Sechsundsechzig Sterne lassen Lyon leuchten

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Sechsundsechzig Sterne lassen Lyon leuchten
Petit Fours bei Sève.
Austern mit Apfelgelee.
Dessert im „La Pyramide“.
Brotauswahl in den „Halles“.
Käsevielfalt.
Chartreuse aller Jahrgänge.
Sechsundsechzig Sterne lassen Lyon leuchten
Ein Besuch in der Region mit Europas höchster Dichte an Michelin-Sternen und bei denen, die dafür gesorgt haben
Von Jan Vetter
Foto & text
eulich in Lyon: Nach ausN
giebigem Studium der Speisekarte und ebenso langer Be-
stellung kommt in der Tischrunde die Frage auf, was wohl ein
laktose-intoleranter Vegetarier,
der keinen Alkohol trinkt, in dieser Ecke Frankreichs machen
würde? Die einhellige Meinung
nach kurzer Beratung: Dehydriert verhungern! Zugegeben,
das ist ein wenig übertrieben, hat
aber einen wahren Kern, wenn
man im „kulinarischen Herzen“
Frankreichs unterwegs ist.
In wohl keiner anderen Region
der Welt findet man auf so engem Raum eine derart hohe
Dichte an mit Michelin-Sternen
dekorierten Lokalitäten (66 Sterne insgesamt) wie hier in der Gegend um die zweitgrößte (oder
drittgrößte, wenn es nach Marseille geht) Stadt Frankreichs –
aber alles der Reihe nach.
Lyon wurde im Jahre 43 vor
Christus von den Römern unter
dem keltischen Namen Lugdunum als Verwaltungszentrum,
quasi also erste Hauptstadt Galliens, auf dem Hügel oberhalb
des Zusammenflusses von Rhône und Saône gegründet. Im
Laufe der Zeit wuchs die Stadt
dann den Berg hinunter, und am
Fuße des Mont Fourvière entstand die heute als „Vieux Lyon“
bekannte Altstadt. Die engen
Gassen mit ihrer vier- bis fünfgeschossigen dichten Bebauung
sind eines der größten erhaltenen
Renaissanceviertel Europas und
heute einer der Touristenmagnete Lyons. Durchzogen wird das
Viertel von den sogenannten
„Traboule“, Querverbindungen
durch die Häuser und Innenhöfe
zwischen den parallel zum Fluss
verlaufenden Hauptstrassen, die
als Abkürzung dienten, da die
dichte Bebauung kaum Platz für
Wege ließ und die auch heute
noch rege genutzt werden. Viele
stehen auch Touristen offen, andere sind nur Einheimischen bekannt, und Asterix-Leser wissen,
dass dieses Labyrinth Ortsfremde durchaus vor Probleme stellen
kann – dies mussten übrigens
auch die Deutschen feststellen,
da das Vieux Lyon im zweiten
Weltkrieg eines der Zentren der
Resistance war.
Zwischen Saône und Rhône
gelegen, findet sich auf einer
Halbinsel, der „Presqu’ile“ der
wohl quirligste Stadtteil Lyons.
Manufakturen, Bonbonläden,
Schuhgeschäfte, Spezialitätenläden – wer es hier nicht schafft,
den Inhalt seines Geldbeutels
dramatisch zu reduzieren, muss
schon extrem konsumresistent
sein. Ebenfalls sehenswert ist
auch das „Croix-Rousse“, das alte
Arbeiterviertel der Seidenweber,
das mit seiner Bebauung und seinen Traboule ebenfalls zu Entdeckungstouren einlädt.
Die weiße Basilika Notre-Dame de Fourvière mit ihren eindrucksvollen Mosaiken oberhalb
der Stadt (zu der für die Fußfaulen eine Drahtseilbahn hinaufführt), die „Insel“ mit den beiden
Flüssen im Zentrum und sogar
ein Eiffelturm (als Funkmast auf
dem Fourvière) – Lyon erinnert
den Besucher ein wenig an Paris,
hat allerdings den Vorteil, weit
weniger hektisch zu sein, überschaubarer und sich hervorragend auch zu Fuß erkunden zu
lassen.
Wer den Tag über die Sehenswürdigkeiten der Stadt erkundet
hat, wird naturgemäß des Abends
ein vernehmliches Knurren in
der Magengegend vernehmen
und so ist man dann endlich wieder beim Thema „Essen“.
Der berümteste Sohn der Stadt
(neben den Brüdern Lumière) ist
wohl Paul Bocuse und sicher
hauptverantwortlich für den Ruf
Lyons als kulinarisches Zentrum
Frankreichs. Und so kann man
Imposant: Esssaal des Château des Bagnols.
Weitschweifend: Blick über Lyons Altstadt.
Herrschaftlich: Château de la Chaize in Brouilly.
beispielsweise im mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten
„La Mère Brazier“ die Stätte besuchen, in der der Meister selbst
dereinst das Kochen lernte, den
Gaumen mit „Austern auf Gelee
von grünen Äpfeln und Kaviar“
überraschen oder eines der wohl
besten Zitronensoufflés des Landes genießen. Fischliebhaber
sollten einen Abstecher ins „Cuisine et Dépendances“ machen,
wo Fabrice Bonnot seine Ware
direkt von Leinenfischern aus
der Bretagne bezieht und man
nach dem Essen mit dem Chef
gleich einen Termin für einen
Kochkurs in seinem Restaurant
buchen kann. Wer es etwas deftiger bevorzugt, findet in den zahlreichen Bouchons der Stadt traditionelles Essen der Region zu
akzeptablen Preisen. Sind die
Gaststätten im Vieux Lyon recht
touristisch, so findet man doch
auf der Presqu’Ile noch unverfälschte Lokale wie beispielsweise das „Café des Fédérations“ mit
seinem äußerst kommunikativen
Chef Yves Rivoiron. Da diese
auch von den Einheimischen
rege frequentiert werden, ist eine
Reservierung angebracht und
man sollte auch eine gewisse Toleranz ungewohnten Lebensmitteln gegenüber mitbringen –
Schweinebäckchen, Blutwurst
oder Trippes (Pansen!) stellen
für viele doch eher eine Herausforderung denn eine Delikatesse
dar. An dieser Stelle sei allen
Frankreichreisenden das „Langenscheidt
Praxiswörterbuch
Gastronomie“ ans Herz gelegt,
das den Unkundigen vor überraschenden Begegnungen mit bis
dato nicht als verzehrwürdig eingeschätzten Tieren oder deren
Körperteilen bewahren kann.
Ein besonderer Ausgehtipp,
auch unter Franzosen, ist das
„Institut Paul Bocuse“, wo Gastronomieschüler die Gelegenheit
haben, bereits während ihrer
Lehrzeit schon einmal am leben-
In den „Halles Paul Bocuse“: Renée Richard.
In der „Halle de la Martinère“: Lionel Foucarde.
Weingut-Chefin: Marquise de Roussy de Sales.
Besitzer des „Georges Five“: Georges dos Santos.
Im „La Pyramide“: Sternekoch Paul Henriroux.
Chef des „Cuisine et Dépendances“: Fabrice Bonnot.
den Objekt zu testen und hervorragendes Essen zu Menüpreisen
ab 26 Euro zu kredenzen. Allerdings sollte man sich vier bis
sechs Wochen vorher um einen
Tisch bemühen!
Man kann (und sollte) aber
auch „direkt an der Quelle“ stöbern: in den „Halles Paul Bocuse“. In den Markthallen decken
sich auch Lyons Köche ein und
man findet alles, was die französische Küche berühmt gemacht
hat (und kann es zumeist auch
probieren): Eine unüberschaubare Vielzahl an Käsen, Wurst,
Brot, Meerestieren, Fleisch, Süßigkeiten und so weiter, lassen
den Besucher die Zeit vergessen,
den Cholesterinspiegel ins Rote
drehen und das Portemonnaie
Urtümlich: Bouchon „Café des Fédérations“.
der Schwindsucht anheim fallen.
Zum Auslüften und als Kontrast
kann man sich sodann zu Fuß
aufmachen in die „La Halle de la
Martinière“: Hier weht noch der
Hauch von „altem Frankreich“.
Man schaut gebückten Rentnerinnen zu, wie sie sich bei Sophie
Martinez ihr tägliches Stückchen Käse kaufen und plaudert
derweil mit Lionel Foucarde an
seinem Stand bei einem Glas
Rotwein ein wenig über Gott
und die Welt.
Apropos Wein: Zum guten
Historisch: Römisches Theater auf dem Fourvière. Essen gehört in Frankreich natürlich auch immer ein guter
Wein, und mit dem nördlich an
Lyon grenzenden Anbaugebiet
Beaujolais hat man den Versorger sozusagen gleich vor der
Haustür. Wer sich einen ersten
Überblick über Weine verschaffen möchte, sollte unbedingt einen Abend im „Georges Five“
einplanen. Der Inhaber Georges
dos Santos, kürzlich zum besten
Kellermeister des Jahres gekürt,
weiß wirklich alles, was es über
die verschiedenen Rebsorten zu
Luxuriös: Hallenbad im „Georges Blanc Parc & Spa“. wissen gibt, und mit ein bisschen
Glück öffnet er einem zu späterer
Stunde auch einmal eine Flasche
aus seinem Privatfundus und
man bekommt die Gelegenheit,
ehrfurchtsvoll und mit zittriger
Hand einen hundertjährigen
Chartreuse zu verkosten. Das so
gewonnene Wissen kann man
dann anderntags am Besten auf
einer Tour durch die Weinberge
einem Praxistest unterziehen.
Auch im Beaujolais, den meisten
vermutlich durch den Primeur
bekannt, finden sich immer mehr
Winzer, die auf Klasse statt auf
Masse setzen. Sei es auf kleinen
Gütern wie der Domaine Chasselay, wo die Geschwister Claire
und Fabien ganz auf ökologischen Weinbau setzen, bei Christophe Semaska, der seinen weißen Condrieu mit 14,5 – 16,5 Volumenprozent in die Flaschen
füllt, oder auf dem herrschaftlichen Chateau de la Chaize, wo
man zusammen mit der Marquise de Roussy de Sales im wunderschönen Kellergewölbe die Weine verkostet: Überall finden sich
kleine Güter, die ihre ganz eigene Interpretation des Ausbaus
und Kelterns pflegen und deren
Entdeckung sich lohnt.
Überhaupt sollte man für das
Umland einige Tage einplanen.
Hier erwarten einen so unterschiedliche Highlights wie das
1987 komplett restaurierte und in
ein First-Class-Hotel verwandelte „Château de Bagnols“ mit einem wunderschönen Esssaal mit
riesigem Kamin, das „Georges
Blanc Parc & Spa“ mit seiner mit
drei Michelin-Sternen gekrönten
Restauration und dem im Stile
einer alten Markthalle gehaltenen Schwimmbad, das „La Pyramide“ von Paul Henriroux, ebenfalls mit zwei Sternen geadelt,
oder auch das „Musée de la Bresse“, ein in einer bis in die siebziger Jahre bewirtschafteten Do-
maine beherbergtes Museum, in
dem der Besucher alles Wissenswerte über die Region und ihre
Geschichte erfahren kann.
Bei soviel Essen, Trinken und
Kultur braucht es natürlich auch
eine adäquate Schlafstätte für die
Nacht, auf dass man sich am
nächsten Tage wieder frisch erholt auf die Foie Gras stürzen
kann. Über ganz Lyon verteilt,
findet der Besucher eine Vielzahl
verschiedener Häuser unterschiedlichster Kategorien. Kurz
erwähnt seien hier „Cour des
Loges“, mitten im Vieux Lyon
gelegen und aus mehreren Häusern zu einem Hotel mit überdachtem und zum Empfangsund Frühstückssaal umgebauten
Innenhof, das „Le Royal“ am
Place Bellecour mit einer der
schönsten Aussichten von ganz
Lyon und das „Hotel Ermitage
St. Cyr au Mont d’Or“, zwanzig
Busminuten von Lyon entfernt
mit seinem minimalistischen Stil
und einer atemberaubenden Aussicht hinab auf die Stadt und über
das Tal der Rhône.
Wer also keine Angst davor
hat, auch in einem süßen Dessertkeks auf die allgegenwärtige
Foie Gras zu stoßen, Weinproben um zehn Uhr morgens mit
stoischer Gelassenheit entgegensieht und nach dem Urlaub die
Badezimmerwaage für Wochen
meidet, wird in Lyon sein Paradies finden. Den Hungertod
muss hier niemand fürchten; es
sei denn, man ist laktose-intoleranter Vegetarier und trinkt keinen Alkohol – dann wird’s eng!
Zu dieser Reise hat eingeladen:
Atout France. Weitere Informationen über Lyon und die
Umgebung gibt es bei Atout
France unter Telefon 069/
97580136 oder im Internet unter www.franceguide.com.