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Bollywood
Nicht nur Film – auch eine Lebenseinstellung
Ich werde wohl nie wieder bei einem Film der amerikanischen oder deutschen Filmindustrie
weinen können, es sei denn er geht mir sehr unter die Haut. Ich bin wie verzaubert von
einer Filmkunst, die es so wohl nur in Indien gab, gibt und – wie ich hoffe - immer
geben wird.
Ich informiere mich über den Hinduismus, lerne die wichtigste indische Sprache neben
Englisch, Hindi, und möchte auch die Devangari-Schrift lesen lernen. Ich höre fast nur noch
indische Musik – vor allem aber bin ich ein treuer Shah Rukh Khan – Fan geworden und
informiere mich auch über ihn. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Filme ohne Shah Rukh
Khan für mich uninteressant wären – ganz im Gegenteil. Vor allem ältere Fabrikate der
Indischen Filmindustrie reizen mich im Hinblick auf vermittelte Werte und Vorstellungen.
Wie es zu diesem Bollywood- und Indien-Wahnsinn kam? Das ist ganz einfach. Ich habe im
Fernsehen einen Bollywood-Steifen gesehen. Es war „Mohabbatein – Denn meine Liebe ist
unsterblich“. Ich habe zuvor noch nie einen Bollywood-Film gesehen und war derart
beeindruckt und hingerissen wie noch nie zuvor. Obwohl der Film fast drei Stunden
dauerte, saßen wir auf der Couch und es wurde keine Sekunde langweilig oder
langatmig.
Inzwischen habe ich über 30 verschiedene Bollywood-Filme gesehen. Das hat jedoch den
Wahnsinn nur noch verstärkt. Ich eigne mir Eigenschaften an, die in unserer westlichen
Gesellschaft so nicht mehr praktiziert werden. Beispielsweise habe ich den Drang älteren
bzw. sehr alten Menschen Respekt zu zollen, indem ich meine Hände vor der Brust
aneinander lege und mich verneige. Bisher habe ich mich das jedoch nicht getraut, dies
auch wirklich zu tun. Ich verhalte mich nach Möglichkeit unauffällig – doch auch das
gelingt nur schwer. Alleine dieses Schamgefühl sagt doch schon sehr viel über die
Erziehung in unserer Gesellschaft aus. Die jungen Generationen – und damit meine ich
alle Menschen unter 60 (Ausnahmen bestätigen die Regel!) – haben keinen Respekt mehr
vor der Familie, den Eltern, vor älteren Menschen und generell ihrer Umwelt gegenüber.
Jeder ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht – frei nach dem Sprichwort: „Wenn jeder nur
an sich denkt, ist an alle gedacht.“
Es gab auch einen Grund, weshalb ich mir unbedingt ein Buch über Shah Rukh Khan
ansehen wollte. Immerzu hatte ich bei den Filmen das Gefühl, dass er seine Traurigkeit
nicht „nur“ spielt. Als ich schließlich in der Bücherei bei einem Stück Kuchen im Lesecafé
saß und das Buch aufschlug, las ich folgendes auf der ersten Seite und mir stockte der
Atem:
„Filme machen ist für mich das einzige Mittel, meine Traurigkeit zu überwinden. Das
Einzige, was mich daran hindert, depressiv zu werden, ist, morgens aufzustehen, in die
Maske zu gehen und jemand anders zu sein.“
Muss ich zu meiner Intuition noch etwas sagen? Ich war wirklich perplex. Man sollte an
dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass Shah Rukh Khan ein sehr extremer Schauspieler ist,
der alle Arten von Gefühlen überzogen darstellt, also beispielsweise auch Brutalität
Die Filme sind eine spezielle Kunstform, die wohl die Menschen in zwei Lager teilt.
Entweder man liebt Bollywood oder man kann schlichtweg nichts damit anfangen. Schade
ist jedoch, dass es zu viele Menschen, gibt die sich zu schnell ein Urteil darüber bilden,
was sie da auf der Leinwand sehen. Viele betrachten die Geschichten zu oberflächlich, die
Filme werden als zu lang empfunden und die Tanz- und Gesangseinlagen überfordern
manchen westlichen Zuschauer.
Zudem beschweren sich viele über die schon oben erwähnte überspitzte Darstellung von
Gefühlen, über die fehlende Realität. Doch worüber sich hier der Zuschauer beschwert
erwartet er in „Hollywood“-Filmen etwa nicht?!? Ob Hollywood-Filme realistisch und/oder
überspitzt dargestellt werden, überlasse ich nun mal Ihrem gesunden Menschenverstand.
Ich jedoch bin der Meinung, dass dort der Realismus doch etwas mehr leiden muss.
Für viele spielt auch die Länge eine große Rolle. Mit bis zu vier Stunden Laufzeit
brauche man sehr gutes Sitzfleisch, jedoch sei bedacht, dass das Sitzfleisch bei einer
„Herr der Ringe – Nacht“ im Kino doch sehr ausdauernd ist. Wieso also einen indischen
Film aufgrund seiner Länge verschmähen.
An dieser Stelle seien auch die Gesangs- und Tanzeinlagen erwähnt. Sie sind ein
wichtiger Bestandteil der Bollywood-Filme und wurden früher noch um ein vielfaches mehr
in Filmen eingebracht, als dies heute der Fall ist. Bis zu 70 Lieder fanden ihren Platz in
einem einzigen Film. Heute sind es im Durchschnitt sechs Songs, die von den Filmstars
selbst geschmettert werden.
Meiner Vermutung nach wurde die Anzahl geschrumpft um die Filme für das westliche
Publikum etwas zugänglicher zu machen. Wer jedoch etwas mehr über die religiösen
Hintergründe weiß, wird diesen Verlust sehr bedauern. Die Hindus (wörtl. Menschen vom
Indus) praktizieren sogar hier noch im kommerziellen Bereich ihre Religion und tragen sie
nach draußen in die Welt. Beispielsweise ehrt jeder Tanzstil einen anderen Gott. Begriffe
wie „Om“, „Shanti“, „Durga“, „Krishna“, „Namaste“ (in Hindi: Guten Tag, im Sanskrit: Das
Göttliche in mit grüßt das Göttliche in Dir) und viele weitere haben einen heiligen
Charakter, sind Götternahmen des Hinduismus und entstammen aus dem Sanskrit, einer
der drei heiligsten Sprachen der Erde.
Mein persönliches Fazit:
Jeder sollte sich wenigstens drei dieser Bollywood-Filme ansehen und sich auf die fremde
Kultur und die fremden Wertvorstellungen einlassen. Niemand hat etwas zu verlieren,
außer etwas Zeit, die jeder auch anderweitig verplempern kann. Aber vielleicht berührt
doch die ein oder andere Szene das Herz des Zuschauers und er hat dadurch etwas für
sich gewonnen und seine Zeit sinnvoll genutzt.
Namaste ji.
Aleshanee