PDF herunterladen

Transcrição

PDF herunterladen
Jan We i ler
m e i n le be n als mensch
Die Bastelrepublik
Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco
W
ir Deutschen sind nicht
nur Dichter und Denker, sondern vor allem
auch Kleber und Säger. Ich bin in
diesem Land umgeben von Bastelverrückten, die sich orgelpfeifenartige Auspufftöpfe ans Auto schweißen, die Häkeln bis
die Nadeln glühen und ausrasten vor Glück, wenn es irgendwo
Salzteigwürstchen zu modellieren gilt. Erst letzte Woche
durfte ich wieder mit fasziniertem Grusel die Ergebnisse des
deutschen Gestaltungsdrangs bewundern. Beim Champions
League-Finale. Meine Landsleute basteln zu solchen Gelegenheiten Papp-Pokale, die sie mit ins Stadion nehmen. Im Fall der
Champions League -Trophäe ist der Nachbau ziemlich einfach
und bedarf nicht einmal einer schrittweisen Anleitung. Der
Pokal sieht in etwa aus wie man sich einen Sektkühler in der
Kellerbar von Vico Torriani vorstellt. Einfach aufmalen, ausschneiden, Alufolie drum und fertig ist die Pokalattrappe, die
sich aufgrund ihres Gewichtes nicht für Stadionrandale eignet
und daher vom Ordnungsdienst toleriert wird. Ich finde es rührend, wenn erwachsene Menschen sich so eine Mühe machen.
Auch bei Demonstrationen drängt Selbstgemachtes ins
Bewusstsein. Särge zum Beispiel. Es vergeht eigentlich kein
Protest ohne Sarg. In der Tagesschau sieht man dann immer
Menschen, die mit finsterer Miene die Gesundheitsreform oder
die Tarifautonomie oder den Standort Bochum zu Grabe tragen.
Vorher haben sie tagelang zusammengesessen und gutgelaunt
diesen Sarg zusammengeleimt. Ebenfalls populär ist die öffentlichkeitswirksame Verkleidung als wandelnde Euromünze oder
Atommüllbehälter. Eine Demonstration gleicht in Deutschland
irgendwie immer einer Leistungsschau im Basteln.
Die erstaunlichsten Hervorbringungen deutschen Hobbyschaffens werden jährlich am Rosenmontag live im Fernsehen
gezeigt. Dann rollen stundenlang die Bastelresultate aus Mainz,
Köln und Düsseldorf auf gigantischen Festwagen durchs Bild.
Die meisten dieser Wagen zeigen entweder Politiker oder
Philipp Rösler in riesigen Dimensionen. Auffällig daran ist,
dass die Figuren auf diesen Vehikeln häufig keine Hosen tragen.
Irgend was steckt ihnen dann im
Po: Raketen, Spritzen oder Blumen.
Die Karnevalsgesellschaften feilen
Monate an Konzepten und Details
dieser Darstellungen und sind in der Lage, auch aktuelle Ereignisse noch übers Wochenende in Pappmaché zu kommentieren.
In keinem Land der Welt ist so etwas denkbar. Nur bei uns.
Das liegt auch daran, dass zumindest meine Generation mit
Helmut Scheuer aufgewachsen ist. Seine TV-Sendung „Zugeschaut und mitgebaut“ lief in den siebziger Jahren samstags
im ZDF. Scheuer, dem in Deutschland unverständlicherweise
nie ein Denkmal gebastelt wurde, baute in Minutenschnelle
Lichtorgeln zusammen, er goss Figuren aus Zinn, lötete ein
Netzgerät, fertigte Linolschnitte an und einmal sogar eine
Hundehütte. Herrlich. Helmut Scheuer war der Bundeskanzler
der Bastelrepublik Deutschland.
Die massenhafte Herstellung von handlichen Kopien des
über sieben Kilo schweren Pokals der Champions League blieb
letzte Woche ohne erkennbare Wirkung auf den Fußballgott.
Nach dem Endspiel war ich traurig und verließ das Stadion
mit bitteren, aber nicht revanchistischen Gedanken. Vor mir
lief ein bayerischer Fan in traditioneller Lederhose, der seinen
mühevoll gebastelten Pokal wie eine tonnenschwere Last Richtung U-Bahn schleppte. Wir gingen schweigend in der Menge
bis wir auf eine große Gruppe gutgelaunter weil siegreicher
Chelsea-Fans stießen. Die Männer lachten und zeigten dabei
Gebisse, die den Schluss nahe legten, dass bei ihnen zu Hause
die zahnärztliche Versorgung schon vor längerer Zeit zu Grabe
getragen worden war. Der traurige Bayer vor mir blieb plötzlich stehen. Dann hob er feierlich seine platte Pokalattrappe
und ging auf die Engländer zu. Er übergab ihnen feierlich sein
Bastelwerk. Dann gab er allen ganz ernsthaft die Hand und
verschwand Richtung U-Bahn. Die englischen Fans waren so
gerührt, dass sie für einen Moment vergaßen zu singen. Dann
hoben sie die folierte Pappe hoch und jubelten. Es war so rührend, dass ich beinahe geweint hätte. Wenn ich nicht so sauer
gewesen wäre.
28 . mai 2012