Predigt beim Abschiedsgottesdienst Juli 2012 „Wir sind immer auf

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Predigt beim Abschiedsgottesdienst Juli 2012 „Wir sind immer auf
Predigt beim Abschiedsgottesdienst Juli 2012
„Wir sind immer auf dem Weg“ (Vinzenz von Paul)
Vor einiger Zeit hat mich jemand gefragt, welches Motto, welche Überschrift ich
meinem Abschied von dieser Seelsorgeeinheit geben würde. Als erstes fiel mir ein
Zitat des heiligen Vinzenz von Paul ein: „Wir sind immer auf dem Weg“. Und über
diesen Satz möchte ich gemeinsam mit Ihnen jetzt bei der Predigt nachdenken.
Überlegen Sie einmal: Welche Wege sind Sie heute schon gegangen? Vom
Schlafzimmer ins Bad, von dort in die Küche? Von der Haustür zum Auto oder zur
Kirche? Welche Wege gehen Sie normalerweise in Ihrem Alltag?
Diese Alltagswege sind uns vertraut, manche gehen wir ohne es zu merken. Die
meiste Zeit über ist es auch so mit unserem Lebensweg. Aber manchmal gibt es
Ereignisse, die uns nachdenken, aufhorchen lassen. Dann scheint sich alles aufs Mal
zu ändern. Ein beliebtes Symbol für den Lebensweg ist das Labyrinth. Das Labyrinth
ist ein eigenartiges Gebilde. Anders als beim Irrgarten gibt es nur einen Weg und
dieser Weg führt immer zum Ziel, zur Mitte und übertragen auf den Lebensweg zu
Gott. Auf diesem Weg liegen viele Kehrungen und Wendungen, wo es auf einmal in
eine andere Richtung geht. Manchmal führt der Weg scheinbar weit weg von der
Mitte und doch bringt uns jeder Schritt einen Schritt näher zum Ziel.
Der Abschied von dieser Seelsorgeeinheit und die neue Aufgabe in Tübingen stellen
für mich die nächste Kurve auf meinem Lebensweg dar, auf meinem Lebensweg,
den ich seit meinem 23. Lebensjahr ganz bewusst als Weg mit Gott verstehe – noch
lange, bevor ich überhaupt an einen Klostereintritt dachte. Was bringt mich dazu?
1) Ich glaube, dass es Gott gibt. Ich weiß zwar nicht mehr den Tag, aber noch
ganz genau den Ort, an dem mir das zum ersten Mal aufgegangen ist. Ich war
morgens mit dem Auto von Ottersweier, meinem Heimatort aus, auf dem Weg
nach Karlsruhe zur Vorlesung. Auf der Höhe der Autobahnausfahrt Rastatt
habe ich die Bäume auf den Feldern gesehen und plötzlich schoss mir den
Gedanke durch den Kopf: Das alles ist von jemandem gemacht worden, von
jemandem, der es gut meint mit dieser Welt und mit mir.
2) Dieser Gott hat für jeden von uns einen Weg geplant. Manche nennen so
etwas „Schicksal“, aber das meine ich nicht. Schicksal ist so etwas
Unausweichliches. Wir dürfen andere Wege gehen, wenn wir es wollen. Aber
der Weg, den Gott uns zeigen will, passt besonders gut zu uns, zu dem, was
Gott an Talenten, Fähigkeiten und Charaktereigenschaften in uns hineingelegt
hat. Ich nenne das „Berufung“. Und bei den meisten Menschen ist es so, dass
sie die ersten 25 bis 30 Jahre ihres Lebens damit verbringen, ihre Berufung zu
entdecken. Und richtig fertig sind wir damit nie.
3) Unter diesem Gesichtspunkt ist es klar, dass nach meinem Verständnis Gott
mich immer in Lebenssituationen stellt, wo ich erstens einen Auftrag von ihm
habe, etwas das nur ich in dieser Situation tun kann und wenn ich es nicht tue,
tut es keiner. Zweitens kann ich in diesen Lebenssituationen noch mehr und
vielleicht auch neue Aspekte meiner Berufung herausfinden. Oder es wird
etwas, das ich schon wusste, noch deutlicher.
4) Bei all diesen Überlegungen ist mir das Vorbild von Heiligen wichtig, weil sich
bei denen ganz gut ablesen lässt, wie man die alltäglichen Begebenheiten
umsetzen kann, um seine Berufung tatsächlich auch zu leben, mit Leben zu
füllen. Gerade unsere Ordensheiligen, der heilige Vinzenz von Paul und die
heilige Luise von Marillac, spielen dabei eine besondere Rolle. An manchen
Aussprüchen oder Sätzen von ihnen kann ich erkennen, wie diese beiden im
Vertrauen auf die Vorsehung Gottes ihren Lebensweg gingen und immer mehr
erkannten, was Gottes Auftrag für sie war. Einige solcher Zitate nenne ich
Ihnen jetzt:
a. Die Armen sind unsere Herren. / Die Ereignisse sind unsere Herren.
Was brauchen die Menschen, die uns anvertraut sind? Kann ich es
ihnen geben, auch wenn es nicht das ist, was ich selber brauche und
möchte? Welche Situationen entstehen, ohne dass ich dazu beitrage
oder etwas dagegen tun kann?
Dann schickt Gott mir diese
Situation, um meinen Lebensweg in die nächste Kurve zu bringen.
b. Kernig soll man in seiner Haltung sein, jedoch nicht rau, und jene fade
Süße vermeiden, die zu nichts nütze ist.
Dieser Satz spricht
eigentlich für sich selbst, er ist mein Lieblingszitat des heiligen Vinzenz.
c. Ermutigen wir einander mehr durch unser Beispiel als durch Worte.
(Luise von Marillac)
Das ist ein Grundsatz, der für die Erziehung von
Kindern wichtig ist, aber auch im täglichen Miteinander aller Menschen,
denn das, wodurch andere uns wahrnehmen, sind weniger unsere
Worte als vielmehr das, was wir tun.
d. Aus dem Mt-Evangelium: Was ihr einem meiner geringsten Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan. (Mt 25,40) Das heißt für mich:
Jedem Menschen mit Achtung und Respekt begegnen. In dem
Menschen, der mir gegenüber steht, begegnet mir Jesus Christus.
Auch wenn ich mich vielleicht gerade über ihn ärgere, muss meine
Haltung Erbarmen sein, ihn nicht beschimpfen, sondern bei ihm für
meine Sicht der Dinge werben. Der heilige Vinzenz sagt: „Erbarmen ist
das innerste Geheimnis Gottes.“ Das bedeutet: Da, wo wir Erbarmen
üben, wo wir barmherzig handeln, sind wir Gott ganz nahe, näher als
wir es bei jeder Meditation sein können. – Und das, obwohl die
Meditation für Vinzenz sehr wichtig war. Er hat jeden Tag die Heilige
Schrift eine Stunde lang meditiert!
Vielleicht haben diese Gedanken auch deutlich gemacht, wie ich meinen Dienst als
Seelsorgerin verstehe. Es ist nicht meine Aufgabe, den Menschen zu sagen, was sie
tun und lassen sollen. Meine Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, dass sie ihren
persönlichen Weg mit Gott finden. Ich kann mir nicht anmaßen, dass ich diesen Weg
kenne. Ich muss ja immer wieder meinen eigenen Weg entdecken, und das ist
manchmal schwierig genug. Außerdem kann ich mit meiner beschränkten Erkenntnis
(die ich als Mensch nun mal habe) nicht alle Wege Gottes kennen. Gott ist derjenige,
der unendlich erfinderisch ist in seiner Liebe, wenn es um die von ihm so geliebten
Menschen geht. Da kann ich nur sagen: Ich bin auch auf dem Weg und habe von
manchen Dingen eine Ahnung, worauf man achten sollte.
Sokrates hat dies zu seiner Zeit als „geistige Hebammenkunst“ beschrieben. Es geht
darum, Hilfestellung zu geben, dass Menschen „Ihres“ im Leben finden. Und damit
sind wir ja nie fertig! Jeder neue Lebensabschnitt, jedes Lebensalter bringt eine neue
Herausforderung, eine neue Kehre oder Kurve auf unserem Lebensweg.
Aber eines weiß ich ganz genau: Egal, was passiert, egal wie es mir geht: Gott ist ein
Gott der mitgeht, der immer dabei ist auf meinem Lebensweg – und auch auf Ihrem!
Dass Sie das spüren dürfen, wünsche ich Ihnen.
Sr. Luise Ziegler