen) Vergabeverfahrensverstöße zu einer Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin
gemäß § 128 Absatz 3 Satz 5 GWB, so kommt eine entsprechende Kostenentscheidung auch in Bezug auf die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendigen Auslagen der Antragstellerin gleichwohl nicht in Betracht. Insoweit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, da § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB eine
diesbezügliche Kostentragungspflicht lediglich im Falle eines Unterliegens im
Nachprüfungsverfahren vorsieht. Dies setzt indes eine Entscheidung der Vergabekammer voraus, mit der diese das sachliche Begehren des Antragstellers
ganz oder teilweise als unzulässig oder unbegründet zurückweist (vgl. Dreher/
Stockmann, Kartellvergaberecht, 4. Aufl., Rdnr. 10 zu § 128 GWB; BGH, Beschluss
vom 09.12.2003, X ZB 14/03, Rdnr. 13, zitiert nach juris). Fehlt es – wie vorliegend –
an einer Sachentscheidung, kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 128
Abs. 4 Satz 1 GWB nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 25.01.2012, X ZB 3/11).
Aufgrund der gemäß §§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG, 128 Abs. 1 Satz 2 GWB für die
Antragsgegnerin bestehenden Gebührenfreiheit war von einer Festsetzung von Verfahrensgebühren abzusehen (deren Höhe sich sonst, ausgehend von einem geschätzten Auftragswert von 15.000.000 Euro, auf 6.325 Euro belaufen hätte).
193 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2012 –
Verg 5/12 (Kostenbelastung)
Gründe
I.
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben das Nachprüfungsverfahren für
erledigt erklärt, nachdem sich die Antragsgegnerin nach einem rechtlichen Hinweis
der Vergabekammer verpflichtet hat, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen. Die Vergabekammer hat festgestellt, dass das Nachprüfungsverfahren beendet ist, der Antragsgegnerin und der Beigeladenen die Kosten
(Gebühren und Auslagen) des Nachprüfungsverfahrens als Gesamtschuldner sowie
341
die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin je zur Hälfte als Teilschuldner
auferlegt und unter Berücksichtigung der Gebührenfreiheit der Antragsgegnerin die
von der Beigeladenen zu entrichtende Gebühr auf die Hälfte der festgesetzten Gebühr
festgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist begründet, soweit der Beigeladenen anteilig die notwendigen Auslagen der Antragstellerin auferlegt wurden; im Übrigen bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.
1. Die Entscheidung der Vergabekammer, dass es billigem Ermessen (§ 128 Abs.
3 Satz 5 GWB) entspricht, die Kosten des Nachprüfungsverfahrens (Gebühren
und Auslagen der Vergabekammer) der Antragsgegnerin und der Beigeladenen
als Gesamtschuldnern aufzuerlegen, ist nicht zu beanstanden.
a) Die Regelungen in § 128 Abs. 3 Satz 4 und 5 GWB in der durch das Gesetz zur
Modernisierung des Vergaberechts erhaltenen Fassung sind dahin auszulegen,
dass Gebühr und Auslagen der Vergabekammer bei anderweitiger Erledigung
des Nachprüfungsantrags auch einem anderen Beteiligten als dem Antragsteller
auferlegt werden können, wenn dies der Billigkeit entspricht (BGH Beschl. v. 25.
Januar 2012 – Rettungsdienstleistungen IV -, X ZB 3/11).
Eine aktive Beteiligung am Nachprüfungsverfahren liegt bereits dann vor, wenn
sich die Beigeladene – wie hier – schriftsätzlich zu den streitigen Rechtsfragen
geäußert und die Zulässigkeit und Begründetheit des Nachprüfungsantrags der
Antragstellerin verneint hat. Eines förmlichen Antrags bedarf es darüber hinaus
nicht (so bereits Senatsbeschl. v. 22. Oktober 2008, VII Verg 48/08). Dass auf das
materielle Begehren der Beteiligten und nicht die förmlichen Anträge abzustellen ist,
verdeutlicht auch die Regelung in § 114 Abs. 1 GWB, wonach die Vergabekammer
nicht an die Anträge der Beteiligten gebunden ist, vielmehr unabhängig davon zu entscheiden und die geeigneten Maßnahmen zu treffen hat.
Unerheblich ist daher, dass die Beigeladene, wie sie geltend macht, in ihrem Schriftsatz vom 14. September 2011 ihre Ausführungen dazu, dass der Nachprüfungsantrag
der Antragstellerin zurückzuweisen sei, nicht wie üblich durch Einrückung und gegebenenfalls Aufteilung in mehrere enumerierte Antragspositionen optisch hervorgehoben,
sondern sie in den Fließtext integriert hat, und deshalb meint, keinen Antrag gestellt
zu haben.
2. Die notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin im Verfahren vor der
Vergabekammer hat die Beigeladene hingegen nicht zu erstatten, da es
hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Wie der Bundesgerichtshof
zwischenzeitlich entschieden hat, kann, wenn das Nachprüfungsverfahren vor
342
der Vergabekammer übereinstimmend für erledigt erklärt wird, eine Erstattung
notwendiger Aufwendungen von Beteiligten nicht angeordnet werden (vgl. BGH,
Beschl. v, 25. Januar 2012, X ZB 3/11, Rettungsdienstleistungen IV). So kann
zunächst die Regelung in § 128 Abs. 3 Satz 5 GWB nF nicht als Grundlage dafür
herangezogen werden, die notwendigen Aufwendungen eines Beteiligten einem
anderen aufzuerlegen, denn sie bezieht sich ausschließlich auf die in Absatz 3
geregelte Kostenlast betreffend die Gebühren und Auslagen für die Amtshandlungen der Vergabekammern (vgl. BGH, a.a.O. zu Ziff. III.2).
Aber auch § 128 Abs. 4 GWB, der Regelungen über die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten trifft, sieht für den Fall der Erledigung der Hauptsache
eine Erstattung von Aufwendungen der Beteiligten nicht vor.
194 OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 –
Verg 4/12 (Neubau einer Brücke)
2. Ist die Rücknahme des Nachprüfungsantrags erkennbar auf nachträgliche Entscheidungen (Abhilfe, Aufhebung des Verfahrens) oder auf unzureichende Mitteilungen der Vergabestelle zurückzuführen, kann dies zu einer Kostentragungspflicht des öffentlichen Auftraggebers führen. Ist der Anlass für die Rücknahme
des Nachprüfungsantrags demgegenüber der Umstand, dass der Antragsteller
mit seiner Rechtsauffassung nicht durchdringen konnte, entspricht es der Billigkeit, dass er sowohl die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer als auch
die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu übernehmen hat.
2. Kostentragung
a) In Bezug auf die vor der Vergabekammer entstandenen Kosten ist nach Rücknahme
des Nachprüfungsantrags nach billigem Ermessen zu entscheiden, § 128 Abs. 3
S. 5 GWB. Dies gilt auch für die notwendigen Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten (vgl. OLG Düsseldorf vom 13.04.2011, Verg 14/11). Ist die Rücknahme
des Nachprüfungsantrags erkennbar auf nachträgliche Entscheidungen
(Abhilfe, Aufhebung des Verfahrens) oder auf unzureichende Mitteilungen
der Vergabestelle zurückzuführen, kann dies zu einer Kostentragungspflicht
des öffentlichen Auftraggebers führen.
Vorliegend gibt es keinen sachlichen Grund dafür, die Kosten des Verfahrens vor
der Vergabekammer dem Antragsgegner aufzuerlegen. Der Antragsgegner bzw.
die Vergabestelle haben weder Informationspflichten verletzt, noch berechtigten
Rügen nachträglich den Boden entzogen. Vielmehr hat der Senat in der mündlichen
Verhandlung zu erkennen gegeben, dass er die Beurteilung des Antragsgegners zur
Frage des mangelnden Nachweises der Eignung teilt. Anlass für die Rücknahme des
Nachprüfungsantrags war somit, dass die Antragstellerin mit ihrer Rechtsauffassung
343
nicht durchdringen konnte. Hätte sie den Nachprüfungsantrag nicht zurückgenommen,
hätte der Senat ihre Beschwerde zurückgewiesen. Es entspricht deshalb der Billigkeit,
dass sie sowohl die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer als auch die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu übernehmen hat.
195 OLG Koblenz, Beschluss vom 31.05.2012 –
1 Verg 2/11 (Gebäudereinigungsleistungen)
Gegenstand des Vergabeverfahrens waren Gebäudereinigungsleistungen an 26
Schulen und dem Verwaltungsgebäude des Landkreises N. Die Gesamtleistung, die
Grundreinigung, Unterhaltsreinigung und Glasreinigung umfasst, war in 5 Gebietslose
aufgeteilt. Der Vertrag sollte eine Laufzeit von drei Jahren haben, optional war eine
Verlängerung um bis zu zwei Jahren vorgesehen. Den Gesamtwert der Glasreinigungsarbeiten hatte der Auftraggeber auf ca. 57.000 Euro pro Jahr geschätzt, während
er für die übrigen Arbeiten jährliche Kosten von ca. 775.000 Euro angesetzt hatte.
Die Antragstellerin (Beschwerdegegnerin), die nur an der Glasreinigung interessiert
ist, hatte mit ihrem Nachprüfungsantrag – mit Erfolg – beanstandet, dass kein entsprechendes Fachlos ausgeschrieben worden war.
II. 2. Für die von der Antragstellerin angestrebte Erhöhung des Gegenstandswertes
besteht kein Anlass.
a) Soweit die Antragstellerin ausführt, die bloße Berücksichtigung der Kosten für
die Glasreinigung hätte zur Folge haben müssen, dass das Nachprüfungsverfahren wegen Nichterreichens des Schwellenwerts unzulässig gewesen wäre, ist
anzumerken, dass sich zum einen bei einer Laufzeit von 5 Jahren (einschließlich
Optionen) ein Wert von mindestens 285.000 Euro errechnet und es zum anderen
für den für die Anwendbarkeit des 4. Teils des GWB maßgeblichen Auftragswert
auch dann auf den Gesamtwert ankommt, wenn in einem Nachprüfungsverfahren
nur über eine Teilleistung gestritten wird (§ 3 Abs. 7 VgV). Der Gegenstandswert
nach § 50 Abs. 2 GKG und der Auftragswert im Sinne der VgV können, müssen
aber nicht identisch sein.
b) Der Senat teilt nicht die vom OLG Karlsruhe vertretene Auffassung, es
komme immer auf den Wert der Gesamtleistung an, wenn der Antragsteller
faktisch die Aufhebung der vorhandenen Ausschreibung und eine Neuausschreibung anstrebe, auch wenn sein Interesse am Auftrag hinter dem
Gesamtwert zurückbleibe. Dies ist mit Sinn und Zweck des § 50 Abs. 2 GKG
nicht zu vereinbaren. Der Regelung liegt, wie der Vorgängernorm des § 12a GKG,
die mit 5% pauschalierte Gewinnerwartung des Antragstellers zugrunde (BT-Drs.
13/9340, S. 23). Dementsprechend kommt es nicht darauf an, was der Antragsteller angreift, sondern was seinwirtschaftliches Ziel ist. Strebt er an, dass die
344
Gesamtleistung losweise oder mit einem anderen Loszuschnitt vergeben wird,
bemisst sich deshalb der Gegenstandwert nach dem Wert der Teilleistung, an
deren Erbringung er interessiert ist (BGH v. 19.07.2011 – X ZB 4/10 – NZBau 2011,
629; OLG Düsseldorf v. 27.02.2012 – VII-Verg 45/10 – juris; OLG Düsseldorf v.
22.11.2010 – VII-Verg 55/09 – VergabeR 2011, 649).
10. Verfahrenskosten (Anwaltskosten) des Auftraggebers
196 OLG München, Beschluss vom 31.05.2012 –
Verg 4/12 (Neubau einer Brücke)
3. Ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch einen öffentlichen Auftraggeber im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig war und deshalb dessen
Kosten im Vergabeverfahren zu erstatten sind, kann nicht schematisch, sondern
nur anhand einer differenzierten Betrachtung des Einzelfalles entschieden werden
und richtet sich nach den objektiv anzuerkennenden Erfordernissen im jeweiligen
Einzelfall nach einer ex-ante-Prognose.
b) Ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch einen öffentlichen Auftraggeber
im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig war und deshalb dessen
Kosten im Vergabeverfahren nach § 128 Abs. 4 Satz 3 und 3 GWB i.V.m.
§ 80 Abs. 2 VwVfG zu erstatten sind, kann nicht schematisch, sondern nur
anhand einer differenzierten Betrachtung des Einzelfalles entschieden werden und richtet sich nach den objektiv anzuerkennenden Erfordernissen im
jeweiligen Einzelfall nach einer ex-ante-Prognose (vgl. OLG München vom
28.02.2011, Verg 23/10; OLG Koblenz vom 8.6.2006 – 1 Verg 4 und 5/06; OLG
Celle vom 09.02.2011, 13 Verg 17/10, OLG Düsseldorf vom 03.01.2011, Verg 42/10
und vom 28.01.2011, Verg 60/01). Bei der Abwägung der Einzelfallumstände ist zu
berücksichtigen, ob die Problematik des Nachprüfungsverfahrens mehr auf auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen beruht und der öffentliche Auftraggeber
über juristisch hinreichend geschultes Personal verfügt, welches zur Bearbeitung
der im jeweiligen Nachprüfungsverfahren relevanten Sach- und Rechtsfragen in
der Lage ist; dann soll eher keine Notwendigkeit bestehen. Bei größeren Auftraggebern, die Vergaben nicht nur in Einzelfällen ausführen, wird von der
Rechtsprechung deshalb tendenziell erwartet, dass sie auch ohne anwaltlichen Beistand in der Lage sind, darzulegen, dass das von ihnen ohnehin
zu beachtende und in ihren originären Aufgabenkreis fallende materielle
Vergaberecht zutreffend angewandt wurde. Treten zu auftragsbezogenen
Rechtsfragen weitere, nicht einfach gelagerte Rechtsfragen hinzu, spricht dies
wieder eher für die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts. Grundsätzlich trifft es auch immer noch zu, dass die Nachprüfungsverfahren unter
einem enormen Beschleunigungs- und Zeitdruck stehen und das Vergaberecht
eine komplexe Rechtsmaterie mit Vorschriften aus dem nationalen Recht und
345
dem Europarecht darstellt, welche nicht immer im Gleichklang stehen. Dieser
Gesichtspunkt in Verbindung mit der Gewährleistung der Waffengleichheit kann
es notwendig machen, einen Rechtsanwalt beizuziehen, um der Vergabestelle
eine sachgerechte Vertretung zu ermöglichen, wobei besonders zu beachten ist,
dass das Nachprüfungsverfahren ein gerichtsähnliches kontradiktorisches Verfahren darstellt und zur sachgerechten Vertretung des öffentlichen Auftragsgebers
forensische Kenntnisse und Erfahrungen in einem kontradiktorischem Verfahren
erforderlich sind (vgl. auch zur Problematik Weyand Vergaberecht 3. Aufl. § 128
GWB Rn. 5141 ff mit umfangreichem Rechtsprechungs- und Literaturnachweis).
Vorliegend beschränkten sich die Streitpunkte des Nachprüfungsverfahrens nicht
auf fachliche Aspekte, in denen die Vergabestelle ohnehin anlässlich der in ihrem
Geschäftsbereich nicht seltenen Ausschreibungen bewandert ist bzw. sein muss. Es
stellten sich vielmehr nicht einfach gelagerte Rechtsfragen sowohl im Bereich des
Prozessrechts (richtiger Antragsgegner bei Vergaben im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung) als auch im Bereich des materiellen Vergaberechts (Anforderungen an
die Eignung und deren Nachweis, Funktion und Reichweite einer Präqualifikation), so
dass die Hinzuziehung eines anwaltlichen Beistandes für den Antragsgegner geboten
und notwendig war.
197 OLG Dresden, Beschluss vom 14.11.2012 –
1 Verg 8/11 (Rettungsdienstleistungen)
Die Vergabekammer ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Frage, ob die
Zuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich war und die hieraus entstandenen
Kosten damit zu den notwendigen Aufwendungen der Vergabestelle i.S.v. § 80 Abs.
1 Satz 3 VwVfG gehören, nach dem individuellen Streitstoff des einzelnen Nachprüfungsverfahrens zu beurteilen ist. Unter den hier gegebenen Umständen hält es der
Senat indes abweichend von der Einschätzung der Vergabekammer für geboten, diese
Frage für das vorliegende Verfahren zu bejahen.
Erschöpfen sich die in der Vergabenachprüfung aufgeworfenen Probleme in der Auseinandersetzung darüber, ob die Vergabestelle das von ihr im Rahmen des streitbefangenen Vergabeverfahrens ohnehin zu beachtende „materielle“ Vergaberecht zutreffend
angewandt hat, d. h. im Wesentlichen die Bestimmungen der Verdingungsordnung
eingehalten sind, so wird die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Vertretung des
Auftraggebers vor der Vergabekammer regelmäßig nicht notwendig sein. Denn dann
ist – zumindest bei größeren Auftraggebern, die Vergaben nicht nur in Einzelfällen
ausführen – der Kernbereich der Tätigkeit betroffen, deren Ergebnisse zu rechtfertigen
eine Vergabestelle grundsätzlich auch ohne anwaltlichen Beistand in der Lage sein
muss. Dieser Bereich ist überschritten, wenn wesentliche Streitpunkte im Nachprüfungsverfahren sich gerade aus dessen „prozessualer“ Ausgestaltung ergeben. Das
Gleiche gilt grundsätzlich, wenn zum Streitstoff gemeinschaftsrechtliche Probleme
346
gehören, von denen in der Regel nicht erwartet werden kann, dass Vergabestellen sich
mit ihnen ohne anwaltliche Unterstützung abschließend auseinanderzusetzen vermögen. Denn in beiden Konstellationen geht es nicht mehr ausschließlich um die Pflicht
zur Anwendung der in eigener Verantwortung des Auftraggebers stets zu beachtenden
materiellen Vergaberegeln (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 30.09.2011, Verg 7/11).
Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein öffentlicher Auftraggeber – wie jede
Behörde – in der Lage sein muss, die bei ihm üblicherweise anfallenden Aufgaben
ohne (kostenträchtige) Unterstützung externer Experten zu bewältigen. Schaltet die
Behörde in diesem Bereich dennoch einen außenstehenden Dritten ein, wie etwa
einen anwaltlichen Bevollmächtigten zur Vertretung in einem Vergabenachprüfungsverfahren, von dem zu erwarten wäre, dass die Behörde es auch mit eigenen Kräften
betreiben könnte, dann kann sie die ihr dadurch entstehenden Kosten grundsätzlich
nicht auf den Verfahrensgegner abwälzen. Entscheidend ist daher letztlich, ob das
konkrete Nachprüfungsverfahren sich seinem gesamten Inhalt nach im Rahmen dessen hält, was der Auftraggeber bei sachgerechter Organisation und Ausstattung als
vergaberechtliches Alltagsgeschäft behandeln kann (und dann auch muss) oder ob
es über diese „Routine“ erkennbar hinausgeht. Dabei sind Probleme aus der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Nachprüfungsverfahrens und aus der Anwendung
des Gemeinschaftsrechts regelmäßig Anhaltspunkte für eine Überschreitung dieses
Bereichs notwendiger behördlicher Eigenverantwortung, während die bloße Anwendung des materiellen Vergaberechts üblicherweise einer ergänzenden anwaltlichen
Aufarbeitung nicht bedarf (siehe oben). Diese Grundsätze lassen indes einzelfallbezogene Abweichungen durchaus zu. Nicht jede verfahrensrechtliche Frage ist (zumal
nach mehr als zehn Jahren vergaberechtlicher Judikatur zur Problemklärung) ohne
weiteres Anlass zur Einschaltung eines anwaltlichen Bevollmächtigten, und umgekehrt
ist nicht jede Anwendung materiellen Vergaberechts nur deshalb, weil das Problem in
den Vergabe- und Vertragsordnungen angesiedelt ist, einer anwaltlichen Bearbeitung
im Auftrag des Auftraggebers von vornherein entzogen. Wesentlich ist auch insoweit
die Beurteilung des individuellen Streitstoffs des konkreten Nachprüfungsverfahrens.
Diese Beurteilung führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch den Beschwerdeführer als notwendig anzusehen ist.
Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen ist – nicht nur in Sachsen – seit etlichen
Jahren ausgesprochen prozessträchtig. Nicht selten muss der Auftraggeber, wie auch
hier, den im Kern gleichen Beschaffungsbedarf zum Gegenstand mehrerer hintereinander geschalteter Vergabeverfahren machen und in entsprechenden Nachprüfungsverfahren verteidigen. Dabei ist, obwohl im Grundsatz seit langem rechtlich geklärt ist,
dass Rettungsdienstleistungen auszuschreiben sind, wenn der Auftraggeber sie nicht
mit eigenen Kräften durchführt (d. h. auf einen Auftrag an Dritte gänzlich verzichtet),
nicht ohne weiteres zu erkennen, dass die Vielzahl der Nachprüfungsverfahren die
Sachlage für jeweils nachfolgende Vergabeverfahren geklärt oder auch nur vereinfacht
hätte (etwa was das zentrale Problem des Betriebsübergangs gemäß § 613 a BGB
angeht).
347
11. Kostenfestsetzungsverfahren
198 OLG München, Beschluss vom 28.02.2012 –
Verg 16/11 (Kostenfestsetzung)
Mit Beschluss vom 24.01.2012 wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem
Antragsgegner zu 3/4 und der Antragstellerin zu 1/4 auferlegt. Der Streitwert des
Beschwerdeverfahrens wurde auf 4.500,00 Euro festgesetzt. Mit Schreiben vom
25.01.2012, eingegangen am 27.01.2012, beantragte die Antragstellerin die Festsetzung der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Mit Schreiben vom 31.01.2012, eingegangen am 02.02.2012, beantragte der Antragsgegner die Festsetzung der Kosten
vor der Vergabekammer und die Festsetzung der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Mit Verfügung vom 06.02.2012 wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass der
Rechtspfleger am Beschwerdegerichts nicht verpflichtet ist, die Festsetzung der
Kosten vor der Vergabekammer vorzunehmen und eine Anrechnung der Kosten vor
der Vergabekammer nur nach den Vorschriften des § 15 a RVG erfolgen kann. Die Parteien hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 15.02.2012 teilte der
Antragsteller mit, dass die Auffassung des Rechtspflegers geteilt wird, der Rechtspfleger am Beschwerdegericht sei nicht verpflichtet, die Kosten vor der Vergabekammer
festzusetzen. Mit Schreiben vom 16.02.2012 teilte der Antragsgegner mit, dass der
Antrag auf Festsetzung der Kosten vor der Vergabekammer aufrechterhalten bleibt,
weil die Festsetzung der Gebühren vor der Vergabekammer „üblich“ ist und vor dem
Oberlandesgericht München auch in einem anderen Verfahren, Verg 24/10, auch so
gehandhabt wurde.
Der Argumentation des Antragsgegners kann nicht gefolgt werden. Bei der zitierten
Entscheidung Verg 24/10 handelt es sich um einen Kostenfestsetzungsbeschluss des
Rechtspflegers, der nicht als bindende obergerichtliche Entscheidung angesehen werden muss. Der Kostenbeamte des Oberlandesgerichts setzt die Kosten aufgrund der
rechtskräftigen Kostengrundentscheidung des Oberlandesgerichts fest, vgl. §§ 120
Abs. 2, 78 Satz 3 GWB i.V.m. § 103 ff. ZPO. Nach § 78 Satz 3 ZPO finden ausdrücklich
die Vorschriften der ZPO Anwendung. Der Rechtspfleger am Beschwerdegericht
ist gesetzlich nicht verpflichtet, die Kosten vor der Vergabekammer festzusetzen. Ein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren findet nicht statt, § 128 Abs.
4 Satz 5 GWB. Die Verpflichtung des Rechtspflegers für die Festsetzung der
Kosten vor der Vergabekammer würde auch dem Gedanken des Gesetzgebers
widersprechen, der gerade für die Festsetzung der Kosten vor der Vergabekammer durch die Schaffung des § 128 Abs. 4 Satz 5 GWB die gesetzliche Grundlage
dafür entzogen hat, dass die Vergabekammern ihre eigenen Kosten festsetzen,
vgl. hierzu auch Bechthold 6. Aufl. zu 3 128 Abs. 4 Rndnr. 17 GWB:
348
X. REAKTIONSMÖGLICHKEITEN
DES AUFTRAGGEBERS BEI
VERGABEFEHLERN/
NACHPRÜFUNGSANTRÄGEN
1.
Heilung von Vergabefehlern
199 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.2013 –
Verg 35/12 (Gebäudereinigungsverträge)
Die Ausschreibungsbedingungen können vom Auftraggeber auch aus Gründen der
Zweckmäßigkeit in jedem Stadium des Vergabeverfahrens geändert werden. Eine
solche Änderung folgt denselben Regeln wie eine Beseitigung von Rechtsverstößen.
bb) Bei der Anforderung, dass der Auftragnehmer zur Erbringung seiner Leistungen
sozialversicherungspflichtiges Personal einzusetzen hat, handelt es sich um eine
zusätzliche Bedingung für die Ausführung des Auftrags im Sinne von Art. 26 der
Richtlinie 2004/18/EG und § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB. Die Mitteilung dieser Anforderung kann danach entweder in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen erfolgen, zu denen im Streitfall gemäß § 9 Abs. 1 Buchst. c) EG VOL/A
auch der abzuschließende Servicevertrag gehört.
Hat der Auftraggeber indes – wie im Streitfall – in der Bekanntmachung angegeben,
besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags sollten nicht gelten, hat er
sich damit festgelegt und ist für den weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens insoweit
gebunden, als eine nachträgliche Änderung im Lauf des Vergabeverfahrens nur zulässig ist, wenn sie in transparenter und diskriminierungsfreier Weise erfolgt.
Im Streitfall hat der Antragsgegner intransparent gehandelt.
Die Ausschreibungsbedingungen können vom Auftraggeber auch aus Gründen
der Zweckmäßigkeit in jedem Stadium des Vergabeverfahrens geändert werden. Eine solche Änderung folgt denselben Regeln wie eine Beseitigung von
Rechtsverstößen (vgl. BGH, Beschl. v. 26.09.2006, X ZB 14/06 – Polizeianzüge in
Juris Tz. 52 u. 55), d.h. sie muss nur transparent und diskriminierungsfrei sein.
Diesen Anforderungen genügt es jedoch nicht, wenn, wie hier, der Auftraggeber
– nach vorheriger Mitteilung in der Bekanntmachung, besondere Bedingungen
349
für die Ausführung des Auftrags sollten nicht gelten – den Vergabeunterlagen
lediglich einen Vertragsentwurf beifügt, in dem an irgendeiner, nicht näher
gekennzeichneten Stelle besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags enthalten sind, ohne an anderer Stelle, etwa der Aufforderung zur Angebotsabgabe, deutlich auf die nunmehr gestellten Anforderungen hinzuweisen.
2.
Weitere Ausschlussgründe
200 VK Bund, Beschluss vom 05.10.2012 –
VK 3-111/12 (Reinigungsdienstleistungen)
Dass der Ausschluss erstmals im Schreiben der Ag vom 13. September 2012 auf § 19
Abs. 3 lit. d) EG VOL/A gestützt wurde, ist unerheblich. Entgegen der ASt kommt es
nicht ausschließlich auf die in der Mitteilung nach § 101 a GWB genannten Ausschlussgründe an. Tatsächlich können Ausschlussgründe noch in der mündlichen Verhandlung
vorgetragen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. November 2008, VIIVerg 54/08 sowie OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juni 2012, VII-Verg 7/12).
Entscheidend ist die objektive Sachlage.
3.
Interimsauftrag
201 OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.03.2012 –
Verg W 16/11 (Betriebliche Altersvorsorge)
1.) Der auf Feststellung der Unwirksamkeit der Interimsbeauftragungen von
Altersversorgungsleistungen der Auftraggeberin zu 1.) und der zu ihrer
Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften gerichtete Antrag des
Antragstellers hat nicht schon deshalb Erfolg, weil die streitgegenständliche Interimsvergabe sich als ein nach den §§ 115 Abs. 1, 118 Abs. 1 GWB
verbotener Zuschlag in dem aufgehobenen Vergabeverfahren darstellen
würde, das Gegenstand des vom Senat entschiedenen Nachprüfungsverfahrens Verg W 10/11 war. Die streitgegenständliche Interimsbeauftragung
hat gegenüber dem vorangegangenen Vergabeverfahren, das die arbeitgeber- und arbeitnehmerfinanzierte betriebliche Altervorsorge über Direktversicherungen und Unterstützungskasse für alle in der Zeit vom 1.4.21011
bis 31.3.2015 neu eingestellten Mitarbeiter zum Gegenstand hatte, einen
anderen Gegenstand. Das Zuschlagsverbot steht ihrer Wirksamkeit deshalb
nicht entgegen.
Die Interimsbeauftragung hat zum einen nur die arbeitgeberfinanzierte, nicht auch die
– im aufgehobenen Verfahren ebenfalls ausgeschriebene – arbeitnehmerfinanzierte
betriebliche Altersversorgung zum Gegenstand. Des Weiteren betraf das vorange-
350
gangene Vergabeverfahren die betriebliche Altersversorgung der Mitarbeiter der zur
Unternehmensgruppe der Auftraggeberin zu 1.) gehörenden Gesellschaften in den
Durchführungswegen „Direktversicherung“ und „Unterstützungskasse“, die Interimsbeauftragung betrifft allein den Durchführungsweg „Direktversicherung“.
Außerdem wurden durch die Interimsbeauftragung Versicherungsleistungen nur für
in einem kurzen, inzwischen bereits verstrichenen Zeitraum von sechs Monaten neu
eingestellte Mitarbeiter beschafft. Das aufgehobene Vergabeverfahren betraf die
betriebliche Altersversorgung für Mitarbeiter, die im Zeitraum vom 1.4.2011 bis zum
31.3.2015 neu eingestellt werden.
2.) Eine Interimsbeauftragung kann ihrerseits nur dann einer Nachprüfung
unterzogen werden, wenn deren Auftragswert den Schwellenwert übersteigt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a.) Der Schwellenwert von 193.000 Euro ist nach dem Inhalt der Beauftragungsschreiben der Auftraggeberin zu 1.) und der ihr angeschlossenen fünf Unternehmen vom 8.8.2011 an die Beigeladene nicht überschritten.
Nach dem Inhalt dieser Schreiben soll eine Interimsvergabe für Zeit vom 1.4.2011 bis
zum 30.9.2011 erfolgen, wobei die Auftraggeberin zu 1.) und die ihr angeschlossenen
fünf Unternehmen sich das Recht vorbehalten hatten, diese Interimsbeauftragung vor
dem 30.9. jederzeit und ohne Frist zu beenden.
Es spricht zwar alles dafür, dass die Auftragswerte aller abgeschlossenen Verträge
zusammengerechnet werden müssen. Denn die Auftraggeberin zu 1.) und die ihr
angeschlossenen Unternehmen beschaffen die nachgefragten Versicherungsleistungen gemeinsam. Dies ergibt sich aus dem ersten vom Senat aufgehobenen Vergabeverfahren, aus der Neuausschreibung vom 7.12.2011 und aus den weitgehend identischen Vergabevermerken zur hier streitgegenständlichen Interimsbeauftragung. Der
geschätzte Auftragswert übersteigt auch bei Zusammenrechnung aller Einzelvergaben
den Wert von 193.000 Euro jedoch nicht.
351
XI. VERGABEVERFAHREN
„AUßERHALB“ DER §§ 97 FF. GWB
1.
Rechtschutz bei Unterschwellenvergaben/„Verschätzung“
des Auftragswertes
202 LG Bad Kreuznach, Beschluss vom 20.04.2012 –
2 O 77/12 (statische Ertüchtigung)
Die Verfügungsbeklagte beabsichtigt die statische Ertüchtigung des #######. Die
dafür notwendigen Arbeiten, #########, schrieb die Verfügungsbeklagte national
öffentlich unter Bezugnahme auf VOB/A aus. Die Kostenschätzung des von der
Verfügungsbeklagten beauftragten ###### ergab vor Durchführung des Ausschreibungsverfahrens eine Angebotssumme in Höhe von netto etwa ####### EUR. Die
Maßnahme sollte ursprünglich ###### beginnen und Ende ##### abgeschlossen
sein. Die Verfügungsklägerin, ein großes Fachunternehmen der Branche, beteiligte
sich an der Ausschreibung und gab ein Angebot ab, das mit ####### EUR abschließt.
Die beiden Mitbewerber legten Angebote zu ######## EUR netto vor.
Die Klage ist zulässig. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung scheitert nicht
daran, dass bei Streitigkeiten um die Vergabe öffentlicher Aufträge unterhalb
der sogenannten Schwellenwerte (§§ 100, 127 GWB) grundsätzlich ein Primärrechtsschutz ausscheidet und der unterlegene Bieter auf die Verfolgung von
Schadenersatzansprüchen zu verweisen ist, denn dies verbietet sich bereits aus
Gründen des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG. Umstritten ist
allerdings die Reichweite dieses Primärrechtsschutzes. Während teilweise die Auffassung vertreten wird, ein Unterlassungsanspruch, wie er hier geltend gemacht wird,
komme nur bei Willkür oder einem bewusst diskriminierenden Verhalten des Auftraggebers infrage, da bei öffentlichen Auftraggebern als Anspruchsgrundlage allenfalls
Artikel 3 Abs. 1 GG, §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 UWG maßgeblich seien, werden in Teilen
der Rechtsprechung unterlegenen Bietern weitergehende Unterlassungsansprüche
zuerkannt, die aus den §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB hergeleitet werden (vgl. OLG
Koblenz, Beschluss vom 21.01.2011 – 1 W 35/11 -, zitiert nach Juris, m. w. N.).
Auch im vorliegenden Rechtsstreit kann offen bleiben, welcher Auffassung der Vorzug
zu geben ist. Einstweilige Verfügungen in Bezug auf den Streitgegenstand sind nach
§ 935 ZPO zulässig, wenn zu besorgen ist, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Selbst wenn der weitergehenden Auffassung zum Umfang
352
des Primärrechtsschutzes zugunsten der Verfügungsklägerin gefolgt würde, fehlt es
vorliegend an einem Verfügungsanspruch im Sinne des § 935 ZPO.
Eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten der Verfügungsklägerin, aus denen sich ein
Unterlassungsanspruch ergeben könnte, ist auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes nicht erkennbar.
Gemäß § 16 VOB/A 2009 hat eine Prüfung und Wertung der Angebote zu erfolgen.
Nach § 16 (1) VOB/A sind zwingende Ausschlusstatbestände normiert, die im vorliegenden Fall nicht einschlägig sind. Darüber hinaus können weitere Sachverhalte,
die gleichfalls hier nicht gegeben sind, den Ausschluss von Angeboten rechtfertigen.
Nach einer Prüfung der Eignung und der rechnerischen, technischen und wirtschaftlichen Überprüfung hat nach § 16 VOB/A (6) eine Wertung zu erfolgen. Ziffer 1 sieht
vor, dass auf ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis der Zuschlag
nicht erteilt werden darf. Erscheint ein Angebotspreis unangemessen niedrig und ist
anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht
zu beurteilen, ist in Textform vom Bieter Aufklärung über die Ermittlung der Preise
über die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen. Kann selbst danach
nicht die Angemessenheit eines Angebotes festgestellt werden, kann dieses bei der
Auftragsvergabe unberücksichtigt bleiben.
So liegt der Fall hier. Das Angebot der Verfügungsklägerin lag über 50% unter der vor
der Ausschreibung erstellten Kostenschätzung sowie über 40% unter den Angebotspreisen der konkurrierenden Bietern. Damit musste die Verfügungsbeklagte die Höhe
der Angebotspreise überprüfen (vgl. nur für die vergleichbare Situation OLG Celle,
Beschluss vom 17.11.2011 – 13 Verg 6/11 – IBR 2012, 102 m. w. N.). Dazu forderte die
Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin schriftlich unter der individuellen Benennung von 73 Positionen zur Klärung auf. Dass diese in Beantwortung dieser Anfrage
die Kalkulation der aufgelisteten 73 Positionen und der Auskömmlichkeit des Angebotes insgesamt gegenüber der Verfügungsbeklagten verständlich und nachvollziehbar
dargelegt hätte, hat sie selbst nicht behauptet.
Auch soweit sie in der weiteren Korrespondenz mit der Verfügungsbeklagten darlegte, eine möglicherweise teilweise zu scharfe Kalkulation einzelner Positionen an
anderer Stelle kompensiert zu haben, kann dem nicht gefolgt werden. Abgesehen
von den Fehlern der dem Schreiben vom 22.03.2012 und 27.03.2012 beigefügten
Exceltabelle, die in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, lassen auch die
dort in der Spalte „EP-Neu“ angegebenen Preise, die angeblich den marktgerechten
Preisen entsprechen sollen, nicht erkennen, dass sie auf einer entsprechenden Kalkulation unter Berücksichtigung des tatsächlichen Aufwandes und der eigenen Kosten beruhen. Da, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, die rechte Spalte der
Exeltabelle tatsächlich nicht die Überdeckung wiedergibt, die sie hätte wiedergeben
sollen, ist auch die daraus gezogene Schlussfolgerung der Verfügungsklägerin, ihr
Angebot enthalte noch eine Überdeckung von ###### EUR, die zur Verfügung stehe,
353
um an anderer Stelle möglicherweise einkalkulierte Fehlbeträge zu kompensieren,
nicht tragfähig. Sie wäre es auch ohne den Fehler der Tabelle nicht, denn ohne eine
Ermittlung der tatsächlichen Höhe der Unterdeckung kann nicht festgestellt werden,
ob der von der Verfügungsklägerin ermittelte Überdeckungsbetrag ausreicht, um den
Unterdeckungsbetrag auszugleichen.
Auf dieser Grundlage hat die Verfügungsbeklagte den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Der in dem klägerischen Angebot enthaltene Preis lag
nicht nur weit über 40% unter den Preisen der anderen Anbieter, sondern auch über
50% unter der Kostenschätzung des Planers der Verfügungsbeklagten. Dass dessen
Kostenermittlung einen Fehler enthielte, der von den übrigen Bietern geteilt worden
sei, ist nicht dargetan. Warum der Gesamtangebotspreis der Verfügungsklägerin derart gravierend unter den Preisen der übrigen Anbieter und der Kostenschätzung liegt,
konnte die Verfügungsklägerin weder im Rahmen des Vergabeverfahrens noch im
vorliegenden Rechtsstreit erklären. Ihre Hinweise auf möglicherweise vorliegende
Mängel der Angebote der übrigen Bieter vermögen eine entsprechende Klärung, insbesondere in Bezug auf die Kostenschätzung, nicht zu vermitteln.
Unerheblich ist schließlich, dass der Verfügungsklägerin einzelne Positionen der Angebote der Mitbewerber nicht verständlich erscheinen. Maßgeblich ist im vorliegenden
Fall nicht die Beantwortung der Frage der Verständlichkeit eines jeden einzelnen Angebotsteiles, sondern vielmehr die Angemessenheit des von der Verfügungsklägerin
unterbreiteten Gesamtpreises.
Soweit die Klägerin den Vorwurf willkürlichen Verhaltens gegenüber der Beklagen
erhebt, weil diese eklatante Preisabweichungen in den Angeboten der Mitbewerber
nicht gleichfalls zum Anlass für Nachfragen genommen habe, kann sie damit nicht
durchdringen. Sie verkennt, dass hinsichtlich der von ihr aufgezeigten Positionen die
Mitbewerber von der auch von der Klägerin selbst in Anspruch genommenen Möglichkeit Gebrauch gemacht haben können, einige Positionen „scharf“ zu kalkulieren und
daraus sich ergebende Unterdeckungen durch an anderer Stelle „großzügig“ bemessene Angebotspreise zu kompensieren. Im Unterschied zum klägerischen Angebot
lässt sich dies auch aus den Endbeträgen der Angebote der Mitbewerber ableiten,
die von der Größenordnung her der Kostenschätzung entsprechen. Dagegen liegt
der Endbetrag des klägerischen Angebots unter 50% der Kostenschätzung und wirft
daher die Frage nach der Auskömmlichkeit im Ganzen auf, die durch den Hinweis auf
Querdeckungen innerhalb des eigenen Angebots nicht beantwortet werden kann.
Letztlich kann sich die Verfügungsklägerin im Verhältnis zur Verfügungsbeklagten
nicht mit Erfolg auf den Schutzzweck von § 16 (6) VOB/A berufen. Ein Auftraggeber
ist nicht im jeden Einzelfall gehalten, zu prüfen, worauf die Unangemessenheit des
auszuschließenden Angebotes zurückzuführen ist und welche Auswirkungen auf den
Wettbewerb zu erwarten sind, wollte er das Angebot trotz der Unangemessenheit
zulassen.
354
Der Antrag war daher mit der sich aus § 91 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge
abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit geht auf die §§ 708
Ziffer 6, 711 ZPO zurück.
Der Streitwert wird auf ###### EUR festgesetzt. Maßgeblich ist gemäß § 3 ZPO
das wirtschaftliche Interesse der rechtssuchenden Partei an der Entscheidung. Da
keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass die Verfügungsklägerin den angestrebten Auftrag zur Auslastung ihrer Betriebskapazitäten benötigt, um die fortlaufenden
Betriebskosten zu erwirtschaften, wird auf den aus ihrer Sicht zu erwartenden Gewinn
abzustellen sein, der in analoger Anwendung des § 50 Abs. 2 GKG auf 5% der Bruttoauftragssumme zu schätzen ist.
203 OLG Saarbrücken, Urteil vom 13.06.2012 –
1 U 357/11 (Lichtsignalanlagen)
I.
Die Verfügungsklägerin begehrt die Versagung der Zuschlagserteilung an die Nebenintervenientin in einem Vergabeverfahren.
(…)
II.
(…)
Der Verfügungsklägerin steht kein Anspruch auf Unterlassung der Zuschlagserteilung
zu. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zwar zulässig, jedoch
unbegründet.
1. (…)
2. Dem Erfolg des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens steht nicht schon die
fehlende Möglichkeit der Erlangung von Primärrechtsschutz entgegen. Die Verfügungsklägerin hat auch im vorliegend gegebenen Unterschwellenbereich, § 100
Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 VgV, in dem die §§ 97 ff. GWB nicht anwendbar sind,
grundsätzlich die Möglichkeit im Wege des Primärrechtsschutzes die Unterlassung der Zuschlagserteilung nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung
mit § 1004 Abs. 1 BGB analog geltend zu machen. Bei der hiernach eröffneten
Prüfung ist das Gericht nicht auf eine bloße Willkürkontrolle beschränkt.
a. Infolge der Durchführung eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge entsteht ein Schuldverhältnis im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB durch die
Aufnahme von Vertragsverhandlungen, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Bei einem
355
Verstoß gegen die den Auftraggeber hieraus treffenden Rücksichtnahmepflichten
ist dieser zum Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet (vgl.
BGHZ 190, 89, 92 f. – Rettungsdienstleistungen II).
b. Der Bieter ist in diesem Schuldverhältnis jedoch nicht auf Rechtsschutz auf
Sekundärebene beschränkt. In analoger Anwendung von § 1004 Abs. 1 BGB
steht ihm bereits auf der Primärrechtsebene ein Anspruch auf Unterlassung
der Zuschlagserteilung an einen Mitbieter zu, wenn die entsprechenden
Voraussetzungen der vorgenannten Normen vorliegen (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Januar 2010 – 27 U 1/09 -, juris, Absatz-Nr. 28 ff. mwN
auch zu Gegenansichten; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 8. Dezember
2008 – 9 U 431/08 -, juris, Absatz-Nr. 34; für die „grundsätzliche“ Gewährung
von Primärrechtsschutz auch Frenz, in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht,
2. Aufl. 2011, § 97 GWB Rn. 161; zum Stand der Rechtsprechung auch Summa,
in: jurisPK-VergR, 3. Aufl. 2011, Vertiefungshinweis 1 zu § 100 GWB, Rn. 15 ff.).
(1.) Die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 190, 89) bezog sich
zwar auf ein Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte. Jedoch führt der
Bundesgerichtshof aus, dass bei Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte
die Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnungen für Bauleistungen und
Leistungen einschlägig sind, sofern der Auftraggeber – was allgemein üblich ist –
ankündigt, die Vergabe auf der Grundlage dieser Vorschriften durchzuführen (vgl.
BGHZ 190, 89, 93). Der Ablauf des Verfahrens ist damit ebenso wie bei Erreichen
der Schwellenwerte eingehend geregelt, woraus subjektive Rechte der Bieter folgen. Der Enttäuschung eines besonderen Vertrauens der Bieter (vgl. hierzu noch
Gröning, GRUR 2009, S. 266, 267) bedarf es nach der o.g. Rechtsprechung nicht
mehr.
(2.) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 116, 135) sowie
die vorangegangene Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts vom
29. April 2003 (5 Verg 4/02, NZBau 2003, S. 462, 463) stehen dem vorliegenden Ergebnis nicht entgegen. Der Fall betraf die Frage des Primärrechtsschutzes
nach Zuschlagserteilung. Das Saarländische Oberlandesgericht hatte nicht über
die – gerade vorliegend umstrittene – Frage der Zuschlagsverhinderung im Wege
einstweiliger Verfügung zu entscheiden.
Zwar führt die Zuerkennung von Primärrechtsschutz im Unterschwellenbereich zur
Frage der Umgehung der in §§ 97 ff. GWB statuierten Voraussetzungen. Ist nach
allgemeinen Rechtsgrundsätzen – hier die sog. culpa in contrahendo – ein Anspruch
infolge der Verletzung eines subjektiven Rechts gegeben, kann dies jedoch im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs gerichtlich verfolgt werden. Dabei kann die
tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung der Verwaltung führen. Aufgrund
dieser Selbstbindung kommt den Verdingungsordnungen als den verwaltungsinternen
Regelungen über Verfahren und Kriterien der Vergabe eine mittelbare Außenwirkung
zu (so BVerfGE 116, 135, 153 f.).
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Vorliegend haben sich die Verfügungsbeklagten infolge der Zugrundelegung
der VOB/A selbst hieran gebunden, so dass hieraus ein subjektives Recht eines
jeden Mitbewerbers auf Beachtung der darin enthaltenen Regelungen folgt. Die
Nebenintervenientin kann die Verletzung der ihr hiernach zustehenden subjektiven
Rechte im Wege des Rechtsschutzes „nach der allgemeinen Rechtsschutzordnung“
(so BVerfGE 116, 135, 155) geltend machen.
Dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet ist, eine auch
faktisch realisierbare Möglichkeit eines Primärrechtsschutzes im Vergaberecht zu
schaffen (vgl. BVerfGE 116, 135, 156 f.), steht dem nicht entgegen. Zwar verfügt
der unterlegene Bieter somit oftmals vor Zuschlagserteilung nicht über die nötigen
Informationen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber derartige
Verfahrensvorkehrungen nicht getroffen hat, da dies die Verwaltungsarbeit beim
„Massenphänomen“ der Vergabe im Unterschwellenbereich erheblich beeinträchtigen würde (vgl. BVerfGE 116, 135, 158). Dies hindert die Rechtsschutzgewährung
bezüglich desjenigen Bieters, der vor Zuschlagserteilung im Einzelfall über die nötigen
Informationen verfügt, jedoch nicht.
Dem Problem einer Verfahrensverzögerung kann im Rahmen der im Folgenden dargestellten Abwägung der beteiligten Interessen hinreichend Rechnung getragen werden.
Die Frage, ob Regelungen des GWB, welche weitergehende Anforderungen an die
Rechtsschutzgewährung aufstellen, etwa § 107 Abs. 3 GWB, auch in Fällen wie dem
vorliegenden anwendbar sind, kann im Ergebnis dahinstehen, da der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung aus anderen Gründen, wie noch aufzuzeigen sein wird,
im Ergebnis unbegründet ist.
(3.) Der dem Bieter zuzuerkennende Primärrechtsschutzanspruch erfasst auch Unterlassungsansprüche.
Es ist anerkannt, dass Rechte und Rechtsgüter nicht nur nach vollendeter Verletzung
durch Schadensersatzansprüche geschützt werden sollen, sondern schon präventiv
gegen drohende Verletzung durch Unterlassungsansprüche. Ein Gläubiger ist nicht auf
ein Dulden und Liquidieren beschränkt (vgl. Baldus, in: Münchener Kommentar zum
BGB, 5. Aufl. 2009, § 1004 Rn. 9).
Zwar ist es zutreffend, dass die Einklagbarkeit von Schutzpflichten nach § 241 Abs.
2 BGB nicht explizit kodifiziert ist (dies zur kritischen Auseinandersetzung mit der
o.g. Entscheidung des OLG Düsseldorf nehmend: Summa, in: jurisPK-VergR, 3. Aufl.
2011, Vertiefungshinweis 1 zu § 100 GWB, Rn. 24). Auch sind bei § 241 Abs. 2 BGB
nicht die eigentlichen Rechte und Rechtsgüter betroffen, sondern Pflichten zur Rücksichtnahme auf jene. Jedoch kann daraus nicht im Umkehrschluss auf eine generell
fehlende Einklagbarkeit dieser Pflichten geschlossen werden.
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Die vorliegend betroffenen Schutzpflichten sind in ihrem Regelungsgehalt und ihrer
Reichweite ähnlich bestimmt wie die Hauptpflichten. Der Auftraggeber, der das von
ihm eröffnete Vergabeverfahren nach den Regelungen der VOB/A durchzuführen vorgibt, hat gerade kein völlig freies Ermessen, wie er die Leistung bewirken will (vgl.
hierzu Bachmann/Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 241 Rn.
60). Er hat sich selbst dem Regelungswerk der VOB/A unterworfen und ist aufgrund
der Selbstbindung in der Folge auch verpflichtet, dieses im Einzelnen einzuhalten.
Eine Gefahr der Unbestimmtheit der Leistungspflicht und damit auch etwaiger Nebenpflichten besteht nicht. Die Nebenpflichten haben sich vielmehr auf der Grundlage
der VOB/A zu einem bestimmten Tun bzw. Unterlassen konkretisiert (vgl. insoweit
Stürner, JZ 1976, S. 384, 386).
Die Rechtsähnlichkeit dieser konkret bestimmten Schutzpflichten zu den deliktsrechtlichen Ansprüchen spricht somit dafür, auch für das Schutzpflichtverhältnis einen klagbaren Erfüllungs- und auch einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch zu gewähren,
falls sich die abzuwehrende Gefahr rechtzeitig im Voraus hinreichend konkretisiert und
die Interessen des Gläubigers – hier des Bieters – diejenigen des Schuldners überwiegen (vgl. Bachmann/Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 241
Rn. 129 und Rn. 60; zur „Abwägungslösung“ auch Olzen, in: Staudinger, Neubearbeitung 2009 § 241 Rn. 547 f.; zum Bestehen von Unterlassungsansprüchen BGH, Urteil
vom 12. Januar 1995 – III ZR 136/93 -, NJW 1995, S. 1284, 1285; Schmidt-Kessel, in:
Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 7. Aufl. 2012, § 241 Rn. 24).
(4.) Ein Bedürfnis für zivilrechtlichen Primärrechtsschutz besteht grundsätzlich auch
bei einem drohenden Vergabeverstoß. Dabei sind die Interessen des Bieters mit
denjenigen des Auftraggebers abzuwägen und im Einzelfall zu prüfen, ob den
Bieter analog § 1004 Abs. 2 BGB eine Pflicht zur Duldung der Zuschlagserteilung
trifft.
Es ist dabei zum einen das Interesse des Bieters am Erhalt des Auftrages zu berücksichtigen. Der auf bloßen Schadensersatz gerichtete Sekundärrechtsschutz ist nicht in
gleichem Maße für den Bieter, der sich mit seinem Gewerbe entsprechend betätigen
und am Wirtschaftsleben teilnehmen will, effektiv. Ferner hat auch der Auftraggeber
grundsätzlich ein Interesse daran, sich vor solchen Schadensersatzansprüchen, deren
Ausmaß für ihn nicht ohne weiteres überschaubar ist, zu schützen und etwaige Streitpunkte des Vergabeverfahrens vor Zuschlagserteilung einer Entscheidung zuzuführen.
Andererseits ist jedoch das Interesse des Auftraggebers an einer Vermeidung der
Verzögerung des Vergabeverfahrens sowie damit zusammenhängend die Wirtschaftlichkeit der Vergabe (vgl. BVerfGE 116, 135, 157) in die Abwägung einzustellen. Es ist
im Einzelfall zu prüfen, ob sein mögliches Interesse an einer frühzeitigen Zuschlagserteilung, etwa mit Blick auf Umfang, Tragweite und zeitlicher Planung des Vorhabens,
überwiegt, so dass im Sinne von § 1004 Abs. 2 BGB analog eine Duldungspflicht des
Bieters besteht.
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Schließlich ist auch zu berücksichtigen, ob das Verfahren seitens des Bieters sachwidrig genutzt oder sogar missbraucht wird (vgl. BVerfGE 116, 135, 157).
(5.) Die hiernach anzustellende Abwägung führt vorliegend zur grundsätzlichen
Gewährung eines Unterlassungsanspruchs des Bieters. Eine Pflicht, die
Zuschlagserteilung hinzunehmen und hiernach Schadensersatzansprüche
geltend zu machen, besteht nicht.
Gründe, die für ein Überwiegen der Interessen der Auftraggeber sprächen, sind vorliegend nicht vorgebracht und auch nicht ersichtlich. Es handelt sich um ein ausschließlich auf eine gewisse Anzahl von Lichtzeichenanlagen bezogenes Vorhaben, das nicht
in besonderem Maße eilbedürftig erscheint und auch nicht als Teil eines Gesamtvorhabens dessen Fortschreiten bedingt. Auf der anderen Seite sind die Interessen
der Verfügungsklägerin an der eigentlichen Auftragserteilung zu berücksichtigen, die
vorliegend als überwiegend angesehen werden können. Damit ist ihr ein vorbeugender Unterlassungsanspruch zuzubilligen.
204 OLG Dresden, Beschluss vom 24.07.2012 –
Verg 2/12 (Beseitigung von Ölverunreinigungen)
II. Die Beschwerde ist begründet.
Der vom Antragsgegner mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag vom 21.03.2012
ist gemäß § 101 b Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. § 101 a GWB unwirksam, weil der Antragsgegner, von seinem Standpunkt, das streitbefangene Beschaffungsvorhaben sei nicht
europaweit auszuschreiben, folgerichtig die in § 101 a GWB geregelten Informationsund Wartepflichten gegenüber der Antragstellerin nicht eingehalten hat. Dies kann
die Antragstellerin entgegen der Auffassung der Vergabekammer zulässigerweise
zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens machen. Denn bei sachgerechter Schätzung des Auftragswerts für das ausgeschriebene Vorhaben ist der
Schwellenwert von 193.000,00 EUR, von dem alle Beteiligten – zu Recht – hier als
maßgeblich ausgehen, nachhaltig überschritten. Damit ist der Anwendungsbereich
der §§ 97 ff. GWB einschließlich der damit verbundenen Rechtsschutzmöglichkeiten
für die Antragstellerin eröffnet. Zugleich ergibt sich daraus, dass die in Rede stehende
Beanstandung in der Sache zutrifft.
Der Senat stimmt der Vergabekammer darin zu, dass dem die Tatsache, dass die
Antragstellerin innerhalb der hierzu vorgesehenen Frist kein eigenes Angebot
abgegeben hatte, unter den hier gegebenen Umständen nicht entgegensteht.
Denn ein solches Angebot wäre sinnlos gewesen, weil der gerügte Vergabeverstoß (Unterlassen einer zwingend gebotenen europaweiten Ausschreibung)
nur durch eine erneute Ausschreibung, also durch ein ordnungsgemäß bekannt
zu gebendes neues Vergabeverfahren behebbar war. Warum ein Bieter sich
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angesichts dessen mit einem eigenen Angebot auf ein irreparabel rechtswidriges Verfahren einzulassen hätte, nur um sich die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens zu eröffnen, in dem es auf den Inhalt dieses Angebots dann
denknotwendig nicht ankommen kann, vermag der Senat nicht zu erkennen.
205 LG Wiesbaden, Beschluss vom 12.07.2012 –
4 O 17/12 (Rügepflicht)
Der Erlass der einstweiligen Anordnung war geboten, weil es am Verfügungsgrund
fehlt.
Im Vergabeverfahren muss im Rahmen einer einstweiligen Verfügung Berücksichtigung finden, dass der Primärrechtsschutz nur unzulänglich die Rechte derjenigen
Beteiligten am Vergabeverfahren wahren kann, die ebenfalls von einem Zuschlagsverbot betroffen sind, weil sie den Zuschlag erhalten (OLG Düsseldorf VergabeR 2010,
531, Juris, Rn. 44ff.; LG Berlin 52 O 254/11, Rn. 13). Aufgrund dessen kann die
betroffene Partei nur noch dann Primärrechtsschutz im Verfügungsverfahren
erhalten, wenn sie sich rasch positioniert und eventuelle Verstöße im Vergabeverfahren unverzüglich geltend macht (LG Berlin a.a.O.).
Hier rügt die Verfügungsklägerin die Unwirksamkeit von Ziff. 3.8 der Bewerbungsbedingungen, wonach Hauptangebote mit negativen Einheitspreisen von der Wertung
ausgeschlossen werden.
Diese Bewerbungsbedingungen sind der Verfügungsklägerin bereits am 18.5.2012
zugegangen. Ab diesem Zeitpunkt war es der Verfügungsklägerin möglich, die Unwirksamkeit von Ziff. 3.8 der Bewer

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