F:\bemsen\Eigene Dateien\Gottesdienst\Unikirche pfingstsonntag08
Transcrição
F:\bemsen\Eigene Dateien\Gottesdienst\Unikirche pfingstsonntag08
Pfingstsonntag, Unikirche Kiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Mai 2008 Röm 8,1–11 Liebe Gemeinde, es mag schon sein, dass Pfingsten – wie mein verehrter Lehrer Prof. Preul in einer Pfingstpredigt gesagt hat – das unanschaulichste und daher am schwierigsten zu vermittelnde aller christlichen Feste ist. Es gibt weder so etwas Anrührendes wie ein kleines Kind in der Krippe noch so etwas Schockierendes wie eine Hinrichtung oder so etwas Existentielles wie Berichte über einen, der vom Tod auferstanden ist. Und Geschenke gibt es in der Tat auch keine mehr – ich halte es allerdings nur für eine Frage der Zeit, wann eine lahmende Wirtschaft dieses bisher unbeackerte Feld für sich entdeckt. Allerdings könnte man für eine quasi natürliche Bedeutsamkeit des Pfingstfestes ins Feld führen, dass es das ökumenischte aller christlichen Feste zu sein scheint. Der grundlegende Gedanke des Festes findet sich in den meisten Religionen und Weltanschauungen wieder: Es gibt einen Geist, eine Aura, einen spirit, ein Lebensprinzip, das die Welt, wie wir sie kennen und erleben, durchdringt und unsere menschliche mit der Sphäre des Göttlichen verbindet. Dieser Geist qualifiziert die Welt und stattet sie mit besonderer Dignität aus, weil er eben ein göttliches Prinzip ist oder sogar mit Gott identisch ist. Dieser Geist ist ein dynamisches und lebenschaffendes Prinzip, wie es im Französischen ésprit besonders gut zum Ausdruck kommt. Natürlich haben die uns verwandten Religionen eine Vorstellung vom Geist Gottes: Die Ruach schwebte nach der jüdischen Schöpfungsgeschichte am ersten Schöpfungstag auf dem Wasser. Auch der Islam kennt den Geist der Heiligkeit, der die Propheten und Jesus gestärkt hat, auch wenn er ihn in seinem strengen Monotheismus nicht als eigene göttliche Größe ansieht – hierbei besteht auch überhaupt kein Widerspruch zu einer richtig verstandenen Trinititätsvorstellung. Aber auch andere Religionen haben ähnliche Vorstellungen: Bodhicitta oder dhatu ist der Geist als innere Einstellung und Eigenschaft aller Dinge auf der Welt im Buddhismus. Manitu oder Wakanda heißt der „Große Geist“ bei den nordamerikanischen Indianern, auch das Dao des Taoismus in seiner Bedeutung eines der ganzen Welt zugrunde liegenden, alles durchdringenden Prinzipes ließe sich hier nennen. Aber auch viele der unüberschaubaren Richtungen der neuen Religiosität beschreiben den Weg zum Heil damit, dass man in Einklang mit einer die Welt durchwehenden geistlichen Kraft kommen muss, um selbst seinen Frieden als Teil dieses Ganzen zu finden. FengShui ist beispielsweise die Lehre davon, wie man das Kraftfeld in seiner Nähe positiv ausrichtet, um an dieser Stärke teilzuhaben. Selbst in der religiösen Symbolik von zeitgenössischen Filmen spielt das Geistprinzip eine prominente Rolle. „Die Macht ist es, die dem Jedi seine Stärke gibt. Es ist ein Energiefeld, das alle lebenden Dinge erzeugen. Es umgibt uns, es durchdringt uns. Es hält die Galaxis zusammen“, sagt Obi Wan Kenobi, der Jedimeister zu Luke Skywalker, als er ihn unterrichtet, und ein guter Jedi nutzt die Macht, um Frieden und Harmonie in der Welt herzustellen, sozusagen eine Art intergalaktischen Sabbat. Nun sind dem Christentum solche sehr kreatürlichen und häufig naturverbundenen Vorstellungen des Geistes nicht fremd – Gott sei Dank, möchte man sagen –, und gerade, wenn ein Pfingstfest so sonnig ist wie dieses und mitten in die üppigste Jahreszeit fällt, so wie in diesem Jahr, dann ist es – entgegen meinem ersten Votum – sogar ausgesprochen anschaulich. Wer in den letzten Tagen Zeit hatte, nicht am Schreibtisch oder an einem anderen Arbeitsplatz drinnen zu hocken sondern herauszukommen und etwas an der frischen Luft zu machen, der ist eigentlich schon in allerbester pfingstlicher Stimmung für den Schöpfergeist. Das Lied, das wir zu Beginn des Gottesdienstes gesungen haben [639: Nun steht in Laub und Blüte], kann durchaus auch als pfingstliches Lied gelten, es teilt mit dem bekannteren „Wie lieblich ist der Maien“ nicht nur die Melodie, sondern auch den schlüssigen Gedanken, dass wir in der überbordenden Lebensfülle der Natur Gottes Geist des Lebens spüren können. „Der Botschaft hingegeben / stimmt fröhlich mit uns ein: / Wie schön ist es, zu leben / und Gottes Kind zu sein!“ Dieser mitreißenden Energie der Schöpfung kann man sich kaum entziehen, sie stiftet Gemeinschaft, in dem man spontan ins Singen einstimmt, und die Erkenntnis, Gottes Kind zu sein, ist nach christlichem Verständnis ausschließlich durch den Heiligen Geist zu erlangen. Mit diesem Vorzeichen nähern wir uns dem Predigttext des diesjährigen Pfingstsonntags. Er steht im Römerbrief im 8. Kapitel in den Versen 1–11. So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. Paulus zeichnet im Römerbrief das Geistgeschehen in seinen großen Entwurf einer Theologie ein, was vor allem beim ersten Hören für Verwirrung sorgen kann. Sehr verdichtet kommen Tod und ewiges Leben, paulinisches Gesetz- und Sündenverständnis, Gesetz und Evangelium, Verdammung und Hoffnung, alter und neuer Mensch und die Gleichzeitigkeit der menschlichen Verfassung als Sünder und Gerechtfertigter zur Sprache. Dazu kommt die oft missverstandene Redeweise von fleischlicher und geistlicher Gesinnung. Der Text ist sicher auch nicht so enthusiastisch geschrieben wie beispielsweise die Ursprungserzählung in der Apostelgeschichte, von Gaben und Begabungen, von Begeisterung auf der einen und Befremdung auf der anderen Seite ist hier weniger die Rede. Die Flammen des Geistes züngeln im Römerbrief kontrollierter und reflektierter. Das mag zum einen daran liegen, dass Paulus eben mehr der reflektierende Theologe gewesen ist als der hinreißende Prediger – der Vorwurf ist ihm ja schon von der Gemeinde in Korinth gemacht worden –, zum anderen hatte er mit genau der religionsübergreifenden, sozusagen ökumenischen Sichtweise des Geistes schlechte Erfahrungen gemacht. Diese Botschaft vom Geist, der frei macht, war gerne aufgenommen worden als von allen ethischen Verpflichtungen entbindende libertinistische Haltung, wie sie auch in anderen Religionen des biblischen Kulturkreises bekannt war. „Kennen wir längst, dieses neue Prinzip“, war die Reaktion auf die paulinische Verkündigung beispielsweise in Teilen der korinthischen Gemeinde, „das haben wir immer schon gesagt und wenn es nun noch einmal mit einem anderen religiösen Unterbau gesagt wird, dann nehmen wie es erst recht an.“ Paulus hat sehr viel Mühe darauf verwendet zu verdeutlichen, dass genau diese schranken- und regellose Freiheit nicht im Heiligen Geist zu finden ist, sondern dass die Wahrheit, in die der Geist führt, wie es im Johannes-Evangelium heißt, eine ist, die gerade nicht die eigene Befindlichkeit in den Mittelpunkt stellt, sondern die Gemeinschaft zum Ziel hat. Gottes Geist ist ein Geist der auf Mitteilung drängt, das ist der theologische Kern der Rede von Pfingsten als Geburtstag der Kirche. Es hat nun also den Anschein, als ob Paulus im Laufe seiner Wirksamkeit aus Schaden klug geworden ist, und dem anfänglichen „den Geist dämpft nicht“ aus seinem Erstlingswerk an die Thessalonicher, zu einer durch theologische Reflexionen doch einigermaßen im Zaum gehaltenen, zurückhaltenden Anschauung des Heiligen Geistes gekommen ist. Dafür spricht, dass der Gegensatz zwischen Schwärmern und Realisten ein sehr grundlegender Konflikt des christlichen Glaubens ist, der im Laufe der Christentumsgeschichte immer in unterschiedlicher Intensität aufgebrochen ist. Er ist bis zum heutigen Tag lebendig, wenn enthusiastische Christen verschiedener Gruppen innerhalb und außerhalb der Landeskirchen verächtlich auf die bloßen Verwalter des gemäßigten Flügels in der Mehrzahl der landeskirchlichen Gemeinden schauen. Wo es keine Heilungen und keine Zungenrede gibt, kann der Geist Gottes nicht sein, ist verkürzt ihre Maxime. Die Vorbehalte sind aber auch umgekehrt dort zu greifen, wo mit theologisch geschliffener Argumentation alles abgebügelt wird, was der gewohnten und kontrollierten Frömmigkeit nicht entspricht. Das kann Kirchen in anderen Teilen der Welt genauso treffen wie einzelne Menschen mit besonderen Begabungen oder die aufblühende neue Religiosität mit ihren Heilungen oder ihren anderen vielfältigen wundersamen Erscheinungen in einem theologischen Rundum-Befreiungsschlag. Zu Pfingsten ist die Herausforderung an uns also, die alle Grenzen sprengende Kraft des Heiligen Geistes, das Unerhörte und Skandalöse – mittags schon betrunken? –, das Prinzip des guten, gottgewirkten Lebens, das sich in allen Teilen der Schöpfung widerspiegelt, und die grundsätzliche theologische Reflexion eines geistvollen Lebens in ein konstruktives Verhältnis zueinander zu bringen. Wo das gelingt, werden wir unterscheidungsfähig für die verschiedenen Geister dieser Welt, denn nicht jeder Geist ist automatisch auch der Heilige, göttliche Geist, um den es uns Christen an Pfingsten geht. Paulus vertritt jedoch entgegen dem ersten Anschein keine abgemilderte, sozusagen handhabbare und kontrollierbare Form des Heiligen Geistes, auch wenn seine Ausführungen über die Bedeutung des Heiligen Geistes für die grundsätzliche Konstitution des glaubenden Menschen etwas blass wirken im Gegensatz zu den anderen spektakulären Beschreibungen, welche Kraft der Heilige Geist einzelnen menschlichen Begabungen verleiht. Trotzdem sind die Konsequenzen dieser grundlegenden Bestimmungen bei intensiverer Betrachtung nicht minder umstürzendend. Nach Paulus befreit der Geist den Menschen erstens von einer Kalamität, die im vorhergehenden Kapitel beschrieben wird. Durch den Heiligen Geist werden ja nicht einfach aus verwerflichen Existenzen, die nur egoistisch auf das eigene Wohl schielen, selbstlose Wohltäter. Nein, auch der nicht oder momentan nicht vom Heiligen Geist beseelte Mensch hat sehr wohl ein Gespür für das Gute und Schöne, nur kann er sich nicht aus den Verstrickungen befreien, die ihn daran hindern, es auch zu tun. Das Gesetz sorgt für die Erkenntnis der Sünde und demnach auch zur Erkenntnis des Guten, aber man kommt einfach nicht aus der Falle der Selbstbezogenheit: „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht.“ heißt es im vorhergehenden Kapitel des Römerbriefs (7,19). Das Leben nach dem Fleisch, wie in der paulinischen Theologie heißt, ist nicht einfach das Leben als leibliches Leben, so wenig, wie das Leben nach dem Geist auch keine körperlose Angelegenheit ist. Leben nach dem Fleisch meint, die leibliche gegenwärtige Existenz als die einzige und letztgültige Seinsweise anzusehen. In ihr sehen wir vom Menschen lediglich dieses Leben als aufrecht gehendes Tier, das bestimmte mentale Fähigkeiten besitzt, die andere Lebewesen nicht haben. In dieser Perspektive handeln Menschen im schlechten Falle so, dass sie ihr eigenes Wohlergehen nur im Wettbewerb und auf Kosten mit den anderen schaffen. Im besten Falle kann man noch anerkennen, dass es sinnvoll ist, einer möglichst großen Zahl von Menschen das größtmögliche Glück zu verschaffen. Aber dieses Streben ist fragil, dauernd bedroht von dem verständlichen Treiben der anderen, eine größere Scheibe vom Kuchen abzuschneiden, und es ist sofort am Ende, wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr die Kraft oder das Vermögen haben, für dieses Ziel erfolgreich anzugehen. Für Verlierertypen hat dieses System eines fleischlichen Lebens keine Nische. Vor allem ist es ein System, dass recht einfallslos ist in seiner Art, das außer einer gestiegenen Effektivität kaum eine Veränderung denken kann, und das von daher recht ungeeignet ist, einen tiefgehenden Wandel des Zusammenlebens aller Menschen zu bewirken. Es ist trotz seines möglichen Erfolgs eine „fidele Resignation“, wie Max Frisch sie nennt, in der nach Paulus das Fleisch lebt, aber der Geist tot ist. Der Geist Gottes setzt uns im Gegensatz dazu ans Werk. Er lässt uns nachdrücklich dafür eintreten, dass es eine andere Welt zu schaffen gilt, in der es nicht Gewinner und Verlierer gibt. Im Leben nach dem Geist, das heißt, wo der Geist Gottes Anteil gibt an der Liebe Gottes, werden ungeahnte Kräfte frei. Menschen werden fähig, das Gute nicht nur zu erkennen und vielleicht noch zu wollen, sie werden befähigt, es auch zu tun. Sie sind deswegen nicht weniger Teil dieser Welt als in einer fleischlichen Gesinnung, auch wenn es sich bei Paulus fast so anhört, wenn er damit den Tod des fleischlichen Menschen gleichsetzt. Aber der Leib ist insofern gestorben, als er nicht mehr die bestimmende Macht des Menschen ist, und im Ergebnis ist der Mensch lebendiger als je zuvor. Zweitens verknüpft Paulus im Predigttext den Geist unauflösbar mit den anderen Selbstmitteilungen Gottes. Der Heilige Geist steht nicht als etwas Anderes oder Zusätzliches neben der Offenbarung Gottes in Christus, sondern durch den Geist wird Gott erkennbar, wie er sich in Christus offenbart hat. Der Heilige Geist ist der Geist Christi und niemals ein anderer. Dieses gilt auch für die anderen Redeweisen vom Heiligen Geist, beispielsweise in den Begabungen und Charismen: Jede Gabe, die nicht darauf abzielt, den sich in Christus offenbarenden Gott zu bezeugen, ist nicht vom Heiligen Geist beseelt, sondern von einer anderen Kraft. Sie muss deswegen nicht gleich verwerflich sein, aber sie ist jedenfalls nicht der Geist, um den es uns heute geht. Der Geist, der uns Anteil an Christus gibt, gibt auch Anteil am Leben, das den Tod überwindet. Folglich geht es drittens an Pfingsten wie auch an den anderen christlichen Hochfesten um Leben und Tod. Ein geistloses Leben ist vom Tod gezeichnet, ein mit dem Geist versehenes ist unter allen Umständen lebendig und lebensstiftend. Das gilt zum einen für unseren natürlichen Tod. Der Predigttext erwähnt das im letzten Vers fast wie eine Selbstverständlichkeit: Der Heilige Geist als der Geist Gottes, der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch uns am Ende unseres Lebens nicht im Tod lassen. Doch das Pfingstfest ist nicht Ewigkeitssonntag, und deswegen geht es heute hauptsächlich um die Folgen für das Leben hier und jetzt: Tot ist man dann, wenn man keinen Anteil am Geist Gottes und damit an seiner Liebe hat. Gefangen in seinen Ängsten und Abhängigkeiten, verzagt, ohne Visionen und ohne den „Mut zum Sein“. Umgekehrt gilt auch, dass jeder Lebensmoment ungeachtet seiner Bedrohung und seiner Begrenztheit vor Leben nur so strotzt, wenn er im Geist gelebt wird. Menschen die wie Bonhoeffer oder andere Menschen neben ihm unerschüttert in den Tod gegangen sind, zeigen, wie mächtig der Geist des Lebens wirken kann. Das gilt nicht nur für Glaubensheroen, sondern genauso für viele Menschen unter uns, die Tag für Tag unerschrocken für andere eintreten und sich dabei nicht entmutigen lassen von ihren kleinen Kräften. Die vierte Bestimmung des Lebens nach dem Geist lässt sich schnell abhandeln, aber auch sie gehört nach Paulus in die Reihe der grundsätzlichen Merkmale der Geistwirkung: „Geistlich gesinnt sein ist Frieden“. Also nur da, wo Gewalt abgeschworen wird, ist der Heilige Geist am Werke, ein gerechter Krieg ist immer der beste Ausdruck einer geistlosen Existenz nach dem Fleisch: Man vertraut dem Argument von Granaten und Bomben mehr als dem friedensstiftenden Wort. Wer vor vierzehn Tagen dem Vortrag von Markus Weingardt hier in der Unikirche beigewohnt hat, konnte sich ein Bild davon machen, dass die friedensstiftende Kraft des Heiligen Geistes keineswegs so schwach und machtlos ist, wie man häufig vermutet. Die Beispiele, die er gebracht hat, haben darüber hinaus gezeigt, dass der Heilige Geist nicht ausschließlich in der christlichen Kirche wirkt, sondern sich manchmal anderer Religionen und Weltanschauungen bedient. Er ist also in der Tat frei, zu wehen, wo er will, und darin kann er auch ökumenisch sein. Mit den Kriterien, die Paulus im Römertext so grundsätzlich aufzeigt, können wir also ruhig zugeben, dass der Heilige Geist tatsächlich ein ökumenischer Geist ist, der auch über die Grenzen von Religionen hinaus wirkt. Der Geist macht uns also frei darin, mit anderen zusammen dem Guten zu folgen, dass wir nunmehr nicht nur erkennen, sondern auch tun können. Denn überall, wo Menschen für ihr Heil nicht manipuliert oder in Abhängigkeit gebracht werden, wo der Gewinn des geistvollen Handelns nicht materiell ist und nicht dem höheren Ansehen, dem Ruhm der Person oder der Glaubensrichtung dient, wo auch im Falle, dass kein sichtbarer Effekt zu beobachten ist, der Mensch in seiner Lebensdeutung Freiheit gewinnt, wo der Frieden mit friedlichen Mitteln vorangebracht wird, überall da haben wir Anlass, den Geist zu erkennen, dessen Ausgießung wir heute feiern. Und wir tun gut daran, ihn nicht – sozusagen in einer Art theologischem Containment – zu dämpfen. Der Geist ist ein Geist des Dialogs, und deswegen ist es richtig, den Dialog mit Menschen guten Willens und Gemeinschaften mit einer uns vielleicht fremden geistlichen Praxis zu suchen und zu pflegen. Auch die Mauern der Kirche stellen für den Heiligen Geist kein Hindernis dar, und er kann sie in beide Richtungen überwinden – Geburtstag hin oder her. Langfristig wird sich erweisen, ob sich dieser Geist auch erweist als der Geist Christi und umgekehrt Christus in diesem Geistwirken lebendig und anschaulich wird. Eine letzte, für unsere eigene Erfahrung eines Lebens nach dem Geist wichtige Bestimmung lässt sich dem Predigttext nur entnehmen, wenn wir ihn im Kontext des ganzen Abschnitts aus dem Römerbrief lesen: Dieses geistvolle Leben ist auf Hoffnung gegründet, es steht unter den Bedingungen der diesseitigen Existenz und ist noch nicht vollkommen. Deswegen gehören Zweifel und Phasen von Unentschiedenheit, von Suche nach der geistlichen Existenz und der Bitte, dass sie uns gewährt wird, zu unseren Erfahrungen auch nach Pfingsten. Die Unverfügbarkeit des Geistes bleibt bei Paulus unbestritten: Wir können aufmerksam sein für sein Wirken, aber wir können ihn mit nichts in der Welt zwingen. Lebensphasen, in denen wir fühlen, dass wir frei sind zu verantwortlichem Handeln, in denen wir nicht nur gute Ideen haben, sondern sie auch zum Wohl derer, die um uns sind in die Tat umsetzen, sind Zeiten, in denen wir uns eins fühlen mit der Welt und in denen wir die Gegenwart Gottes leicht und spielerisch bemerken. Sonnige Tage, die voll sind vom hervorbrechenden Leben wie gerade machen uns aufnahmefähig für den Geist voller Vitalität, wir wundern uns vielleicht nur, dass wir diese Kraft des Lebens nicht immer so kräftig in uns fühlen. Doch auch die grauen Tage gehören zu unserer Lebenswirklichkeit. Es gibt nicht nur den Frühling, wo alles „in Laub und Blüte steht“, sondern auch den Herbst, in dem die Blumen verwelken und die Blätter von den Bäumen fallen. Es gibt Erfahrungen, in denen uns die Schöpfung nicht als Gleichnis für die Kreativität des göttlichen Geistes begegnet, sondern als geschundene Schöpfung, die vom Leben nach dem Fleisch ganz erheblich zerstört wird. Wir wissen, dass es nicht nur kraftvolle Zeiten in unserem Leben gibt, in denen wir dem Geist Gottes in uns trauen und dementsprechend uns etwas zutrauen, sondern auch die Abschnitte, in denen unser Leben öde und geistlos ist, in denen wir funktionieren, in denen wir Anforderungen mit einem Schulterzucken begegnen und uns in das fleischliche Leben flüchten. Wohlgemerkt, in das Leben nach dem Fleisch, nicht das Leben der Fleischeslust – denn die bleibt justament in solchen Lebensphasen ebenfalls auf der Strecke. Den geistlosen Eindrücken nicht dauerhaft zu erliegen, nicht endgültig dem Leben im Fleisch zu trauen sondern der Fülle des Lebens im Geist, ist die große Herausforderung an unser Leben. Die christlichen Hochfeste sind dabei Punkte, an denen wir uns ausrichten und festhalten können. Nach Pfingsten ist der Kanon erst einmal abgeschlossen und wir schauen zurück, wie wir Gott sich den Menschen mitgeteilt hat und immer wieder diese Selbstmitteilung wachhält und veranschaulicht: Gott, der Mensch wird und als unser Bruder unser Leben teilt, der in der Konsequenz seiner Liebe in Christus durch den Tod geht, gibt uns im Geist Anteil an diesem heilvollen Wesen. Sein Geist befähigt uns, dieses zu begreifen und ihn durch unser Leben und unsere Taten wiederum für andere erfahrbar werden zu lassen. In manchen Zeiten spüren wir ihn kräftig in uns und sind lebendig wie nie zuvor. In anderen Zeiten können wir uns bereit machen und aufmerksam sein für sein vielfältiges Wirken in der Welt und darum bitten, dass er uns wieder beflügelt: „O komm, du Geist der Wahrheit!“ Amen. ©2008 Bernd-Michael Haese