Literacy
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http://www.wissen-undwachsen.de/page_sprachfoerderung.aspx?Page=7484562b-352a-4f1ab596-f9a3111e5014 Literacy Die Entwicklung von Literacy-Kompetenzen beginnt bereits in der frühen Kindheit. Lange bevor Kinder "formal" lesen und schreiben lernen, machen sie Erfahrungen mit den unterschiedlichen Facetten der Lese-, Erzähl- und Schriftkultur. Die Bedeutung von Literacy-Erziehung Kinder, die in der Familie und in frühpädagogischen Institutionen reichhaltige Literacy-Erfahrungen machen können, haben eindeutige Vorteile in der Ausbildung ihrer sprachlichen Kompetenz sowie ihrer Lese- und Schreibkompetenz - auch auf lange Sicht. Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz gehören nachweislich zu den wichtigsten Grundlagen für den Schulerfolg und für die Bildungslaufbahn von Kindern. Es ist wichtig, im Elementarbereich die Entwicklung von Sprache und Literacy systematisch zu beobachten und zu dokumentieren (vgl. für Migrantenkinder Ulich/Mayr 2003, nähere Informationen siehe www.ifp-bayern.de). Je nach familiärer Situation, sozio-kulturellem Umfeld und Betreuungssituation sind LiteracyErfahrungen sehr unterschiedlich. Bei manchen Kindern sind sie sehr reichhaltig und intensiv, bei anderen Kindern dagegen eher selten und sporadisch. Im Bereich von Sprache und Literacy gibt es sehr große Unterschiede zwischen sogenannten privilegierten und weniger privilegierten Kindern. In Einrichtungen mit einem hohen Anteil von sprachlich und sozial benachteiligten Kindern sollte mit Blick auf mehr Chancengleichheit dieser Bereich ganz besonders betont werden. In jedem Fall sollte eine bewusste Literacy-Erziehung stets die Eltern und die Familiensprachen der Kinder einbeziehen. LiteracyErziehung ist auch für Migrantenkinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, von besonderer Bedeutung. Kompetenzen im Bereich von Literacy Literacy umfasst vielfältige Fähigkeiten. Im Vorschulalter und im Übergang zur Schule, sollten Kinder allmählich folgende Interessen und Kompetenzen entwickeln: • • • • • • • • Textverständnis: o einer längeren Erzählung folgen können; o den Sinn eines Textes verstehen und diskutieren; o Bezug zwischen Texten (Geschichten) und den eigenen Erfahrungen herstellen Von konkreten, vertrauten Situationen sprachlich abstrahieren; von Fernem, von Vorstellungen erzählen, so dass es für Zuhörer nachvollziehbar ist Bewusstsein für den lautlichen Aufbau, für die lautliche Gestalt der Sprache (phonologische Bewusstheit) Erzählkompetenz und -freude: eine Geschichte oder Erlebnisse in der richtigen Abfolge der Ereignisse und im Zusammenhang erzählen können und Spaß daran haben Interesse und Freude an Büchern und Geschichten Vertrautheit mit Buch- und Schriftkultur: o wissen, was z.B. ein Autor/Illustrator/Titel ist; o Beziehung von Bild und Text verstehen; o verschiedene Gattungen kennen (z.B. Lexikon, Sachbuch, Vorlesebuch); o Erfahrung mit Buchausleihe Bewusstsein für verschiedene Sprachstile und Textsorten: z.B. Alltagsgespräch, Märchen, Sachtext, Höflichkeitsregeln voneinander unterscheiden können Interesse an Laut- und Sprachspielen, Reimen und Gedichten • • Bewusstsein, dass mit Sprache eine "andere" Welt geschaffen werden kann; Aufbau von fiktiven oder fernen Welten Interesse an Schreiben und Schrift: o Schreibversuche starten, Schreiben spielen; o Schrift und Logos entziffern; o wissen, dass es Buchstaben gibt und einzelne kennen; o Funktionen von Schrift kennen und damit experimentieren. Formen der Literacy-Erziehung Literacy-Erziehung ist ein komplexes Geschehen. Es geht dabei (a) um regelmäßige, gezielte Angebote wie Bilderbuchbetrachtung, Vorlesen oder Kinderdiktat, (b) um eine alltägliche freudvolle Begegnung von Kindern und Erwachsenen mit Büchern, Geschichten, Reimen und Schrift, (c) um eine lesefreundliche Raumgestaltung. Im Folgenden, beispielhaft, einige Grundformen von LiteracyErziehung. • Bilderbuchbetrachtung Die Bilderbuchbetrachtung gehört zu den wirksamsten Formen der Sprachförderung im frühen Kindesalter. Kinder genießen die Zuwendung und Nähe des Erwachsenen in einer besonders sprachintensiven Situation. Das Tempo von sprachlicher Anregung und Kommunikation kann auf das Kind abgestimmt werden. Über die Vielzahl von Dingen und Ereignissen, die sich über Bild und Text vermitteln, sind vielfältige sprachliche Interaktionen möglich: Das einfache Benennen der Bilder, Definieren und Erklären, Deuten und Phantasieren. Wichtig ist dabei die Aktivierung des Kindes, der Dialog. Auf diese Weise kann das Kind allmählich selbst zum Erzähler der Geschichte werden, den Text oder die Bilder kommentieren und mit eigenen Erfahrungen oder anderen Geschichten verbinden. Überdies erfahren die Kinder beim gemeinsamen "Lesen" von Bilderbüchern fast nebenbei vieles über Schrift und Buchkultur (Ulich 2004; 2005) • Erzählen und Vorlesen Durch das Erzählen und Vorlesen werden das intensive Zuhören, die Phantasie und die Konzentration auf eine rein sprachlich vermittelte Botschaft gefördert. Die Kinder lernen allmählich, die "erzählte Welt" zu verstehen und sich diese vorzustellen, von Fernem zu erzählen und sprachlich zu abstrahieren. Darüber hinaus machen sie Erfahrungen mit einem anderen sprachlichen Niveau, als sie das von Gesprächen kennen. In einem Kinderbuch ist der Wortschatz weitaus reichhaltiger als in einem Alltagsgespräch, es werden z.B. mehr Adjektive und komplexere grammatikalische Formen verwendet. Beim Erzählen und Vorlesen lernen Kinder fast nebenbei auch etwas über die Struktur von Geschichten: dass sie z.B. Figuren haben, die etwas erleben oder dass es einen Anfang und ein Ende mit einem Spannungsbogen dazwischen gibt. • Geschichten von Kindern schriftlich dokumentieren Kinder sollen nicht nur ermuntert werden, eigene Geschichten zu erzählen, sondern diese auch festzuhalten und zwar dadurch, dass sie sie Erwachsenen diktieren. Auf diese Weise erleben sie, wie sich mündliche Sprache in Schriftsprache umwandelt, wie eine Geschichte aufgebaut ist, was sie sich merken wollen, welche Schwerpunkte sie setzen wollen und sie haben auch die Möglichkeit zur Korrektur: wie man zum Beispiel durch andere Formulierungen bestimmte Inhalte noch präziser und auch schöner ausdrücken kann. Nicht zuletzt fühlen sie sich als "Autoren" gewertschätzt. • Begegnungen mit Reimen und Gedichten und dem darstellenden Spiel Zu einer anregungsreichen sprachlichen Umwelt gehören Reime, Gedichte, Lieder, Fingerspiele, das Spiel mit Lautmalerei und Nonsensreimen, Wort- und Silbenspiele, Zungenbrecher, Zaubersprüche, Witze oder auch Sprichwörter. So entwickeln Kinder eine kreative Lust an der Sprache, ein Bewusstsein für Sprachrhythmus und für die lautliche Gestalt der Sprache. Auch Rollenspiele, szenisches Spiel, Theater (Theaterpädagogik), Handpuppenspiel sind regelmäßig anzubieten, sie regen die Sprachentwicklung und das Interesse an Sprache und Literatur an. • Lesefreundliche räumliche Gestaltung und Rituale Nicht nur gezielte Angebote, auch die räumliche Umgebung und bestimmte Rituale rund ums Buch können bei Kindern Lesefreude und den selbstverständlichen Umgang mit Büchern fördern. Die Leseecke (oder Bibliothek) ist klar abgegrenzt und attraktiv gestaltet, die Regeln werden mit den Kindern gemeinsam besprochen und auf einem Plakat schriftlich festgehalten. Möglichst viele Gattungen sind vertreten: Bilderbücher, Sachbücher, Märchenbücher, Bücher mit längeren Geschichten, die in mehreren Sitzungen den (älteren) Kindern als Folge vorgelesen werden, Lexika, Zeitschriften (Kinder- und Jugendliteratur). Es gibt Bücher und Tonmaterialien (Hörspiele, Lieder, Märchen) in anderen Sprachen, vor allem in den Sprachen, die in der Kindergruppe vertreten sind. Die Bücher werden gemeinsam mit den Kindern repariert. Es gibt einen kleinen Tisch mit Tonträgern und Kopfhörern. Die Kinder können Bücher ausleihen und nach hause. Für die Ausleihe bekommen sie einen Ausweis. Das Ausleihsystem ist für sie transparent und sie sehen den Stempel auf ihrer Karte und die Liste der ausgeliehenen Bücher (im Zettelkasten oder im PC). Es gibt häufig Bilderbuchausstellungen (in verschiedenen Sprachen); Bibliotheken (Stadtbücherei usw.) und Lesungen werden regelmäßig besucht. Spielerische Erfahrungen mit Schreiben und Schrift Es gilt, das Interesse an Schrift und Schreiben zu wecken oder zu verstärken und zwar im Sinne eines entdeckenden, spielerischen Zugangs. Für sozial benachteiligte Kinder, die zu Hause wenig Kontakt mit Schrift und Büchern haben, sind diese Lernchancen von besonderer Bedeutung. Unterstützend ist hierbei die Einrichtung einer Schreibecke mit den entsprechenden Materialien, das Bereitstellen von Buchstaben, das Aufhängen von Schriftstücken und Plakaten (auch in den Familiensprachen der Kinder), wechselnde Logos und Hinweisschilder an den Wänden im Gruppenraum. Auf diese Weise wird Schriftkultur zum selbstverständlichen Bestandteil der kindlichen Lebenswelt und die Kinder werden dazu angeregt, sich damit auseinander zu setzen. Durch bestimmte Aktivitäten, wie z.B. den eigenen Namen schreiben, "Briefe" an Freunde schicken oder szenisches Rollenspiel mit Schreibszenen, werden diese Erfahrungen intensiviert. Literaturtipps Whitehead, M. (2004). Literacy: Sprachliche Grundbildung und Schriftsprachkompetenz in der frühen Kindheit. In: Fthenakis, W.E. & Oberhuemer (Hg.). Frühpädagogik international. Bildungsqualität im Blickpunkt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Näger, S. (2005). Literacy - Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur. Freiburg: Herder. Ulich, M. (2004). Lust auf Sprache. Sprachliche Bildung und Deutsch lernen in Kindertageseinrichtungen. Videokassette mit Arbeitsheft. Freiburg: Herder. (bestellbar unter: [email protected]) Ulich, M. (2005). Literacy und sprachliche Bildung im Elementarbereich. In: S. Weber (Hrsg.): Die Bildungsbereiche im Kindergarten. Basiswissen für Ausbildung und Praxis (3. Aufl.). Freiburg: Herder, S. 106 - 124. Quelle: Michaela Ullich (2006). Literacy. In Raimund Pousset (Hrsg.). Beltz Handwörterbuch für Erzieherinnen und Erzieher. Beltz Verlag Weinheim und Basel.