Kongo im 2. Jahr nach der Wahl - Deutsche Gesellschaft für die

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Kongo im 2. Jahr nach der Wahl - Deutsche Gesellschaft für die
Kongo im 2. Jahr nach der Wahl:
Wenige Fortschritte, viel Stagnation, Höllen auf Erden
Winfried Nachtwei, MdB, Mai 2008
sicherheits- und abrüstungspolitischer Sprecher
Vom 13.-20. April besuchte ich im Rahmen einer Delegationsreise der SADC-Parlamentariergruppe die Demokratische Republik Kongo (DRK), neben der Hauptstadt Kinshasa im
Westen auch Bukavu und Goma in den Ostprovinzen Süd- und Nord-Kivu.
Ziel der aus Sicherheitsgründen mehrfach verschobenen Reise war, (a) anderthalb Jahre
nach der Wahl den Stand der jungen Demokratie und (b) die humanitäre Situation im OstKongo zu erkunden. Bei der Sitzung der Parlamentariergruppe am 5. November hatte uns die
SWR-Journalistin Susanne Babila von ihrer jüngsten Reise nach Süd-Kivu berichtet: Dort geschehen unvorstellbare Menschenrechtsverletzungen, wird breit Vergewaltigung als Kriegswaffe praktiziert
Für mich kam hinzu, dass ich vor zwei Jahren im Kontext der EUFOR-Mission zweimal Kinshasa besucht hatte und dabei die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Mission, die breite
demokratische Wahlbewegung und die hohen Erwartungen eines geschundenen Volkes erfahren hatte.
In Kinshasa waren Gesprächspartner
- aus dem Parlament die Präsidenten der Nationalversammlung Vital Kamerhe und des Senats, Leon Kengo wa Dondo, sowie Ausschussvorsitzenden der beiden Kammern und KollegInnen der Freundschaftsgesellschaft;
- aus der Regierung Planminister Olivier Kamitatu, der Vizeaußenminister und der Minister
für Wirtschaft und Außenhandel,
- aus der Gesellschaft der Erzbischof von Kinshasa und Vorsitzende der kongolesischen Bischofskonferenz Laurent Monsengwo, VertreterInnen von Menschenrechtsorganisationen und
Mikrokreditinstitutionen
- aus der deutschen Community der deutsche Botschafter Dr. Axel Weishaupt, VertreterInnen
von GTZ, EED, Konrad-Adenauer- und Hans-Seidel-Stiftung, Misereor, Procredit Bank, Siforco, Christa Göpfert („Symphonie des Arts“)
In Bukavu/Süd-Kivu Ärzte des Panzi-Hospitals, die Unternehmer Horst und Michael Gebbers (Pharmakina), Christof Ruhmich/Malteser International, Carlos Schuler-Deschryver,
Sylvie Ouelet und der belgische Generalkonsul Hugues Chantry
In Goma/Nord-Kivu der Gouverneur von Nord-Kivu, und der neue Vizegouverneur von SüdKivu, Jean-Claude Kibala, Christiane Kayser, Primo-Pascal Rudahigwa u.a. Mitarbeiter des
Pole-Instituts sowie Dominic Johnson/taz, Jean-Michel Dumont, Berater des EU-Sondergesandten für die Region, bei MONUC Offiziere, Vertreter der politischen Sektion, von OCHA,
UNHCR und DDRRR, Heal Africa und Deutsche Welthungerhilfe.
Die Delegation aus KollegInnen von Union, SPD, Linke und Grünen leitete Maria Eichhorn
(Union) souverän und kollegial. Bestens unterstützt und betreut wurden wir von Helmut Kulitz, Gesandter, und Adrian Seufert, Wirtschaftsreferent, von der Dt. Botschaft. Zu danken ist
unserer ausgezeichneten Dolmetscherin Dorothea Hütte und dem afrikaerfahrenen Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, Helmut Goeser. Zu danken ist schließlich unseren kräftigen
Begleitern aus Berlin, die wirksam und diskret einen Teil der möglichen Risiken fernhielten.
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1. Kontext
Seit Abzug von EUFOR im Dezember 2006 brach auch der Besucherstrom aus Deutschland
ab.
Parlament + Regierung: Am 19.1.2007 Wahl des Senats durch die elf Provinzparlamente, am
24.2.2007 Vereidigung des Kabinetts von Premierminister Gizenga mit 34 Ministern, 20 Vizeministern und 6 Staatsministern. Die meisten Posten gingen an die mehr als zwei Dutzend
Parteien der Pro-Kabila Allianz AMP und insbesondere an die Präsidentenpartei PPRD. Im
November 2006 wurde bei einer ersten Regierungsumbildung das Kabinett auf 46 Posten
„verkleinert“. Die AMP stellt ca. 70% der Sitze in der Nationalversammlung und 55% im Senat.
Die beiden Parlamentskammern sollen funktionieren – im Unterschied zu den Spitzen der Exekutive: Präsident Kabila zeige wenig Engagement. Er melde sich praktisch nie zu Wort. Der
82-jährige Premierminister soll maximal 3 Stunden/Tag überhaupt ansprechbar sein.
Konflikte: Am 27./28. März 2007 kam es in Kinshasa zu Kämpfen zwischen Präsidialgarde
und der Miliz des Oppositionsführers Bemba, bei denen auch Panzer und Artillerie eingesetzt
und diplomatische Vertretungen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Opferschätzungen
reichen von 300 bis 1.000 Toten. Bemba musste über die südafrikanische Botschaft das Land
ins portugiesische Exil verlassen. Es folgte eine Repressionswelle gegen die Opposition. In
der westlichen Provinz Bas-Congo hatten Armee und Polizei Ende Januar 2007 über 100 Demonstranten bei Protesten der politisch religiösen Bewegung „Bundu dia Kongo“ (BDK) gegen eine umstrittene Gouverneurswahl getötet. Im Februar wurden mindestens 50 Menschen
von „Sicherheitskräften“ erschossen. Wegen des größten Hafens Muanda und des Wasserkraftwerkes ist die Westprovinz von besonderem Interesse.
Im Ost-Kongo agieren weiterhin verschiede jeweils mehrere tausend Mann starke Rebellengruppen. Die größten sind die ruandisch- und hutustämmigen FDLR-Milizen („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“, z.T. Täter und Planer des Völkermords in Ruanda 1994)
vor allem in den Kivu-Provinzen, Truppen des abtrünnigen Generals und „Tutsischützers“
Nkunda vor allem in Nord-Kivu, bantustämmige Mai-Mai-Milizen. Seit Jahren kommt es bei
diesen Auseinandersetzungen zu schlimmsten und systematischen Menschenrechtsverletzungen einschließlich brutalster und massenhafter sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen
(„sexueller Terrorismus“).
Zum 1. Jahrestag der Stichwahl um die Präsidentschaft schrieb Dominic Johnson in der taz:
„Seit dem Wahlsieg Kabilas am 29.10.2006 hat es im Kongo mehr bewaffnete Konflikte und
Tote gegeben als in den drei Jahren Friedensprozess zuvor. (…) Rund 200.000 Menschen haben in den letzten zwei Monaten in Nord-Kivu ihre Heimat verloren – auf der Flucht vor Milizen, Rebellen und Armee.“
Den längeren Konflikt mit dem abtrünnigen General Laurent Nkunda und seinen 4.000
Kämpfern der CNDP in Nord-Kivu sollte eine Offensive von 25.000 FARDC-Soldaten im
Dezember 2007 „lösen“. Die Gegenoffensive Nkundas ließ die FARDC-Brigaden schnell zusammenbrechen. Die Niederlage war ein Schlag für Kabila, aber auch für MONUC: Denn im
Rahmen des Auftrages, die Staatsautorität zu stärken, hatte MONUC massiv die Offensive
unterstützt – durch Transport von Soldaten, Munition, Verpflegung und Aufklärungsflüge.
Dadurch trug MONUC zu einer vermeidbaren Katastrophe bei. Der vorrangige MONUCAuftrag „Schutz der Zivilbevölkerung“ trat demgegenüber in den Hintergrund. Die Kämpfe
des Jahres 2007 produzierten allein in Nord-Kivu 430.000 Binnenflüchtlinge (insgesamt
800.000, 15% der Provinzbevölkerung). Darüber hinaus beschädigten Vorwürfe einer Kooperation zwischen FARDC und FDLR die Glaubwürdigkeit der Mission. Im November kam es
in Rutshuru zu Protesten vor dem MONUC-Compound, bei denen 27 Blauhelme verletzt
wurden.
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Auf die Verhandlungsforderung des gestärkten General Nkunda hin rief die Regierung zu einer Friedenskonferenz für Nord- und Süd-Kivu in Goma vom 6. bis 23. Januar auf. An ihr
nahmen ca. 1.000 Personen teil, Regierungsvertreter, Abgeordnete, Vertreter von Zivilgesellschaft und ethnischen Gemeinschaften sowie aller bewaffneten Gruppen (22!) mit Ausnahme
der FDLR. Vereinbart wurde das
Goma-Abkommen: Waffenstillstand, Anschluss an den DDRRR-Prozess (disarmament, demobilization, repatriation, resettlement + reintegration), Amnestie für Kämpfer mit Ausnahme
von Kriegsverbrechen. Die für die Umsetzung zuständige „Technische Kommission“ tagte
erstmalig Anfang April. Vorausgegangen war nach intensiven internationalen diplomatischen
Bemühungen am 9.11.2007 in Nairobi die Einigung zwischen DRC und Ruanda auf ein „Gemeinsames Kommunique“ zur Lösung der Rebellenfrage in Ost-Kongo, insbesondere zur Entwaffnung der FDLR und zur Nichtunterstützung kongolesischer Rebellengruppen aus Ruanda. („Nairobi-Prozess“)
DRK – Ruanda: Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist weiter gespannt, es gibt keine
diplomatischen Beziehungen auf Botschafterebene. Nach intensiven internationalen Vermittlungen unter starker US-Beteiligung einigten sich DRK und Ruanda am 9.11.2007 in Nairobi
auf ein „Gemeinsames Kommunique“ zur Regelung der Rebellenproblematik. Die DRK verpflichtet sich demnach zu militärischen Operationen gegen die FDLR, Ruanda will umgekehrt
keine bewaffneten Gruppen im Kongo unterstützen.
Der jüngste Bericht der UN-Expertengruppe an den Sanktionsausschuss des UNSicherheitsrates vom 13.2.2008 gibt einige Hinweise, aber keine belastbaren Aussagen zur
Art und Weise des ruandischen Engagements in Ostkongo. Die Gemengelage verschiedenster
Interessen und Politiken ist diffus. Das ändert nichts an der Schlüsselrolle von Ruanda für die
Stabilisierung von Ostkongo. Dabei geht es nicht nur um die Frage der militärischen Unterstützung der CNDP von Nkunda, sondern auch um das Gewährenlassen illegaler Rohstoffimporte.
Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (DDRRR) und Sicherheitssektorreform
(SSR) sind nicht vorangekommen: Am Ende des Krieges 2003 wurde die Zahl bewaffneter
Kämpfer auf ca. 330.000 geschätzt. Bis November 2007 waren 166.000 ehemalige Kämpfer
im DDRRR-Verfahren, 63.000 von ihnen wurden in die Armee übernommen. Ca. 80.000
Kämpfer warten auf ihre DDRRR-Registrierung. Weitere 20.000 Kämpfer, überwiegend aus
verschiedenen Mai Mai Gruppen, verblieben außerhalb des DDRRR-Prozesses. Der Wille
Zehntausender Kämpfer, die Waffen niederzulegen, fand keine entsprechende Antwort auf
nationaler und internationaler Ebene. Insbesondere die soziale und ökonomische Reintegration war unzureichend, weshalb vor allem die Weltbank als führende Institution in Kritik geriet.
Nur die Hälfte der Ex-Kämpfer wurde für längerfristige Integrationsprojekte vorgesehen. Die
Kluft zwischen Demobilisierung und Reintegration ließ die Kriminalität ansteigen. Lt. Ajello
ist die DDRRR die „größte Katastrophe“
Seit Juni 2005 unterstützt die EU-Mission EUSEC (79 Dienstposten) die Sicherheitssektorreform in der DRK durch Beratung des Verteidigungsministeriums und der Kommandobehörden, bei der Aufstellung integrierter Brigaden und der Sicherstellung der Soldzahlungen. Von
März 2006 bis Februar 2008 stellte die Bundeswehr einen Computerexperten. Max. fünf Bundeswehrangehörige sind gebilligt. Die Formierung integrierte Polizei- und Armeeeinheiten
steckt weiter in Kinderschuhen. Bis Dezember 2007 waren 15 von 18 geplanten „integrierte
Brigaden“ aufgestellt. In Wirklichkeit blieben die Brigaden lockere Zusammenhänge verschiedener bewaffneter Gruppen, mit nur 45 Tagen und schwachen Kapazitäten. Die undisziplinierte Truppe war wie in der Vergangenheit eine Hauptquelle von Menschenrechtsverletzungen. Die Gesamtstärke der FARDC wurde im September 2007 mit 250.000 angegeben. Ihr
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realer Umfang soll eher bei 150.000 liegen. Verschiedene Projekte zur SSR gelten als „Tropfen in einem Ozean“ (Denis Tull). Die Regierung sieht offenbar in der SSR keine Priorität.
Sie will vor allem eine schnelle Elitetruppe als Machtinstrument, nicht als Ordnungsfaktor.
Ein Runder Tisch der Kontaktgruppe für eine Road Map zur SSR trat erstmalig im Februar
2008 zusammen. Ein Konzept gibt es lt. VN-Generalsekretär noch nicht. MONUC startete
ersatzweise für 11 Brigaden ein dreimonatiges Trainingsprogramm.
Wirtschaft + Lebensbedingungen: Die wirtschaftlichen Globalzahlen sind nicht schlecht, die
Verteilung ist aber krass ungleich. Für 2008 sieht der Staatshaushalt eine Steigerung von Einnahmen und Ausgaben um 22% vor. Zu den fünf Hauptaufgaben, die Kabila in seiner Antrittsrede nannte (Armutsbekämpfung, Arbeitsbeschaffung, Rehabilitierung der Infrastruktur,
Gesundheits- und Bildungswesen) gab es kaum Fortschritte. , die Wirtschaftslage gilt als desolat. Anspringhilfen könnten kurz- und mittelfristig wirkende, von der Weltbank koordinierte
Unterstützungsprogramme sein, aber auch das enorme Engagement der VR China.
Der Lebensstandard ist seit 2006 weiter gesunken. Der größte Teil der Bevölkerung lebt von
der Hand in den Mund. Es heißt, in Kinshasa sei die Lebenserwartung „24 Stunden mit Verlängerungsoption“.
Nach den mit großen Hoffnungen einhergehenden Wahlen herrscht inzwischen ein Klima der
Desillusionierung. Das trifft auf die Erfahrung mit einer unübersehbaren Privilegienwirtschaft, die sich mit der Einführung föderaler Strukturen eher vervielfacht hat.
Vor dem Hintergrund ausbleibender Fortschritte für die Bevölkerung und der Inaktivität der
Regierung richtete die kongolesische Bischofskonferenz am 7. Juli 2007 eine Botschaft an die
Nation: das kongolesische Haus brenne angesichts wachsender Unsicherheit, Straflosigkeit,
verbreiteter Angriffe auf bürgerliche und politische Freiheiten und der andauernden Ausbeutung der Bodenschätze.
2.1 Ankunft Kinshasa
Ab Brüssel fliegen auffällig viele chinesische Passagiere mit. Sie verlassen bei der Zwischenlandung in Luanda/Angola die Maschine.
Wir beziehen Station im Grand Hotel Kinshasa in Gombe, der Oase der Internationalen und
Reichen. Aggressiv bahnt ein Polizei-Pick-up mit vier schwerbewaffneten Polizisten auf der
Ladefläche unserem Konvoi die rasende Fahrt durch das Verkehrsgewusel. Nachträglich erfahren wir aus unserem Führungsfahrzeug, dass die Polizisten nicht sparsam sind mit Schlägen und Tritten gegen zu langsame Verkehrsteilnehmer. Als Antwort gibt es hie und da auch
Steinwürfe.
Insofern bleibt das reale Kinshasa und seine Menschen Kulisse
2.2 Parlament
Starke Führungspersönlichkeiten sind Senatspräsident Kengo wa Dondo (Premierminister unter Mobutu ab 1982, 1988 und 1994, Ermittlungen in Belgien wg. Geldwäsche) und der Präsident der Nationalversammlung Vital Kamerhe („Kabila-Intimus“). Die Kamerhe-Assistentin
ist kongolesisch.schwedischer Herkunft und begrüßt uns mit „willkommen“. Wir treffen einige Parlamentarier wieder, die im letzten Oktober Deutschland besuchten. Damals reagierten
die männlichen Parlamentarier auf Fragen zur sexuellen Gewalt wenig ernsthaft. Jetzt werden
alle Gesprächspartner von vorneherein mit diesem Thema als einem Hauptinteresse unseres
Besuches konfrontiert - neben der Augenscheinnahme der jungen Demokratie und die Sorge
um die humanitäre Lage im Osten allgemein.
Das Parlament tagt in zwei Sitzungswochen vom 15.3.-15.6. und 15.9.-15.12. In dieser Zeit
ziehen viele Abgeordnete nach Kinshasa. Über die jeweils drei sitzungsfreien Monate in ihrer
Region müssen sie einen schriftlichen Bericht anfertigen. Unklar ist, was mit dem geschieht.
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Das Parlament verabschiedete inzwischen Gesetze zur Opposition, Parteieinfinanzierung, zum
Nationalen Richterrat und zur Privatisierung. Gesetze zur Verfassungsgerichtsbarkeit, zum
Unabhängigen Wahlausschuss und zu Medien sind geplant. Das von der Verfassung geforderte Dezentralisierungsgesetz zum Verhältnis Provinzen-Zentralregierung wurde bisher noch
nicht verabschiedet. Der Schlüssel zur Verteilung der Staatseinnahmen (50% zentral, 40%
Provinzen, 10% für Finanzausgleich) wird bisher noch nicht umgesetzt. Wegen Geldmangel
wurden die Kommunalwahlen auf 2009 verschoben.
Besonders Interesse wird geäußert an den Erfahrungen mit dem Föderalismus in Deutschland.
Hilfen könnten am besten laufen über Patenschaften zwischen Bundesländern und den elf
Provinzen.
In der Nationalversammlung liege der Anteil der Frauen bei 10% (48), im Senat bei 5%. Dem
Ausschuss für sozio-kulturelle Angelegenheiten sitzt eine Frau vor. Von den 600 Abgeordneten der Provinzversammlungen sind 42 Frauen, von den 37 (Vize-)Ministern fünf. Es gibt eine
einzige Vizegouverneurin. Die Frauen im Ostkongo würden eine nie da gewesene sexuelle
Gewalt erleben.
Zur Lage im Osten habe man Minister einbestellt, eine Delegation entsandt und einen Bericht
mit Empfehlungen vorgelegt. Der Frieden im Osten brauche einen globalen und speziellen
Ansatz. Die Region könne gemeinsam auf Grundlage gemeinsamer Interessen entwickelt
werden.
Positive Resonanz in der Öffentlichkeit fand im Herbst die Parlamentsdebatte zur Überprüfung aller Minenverträge zwischen in- und ausländischen Unternehmen und kongolesischen
Staatsgesellschaften. Zum Bergbau wurde ein Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Parlamentsdebatten sollen live über drei Sender ausgestrahlt werden. Ein eigener Parlamentssender ist geplant.
Eine besondere Herausforderung sei der Bruch mit 40 Jahren Diktatur, wo die Regierung wie
ein Selbstbedienungsladen funktionierte.
Die Regierung soll aufgefordert werden, alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, damit der Oppositionsführer Bemba zurückkehren kann. (Kamerhe)
Zur Armee: Die von der EU unterstützte Integration konnte die Heterogenität der aus verschiedenen Milizen stammenden Truppe nicht überwinden. Für gute Soldaten brauche man
neun Monate Ausbildung. Eigentlich müsste die gegenwärtige „Pufferarmee“ durch eine republikanische Arme ersetzt werden.
Nach der Rückkehr aus Ostkongo treffen wir uns noch mal mit einer großen Gruppe von Abgeordneten der Freundschaftsgruppe Europa, Sektion Deutschland. Diese hat 14 Mitglieder:
Die deutsche Demokratie sei besonders stark und werde weltweit beneidet. Sehr interessiert
sei man, die Strukturen und Abläufe des Bundestages näher kennenzulernen. Wir berichten
von unseren wichtigsten Eindrücken im Osten. Nachträglich fällt uns auf, dass die Abgeordneten der Opposition praktisch nicht zu Wort gekommen sind.
2.3 Regierung
Nur kurz treffen wir den Vize-Außen- und Entwicklungsminister. Gegenüber vom Außenministerium befindet sich eine Großbaustelle. Hier wächst die Wirtschaftsabteilung (!) der chinesischen Botschaft.
Planungsminister Olivier Kamitatu Etsu (früher Rebellenführer + Mitglied von Bembas MLC,
mit dem er sich überworfen haben soll) wirkt inhaltlich und im Auftreten ausgesprochen überzeugend und vielversprechend. Kein Wunder, dass er als bevorzugter Gesprächspartner der
Internationalen gilt. Der Minister erinnert an die 90er Jahre, als der Kongo Wirtschaftsdaten
hatte wie Zimbabwe heute, z.B. 13.000 % Inflation. Bei Kabilas Machtantritt 2001 lag die Inflation bei 500%, heute ist sie bei 9% und 6% Wirtschaftswachstum. Zzt. lägen die Staatseinnahmen bei 3,7 Mrd. $. In 2007 überstiegen die Eigeneinnahmen erstmalig die ausländischen
Zuschüsse (60:40). Aber: Auf der internationalen Liste der Wirtschaftsfreundlichkeit stehe die
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DRK an letzter Stelle. Die Regierung verfolge eine Strategie zur drastischen Bekämpfung der
Armut für die nächsten 25 Jahre. Sie ruhe auf fünf Säulen: Konsolidierung des Friedens, wirtschaftliche Stabilisierung und Wachstum, Zugang zu Grundbedürfnissen, Aids-Bekämpfung,
Gemeinschaftsdynamik.
Bisher haben nur 6% Zugang zu Basisdiensten, 22% zu sauberem Trinkwasser, 70% leben in
absoluter Armut, 4% sind HIV-infiziert.
Die DRC sei ein Postconflict-Land mit hoher Korruption und geringer Glaubwürdigkeit der
Regierenden. Gegenüber dem Parlament habe sich die Regierung verpflichtet zur
- Reform des Sicherheitssektors
- Reform der Finanzen, insbesondere zur Mobilisierung der eigene Finanzquellen
- Reform der öffentlichen Verwaltung
- Dezentralisierung
- Transparenz, insbesondere hinsichtlich der Ressourcen
- Verbesserung des Investitionsklimas.
Die Zusammenarbeit mit Deutschland u.a. bei der Trinkwasserversorgung sei beispielhaft.
Die DRC sei ein riesiges Land, wo nur 20% auf dem Landwege erreichbar seien. Fehlende
Verkehrsinfrastruktur sei die größte Bremse. Hier setze die Partnerschaft mit China an. Auf
einer Folie zeigt der Minister die verschiedenen großen Verkehrsprojekte mit den jeweiligen
Gebern. Ein 3.000-km-Abschnitt wurde von der Weltbank nicht geschafft. Den übernimmt
jetzt China. Für Konzessionen zum Abbau von Kupfer-, Kobalt- und Goldvorkommen will
China Infrastruktur für 6 Mrd. $ bauen. China sei ein strategischer, aber kein ausschließlicher
Partner. Man wolle Wettbewerb, Transparenz, beste Preise.
Das Wasserkraftwerk Inga in Bas-Congo liefere zzt. 700 MW und habe ein Potenzial von
44.000 MW. Die nächste Ausbaustufe solle 4.400 MW erbringen. Insgesamt stecke im Kongo-Fluss 100.000 MW – damit könnte die Energiekrise im südlichen Afrika bewältigt werden.
In Banana südlich Muanda sei ein Tiefwasserhafen geplant, in der Umgebung gebe es Ölvorkommen. In Kasai in Zentralkongo seien Diamant- und Nickelvorkommen entdeckt worden.
Das alles zeige, welche Chancen der Kongo habe.
Exkurs zum chinesischen Engagement: Der Vertrag zwischen dem kongolesischen Infrastrukturminister und einer chinesischen Firmengruppe wurde am 17.9.2007 unterzeichnet und
hat eine Laufzeit von 30 Jahren. Lt. taz vom 21.12.2007 soll China drei Mrd. $ in den Bergbau investieren. Die Profite werden zunächst komplett der chinesischen Seite überlassen. In
einer zweiten Phase gehen sie zu 66% an die chinesische Seite, die damit Infrastrukturmaßnahmen in einer Höhe von 3 Mrd. $ erbringen soll: 3.123 km Eisenbahnlinie (Lubumbashi/Katanga-Kinshasa), 3.852 km Straßen (u.a. von Lubumbashi über Kivu und Ituri nach Kisangani am Kongo-Fluss), 32 Krankenhäuser, 145 Gesundheitszentren, 5.000 Sozialwohnungskomplexe und zwei Universitäten. In einer dritten, zeitlich nicht festgelegten Etappe
werden die Gewinne aufgeteilt. Die Investoren genießen totale Steuer- und Zollfreiheit und
können auch ihre Lieferanten und Arbeitskräfte frei suchen. Das bisher größte Afrikageschäft
Chinas stellt alles in den Schatten, was die DRC von westlichen Gebern zu erwarten hat. Angesichts des Neokolonialismus-Vorwurf gibt ein europäischer Gesprächspartner zu bedenken,
welche Rechte z.B. ein US-Konzern für billige 15 Mio. $ erhielt. Angola habe schon reichlich
Erfahrung mit dem chinesischen Engagement, wo oft chinesische Arbeitskräfte eingesetzt
würden und die Qualität nicht sonderlich sei. Aber diese Länder hätten kaum eine andere
Chance. Ein anderes Beispiel: Kongolesische Händler bekommen schnell Visa für China, für
Europa hingegen nur mit großer Mühe.
Die Reportage „Chinas McKinsey in Afrika“ von Georg Blume (taz vom 12.4.2008) vermittelt einen sehr aufschlussreichen Blick in die Arbeitsweise und das Auftreten des Unternehmensberaters Wang Wenning. Er gilt als erfolgreichster privatwirtschaftlicher Wegbereiter
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des China-Booms in Afrika, von enorm wachsenden Investitionen kleinerer und mittlerer chinesischer Privatunternehmen.
3.1 Bukavu
Mit einer Chartermaschine soll es Mittwochmorgen nach Goma, der Provinzhauptstadt von
Nord-Kivu gehen. Am Dienstagnachmittag erreicht uns die Nachricht, dass in Goma eine DC9 nach dem Start in ein Wohngebiet gestürzt ist. Die Rede ist von ca. 70 Toten. Als ein Grund
wird die seit sechs (!) Jahren von 3.000 auf 2.000 Meter verkürzte Startbahn genannt. Beim
Ausbruch des Vulkans Nyiragongo in 2002 ergoss sich ein Lavastrom über die Stadt und bedeckt bis heute ein Drittel der Bahn mit einer sechs Meter hohen Steinwand. Vielleicht war
der Absturz aber auch verursacht durch die notorische Überladung von Flugzeugen im Kongo
oder die schlechte Wartung oder die kongolesische Flug“aufsicht“. Die Reportage von Thomas Scheen über den Wahnsinn der Fliegerei im Kongo, über Korruption, Schlamperei und
Extremrisiken erscheint Gott sei dank erst nach unserer Rückkehr am 3. Mai in der FAZ.
Kurzfristig ist nun Bukavu unser erstes Ziel. Da unser Charterflieger für die Katastrophenhilfe
in Goma gebraucht wird, fliegen wir mit einer Antonow-26 von „Air Kasai“. Die ukrainische
Mannschaft bringt uns in ruhigem Flug in vier Stunden in das prall-grüne Hügelland am Kivu-See. Die beiden Kivu-Provinzen an der Grenze zu Ruanda waren nach der Flüchtlingskatastrophe von 1994 die Brennpunkte der zwei Kongokriege 1996/97 und 1998-2003. Auf ca.
1500 m Höhe ist die Temperatur ausgesprochen angenehm. Nachdem mein Handy in Kinshasa kein Netz fand, piepsen hier plötzlich die aufgelaufenen Anrufe und SMS – darunter auch
die freundliche Nachfrage eines Berliner Journalisten, ob ich in den gestrigen Absturz verwickelt sei
Kurz nach der Landung geht ein saftiger Tropenregen nieder. Für die 30 km „Hauptstrasse“ –
eine Piste mit tiefen Furchen, Wellen und Löchern – brauchen wir zwei Stunden. Leute mit
Rückenproblemen hätten diese Schüttelstrecke kaum überstanden.
Am Wegesrand schleppen Frauen und Kinder schwerste Lasten, laufen in Latschen oder barfuß durch den Schlamm. In Stadtnähe werden die Menschenströme auf den Trampelpfaden
am Straßenrand immer dichter. Dazwischen Kleinsthandel, etwas Ware auf einer Matte im
Matsch, dann kleine Verkaufshütten auf Stelzen über dem Hang.
Bukavu hatte in den 90er Jahren 300.000 Einwohner, inzwischen sind es nach den Fluchtbewegungen 800.000. Auf der Rückfahrt vom Panzi-Hospital in die Stadt erfahren wir so ungeplant wie eindringlich den katastrophalen Zustand der hiesigen „Straßen“, wo es mangels
Straßennetz keine Umwege gibt: Die verschlammte Fahrpiste lässt die Fahrzeuge hin und her
rutschen. Plötzlich geht nichts mehr: Ein Container ist auf der Straße abgestellt und schafft ein
einspuriges Nadelöhr. Von vorne versucht ein MONUC-Konvoi mit acht Lkw`s durchzukommen. Links droht ein Abrutschen in den Graben, in dem schon ein Wrack liegt, rechts von
unserem Kleinbus fällt der Abhang unter den Händlerständen steil ab. Vor- und Zurücksetzen,
Palaver zwischen Fahrern, Passanten, Schaulustigen. Wir im Bus sind ähnlich interessant wie
der Stau. Pakistanische Blauhelm-Soldaten und Einheimische dirigieren die Lkw`s in Millimeter-Arbeit durch die Enge. Einem telefonierenden Pakistani wird das Handy entwunden
und zerdeppert. Mangels Französisch-Kenntnissen kann er seinen Zorn nicht verständlich machen. Über Herrn Kulitz kann er es dann doch: Er hatte gerade mit seiner Frau telefoniert, im
Handy hatte er Fotos seiner Kinder gespeichert. Jetzt hat ein Soldat ein Gewehr auf dem Rücken, wohlweislich noch ohne Magazin. Das könnte im Durcheinander schnell weg sein. Als
zwei Männer mit Fäusten aufeinander losgehen, werden sie von anderen besänftigt. Ab und zu
versucht jemand, die Tür unseres Busses aufzudrücken. Unsere Sicherheitsmänner verhindern
das. Nach mehr als zwei Stunden können wir wieder weiter fahren. Ein Gesprächstermin ist
geplatzt. Aber wir haben exemplarisch den Alltag erfahren.
3.2 Sexuelle Gewalt
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75% aller Vergewaltigungen, die weltweit von „Ärzte ohne Grenzen“ behandelt werden, geschehen im Ostkongo. Prof. Yakin Ertürk, Sonderberichterstatterin des UN-Menschenrechtsrates zur Gewalt gegen Frauen, erklärte nach einem Besuch der kongolesischen Ostprovinzen
am 27. Juli 2007 in Kinshasa, die Situation in den Kivu`s sei die schlimmste Krise, der sie
bisher begegnet sei. Allein in Süd-Kivu seien im ersten Halbjahr 2007 4.500 Fälle von sexueller Gewalt berichtet worden. Die tatsächliche Zahl liege wohl um ein Vielfaches darüber. Die
unvorstellbar grausame sexuelle Gewalt werde vor allem von ausländischen bewaffneten
Gruppen ausgeübt. In Ituri und Süd-Kivu wird aber ca. 20% der sexuellen Gewalt der
FARDC und der kongolesischen Polizei zugerechnet. (www.monuc.org) Es gibt Schätzungen,
wonach in den Kivu`s jede dritte Frau vergewaltigt worden sei. Viele seien gestorben. Deshalb werden eingelieferte Opfer auch als „Überlebende“ bezeichnet. Hier sei eine ganze Gesellschaft traumatisiert. Inzwischen haben auch die Vergewaltigungen durch Zivilisten zugenommen. Eine Kultur der Verrohung hat um sich gegriffen.
Im Osten besuchen wir die zwei Zentren zur Unterstützung vergewaltigter Frauen: Die Klinik
von HEAL Africa in Goma und am Südrand von Bukavu das
Panzi-Hospital, ein inzwischen auch international bekannter Zufluchtsort in einer Hölle auf
Erden.
Das „General Referral Hospital of Panzi“ (Referenz-Hospital) entstand 1999 in Reaktion auf
die Grausamkeiten des Krieges aus zwei alten Gebäuden mit Unterstützung der christlichen
Hilfsorganisation PMU Interlife aus Schweden. Ursprünglich angelegt auf 120 Betten umfasst
das Hospital inzwischen 324 Betten. Ca. 70% sind mit Vergewaltigungsopfern belegt. Unterstützt wird die Arbeit des Hospitals heute zusätzlich von UNICEF und der EU (ECHO).
Gespräch mit Ärzten: Der diensthabende Arzt ist sichtbar erschöpft nach mehreren Operationen. Jeden Monat kommen 300-400 Opfer sexuelle Gewalt hierher. Mobile Ärzteteams versuchen diejenigen Opfer in den Dörfern ausfindig zu machen, die allein nicht den Weg hierher
schaffen. Mit dem Krieg stieg die sexuelle Gewalt erheblich an. Aber es passiert bis heute. In
Kaniola südlich von Bukavu sei die Lage dramatisch. Es sind Frauen und Mädchen bis unter
12 Jahren. Alle wurden vergewaltigt, immer wieder. Viele wurden von Rebellen verschleppt,
als Zwangsprostituierte gehalten.
Hiervon berichtet die SWR-Journalistin Susanne Babila in ihrem Dokumentarfilm „Im Schatten des Bösen – Der Krieg gegen die Frauen im Kongo“: Erst wurden Männer gezwungen,
ihre Kinder zu vergewaltigen, dann wurden sie umgebracht, dann die hinterbliebenen Frauen
vergewaltigt. Opfer wurden mit Stöcken, Bajonetten, heißen Plastikteilen misshandelt. Es
kam vor, dass Frauen gezwungen wurden, das Fleisch ihrer Schwestern zu essen. Ganze
Dorfbevölkerungen sind traumatisiert. Chefarzt Dr. Denis Mukwege berichtet von den vielen
Frauen, deren Geschlechtsorgane völlig zerstört seien. In manchen Dörfern gebe es fast keine
Frauen mehr. Dadurch werde der Ackerbau vernachlässigt, greife Hunger um sich. (www.imschatten-des-boesen.de)
Die Patientinnen werden operiert, manchmal drei-, viermal und dann von Psychologen und
Sozialarbeitern betreut. Manche bleiben für ihr Leben behindert – und oft von den Familien
verstoßen.
Eine Dokumentation der Verbrechen und ein Belangen der Täter sei sehr schwer. Zu groß sei
die Angst vor Repressalien. Als Hauptverantwortliche gelten die von der FDLR angeführten
Rastas, dann die FDLR selbst, schließlich Soldaten aus aufgelösten kongolesischen Rebellengruppen und der Regierungsarmee selbst. Bei Überfällen gehören Vergewaltigungen immer
dazu. Sie sind Kriegswaffe: Mit den Frauen zerstört man die Familien. Dr. Mukwege verweist
auf die vielen Appelle gegen die sexuelle Gewalt, auf die internationale Präsenz. „Es geht einfach so weiter. Warum gibt es keine Reaktion?“
Rundgang: Ich zähle mindestens zehn einstöckige Gebäude. In einem Saal stehen vier Reihen
mit jeweils 13 Betten. Etliche Frauen sind mit Handarbeiten beschäftigt. Einige Mädchen sind
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heute gekommen. Die Patienten beobachten uns, auffällig viele bleiben auch einem Gruß oder
Lächeln gegenüber ernst und ohne Reaktion. In einem zweiten Saal stehen 32 ordentliche
Krankenhausbetten für Frischoperierte. In der „Küche“ drängen sich an den Tischen mehr als
200 Frauen und Mädchen, darunter auch einige Kleinkinder. Zu unserer Begrüßung wird ein
Lied gesungen und geklatscht. Wir kaufen einige Handarbeiten. (aus dem Panzi-Hospital berichten auch Andrea Böhm am 6.11.2006 in ihrem Kongo Logbuch www.blog.zeit.de/kongo,
Arne Perras in der SZ 12.9.2007, Marc Goergen mit einer elfseitigen Reportage im STERN
48/2007, www.panzihospitalbukavu.org)
Im Hospital von HEAL Africa (Health, Education, Community Action, Leadership Development) werden die meisten Überlebenden des Flugzeugabsturzes vom 15. April behandelt.
Das von dem kongolesischen Chirurgen Dr. Lusi und seiner britischen Ehefrau gegründete
Hospital praktiziert einen Ansatz ganzheitlicher Gesundheitsfürsorge.
Die Krankenräume sind dicht belegt. Die Betten bergen die ganze Habe. Angehörige besänftigen einen jungen Mann, der sich wälzt und aufbäumt. Wenige Betten weiter stirbt ein Patient.
Das Programm gegen sexuelle Gewalt begann 2003. Seitdem wurden hier über 12.000 Frauen
aus Nord-Kivu und der Nachbarprovinz Maniema behandelt und über 1.300 FistelOperationen durchgeführt. Man schätzt, dass im Einzugsgebiet des Hospitals ca. ein Drittel,
also 1,5 Millionen, ein- oder mehrmals Opfer von sexueller Gewalt wurden. Das Projekt
„Heile mein Volk“ gegen sexuelle Gewalt wird von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau/kfw-Entwicklungsbank über drei Jahre unterstützt. Hier kommt ein Arzt auf 160.000
Einwohner. In der Provinz Maniema werden 6 von 18 Gesundheitsbezirken von HEAL abgedeckt, auch in den Gebieten von Nkunda und FDLR. Zusammengearbeitet wird mit insgesamt
150 örtlichen Komitees, in denen auch Kirchen und traditionelle Autoritäten mitarbeiten.
(www.healafrica.org)
Wir treffen zwei Mitarbeiterinnen von medica mondiale, die gerade eine Untersuchung zur
Lage der Opfer sexualisierter Gewalt in Nord- und Süd-Kivu und zu Unterstützungsmaßnahmen durchgeführt haben. (medica arbeitet seit 2004 mit der kongolesischen Frauenorganisation PAIF zusammen. Beabsichtigt ist der Bau eines neuen Projektzentrums zur medizinischen,
psychosozialen und sozioökonomischen Unterstützung vergewaltigter Frauen und Mädchen in
Goma. Seit Ende 2007 fördert medica ein Projekt der Frauenorganisation AFPDE in Kaniola/Süd-Kivu. www.medicamondiale.org/projekte/drkongo)
Malteser International unterstützt in Süd-Kivu in Zusammenarbeit mit 17 lokalen Partnerorganisationen 15 Gesundheitszentren in fünf Gesundheitszonen, wo Opfer sexueller Gewalt
medizinisch behandelt werden. Man arbeitet auch in FDLR-Gebieten. Seit 2003 wurden insgesamt über 35.000 Frauen und Mädchen beraten und behandelt.
(www.malteser.de/61.Malteser_International)
Im letzten September schrieb die deutsche Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul im Namen ihrer EU-KollegInnen in dieser Angelegenheit an die kongolesische Führung. Von einer
Antwort ist bis heute in der Botschaft nichts bekannt.
3.3 Deutschnahe Community im „Chez Gerda“:
Es ist eine Runde von Menschen mit langer Kongo-Erfahrung und einem unglaublichen Engagement für Menschen und Natur inmitten von Krieg, Gewalt und Willkür. Welchen ExtraPersönlichkeiten wir das Glück haben zu begegnen, wird mir erst bei der Nachbereitung so
richtig bewusst.
Horst Gebbers und sein Sohn Michael. Der Vater ist mit Frau und zwei Söhnen seit 36 Jahren
im Land, zuerst als Entwicklungshelfer, dann lange bei der Chininfabrik „Pharmakia“ in Bu-
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kavu, seit 1999 – als Hoffmann La Roche das Werk stilllegen wollte - als ihr Miteigentümer.
Pharmakina ist mit 800 Festangestellten und 1.200 Saisonarbeitern der größte lokale Arbeitgeber in Ost-Kongo. Die Firma ist Weltmarktführer in der Produktion des Malariamittels Chinin und auch der größte Lieferant des Lebensmittelbitterstoffs von Schweppes. Das Chinin
wird aus dem Chinarindenbaum gewonnen. 80% der Weltproduktion an Chinarinde stammt
aus dem Kongo. In 2005 begann Pharmakina mit Unterstützung der GTZ und des Medikamentenhilfswerkes „aktion medeor“ mit der Produktion von „Afri-Vir“, einem antiretrovialen
Kombinationspräparat gegen Aids. Es ist um ein Vielfaches billiger als andere vergleichbare
Präparate. Nach der nationalen Zulassung steht aber noch die Zertifizierung durch die WHO
aus. Die aber ist die Voraussetzung, um die meist von internationalen Organisationen betriebenen Hospitäler im Kongo beliefern zu können. Das Prüfverfahren aber kann bis zu zwei
Jahren dauern und 100.000 $ kosten. (www.pharmakina.de)
Der Schweizer Carlos Schuler-Deschryver kennt die Region seit 22 Jahren. 1994 wurde er im
Auftrag der GTZ zuständig für die Infrastruktur im Kahuzi-Biega-Nationalpark. Er blieb während der Kriege und trug wesentlich zur Rettung der letzten Graueri-Gorillas bei. Zugleich
mussten er und seine Frau Christine, Tochter des Parkgründers, erfahren, dass in der internationalen Öffentlichkeit das Schicksal der Gorillas mehr Aufmerksamkeit brachte als die Menschenrechtsverbrechen und das Schicksal der Abertausenden Vergewaltigten in Kivu. Ihre
diesbezüglichen Berichte und Hilferufe wurden über Jahre abgetan. Heute koordiniert Christine Schuler-Deschryver für die GTZ die Unterstützung des kongolesischen NGO-Verband
ICG und insbesondere medizinische Hilfe für vergewaltigte Frauen. Der Verein Hilfe für
Kongo-Kivu unterstützt die Arbeit von Christine und Carlos. (www.kongo-kivu.ch) Sylvie
Oulette ist Carlos` Nachfolgerin auf dem Feld Biodiversität und nachhaltige Waldbewirtschaftung, Eugenie Saleh die Mitarbeiterin von Christine bei der GTZ.
Christof Ruhmich ist seit 2000 vor Ort, zunächst bei Ärzte ohne Grenzen. Die Malteser haben
in Süd-Kivu 100 MitarbeiterInnen.
Der belgische Generalkonsul Hugues Chantry ist nach zwei Jahren in Kinshasa seit November
2007 in Bukavu. Er bereitet gerade den Besuch einer 60-köpfigen belgischen Regierungsdelegation mit dem Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungsminister vor.
- Der Ostkongo war lange vergessen. Die Wahlen waren ein Erfolg. Dabei wurden aber keine
Energien für den Osten eingesetzt. Seit einem halben Jahr nimmt bei der Internationalen Gemeinschaft das Interesse an den bewaffneten Gruppen zu – siehe Nairobi-Communique und
Goma-Konferenz. Es sei was ruhiger geworden. Allerdings rekrutieren bewaffnete Gruppen
verstärkt im Hinblick auf den DDRRR-Prozess und das dabei winkende Geld.
- Die FDLR habe hier keinen Rückhalt. Kollaboration beruhe hier auf Zwang. Aber die jungen Männer der FDLR seien hervorragend ausgebildet und verfügten über moderne Waffen.
Sie arbeiten in den Minen und verkaufen an die wahren Verbrecher.
- Die Armee sei Teil des Problems. Die Soldaten wollen nicht gehorchen und kämpfen, weil
sie keinen Sold bekommen. Ihr Sold wird gestohlen, erst in Kinshasa von den Politikern, die
mit internationalen Besuchern sprechen. Wo die FARDC und FDLR zusammenkommen, gibt
es eine Preisliste für Uniformen, Munition, Waffen. Vor dem Krieg gab es praktisch kein Militär und auch viel weniger Gewalt gegen Frauen. Ein Beispiel von der Polizei: Zur Friedenskonferenz wurden gut bezahlte Polizisten von Kinshasa nach Goma geschickt. Mit Ende der
Konferenz hörte auch ihre Besoldung auf. Danach gingen viele Morde und Gräueltaten auf ihr
Konto!
- In zehn Jahren gab es öfter Konferenzen. Sie führten nur zu einer Verzögerung des Krieges.
- Unruhen werden auch deshalb geschürt, um den Export von Mineralien zu erleichtern.
Raubbau wird aber auch mit Kaffee, Tee, Tieren und Holz getrieben. Es gibt eine unsägliche
Komplizenschaft all derjenigen, die keine Stabilität wollen. Der status quo ist für viele großartig, materiell wie politisch.
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- Die Leute interessiert am meisten Landwirtschaft, Landwirtschaft, Landwirtschaft, vor allem
um Bukavu herum. Im Bandengebiet sei nur Nothilfe möglich. Mit relativ wenig Geld lasse
sich viel bewegen. Allerdings sei die Mentalität sehr egoistisch.
- Am meisten unterschätzt werde die Verantwortung der Regierung. Der Mobutismus, die Bereicherung, funktioniere inzwischen viel besser als zu Mobutus Zeiten.
- Bei den Internationalen gebe es großes Durcheinander. Es gebe viel zu viel Kurzfristiges
und nie etwas Nachhaltiges.
4.1 Goma
In Bukavu übernachten wir im Hotel Residence, das offenkundig bessere Zeiten erlebt hat.
Sekunden, bevor ich den denkmalschutzwürdigen Aufzug betreten will, reißen seine Seile.
Das Hotel liegt am Beginn einer Landzunge mit Traumblick auf den Kivu-See. Nebenan Geschäfte zum Aufkauf von Gold und anderen Mineralien.
Der Kivu-See ist stark methanhaltig und deshalb relativ fischarm. Das Methan ließe sich zur
Energiegewinnung nutzen. Das wird zzt. untersucht. Im schlimmsten Fall könnte der See irgendwann explodieren.
Mit einem gecharterten Schnellboot soll es längs über den Kivu-See nach Goma gehen. Der
Käpt`n runzelt die Stirn angesichts unseres Gesamtgewichts, das dank unserer kräftigen Begleiter und ihres Einsatzgepäck ziemlich hoch gegangen ist. Ganz dicht gedrängt passen wir
dann aber doch alle an Bord. Schon macht scherzhaft eine mögliche deutsche Zeitungsschlagzeile die Runde „Deutsche Parlamentarier in Ostafrika gekentert, Boot mit Waffen überladen,
Paech und Nachtwei in Waffenschmuggel verwickelt“. Das Boot prescht über den glatten See.
Das Sonnenwetter, die nahen Inseln, die üppige Vegetation, ab und zu ein schmales Fischerboot oder eine menschenvolle Fähre – es ist wie ein exotischer Bootsausflug. Als sich der See
weitet, verdüstert sich der Himmel immer mehr, bis die Küsten verschwinden. Tropenregen
peitscht nieder, Wellen mit vereinzelten Schaumkronen. Der kleine Käptn geht keinen Deut
mit der Geschwindigkeit runter, das Boot reitet über die unruhige See, knallt hart auf die Wellen. Wir schwitzen und hoffen, dass die Spanten halten. Sie tun`s.
Goma mit seinen 500.000 Einwohnern ist geprägt vom schwarzen Lavagestein. Hier gibt es
schon was mehr Straßenbau als in Bukavu. Dort war eine zentrale Kreuzung eine einzige
schlammige Hügellandschaft. Hier ist ein Kreisverkehr mit Steinen und Pflanzen gestaltet,
gibt es eine Promenade mit etlichen Anlagen für Internationale, Wohlhabende, Geschäftsleute, Machthaber, Großkriminelle. Ein Extrembeispiel ist unsere Hotelanlage Ihuzi direkt am
See, mit großzügigen Appartements, Swimming Pool und Tennisplatz. Sie soll einem ColtanMillionär gehören. Uns voraus fährt ein Polizei-Pick-up. Der schwarze Trupp auf der Ladefläche mit Körperschutz, Helm und Schnellfeuergewehr macht einen futuristischmartialischen Eindruck. In der Stadt ist die Straße über das Lavagestein tief zerklüftet, durchzogen von Wasserlöchern und –seen. An den Straßenseiten preschen Massen von leichten
Motorrädern durch das Gewühl. Ab und zu sind schwere Lasträder aus Holz zu sehen.
Goma an der Grenze zu Ruanda ist mit Verkehr und Handel ganz auf die östlichen Nachbarn
orientiert. Die Straßenverbindungen zu anderen Teilen der DRK existieren nicht mehr. Goma
lebt vom informellen Handel, vor allem mit Zinnerz (Cassiterit). Coltan hat an Bedeutung verloren. Da es heute mit Cassiterit gemischt ausgeführt wird, ist die Coltanausfuhr noch unkontrollierbarer geworden. Die Fördergebiete liegen ca. 150 km westlich in überwiegend FDLRGebiet um Walikale. Das ist auch das Zuständigkeitsgebiet der 85. FARDC-Brigade, die direkt dem Generalstab in Kinshasa unterstellt ist. Für 2006 wurde der Wert der CassiteritExporte aus Nord-Kivu auf 25 Mio. $ geschätzt, die Goldexporte aus Ituri und Süd-Kivu auf
jeweils 100 Mio. $. Von den Cassiteritexporten aus dem Walikale-Distrikt ist nur ca. ein Viertel registriert. (vgl. Pole Report von A. Tegera + D. Johnson über den formellen und informellen grenzüberschreitenden Handel in Ost-Kongo) Es bestehe ein sehr komplexes Geflecht von
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Abhängigkeiten, wo einfache Verbote nichts bringen würden. Das einzige, was hier funktioniere, sei der Mineralienhandel. Im Februar verkündete der Bergbauminister ein Verbot der
Minen und des Mineralienhandels. Die Provinzregierung erklärte, die Minen seien offen. Die
Zentralregierung widersprach – undurchsichtig. Maßnahmen gegen die FDLR treffen hier
auch schnell die Bevölkerung.
Der jüngste Bericht der UN-Expertengruppe an den Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats
zur DRK vom 13.2.2008 macht deutlich: Die ostkongolesische Grenze ist über weite Stecken
nicht bzw. schlecht (durch korrupte FARDC-Einheiten) gesichert und insofern eine Einladung
an Schmuggel von Mineralien, Rekruten, Waffen etc.. Der Containerverkehr von Goma in das
ruandische Gisenyi ist nahezu unkontrolliert. Auch MONUC ist nicht in der Lage, die Grenzseen per Radar zu überwachen.
(vgl. auch www.globalwitness.org: „breaking the links between natural resources, conflict and
corrution“)
4.2 MONUC
Im MONUC-Hauptquartier in Goma Briefings durch einen britischen Offizier und Leitende
der politische Sektion von MONUC, Vertreter von OCHA (UN Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs), UNHCR.
MONUC ist gegenwärtig die größte und teuerste UN-geführte Friedensmission weltweit. Sie
umfasste im März 16.500 Soldaten, davon 90% im Osten für 2 Mio. qkm. Die Soldaten kommen aus insgesamt knapp 50 Ländern, die größten Truppensteller sind Indien (> 4.000), Pakistan (um 3.500), Bangladesh (1.300), Uruguay (1.300), Nepal (1.000), Südafrika (1.000).
Jeweils eine Handvoll Offiziere aus GB, CAN, FRA arbeiten in Schlüsselpositionen. Belgien
stellt mit ca. 10-12 Mann das größte „Nord-Kontingent. Hinzu kommen 1.050 Polizisten (je
250 Polizisten aus Indien, Bangladesh und Senegal – d.i. jeweils die Gesamtzahl aller zzt. im
Auslandseinsatz stehenden deutschen Polizisten), 710 Militärbeobachter, über 500 UN Volunteers und ein Civilian Staff von ca. 3.100 Personen. Nur hier finden sich 16 Deutsche.
Ituri Brigade in Bunia, Sector 6: je ein Bataillon aus Marokko, Bangladesh, Pakistan. Die
Hauptprobleme seien weniger militärischer Art als allgemeine Kriminalität. Im Norden gibt es
noch Teile der ugandischen Lord Resistance Army.
North Kivu Brigade, Sector 5: zwei Bataillone aus Indien, eins aus Uruguay. Zentrale Gebiete
der Provinz stehen unter Einfluss von Rebellengruppen. Nördlich Goma Richtung Lake Edward Nkunda, FDLR westl. Lake Edward und im Halbbogen bis Richtung Walikale. Im Gebiet Masisi, gerade 50 km nordwestlich Goma, ist der Hauptsitz der politischen Führung der
FDLR. Inzwischen gibt es drei regionale Waffenstillstände mit Pufferzonen. Bis zum 17.4.
wurden 115 Waffenstillstandsverletzungen gemeldet, davon 71 bestätigt, 22 in Untersuchung
… Insgesamt sei die Entwicklung unglaublich komplex und dynamisch.
South Kivu Brigade, Sector 5: zwei pakistanische Bataillone. Hier gibt es fünf große FDLRZonen, z.B. direkt südlich Bukavu. In mehreren Gebieten gibt es verbundene Operationen
zwischen kongolesischer Armee und MONUC, wo bei einem FARDC-Bataillon eine
MONUC-Kompanie dabei ist.
Eine militärische Lösung gebe es nicht. MONUC müsse den Waffenstillstand absichern und
vor allem die Bevölkerung schützen. MONUC richtete inzwischen mobile Operationsbasen
rund um die FDLR-Gebiete ein, um den Druck zu erhöhen. Die Zahl der FDLR-Aussteiger
habe sich inzwischen verzehnfacht, liege bei 40-70/Monat.
MONUC könne aber nur agieren, wenn es entsprechende Informationen gebe. Daran hapert es
aber: Als englischsprachige Mission ist man weitgehend auf technische Aufklärung angewiesen, steht kaum menschliche Aufklärung zur Verfügung. Infolgedessen könne MONUC oft
nur reagieren.
Ein fundamentales Problem sei der katastrophale Ausbildungszustand der kongolesischen
Armee. Die hätte durch Pfadfinder aufgehalten werden können. Nkundas Soldaten sind viel
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besser ausgebildet. Es war ein Desaster für die Regierung, wo ihre 20.000 Soldaten von 5.000
in die Flucht geschlagen wurden.
OCHA: Zu den 350.000 Vertriebenen von 1996/2002 kamen seit Dezember 2006 ca. 500.000
weitere hinzu. 70% leben in „Gastfamilien“, 30% in Flüchtlingslagern. Seit der GomaKonferenz gibt es noch keine sonderlichen Rückkehrerbewegungen. Es herrscht weiter ein
Klima der Unsicherheit. Früher kehrten die Menschen nach zwei, drei Monaten zurück. Jetzt
bleiben sie länger, es gibt Spannungen in den Familien. Da die Flüchtlinge mehrere Jahresernten verpasst haben, ist die Nahrungsmittelproduktion stark zurückgegangen. Mangelernährung
ist besorgniserregend angestiegen.
In 2007 war die Hälfte von Nord-Kivu für humanitäre Hilfe nicht erreichbar. Die Instandsetzung der Straßen durch demobilisierte Soldaten war ausgesetzt. Hinzu kamen Erdrutsche. Seit
dem Goma-Abkommen hat sich das deutlich verbessert. Die Welthungerhilfe habe sich aus
Sicherheitsgründen vom Straßenprojekt nordwestlich Goma zurückgezogen. (Anm.: Widerspruch zur Darstellung bei der WHH)
Aufgabe von OCHA ist zu informieren, zu koordinieren und zu plädieren. OCHA wird nicht
selbst operativ tätig. Demgegenüber arbeitet der UNHCR für den Schutz von Vertriebenen,
Einhaltung der Menschenrechte, Schutz vor Amtsmissbrauch
Heute sei die Lage genauso katastrophal wie vor vier Jahren. Allerdings seien die Aussichten
heute besser. Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen hätten zugenommen. Jeder Gruppe wolle größer als die andere sein. Früher habe man nur die Spitze des Eisbergs sexueller Gewalt gesehen. Jetzt habe man ein umfassendes Bild.
Die Implementierung des Goma-Abkommens vom 23.1.2008 soll über eine „Technische
Kommission“ mit vier Unterkommissionen laufen. Sie hat gerade, also mit deutlicher Verzögerung ihre Arbeit aufgenommen. Arbeitsplan und Geschäftsordnung stehen.
4.3 FDLR
Nach dem Genozid von 1994 in Ruanda kamen riesige Flüchtlingsströme in die kongolesischen Nachbarprovinzen, unter ihnen viele Täter und Anführer der Massenmorde. Die FDLR
soll mindestens 6.000 Kämpfer umfassen, darunter Hunderte Kindersoldaten. Lt. UNSchätzungen sollen es in Nord-Kivu sogar 5.000, in Süd-Kivu 4.500 sein. Insgesamt soll sie
20.-25.000 Aktive haben. Die FDLR soll ungefähr ein Fünftel der Kivu-Provinzen kontrollieren.
Bei MONUC heißt es, die Präsenz der FDLR sei der Schlüssel für die Konflikte hier. General
Nkunda u.a. rechtfertigen sich mit Verweis auf die FDLR. Die FDLR ist nicht monolithisch,
sie bestehe aus drei Gruppen: (a) Die Führung, von der ein Teil am Genozid beteiligt war; (b)
die Geldmacher; (c) die 80% Kämpfer, die in Ruanda rekrutiert wurden. Die ersten beiden
Gruppen nähmen die dritte Gruppe als Geisel. „Hier können Sie helfen!“ so der UN-Vertreter.
Wenn wir weitere Militäroperationen mit weiteren Opfern vermeiden wollen, dann muss der
Druck auf die Führer verstärkt werden. Und der größte lebe in Deutschland (Präsident Dr.
Ignace Murwanashyaka), andere in Frankreich (Generalsekretär Callixte Mbarushimana) und
Belgien. Diese weigern sich, Soldaten zu entlassen, sie blockieren den Prozess. Noch kürzlich
habe sich der verderbliche Einfluss dieser Personen gezeigt. Nach einem DDRRR-Treffen des
Gouverneurs von Nord-Kivu mit höheren FDLR-Offizieren am 10.4.2008 in Lubero verkündete der MONUC-Sender Okapi, dass die FDLR-Vertreter positiv auf die Aufforderung zur
Beteiligung am DDRRR-Prozess reagiert hätten. Schon am 14. April kam der Querschuss mit
einer Presseerklärung des Generalsekretärs aus Paris: Es werde nie eine Rückkehr geben,
wenn nicht alle FDLR-Forderungen erfüllt würden. Verwiesen wird auch auf die umfangreiche politische Erklärung des Präsidenten („Berlin 11. April 2008“).
Die FDLR massakriere Menschen in Kivu und fordere den Umsturz in Ruanda.
Frankreich unternahm erste Schritte gegen den Generalsekretär, der aktiv am Genozid beteiligt war.
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Demgegenüber sei der 1963 geborene Präsident nicht selbst in den Genozid verwickelt gewesen, habe 1998 an der Uni Bonn in Wirtschaftswissenschaften promoviert, sei mit einer deutschen Frau verheiratet, habe mit ihr drei Kinder und ein Haus. 2000 sei er als Mann mit der
„weißen Weste“ zum FDLR-Präsident gemacht worden. Zusammen mit dem Generalsekretär
habe er systematisch gegen Initiativen der Regierungen der DRC und Ruandas sowie von
MONUC gearbeitet, die freiwillige Rückkehr von FDLR-Soldaten nach Ruanda zu ermöglichen. Am 23.4.2008 titelte die taz: „Deutschland duldet Terrorchef“. Ihm wurde 2006 der Asyl- und Aufenthaltsstatus entzogen. Die Bundesanwaltschaft gab am 26.3.2006 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unter dem „Anfangsverdacht wegen Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der DRC“ bekannt. Es ist das erste und bisher einzige Verfahren nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Das Verfahren wurde 2007 eingestellt. D.
Johnson: „Man fragt sich, wo die deutschen Ermittler ihre Beweise gesucht haben. Im FDLREinflussgebiet jedenfalls wurden sie nicht gesichtet.“ I.M. soll in Sindelfingen leben und ein
sehr florierendes Autozulieferergeschäft haben.
Die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1804 vom 13.3.2008
- bezeichnet die anhaltende Präsenz der FDLR und anderer in der DRC operierender
ruandischer bewaffneter Gruppen als eine „ernsthafte Bedrohung des Friedens und
der Sicherheit in der gesamten Region der Großen Seen“
- missbilligt die andauernden Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das
humanitäre Völkerrecht durch die FDLR u.a., verurteilt insbesondere die von diesen
Gruppen begangene sexuelle Gewalt
- verlangt, dass alle Angehörigen der FDLR und anderer Gruppen „sofort ihre Waffen
niederlegen und sich ohne Verzögerung oder Vorbedingungen den kongolesischen Behörden und der MONUC zur DDRRR stellen“
- verlangt, dass die FDLR u.a. „die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern sofort
einstellen (…) und der geschlechtsspezifischen Gewalt, insbesondere Vergewaltigungen und anderen Formen sexuellen Missbrauchs, (..) ein Ende setzen“
- weist darauf hin, dass „die gezielten Maßnahmen, einschließlich des Reiseverbots und
des Einfrierens von Vermögenswerten (…) insbesondere für die politischen und militärischen Führer der in der DRC operierenden bewaffneten Gruppen gelten“
- „fordert die Mitgliedsstaaten auf, die Ergreifung der notwendigen Maßnahmen zu erwägen, um die Bereitstellung finanzieller, technischer und sonstiger Unterstützung an
die FDLR u.a. (…) durch ihre Staatsangehörigen oder von ihrem Hoheitsgebiet aus zu
verhindern“.
Auch der EU-Sonderbeauftragte für die Großen Seen van de Geer (NL) bemühe sich um Wege, wie die finanzielle und ideologische Unterstützung der FDLR gestoppt werden könne.
„Wir von MONUC wollen politischen Erfolg, zu freiwilliger Rückkehr bewegen. Es ist ein
Wettrennen gegen die Zeit. Andernfalls gibt es militärische Operationen.“ Einige Unterzeichner des Goma-Abkommens machen ihre Demobilisierung davon abhängig, dass MONUC das
FDLR-Problem löst.
Allgemein sei die FDLR streng hierarchisch organisiert. Sie verfüge über einen sehr wirksamer Sicherheitsdienst, der auch vor Liquidierungen nicht zurückschrecke. Die Führer in Europa hätten einen starken ideologischen Einfluss. Angst spiele in der FDLR eine große Rolle.
Bei weiteren Gesprächspartnern differenziert sich das Bild der FDLR weiter – bis zu differierenden Einschätzungen:
- Nach Untersuchungen im FDLR-Gebiet berichtet ein Mitarbeiter des Pole-Instituts, dass die
FDLR in einigen Dörfern auch für Sicherheit sorge, z.T. Verwaltung, Schulen und Hospitäler
organisiere. Die FDLR sei wie eine Schlange, die sich auf die Eier unserer Hühner gelegt ha-
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be. „Wie kann man die Schlange verscheuchen, ohne die Eier kaputt zu machen?“ Die gängige Parolen zur FDLR, sie müsse weg, notfalls mit Gewalt, sei naiv. Die FDLR sei ein militärisch-politisches System, das an die Macht wolle. Warum sollten sie alles im Stich lassen? Es
seien auch Männer, die unsere Töchter geheiratet haben, die gesellschaftlich eingebunden seien. Zugleich seien sie geschützt durch den Urwald und den Mangel an Straßen. Punktuelle
demonstrative Schläge seien Unsinn. Sicherlich sei die FDLR kriminell und genozidär. Aber
Information, Aufklärung und Dialog seien gegenüber der FDLR viel wirksamer als Gewalt.
Die Schlange müsse mit viel Vorsicht und Gefühl verjagt werden. („Naiv!“) Heute werde
erstmals darüber geredet, warum die FDLR auch so verwurzelt sei. Die Wahlen 2006 liefen
sogar auch in FDLR-Gebieten. Es gab auch Fälle, wo Menschen in Richtung FDLR-Gebiete
flohen, weil es in staatlich „kontrollierten“ Gebieten noch schlimmer war.
Lange habe die Regierung die FDLR unterstützt. Auch heute gebe es Immer wieder eine enge
Zusammenarbeit zwischen FDLR und Armee.
Das Bild der FDLR hängt von der Zusammensetzung der örtlichen Bevölkerung ab: In HutuGebieten sei sie gut integriert, ganz anders bei den Tutsi.
Ein Problem ist, dass bei den Wahlen 2006 auch FDLR`ler Wahlausweise bekamen – und
damit durch die Hintertür zu Kongolesen wurden.
- Alle Gruppen wenden sich mit politischen Worten an die Öffentlichkeit. In Wirklichkeit ist
ihr erstes Interesse Geld. Die FDLR sei sehr in Sachen Gold aktiv, das sich viel leichter
schmuggeln lasse. Aber die FDLR seien richtige Banditen, die gefährlichste Gruppe.
- Wie konnten die Massenmörder aus Ruanda mit all ihren Waffen nach Ostkongo reinkommen? Warum wurden sie 1994 von den französischen Soldaten (Operation Turquoise) nicht
entwaffnet? Warum wurden die Mörder-Gruppen im Ost-Kongo unter den Augen internationaler Organisationen mit Waffen beliefert? Die Frage wurde bis heute nie beantwortet. Das
Problem sei, dass Massenmörder zu politischen Gruppen hochstilisiert werden. Die sexuelle
Gewalt habe es schon vor zehn Jahren gegeben. Er habe damals Abgeordnete in Deutschland
über die Massaker informiert. Das sei zu weit gegangen, war über Jahre verboten. Jetzt werde
es gehört.
- Die FDLR seit wirtschaftlich und politisch für Ruanda wichtig: Sie fördert und liefert Rohstoffe, sie liefert zugleich das Bedrohungsszenario für General Nkunda. Ohne deutliche Worte
in Kigali seien die Konflikte nicht zu lösen. Ruanda habe eine sehr massive Lobby. Der Präsident werde überall mit Samthandschuhen angefasst. Zuwenig werde beachtet, wie es in den
frühen 90ern mit „Säuberungen“ losging.
- Vor Nairobi habe es eine enge Zusammenarbeit zwischen kongolesischer Armee und FDLR
gegen Ruanda gegeben – und umgekehrt. Jetzt nähmen die Regierungen von DRK und Ruanda eine ganz neue Position ein. Jetzt soll mit den bewaffneten Gruppen gebrochen werden.
- Anfang Mai veröffentlichte Human Rights Watch einen streng vertraulichen Untersuchungsbericht der UN-Abteilung für interne Ermittlungen (OIOS) vom 7.2.2008. Danach gebe es „bestätigte Beweise“ für Vorwürfe gegen das indische Bataillon in Nord-Kivo in
2005/6, mit der FDLR Geschäfte gemacht und ihre Aktivitäten begünstigt zu haben. Hochrangige indische Militärs hätten sogar die Demobilisierung von FDLR-Kämpfern hintertrieben. Damals wurde von Beobachtern insgesamt bei MONUC eine passive Haltung gegenüber
der FDLR festgestellt. Bei den Wahlen seien sie als „Ordnungskräfte“ akzeptiert worden. Das
habe sich mit den Sanktionsbeschlüssen inzwischen geändert. (taz 6.5.2008)
- Im Guardian vom 16. Mai berichtet Chris McGreal in der Reportage „We have to kill Tutsis
wherever they are“ sehr umfassend und eindrucksvoll aus den FDLR-Gebieten.
4.4 Pole-Institut:
Das Interkulturelle Institut für die Region der Großen Seen wurde 1997 während der sog. Befreiungskriege bei einem Treffen in Bonn gegründet, um Raum für Dialoge und die Entwicklung einer zivilen Logik zu schaffen. Wenn Leute Schwierigkeiten haben, sagen wir „Pole“,
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Kisuaheli für „mein herzliches Beileid, aber du wirst es schaffen“. Man arbeitet mit Dominic
Johnson beim Thema Rohstoffe zusammen. Seit 2007 gibt es regelmäßige Treffen zu Sicherheitsfragen. Mehrfach wurden Untersuchungsreisen in die FDLR-Gebiete.durchgeführt. Traditionelle Führer kommen zu Pole. Pole hat täglich halbstündige Radiosendung in anderem
Distrikt. An der Internationalen Gemeinschaft wird kritisiert, dass sie ihre Politik ohne die
Menschen und ohne die traditionellen Chiefs mache. (www.pole-institute.org)
Christiane Kayser, die seit 1992 in Goma lebt, arbeitet mit dem Institut zusammen und ist
zugleich ZFD-Koordinatorin für die DRK.
Mit Überraschung und Bewunderung begegne ich bei dieser Reise drei ZFD-Frauen – neben
Christiane Kayser sind es Kerstin Hamme, bei HEAL Africa zuständig für für psychosoziale
Programme, und Marianne Hövermann (seit drei Jahren im Kongo), die mit CRAFOD in BasCongo arbeitet. Sie alle stehen an vorderster humanitärer Friedensfront. Ab Sommer besetzt
AGEH eine ZFD-Stelle in Bukavu.
(Im Mai 2007 legte das BMZ das zusammen mit EED, AGEH und Eirene erarbeitete Strategiepapier „Ziviler Friedensdienst in der DRK“ vor, das umreißt, wie lokale, regionale und nationale zivile Kräfte und Institutionen nichtstaatlicher und staatlicher Art in der Konfliktregion dauerhaft gestärkt werden können. Im November 2007 fand unter erheblicher kongolesischer Beteiligung in Bensberg eine Internationale Tagung zum christlichen Ansatz im Zivilen
Friedensdienst statt, veranstaltet von AGEH und EED. Dokumentation unter www.eed.de.)
4.5 Gouverneure
Jean-Claude Kibala, neuer Vize-Gouverneur von Süd-Kivu: er hat fünf Jahre Bauingenieur in
München studiert und spricht ausgezeichnet Deutsch. Süd-Kivu sei sehr zurückgeblieben. In
14 Jahren habe es dort 13 Provinzregierungen gegeben, in Goma nur zwei! In Süd-Kivu spielen Stämme noch eine große Rolle. Jeder versuche beim Staat als größtem Arbeitgeber Posten
zu bekommen. Er übergibt uns eine Erklärung zu den Prioritäten für Süd-Kivu. Die 100 km
Grenze über den Kivu-See sei unkontrolliert, der Tanganjika-See genauso. Nachts fahren die
Boote rüber. Es komme darauf an, die Herkunft der Mineralien und die Grenze sichern. Das
Potenzial sei da.
Der Vize-Gouverneur macht einen sehr kompetenten und vertrauenswürdigen Eindruck. Er
bietet sich als Kooperationspartner gerade zu an.
Julien Paluku, der 40-jährige Gouverneur von Nord-Kivu, empfängt uns in seiner ansehnlichen Residenz am See. Nach der Friedenskonferenz im Januar stehe der Umsetzungsprozess
„Amani“ („Frieden“) an. Man brauche Unterstützung bei der Stabilisierung. Wie das Europa
nach dem 2. Weltkrieg brauche man jetzt so was wie einen Marshall-Plan, um aus dem Sumpf
herauszukommen.
Eine Lösung der FDLR-Frage sei dringend: „Sie vergewaltigen unsere Mutter, unsere
Schwester, unsere Tochter und plündern unsere Reichtümer.“ Einige der Anführer würden aus
Europa Angstbotschaften verbreiten. Er appelliert an uns, „an der Quelle zu helfen“, die Anführer zu identifizieren und verhaften zu lassen. Erst wenn dieses Problem gelöst sei, habe
die Provinz eine Chance, sich zu entwickeln. „Wir könnten hier soviel in der Landwirtschaft
produzieren, dass wir die ganze DRK ernähren könnten.“ Mit den enormen Methangasvorräten könne man Strom produzieren. Es gebe Reserven für über 100 Jahre. Deutschland wäre
hierbei herzlich willkommen. Deutschland war hier mal präsent.
Eigentlich sei das Land reich, aber die Armut nehme ständig zu. „Ich lade Sie ganz herzlich
ein, hierher zurückzukehren.“ (www.provincenordkivu.org)
4.6 Straßenbauprojekt der Deutschen Welthungerhilfe
Projektleiter Patrick Evrad, seit 10 Jahren im Kongo, stellt das wichtigste Straßenbauprojekt
vor: die 700 km lange Verbindung zwischen Goma und Kisangani am Kongo-Fluss. Die ursprünglich zweispurige Nationalstraße wurde unter Mobutu bewusst verfallen gelassen. 400
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km wurden inzwischen fertig gestellt. Präsentiert wird uns der Film „Die verschwundene
Straße“. Hinter Goma beginnt schnell das Einflussgebiet verschiedener Milizen. Bis zum
„Straßenende“ in 200 km Entfernung sind vier „Grenzen“ zu überwinden. Während Lkw`s der
Hilfsorganisationen meist so passieren können, müssen andere zahlen. Der Compound der
Welthungerhilfe bei Kilometer 56 ist in den Ruinen einer Teefabrik untergebracht und schon
eine Art Festung. Jetzt arbeiten dort 35 einheimische Arbeiter und vier Ingenieure aus Europa.
Zentral ist die Instandhaltung der fertig gestellten Streckenabschnitte, die durch Dorfkomitees
gewährleistet und durch Mautgebühren (25 $ für Lkw) finanziert wird. Jenseits der Baustelle
verschwindet die alte Trasse im Urwald.
Die Straße ist eine Lebensader sondergleichen: Sie ermöglicht den Warenaustausch, schafft
für die bäuerliche Bevölkerung überhaupt Absatzmöglichkeiten, senkt die Preise, ermöglicht
Gesundheitsversorgung, Zugang zu Schulbildung … Umso bitterer berichtet man, dass beträchtliche Teile der neuen Strecke durch schwere MONUC-Fahrzeuge unbrauchbar gemacht
worden seien: „Monuc soll das respektieren, was andere machen!“
Die kfw-Finanzierung läuft nach August 2008 aus. Sie sollte aus den 50 Mio. Euro des „Friedensfonds“ des BMZ fortgesetzt werden, der durch den Kongo-Besuch von Ministerin Wieczorek-Zeul im Mai 2007 angestoßen wurde. Der Fonds ist zzt. aus haushaltspolitischen Gründen (ungeregelte Zahlungsrückstände der DRK) blockiert. Eine Ausnahmegenehmigung des
Finanzministeriums gab 10 Mio. Euro im April frei. Das betrifft n i c h t Straßenbauprojekte,
HEAL Africa, Naturschutzprojekte von GTZ und kfw sowie Anträge von EED und anderen
NGO`s!
In Süd-Kivu unterstützt auch Malteser International die Rehabilitierung von Straßen, Brücken
und Flugpisten. Es gibt Gebiete, die 10, 12 Jahre von jeder Außenhilfe abgeschnitten waren.
Inzwischen konnten 220 km mit etlichen Brücken instandgesetzt werden
Auf dem Weg zum Flughafen liegt inmitten des dichtest besiedelten Stadtteils Birere linker
Hand die Absturzstelle vom 15. April: Teile des Rumpfes, Leitwerk, Bug, Tragfläche. In den
Trümmern arbeiten noch etliche Helfer mit Mundschutz.
Der Flughafen ist dicht umgeben von einem Meer an Hütten. Wir fahren an einigen Flugzeugwracks vorbei, offenbar Überreste von Unfällen. Rechter Hand der unter Lava begrabene
Teil der Piste. Dicht an dicht stehen Cargo-Flieger, die gerade beladen werden. Unsere Antonov-26 wartet auf felsigem Untergrund.
Gespannt verfolgen wir unseren Kurzstreckenstart. Als die Maschine abhebt, hört auch schon
die Piste auf.
Aus der Distanz der Höhe liefert die Kivu-Region wieder tolle Panoramablicke. Als vor Kinshasa das Fahrwerk ausgefahren wird, erblicke ich am rechten Außenreifen eine Lücke im
Reifenmantel. Sicherheitshalber fotografiere ich ihn – und verfolge danach die Landung mit
besonderem Interesse. Als ich am Boden den Reifendefekt mit dem Finger abtaste, zuckt ein
Mechaniker von Air Kasai nur mit den Schultern.
5.1 Deutschnahe Community in Kinshasa
Die VertreterInnen von deutscher humanitärer und Entwicklungshilfe und Stiftungen (Konrad
Adenauer und Hanns Seidel) stellen in großer Runde auf der Terrasse der Residenz ihre
Schwerpunkte vor. Tage vorher ergeben sich vielfältige Kontakte beim Empfang in der Botschaft.
- Die Erinnerung an die EUFOR-Mission und den Einsatz der Bundeswehr ist durchweg gut.
Beides sei ein gutes Zeichen gewesen. Mit dem strikten Abzugstermin habe man schlichtweg
auch Glück gehabt. Allgemein bedauert werde der Rückgang des deutschen Engagements danach. Der größte Fehler sei gewesen, dass es nach der Wahl kein größeres europäisches Engagement gegeben habe
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- Ein Hauptproblem ist die mangelnde Ausbildung in handwerklichen und technischen Berufen. Hier gibt es einen riesigen Bedarf. Misereor fördert mehrere Handwerkerschulen.
- In Kinshasa wird zzt. alles importiert, sogar Eier, Hühnerbeine. Der dringlichste Bedarf liege
neben der praktischen Ausbildung bei der Landwirtschaft und der Regelung der Transportfrage. Warum arbeiten hier keine deutschen Straßenbaufirmen?
- Unternehmern könne man kaum zu Investitionen in der DRK raten. Die krasse Rechtsunsicherheit stehe dem entgegen. Gegen willkürliche und maßlose Steuerforderungen kann nur
bestehen, wer die Mittel und die Kraft hat, sich juristisch und mit Verbindungen dagegen zur
Wehr zu setzen.
- Das Parlament funktioniere ganz gut. Die Exekutive agiere eher wie ein Schiff, das auf Sicht
fährt. Von Präsident und Premierminister sei mehr Initiative zu wünschen.
- Demokratieentwicklung: Verbreitet ist das Verständnis, dass Kinshasa schon alles anordnet.
Stiftungen versuchen Eigenverantwortung zu stärken und betreiben demokratische Grundbildung. Die kräftige Zivilgesellschaft hege starkes Misstrauen gegenüber Regierenden und Parlamentariern.
- Das Schlagwort von der „Balkanisierung“ (=Teilung) des Kongo gehe um. Die dicht besiedelten Nachbarländer werden verdächtigt, nach Kongo expandieren zu wollen. Hierin drücke
sich die schwache Kongo-Identität aus. Richtig sei, dass die Probleme des Kongo nur als regionale behandelt werden könnten.
- 60% der Probleme im Ostkongo seien in Kigali/Ruanda zu verorten und nur dort zu lösen.
Ruanda lebe von den Rohstoffen des Kongo.
- Was tut die DRK-Regierung zum Schutz der Opfer und zur Verfolgung der Täter? Die Gewalt gegen Frauen gibt es im ganzen Kongo, auch in Bas-Congo. Sie ist ein politisches, rechtliches und vor allem traditionell-gesellschaftliches Problem. Frauen, die gegen gewalttätige
Männer vorgehen, sind völlig ungeschützt.
- Legendäre Ärzte arbeiten am hinteren Ende der Problemkette. Angepackt werden müsse
auch der Anfang, die politische Konfliktlösung. Die politischen Bemühungen treten zzt. auf
der Stelle. Militärisch bestehe ein Patt, die Entwicklungszusammenarbeit komme nicht voran.
Der Konflikt im Osten sei eine offene Wunde, die Situation unerträglich. Vielleicht vergleiche
man in einigen Jahren die Gewalt im Kongo mit der in Ruanda.
- MONUC sei sehr wichtig als Zeuge. Schon ihre Präsenz verhindere viele Grausamkeiten.
Aber zugleich sei MONUC nur die Summe mehrerer Einzelstaaten, die z.T. eine völlig unterschiedliche Politik verfolgen. Das lähme die Handlungsfähigkeit von MONUC. MONUCSoldaten mit Mini-Sold lassen sich auf Geschäfte ein. Der neue britische MONUC-Chef gilt
als sehr ruandafreundlich. Tony Blair sei inzwischen Berater des ruandischen Präsidenten. Es
wird von Fällen berichtet, wo nationale Einflußnahmen MONUC an einer entschiedenen Vorgehensweise hinderten – z.B. als 2004 General Nkunda in Bukavu einmarschierte und ein
schwedischer Blauhelm-General Kampfhubschrauber anforderte, z.B. im vorigen Jahr wieder
gegenüber Nkunda. Der Vorwurf richtet sich stark gegen die USA, deren strategisches Interesse an Rohstoffen und Basen sich nach Ende des Kalten Krieges mehr auf kleinere, da für
sie „unkompliziertere“ Länder richte. Aufschlussreich sei auch der kirchliche Kontext wichtiger Akteure: Nkunda sei ein Priester der „Adventisten der Letzten Tage“.
- Ein wichtiger Schritt ist die „Initiative für Transparenz in der Verwaltung der extraktiven
Industrie“, die in der Residenz vor einigen Tagen von drei kongolesischen Ministern, der GTZ
und Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe unterzeichnet wurde. Die Hilfe soll
die Kapazitäten zur Kontrolle der Produktion, des Handels und des Exports von Mineralien
verbessern. Ein Zertifizierungssystem soll diejenigen ausschließen, die sich nicht an das
Bergbaugesetz halten. Angefangen werden soll mit Coltan, das bisher über Uganda ausgeführt
wird. Gold wäre als nächstes angebracht. Das wird zu 90% in Kleinstbergbau abgebaut. (vgl.
die Projektstudie „Zertifizierte Handelsketten im Bereich mineralischer Rohstoffe“ der Bun-
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desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, www.bgr.bund.de) Bei einem NGO-Treffen
in Goma wird die deutsche Initiative hoch gelobt.
- Nach Rückkehr erfahre ich, dass Flottillenadmiral Henning Bess, stellv. Force Commander
von EUFOR Kongo in Kinshasa und Kommandeur des dt. Kontingents, im Juli 2006 im
Rahmen der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit in der Nähe des EUFOR Camps ein Schulprojekt im Stadtteil N`Dolo besuchte. Die deutschen Soldaten waren davon so beeindruckt,
dass sich daraus eine Patenschaft aus Deutschland für das Sozialprojekt „Petite Flamme“
entwickelte. Diese wird von Jule Müller und Henning Bess koordiniert. (www.petiteflamme.de)
5.2 Wirtschaft
„Coopecas“ (Kleinsparkasse): In der DRK gibt es kein verlässliches Bankensystem. Die
Staatsbank genießt kein Vertrauen, sie wurde schon mal geplündert. Eine Überweisung von
Stadt zu Stadt ist nicht möglich. Vertrauen genießen am ehesten die Kirchen. Wir besuchen
eine Kleinsparkasse der Heilsarmee. Sie wurde 2000 gegründet, hat zwei einfache Filialen,
1.600 Mitglieder und 16 MitarbeiterInnen. Zzt. verfügt die Sparkasse über 138.000 $ Spareinlagen. Sie hat Kredite über insgesamt 93.720 $ laufen. Die Kreditnachfrage ist größer, kann
aber wegen Beschränkung auf Eigenmittel nicht befriedigt werden. Gespart wird in der Form
von Sichtkonten, Termineinlagen, „Kartensparen“ (Sparen von Kleinstbeiträgen zur Vorbereitung der Mitgliedschaft) und „Schulsparen“: Da der Staat nur einen geringen Beitrag zum
Schulwesen leistet, sind Schulen nur über Schulgebühren finanzierbar. Diese Gebühren können im voraus angespart werden. Ausgezahlt wird mit 12% Zinsen.
Mikrokredite werden für gewerbliche Aktivitäten und Neugründungen vergeben. Die Laufzeiten sind maximal 12 Monate. Es fängt an bei 100 Francs für eine Brotverkäuferin, andere
brauchen in ihrem Gewerbe 400, 500 Francs. Der Zinssatz liegt bei 32%. Die Sparkasse hat
keine Rückversicherungsbank im Rücken.
Mit dabei ist Frau Tumbo, die Präsidentin des Dachverbandes der Kleinsparkassen, eine erfolgreiche Textilien-Unternehmerin. Von insgesamt 72 zugelassenen Finanzinstituten sind 31
Mitglieder des Verbandes aus 7 Provinzen. Der Dachverband bietet Ausbildung an. Er wird
von der kfw und gtz unterstützt.
Procredit Bank
Beim Botschaftsempfang freudige Wiederbegegnung mit Oliver Meisenberg, dem Pionier und
Leiter der vor zweieinhalb Jahren hier gestarteten Niederlassung der Procredit Bank. Mit dem
gut Deutsch sprechenden Rock besuchen ich zwei Kunden im Grand Marche in der Nähe des
Zoologischen Gartens: die Textilien-„Boutique“ Bife Riba Ruba „Kembu“. Die Stoffe kommen aus Dubai, Cotonou/Benin. Hier gab es einen Geschäftskredit über 2.000 $
Der zweite Kunde ist ein Ehepaar, das mit drei Mitarbeitern Getränke aus seinem „DEPOT
DON DE DIEU“ und auf der Terrasse verkauft. Vorgabe der Brauerei ist, die Getränke zum
Einkaufspreis zu verkaufen. Dafür gibt es dann 5% Anteil. In der Regel wird eine kleine Marge draufgeschlagen. Hier werden im Monat um die 1.500 Kästen verkauft. Soda, Tonic, Fanta,
Primus-Bier, Doppel …
Insgesamt zzt. 5.800 Kundenkredite mit einem Gesamtvolumen von 14 Mio. $ mit Laufzeiten
bis zu zwei Jahren und in der Höhe von 150 bis 5.000 $.
Die Zentralstelle: Ein in den frohen Procredit-Bank-Farben gestaltetes Gebäude, lauter flottes
junges Personal, moderne Computerarbeitsplätze. An den Wänden hängen Malereien kongolesischer Künstler. Am Samstagvormittag drängen sich die Kunden. Es ist erkennbar die kreative Schicht von Kinshasa. An der Straße der Geldautomat: Es ist der erste in der gesamten
DRK.
20
Die Procredit Bank versteht sich als „Bank der kleinen Leute“. Man spricht nicht von Mikrofinanzen, weil die inzwischen fast als Allheilmittel erscheinen. Dabei sei Zugang zu Finanzen
nur ein Aspekt.
Mittlerweile ist Procredit die Bank mit den meisten Kunden. Hier sind 50-60% (55.000) aller
aktiven Konten im Kongo. Täglich werden mehr als 100 Konten neu eröffnet. In den zzt. drei
Filialen in Kinshasa arbeiten 230 Angestellte. In nächster Zeit sollen vier weitere eröffnet
werden, davon eine in Bas-Congo. Bis Ende 2008 sollen 380 Angestellte bei Procredit arbeiten. In Kinshasa verfügt die Bank über ein großes Trainingscenter. 15 kongolesische Mitarbeiter für das mittlere Management werden auf den beiden Akademien der Bank bei Frankfurt
und in Mozambique ausgebildet. (Insgesamt ist Procredit in 24 Ländern vertreten.)
Banken müssen hier in einem rechtlichen Vakuum arbeiten. Nichtsdestoweniger gilt als erster
Grundsatz: „Nicht schmieren! Wer schmiert oder sich schmieren lässt, fliegt!“ Das funktioniere tatsächlich, auch wenn es manchmal Erschwernisse gebe. Man könne hier tatsächlich
ohne Korruption arbeiten. Der Doing Business Report von Weltbank/IFC
(www.doingbusiness.org) habe die DRK als das schwierigste Land für Unternehmer eingestuft. Das fördere die Risikoscheu von Unternehmern und habe kontraproduktive Wirkungen.
Holzbetrieb Siforco in Maluku
Das größte Säge- und Furnierwerk in der DRK liegt ca. 60 km flussaufwärts. Es wird seit
1976 von dem deutsch-französischen Familienunternehmen Danzer betrieben und seit 10 Jahren von Dieter Haag geleitet. Siforco hat drei, über 25 Jahre laufende Konzessionsgebiete von
je 700.000 ha in der Provinz Equateur. (Nr. 108-117) Die Gebiete werden in „Blöcke“ von
5x2 km aufgeteilt. In Verhandlungen mit den Dorfältesten wird schriftlich vereinbart, was die
Gemeinde als Preis will – Schule, Straße, Krankenstation. Die Waldbevölkerung sei am längeren Hebel. Wenn sie Blockiere, komme man nicht in den Wald rein. Die Prospektierung (>
100 Beschäftigte) und Öffnung eines Blocks dauert ca. einen Monat. Es wird ein Waldwirtschaftsplan erstellt. Von Interesse sind Bäume ab 80-120 cm Durchmesser im Alter von 80100 Jahren, vor allem Sapelli, Iroko, Sipo, Tola, Afromosia, Tiama. Der Einschlag erfolgt
punktuell, vielleicht ein Baum auf drei Fußballfelder. Sie werden GPS gespeichert. Die
Stämme und Stümpfe sind mit Zahlen- und Strichcode markiert, so dass sich die Herkunft der
Bäume rückverfolgen lässt. Die Zertifizierung nach Forest Stewardship Council soll in 2009
kommen. Zwischen den Blocks laufen 40 m breite „Hauptstraßen, in die Blocks schmale „Seitenstraßen“ und Pfade, die binnen drei Jahren bzw. einem halben Jahr zuwachsen.
In 2006 schlug Siforco 120.000 cbm – von 500.000 im Kongo insgesamt bei 128 Mio. ha
Wald. In Deutschland wurde auf 10 Mio. ha 55 Mio. cbm geschlagen.
Das Holz kommt in Flössen oder Schubschiffen über 1.200-1.400 km nach Maluku. Die
Stämme werden im Messerwerk geviertelt, dann gekocht, getrocknet, zugeschnitten. Aus
4.000 qm werden 4 Mio. qm Furnier.
Bei Siforco arbeiten 1.200 afrikanische und 15 europäische Beschäftigte. In der Technischen
Werkstatt erfolgt die „Nachausbildung“, weil es in der DRK keine praktisch-handwerkliche
Ausbildung gibt. Zum Werk gehört ein kleines Krankenhaus. Wegen gestiegener Lebensmittelpreise gibt es über den Tageslohn von 2 $ hinaus ein monatliches Nahrungsmittelpaket.
1998-2002 stand das Werk wegen des Krieges still. Bei den Kämpfen im März 2007 plünderten reguläre Soldaten erst die Bemba-Villa in der Nähe, dann auch bei Siforco.
An der Wand hängt eine Kongo-Karte mit allen Konzessionsgebieten, herausgegeben vom
DRK-Umweltministerium in Zusammenarbeit mit Weltbank, WWF und dem World Resources Institute.
5.4 MenschenrechtsverteidigerInnen
VertreterInnen von „Reseau Action Femme“ und „Stimme der Stimmlosen“: Die politischen
und sozialen Menschenrechte würden nicht geachtet. Mit normalem Lohn könne man nicht
21
überleben. Es streiken die Ärzte, Menschen sind deshalb gestorben. Es streiken UniProfessoren und Lehrer. Die Flugzeuge entsprechen nicht internationalen Bestimmungen. Der
Staat kümmert sich nicht um die Opfer der vielen Abstürze. Aus Kostengründen können viele
Kinder nicht einmal die Grundschule besuchen. Über die Gewalt gegen Frauen und Kinder
werde diskutiert. Aber einen Willen zur Veränderung gebe es nicht. Exemplarisch sei der Fall
eines 12-jährigen Mädchens, das mehrfach von seinem Onkel vergewaltigt worden war und
bei einer Menschenrechtsorganisation Zuflucht gefunden hatte. Angeschriebene Ministerien
erklärten sich alle für nicht zuständig. Das Mädchen musste zurück in die Familie – und wurde wieder vergewaltigt. Die Großmutter verjagte das Mädchen mit dem Vorwurf, sie habe den
Onkel verführt. Solche Fälle gebe es viele.
Insgesamt gibt es in der DRK ca. 200 Menschenrechtsorganisationen. Die „Stimme der
Stimmlosen“ arbeitet seit langem mit der Deutschen Botschaft und auch Brot für die Welt zusammen.
Der Erzbischof von Kinshasa spricht Deutsch. Wir begleiten ihn zur Messe zum 10. Todestag
seiner Mutter in der Kathedrale Notre Dame, wo er ausdrücklich die Gäste aus Deutschland
begrüßt und dafür Beifall erhält.
5.5 Inseln
Das Natur- und Kunstparadies „Symphonie des Arts“ von Christa Göpfert am Kongo-Fluss
unweit des EUPOL-Compounds: Vor ca. 40 Jahren kam Frau Göpfert in den Kongo und lebt
hier seitdem mit deutschem Mann und vier Kindern, die alle hier arbeiten. Der große Verkaufsraum ist dicht gefüllt mit Kunstprodukten aus dem Kongo, mit Skulpturen, Bildern,
Schmuck etc. Im tropischen Traumgarten tummeln sich frei laufende Pfaue.
In der anliegenden Ballettschule übt eine Göpfert-Tochter mit einer vielfarbigen Schar kleiner
Mädchen. Insgesamt bekommen hier 200 Mädchen Ballettunterricht.
Die Uferpromenade zwischen den ummauerten Gärten der Botschaften und dem Kongofluss
und zwei Niederlassungen des Präsidenten ist die einzige freie Flanier-, Jogging- und Tummelmeile für Internationale in Kinshasa. Hier drehen Botschaftsangehörige ihre sportlichen
Runden. Hier lässt sich mit Blick hinüber nach Kongo Brazzaville die Abendsonne genießen.
In Höhe der deutschen Gesandtschaft, der früheren Botschaft, gebe ich die Geschichte von
dem deutschen Botschafter wieder, der hier vor Jahrzehnten verschwunden sein soll. Ob mit
Hilfe eines Krokodils, ist ein nicht bestätigtes Gerücht. In der Ferne sind schwach die Stromschnellen zu sehen und zu hören. Von dort an ist der Kongo unschiffbar.
Das Ausflugslokal „Petit Paradis“ kurz vor Maluku ist weiter ein Traumort. Holzboote mit
Plastikstühlen schippern ab und zu Ausflügler auf den Kongofluss. Zwei, drei junge Leute jagen stundenlang auf ihren Wasserscoutern über den Strom und zerknattern, was zusätzlich
eine herrliche Ruhe sein könnte.
5.3 Deutsche politische Präsenz
Nach der plötzlichen Abberufung von Botschafter Buchholz noch während des Wahlprozesses 2006 gab es erhebliche Diskontinuität in der Leitung der deutschen Botschaft.
Im Mai 2007 besuchte erfreulicherweise Ministerin Wieczorek-Zeul die DRK. Sie gab damit
ein Zeichen für die Fortsetzung des angesehenen entwicklungspolitischen Engagements
Deutschlands in der DRK.
Die Botschaft umfasst 18 Dienstposten für Entsandte einschließlich Sicherheit und technischem Hausmeister, besetzt sind in der Regel nur 15 Stellen. In 2007 musste zweimal die Visastelle geschlossen werden, weil entsprechendes Personal fehlte. Der Ist-Stand beim gehobenen Dienst lag zeitweilig bei 40%! Das gilt ebenso für andere deutsche Botschaften in Afrika.
Zzt. entsteht in Kinshasa ein Militärattachéstab mit einem Stabsoffizier und einem Oberfeldwebel.
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Bei MONUC ist die deutsche Präsenz inzwischen deutlich geringer als 2006. Bei EUSEC
können bis zu fünf Experten sein. Zzt. des Besuches war keiner vor Ort. Bei EUPOL gibt es –
mangels Sprachkompetenz – keine deutschen Experten. Im AA sind weniger als eine Handvoll MitarbeiterInnen für die Großen Seen einschließlich Kongo zuständig.
So engagiert und kompetent die jeweiligen MitarbeiterInnen auch sind – mit einer so mageren
Personalausstattung ist in der DRK eine deutsche Politik, die der Bedeutung und Komplexität
des Landes wie dem Gewicht und der Verantwortung der Bundesrepublik angemessen wäre,
nicht zu leisten.
6. Jüngste Ereignisse + Schlussfolgerungen
- Am 23.April richteten 63 internationale und kongolesische NGO`s einen dringenden Appell
an die Staatengemeinschaft, endlich das Goma-Friedensabkommen umzusetzen. Gefordert
wird die Einsetzung eines Sonderbeauftragten für Menschenrechte in Ostkongo. (CAFOD,
Global Witness, HRW, International Alert, Oxfam u.a.)
- Am 24. April meldete UNHCR neue Kämpfe zwischen Armee und FDLR im RutshuruGebiet 70 km nördlich Goma und Hunderte von Flüchtlingen.
- Am 5. und 7. Mai musste die Bundesregierung auf Schriftliche Fragen des Abgeordneten
Prof. Norman Paech (Linke) und Mündliche Fragen von Kerstin Müller (Grüne) zur FDLR
und der Umsetzung der UN-Sanktionsbeschlüsse gegen den in Deutschland wohnenden
FDLR-Präsidenten durch die deutschen Behörden antworten.
Im Wahljahr 2006 fand der Friedensprozess im Kongo in Deutschland zu Recht breite Aufmerksamkeit und Unterstützung. Dabei konzentrierte sich das besondere europäische und
deutsche Engagement auf die Hauptstadt. Die Konflikte im Osten blieben überwiegend Sache
von MONUC.
Der friedliche Verlauf der Wahlen war zuallererst eine Leistung der kongolesischen Zivilgesellschaft. MONUC, kongolesische Sicherheitskräfte und EUFOR konnten erfolgreich die erheblichen Explosionsrisiken im Zaume halten.
Die großen Hoffnungen und Chancen, die sich mit den Wahlen verbanden, wurden jedoch
kaum erfüllt und überwiegend hart enttäuscht. Zuerst durch die Regierenden. Dann durch die
EU und Internationale Gemeinschaft – und nicht zuletzt durch die Bundesrepublik. (Richtige)
große Worte zur zentralen Rolle des Wahl- und Friedensprozesses im Kongo waren zur
Rechtfertigung der EUFOR-Mission ins Feld geführt worden. Sie wurden nachträglich entwertet, als in Berlin die fristgemäße Beendigung des Bundeswehreinsatzes und die Bewährung einer eigenständigen ESVP-Mission als d e r Erfolg gefeiert wurde und das Interesse
und Engagement gegenüber der DRK wieder auf das Vorwahlniveau schrumpfte.
Der deutsche Kongo-Einsatz wurde von etlichen Linken verdächtigt, als Türöffner für deutsche imperialistische Interessen im rohstoffreichen Kongo zu dienen. Das bestätigte sich
nicht, im Gegenteil. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass die Bundesregierung sich
aus den internationalen Bemühungen zur Stabilisierung und Konfliktlösung im Kongo davonschleicht und sich mit dem – bewundernswerten – entwicklungspolitischen Engagement deutscher Organisationen und ihrer Partner bescheidet.
Mit anderen Worten: Die Bundesregierung unterstützte EUFOR mit Bundeswehr primär aus
EU-politischen Gründen und Zwängen, notgedrungen sozusagen, aber nicht aus einem ehrlichen Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung des Kongo und seiner geschundenen Bevölkerung. Offizielle Begründungen und tatsächliche Gründe klafften auseinander. Solche
Unehrlichkeit ist ein Affront gegen das deutsche Parlament, gegen die entsandten Soldaten,
gegen die Deutschen vor Ort und nicht zuletzt die tapferen Menschen aus der kongolesischen
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Zivilgesellschaft, die auf ein bleibend stärkeres Engagement der Bundesrepublik gehofft hatten.
Die Gewalt im Ostkongo ist himmelschreiend. Sie ist seit längerem bekannt. Die sexuellen
Kriegsverbrechen sind im Kern eine militärisch-politische Strategie benennbarer Täter und
Anstifter. Ihnen und der sie nährenden Gewaltökonomie müssen die Staaten endlich einmütig,
energisch und praktisch entgegentreten.
Dazu gehört,
- dass die Bundesregierung das friedensstörende Wirken führender FDLR-Vertreter in
Deutschland unterbinden muss;
- nicht bei der Scheckbuchdiplomatie gegenüber MONUC und der Sicherheitssektorreform
stehenzubleiben, sondern endlich auch personell zur Stärkung von MONUC, EUSEC und
EUPOL beizutragen;
- im Rahmen der internationalen Gemeinschaft zur Verbesserung der Grenzüberwachung und
des Zollwesens sowie einer lückenlosen Zertifizierung ostkongolesischer Rohstoffe beizutragen;
- schließlich Engagement für eine forcierte Rehabilitierung der Verkehrswege als Lebensadern für die Menschen im Ostkongo und die sofortige Freigabe der Gelder für den Friedensfonds des BMZ. Dass der Fonds auch für dringendste Maßnahmen blockiert wird, ist in Anbetracht der krassen Verhältnisse in den Kivus unbegreiflich und skandalös.
Die Stabilisierung und Friedensförderung der DRK darf nicht nur Sache entwicklungspolitischer Akteure und Maßnahmen sein. Sie muss auch wieder ein Thema deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik sein. Das gebietet die responsibility to protect, das gebietet das europäische
Interesse an einem friedlichen und prosperierenden Nachbarkontinent Afrika, das gebietet
auch die Verantwortung gegenüber solchen Pionieren der Menschlichkeit, die wir auf unserer
Reise treffen durften.
Weitere Informationen:
- UN-Sicherheitsrat: 25. Bericht des Generalsekretärs über die UNO Mission in der DRK, 2.4.2008
- UN-Sicherheitsrat: Resolution 1804 vom 13.3.2008 zur FDLR u.a. bewaffneten Gruppen in Ostkongo, Resolution 1807 vom 31.3.2008
- Dominic Johnson: Der Fall Ignace M. – Deutschlands zahmer Umgang mit ruandischer Terrororganisation, taz
23.4.2008
- Georg Blume: Chinas McKinsey in Afrika, Reportage, taz 12.4.2008
- Chris McGreal: We have to kill Tutsis wherever they are”, Guardian 16.5.2008
- Winfried Nachtwei: Erkundung in Kongo-Kinshasa - Erfahrungen, Schlussfolgerungen, April 2006
- ders.: Heiß in jeder Hinsicht: Besuch der Bundeswehrkontingente in Djibouti, Gabun und Kongo,
Oktober 2006
- Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Ute Koczy, Kerstin Müller und der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen „Zertifizierung von Rohstoffen in der Demokratischen Republik Kongo, Drs. 16/4810 vom
23.3.2007
- Bericht der Bundesregierung (AA + BMVg) an den Dt. Bundestag zur Teilnahme der Bundeswehr an der militärischen Operation EUFOR RD Congo, 21.5.2007
- Plenarprotokoll des Dt. Bundestages vom 7.5.2008, Fragestunde, Fragen von Kerstin Müller und W. Nachtwei,
Antworten der Bundesregierung
- Norman Paech: Schriftliche Fragen an die Bundesregierung zur FDLR und ihres in der Bundesrepublik lebenden Präsidenten, Antwort der Bundesregierung vom 5.5.2008
- Pole Institute Reports, z.B. Rules for Sale: Formal and informal cross-border trade in Eastern DRC, von Aloys
Tegera + Dominic Johnson, Mai 2007
- Entschließungsantrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zur künftigen deutschen KongoPolitik angesichts des EUFOR Kongo Beschlusses, Drs. 16/1660 vom 31.5.2006