Deutsche in Russland

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Deutsche in Russland
Deutsche in Russland
Willkommen, ausgegrenzt, verfolgt?
Am Beispiel meiner Großeltern
Von Caroline Baumgarten
Eine Hausarbeit im Fach Geschichte bei Frau Philipps
Schuljahr 2011/ 2012
Gertrud- Bäumer- Gymnasium
Remscheid
15. Februar 2012
1 Inhaltsverzeichnis
1.
Einführung
2.
2.1
2.2
Die Auswanderung
Auswanderungsgründe
Auswanderungs- und Ansiedlungsregionen
S.3
S.3
S.5
S.6
3.
Die Russlanddeutschen während des Ersten Weltkriegs
S.7
4.
Die Russlanddeutschen zur Zeit der Sowjetunion
S.8
Die Russlanddeutschen während des Zweiten Weltkriegs
Die Nachkriegszeit
S.9
S.10
6.
Die Biographie meiner Großeltern
S.11
7.
Willkommen, ausgegrenzt, verfolgt? - Mein Fazit
S.14
Quellenangaben
Literaturverzeichnis
Kartenmaterial
Quellen im Internet
Sonstige Quellen
S.17
S.17
S.18
S.20
S.20
Erklärung
S.21
5.
5.1
8.
8.1
8.2
8.3
8.4
9.
2 1. Einführung
„Dobroje utro!“ und „Doswidanja!“ oder „Spasibo!“ und „Poschaulsta!“ (zu Deutsch: „Guten
Tag!“ und „Auf Wiedersehen!“ oder „Danke!“ und „Bitte!“) hört man in manchen Gegenden
Deutschlands nicht selten auf der Straße, denn hier leben viele Russlanddeutsche, die sich
teilweise ziemlich gut in die deutsche Gesellschaft integriert haben.
Wie kommt es, dass fast alle deutsch sprechen, auch wenn sie erst seit Kurzem in Deutschland
sind? Aber woher stammt dieses Volk eigentlich? Dass sie eng mit der deutschen Geschichte
verbunden und sozusagen Landsleute sind, weiß hier kaum jemand. Warum sind sie wieder hier?
Mitte des 18. Jahrhunderts begann die Geschichte der Russlanddeutschen durch ein Manifest der
russischen Zarin Katharina II. (auch die Große genannt) vom 22. Juli 1763, in dem sie zur
Einwanderung nach Russland warb.
Zusammen mit ihren Beratern lud sie Ausländer, denen sie viele Privilegien einräumte, ein, sich
in Russland ein neues Leben aufzubauen. Lässt man sich auf dieses Thema ein, kommt einem
schnell die Frage, warum so viele Deutsche ihre Heimat verließen und ein neues Leben in dem
fernen Russland begannen. Im Folgenden werde ich mich mit der Geschichte der
Russlandsdeutschen, die von der Einwanderung 1763 über die Deportierung während des
2.Weltkrieges bis heute, zur Heimkehr nach Deutschland, reicht, befassen. Unter Beachtung der
Leitfrage „Willkommen, ausgegrenzt, verfolgt?“ werde ich außerdem die genaue Ansiedlung
und die Gründe für die Ausreise klären. Interessant ist auch noch, was mit den
Russlanddeutschen passierte, als ihre alte und ihre neue Heimat während der beiden Weltkriege
gegeneinander kämpften. Warum aber sind sie wieder in Deutschland? Was hat sie wieder in ihre
Urheimat getrieben? Gibt es dafür nur wirtschaftliche Gründe oder hatten sie „Heimweh“?
2. Die Auswanderung
Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) herrschte große Armut in den deutschen
Fürstentümern, hinzu kamen schlechte Ernten, die zu großen Hungersnöten (besonders 1772)
führten. Auch den Bauern ging es sehr schlecht, sie besaßen nur kleine Landflächen, für die sie
große Abgaben leisten mussten. So kam es den deutschen Bauern ganz gelegen, dass Katharina
3 II. (1762-1796), geboren als Prinzessin Sophie Friederike Auguste von Anhalt-Zerbst, beschloss
die unbewohnten Gebiete Russlands durch ausländische Landwirte zu besiedeln.
In ihrem ersten Manifest vom 4. Dezember 1762 sprach sie Ausländer, Juden ausgenommen, an,
nach Russland umzusiedeln. Da ihr Angebot nicht überzeugend genug war, lud sie in einem
zweiten Manifest, das vom 22. Juli 1763, das jetzt auch Juden einschloss, erneut die Ausländer
ein, nach Russland zu kommen und dort Land zu bebauen (Vgl. STUMPP 2009, S. 14-18).
Diesmal lockte die Zarin sie mit vielen Privilegien: Sie versprach ihnen Religionsfreiheit, die
Ausübung ihrer Bräuche, Errichtung der Kirche und eigene Siedlungsgebiete, in denen die
verschiedenen Völker sich selbst verwalten und ihre Muttersprache als Amtssprache benutzen
durften. Des Weiteren versprach sie, dass diejenigen, die sich in den Großstädten St. Petersburg
und Moskau ansiedelten, fünf Jahre, die, die sich in den anderen Städten ansiedelten zehn und
die, die sich im ländlichen Gebiet niederließen, sogar dreißig Jahre freigestellt von jeglichen
Abgaben seien. Die Männer waren außerdem in dieser Zeit vom Militärdienst befreit. Die
Kolonisten durften nach mindestens zehn Jahren geleisteter Arbeit mit dem erwirtschafteten
Vermögen zollfrei wieder in ihre Heimat zurückreisen (Vg. STUMPP 2009, S. 14-18).
Ihnen wurde erlaubt, Manufakturen und Fabriken zu errichten und Jahrmärkte abgabenfrei zu
veranstalten. Auch ihre in Russland geborenen Kinder profitierten von den Freijahren, die
allerdings vom Zeitpunkt der Ansiedlung der ersten Generation in Russland berechnet wurde.
Den Auswanderern, die nicht genug Geld hatten, wurde finanzielle Unterstützung bei der Reise
und in der Anfangszeit angeboten, die sie nach zehn Jahren in Raten zurückzahlen mussten. Bei
der Einreise mussten die Auswanderer auch keine Zollabgaben leisten. Die deutsch-stämmige
Kaiserin ließ ihr Manifest über ihre Werber durch Zeitungen und die Kirche in allen europäischen
Staaten verbreiten (Vgl. STUMPP 2009, S.18). Auch ihr Enkel Alexander I. (1801-1825) war in
seinem Erlass vom 20. Februar 1804 um die Erwerbung weiterer landwirtschaftlich tätiger
Ausländer zur Ansiedlung in Russland bemüht, denn besonders die deutschen Bauern sollten auf
Grund ihres Fleißes und ihrer fortschrittlichen Arbeit als Vorbilder für die russischen Landwirte
gelten. Obwohl einige deutsche Fürsten die Ausreise verboten und sogar mit der Todesstrafe
drohten, wanderten in den ersten sechs Jahren, von 1763-1769, 25-27.000 Deutsche nach
Russland aus (Vgl. STUMPP 2009, S. 30-33).
4 2.1 Auswanderungsgründe
Aber was verleitete so viele Deutsche dazu, ihre Heimat zu verlassen, um in Russland ein neues
Leben anzufangen?
Dafür gab es viele politische, wirtschaftliche, religiöse und persönliche Gründe:
1. Die politischen Gründe:
Die Menschen in „Deutschland“ litten sehr unter ihren Fürsten, die jene unterdrückten
und sich auf Kosten des Volkes ein schönes und luxuriöses Leben machten.
Die Männer mussten harten Militär- Dienst leisten.
2. Die wirtschaftlichen Gründe:
Durch den Krieg und die schlechten Ernten herrschte große Armut und Hungersnot in den
deutschen Kleinstaaten.
Außerdem hatten die Bauern hohe Steuern für ihr viel zu kleines Land, das durch die
Raumnot bedingt war, zu leisten.
3. Die religiösen Gründe:
Die Protestanten waren in den südlichen Fürstentümern und die Katholiken waren in den
nördlichen Fürstentümern nicht so gut gestellt.
Da unter Anderem Alexander I. ein überzeugter Christ war, bot es sich noch besser an, in
Russland nach seinen eigenen Vorstellungen von der Religion frei zu leben.
4. Die Persönlichen Gründe:
Da schon Peter I., der Große, (1682-1725) sich für die Ansiedlung deutscher Techniker,
Kaufleute und Wissenschaftler interessierte, gab es vereinzelt auch schon Deutsche in
Russland.
Für manche spielte es also zur Beantwortung der Frage: „Auswanderung: ja oder nein?“
eine Rolle, dass sie Verwandte in Russland hatten (Vgl. STUMPP 2009, S.26-30).
Doch fast nur Deutsche, bis 1774 waren es insgesamt 30.623, von allen angeworbenen
europäischen Staaten nahmen das Angebot aus den oben genannten Gründen entgegen der
Ausreiseverbote ihrer Fürsten wahr und wanderten in das ferne Russland aus, um ein neues, in
ihrer Hoffnung besseres Leben, zu beginnen (Vgl. BADE, S.92).
5 2.2 Auswanderungs- und Ansiedlungsregionen
Nun stellt sich die Frage, wie, woher und wohin sind die Deutschen nach Russland ausgewandert.
In den ersten sechs Jahren kam der Großteil der Auswanderer nach Russland. Die meisten
verließen Hessen und die Rheinlande und einige wenige stammten „aus Württemberg, Elsaß (!),
Lothringen, Tirol, Bayern, Pfalz, Westfalen, Hannover, Holstein, Mecklenburg, Sachsen,
Schlesien und Böhmen“ (STUMPP 2009, S. 20). Dazu kamen ein paar Auswanderer aus
Dänemark, Schweden und Frankreich (Vgl. STUMPP 2009, S. 20). Über die Ostsee gelangten sie
mit Schiffen, so genannten „Ulmer Schachteln“, nach monatelanger Reise über die Wolga in das
Wolgagebiet. Die anderen Völker gelangten über die Donau ins Schwarzmeergebiet, wo sie sich
größtenteils in den Jahren 1789 bis 1862 niederließen. Viele Menschen kamen bei der
Übersiedlung auf den 30m langen und 7,5m breiten Schiffen durch Krankheiten oder Hungersnot
um. Die Völker siedelten sich überwiegend im Wolgagebiet an, was die Idee von Katharina, der
Großen, und ihren Beratern war, von dem sie ihren Namen: die Wolgadeutschen, haben. Hier gab
es 104 Mutterkolonien. 33 von den 101 bekannten Kolonien waren katholisch und 68
evangelisch. Es gab dort die Wiesen-, an der sich 56, und die Bergseite, an der sich 45 Kolonien
ansiedelten. Am Schwarzmeergebiet siedelten sich 204 Mutterkolonien an, von denen 92
evangelisch, 68 katholisch und 44 mennonitisch waren. Bei St. Petersburg gründeten sich zehn
und bei Tschernigow sechs Kolonien (Vgl. STUMPP 2009, S. 33).
Andere Emigranten wanderten auch in den Kaukasus, nach Wolhynien und Bessarabien aus.
Manche zog es in die Städte, nach Moskau und Odessa. Bei Odessa wurden viele
Ansiedlungsgebiete von den Auswanderern mit dem Namen ihrer ehemaligen Heimatdörfer oder
Städte benannt. Während dieses ersten Jahrhunderts der Deutschen in Russland breiteten sie sich
aus, bauten Kirchen und Schulen und gelangten durch ihren Fleiß und die Privilegien zu kleinem
Wohlstand. Das mennonitische Volk, eine Art evangelische Religion, wurde besonders bevorzugt
und erhielt noch mehr Privilegien. Die folgende Aussage zeigt ganz treffend, warum den
Mennoniten noch mehr Vorteile eingeräumt wurden:
„Als der Revisor Loskarev 1844 die mennonitischen Dörfer an der Molocna erblickte, kam es ihm so vor, als sei er
in einem anderen Land oder ins nächste Jahrhundert versetzt worden. Und der Forstwirt A. Bode faßte (!) seinen
Eindruck des Jahres 1854 in diesen Worten zusammen: „Statt der […] grau verbrannten Steppe, statt der
erbärmlichen weißbetünchten Hütten mit den nachlässig aufgeworfenen Strohdächern, erblickte ich: hohe
Giebelhäuser von Flechtwerk, sorgfältig gearbeitete Strohdächer, deren Horst ein Storchennest trug, Holzwerk mit
bunter Ölfarbe angestrichen, reinlich gewaschene Fenster, nach norddeutscher Sitte zur Hälfte geteilte Quertüren; auf
6 den Bänken am Hause standen reihenweise die blank gescheuerten Milchgefäße; jedes Haus umgab ein sorgfältig
gehaltener Obstgarten, unter dessen Schatten ein Blumenflur prangte. In gleicher Sauberkeit und Ordnung schlossen
sich dem Wohngebäude die Wirtschaftsgebäude an, und das Ganze umgab ein leichter Zaun, während den
Hintergrund der Gehöfte kleine Baumschulen, Pflanzungen oder Hecken bildeten, und eine Allee von Akazien und
Korkulmen den Weg zur nächsten Colonie (!) einfaßte (!). Mitten in den Städten, die nach der diesjährigen Dürre,
[…] bisher auf jedem Schritt das Bild des Jammers und des herannahenden Elends boten, erwachte ich in einer von
Fruchtbarkeit und Wohlhabenheit strotzenden Au, wo aufgespeicherte Ernten und schönes grünes Gebüsch jeden
Gedanken an Hunger und Not verdrängten.“ Die Mennoniten fuhren nach „deutscher Art gebaute und angespannte
Wagen“ und hielten an der Wohnungseinrichtung und Kleidung der Vorväter fest, und zwar auch die Frauen,
„obgleich die Garderobe nicht gerade zur derjenigen gehört, die das Schöne verschönern hilft“ (BADE 1992, S. 105).
Obwohl die Deutschen zu dieser Zeit von der russischen Regierung mit offenen Armen
empfangen wurden, waren sie bei den russischen Bauern nicht sehr beliebt, da sie ihnen
angeblich das Land wegnahmen und durch ihren Fleiß viel mehr erwirtschafteten.
Ab dem Jahre 1861 wurden die Privilegien der Auswanderer Schritt für Schritt reduziert, bis sie
1874 komplett aufgehoben waren, um die deutschen Kolonien zu „russifizieren“ (Vgl. BADE
1992, S. 99-100 und Vgl. STUMPP 2009, S.18). Sogar die Männer wurden zum Militärdienst
eingezogen und in ihren Kolonien wurde Russisch zur Amtssprache.
3. Die Russlanddeutschen während des Ersten Weltkriegs
Die negative Stimmung gegen die Deutschen begann damit, dass die Russen Ende 1914 die
Schlacht bei Tannenberg verloren (Vgl. BADE 1992, S.123). Im darauf folgenden Jahr wurde
den Deutschen in Russland befohlen, ihre Sachen zu packen und ihr Land zu verkaufen, da sie ins
Landesinnere transportiert werden sollten. Da dies innerhalb weniger Monate, manchmal auch
innerhalb weniger Tage geschah, wurde manchen Deutschen ihr Besitzt einfach weggenommen.
Außerdem gab es Aufstände gegen die Deutschen, die als „Kulaken“, reichere Grundbesitzer,
bezeichnet wurden, und viele ihrer Geschäfte in den Städten wurden ausgeraubt. Da die
Mennoniten aber angaben, Holländer zu sein, blieben sie von dieser Abneigung der Russen gegen
die Deutschen verschont. Die Deutschen traten in den Städten gegen dieses Enteignungsrecht ein
und erreichten ihr Ziel durch die Februarrevolution 1917. Doch nur wenige Monate später kamen
durch die Oktoberrevolution desselben Jahres die kommunistischen Bolschewiki an die Macht.
Ab 1918 bekamen die Deutschen wieder Gehör bei der russischen Regierung, als der zukünftige
7 Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, in Russland gefangen war, erlaubte Lenin ihm, die
Deutschen wieder sich selbst verwaltend im Wolgagebiet anzusiedeln, so wie diese sich das
wünschten. So wurde 1924 die Wolgadeutsche Republik mit der Hauptstadt Engels gegründet. Im
Februar 1918 marschierten deutsche und österreichische Truppen in die Ukraine ein, wo sie von
den Deutschen als Befreier empfangen wurden. Diese wollten mehr Rechte und waren für die
Selbstverwaltung ihrer Dörfer. Die Truppen erreichten, dass die Deutschen innerhalb von zehn
Jahren aus der Ukraine und Russland zurück nach Deutschland ziehen durften. Dieses Angebot
nahmen 120.000 Menschen an, von denen jedoch viele auch nach Amerika weiterwanderten. Die
übrigen Deutschen in Russland sollten als „politische und wirtschaftliche Faktoren“ dienen (Vgl.
BADE 1992, S. 124). Nun wurden die deutschen Gebiete besonders im Jahr 1919 allerdings von
Banden ausgeraubt und zerstört. Erst Ende 1920 konnten die Bauern ihre Dörfer wieder aufbauen
(Vgl. BADE 1992, S. 125).
4. Die Russlanddeutschen zur Zeit der Sowjetunion
Doch was passierte zwischen den beiden Weltkriegen mit den deutschen Kolonisten in Russland?
Im Jahre 1921 gab es durch die Trockenheit, wegen der sehr viele Deutsche an der Wolga und am
Schwarzen Meer durch die große Hungersnot starben, wieder einen Rückschlag. Außer im Jahre
1924, als ihr Gebiet in die so genannte „Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der
Wolgadeutschen“ umgetauft wurde und sie das Recht erhielten, ihr Land, in dem zwei Drittel
Deutsche lebten, mit der Amtssprache Deutsch eigenständig zu verwalten. Außerdem wurden die
Kolonisten in nationale Rayons, in denen meistens ehemalige Kriegsgefangene nicht gerade
freiwillig für die KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion unter Lenin und ab 1922 unter
Stalin) arbeiteten, zusammengetan. Ihre Schulen wurden zu vierjährigen Grundschulen und
sieben- oder zehnjährigen Mittelschulen umstrukturiert. Deutsch war die Sprache, in der zum
Großteil in der Grund-, aber nur zum geringen Teil in der Mittelschule unterrichtet wurde und die
erste Fremdsprache war entweder Russisch oder Ukrainisch. In den Jahren darauf ging es für die
Kolonisten nicht bergauf. Ab 1928 wurde auf Grund der kommunistischen Ausrichtung Stalins
immer mehr gegen die Religionsausübung vorgegangen, bei der nicht wenige verhaftet wurden.
Ein Jahr später fand dann die „Zwangskollektivierung“ statt, bei der den Menschen ihr
kompletter Besitz weggenommen wurde. Dazu kam, dass einige Bauern in abgelegene Gebiete
8 der Sowjetunion verbannt wurden und andere verhungerten oder erfroren dadurch, dass sie keine
Arbeit fanden (Vgl. BADE 1992, S. 126). Manche der Bauern, ca. 13. 000, reisten nach Moskau,
um wieder nach Deutschland gehen zu dürfen. Die sowjetische Regierung war im Gegensatz zur
deutschen Regierung, die mit der Bekämpfung der Wirtschaftskrise beschäftigt war, sehr daran
interessiert, die Kolonisten zurück nach Deutschland ziehen zu lassen. Erst als schon einige
Siedler wieder in ihrem Heimatdorf waren, durften die übrigen 5.583 nach Deutschland einreisen
(Vgl. BADE 1992, S.126). In den Jahren 1932- 1934 gab es wieder besonders im Wolgagebiet
große Hungersnöte, die viele Opfer einforderte. Auch in den darauf folgenden Jahren verbesserte
sich die Situation der Deutschen in Russland nicht. Viele wurden auf Grund ihrer freien
Glaubensausübung verhaftet, andere wurden aus dem Wolhyniengebiet ausgesiedelt. Man stand
ihnen wegen der Nazi- Propaganda sehr skeptisch gegenüber und sah in ihnen gewissermaßen
einen Feind. Deutsch als Unterrichtssprache in den Kolonien wurde abgeschafft und im März
1939 wurden die nationalen Rayons (Verwaltungseinheiten) geschlossen.
5. Die Russlanddeutschen während des Zweiten Weltkriegs
Aber wie ging es nun während des Zweiten Weltkrieges für die Deutschen in der Sowjetunion
weiter? In den ersten zwei Jahren des Krieges wurden die deutschen Kolonisten in die von
Deutschland eingenommenen Teile Polens gebracht. Denn Hitler wollte seine „Volksdeutschen“
wieder nach Deutschland zurückbringen (Hitler: „Heim ins Reich!“). Ein Jahr später, 1942
standen sie unter dem Schutz der deutschen Truppen und erhielten kleine Erleichterungen, wie z.
B. eine Ergänzung zu ihren Lebensmittelmarken. Doch diese verbesserte Lebenssituation der
Kolonisten hielt nicht lange an, da die Rote Armee Russlands die deutschen Gebiete wieder
zurückeroberte. Nun versuchten die Bauern den sowjetischen Truppen zu entgehen, indem sich
130.000 Deutsche in das „Altreich“ und 220.000 Deutsche in den „Warthegau“ nach Polen
zurückzogen. Dort angekommen, wurden sie von den sowjetischen Truppen jedoch schon
überrascht (Vgl. BECK 1992, S. 129). Auch den Wolgadeutschen ging es nicht besser, denn sie
wurden der Spionage für die deutsche Regierung angeklagt und deshalb deportiert. Ungefähr
900.000 deutsche Kolonisten wurden in den Ural, nach Sibirien und Kasachstan transportiert. Die
Menschen mussten es ein bis zwei Monate in hölzernen Viehwaggons mit vergitterten Fenstern
aushalten. Sie bekamen wenig zu essen, durften nur selten an die frische Luft, wobei sie auch
9 noch mit Gewehren bewacht wurden. Oft standen sie mehre Tage oder sogar Wochen an einer
Stelle und der Zug bewegte sich nicht. Bei dieser grausamen Art, die noch nicht einmal für Tiere
vertretbar ist, Menschen zu deportieren, kamen sehr viele Kolonisten um. Hatten sie die Reise
überstanden, wurden sie einfach im Wald ausgesetzt. Dort befand sich gar nichts, was auf
Zivilisation hindeuten könnte. Sie mussten sich also alles neu errichten, Holzhäuser bauen, Felder
und Äcker anlegen, um zu überleben. Andere wurden in Arbeitslager, „Gulags“, oder in die
Arbeitsarmee, „Trudarmia“, gesteckt, in denen sie unter den schlimmsten Bedingungen harte
Arbeit verrichten mussten. Männer und Frauen wurden voneinander getrennt, damit sollte
bezweckt werden, dass die Deutschen sich nicht mehr so einfach vermehren konnten, sondern in
die russische Gesellschaft einheiraten mussten. Ein Zeitzeuge beschreibt diese Lager
folgendermaßen sehr treffend: „So wie es in Deutschland die Konzentrationslager gab, so gab es
sie auch in Russland.“, damit zeigt sich unter welchen katastrophalen Bedingungen die Menschen
dort zu kämpfen hatten (Ausschnitt aus dem Film " Gelobtes Land, gehasstes Land- die
Deutschen in Russland").
5.1 In der Nachkriegszeit
Zwar wurde die Arbeitsarmee 1948 aufgelöst, doch die Lager, die von der sowjetischen
Regierung als „Schutz für die deutschen Kolonisten vor der russischen Bevölkerung“ dargestellt
wurden, bestanden bis 1955 und so waren die Deutschen bis 10 Jahre nach dem Krieg von der
Möglichkeit, etwas von der wirklichen Welt mitzubekommen oder in die Schule zu gehen
abgeschnitten. Nach einer so langen Zeit des Elends und Leidens fragt man sich, ob es auch
wieder bergauf für die Deutschen in Russland ging. Das tat es auch Stück für Stück. Mit dem
Besuch des Bundeskanzlers Adenauer im September 1955, durften die Deutschen die
abgelegenen Orte im Ural, in Sibirien und Kasachstan wieder verlassen, aber nicht in ihre
Heimatgebiete zurückreisen. Viele wanderten nach Kirgisien und nach Kasachstan aus. Ab 1957
tauchten die Deutschen auch öfter in der Politik und in der Presse auf und besuchten Schulen, an
denen Deutsch als Unterrichtsfach angeboten wurde. Zwei Jahre zuvor wurde die erste
protestantische Kirche errichtet und die christlichen Gemeinden verbreiteten sich.
10 Mitte der 1960er Jahre, nämlich 1964, wurden die Spionageverdächtigungen und die
Deportationsverordnungen von 1941 fallen gelassen. Die „sowjetdeutschen Initiativgruppen“
setzten sich dafür ein, dass die Deutschen ihre Heimat, die Wolgarepublik mit der Hauptstadt
Engels, zurückbekamen (Vgl. BADE 1992, S. 131). Da ihnen dieses Recht aber nicht
zugesprochen wurde, beantragten viele die Ausreise nach Deutschland, sowohl in die BRD als
auch ein geringer Teil in die DDR. Mit 10.000 Auswanderern lag das Jahr 1976 an der Spitze der
Heimkehrer. Doch trotzdem lebten 1989 2.035.807 Russlanddeutsche ungefähr je zur Hälfte in
Kasachstan und Russland und zu ganz kleinen Anteilen auch in Kirgisien, Tadschikistan und der
Ukraine (Vgl. BADE 1992, S. 132). In diesem Jahr gaben nur noch 49% der Russlanddeutschen
an, Deutsch als Muttersprache zu haben, was ein starker Kontrast zu den 95% aus dem Jahr 1926
ist. Dem versuchte die noch im selben Jahr von den Deutschen gegründete „Wiedergeburt“
entgegenzuwirken. Diese setzten sich für die Wahrung der Traditionen und gegen die
Massenauswanderung nach Deutschland ein. Sie erreichten am 13. September des Jahres 1989
die Selbstverwaltung, die „Autonomie“, ihrer noch zu errichtenden nationalen Rayons und
Dorfsowjets (Vgl. BADE 1992, S. 134). Trotzdem wanderten bis 1990 noch zusätzlich 317.950
Menschen wieder zurück nach Deutschland.
6. Die Biographie meiner Großeltern
An dieser Stelle meiner Facharbeit möchte ich gerne die Geschichte meiner Großeltern
mütterlicherseits erzählen.
Die Vorfahren meines Großvaters Georg Merdian stammen aus der Nähe von Germersheim.
Jakob Merdian wanderte 1808 aus Knittelsheim nach Franzfeld, das bei Odessa am Schwarzen
Meer liegt, aus (Vgl. STUMPP 2009, S. 372). Mein Großvater ist in der fünften Generation in der
Ukraine geboren.
Mein Großvater Georg Merdian wurde am 14. November 1923 bei Odessa in der Ukraine
geboren. Dort ist er dann bei seinen Eltern, die Handwerksberufe hatten, mit der deutschen
Sprache groß geworden. Durch eine Mittelohrentzündung wurde er mit sechs Jahren taub. Als die
deutschen Truppen dann im Zweiten Weltkrieg 1942 dort einmarschierten, wurde er durch Hitlers
11 Befehl, der besagte, alle „Volksdeutschen“ sollten wieder nach Deutschland gebracht werden,
zusammen mit anderen Deutschen in den Warthegau, eine Art Auffanglager, nach Polen
gebracht. Dort war er als Handwerker tätig. Genauso nahm auch Stalin sich das Recht sich sein
Volk wieder zurück zu holen, und so kam mein Großvater drei Jahre später zusammen mit vielen
anderen Russlanddeutschen nach monatelanger Zugreise in den Ural. Nach ungefähr acht Jahren
Aufenthalt, die er als Waldarbeiter und Zimmermann verbrachte, traf er dort meine Großmutter
Adina Merdian, die er ein Jahr später heiratete.
Meine Großmutter Adina Merdian, geborene Schiemann, wurde am 1. April 1923 bei Schitomir,
westlich von Kiew, in der Ukraine geboren. Da dort alle arbeiten mussten, hatte sie nur vier
Jahre, während ihres achten bis zwölften Lebensjahres, lang die Möglichkeit, eine ukrainische
Schule zu besuchen. Mit fünfzehn Jahren fing sie an, in einer Flachsfabrik zu arbeiten. Im
Juli/August 1941 flüchtete sie mit ihrer Familie vor der russischen Armee in ein acht Kilometer
entferntes Dorf, wo sie dann ein Jahr lang lebten. Sie hatten große Angst, da die Russen die
Russlanddeutschen für Verbündete Hitlers hielten und sie umbrachten oder in Lager steckten.
Weil sie Arbeit suchte, fuhr sie 1942 nach Schitomir und arbeitete dort in einer deutschen
Offiziersküche. Nur ein Jahr später kam sie ohne ihre Eltern mit anderen Deutschen in den
Warthegau. Von da aus wurde sie in Polen an verschiedene Arbeitsstellen gebracht, z. B. in eine
Schuhfabrik oder in eine Großküche der deutschen Wehrmacht. Mit der immer weiter nach
Westen vorrückenden russischen Armee wurde sie im Herbst 1943 von der deutschen Wehrmacht
nach Ratzeburg (heute: Mecklenburg- Vorpommern) gebracht. Dort hatte meine Großmutter
Haushaltspflichten bei einer deutschen Pastorenfamilie zu erfüllen. Ein knappes Jahr später
machte sie ihre Eltern über das Rote Kreuz ausfindig und ging wieder in den Warthegau zurück,
wo ihre Eltern lebten. Mit der ganzen Familie wurde sie dann 1944 wieder von der deutschen
Wehrmacht an die Elbe gebracht. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, wollte der russische
Herrscher Stalin „seine Leute“ wieder zurück haben. Also wurde meine Großmutter zusammen
mit vielen anderen Russlanddeutschen von Oktober bis November 1945 in Viehwaggongs (mit
viel zu wenig Platz und geringer Verpflegung, die sie von den Engländern an den Haltepunkten
erhielten) in den Südural bei Perm, an der Grenze zwischen Europa und Asien, transportiert. Dort
wurden die Menschen dann im Wald, wo es nichts außer ein paar Baracken gab, ausgesetzt.
Zusammen mit zwei Familien bauten meine Großmutter und ihre Familie sich dann ein kleines
Haus aus Holz. Dort wohnten sie dann bis 1958 ohne Papiere. Sie mussten acht Kilometer weit in
12 eine Richtung zur Arbeit, die größtenteils daraus bestand, Bäume zu fällen, zu Fuß gehen. Im
Jahre 1953 lernte sie dann meinen Großvater kennen, den sie dann Anfang 1954 heiratete. Im
selben Jahr noch kam mein erster Onkel Georg zur Welt. Doch schon nach einer Woche verstarb
er, weil ihm eine wichtige Körperfunktion fehlte. 1955 kamen dann mein Onkel Daniel und zwei
Jahre später meine Mutter Therese zur Welt. Nachdem der deutsche Bundeskanzler Konrad
Adenauer ausgehandelt hatte, dass die deutschen Soldaten aus Russland wieder in ihre Heimat
zurückkehren
durften,
wurde
die
Kommendatur,
die
strenge
Überwachung
der
Russlanddeutschen, eingestellt. Da die Menschen jetzt wieder ausreisen durften und ihre Papiere
erhielten, nutzten meine Großeltern die Gelegenheit, auszuwandern. Eine Kleinstadt bei
Celinograd in Kasachstan war das Ziel, das 1958 nach wenigen Tagen Reise mit dem Zug von
ihnen erreicht wurde. Bis 1974 war dies das Zuhause meiner Mutter und ihrer Eltern und
Geschwister. 1959 wurden mein Onkel Georg, 1961 meine Tante Lydia und 1964 meine Tante
Olga in dieser Stadt geboren. Mein Großvater war als Tischler tätig und meine Großmutter war
eine Putzfrau. Zusätzlich musste sich noch um den Haushalt, den Hund, die Kuh, die Hühner und
die zwei Schweine gekümmert werden. Meine Mutter und ihre Geschwister gingen eine halbe
Stunde (in eine Richtung), bei jedem Wetter, auch bei -25 °C, zur russischen Schule. Sie
besuchten vier Jahre eine Grundschule und sechs Jahre eine Mittelschule. Zu Hause wurde
deutsch gesprochen, doch wenn die Familie auf der Straße unterwegs war, sprachen die Kinder
nur russisch mit meiner Großmutter, die auf deutsch antwortete. Meine Mutter und ihre
Geschwister schämten sich dafür, dass alle mitbekamen, dass sie Deutsche waren, weil sie
ausgegrenzt wurden. Ständig stellten sie Anträge auf Ausreise nach Deutschland, die immer
wieder abgelehnt wurden. Dies mussten sie heimlich tun, damit die Nachbarn nichts davon
mitbekamen, denn diese waren neidisch auf das bessere Leben in Deutschland und beschimpften
sie als „Faschisten“, wenn das ans Licht käme. Weil meine Familie hörte, dass man in
Moldawien bessere Chancen auf die Ausreise hätte, zogen sie 1974 nach Rybniza im Norden von
Moldawien. Doch auch da dauerte es dann noch fünf Jahre, bis sie endlich in die von meinen
Großeltern gelobte „Heimat“ ausreisen durften. Am 19. Dezember 1979 flogen sie dann von
Moskau nach Frankfurt und kamen in ein Auffanglager nach Friedland. Nach einer Woche, in der
sie sich bei den Behörden registrierten, kamen sie dann für ungefähr zwei Monate nach UnnaMassen in ein Übergangslager. Dort suchte man für meine Familie Arbeit und einen Wohnort. So
zogen sie dann nach Solingen, wo der Bruder meiner Großmutter, Waldemar Schiemann, wohnte.
Meine Großmutter war Hausfrau und mein Großvater arbeitete dort im Klingenmuseum und starb
13 1983 an Krebs. Zusammen mit ihrer Schwester Lydia machte meine Mutter einen Sprachkurs und
erlangte das deutsche Abitur nach zwei Schuljahren im Dezember 1982. Der Traumberuf meiner
Mutter war es, Dolmetscherin für die russische Sprache zu werden. Als sie mit diesem Wunsch
zu einem Berufsberater ging, sagte der ihr, dass sie sich einen anderen Beruf suchen solle, denn
auch noch drei Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges würde man sie als
Dolmetscherin für eine Spionin der Russen halten. Dann entschied sich meine Mutter Pharmazie
an der Düsseldorfer Universität zu studieren. Nach dem absolvierten Studium arbeitete sie auch
noch bis heute als Apothekerin in Solingen und später auch in Remscheid. Auch meine
Großmutter zog 1993 nach Remscheid und heute lebt sie bei Meiner Tante Lydia in
Braunschweig.
Heute bekomme ich noch ein wenig von den russischen Bräuchen und Essspezialitäten mit. Denn
wenn meine Mutter sich mit ihren Geschwistern über etwas unterhält, dass wir Kinder nicht
mitbekommen sollen, sprechen sie russisch, ihre „Geheimsprache“. Außerdem kocht meine
Mutter auch noch viele russische Gerichte, wie z. B. „Plow“, ein Reisgericht mit Möhren und
Fleisch, „Bortsch“, eine Rote Beetesuppe oder „Pilimeni“, Teig mit Hackfleisch gefüllt. Ich
ärgere mich sehr darüber, dass ich mir als Kind die Ohren zu gehalten habe, als meine Mutter mit
mir russisch sprechen wollte und ich also heute kein russisch sprechen kann.
7. Willkommen, ausgegrenzt, verfolgt? - Mein Fazit
Nun habe ich die Herkunft und Geschichte der Russlanddeutschen erklärt und fasse an dieser
Stelle meine Ergebnisse zusammen.
In dem ersten Jahrhundert der Deutschen in Russland von 1763- 1862 waren sie sehr
willkommen in dem fernen Land. Von der deutsch-stämmigen Zarin Katharina, der Großen,
wurden sie, besonders die deutschen Bauern, eingeladen, sich in Russland wie zu Hause
niederzulassen. Sie erhielten jede Menge Privilegien und waren von der russischen Regierung
sehr gut angesehen. Nur die russischen Bauern sahen sie nicht als Freunde an, da sie neidisch auf
die schnell erwirtschafteten Erfolge der fleißigen deutschen Bauern waren. Ein Sprichwort der
Kasachen lautet: „Tschai ni pil kakoi rabotta, tschai papil i spat ochota!“, was soviel wie „Wenn
14 man keinen Tee getrunken hat, kann man nicht arbeiten, wenn man aber Tee getrunken hat, ist
man müde und möchte schlafen.“ bedeutet. Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch wendete sich das
Blatt mit den kommunistischen Bolschewisten und Lenin plötzlich. Die deutschen Kolonisten
wurden komplett enteignet und von der russischen Regierung nicht mehr gern gesehen. Durch die
Einwanderung der deutschen Truppen kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden ihnen
die Möglichkeit, die auch mehrere Tausend Menschen wahrnahmen, geschaffen, nach
Deutschland auszureisen. Vor dem Zweiten Weltkrieg aber wurde den deutschen Kolonisten das
Leben durch Hungernöte und Verhaftungen auf Grund von Religionsausübung schwer gemacht.
Außerdem wurde ihre Muttersprache als Unterrichtssprache abgeschafft. Als die deutschen
Truppen dann zwei Jahre nach Beginn des Krieges in die Gebiete der Deutschen einmaschierten,
bekamen die Deutschen Erleichterungen in Form von Lebensmittelmarken. Doch auch diese
kurze verbesserte Situation der Deutschen hielt nicht lange an, da sie dann Mitte 1941 wieder von
sowjetischen Truppen besetzt und der Spionage angeklagt wurden. Deshalb wurden sie über
mehrere Wochen, manchmal auch zwei Monate, in viel zu kleinen Viehtransportern unter
menschenunwürdigen Bedingungen und ununterbrochener bewaffneter Aufsicht in die hintersten
und unbewohnten Gebiete Russlands transportiert. Dort mussten sie dann mit bei weitem nicht
ausreichender Nahrung über zehn Jahre lang schwerste körperliche Arbeit verrichten. Dazu muss
man beachten, dass durch diese Deportation viele Familien auseinander gerissen wurden, die
meisten fanden auch nie wieder zusammen und viele sahen ihre Familienmitglieder sterben. Doch
ab 1955 ging es dann langsam wieder bergauf für die deutschen Aussiedler. Sie durften Kirchen
und Schulen bauen und wurden in der Presse und in der Politik tätig. Ende der 1960er Jahre
wanderten dann Tausende zurück in ihre eigentliche Heimat Deutschland, obwohl die Deutschen
in Russland von der Regierung längst nicht mehr unterdrückt wurden. Bis heute leben immer
noch sehr viele Urdeutsche in Russland, was man auch daran merkt, dass das Deutsche in der
russischen Sprache verankert ist, z. B. heißt „Butterbrot“ auf Russisch „Buterbrod“, „Kartoffel“
bedeutet „Kartofelj“ oder „Halstuch“ heißt „Galstuk“. Es gibt auch noch viele russische Politiker
mit deutschem Namen, wie z. B. in Kasachstan German Gref, sozusagen Herrmann Graf. Fest
steht also, dass Deutschland und Russland immer eine gemeinsame Geschichte teilen werden,
von der es in der Zukunft vielleicht noch mehr Zuwachs geben wird, denn auch noch heute zieht
es einige deutsche Landwirte wieder nach Russland und sie wandern aus, um sich auf dem
unverbrauchten, fruchtbaren Boden ein eigenes neues Leben aufzubauen.
15 Wenn
man
nun
das
Schicksal
meiner
Großeltern
betrachtet,
fallen
einem
viele
Übereinstimmungen ins Auge. Auch sie mussten die Umsiedlungen und die damalige
Verfeindung Deutschlands und Russlands mitmachen. Aus der Ukraine heraus wurden sie beide
durch den Befehl Deutschlands nach Polen gebracht, um nach einigen Jahren und einigen
Umsiedlungen wieder durch die russische Regierung in die Sowjetunion, in den Ural,
zurücktransportiert zu werden. Auch ihre Nachbarn und Schulkameraden ließen meine Mutter
und ihre Geschwister diese Verfeindung spüren, indem sie sie als „Faschisten“ bezeichneten und
ärgerten. Aber auch hier in Deutschland bemühten sie sich zu Anfang sehr, nicht als „Ausländer“
erkannt zu werden. Nun komme ich noch auf die Frage, ob die Russlanddeutschen aus
„Heimweh“ nach Deutschland gekommen sind, meinerseits ganz zu Anfang zurück. Es war
immer der größte Wunsch meiner Großeltern, besonders meines Großvaters, nach Deutschland,
in die Heimat auszuwandern. Sie nannten es Heimat, obwohl sie nur für kurze Zeit oder gar nicht
in Deutschland lebten. Außerdem war es ihnen sehr wichtig, dass ihre Kinder mit nach
Deutschland zogen und lernten, deutsch gut zu beherrschen. Meine ganze Familie sagt, dass es
auch nach 30 Jahren, seit denen sie hier in Deutschland sind, keinen Tag gab, an dem sie es
bereuten, hierhin ausgewandert zu sein.
16 8. Quellenangaben
Literaturverzeichnis
1. Bade, K. J.: Deutsche im Ausland- Fremde in Deutschland- Migration in Geschichte und
Gegenwart, München 1992
2. Ferstl, L.; Hetzel, H.: „Wir sind immer die Fremden“ – Aussiedler in Deutschland, Bonn
1990
3. Kappeler, A.: Russische Geschichte, München 1997
4. Kappeler, A.: Rußland als Vielvölkerreich, München 2001
5. Nolte, H. H.: Kleine Geschichte Rußlands, Stuttgart 1998
6. Stumpp, K.: Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland in den Jahren 1763 bis
1862, 9. Auflage, o. O. 2009
7. Weiß, Dr. J. (Redaktionelle Leitung): Brockhaus A-Z Wissen, 6.KALF-LEU: S. 676-678;
9.PLAS- SARD: S. 580-600; 10.SARE-STIM: S. 630-632, Leipzig 2005
17 Kartenmaterial
Vgl. BADE 1992, S. 103
18 Vgl. STUMPP 2009, S. 24
19 Quellen im Internet
1. Gelobtes Land, Gehasstes Land in:
http://www.youtube.com/watch?v=OitkZ8HFKng (25.01.2012)
2. Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. in:
http://lmdr.de/index.php?option=com_content&view=article&id=29&Itemid=40
(25.01.12)
http://lmdr.de/index.php?option=com_content&view=article&id=206&Itemid=17
(25.01.12)
3. Deutsche Bauern in Russland heute:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,807985,00.html (25.01.12)
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,585689,00.html (25.01.12)
Sonstige Quellen
1. Andreas Böhlke
2. Adina Merdian
3. Therese Merdian- Baumgarten
20 Erklärung
Hiermit erkläre ich dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst
und keine anderen als die im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen und Hilfsmittel
verwendet habe.
Insbesondere versichere ich, dass ich alle wörtlichen und sinngemäßen Übernahmen aus anderen
Werken (inkl. Internetseiten/-inhalte) als solche kenntlich gemacht habe.
Ort. Datum
Unterschrift
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