"Doch. Die Wand geht."
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"Doch. Die Wand geht."
Alpentrail Doch. Die Wand geht. „Die Wand dort können sie nicht meinen...“ Ich verfluche jetzt schon jeden Meter, den ich im Sommer nicht gerannt bin. Ich wollte ja. Aber es kam immer so viel dazwischen. Die Hunde dagegen sind fit, haben 900 Trainingskilometer in den Beinen. Das meiste im Modder unseres flachen Tollensetals, rund 200 km eine Woche zuvor im norwegischen Gasbu. Mein Leader guckt tadelnd zu dem Musher da hinten am Schlitten, der nach elf Kilometern bergauf ordentlich pumpt. „Oh Merlin, ich glaube, sie meinen auch die Wand dort vorn.“ Der Trail ist fantastisch präpariert. Die Hochebene im Sonnenlicht, blauer Himmel – aus allen Perspektiven wären Fotos ein Traum. Aber es bleibt keine Sekunde für den Griff zur Kamera. Viele haben mir erzählt vom Alpentrail. Die ihn geschafft haben und die ihn nie gemacht haben. Von „superschön“ bis „gefährlich“ beurteilt, von „bestes Training für die ganze Saison“ bis zu „Trümmerhaufen von Hunden im Team“. Gereizt hat es mich schon länger, dies harte Schlittenhunderennen in den Alpen, aber ich war unschlüssig. „Worauf willst du warten? Mach einfach!“ gab meine „Doghändlerin“ mir einen Schubs. „Die Strecke ist nicht einfach, aber sie ist nicht gefährlich“, betont Rennleiter Ad beim Mushermeeting vor dem ersten Start in Lü. Lü ist die mit 2000 Metern höchstgelegene ganzjährig bewohnte Gemeinde der Schweiz. An die 30 Helfer sind aus ganz Europa angereist, viele seit 10,12 Jahren im Team: Man kennt sich, es ist wie eine große Familie: Pisten-Bauer, Zeitnehmer, Fotografen, Köche, Vet-Team. Der Vet-Check – den 4 Tierärztinnen entgeht nichts, Jede Pfote wird kontrolliert, jedes Gelenk. Hier geht kein Hund an den Start, der nicht absolut gesund ist. „Jede Entscheidung, einen Hund aus dem Rennen zu nehmen, ist eine Entscheidung für den Hund, nicht gegen den Musher“, sagt Cheftierärztin Dagmar. Nicht jeder kann das in seinem Renneifer verstehen. Die Wand nimmt kein Ende. Der Schweiß rinnt unterm Helm. Scheitelpunkt. Luftholen? Ich stehe auf der falschen Kufe und kann gar nicht so schnell denken, wie ich in der steil nach rechts abfallenden Linkskurve in einem tiefen Neuschneeloch lande, den Schlitten an einer Hand hoch über mir. Pulverschnee bis zum Bauch. Ich komme nicht an den Schneeanker. Verdammt, und das Team wühlt sich durch den Schnee, will weiter. Lass ich den Handlebar nicht los, komm ich nicht wieder auf die Beine. Was ich in dem Moment noch nicht weiß: Morgens war genau hier der Skido-Anhänger umgekippt, was Hans, dem wohl erfahrensten Husky-Fotografen, die Eingebung gab: Hier wird’s heute spannend. Er postierte Video-Kamera und Fotoapparat und landet Volltreffer. Irgendwie bekomme ich dann doch mit letzter Kraft den Schneeanker geworfen. Das Video läuft später beim Musherabend in Endlosschleife, der „Lü-Anker“ wird mein Markenzeichen. Selbst Marte, Titelanwärterin in der 8-Hunde-Klasse, spannt am nächsten Tag nur 6 Hounds ein. Wie kommst du um diese Kurve?, frage ich meinen Bus-Nachbarn David. „Fahr einfach!“ Und in der Tat hatte ich im Ziel später nur ein breites Grinsen: Einfach geil heute! Tag 3 - 200 Kilometer weiter, Prags in den Dolomiten. In der Nacht -24 Grad. Trail wieder perfekt vorbereitet. Vor 4 Tagen hätte ich mir noch nicht träumen lassen, dass man solche Berge mit dem Schlitten hoch, geschweige denn, auch wieder runter fahren kann! Auch hier das Panorama ein Traum, aber leider, ich habe keine Sekunde, es festzuhalten. Und ich habe meine Thermoskanne Tee vergessen. Ein schwerer Fehler. Bis 2 km vor dem Ziel liege ich gut im Rennen. Dann rutscht mein junger Springinsfeld vom Trail in eine Schneewehe, danach läuft er komisch. Ich muss ankern, will ihn schon in den Schlittensack stecken, dann geht’s aber wieder. 50 Meter vor dem Ziel das gefühlte 20. Ankermanöver, wieder springt er über die Leine. Hinter mir schon der „Lumpensammler“. Die Tierärzte nehmen Ernie sofort unter die Lupe: „Zieh ihm mal die Bootis aus und lass ihn in Ruhe pullern!“ Und in der Tat. Als wäre nie was gewesen. Berghoch schaffe ich es am nächsten Tag, als erster auf der Plätzwiese zu sein. Auch kein Hounds-Team hat mich überholt. Ein bisschen darf das stolz machen. Mein zweiter Lauf wird wieder der bessere. Und am Abend strahlen auch zwei Doghändlerinnen: Winni hat Sonja und Kerstin samt Fotoapparaten ins Auto geladen und ihnen die Plätzwiese gezeigt. „Boah, die Serpentinen nahmen ja kein Ende!“ Na ja, 9200 Höhenmeter an insgesamt 7 Renntagen müssen ja irgendwo herkommen! Auf jeden Fall hat es die beiden wohl auch von den kalten Duschen in Prags abgelenkt. Immerhin gibt’s aber hier wenigstens welche, und im Sportvereinsgebäude auch Toiletten. Und am Abend das beste Musheressen, was man sich vorstellen kann. Tiramisu genial! Sexten unterhalb der Zinnen ist ein Urlauber-Abfahrts- und Langlaufparadies. Schon zum Nachtlauf gibt es viele Neugierige, auf unserem Parkplatz viele Fragen und HundeStreicheleinheiten. Fackeln am Trailrand – wunderschönes Ambiente. Vor dem Massenstart habe ich Respekt. Eine junge fremdelnde Siberier-Hündin im Lead, wie würde sie reagieren? Ich tippe auf stehenbleiben? Und dann geht alles so schnell. Die Hunde suchen sich ihren Weg. Cool, einfach cool. Ich bin mutiger geworden. Das Wetter sieht am vorletzten Tag wieder nach Sonnenbrille aus. War es auch – bis fast alle HoundsTeams wieder im Ziel waren. Schlagartig legt die Natur den Schalter um, der Schnee steht quer. Ich sehe nichts mehr, weiße Hölle. Mein Leader legt die Ohren an und zieht durch. WahnsinnsHunde, danke. Das Zielzelt hat es inzwischen entschärft, die Gasflaschen vom Küchenzelt sind weggerollt. Wir kommen als 8. in der 6-Hundeklasse rein. Ich verliere bergab zu viel. Da kann ich auch nicht von meinen einstigen 7000erBesteigungen profitieren – Schlittenrennen ist einfach anders. Und Alpentrail besonders. Aber das wird schon irgendwann. Der zweite Massenstart ist wieder ein ohrenbetäubendes Erlebnis für Musher und Zuschauer. Beim Start lasse ich mir etwas Zeit. Schade, die hole ich nicht mehr auf. Lange Zeit hängt Pavel in meinem Schlepptau – der einzige Skijörer, der am letzten Renntag noch dabei ist mit seinen beiden Hounds. Er ist für mich der Held des Wettbewerbs. Absolut. Glückwunsch! Der Rennleiter und das Team gratulieren jedem einzelnen im Ziel. Es ist ein tolles Gefühl, diesen Trail geschafft zu haben – selbst erst zwei Jahre „im Geschäft“, und dann mit so einem jungen Team. Wir stehen mit der heißen Suppe am Küchenzelt, quatschen – es ist eine echte Gemeinschaft geworden aus diesem Tross mit seinen 24 Teams und den vielen fleißigen Helfern. Und die ersten Startzusagen fürs nächste Jahr stehen schon. Ich glaube, auch meine Siberier und ich werden wieder dabei sein, wenn es irgendwie zeitlich hinhaut. Es ist einfach ein geniales Rennen – mit nichts zu vergleichen.