elke bippus einleitung

Transcrição

elke bippus einleitung
Elke Bippus
Einleitung
Kunst des Forschens
Der doppelte Sinn, der sich im Titel der vorliegenden Publikation artikuliert, fä­
chert das Spektrum Künstlerischer Forschung in seiner Komplexität auf, denn es
geht keineswegs allein darum, ein neues Feld für die künstlerische Praxis zu er­
schließen und zu etablieren, sondern ebenso darum, den Begriff der Forschung,
indem er für die Kunst reklamiert wird, zu befragen und zu öffnen.
Zu einer Neubetrachtung traditioneller Zuschreibungen, wie sie die Dichotomie
von Kunst und Wissenschaft kennzeichnet, hat bereits der von John L. Austin in
How To Do Things With Words1 entwickelte performative turn beigetragen. Sprach­
liche wie visuelle Artikulationen wurden dadurch in ein neues Licht gerückt: Wur­
den einst Sprechakte vornehmlich hinsichtlich ihrer Semantik und ihren Semiosen
untersucht, gilt das Interesse heute bevorzugt ihrem Handlungscharakter. Insbe­
sondere die kulturwissenschaftliche Fortschreibung des Begriffs performative turn
hat an die Stelle der werkorientierten Begriffe Interpretation, Bedeutung, Sinn
und Verstehen die handlungsorientierte Begrifflichkeit von Ereignis, Inszenie­
rung, Aufführung, Spiel und Verkörperung treten lassen.2 Die Aufwertung visuel­
ler M­edien führte zu einer Vielzahl wissenschaftshistorischer Untersuchungen, die
Wissenschaft nicht länger als reine Theorie, sondern als historisch gebundene, so­
ziale Praxis in einem konkreten geschichtlichen Zusammenhang vorstellen. Dabei
erschöpft sich das Interesse der Kulturwissenschaften an künstlerischen Verfahren
nicht in den Untersuchungen ihrer Inszenierung, ihrer Materialität und Verkör­
perungen. Es hat vielmehr auch dazu geführt, das Erkenntnispotential der Kunst
selbst, insbesondere deren performative Verfahren als Wissensgenerierung, unter
die Lupe zu nehmen. Der Terminus Künstlerische Forschung versucht zunächst auch
1 John L. Austin: How to do Things with Words, London, Oxford 1974.
2 Dazu: Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M. 2004, v.a. S. 10–20; Uwe
Wirth: »Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokution, Iteration und Indexikalität«,
in: ders. (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M.
2002, S. 9–60.
8
Elke Bippus
diesen Wandel zu markieren: Künstlerische Praxis wird in ihrer performativen Ka­
drierung nicht mehr nur entlang dem Künstlersubjekt, dem Werk, dem Objekt, der
Ausstellung gedacht, sondern sie wird verstärkt in ihren Verschränkungen mit
anderen Wissensbereichen, der Theorie, ihrer Diskursivierung und ihrer Funktion
diskutiert. Das Gewicht ihrer Untersuchung liegt dementsprechend auf ihren Prak­
tiken und ihrer Performativität, die in Beziehung gesetzt werden zu ikonografi­
schen, semiotischen, sozialen oder formalen Aspekten. Wenn es darum gehen soll,
Kunst in ihrem forschenden Charakter zu erfassen, darf sie nicht auf ein Objekt
reduziert werden, dass etwas über gesellschaftliche, historische oder subjektive
Zusammenhänge aussagt, es wird vielmehr erforderlich, ihre Artikulationen von
Vorstellungen und Wissen zu befragen. Insofern thematisiert Künstlerische Forschung Kunst als epistemische Praxis. Um dieser veränderten Forschungsperspekti­
ve Rechnung tragen zu können, ist es unumgänglich, das Erkenntnismonopol der
Wissenschaft aufzubrechen und zu multiplizieren.
Die Aufgeschlossenheit und der spielerisch leichtfüßige Umgang gegenüber einer
Künstlerischen Forschung, wie sie noch für die Diskurse in der zweiten Hälfte der
1990er Jahre kennzeichnend waren, haben sich allerdings gewandelt. Ausschlag­
gebend hierfür mag einerseits die Verwissenschaftlichung und curriculare Engfüh­
rung der künstlerischen Ausbildung durch die Bologna-Reform sein und andererseits
das seit den 90er Jahren verstärkte Interesse an einer dienstleistenden Funktion
der Kunst von Seiten der Naturwissenschaften aufgrund ihrer Visualisierungs­
kompetenz.3 Gegenwärtig scheint zumindest die Offenheit von Seiten der Künstler
und Künstlerinnen, wie sie für Debatten der 90er Jahre um Kunst und Wissenschaft
3 Insbesondere in der Schweiz sieht sich die Künstlerische Forschung mit Dienstleistungsaufgaben
konfrontiert. Kunsthochschulen sind hier Fachhochschulen. Dementsprechend soll der »Ausbau
und die qualitative Stärkung der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung« befördert
werden. Dies wird damit begründet, dass »anwendungsorientierte Forschung & Entwicklung […]
auch eine eminent wichtige volkswirtschaftliche, kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung [hat], da sie die Innovationsfähigkeit der Schweiz stärkt. Die Fachhochschulen mit ihren
starken Wurzeln in den Regionen und ihren Verbindungen v.a. auch zu den kleinen und mittel­
großen Wirtschaftsunternehmen und den Einrichtungen der Kultur und des Service Public leisten
mit ihren Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten einen wichtigen Beitrag zu deren Weiterentwicklung und fördern damit mittelbar die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen«.
Grundsatzpapier. Forschung & Entwicklung an Fachhochschulen. Rektorenkonferenz der Fachhochschulen der Schweiz, Bern 2008, S. 2. Die hier entwickelten Zielsetzungen und der benannte
Forschungsbegriff und -zweck ist mit Kunst und Künstlerischer Forschung als epistemischer Praxis
unvereinbar.
Einleitung
prägend war,4 reduktiven Grenzziehungen und Abgrenzungsversuchen gewichen
zu sein. In einer leichten Zuspitzung lassen sich zwei strategische Positionen fest­
machen, welche die derzeitige Diskussion um Künstlerische Forschung im Feld der
Bildenden Kunst bestimmen: Auf der einen Seite ist eine ablehnende Haltung fest­
zustellen, die eine zunehmende Akademisierung und Verwissenschaftlichung der
Kunst befürchtet, auf der anderen Seite wachsen die Bemühungen, Künstlerische
Forschung systematisch zu fassen und zu definieren. Dabei reproduziert eine Ab­
lehnung bei gleichzeitiger Stärkung traditioneller Vorstellungen von Kunst nicht
nur Stereotype vom Künstler, von Kunst und Wissenschaft, von Theorie und Praxis
und geht hierin an der Realität heutiger künstlerischer Arbeit vorbei, sondern sie
rückt Kunst auch in einen rein ästhetischen Raum und entfernt sie von ihrer ge­
sellschaftlichen Relevanz. Im Gegenzug geht der Versuch, Künstlerische Forschung
vornehmlich an wissenschaftlichen Standards oder einem anwendungsorientierten
Forschen5 auszurichten, über Eigentümlichkeiten künstlerischer Praxis hinweg,
wenn Fördereinrichtungen beispielsweise von Künstlerischer Forschung reklamie­
ren, sie müsse:
– »relevante Fragen« ausfindig machen
– Themenkomplexe bestimmen, Quellen offen legen
– Materialien zusammentragen und analysieren
– das Projekt schlüssig und verständlich dokumentieren und die Überlegungen
schriftlich formulieren.
Denn Kunst ist ein Feld, in dem gerade auch vermeintlich Nebensächliches einen
Ort hat, Inspiration als ein zentrales Moment der Produktion gilt und die Ver­
schränkung mit den Materialien und Gegenständen ebenso zentral ist wie die Dif­
ferenz zwischen Sagen und Zeigen. Das bedeutet keineswegs, künstlerische Praxis
zum großen Anderen zu mystifizieren, vielmehr scheint es geboten, Künstlerische
Forschung in ihrer historischen Tradition, ihrer Eigentümlichkeit und gesellschaft­
lichen Verortung zu reflektieren, um sie als epistemische Praxis sichtbar zu ma­
chen. Insofern referiert die Unterscheidung von künstlerischer und wissenschaft­
licher Forschung auf die jeweilige historische Verfasstheit, die gesellschaftliche
4 Beispielhaft dafür Bogomir Ecker, Bettina Sefkow (Hg.): Übergangsbogen und Überhöhungs­rampe.
Naturwisschenschaftliche und künstlerische Verfahren. Symposium I und II, Hamburg 1996.
5 Aufgrund der institutionellen Verortung der künstlerischen Ausbildung in Fachhochschulen ist
die Künstlerische Forschung in der Schweiz mit Ansprüchen an ein umsetzungs- und marktorientiertes Forschen konfrontiert.
9
10
Elke Bippus
Funktion, die mediale Selbstreflexion und auf spezifische Verfahrensweisen, d.h.
auf die jeweilige Praxis und deren Verortung.
Werden die aus den Wissenschaften geläufigen Forderungen ungebrochen in die
Kunst übernommen, dann hieße dies, Künstlerische Forschung in eine wissenschaft­
liche zu überführen und gerade hierdurch ihre Potentiale zu verschenken.6 Denn
die eigentliche Provokation künstlerischer Forschung und Wissensbildung besteht
darin, dass sie anders verfährt und auch anderes erzielt als die der Wissenschaften.
Sie verweist auf ein habituelles Wissen und basiert auf Erfahrenheit7 und vermag
gerade deshalb unbewusste Voraussetzungen der Wissenschaften zugänglich zu
machen.
Der Tendenz, vertraute Parameter der Wissenschaft aufzugreifen, um Künstlerische Forschung zu institutionalisieren und für einen angewandten Bereich nutzbar
zu machen, muss deshalb entgegen gewirkt werden, um sich Künstlerischer Forschung als genuin epistemischer Praxis zuwenden zu können. Es ist eben darum
notwendig, sie in Relation zu ihrer kunstgeschichtlichen8 und -philosophischen
Tradition zu betrachten und sie in Beziehung zu den Kulturwissenschaften – und
nicht den Naturwissenschaften – zu setzen. Denn Künstlerische Forschung fügt sich
nicht den Kriterien der beweisführenden Wiederholbarkeit, der Rationalität und
Universalisierbarkeit. Sie operiert im Singulären und muss folglich anhand je kon­
kreter Beispiele exemplifiziert werden. Gerade in ihrer Eigenständigkeit gibt die
Künstlerische Forschung auch Anlass zur kritischen Befragung der Wissenschaften
– ihrer Konventionen und ihrer Machteffekte.
6 So birgt beispielsweise die neue Perspektivierung des künstlerischen Feldes als Forschung neu-
artige künstlerisch-wissenschaftliche Mischformen in den Grenzbereichen zwischen Bildender
Kunst, Philosophie, Wissenschaft und Gestaltung. Solche hybriden Wissensformen und Methoden lassen sich bislang jedoch weder umfassend abbilden noch disziplinär organisieren, sie
scheinen sich vielmehr in »Mikrologien« oder pluralen Ordnungen des Wissens zu etablieren.
7 Erfahrenheit ist eine Intuition, die durch eine Tätigkeits- und Lebensform erworben wird. Vgl.
hierzu Hans-Jörg Rheinberger: Iterationen, Berlin 2005, S. 62.
8 Hierbei ist weniger an die frühe Neuzeit gedacht als vielmehr an die Kunstgeschichte der Moderne, in der sich die Differenzierung der Disziplinen Kunst und Wissenschaft vollzog. Auf die frühe
Neuzeit wird im Zusammenhang von Künstlerischer Forschung oft verwiesen – häufig verknüpft
mit der Wiederaufnahme der Idee einer Synthese der Disziplinen.
Einleitung
Praktiken des Wissens
Der Künstler Bruce Nauman hat 1978 »Kunst [als] […] ein Instrument [bezeich­
net], mit dem man sich eine Aktivität des Erforschens aneignen kann«.9 ­Nauman
erinnert an die alltagssprachliche Bedeutung von Forschung – an das »Heraus­
finden« – und akzentuiert diese Tätigkeit gegenüber der methodischen und syste­
matischen Suche nach neuen Erkenntnissen. An anderer Stelle sagt er, dass eine
künstlerische Arbeit »nicht irgendein phänomenologisches Experiment oder was
auch immer ist, wo man irgendeine sonderbare Information zum Mitnehmen be­
kommt«, die Arbeit müsse vielmehr als Kunstwerk bestehen, in »diesem Fall sind
die Leute gezwungen darüber als Kunst nachzudenken«.10 Nauman insistiert in
seiner Äußerung darauf, dass die Medialität der Kunst nicht zugunsten eines Er­
gebnisses, einer vom Medium isolierbaren Information verschwindet. Die experi­
mentell forschende Arbeit soll als Kunst bedacht werden – also als Möglichkeit und
nicht als systematische Beweisführung.
Die auch für die künstlerische Arbeit Naumans charakteristische performative
und mediale Reflexion11 kann immer noch als zentrales Kriterium für die Unter­
scheidung zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung gelten. Denn
9 Bruce Nauman: »Kunst, die eigentliche Tätigkeit. Ein Interview mit Ian Wallace und Russel
Keziere« (1978), in: Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews 1967–1988, Amsterdam 1996, S. 102–117, hier S. 107. In dem Interview heißt es weiter: »Ich weiß nicht, ob man
Dinge wirklich in größerem Maßstab verändern kann. Man kann sich der Möglichkeiten bewußt
werden, und es ist wichtig, das zu tun. Ich weiß nicht, wie sich das zur Welt in Beziehung setzen
läßt. Meine Haltung kommt daher, dass ich ein Künstler bin, nicht Wissenschaftler. Das ist eine
andere Form des Forschens. Ich fing ein Studium als Mathematiker an, bin aber dann keiner
geworden. Dennoch gab es eine bestimmte Denkweise in der Mathematik, die sich bei mir auf
die Kunst übertrug. Diese Aktivität des Erforschens ist notwendig. Ich glaube, wir verlassen uns
zu sehr darauf, überkommene Gültigkeitserklärungen zu akzeptieren.«
10 Bruce Nauman: »Von der Malerei zur Skulptur. Ein Interview mit Lorraine Sciarra« (1972), in:
Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews 1967–1988, Amsterdam 1996, S. 66–87,
hier S. 86.
11 Die mediale Reflexion wird beispielsweise auch in Naumans Insistieren darauf deutlich, dass
über die Arbeit als Kunst nachzudenken sei. Die Relevanz des Performativen für seine künstlerische Praxis benennt Nauman, wenn er sagt: Im Atelier war ich auf mich selbst gestellt. Das warf
dann die grundlegende Frage auf, was ein Künstler tut […] An diesem Punkt rückte die Kunst
als Tätigkeit gegenüber der Kunst als Produkt in den Vordergrund. Das Produkt ist nicht wichtig
für das eigene Bewusstsein.« Bruce Nauman: »Kunst, die eigentliche Tätigkeit. Ein Interview
mit Ian Wallace und Russel Keziere«, in: Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Nauman. Interviews
1967–1988, Amsterdam 1996, S. 102–117, hier S. 113.
11
12
Elke Bippus
in Letzterer wird die Materialität der Dinge, der Apparaturen und der Darstellung
gemeinhin als hinderlich eingestuft und die materielle Seite der »epistemischen
Dinge«12 zugunsten der begrifflichen so weit wie möglich in den Hintergrund ge­
drängt.13
Künstlerische Arbeit scheint im Unterschied dazu gerade vom Interesse am Mo­
ment der Ungeschiedenheit von Material und Begriff gespeist. Der Prozess der Er­
kenntnisgewinnung, das Entdecken wird hierdurch in all seinen Möglichkeiten und
Fehlschlägen ausgedehnt. Das Kunstwerk kreiert einen Raum, der ein spezifisches
Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt herstellt und lässt darin eine ästhetische
Erfahrung möglich werden,14 in der nicht die übliche Asymmetrie zwischen wissen­
dem Forscher und Anwender zum Zuge kommt, sondern ein »Kommunikations­
angebot« gemacht wird.
Während traditionelle wissenschaftliche Darstellungen vornehmlich auf die refe­
rentielle Funktion semiotischer Prozesse setzten und die diskursive Sprache sowie
Tabellen und Grafiken als Ausdrucksmittel nutzen, reflektiert künstlerische Praxis
neben der Referenz zudem die Materialität und Performanz semiotischer Prozesse.
Hiermit fokussiert sie immer auch die selbstreferentielle Stelle eines semiotischen
Prozesses, die ihn zwar ermöglicht, sich selbst aber nicht rekonstruieren lässt.
Für diese Perspektive auf die Repräsentation15 sind insbesondere jene Forschungen
12 Epistemische Dinge sind begrifflich-phänomenale Einheiten. Sie liegen »gewissermaßen an der
Schnittstelle zwischen der materiellen und der begrifflichen Seite der Wissenschaft, weshalb man
sie auch als graphematische Spuren auffassen kann. Sie sind Schrift in dem weiteren Sinn, den
Jacques Derrida ihr gab – sie haben das Potenzial, sich nicht nur von ihrer ersten Referenz, von
dem, worauf sie sich ursprünglich bezogen, sondern auch vom Schreibenden zu trennen.« HansJörg Rheinberger: Epistemologie des Konkreten, Frankfurt a.M. 2006, hier S. 351 [Herv. E.B].
13 Allerdings werden solch vereinfachte Vorstellungen des naturwissenschaftlichen Alltags seit geraumer Zeit durch wissenschaftshistorische, -theoretische und -soziologische Untersuchungen
revidiert. Bruno Latour spricht von einer »Kultur der Forschung«. Wissenschaft ist ihm zufolge
nicht mehr durch ihre Losgelöstheit zu definieren, sie wird vielmehr in ihrer Verbundenheit
mit der Umwelt und den Dingen charakterisiert. Latour versucht, die Subjekt-Objekt-Dichotomie hinter sich zu lassen, indem er Transformationen anstatt Konstruktionen darlegt. Anstelle
der künstlichen Trennung von Subjekt und Objekt weist er auf die wechselseitige Bezug- und
E­influssnahme von menschlichen Handlungen und Dingen hin. Vgl. hierzu Bruno Latour: Die
Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft, Frankfurt am Main
2000.
14 Vgl. hierzu Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt am Main 2003, S. 262. Vgl.
zur Subjekt-Objekt-Beziehung in verschiedenen formalen Konstellationen der Kunst auch: Elke
Bippus: Landschaft – Karte – Feld. Felder zeichnen, Bremen 2005.
15 Repräsentation wird hier als Stellvertretung und Darstellung gedacht. Damit kommt auch der
Einleitung
inter­essant, die mit dem Kunsttheoretiker Henk Borgdorff als Forschungen »in«
der Kunst bekannt wurden.16
Künstlerische Forschungen können zu den Verfahren gezählt werden, die ein »im­
plizites Wissen«,17 Brüche und Ungeklärtes fruchtbar machen. Solche Aspekte ste­
hen in Widerspruch zu einer Zeit, in der das Bildungsideal Humboldts einer Ökono­
misierung weichen und Wissen als neue Form des Kapitals verfügbar sein soll. Als
Ressource der Zukunft wird Wissen feilgeboten als »Basis eines Wirtschaftsvorteils«
mit ökonomisch hohem Wert.
Der zeitgemäße Wissensbegriff richtet sich dementsprechend verstärkt an wis­
senschaftlicher Vernunft und Logik aus. So impliziert auch die Definition des Du­
den die Akkumulierbarkeit von Wissen, wenn dieses als »Gesamtheit der Kenntnis­
se, die jmd. [auf einem bestimmten Gebiet] hat«18 bezeichnet wird. Die Rede ist
demnach von einem umfangreichen, umfassenden, gründlichen und gesicherten
Wissen. Wissen in diesem Sinne gilt als vollständige Gewissheit und steht in Diffe­
renz zu glauben und meinen. Wissen ist ein Wissen von etwas, es ist positivierbar
und hat einen Gegenstand. Mit dieser Orientierung geht die Betonung der Praxis
einher, allerdings allein auf der Ebene der Methoden und im Rahmen des Zweck­
mäßigen. Praktiken der Spurenerzeugung in den Wissenschaften, die auf der For­
Aspekt der Vorstellung/Imagination ins Spiel, worin sich die Performanz einer jeden Darstellung
reflektiert.
16 Henk Borgdorff unterscheidet in seinem 2006 publizierten Text The Debate on Research in the
Arts drei Weisen künstlerischer Forschung, die er als Recherche »on the arts«, »for the arts«
und »in the arts« definiert. Eine typische Forschung über Kunst ist beispielsweise die Kunstgeschichte. Materialforschungen sind Untersuchungen für die Kunst. Im Unterschied dazu sind
Forschungen in der Kunst immanent und performativ. Sie beruhen nicht auf einer Subjekt‑Objekt‑Trennung, im Gegenteil, die künstlerische Praxis ist konstitutiv für den Forschungsprozess
und das Resultat. Während eine Forschung »über« und »für« implizit auf eine Trennung der
Disziplinen und Methoden hindeutet, basiert »Research in the Arts« auf der Auffassung, dass
es keine fundamentale Trennung zwischen Theorie und Praxis gibt. Die künstlerische Forschung
»in the arts« bedenkt einerseits die Materialität einer Darstellung und andererseits deren Transzendierung. Henk Borgdorff: The Debate on Research in the Arts (Sensuous Knowledge. Focus on
Artistic Research and Development, No. 2), Bergen 2006, S. 18.
17 Die Konzeption des impliziten Wissens wurde maßgeblich von Michael Polanyi in seinem Buch
The Tacit Dimension (1966) entwickelt. Polanyi versteht körperliche Reaktionen als eine Form
von (implizitem) Wissen oder von verinnerlichten Handlungen, die zum Beispiel in Form von
moralischen Annahmen oder auch von wissenschaftlichen Theorien unsere Praxis leiten. Für Polanyi, der sich dabei u.a. auf Wilhelm Diltheys Begriff der »Einfühlung« beruft, bedeutet dieses
Wissen die Grundlage des sogenannten objektiven Wissens.
18 Duden – Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim 2000.
13
14
Elke Bippus
schungsebene angesiedelt sind, mit anderen Worten primäre Aufschreibeformen
im wissenschaftlichen Alltag, die den veröffentlichten Resultaten vorausgehen
– Protokolle, Skizzen, Videoaufzeichnungen, Exzerpte – und in einem gleichsam
pränormativen Raum entstehen, sind zwar Gegenstand wissenschaftshistorischer
Untersuchungen, in der Repräsentation wissenschaftlicher Ergebnisse werden sie
jedoch als nebensächlich übergangen.19 Da von einem Informations(-Wissen) er­
wartet wird, dass es in effektiver Weise vermittelt und verwertet werden kann,20
geht es auch nicht mehr um die Erarbeitung von Wissen, sondern um ein Wissens­
management. Die Ökonomisierung des Wissens nivelliert die Unterscheidung von
Wissen und Information21 und simplifiziert den komplexen Prozess der Wissens­
generierung. Sie ignoriert Erkenntnisse des performative turn. Mit diesem ist ein
auf Handlung und Verkörperung orientiertes Forschen verknüpft, das unterschied­
liche Wissensformen integriert und Diskurse entstehen lässt, »die das Ereignis, von
dem sie sprechen, hervorbringen«.22 Die Opposition von angewandtem und reinem
Wissen sowie die von Theorie und Praxis stehen so zur Disposition.
Produktive Verstrickungen
Künstlerische Forschung »zeigt« ihr Wissen. Das heißt, anders als in den meisten
wissenschaftlichen Darstellungen vermittelt Kunst in den seltensten Fällen Ergeb­
19 Vgl. zu Aufschreibeverfahren im wissenschaftlichen Alltag: Hans-Jörg Rheinberger: »Mischfor-
men des Wissens«, in: ders.: Iteration, Berlin 2005, S. 74–100; Anke te Heesen (Hg.): cut and
paste um 1900. Der Zeitungsausschnitt in den Wissenschaften (Kaleidoskopien. Medien – Wissen
– Performance), Heft 4, Berlin 2002.
20 Die ökonomische Eingrenzung des Wissensbegriffs auf seine technologische, politische und
bürokratische Verfüg- und Verwertbarkeit spiegelt sich auch in der Ausbildungsstruktur der
Bachelor- und Master-Studiengänge, die in ihrer Effizienz-, Nützlichkeits- und Verwertungsabsicht eine Ökonomisierung der Studiensysteme betreiben. Vgl. hierzu Peter Spillmanns auf die
Schweizer Kunsthochschulen bezogene Analyse der Bologna-Reform im Kontext einer allgemeinen Ökonomisierungstendenz. Peter Spillmann: »Von Bologna nach Pisa. Ein Ausflug in die aktuelle Bildungslandschaft«, in: Beatrice von Bismarck, Alexander Koch (Hg.): beyond education.
Kunst, Ausbildung, Arbeit und Ökonomie. Frankfurt a.M. 2005, S. 209–221.
21 Jürgen Mittelstrass hat bereits 2003 in einem Vortrag darauf hingewiesen, dass die Vorstellung
von Wissen als einer Kompetenz der Wissensbildung und -verarbeitung von einem Vertrauen
auf die richtige Information abgelöst wird. Vgl. www.ut.ee/eetikakeskus/download/konverentsmittelstrass
22 Jacques Derrida: Die unbedingte Universität, Frankfurt a.M. 2001, S. 22.
Einleitung
nisse, die im Sinne einer Information weitergegeben werden könnten. In ihrer
Selbstreflexion bezieht sich Kunst reflexiv auf das, womit sie reflektiert und was
ihre Reflexivität erst ermöglicht.23 Die mediale Konstitution des Forschungsgegen­
stands wird erkennbar und die referentielle Funktion der Darstellung gestört. Ein
durch Zeigen vermitteltes Wissen bleibt unbestimmt, es ist in Bruchstellen oder
Störungen aufzusuchen und kann immer nur wieder neu in spezifischen Situatio­
nen, in einer Kopräsenz oder durch Eingriffe freigelegt werden.
Im Unterschied zur Wissenschaft zielt Kunst dabei auf Mehrdeutigkeit. Eine klare
Unterscheidung der Disziplinen wird allein auf der Ebene der (Re-)Präsentation
möglich, auf derjenigen der Forschungsprozesse selbst ist sie nicht grundlegend.
In diesem Zusammenhang sind Untersuchungen der Wissenschaftsphilosophie und
-geschichte interessant, die ihre Aufmerksamkeit auf die Praxen und auf die Gene­
rierung von Erkenntnissen richten, auf die konstitutiven und performativen An­
teile von Visualisierungsprozessen sowie auf ihre kontingenten und unvorherseh­
baren Abläufe. Die jüngste Wissenschaftsgeschichte richtet ihre Aufmerksamkeit
auf die Forschungsprozesse im Labor, das heißt auf jenen abgeschlossenen und
geschützten Raum, in dem das konkrete Material von Bedeutung ist. Sie schließt
die »obskuren Räume wissenschaftlicher Arbeitspraxis« auf, indem sie etwa den
Zwischenraum »zwischen gedrucktem Text und der materiellen Veranstaltung des
Experimentierens«24 beleuchtet. Diese Blickverschiebung trägt mit dazu bei, naive
und lang anhaltende Vorstellungen von Wissenschaft wie diejenige eines geziel­
ten, logisch kontrollierten Vorgehens nachhaltig zu zerrütten. So hat Hans-Jörg
Rheinberger das Grunddilemma der Forschung jüngst auf die Behauptung zuge­
spitzt, »dass das Nichtverstehen der Motor aller wissenschaftlichen Erkenntnis­
gewinnung ist. Forschen wäre also im Innersten der Ausdruck einer Kultur des
23 Zur medialen Selbstreflexion und künstlerischen Wissensgenerierung vgl. Elke Bippus: »Mediale
(Eigen-)Sinnigkeiten. Überlegungen zu künstlerischen Wissensbildung im Medium«, in: Torsten
Meyer, Michael Scheibel, u.a. (Hg.): Bildung im Neuen Medium. Wissensformation und digitale
Infrastruktur. Education Within a New Medium. Knowledge Formation and Digital Infrastructure,
Münster, New York, München, Berlin 2008, S. 108–118; engl. Übersetzung: S. 314–320.
24 Hans-Jörg Rheinberger: »Wissensräume und experimentelle Praxis«, in: Helmar Schramm u.a.
(Hg.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin 2003, S. 366–
382, hier S. 370. Durch Analysen und Rekonstruktionen von Laborprotokollen und Labornotizen
werden experimentelle »Formen des Auf- und Umschreibens in der Produktion von Wissen«
erschlossen und ausgewertet, um so dem epistemologischen Kern des Laboralltags auf die Spur
zu kommen.
15
16
Elke Bippus
Nichtverstehens«.25 Wissenschaftshistorische Untersuchen kennzeichnen zudem
die disziplinäre Begrenztheit oder Ausschnitthaftigkeit von Forschung. Deshalb
aber im Sinne des Synthesegedankens Kunst und Wissenschaft als sich wechsel­
seitige Ergänzungen zu beschreiben, die dem jeweils anderen das hinzufügen, was
ihm vermeintlich fehlt, würde die Eigengesetzlichkeit disziplinärer Formungen, die
Differenzialität der Disziplinen sowie deren Produktivität zugunsten eines roman­
tischen Ideals leugnen.
Womöglich resultiert Künstlerische Forschung weniger aus einem Nichtverstehen,
sie verknüpft vielmehr ihre Wissensproduktion mit einer Kritik des Willens zum
wahren Wissen und verhält sich insofern zum Nichtwissen, das durch nichts ein­
zuholen ist. Denn das, was wir als Wissen erkannt haben werden, bildet sich in
komplexen Konstellationen heraus – in einer »Poetologie des Wissens«.26 Scharfe
Trennungen etwa zwischen Subjekt und Objekt, Material und Form, Investigation
und Präsentation, Theorie und Praxis sind nicht aufrechtzuerhalten. Künstlerische
Forschung ist auch von Momenten der Reaktion, des Unbewussten oder des Pathi­
schen getragen. Sie ist dergestalt mit einem Begriff von Theorie in Verbindung zu
bringen, wie ihn Hans-Georg Gadamer in Wahrheit und Methode beschrieben hat:
Theoria ist »wirkliche Teilnahme, kein Tun, sondern ein Erleiden (pathos), nämlich
das hingerissene Eingenommensein vom Anblick«.27
Auch wenn zur künstlerischen Praxis notwendig ein umfangreiches Wissen ge­
hört, macht sie sich dennoch vielfach in inszenierten Ambivalenzen das Nicht­
wissen strategisch zunutze. Sie hält auf diese Weise den Forschungsprozess in
seinen vielfältigen Möglichkeiten offen, aktiviert die Betrachter und Betrachterin­
nen, fordert deren Neugierde heraus und provoziert sie zu einem Forschen im Sinne
eines Erkundens, Nachspürens und Ermittelns. Künstlerisches Forschen bildet kein
allgemeines, abrufbares und intersubjektiv verifizierbares Wissen, sondern Räume
für das Denken, die zumeist in Widerspruch stehen zu einer neuerdings angesagten
Verwertbarkeit. Kunst bietet kein Forschungsergebnis, sie bietet sich selbst als
ein »Instrument« dar, »mit dem man sich eine Aktivität des Erforschens aneig­
25 Hans-Jörg Rheinberger: »Nichtverstehen und Forschen«, in: Juerg Albrecht u.a. (Hg.): Kultur
Nicht Verstehen, Zürich 2005, S. 75–82, hier S. 79.
26 Dazu: Joseph Vogl: »Einleitung«, in: ders. (Hg.): Poetologien des Wissens um 1800, München
1999, S. 7–18.
27 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik,
T­übingen 51986, S. 130. Zu Pathos vgl. auch: Kathrin Busch, Iris Därmann (Hg.): ›pathos‹.
Konturen eines kulturwissenschaftlichen Grundbegriffs, Bielefeld 2007.
Einleitung
nen kann«. Dementsprechend findet künstlerisches Forschen nicht im Kunstobjekt
seinen Abschluss. In den Wissenschaften werden Forschungen in den jeweiligen
Science Communities, in Zeitschriften, auf Symposien oder in Kolloquien disku­
tiert und verhandelt und können so im Prozess der Erkenntnisgewinnung wirksam
werden. Ob das Format Ausstellung einen adäquaten Raum für die Künstlerische
Forschung schafft, ist mehr als fraglich. Denn es produziert im Verbund seiner
Historizität Erwartungen, Haltungen und zeitliche wie räumliche Settings, die vor­
nehmlich an Kategorien des Werks und Objekts orientiert sind. Als Objekt ist Kunst
käufliches Produkt und bildet ein Gegenüber. Zum »Instrument« eines Forschens
wird Kunst in einer denkenden Begegnung. Erst in einer solchen dia­logischen Aus­
einandersetzung kann Künstlerische Forschung zu einem Feld der Alternativen,
der Entwürfe und Modelle werden, zu einem Begegnungsfeld zwischen verschiede­
nen Wahrnehmungs- und Denkmodi, zwischen unterschiedlichen Positionen und
S­ubjektivitäten.
Die für Künstlerische Forschung notwendige Diskursivierung verlangt nach einer
Arbeit am Ausstellen und seinen Möglichkeiten, wenn Ausstellen keine bloße Prä­
sentation von Ergebnissen in Form objekthafter Werke sein soll, sondern ein Expe­
riment für Künstler/innen und Betrachter/innen gleichermaßen. Die Ausstellung
ist die Schnittstelle zu einem diskursiven Feld.28 Sie ist der Ort der Rahmung und
Kontextualisierung, sie spezifiziert das Verhältnis zwischen den Akteuren, d.h. das
zwischen Kunstobjekt, Raum und Betrachtersubjekt in seinen vielfältigen (körper­
lichen, materiellen, situativen und singulären) Dimensionen.29
Auch im Feld der Kulturwissenschaften wächst seit der »performativen Wen­
de« das Interesse an den Schauplätzen des Wissens30 und ihrer inszenatorischen
Struktur. Formeln wie doing theory, doing culture, gender, knowledge, identity
sind Ausdruck eines modifizierten Verständnisses, durch das Kunst und vor allem
28 Auch die Publikationsformate entsprechen heute wieder vornehmlich jenen Anliegen und Re-
geln, die mit dem »Ausstellungskünstler« der Moderne verknüpft sind. Versuche, die an die
Tradition der Conceptual Art anknüpfen, um andere Diskursformate zu etablieren, setzen sich gegenüber den konservativen und traditionell arbeitsteiligen Publikationsweisen zwischen Künstler/in und Kunsthistoriker/in bzw. Kritiker/in nicht durch. Zum Ausstellungskünstler vgl. Oskar
Bätschmann: Ausstellungskünstler: Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997.
29 Zum Ausstellungsdisplay vgl. Jennifer John, Dorothee Richter, Sigrid Schade (Hg.): Re-Visionen
des Displays. Ausstellungs-Szenarien, ihre Lektüren und ihr Publikum, Zürich 2008; vgl. auch: Das
neue Ausstellen. Kunstforum International, Bd. 186 (Juni-Juli 2007).
30 Vgl. dazu: Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Ladardig (Hg.): Kunstkammer, Laboratorium,
Bühne: Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert, Berlin 2002.
17
18
Elke Bippus
k­ulturwissenschaftliche Disziplinen näher aneinander rücken: Theorie wird durch
den Perspektivwechsel des performative turn zunehmend in ihrer medialen Be­
dingtheit in Betracht gezogen. Die Medialität eines Texts oder Vortrags wird in
ihrer konstitutiven Funktion einbezogen. Die damit einsetzende Durchdringung
von Theorie und Praxis zeichnet sich in ihren verschiedenen Weisen zunehmend in
experimentellen Theorieformaten ab, welche die Wissensproduktion auch als eine
ästhetische Praxis exponieren.31
Mit dem performative turn, der tradierte Methoden revidiert hat und Erfahrung
durch Kunst und das Ästhetische einbezieht, entsteht eine Wissenskultur, in der
Wissen als Handlung und Prozess erfahrbar wird. Wissen ist dann nicht allein als
ein Wissen von unveränderlichen Sachverhalten gedacht, sondern in seiner Wan­
delbarkeit als Form eines historischen Denkens reflektiert. Es geht dabei um eine
»Poetologie des Wissens«, welche in ihrer Geschichte des Wissens die Bedingtheiten
der Episteme sichtbar werden lässt. Eine »Poetologie des Wissens« setzt an ihren
Ursprung kein erkennendes und sprechendes oder ein vermeintlich unabhängiges,
schöpferisches Subjekt. Sie begreift und beschreibt vielmehr das Auftauchen neuer
Wissensobjekte und Erkenntnisbereiche als Form ihrer Inszenierung, sie macht die
Repräsentationsweisen sichtbar, die den Wissensordnungen zugrunde liegen, das
heißt die Regeln und Verfahren eines Darstellungszusammenhangs. So verstan­
den, kommt Wissen als etwas ins Spiel, das nicht feststellen will, was ist, sondern
welches das Tun des Menschen leitet und als Praxis eines ästhetischen Denkens
beschrieben werden kann.
Die Kenntnis von Verfahrensweisen und Techniken Künstlerischer Forschung, die
das Wissen der Kunst bilden, ist notwendig, um deren Produktivität benennen
zu können. Dabei geht es nicht darum, allgemeine Bedingungen festzuklopfen,
sondern die konkreten Akte zu erfassen, um Wissensbildung in ihrer Dynamik
zu begreifen. Dazu gehört die begriffliche Diskursivierung des Wissens der Kunst
in ihren Transformationen und ihren medialen Übersetzungen, durch welche An­
schlüsse an andere Wissensfelder gebildet werden, seien sie wissenschaftlich, kul­
turell oder gesellschaftlich. Wissen wird hierdurch in seiner eigenen Veränderlich­
keit reflektiert und nicht als beständige Einheit einer Disziplin oder des denkenden
Ich behauptet.
31 Vgl. hierzu »Doing Theory«. 31. Magazin des Instituts für Theorie der Gestaltung und Kunst,
Nr. 08/09, Dezember 2006.
Einleitung
Kunst ist der Wissenschaft nicht anzunähern, sie überschneidet sich längst mit
verschiedensten Disziplinen auf dem Feld des Denkens. Künstlerische Praxis präfe­
riert eine zufallende, einmalige und individuelle Erfahrung.32 Im Unterschied zur
Wissenschaft blickt sie auf eine Geschichte zurück, die sich immer wieder auch mit
dem befasste, was sich einem begrifflichen und methodischen Zugriff entzieht und
die Möglichkeit des Ausdrucks ins Spiel bringt, indem sie mit den Medialitäten ex­
perimentiert, in denen sie agiert. Künstlerische Praxis erinnert damit an etwas, das
Heinrich von Kleist mit seinem Text Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken
beim Reden33 deutlich gemacht hat: den Prozess der halbbewussten Herausbildung
von Erkenntnis, der vom Subjekt initiiert, aber sich erst im Vollzug einer Artiku­
lation vollzieht und in einem sozialen Zusammenhang eingelöst wird. Gerade weil
Kunst und Künstlerische Forschung performative, mediale, soziale aber auch öko­
nomische Einflüsse reflektiert, fordert sie die konventionelle Wissenschaftspraxis
heraus.
Textbeiträge
Die in dem vorliegende Band versammelten Beiträge von Künstler/innen, Kultur­
wissenschaftler/innen wie Philosoph/innen stellen unterschiedliche Ansätze von
Kunst und Wissenschaft vor, diskutieren Interdependenzen, Verfransungen, wech­
selseitige Durchdringungen, Schnittstellen, Ein- und Übergriffe oder Hybridbildun­
gen, ohne die historisch und gesellschaftlich bedingten Differenzen der Disziplinen
aus dem Blick zu verlieren. Die Publikation ist in zwei Hauptkapitel gegliedert:
Praktiken des Wissens und Produktive Verstrickungen. Auch wenn sich die Beiträ­
ge nicht trennscharf zuordnen lassen, so lässt sich dennoch feststellen, dass in
einzelnen Beiträgen das Wissen der Kunst ins Zentrum gerückt ist, oder dieses
gezeigt, inszeniert und performiert wird. In anderen hingegen werden Mischfor­
men des Wissens zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Theorie und Praxis
32 Damit entsteht für den gängigen Wissenschaftsbetrieb ein Problem der Kommunizierbarkeit
und des Verhandlungsortes. Wie kann künstlerische Forschung kommuniziert werden, wenn es
um das Singuläre und um die konkrete Auseinandersetzung mit einem Werk geht? Muss sich
die Theorie ändern? Können z.B. Forschungsgemeinschaften eine Möglichkeit des Austausches
werden?
33 Heinrich von Kleist: »Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«, in: ders.:
Sämtliche Werke und Briefe, 2. Band, München 1985.
19
20
Elke Bippus
vorangetrieben. An die beiden Kapitel schließt die gekürzte Podiumsdiskussion der
Tagung Kunst des Forschens an.34 In ihr wird Künstlerische Forschung im Kontext
von Förderungspolitik und deren Relationen zu Wirtschaft und Technologie ebenso
Thema wie ihre hochschulpolitische Rahmung, ihre Leistungsfähigkeit gegenüber
anderen Bereichen, ihre Prozesse und Bedingungen sowie ihre Nähe zur Philoso­
phie debattiert wird.
Praktiken des Wissens
In seiner historischen Perspektive auf wissenschaftliche Parameter stellt Dieter
Mersch fest, dass Kunst und Wissenschaft sich wie blinde Flecken gegeneinander
verhalten. Sie zeigen und sagen sich wechselseitig, welchen Verfahren und Prämis­
sen sie – zum großen Teil unbewusst – folgen. Die Ausbildung einer epistemischen
Theorie der Kunst müsse dies berücksichtigen und ihr Denken an Kategorien der
Werkstatt und deren Dispositiven ausrichten.
Hannes Rickli lässt die ästhetischen Überschüsse wissenschaftlicher Aufzeich­
nungen hervortreten. Er stellt damit die Rolle von Medien als Trägermaterial für
die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung heraus. In seinen Videogrammen expli­
ziert er Signaturen, die in funktional ausgerichteten wissenschaftlichen Produktio­
nen übersehen würden und führt diese bild- und wissenschaftstheoretischen sowie
gesellschaftlichen Diskussionen zu.
Vorzüge der Absichtslosigkeit nennt Peter Piller eine Werkgruppe, die in dem hier
publizierten Beitrag auf gesammeltes Fotomaterial nicht-professioneller Fotogra­
fien zurückgeht. Das »Archiv Peter Piller« umfasst tausende von Fotografien, von
denen der Großteil aus regionalen Tageszeitungen, aus dem Internet oder wie hier
aus dem digitalen Fotoarchiv der Schadensabteilung der »Basler Versicherungen«
stammt. In der Amateurfotografie ist etwas »aus Versehen« abgebildet, es ist nicht
durchkomponiert und weist so bedeutungstragende »Fehler« auf, die humorvoll
und mit Ironie Rituale, Wünsche, Haltungen oder Vorstellungen offen legen.
Das Wirkungsfeld Künstlerischer Forschung erkennt Christoph Schenker in sei­
nem Beitrag in den Bereichen der Wahrnehmung, der Emotion und des Intellekts.
Er bestimmt die Forschungen der Kunst als ein »Unterscheidungsverhalten«, das
34 Symposium: Kunst des Forschens, 6.–8. Dezember 2007, Zürcher Hochschule der Künste.
Einleitung
Differenzierungsmöglichkeiten einführt, die gültige und konventionalisierte Ord­
nungen verrücken.
Aus wissenschaftsphilosophischer Perspektive betont Gabriele Gramelsberger die
Notwendigkeit, die »epistemologischen Konsequenzen« zu analysieren, die aktuell
durch Veränderungen wissenschaftlicher Forschungsverfahren, beispielsweise im
digitalen Labor, entstehen. Eine solche Analyse kann zur Pluralisierung des Er­
kenntnismonopols beitragen, da sie evidenzbildende Kategorien der Wissenschaft
selbst befragt. Wohingegen Untersuchungen der semantischen Repräsentationen,
Logiken oder Argumentationsstrategien von Wissenschaft die Dichotomie zwischen
Kunst und Wissenschaft bestärken und das Erkenntnismonopol Letzterer unhinter­
fragt lassen würden.
Martin Beck verfolgt in vielfältigen Verknüpfungen von Recherche und experi­
mentellen wie ästhetischen Praktiken eine künstlerisch-wissenschaftliche Wissen­
sproduktion, in der sich deren wechselseitige Bedingtheit kritisch spiegeln. Der
hier erstmals in deutscher Übersetzung publizierte Text Souveränität und Kontrolle
zeigt die Entwicklung neuer Ausstellungsdisplays in den USA der Nachkriegsjah­
re auf und zeichnet dabei insbesondere deren visuelle und räumliche Dispositive
nach.
Ute Vorkoeper setzt das Interesse an Künstlerischer Forschung in Beziehung zur
modernen Reduktion der Kunst auf eine rein ästhetische Erfahrung. In ihren Über­
legungen arbeitet sie die Verkoppelungs- und Abgrenzungsdiskurse von Kunst und
Wissenschaft heraus, um zu einem Forschungsbegriffs zu kommen, der sich von
der Funktionalisierung der Kunst als Übersetzerin in sinnliche Erfahrungseinheiten
emanzipiert und zugleich offen ist für unvorhersehbare Herausforderungen der
Ästhetik wie der Wissenschaft in der Gegenwart.
Produktive Verstrickungen
Kathrin Busch macht angesichts der Wandlungen des zeitgenössischen Kunstbe­
griffs und der Transformation des tradierten Wissenschaftsverständnisses auf die
Unmöglichkeit einer sauberen Trennung von Kunst und Wissenschaft aufmerksam.
In ihrer Analyse des Verhältnisses von Kunst, Kulturwissenschaften und Philo­
sophie und ihrer Dekonstruktion der Trennungsversuche, die sich auf die Unter­
scheidung einer begrifflichen und sinnlichen Erkenntnis berufen, referiert sie auf
Nietzsches und Heideggers Schreibpraxis, und auf den Essay als ästhetische Form.
21
22
Elke Bippus
Das »abstandslose, berührend und körperlich« wirksame Zusammenspiel von Pa­
pier, Stift und Hand wird in Katharina Hinsbergs differentiell entwickelten Zeich­
nungen, welche die Mitteilungen der Materialien selbst einbeziehen, offenbar. In
zahlreichen poetischen Textproduktionen reflektiert die Künstlerin ihre Verfahren
und die diskursiven Kontexte ihrer Anliegen.
Beatrice von Bismarck setzt sich in ihrem Beitrag mit den Installationen von Julie
Ault und Martin Beck auseinander und macht deren Inszenierungsformen zum The­
ma. Ault und Beck haben ein von George Nelson entwickeltes Ausstellungssystem
zu einem eigenständigen Ausstellungsstück werden lassen und die mit ihm zu­
sammenhängenden Vorstellungen einer emanzipierten Kommunikation aufgezeigt.
Ihre Installation geht dabei aus einer forschenden Tätigkeit hervor und zugleich
wird das Forschen selbst zum Gegenstand ihrer künstlerischen Praxis.
Das Potential des Übergangs, des Unentschiedenen, des Zwischenraums ergreift
Christoph Keller in seiner Bearbeitung wissenschaftlicher Praktiken und Themen.
Mit seiner künstlerischen Forschung zielt er auf eine Öffnung des Transzendenten
der Wissenschaften, wobei ihn insbesondere »parallele Wissenschaften« interessie­
ren, die ihrerseits blinde Flecken der Wissenschaft reflektieren.
Jörg Huber widmet sich einer Forschung des Ästhetischen, die sich den Inter­
ferenzen, den Verschränkungen und Anverwandlungen zuwendet, die zwischen
Kunst und alltäglicher Gestaltung geschehen. Er bestimmt ästhetische Forschun­
gen als eine Erfahrung, in der sich Erleben und Widerfahren mit Reflexion und
Begreifen verbinden. Jörg Huber entwirft die Forschung der ästhetischen Theorie
als eine chiastische Figur, die nach einer ästhetischen Theorie der Forschung ver­
langt.
Im Sommer 2007 zeigten Eva Meyer und Eran Schaerf auf dem skulptur projekt
Münster ihren Film Sie könnte zu Ihnen gehören. In ihm werden Textpassagen einer
Schauspielerin, die sich im Innen- und Außenraum des Münsteraner Stadttheaters
bewegt, mit Ausschnitten von in Münster gedrehten Filmen zwischen 1940 und
2003 montiert. Sie könnte zu ihnen gehören schafft einen filmischen Erinnerungs­
raum, in dem sich Erfahrung in ihrer medialen Vermitteltheit reflektiert und die
Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation in ihrer Brüchigkeit offensichtlich
werden.
Die von Frank Hesse zu einem Tableau zusammengestellten Fotografien von Schu­
hen aus Naturmaterialien wie Kork oder Birkenrinde zitieren in ihrer Präsentati­
onsweise, die bis ins 18. Jahrhundert gängige Darstellung naturwissenschaftlicher
Beobachtungen. Im 20. Jahrhundert rückten die Taxonomien von Bernd und Hilla
Einleitung
Becher dieses Format erneut ins Blickfeld. Frank Hesse verleiht den von Hildegard
Brandenburg auf Urlaubsreisen zum Zeitvertreib hergestellten Objekten den Cha­
rakter einer kultur-anthropologischen Sammlung. Da er gerade nicht der strengen
Scheidung von wissenschaftlichem Forschen und gesellschaftlicher Anwendung,
von Produzent und Konsument folgt, macht er die Sammlung als forschende Praxis
des Alltags erkennbar.
Dank
Dieser Publikation zugrunde liegt die vom 6.–8. Dezember 2007 veranstaltete Ta­
gung zum Thema Kunst des Forschens an der Zürcher Hochschule der Künste. Die
Tagung stand am Ende eines dreijährigen Forschungsprojekts, das durch die Fritz
Thyssen Stiftung gefördert wurde.
Die Herausgeberin dankt den finanziellen Förderern des Forschungsprojekts, sei­
ner diversen Veranstaltungen und der Publikation. Zu nennen ist hier neben der
Fritz Thyssen Stiftung die Hochschule für Künste Bremen, die das Projekt von
2004–2006 und eine erste Arbeitstagung unterstützte, dem Institut für Gegen­
wartskünste Zürich für den großzügigen finanziellen Zuschuss zur Tagung und
Publikation.
Ihr Dank gilt auch den Mitwirkenden des Forschungsprojekts: Katharina Hins­
berg und Beate Terfloth für die gemeinsamen Seminare, die das Verhältnis von
Theorie und Praxis nachhaltig zu reflektieren erlaubten, Bärbel Zindler, die durch
ihre Teilnahme an den Seminaren, Ausstellungen und Workshops in Bremen und
Zürich Diskussionen vorantrieb und stereotype Vorstellungen vom Künstler, von
der Künstlerin durchkreuzte. Mein besonderer Dank gilt Frank Hesse, der als wis­
senschaftlicher Mitarbeiter das Projekt über drei Jahre mitgestaltete, auch indem
er seine künstlerische Perspektive vehement vertrat, ohne sich derjenigen der
W­issenschaft zu verschließen.
Danken möchte ich auch allen Autor/innen, die die vorliegende Publikation erst
ermöglicht haben und schließlich dem diaphanes Verlag für die konstruktive und
angenehme Zusammenarbeit.
23

Documentos relacionados