MATERIALIEN ZUR INSZENIERUNG VON
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MATERIALIEN ZUR INSZENIERUNG VON
OTHELLO von William Shakespeare MATERIALIEN ZUR INSZENIERUNG VON KATHARINA KREUZHAGE Liebe LehrerInnen, ErzieherInnen, Theaterbegeisterte… Die Spielzeit 2013/14 am Theater Paderborn hat begonnen. OTHELLO, eine Tragödie von William Shakespeare ist unsere zweite Premiere im Großen Haus. Diese Materialmappe soll kreative Impulse für die Vor- und Nachbereitung der Inszenierung von Katharina Kreuzhage in Schulen und Bildungseinrichtungen vermitteln. Neben Informationen zur Inszenierung stellt die Materialmappe Ihnen Wissenswertes zu den historischen Hintergründen sowie Bezüge zur Gegenwart zusammen. Über weiterführende Literaturlisten haben Sie die Möglichkeit einer Recherche zu den verschiedenen Themenfeldern des Stückes. In den unterschiedlichen Bereichen der Mappe finden sich allerlei praktische Übungsanregungen zur Verankerung und Übersetzung der Themenbereiche im Unterricht – die sogenannten AKTIVBOXEN. Zu OTHELLO bieten wir zusätzlich noch Vor- und Nachgespräche mit Theaterpädagogen und Dramaturgen an. Termine für dramaturgische Einführungen werden im Monatsspielplan im Internet und im Leporello bekannt gegeben. Des Weiteren bieten wir auch inszenierungsspezifische Workshops zur praktischen Vor- und Nachbereitung des Stoffes an. Fester Termin ist hierzu der 13.12.2013 von 14:00-16:00 Uhr im Theater im Riemeke, in der Fürstenbergstraße 21a. Anmeldungen unter [email protected] Bei Fragen rufen Sie uns gerne an! Viel Freude beim Stöbern und Entdecken! Larissa Werner Kontakt: Larissa Werner / Marguerite Windblut 05251/ 2881209 | [email protected] NÄCHSTE PREMIERE: Der Kontrabass von Patrick Süskind / Inszenierung. Jürgen Bosse / 19.10.2013 / 19:30 Uhr im Studio Abb.1 Inhaltsverzeichnis Besetzung 5 7 Über William Shakespeare 7/8 Charakteristika zum Autor Shakespeare 9 Werke 11-13 Über das Stück 15/16 Das venezianische Staatswesen Verfassung der Republik Venedig 15 Der große Rat 15 Rechte und Pflichten 16 17 Der Doge Übersicht der Türkenkriege bis ins 16.Jh 18/19 20/21 Das Böse Wo fängt Rassismus auf der Bühne an? Themenbezogene Projektarbeiten Zitate-Rätsel 22/23 24/25 26/27 28-31 Die Eifersucht 32-37 Die zwei Paradoxe des Othello´ Literaturverzeichnis 39 = Informationen und Texte = theaterpraktische Übungen 5 Besetzung OTHELLO von William Shakespeare Premiere am 05.10.2013 / 19:30 Uhr im Großen Haus Übersetzung und Bearbeitung von Katharina Kreuzhage, 5 Akte Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien Othello, ein schwarzer General Max Rohland Brabantio, venezianischer Senator, Vater Desdemonas Heinz Kersten Luca Cassio. Ein rechtschaffener Leutnant Othellos Gunnar Seidel Jago, Othellos Fähnrich, ein Schurke Stephan Weigelin Roderigo, ein genasführter Edelmann Alexander Wilß Doge von Venedig Lars Fabian Senator von Venedig / Gratiano Willi Hagemeier Senator von Venedig / Zypriot Marguerite Windblut Montano, Gouverneur von Zypern Lars Fabian Lodovico, Verwandter Brabantios, edler Venezianer Lars Fabian Desdemona, Othellos Frau Natascha Heimes Emilia, Jagos Frau Alessandra Ehrlich Bianca, eine Kurtisane Anne Bontemps Begleiter Cassios, Zyprioten Statisten: Julian Klenner, Peer Sgominski, Dean Ruddock Regie: Katharina Kreuzhage / Ausstattung: Ana Tasic / Dramaturgie: Nikolaos Boitsos / Kampfchoreographie: Annette Bauer / Regieassistenz 1: Chiara Nassauer / Regieassistenz 2. Karolin Dieckhoff / Inspizienz: Robert Stark / Soufflage: Beate Leclercq / Bühnenmeister: Paul Discher / Beleuchtungsmeister: Hermenegild Fietz / Ton & Video: Martin Zwiehoff / Requisite: Anette Seidel-Rohlf, Kristiane Szonn Stephan Weigelin als Jago 7 Über William Shakespeare *vermutlich geboren am 23.04.1564 in Stratford upon Avon, eine Stadt in der englischen Grafschaft Warwickshire, als Sohn eines gutsituierten Handschuhmachers. --1582 1583 1585 Über Kindheit und Jugendzeit ist nichts bekannt Heirat mit der Gutstochter Anne Hathaway Geburt der ersten Tochter Susanna Geburt der Zwillinge, Sohn Hamnet und Tochter Judith 1584-1592 Die verlorene Zeit (Informationen aus dieser Zeit sind nicht belegt und beruhen auf Vermutungen und Legenden) 1587 Umzug nach London und Beteiligung als Dramatiker, Regisseur und Schauspieler in einer der beiden führenden Londoner Theatertruppen Wird bereits als erfolgreicher Schauspieler und Dramatiker erwähnt Widmung seiner Poeme Venus und Adonis und Lucrece an den Grafen v. Southampton Teilhaber der Theatergruppe Chamberlain´s Men (später: King´s Men) Verleih eines Familienwappens an William Shakespeare Kauf eines Hauses in Stratford Teilhaber des neuerrichteten Globe Theatre in London Erwerb des Blackfriars Theatre. Hier konnte in einem geschlossenen, intimeren Saal gespielt werden Wohlfeiler Verkauf der Theater-Anteile und Rückzug nach Stratford Tod William Shakespeares in seinem Geburtsort Stratford-upon-Avon Veröffentlichung einer umfangreichen Gesamtausgabe seiner Werke „First Folio“ von seinen ehemaligen Schauspielerkollegen1 1592 1593 /94 1594 1596 1597 1599 1608 1610/11 1616 1623 Charakteristika zum Autor Shakespeare Während in der antiken Tragödie der Mensch am auferlegten Schicksal zerbricht, trägt er bei Shakespeare den Konflikt in seinem Inneren aus und scheitert am Gegensatz von Verstand und Leidenschaft. Neu ist auch die realistische, individualisierende Darstellung des Menschen. Kein anderer neuzeitlicher Dramatiker hat das europäische Theater so nachhaltig beeinflusst wie Shakespeare. Seine Dramen, Tragödien und Komödien wurden bereits zu seinen Lebzeiten hoch geschätzt; im 18. Jahrhundert begeisterten sich Lessing, Herder und Goethe dafür. Die älteste deutsche literarische Gesellschaft wurde 1864 in Weimar mit dem Ziel gegründet, Shakespeares gewaltiges Werk zu erforschen und zu pflegen. 8 Immer wieder wird bezweifelt, dass William Shakespeare die ihm zugeordneten 37 Theaterstücke und 154 Sonette tatsächlich schrieb. Christopher Marlowe, Edward de Vere und Francis Bacon wurden als angebliche Autoren genannt. Brenda James und William Rubinstein behaupten in ihrem 2005 veröffentlichten Buch "The Truth Will Out", nicht Shakespeare, sondern der elisabethanische Diplomat Sir Henry Neville (1562 – 1615), der von seinen Freunden "Falstaff" genannt wurde, habe die Komödien, Dramen und Tragödien verfasst, die wir heute mit den Namen William Shakespeare verbinden.2 2 9 Werke Shakespeare gilt heute als der erfolgreichste Autor der Neuzeit. Schon zu Lebzeiten genoss er höchstes Ansehen, und heute zählt er zu den wichtigsten Autoren der europäischen Kulturgeschichte. Seine wichtigsten Werke sind Romeo und Julia, Ein Sommernachtstraum, Julius Caesar, Othello und Macbeth. 3 Die Komödie der Irrungen Liebes Leid und Lust Die edlen Veroneser Heinrich VI Richard III Titus Andronicus Der widerspenstigen Zähmung Romeo & Julia Richard II Ein Sommernachtstraum König Johann Der Kaufmann von Venedig Heinrich IV Die lustigen Weiber von Windsor Viel Lärm um nichts Heinrich V Julius Cäsar Wie es Euch gefällt Was Ihr wollt Hamlet Troilos und Cresida Ende gut, alles gut Othello Maß für Maß König Lear Macbeth (Übers. Schiller) Antonius und Cleopatra Timon von Athen Coriolanus Perikles Cymbeline Das Winter-Märchen Der Sturm Heinrich VIII 1589-1594 1588-1598 1590-1594 1590-1592 1591-1593 1592-1594 1593-1594 1594-1596 1594-1595 1594-1596 1591-1597 1596-1597 1596-1598 1597-1601 1598-1600 1598-1599 1598-1600 1599-1600 1600-1602 1600-1601 1600-1603 1602-1604 1603-1604 1603-1604 1605-1606 1605-1606 1606-1608 1606-1608 1606-1609 1607-1609 1608-1610 1610-1611 1611 1612-1613 The Comedy of Errors Love´s Labours Lost Two Gentlemen of Verona Henry VI, Part 1,2,3 Richard III Titus Andronicus Taming of Shrew Rome and Juliet Richard II A Midsummer Night´s Dream King John The Merchant of Venice Henry IV, Part II The Merry Wives of Windsor Much Ado about Nothing Henry V Julius Caesar As You Like It Twelfth Night Hamlet Troilos and Cressida All´s Well Thats Ends Well Othello Measure for Measure King Lear Macbeth Anthony and Cleopatra Timon of Athens Coriolanus Pericles, Prince of Tyre Cymbeline Winter´s Tale The Tempest Henry VIII AKTIV - WISSEN Fragen Sie ihre SchülerInnen, ob und welche Werke Sie von Shakespeare kennen. Die genannten Titel schreiben Sie auf die Tafel. Zu jedem Stück soll von den SchülerInnen eine kurze Inhaltsangabe gemacht werden und diese im Anschluss besprochen werden. Über das Stück: Abb. 2 11 Über das Stück Venedig, geschrieben 1603-1600 Othello ist eine Tragödie über Liebe, Intrige und Eifersucht. Das Stück wurde 1603 von William Shakespeare verfasst und am 01.11.1604 uraufgeführt. In der Literatur erschien Othello erstmals 1622. Die deutsche Erstübersetzung erschien im Rahmen der Gesamtübersetzung der bis Dato herausgebrachten Shakespeare Werke in den Jahren 1762 bis 1766. Die erste deutsche Uraufführung erfolgte im Jahr 1766 in Hamburg. 4 Inhalt Jago ist eifersüchtig auf den Schönling Cassio, der an seiner statt zum Leutnant befördert worden ist, und besonders auf Othello, den Schwarzen, den General mit seiner schönen, jungen Braut Desdemona, auf die auch Jago ein Auge geworfen hat. Aus Rache pflanzt Jago das Gefühl der Eifersucht in Othellos Herz. Er überzeugt ihn davon, dass Othellos junge Braut Desdemona ihren Ehemann mit dem schnieken Cassio betrügt. Und Othello, gutgläubig und aufbrausend, fällt auf die Intrige rein. Als Desdemonas verloren geglaubtes Taschentuch sich ausgerechnet bei Cassio wiederfindet, ist für Othello ihre Untreue bewiesen. AKTIV – MACHT & OHNMACHT Die SchülerInnen organisieren sich in Duos. Eine/r jedes Duos hat die Haltung des „Mächtigen“, eine/r der/des „Ohnmächtigen“. Der Ohnmächtige nimmt zuerst eine neutrale Körperspannung an. Der/Die Mächtige ist nun in der Lage, seinen Partner/seine Partnerin mit Handbewegungen (ohne Worte und ohne direkte Berührungen) in Bewegung zu versetzen. Er/Sie zeigt auf Gelenke oder Glieder, welche von dem/der Ohnmächtigen bewegt werden sollen oder deutet an, wie bei einem Marionettenspieler, einen Arm zu heben und zu senken. Es gibt ruckartige und sanfte Bewegungen. Die Bewegungsart gibt der Mächtige vor. Der/Die Ohnmächtige lässt sich wie eine Marionette bewegen und geht den Bewegungen nach. Es kann auch so weit gehen, dass er/sie sich auf dem Boden rollt. Nach einigen Minuten bekommt der Partner/die Partnerin „die Macht übergeben“. Reflektieren Sie in der Gruppe. Wie fühlte es sich an in der Rolle des Mächtigen bzw. des Ohnmächtigen zu sein? 12 AKTIV – INHALT - FRAGE & ANTWORT In dieser AKTIV-BOX sehen Sie 12 Fragen zum Theaterstück. Beantworten Sie sie gemeinsam in der Klasse. Wenn Ihnen die Fragen zu einfach erscheinen, können Sie das Ausscheideverfahren weg lassen. Was war Othellos Beruf? a) b) c) d) Kapitän Kommandant Leutnant General Wofür war Cassio bekannt/was war typisch Cassio? a) b) c) d) er war besonders schüchtern für seine Zuverlässigkeit und Bescheidenheit für seine anziehende Wirkung auf das weibliche Geschlecht er war ein guter Seefahrer Wie hieß die begehrte Tochter des Brabantio? e) f) g) h) Desdemana Desdamona Desderoda Desdemona Wo feierten Othello und seine Angebetete Hochzeit? a) b) c) d) auf Rhodos in der Türkei auf Zypern in Venedig Wer ist der „Chef“ der Venezianer? a) b) c) d) der Gouverneur der Doge der Senator der Großkanzler 13 AKTIV – INHALT - FRAGE & ANTWORT Wie heißt Jagos Frau? a) b) c) d) Adelia Alessia Emilia Cornelia Warum wird Othello zum Dogen gerufen? a) weil er Ärger mit Brabantio hat b) weil er an einer Seeschlacht teilnehmen soll c) weil er befördert wird Wer will die Insel Zypern angreifen? a) b) c) d) das Spanische Königreich Ägypten Frankreich Das Osmanische Reich Was zerstört die Beziehung zwischen Othello und Desdemona? a) b) c) d) Othellos Habgier Desdemonas Untreue Roderigos Intrigen Othellos Eifersucht Wer tötet Desdemona? a) b) c) d) Cassio Othello Jago Roderigo Wie wird Jago am Ende für seine Taten bestraft? a) er wird gehängt b) er wird verhaftet c) seine Frau Emilia ermordet ihn Wie reagiert Emilia, als sie merkt, dass ihr Ehemann gegen Othello intrigiert? a) sie tut nichts, da es ihr egal ist was ihr Mann treibt b) sie ist empört und schockiert c) sie freut sich und unterstützt Jago 14 Rezeptionsgeschichte (anspruchsvoll) Der deutsche Shakespeare: vom Theaterprovokateur zum Opfer der Klassiklegende Wesentliches Merkmal der Shakespeare-Rezeption in Deutschland ist seine Kanonisierung zum dritten deutschen Klassiker im Bunde mit Schiller und Goethe. Die sich in der Statistik der meistgespielten Autoren widerspiegelnde Trias brach erst 1965 auf, als Brecht Schiller und Goethe auf den dritten bzw. vierten Platz verwies. Drei Phasen der Shakespeare-Rezeption bis zum 20. Jahrhundert sind unterscheidbar: Im 18. Jahrhundert führt die Shakespeare Rezeption zur Auseinandersetzung mit der französischen Theaterkultur, durch die das deutsche Theater innovative Ansätze der Darstellungsweise wie auch eine spezifische theatrale Norm gewann. Den kunsttheoretischen Diskurs über Übersetzungen, szenische Dramaturgie und Figurengestaltung, dessen Ziel die verbesserte Schaubühne mit dem Vorbild des Normenkatalogs des französischen Hoftheaters war, kennzeichnet vor allem die wechselseitige Einflussnahme von Theater und Dichtung, wobei die Vorherrschaft klar die Poesie inne hat. Während des Sturm und Drang kam Shakespeare eine provozierende Funktion zu; vor allem seine Strategien der Emotionslenkung bewirkten die Propagierung von freier Wahl der aristotelischen Einheiten, was sich in einer Aussprache gegen das rhetorische Kulissentheater auswirkte. Shakespeares Realismus und sein Talent als Menschenmaler werden erkannt, was eine Eingliederung in die kulturelle Öffentlichkeit bewirkte. Die anschließende Erhebung Shakespeares zum Klassiker suchte die Verbindung des Werkes mit soziokulturellen Aspekten der bürgerlichen Emanzipation. Das Phänomen des Bildungstheaters mit seinen Bemühungen um ein klassisches Weltrepertoire und den Übersetzungen von Schlegel, Tieck und Baudissin ermöglichten eine breitere Rezeption. Dies bewirkte Shakespeares Anerkennung zum Werkstatus und seine Eingliederung in die Kunstwerktheorie durch die Ummodellierung der Sprache. Vor allem Einstreichungen und Zufügungen lassen ihn wie einen klassizistischen Autor wirken. Die Nationalisierung des nun kanonisierten Klassikers erreicht im Nationalsozialismus, nach kurzlebigen Gegenentwürfen in der Weimarer Republik, ihren bisherigen Höhepunkt. Sie beginnt mit Spekulationen über Shakespeares Stammeszugehörigkeit. Nur Kunst, die im Namen des deutschen Geistes für die Ziele der politischen Nation und Einheit wirksam gemacht werden konnte, wurde annektiert und Literatur wurde auf ihre Verwertbarkeit für die Entwicklung des Nationalstaates geprüft. Theater und seine formal ästhetischen Bezüge wurden im Reichskanzleistil inszeniert, dessen ungeachtet entwickelten sich entschiedene Gegenpositionen zu nationalsozialistischen Interpretationsmustern. Aber ein nicht unbeträchtlicher Teil deutscher Forschung prolongiert nationalideologische Deutungen. Shakespeare wurde zum politischen Drama, Fremdes wurde negiert, den Hauptcharakteren wurden stattdessen völkische Merkmale zugegeben. Das Regietheater des 20. Jahrhunderts bemühte sich um eine möglichst aktuelle Deutung des Stoffes, und arbeitet demzufolge die Stücke nach politischer Situation und Zweck der Aufführung um. 5 15 Das venezianische Staatswesen Verfassung der Republik Venedig Die Verfassung der Republik Venedig war im Wesentlichen mit der so genannten Schließung des Großen Rates (serrata) im Jahre 1297 abgeschlossen. Mit der serrata wurde der größte Teil der Bevölkerung dauerhaft von der Teilnahme an der Macht ausgeschlossen und eine oligarchische Herrschaft eines geschlossenen Kreises von Adelsfamilien installiert. Bis zum Ende der Republik 1797 blieb das Regierungssystem in seinen wesentlichen Grundzügen bestehen, allerdings wurde es im Laufe der Jahrhunderte durch Gründung zahlloser Unterbehörden mit wechselnden und nicht immer genau definierten Zuständigkeiten ergänzt. Triebkräfte der Verfassungsentwicklung waren die Verhinderung einer Erbmonarchie sowie das Herstellen der Machtbalance zwischen den einflussreichen Adelsfamilien und den einzelnen Regierungsorganen. Alle Staatsämter, die mit Kompetenzen verbunden waren, wurden nur auf kurze Zeit vergeben, umgekehrt hatten die auf Lebenszeit bestellten Staatsorgane, wie der Doge und die Prokuratoren, kaum Kompetenzen und wurden überdies scharf kontrolliert. Die mit Machtkompetenzen ausgestatteten Organe kontrollierten sich gegenseitig und wurden überdies vom Rat der Zehn überwacht. Die Beschlüsse und Erlasse der Organe wurden von den drei Avogadori di commun auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Kirchliche Amtsträger durften keine Staatsämter in der Republik bekleiden. Bemerkenswert im Vergleich zu Verfassungen moderner Republiken war die nur wenig scharfe Trennung von Legislative und Exekutive, ebenso fließend war die Grenze zwischen Jurisdiktion und Legislative. Die Wirkungskreise wurden mit Absicht nicht abgegrenzt, sondern gesetzgebende, ausübende und richterliche Gewalt von jedem der Magistrate irgendwie geübt. Die Institutionen veränderten und entwickelten sich während der gesamten Geschichte Venedigs. Beachtet wurde dabei stets das Prinzip einer sorgfältigen Austarierung von Macht und gegenseitiger Kontrolle der verschiedenen Gremien; dieses Prinzip halten Historiker als Ursache für die einzigartige Stabilität dieses Staates im unruhigen Europa. Die frühen Institutionen sind mangels Dokumenten nur wenig erforscht, erst ab dem frühen 13. Jahrhundert existieren umfangreiche schriftliche Quellen. Die Verfassung und die Innen- und Außenpolitik sind seit dieser Zeit reich mit Urkunden und verschiedensten schriftlichen Quellen belegt. Lücken gibt es nur wenige. In der Dichte und ihrem Reichtum ist die Quellenlage wohl nur mit der des Vatikans zu vergleichen. Der große Rat Zwischen 1132 und 1148 wurde der Alleinherrschaft des Dogen ein Gremium gegenübergestellt, aus dem sich der Große Rat entwickelte. 1297 kam es zur Schließung des Großen Rates, der so genannten serrata. Hiermit wurde der Zugang zum Großen Rat mit dem Recht aktiver und passiver Wahl des Dogen auf eine feste Anzahl von Familien beschränkt. Diese wurden mit ihren männlichen Nachkommen in das Goldene Buch eingetragen. Die Mitglieder des 16 Großen Rates, des maggior consiglio, gehörtem diesem auf Lebenszeit an. Der Große Rat war keine eigentliche Legislative, musste jedoch zu allen Gesetzesvorlagen gehört werden. Mitglieder Seit dem 13. Jahrhundert gehörten dem Großen Rat die männlichen Familienangehörigen der in der serrata festgelegten Adelsfamilien an, die mindestens 20 Jahre alt waren, später wurde das Alter auf 25 Jahre erhöht. Uneheliche Söhne waren ab 1376 per Gesetz ausgeschlossen. Seit 1315 wurde über die Zugehörigkeit Buch geführt. Neuaufnahmen in den Rat waren selten; nach dem Chioggia-Krieg gegen Genua wurden 30 neue Familien aufgenommen, die so genannten case nuove im Unterschied zu den alten tribunizischen Familien, den case vecchie. Ein letzter größerer Zugang erfolgte im Rahmen der Türkenkriege des 17. Jahrhunderts mit der Aufnahme der case novissime. Zulassung war in Einzelfällen, meistens unter Zahlung erheblicher Summen, möglich. Um 1200 wenig mehr als 40 Mitglieder umfassend, wuchs der Große Rat auf über 2.700 Mitglieder im Jahre 1527 an. Die Mitgliedschaft konnte auch an Nicht-Venezianer ehrenhalber verliehen werden. Rechte und Pflichten Der Große Rat setzte die venezianischen Behörden ein und legte deren Kompetenzen fest. Er konnte Gesetze erlassen. Er wählte den Dogen, die politischen Räte, den Großkanzler und die Behördenleiter. Die hohen Amtsträger (baili und podestà, Botschafter) im Ausland und auf der Terraferma wurden von Großem Rat bestimmt, ebenso der Oberbefehlshaber der Marine und die Galeerenkommmandanten. Es gab keine Anwesenheitspflicht, die wegen der Geschäftstätigkeit der Nobili und ihrer auswärtigen Ämter und Funktionen grundsätzlich nicht möglich war. Das wichtigste Recht des Rates war die Entscheidung über Krieg und Frieden. 6 17 Der Doge Oberhaupt der Republik war der Doge. Die Bezeichnung Doge wird abgeleitet aus dem lateinischen dux (Führer, Feldherr, Fürst), dem Titel für den Befehlshaber einer Grenzprovinz des Römischen Reichs. Nach dessen Ende waren Teile Oberitaliens und Venetiens im Besitz von Byzanz verblieben. Venetien gehörte zum Exarchat von Ravenna, und der Doge war der lokale Stellvertreter des byzantinischen Statthalters. Im Zuge der Eroberung Oberitaliens durch das Langobardische Reich gelangte Venedig in die strategische Position eines Außenpostens von Byzanz. In dieser prekären Lage erreichten die Veneter im Lauf der Zeit eine Ausdehnung ihrer Rechte und eine allmähliche Emanzipation von Byzanz. Nach der Tradition gilt Orso Ipato als erster von der Volksversammlung (arrengo) frei gewählter Doge von Venedig. Nachdem die folgenden Dogen teils in ungeordneten Versammlungen, nach gewaltsamer Vertreibung oder Ermordung des Amtsinhabers bzw. im Zeichen brutaler Geschlechterkämpfe um die Vorherrschaft einer Familie gewählt worden waren und es immer wieder zu Gewaltausbrüche zwischen dem Adel und der Stadtbevölkerung gekommen war, kam es unter dem Dogen Sebastiano Ziani zu einer ersten umfassenden Verfassungsreform. Neben der Konstituierung des Großen Rates, des Kleinen Rates und des Rates des Vierzig wurde eine Wahlordnung erlassen, nach der der Doge nicht mehr durch den arrengo sondern durch Wahlmänner gewählt wurde. 7 Abb.2 Tizian: Der Doge Andrea Gritti 18 Übersicht der venezianischen Türkenkriege bis ins 16. Jahrhundert 1. Venezianischer Türkenkrieg (1423 bis 1430) Venedig, als führende Handels- und Seemacht im Mittelmeer, begann sich mit Hilfe seiner Söldnerheere dem Osmanischen Reich entgegenzustellen, als es seine Handelsinteressen durch die Expansion der Türken in Richtung Adriatisches Meer bedroht sah. Um seine Handelsprivilegien im Osmanischen Reich zu sichern, schloss es jedoch bald wieder Frieden und trat Thessaloniki an die Türken ab. 2. Venezianischer Türkenkrieg (1463 bis 1479) Nach dem Fall Konstantinopels (29. Mai 1453) begannen die Türken mit der Eroberung Griechenlands und vertrieben die Venezianer vom griechischen Festland. 3. Venezianischer Türkenkrieg (1499 bis 1503) Innere Streitigkeiten der Osmanen nutzte Venedig um 1489 Zypern zu erwerben. Trotz der Unterstützung durch Spanien, Portugal, Frankreich, den Kirchenstaat und die Johanniter musste Venedig weitere griechische Städte aufgeben und Tribut zahlen. Belagerung von Rhodos 1522 1523 Der Johanniterorden (vgl. Geschichte des Johanniterordens) hatte sich 1309 auf der Insel Rhodos niedergelassen und kontrollierte von dort den Seehandel im östlichen Mittelmeer. Nach einer ersten vergeblichen Belagerung 1480 landete am 26. Juni 1522 ein großes osmanisches Invasionsheer auf der Insel, um die Herrschaft über das östliche Mittelmeer für das Osmanische Reich zu erobern. Den bis zu 160.000 Invasoren standen wenige Tausend Verteidiger gegenüber. Nach schweren Kämpfen mussten die Johanniter am 22. Dezember kapitulieren und zogen am 1. Januar 1523 ab. 1. Österreichischer Türkenkrieg / 4. Venezianischer Türkenkrieg (1526 bis 1555) Der ungarische König Ludwig II., Adoptivsohn Kaisers Maximilian I., ehelichte 1515 Maria von Habsburg, seine Schwester war wiederum mit Ferdinand I. verheiratet. Um gegen das sich festigende Bündnis vorzugehen, griff Sultan Süleyman der Prächtige die Ungarn an und schlug sie am 29. August 1526 in der Schlacht von Mohács; 26. September–14. Oktober 1529 kam es zur 1. Belagerung Wiens, die schlechte Versorgungslage zwang die Türken jedoch zum Rückzug; 1537 trat Venedig in den Krieg ein, 1538 wurde seine Flotte, unter Andrea Doria, in der Seeschlacht vor Prevesa von den Türken geschlagen; Venedig schloss, wiederum um seine Handelsprivilegien zu retten, 1540 einen Separatfrieden, in dem es Gebiete in Dalmatien, die Ägäis und die letzten Städte auf Morea (Peloponnes) an die Türken abtrat; 1552 Sieg der Osmanen über die Österreicher bei Palast; das Königreich Ungarn wurde dreigeteilt, der spätere Kaiser Ferdinand I. musste einen jährlichen Tribut von 30.000 Dukaten an die Osmanen zahlen. 19 5. Venezianischer Türkenkrieg (1570 bis 1573) 1570 eroberten die Türken Zypern; Spanien, der Kirchenstaat und Venedig schlossen sich am 20. Mai 1571 zur Heiligen Liga zusammen. Ihre Flotte unter Don Juan de Austria schlug die Osmanen am 7. Oktober 1571 in der Seeschlacht von Lepanto. Trotz des Sieges schloss Venedig 1573 einen Separatfrieden, verzichtete auf Zypern und zahlte 300.000 Dukaten an das Osmanische Reich. 8 20 DAS BÖSE von Terry Eagleton „…Das Böse ist absolut zwecklos. Etwas so triviales wie ein Zweck würde seine tödliche Reinheit beflecken. Insofern ähnelt das Böse Gott, der, sollte sich erweisen, dass es ihn gibt, absolut keinen Grund dafür hätte. Er ist sich selbst der Grund seines Seins. Auch er hat das Universum einfach zum Spaß erschaffen, nicht zu irgendeinem Zweck. […] Das andere große Shakespearesche Beispiel für ein Böses, das jeden Zweck vermissen lässt, ist Jago in Othello. Jago nennt verschiedene Motive für seine Abneigung gegen den Mohren, so wie Shylock für seinen Widerwillen gegen Antonio im Kaufmann von Venedig. Doch in beiden Fällen scheinen die genannten Gründe merkwürdig unzureichend für die Heftigkeit des Hasses. Außerdem liefern die beiden Männer ein verdächtiges Überangebot an Motiven, als versuchten sie, eine Leidenschaft zu rationalisieren, die sie selbst nicht so ganz begreifen können. Man kommt dahin, den Ursprung für Jagos Feindschaft gegenüber Othello in seinem Nihilismus zu suchen. Jago ist ein Zyniker und Materialist, der an nichts als Wollen und Begehren glaubt und alle objektiven Werte für belanglos hält: „Tugend! Abgeschmackt! – In uns selber liegts, ob wir so sind oder anders. Unser Körper ist ein Garten und unser Wille der Gärtner ...Die Welt ist nicht mehr als bildsamer Stoff, den der allmächtige individuelle Wille nach Belieben formen kann. Das gilt auch für das Böse selbst. Menschen sind sich selbst gestaltende, sich selbst erschaffende Wesen. Sie orientieren sich lieber an der eigenen Person als an Gott, Natur, Mitmenschen oder objektiven Werten. Etliche der berüchtigten Shakespeare'schen Schurken halten es so. […] Menschen, die sich selbst erschaffen wollen, gleichen der sexuellen Eifersucht, die Jagos Frau beschreibt als ein „Scheusal / Erzeugt von selbst, geboren aus sich selbst. Dingen, die sich selbst hervorbringen oder sich tautologisch mit eigenen Begriffen definieren, haftet nach Shakespeares Vorstellungen etwas Sinnloses und Bösartiges an. Immer wieder taucht dieses Bild in seinen Dramen auf. [...] Othello scheint ganzwesentlich von seinem überhöhten Selbstbild zu leben. Da seine Identität so vollständig nach außen gekehrt ist, hinterlässt er eine Abwesenheit oder Leere, die sein Freund für seine finsteren Zwecke nutzen kann. Aus Jagos Sicht stellt Othello eine prahlerische Charakterfülle zu Schau, die einen inneren Mangel verbirgt. Und dieser Mangel ist paradoxerweise seine Unfähigkeit, einen gewissen Identitätsmangel zu erkennen - eine Instabilität oder Unvollständigkeit seiner Persönlichkeit. Sein überhöhtes Selbstbild erspart Othello die Auseinandersetzung mit seinem inneren Wesen. Jago dagegen sagt von sich: „Ich bin nicht, was ich bin! - was heißen soll, dass sein Selbst im Gegensatz zu dem Othellos, das mehr oder weniger identisch mit seinem öffentlichen Bild als Krieger ist, nur eine leere Ergänzung der Maske ist, die er in der Welt jeweils präsentiert. Jago läßt sich nur negativ definieren - als das Andere dessen, was er jeweils zu sein scheint. Das Gleiche gilt für seinen Kommentar: „Denn ich bin nichts, wenn ich nicht lästern darf. Wie ein Kritiker hat er eine parasitäre Beziehung zur Kreativität, die er heimlich verachtet. Da es ihm an einer robusten Identität fehlt, ist er ein Schauspieler, ein bloßer Darsteller - er lebt nur, wenn er das Selbst anderer untergräbt. So kommt es, dass Jago, von Othellos scheinbar bruchloser Identität bis aufs Blut gereizt, entschlossen ist, sie zu demontieren. […] 21 Da die Dinge zum Leidwesen des Bösen nun einmal existieren, kann es allenfalls den Versuch unternehmen, sie zu vernichten. Die Schöpfung aus dem Nichts kann nur das Werk einer absoluten Macht sein. Doch dem Zerstörungsakt wohnt etwas fast ebenso Absolutes inne. Wie ein Schöpfungsakt lässt sich auch ein Zerstörungsakt nie wiederholen...“ 9 22 Wo fängt Rassismus auf der Bühne an? Abb.3 Bei der Premiere von Dea Lohers „Unschuld“, inszeniert von Michael Thalheimer im Deutschen Theater, erheben sich 42 Zuschauer und verlassen wortlos den Saal. Auf der Bühne standen die Schauspieler Peter Moltzen und Andreas Döhler mit schwarz geschminkten Händen und Gesichtern und dick rot geschminkten Lippen. Hinterher verteilen die Ausgezogenen im Foyer Flugblätter, auf denen sie gegen die rassistische Praxis des „Blackfacing“ protestieren. Das Schwarz-Schminken weißer Schauspieler entstamme einer „kolonialhistorischen Vergangenheit“, entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts in den amerikanischen Minstrel-Shows, übernommen in Deutschland, in Karnevalsumzügen und Filmen, um schwarze Menschen in herabwürdigender Absicht darzustellen. Und tatsächlich konnte man sich fragen, wieso eigentlich werden „schwarze“ Figuren auf dem deutschen Theater in der Regel von weißen Schauspielern und Schauspielerinnen gespielt? Das Schlossparktheater hatte im Januar in einer ersten Erwiderung auf die Proteste darauf hingewiesen, dass es in Deutschland schwierig sei, schwarze Schauspieler fest zu engagieren und zu besetzen, da es einfach nicht genug Rollen für sie gebe. Ziemlich töricht das, weil man natürlich fragen muss, wieso schwarze Schauspieler nicht für jede Rolle in Frage kommen? Theater, sagte Intendant des Deutschen Theaters Ulrich Khuon in einem DeutschlandradioInterview, sei seit Jahrtausenden nicht nur „ein Darstellen des Eigenen“, sondern erzähle immer auch etwas „über den anderen“. Wenn im Deutschen Theater weiße Schauspieler, schwarz geschminkt, zwei schwarze Illegale spielten, werde dieses „verfügende Nachdenken über den anderen“ dargestellt, aber gleichzeitig auch kritisiert. Und natürlich hatte er Recht. (…) Die Authentizität einer Figur, einer Darstellung erweist sich nicht durch die korrekte Hautfarbe, sondern im Spiel. Nicht die Lebenserfahrung der „Person of Colour“ im diskriminierungsfreudigen, um nicht zu sagen: rassistischen Deutschland beglaubigt die Überzeugungskraft einer Theaterfigur, sondern die Nuanciertheit, die Qualität von Spiel und Inszenierung. 23 Und trotzdem hat das Deutsche Theater und das Theater in Deutschland mit seiner vorherrschenden Praxis, weiße Schauspieler schwarz zu schminken, ein Problem. Denn das Theater befindet sich nicht im luftleeren, sondern im politischen Raum. Und dort ist es nicht üblich, dass der Kritisierte selbst darüber entscheidet, ob Kritik zulässig ist oder nicht. Das Theater ist als Teil der Gesellschaft, als ein Mittel der Verständigung der Gesellschaft über sich selbst, ständig auf die Gesellschaft bezogen. Deshalb ist es ja auch hierzulande so gerne aktiv, wenn es darum geht, Figuren aus dem überkommenen Dramenkanon die heuchlerische bürgerliche Maske abzureißen. Aber warum erleben wir auf den Bühnen neuerdings zwar mehr und mehr Schauspieler mit türkischem, belgischem, holländischen „Migrationshintergrund“, aber fast nie schwarze Schauspieler? Gibt es vielleicht keine schwarzen Darsteller? Was immerhin als Begründung höchst merkwürdig klänge, versammeln sich doch etwa in der Berliner Gruppe Label Noir afro-deutsche Schauspieler, von denen drei zur Zeit im Staatstheater Mainz in der Bruce Norris-Produktion „Die Unerhörten“ auf der Bühne stehen. Apropos Bruce Norris: Der texanische Autor hatte dem Deutschen Theater im Januar untersagt, sein Stück „Clybourne Park“ auf den Spielplan zu setzen, weil das Theater die Rolle einer afro-amerikanischen Frau mit einem weißen Ensemblemitglied besetzen wollte. Für die andere afro-amerikanische Figur war der Schauspieler bereits engagiert worden. Ernest Allan Hausmann, ein Deutscher mit schwarzer Haut, spielt inzwischen in Rafael Sanchez Inszenierung „Die Kommune“ mit. Eine „weiße“ Figur. Ganz normal. So normal wie die „türkisch-stämmigen“ Kommissare und „migrationshintergründlerischen“ Stand Up-Comedians, die sich sogar das, vom Theater gerne als geistig hinterwäldlerisch verachtetes Privatfernsehen seit geraumer Zeit leistet. Höchste Zeit, dass diese farbenblinde Normalität sich auch als Normalität im deutschen Theaterbetrieb durchsetzt. 10 AKTIV - DISKUSSIONRUNDE Lesen Sie mit der Klasse den Zeitungsartikel. Diskutieren Sie über das Thema. Was denken Sie / was denken die SchülerInnen darüber? Gibt es Möglichkeiten / Ideen, das Problem „zu wenig Schwarze auf deutschen Bühnen“ in Zukunft zu vermeiden? Ist es Rassismus, einen Weißen/eine Weiße dunkel anzumalen und ihn/sie vor dem Publikum spielen zu lassen? 24 Themenbezogene Projektarbeiten Othello beinhaltet als Stückvorlage wie auch auf der Bühne eine ganze Reihe an unterschiedlichen Themen und Themenfeldern. Die folgenden Felder stellen eine lose Sammlung von Begriffen dar, die assoziativ solche Themen benennen. Passend zu diesen Begriffen gibt es eine Reihe von Übungen, die Ihnen hier erklärt werden. Liebe Treue & Verrat Kameradschaft Kampf Eifersucht Rassismus Macht Gefühl & Verstand AKTIV - THEMENFELD – ALLGEMEIN Wir bieten hier einen kleinen Anreiz zu möglichen Themen aus OTHELLO. Dies sollte aber nicht davon abhalten selbst auf Themensuche in dem Stoff zu gehen: Ergänzen Sie die obigen Themenblöcke mit weiteren Themen, die Ihnen einfallen. Teilen Sie die Klasse in kleinen Gruppen auf. Jede Gruppe bekommt ein Thema zugeteilt, zu welchem Sie ein frei erarbeitetes Projekt machen können. Lassen Sie die SchülerInnen wählen, welche Art von Projekt sie erarbeiten möchten. Unsere Beispiele: a) Theaterspielen b) Schreiben c) Interview d) Fotografie e) Bildende Kunst f) Performance Am Ende der Erarbeitungszeit werden die Ergebnisse mit dem gesammelten Material gegenseitig präsentiert. Der Interviewer/die Interviewerin zeigt das dokumentierte Interview, der Schreiber/die Schreiberin liest oder zeigt seine/ihre Geschichte, der Fotograf/die Fotografin gesammelte Fotos, der Theaterspieler/die Theaterspielerin eingeübte Szenen und der Performer/die Performerin seine/ihre geprobte Performance. Wie viel Zeit den SchülerInnen zur Verfügung steht, liegt ganz an Ihrem Lehrplan und der Zeit, die Sie zur Verfügung haben. 25 Diese Übung fordert Disziplin und Konzentration. Hier geht es nämlich darum, den Kopf auszuschalten. Jeder Schüler/jede Schülerin hat ein weißes Blatt und einen Stift zur Hand und hält mindestens 1 Meter Abstand zum Nachbarn/zur Nachbarin. Geben Sie eines der auf der vorigen Seite aufgeführten Schlagwörter in die Gruppe hinein. Sofort nimmt jeder Schüler/jede Schülerin den Stift in die Hand und fängt an zu schreiben ohne den Stift abzusetzen und ohne darüber nachzudenken, was geschrieben wird. Stoppen Sie nach 3 Minuten die Zeit. Der Satz darf noch zu Ende geschrieben werden, danach legt jede/jeder den Stift weg. Wichtig dabei ist, dass die Schüler die klare Anweisung bekommen, dass sie ihren Gedanken freien Lauf lassen sollen und sie den Zettel NICHT abgeben müssen. Wer möchte, darf am Ende der Übung seine Geschichte vorlesen. 26 Zitate-Rätsel „Ich bin nicht, was ich bin.“ - Jago "Und wer kann sagen, ich spiel hier den Schurken?" - Jago „Wenn jedem Sturm solch sanfte Stille folgt, dann blast, ihr Winde, bis ihr die Toten weckt!" - Othello - Jago „Bosheit zeigt nach und nach erst ihr Gesicht." - Jago „Luftige Nichtse sind für die Eifersucht beweiskräftig wie´s Evangelium." - Jago „Könnte die Erde schwanger sein von Weibertränen, kröch aus jedem Tropfen, den sie weint, ein Krokodil!“ - Othello „Ich bin einer, der Euch sagen will, dass Eure Tochter und der Schwarze grad eben das Tier mit den zwei Rücken machen." - Jago AKTIV - ZITATE Was will der Dichter damit sagen? Die alte Sprache ist oft nicht leicht zu verstehen. Manchmal muss man sich die Sätze 2oder 3-mal durchlesen, um dahinter zu kommen, was gemeint ist. Oben sind Zitate aufgelistet, die während dem Theaterstück gesprochen wurden. Die SchülerInnen tun sich in 2er Gruppen zusammen, lesen sich die Sätze durch und überlegen, welche Aussage dahinter steckt. Ist jeder Satz sofort verständlich oder müssen wir das Wort erst untersuchen um einen Zusammenhang zu erkennen? In welcher Situation und von wem sind die Sätze gefallen? Können sich die SchülerInnen erinnern? 27 AKTIV – TEXT BEIM SPIEL Lassen Sie jeweils zwei Freiwillige einen Dialog aus dem Stück sprechen. Überlegen und probieren Sie in der Gruppe aus, welchen Tonfall das Gespräch haben kann. Lassen Sie die SchülerInnen in verschiedenen Stimmungen und Intentionen sprechen und werten Sie am Ende aus, welche Variante die stimmigste war und warum. Wechseln sie die SpielerInnen nach jedem Versuch aus, damit möglichst viele spielen können und jede Szene an Charakter gewinnt. Beispiel: vertraut ängstlich wütend müde verliebt launisch flüsternd ungeduldig schnell singend flatternd laut gelangweilt verunsichert Sehen Sie selbst, dass zwei unterschiedliche Emotionen in einem Dialog eine größere Wirkung, als eine Haltung für beide Sprecher, erzeugt. Teilen sie die Klasse in Gruppen auf und verteilen Sie jeder Gruppe eine ausgewählte Szene unseres Stücktextes. Es gibt nun die Aufgabe sie innerhalb von 30 Minuten szenisch umzusetzen. Jede SchülerIn soll beteiligt sein und seine/ihre Position in der Szene finden. Wenn die Zeit abgelaufen ist, wird jede Szene nacheinander vorgestellt. Wichtig ist nicht, dass die Szene wie im Theater gesehen umgesetzt wird. Spannend kann auch eine andere Variante der Darbietung sein, zumal die Anzahl der SpielerInnen anders sein wird. 28 Die Eifersucht von Jasmin Andresh Eifersucht lässt Menschen Dinge tun, die ihnen normalerweise nie in den Sinn kämen: Sie spionieren ihrem Partner hinterher oder werden gar gewalttätig. Warum? Forscher streiten über den Ursprung des heftigsten unserer Gefühle. Frank ballt die Hand in der Tasche zur Faust, als er sieht, wie der attraktive Kerl auf der Party seine Freundin anbaggert. Paula surft stundenlang auf den Facebook-Seiten ihres neuen Lovers und sucht nach Grußbotschaften seiner Ex. Und schon die zweijährige Mia fühlt Zorn in sich aufsteigen, wenn Mama ein fremdes Baby auf den Arm nimmt. Eifersucht kennen wohl die meisten von uns. Sie ist ein altes Menschheitsthema, der Stoff, aus dem Dramen und Tragödien gestrickt sind. Wer von ihr geplagt wird, sieht seine Verbindung zu einer anderen Person oder den eigenen Stellenwert gefährdet, sei es beim Partner, bei der besten Freundin oder bei der eigenen Mutter. Die Betroffenen erleben eine ganze Bandbreite an Gefühlen von Angst und Traurigkeit bis hin zu blanker Wut, oder sie ergehen sich in Selbstzweifeln. Doch die Frage, warum dieses heftige Gefühl überhaupt existiert, gibt Forschern immer noch Rätsel auf: Ist Eifersucht womöglich nur ein Zeichen für eine intakte soziale Beziehung? Oder folgen die Wutausbrüche betrogener Ehemänner und -frauen einem alten evolutionären Schema, das sich einst im Lauf der Menschheitsgeschichte als nützlich erwiesen hat? Auf der Suche nach Antworten rücken Psychologen dem partnerschaftlichen Argwohn immer systematischer zu Leibe. Psychologen sagen, nicht immer ist ein reales Ereignis der Anlass für Vertrauenskrisen. Oftmals existiert die Bedrohung ausschließlich in unserer Vorstellung. Bei einem Test zeigte sich, dass Menschen auf solche realen Bedrohungen ausgeprägter reagieren, wenn ihre Partnerschaft durch große gegenseitige Abhängigkeit und tiefes Vertrauen zueinander geprägt ist. Eifersucht "auf Verdacht" hingegen hing weniger mit der Beziehungsqualität, sondern stärker mit den Persönlichkeitseigenschaften der Befragten zusammen. Unsichere Probanden und solche mit einem niedrigeren Selbstwertgefühl hegten ihrem Partner gegenüber häufiger ein unbegründetes Misstrauen. Ein niederländisches Forscherehepaar kam auf das Ergebnis, dass gerade diese argwöhnischängstliche Eifersucht auch die Qualität einer Beziehung besonders negativ zu beeinflussen scheint. Ob sich Eifersucht um einen bloßen Verdacht oder um eine reale Bedrohung der Partnerschaft handelt, beeinflusst auch maßgeblich die Gefühlslage der Betroffenen. Das fand die Psychologin Annette Schmitt von der Universität Oldenburg bereits 1996 in einer Befragung heraus. Hatten die Eifersüchtigen das Gefühl, zu Gunsten einer dritten Person vernachlässigt zu werden, stand Wut im Vordergrund, gefolgt von Selbstzweifeln. War der Partner tatsächlich untreu, so verspürte die Mehrheit vor allem Trauer. Wer jedoch lediglich einem vagen Verdacht folgte, hatte vor allem Angst - nämlich davor, dass sich die Vermutung bestätigen könnte. Psychologen führen Eifersucht häufig auf gesellschaftliche Normen zurück, nach denen eine Partnerschaft als exklusiv gilt und romantische Gefühle nicht teilbar sind. Eine Umfrage an jungen Erwachsenen und ihre Ansprüche an den Partner zeigte folgendes Ergebnis: Der ideale Lebensgefährte sollte uns "ausschließlicher" und länger lieben als wir ihn; auch in puncto Treue müsste er mehr aufbieten können als wir selbst. Vermutlich, so der Forscher, Vermutlich, so die Forscher, dienten diese überzogenen Ansprüche als Absicherung - auf diese Weise laufe man nicht Gefahr, der stärker liebende Partner zu sein und dadurch leichter emotionale Verletzungen zu erleiden. 29 Andere Forscher gehen eher davon aus, dass ein solcher Absolutheitsanspruch gegenüber den engsten Bezugspersonen angeboren ist und schon in frühester Kindheit unsere Beziehungen prägt. Einer der ersten Wissenschaftler, der dies beobachtete, war Charles Darwin (1809 1882). 1877 publizierte der Naturforscher ältere Aufzeichnungen über seinen Sohn William, der bereits im Alter von 15 Monaten eifersüchtig reagiert hatte, sobald der Vater sich intensiv um eine große Puppe kümmerte. Über 100 Jahre später bestätigen Forscher um Sybil Hart von der Texas Tech University in Lubbock diese Beobachtung in systematischen Studien. 2004 stellten sie fest, dass Babys schon im Alter von gerade einmal sechs Monaten ein weinerliches Gesicht aufsetzen und versuchen, die Aufmerksamkeit der Mama zu erlangen, wenn diese eine lebensechte Babypuppe hätschelt. Widmete die Mutter ihre Aufmerksamkeit dagegen einem Bilderbuch, ohne das eigene Kind zu beachten, verhielt sich der Nachwuchs weitaus entspannter. "Dass Eifersucht schon bei so kleinen Kindern auftritt, legt nahe, dass es sich weniger um eine erworbene Charaktereigenschaft als vielmehr um eine angeborene Strategie handelt", folgert Hart aus ihren Studien. Möglicherweise liege hier auch die Wurzel für Eifersüchteleien unter Erwachsenen, meint die Psychologin. Denn das Gehirn eines eifersüchtigen Kindes zeigt dieselbe Reaktion wie das eines Erwachsenen. Dass frühkindlicher Konkurrenzkampf sich auf das Erwachsenenleben prägt, zeigt ein Ergebnis einer weiteren Forschung: Wer von seinen Eltern rückblickend ähnlich viel Aufmerksamkeit erhalten hatte wie seine Geschwister, verfügte über ein stärker ausgeprägtes Selbstwertgefühl und empfand weniger Stress in seinen Liebesbeziehungen. War die Kindheit jedoch von Ungerechtigkeit und damit Eifersüchteleien geprägt, litten darunter das Selbstbild und die Qualität der Partnerschaften im Erwachsenenalter - erstaunlicherweise nicht nur bei den benachteiligten Geschwistern, sondern genauso bei jenen, die sich selbst als bevorzugt empfunden hatten. Für ein Kind mag, etwa wenn Nahrungsmittel knapp sind, ein Geschwisterchen tatsächlich eine Bedrohung darstellen. "Eifersüchtiges Verhalten dient dann dazu, sich die Aufmerksamkeit der Eltern zu sichern", so Hart. Dieses Programm werde selbst dann abgespult, wenn sich die Eltern redlich bemühen, allen dieselbe Zuwendung zuteilwerden zu lassen. Ob auch die Eifersucht unter Erwachsenen einer evolutionären Logik folgt, darüber streiten Wissenschaftler noch. In einigen Tests erwies sich, dass Männer und Frauen unterschiedliche Vorstellungen von Eifersucht haben. Männer reagieren sensibler auf die körperliche Untreue, Frauen hingegen ging die emotionale Untreue näher. Auffällig ist aber, dass das Ergebnis des Geschlechterunterschiedes umso geringer ausfällt, je höher die Schulbildung der Probanden ist. Die Forscher führen das darauf zurück, dass Menschen mit niedrigerem Bildungsstand vermutlich eher dazu neigen, gesellschaftlich vorgegebene Rollenmuster zu übernehmen. Selbst wenn es also einen angeborenen Unterschied in Sachen Eifersucht geben sollte, scheinen die Erziehung und die aktuellen Lebensumstände noch ein gewichtiges Wörtchen mitzusprechen. Nicht zu unterschätzen ist, dass Eifersucht oft zu absurden Reaktionen führt, die eine Partnerschaft stark belasten oder zu deren Ende führen können: von ständigem Misstrauen, dem Durchwühlen der Taschen und Durchstöbern der E-Mails des Partners bis hin zu gewaltsamen Ausbrüchen. Insgesamt scheinen Frauen ihre eifersüchtige Aggression eher gegen den eigenen Partner zu richten, während Männer vorzugsweise ihre Rivalen angreifen. 30 Aus welchen Gründen auch immer Menschen eifersüchtig werden: Etwas Gelassenheit kann uns und unseren Beziehungen nur guttun und dabei helfen, die Pizza der Partnerin mit ihrem Kollegen/ Kumpel oder die Unterhaltung des Freundes mit einer Fremden als das zu sehen, was sie tatsächlich sind. Ganz im Sinne des weisen König Salomon, der sagte: "Ein gelassenes Herz ist des Leibes Leben, aber Eifersucht ist Eiter in den Gebeinen." 11 AKTIV – FIGUREN JAGO & OTHELLO Erstellen Sie in der Gruppe zwei Listen. Eine ist OTHELLO, die andere JAGO zugeordnet. Auf den Listen schreiben Sie den Grund/die Gründe auf, warum sie die Eifersucht gepackt hat. Ist das Gefühl für die SchülerInnen nachvollziehbar? Ist die Reaktion der eifersüchtigen Figuren nachzuvollziehen? AKTIV – GESPRÄCHSTHEMA Fragen Sie Ihre SchülerInnen: Kennt ihr Situationen, in denen ihr eifersüchtig wart? Kennt ihr Geschichten von anderen, die Eifersucht hervorgerufen haben? Was war die Auswirkung? AKTIV – ROLLENSPIEL Bereiten Sie eine Bühnensituation vor. Es gibt den Spieler-Bereich (Bühne) und den Zuschauerbereich (Publikum). Suchen Sie eine der unten aufgelisteten Situationen raus und lassen sie sie von beliebig vielen Schülern/Schülerinnen nachspielen. Sie bestimmen auch, wie die Geschichte weiter geht. Danach folgt ein kleiner Gesprächskreis zwischen Publikum und SpielerInnen, bei dem Fragen und Anregungen gestellt werden können. „Was ist geschehen?“ / „Wie hätte das Ende anders ausgehen können?“ / „Wer war im (Un)Recht?“ / „Warum hat die Person so reagiert?“ Sie nehmen die Rolle des Morderators/der Moderatorin an, der/die das Gespräch ein- und ausleitet. Lassen Sie die Szene noch einmal bis zu dem Punkt spielen an dem die Situation beeinflusst werden kann. Die Schüler gehen ins Freeze und andere SchülerInnen lösen die Rolle/n ab um die Szene anders enden zu lassen. Ist das Ende besser für alle Beteiligten? Lassen Sie die SchülerInnen so viele Varianten wie möglich ausprobieren, um zu einem „passenden“ Ergebnis der Konfliktlösung zu kommen. (Freeze: Ein Freeze bedeutet das Stoppen einer Bewegung in der man sich befindet. Man friert sozusagen ein.) 31 AKTIV – ROLLENSPIEL Mögliche Situationen: 1) Ein Mann und eine Frau sind ein Paar. Sie fragt ihn, ob sie am Abend zusammen essen wollen. Er sagt, er muss leider länger arbeiten und vertröstet sie. Am Abend in der Stadt trifft sie ihn an. Er sitzt in einem Café mit einer anderen Frau. Wie geht die Geschichte weiter? 2) Person A hat einen Fallschirmsprung gewonnen. Er darf noch eine Person mitnehmen, muss sich aber schnell entscheiden. Vor ihm stehen seine beiden besten Freunde/Freundinnen B und C. Er sagt schnell und laut „Person C!“. Wie nimmt B die Entscheidung auf? Warum hat sich A für C entschieden? 3) Das Sportfinale der Volleyballmannschaft/des Fußballclubs beginnt. Es wird ein neuer Teamleiter/Teamleiterin gesucht, da der vorherige/die Vorherige in die Nachbarstadt zieht. A wünscht sich schon lange, Teamchef/in zu sein. Der Teamleiter/die Teamleiterin verkündet das Ergebnis: Neue/r Teamchef/in wird B. Was geht in A vor? Was kann/soll er/sie tun, damit er/sie sich besser fühlt? Stephan Weigelin als Jago, Max Rohland als Othello & Gunnar Seidel als Cassio 32 Die zwei Paradoxe des Othello Im OTHELLO stößt uns vieles zurück. Vor allem das, was noch vor kurzem als das Wertvollste galt. »Das Beste, wenn auch nicht das größte« Drama Shakespeares, schreibt M. R. Ridley, der Kommentator und letzte Herausgeber von OTHELLO in THE ARDEN SHARESPEARE.4 Und er fügt hinzu: »Jedenfalls das beste Stück von Shakespeare im theatralischen Sinn. « […] Der tragische Teil ähnelt einer blutigen Farce, chaotisch und verworren, sinnlos und geschmacklos. « Sehr ähnlich mußte Ducis OTHELLO interpretiert haben, dessen Adaptation 1792 in Paris aufgeführt wurde. […] Zum zweiten Mal wurde OTHELLO 1829 in Frankreich aufgeführt, in der Übersetzung von Alfred de Vigny; der MOHR VON VENEDIG bahnte HERNANI den Weg. Von nun an erwies sich OTHELLO als dasjenige Stück von Shakespeare, das dem Geist des 19. Jahrhunderts am nächsten stand. OTHELLO wurde jeder Art von Theater im 19. Jahrhundert gerecht. […] Die Tragödie der Eifersucht paßte vorzüglich sowohl zur englischen Haustragödie mit der bürgerlichen Desdemona in der Nachthaube, die ein Erbe des 18. Jahrhunderts war, wie zum romantischen Melodrama, in dem der Titelheld bald ein urwüchsiger und leidenschaftlicher Neger, bald ein edler und erhabener Nachfahre arabischer Könige war. Ein so interpretierter OTHELLO war eigentlich schon die fertige >orientalische< Oper, die nur noch auf ihren Komponisten wartete. Verdi schrieb sie im Jahr 1887, und es dürfte kein Zufall sein, daß sein OTHELLO zu einem der wenigen echten Erfolge in der Geschichte der Veroperungen Shakespeares wurde. […] Nach der Oper kam dann ein Roman, nach Verdis OTHELLO, der OTHELLO von Dumas. Doch gerade in der Roman-Version zeigten sich plötzlich alle Willkürlichkeiten, Unklarheiten und Widersprüche der Fabel. Die Shakespeare-Forscher kannten sie längst; Granville-Barker und Stoll haben gerade am Beispiel OTHELLOS die Simultaneität beider Shakespearescher Uhren gezeigt. Die Nacht der Eifersucht dauert nur für Othello von Mitternacht bis zum Morgengrauen; Jago, Rodrigo und Desdemona brauchen Wochen, um die Handlung sich entwickeln zu lassen. Erst muß Desdemona die physische Möglichkeit des Ehebruchs gegeben werden; das aus Zypern kommende Schiff mit der Nachricht vom Sieg muß Venedig, das zweite, aus Venedig mit der Ernennung des neuen Gouverneurs, muß Zypern erreichen können. […] II In was für einer Landschaft spielt sich die Tragödie ab? Die Frage scheint unsinnig. Der erste Akt spielt in Venedig, die vier weiteren auf Zypern. Venedig und Zypern zeigte bereits das romantische Theater mit Hilfe der offenen Bühnenverwandlung, später hatte es den Anschein, als könne die Drehbühne die letzten Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Jeder Aufzug konnte sein eigenes Bühnenbild haben. Das englische Theater des beginnenden 19. Jahrhunderts spielte OTHELLO mit Vorliebe in bürgerlichen Innenräumen, erst später wurde OTHELLO zu einem historischen Kostümstück. Das naturalistische Theater baute einen ganzen Markus-Platz auf der Bühne auf: OTHELLO ist mit der Szenographie des 19. Jahrhunderts so verwachsen, daß man sich das Stück von allen Stücken Shakespeares wohl am schwersten auf einer leeren Bühne vorstellen kann. Doch Venedig und Zypern sind hier genauso unverbindlich wie die Städte und Länder in allen anderen Tragödien und Komödien Shakespeares. 33 […] In Wirklichkeit spielt OTHELLO genauso wie alle anderen großen Tragödien Shakespeares ausschließlich auf der elisabethanischen Bühne, die das theatrum mundi ist. Auf eben dieser Bühne gerät die Welt wie in HAMLET und in KÖNIG LEAR aus den Fugen, bricht das Chaos ein, und gefährdet ist selbst die Ordnung der Natur. […] Selbst das Firmament ist erschüttert. Die Himmelssphären sind aus dem Gleichgewicht. Es ist, wie wenn der Wahnsinn von den Sternen auf die Menschen niederkäme. […] Die gleichzeitige Sonnen- und Mondfinsternis ist die Vision des Weltuntergangs in der barocken Malerei. Über Othello bricht die Nacht herein. Eine Nacht, die nicht nur ohne Sonne und ohne Mond ist. In ihr ist wie in KÖNIG LEAR und in MACBETH der Himmel leer. […] Ähnlich wie KÖNIG LEAR und wie MACBETH ist OTHELLO die Tragödie eines Menschen unter leerem Himmel. Im Finale wird Jago auf die Folter bank geführt. Aber in Wirklichkeit ist Othello der Gefolterte, vom zweiten Akt an bis zum Schluß. Wie Lear, wie Macbeth, wie Gloster steigt er immer tiefer hinab. Das ist jenes »Ende einer Reise«, »journey's end«. Wie Lear, wie Gloster, wie Macbeth wird Othello in eine Endsituation gebracht. Er kostet eine der menschlichen Erfahrungen bis zur Neige aus OTHELLO ist wie KÖNIG LEAR und MACBETH ein Lot, eine Sonde bis auf den Boden der Finsternis. Die elementaren Fragen nach Sinn oder Sinnlosigkeit der Welt können nur auf dem äußersten Boden entschieden werden, dort unten, am Ende der Wanderschaft. G. Wilson Knight war der erste, der die Musik von OTHELLO zeigte. Aber er sprach dem Stück die Universalität ab. Verglichen mit KÖNIG LEAR und MACBETH war OTHELLO für ihn ein Drama, das keinen Symbolrang erreicht und in seiner Wörtlichkeit eingeschlossen bleibt. Für Knight war OTHELLO keine kosmische Tragödie. Trotz der unerträglichen romantischen Diktion ziehe ich das Urteil von Victor Hugo vor: […] »Was ist Othello? Das ist die Nacht. Eine gewaltige fatale Gestalt. Die Nacht ist verliebt in den Tag. Die Finsternis liebt die Morgenröte, der Afrikaner betet die Weiße an. Desdemona ist für Othello die Klarheit und der Wahnsinn. Deshalb verfällt er der Eifersucht so rasch. Er ist groß, ist erhaben, ist majestätisch, er überragt alle, in seinem Gefolge schreiten Bravour, die Schlacht, die Fanfare, das Banner, der Ruhm; ihn umgibt die Glorie von zwanzig Siegen, er ist voller Orden, dieser Othello, er ist schwarz. Die Eifersucht verwandelt den Helden jäh in ein Ungeheuer, der Schwarze wird zum Neger. Es ist, als ob die Nacht dem Tod ein rasches Zeichen gegeben hätte. « […] Othello ist die Nacht... Wenn er die Nacht ist und entschlossen ist zu töten, womit kann er es tun? Mit Gift, Beil, Axt, Messer? Nein, mit dem Kissen. Töten heißt einschläfern. Vielleicht war sich Shakespeare dessen selbst nicht bewußt. Der Schöpfer gehorcht manchmal fast unbewußt seinem Typus, bis zu diesem Grad ist dieser Typus eine Macht. Und deshalb stirbt die der Nacht angetraute Desdemona vom Kissen erstickt, das ihren ersten Kuß empfangen hatte und ihren letzten Seufzer empfängt. « […] 34 III Jago bereitete den Shakespeare-Interpreten stets die größten Schwierigkeiten. Für die Romantiker war er ganz einfach der Genius des Bösen. Aber selbst Mephistopheles muß seine Beweggründe haben. Zumal auf dem Theater. Jago haßt Othello, so wie er alle haßt. Die Kommentatoren haben längst bemerkt, daß dieser Haß eigenartig selbstlos ist. Jago haßt zuerst, die Gründe dafür scheint er später zu finden. Coleridges Formulierung trifft ins Schwarze: »the motive-hunting of a motiveless malignity«, das Böse, das ohne Grund den Gründen des Bösen nachjagt. Verletzter Ehrgeiz, Eifersucht wegen der eigenen Frau, Eifersucht wegen Desdemona, wegen allen Frauen, Eifersucht auf alle Männer, diese unausgesetzte Eifersucht sucht sich immer neue Nahrung und ist nie gesättigt. Aber wenn der Haß eine Begründung für sich sucht, welches sind dann die Gründe des Hasses? Es gibt noch zwei vorzügliche Bezeichnungen für Jago. Carlyle nannte ihn »an inarticulate poet«, Hazlitt: »an amateur of tragedy in real life«. Jago begnügt sich nicht mit dem Entwurf der Tragödie, er will sie auch noch selbst durchführen, verteilt rundum die Rollen und tritt selber darin auf. Jago ist ein teuflischer Regisseur, oder besser: ein machiavellistischer. Seine Beweggründe sind vieldeutig und liegen im Dunkel, seine intellektuellen Argumente sind klar und genau. Er formuliert sie von den ersten Szenen ab. Er monologisiert laut: Our bodies are gardens, to the which our wills are gardeners.* OTHELLO, I, 3 *Unser Körper ist ein Garten, und unser Wille der Gärtner. Der dämonische Jago ist eine Erfindung der Romantiker. Jago ist Dämon. Er ist ein zeitgenössischer Karrierist, wie Richard III. Nur in einer anderen Größenordnung. Auch er will einen wirklichen Mechanismus ins Rollen bringen, wirkliche Leidenschaften ausnutzen. Er will nicht der Betrogene sein. […] Jago ist selbstverständlich ein Machiavellist, aber sein Machiavellismus ist für ihn nur die Verallgemeinerung persönlicher Erfahrungen. Die Dummen glauben an Ehre und Liebe. In Wirklichkeit gibt es nur den Egoismus und die Begierde. Die Starken verstehen es, die Leidenschaften ihrem Ehrgeiz unterzuordnen. Auch der eigene Körper kann zum Werkzeug werden. Daher Jagos Verachtung für alles, was lähmt, für die moralischen Verbote ebenso wie für die Liebe: […] Jago setzt den Mechanismus der Gemeinheit, des Neides und der Dummheit in Bewegung. Wie Richard III. Und er wird genauso wie jener zermalmt. Die Welt, in der Othello an Desdemonas Betrug glauben kann, in der Betrug möglich ist, in der Othello Desdemona ermordet, es weder Freundschaft noch Treue noch Loyalität gibt, in der Jago mit einem Meuchelmord beauftragt, eine solche Welt ist böse. Jago ist ein nur zu guter Regisseur der Tragödie. Jago hat den Beweis erbracht, daß die Welt aus Dummköpfen und aus Schuften besteht. Er hat alle ringsherum vernichtet. Und sich selbst. Er wird auf die Folterbank in seiner eigenen Tragödie geschleppt. Er hat bewiesen, daß er kein Mitleid verdient. Weder er noch die Welt. Richards Niederlage ist die Bestätigung der Wirksamkeit des Großen Mechanismus. Ähnlich die Niederlage Jagos. Die Welt ist gemein. Er hatte recht. Gerade das wird ihm zum Verhängnis. Das ist das erste Paradox. 35 IV In der letzten Szene schweigt Jago. Wozu sollte er sprechen? Alles hat sich geklärt. Die Welt ist zusammengebrochen. Aber nur für Othello, für ihn, Man wird ihm die Knochen brechen, aber er wird triumphieren können. Seine Folterung und sein Tod sind keine Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Im Grunde erfüllen sie keinen Zweck mehr. Sie stehen außerhalb des Stückes, sogar im wörtlichen Sinn. Aber Jago siegt nicht nur auf dem intellektuellen Plan der Tragödie. Er siegt auch im inneren Gewebe, in der Materie und in der Sprache. Im dritten Akt kriecht Othello zu Jagos Füßen, ihm steht Schaum vor dem Munde, er hat einen Anfall. Shakespeare schreckt nie vor Grausamkeit zurück. […] Der herzliche Othello, der stolze Othello, der schöne Othello muß erniedrigt werden. Und zwar in seiner Physis. Alles wird hier zersetzt wie von einer Säure.8 […] Othello wird von Shakespeare mit dem ganzen heroischen Fundus des feudalen Romans und der feudalen Epik ausgerüstet. Da gibt es berauschende Dichtung und gleichzeitig eine sterbende Welt der Werte. […] Die Welt der Othelloschen Werte wird zerstört mitsamt ihrer Poesie und ihrer Sprache. Denn in dieser Tragödie gibt es noch eine andere Sprache, eine andere Rhetorik. Jago macht davon Gebrauch. In Jagos semantischem Feld zeichnen sich als Wortparolen, als Schlüsselwörter die Namen von Dingen und Tieren aus, die Ekel, Angst, Abscheu hervorrufen. […] Othellos Sprache mündet in Stammeln. Das Pathos und die feudale Heldenpoesie werden in Sprache und Bildern zerstört. Darüber schrieb Knight bereits. Othello kriecht nicht nur zu Jagos Füßen. Er wird auch mit seiner Stimme reden. Diese gebrochenen Sätze sind einer der ersten inneren Monologe im modernen Wortsinn, denen wir im Drama begegnen: Lie with her, lie on her? — We say lie on her, when they belie her, — lie with her, zounds, that's fulsome! Handkerchief — confessions — handkerchief! To confess, and be hanged for his labour. First, to be hanged, and then to confess; I tremble at it. Nature would not invest herself in such shadowing passion without some instruction. lt is not words that shake me thus. Pish! Noses, ears and lips. Is't possible? – Confess? – Handkerchief? – O devil!* OTHELLO, IV, 1 *Bei ihr gelegen! auf ihr! Das Tuch – diese Geständnisse – das Tuch – eingestehn und dann für die Mühe gehängt werden; zuerst gehängt, dann eingestehn. – Ich zittre davor! – Natur würde sich nicht in so verfinsternde Qualen verhüllen, wäre es nicht Vorbedeutung. Nicht Wahnbilder, die mich so erschüttern! – Hu, Nasen, Ohren und Lippen: ist es möglich? Eingestehn – Tuch – o Teufel!- Othello wird jetzt unausgesetzt von Brunft und Begattung, von Feuer und Schwefel, Schnüren, Messern und Gift schreien. Er wird dasselbe Bestiarium beschwören. Jago sprach von Dohlen, die Futter suchten, das Bild der Raben über dem verpesteten Haus wird Othello verfolgen (IV, 1). Er wird alle Obsessionen Jagos übernehmen. Es ist, als könnte er sich überhaupt nicht mehr von den Bildern der Affen und der Böcke, der Köter und der geilen Hündinnen befreien. 36 […] In KÖNIG LEAR sind es herrliche und gefährliche Raubtiere: Tiger, Falke, Wildschwein. In Graz= Reptile und Insekten. Die Tragödie spielt sich im Laufe zweier langer Nächte. ab, zumindest auf der Uhr der Leidenschaften, Die innere Landschaft von OTHELLO, in die die Protagonisten der Tragödie immer tiefer geraten, die Landschaft ihrer Träume, ihrer erotischen Obsessionen, ihrer Ängste, ist Dunkelheit. Erde ohne Sonne, Sterne und Mond, ein Verlies voller Spinnen, Blindschleichen und Frösche. […] Der Unterschied zwischen den tierischen Bereichen in OTHELLO und KÖNIG LEAR besteht nur im Maßstab. Die animalische Symbolik von OTHELLO dient der Degradierung der menschlichen Welt. Der Mensch ist ein Tier. Ja; aber was für eins? »Beschreibung des Menschen sowie der Arten, die ihm ähnlich sind, wie z. B. der Pavian, der Affe und andre mehr.« Das ist eine Aufzeichnung von Leonardo. Sehr ähnlich in der Tendenz und in der Wabl der Vergleiche. Der Mensch kann als Tier beschrieben werden. Er wird zu einem blutrünstigen und feigen, hinterhältigen und grausamen Tier. Der als Tier gesehene Mensch muß Ekel erregen. […] Othello ist nicht nur in Jagos semantischen Bereich geraten. Bradley nannte OTHELLO: »a close-shut murderous room«, die Vorkammer der Folter. Othello wird wie König Lear Torturen ausgesetzt und bis in den Wahnsinn getrieben. […] V Schon vor ihrem Auftreten wird von ihr gesprochen. Schon schreien sie, sie sei mit einem Schwarzen durchgebrannt Schon erscheint ihr Bild im Bereich der tierischen Erotik. […] Der Prolog von OTHELLO ist brutal. Jago und Rodrigo wollen Brabantio zur Weißglut bringen. Aber das erklärt noch nicht die Hartnäckigkeit der tierischen Vergleiche. Diese sind beabsichtigt. Die Verbindung Othello-Desdemona wird von Anfang an als eine Paarung von Tieren gezeigt. […] In OTHELLO wie in KÖNIG LEAR sind die Körper nicht nur Qualen ausgesetzt; sie ziehen sich auch gegenseitig an. ...your daughter, and the Moor, are now making the beast with two b a c k s . ' OTHELLO, I, 1 ***Eure Tochter und der Mohr sind jetzt dabei, das Tier mit zwei Rücken zu machen. Das Bild von dem Tier mit den zwei Rücken, dem weißen und dem schwarzen, ist eine der grellsten Vorstellungen des sexuellen Aktes. Das Bild enthält sowohl das Klima der zeitgenössischen Erotik mit ihren Träumen von reiner Körperlichkeit, dem Bruch des sexuellen Tabus und der Faszination für jede Apartheit. Deshalb findet es sich so oft im schwarz-weißen Feld wieder. Othello ist fasziniert von Desdemona, aber stärker noch ist Desdemona fasziniert von Othello. 37 […] Desdemona ist zugleich gehorsam und hartnäckig. Gehorsam bis zu der Grenze, wo die Leidenschaft beginnt. Sie ist die leidenschaftlichste aller Frauengestalten Shakespeares. Viel verschwiegener als Julia und Ophelia, wie in sich selbst versunken Sie erwacht erst in der Nacht. […] Sie weiß nicht einmal, daß sie durch ihre bloße Anwesenheit beunruhigt, daß ihre bloße Anwesenheit ein Versprechen ist. Othello wird es erst erfahren, Jago weiß es von Anfang an. Desdemona ist treu, aber sie muß etwas von einer Dirne an sich haben. Nicht in actu, aber in potentia. Sonst kommt das Drama nicht zum Tragen. Othello wäre andernfalls lächerlich. Aber Othello darf nicht lächerlich sein. Desdemona ist besessen von Othello, aber alle Männer: Jago, Cassio, Rodrigo sind besessen von Desdemona. Sie befinden sich in ihrem erotischen Klima. […] In der Beziehung Othellos zu Desdemona wird jetzt eine jähe Wendung eintreten, die Jagos Intrigen nicht bis zuletzt aufklären können. Es ist, wie wenn Othello plötzlich vor Desdemona zurückschrecken würde. Robert Speaight hat sich Gedanken darüber gemacht, wo diese Ehe vollzogen wurde. In Venedig oder erst auf Zypern, in jener Nacht, in der Jago Cassio betrunken machte?11 Eine derartige Frage ist scheinbar unsinnig in der Shakespeareschen Tragödie mit der doppelten Uhr der Geschehnisse und der synthetischen Motivierung. Aber vielleicht zielt sie gerade deshalb, weil bei Shakespeare immer alle Motivierungen zugleich relevant sind, in die dunkle Sphäre zwischen Othello und Desdemona. Othello verhält sich so, als hätte er eine andere Desdemona vorgefunden als die erwartete. She that so young could give out such a seeming ...** OTHELLO, III, 3 **Sie, die so jung sich so verstellen konnte... Es ist, als ob ihn die Explosion der Sinne bei dem Mädchen verblüfft und schockiert hätte, das noch vor kurzem mit niedergeschlagenen Augen seinen Erzählungen lauschte. Desdemona fühlt sich von der ersten Nacht als Geliebte und Frau. […] Die Erotik ist ihre Bestimmung und Freude; die Erotik und die Liebe, die Erotik und Othello sind ein und dasselbe. Ihr Eros ist hell, für Othello ist der Eros eine Falle. Es ist, als ob sich Othello in dieser ersten Liebesnacht in jener Finsternis verloren hätte, in der Liebe und Eifersucht, Begierde und Abscheu nicht mehr voneinander zu trennen sind. Je heftiger Desdemona sich in der Liebe vergißt, desto mehr wird sie in Othellos Augen zur Dirne, einer vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Dirne. Je stärker er sie begehrt, je besser er sie liebt, desto leichter fällt es ihm zu glauben, daß sie ihn betrügen könnte. Jago setzt den ganzen Zorn der Welt in Bewegung und fällt ihm am Ende zum Opfer. Desdemona ist das Opfer ihrer eigenen Leidenschaft. Ihre Liebe zeugt gegen sie, nicht für sie. Die Liebe führt sie ins Verderben. Das ist das zweite Paradox. […] Natascha Heimes als Desdemona & Heinz Kersten als Brabantio 39 Literaturverzeichnis Abb.1 / Albrecht Dürer / Kupferstich „Die Eifersucht“ / 1498, 1499; http://www.albrecht-duererapokalypse.de 1 / Hrsg. Henning Rischbieter / „Theater-Lexikon“ / Orell Füssli Verlag / 1983; http://www.shakespeareinfo.de/shakespeare_lebenslauf.html 2 / http://www.dieterwunderlich.de/William_Shakespeare.htm 3 / Hrsg. Henning Rischbieter / „Theater-Lexikon“ / Orell Füssli Verlag / 1983; http://www.williamshakespeare.de/werke.html 4 / http://de.wikipedia.org/wiki/Othello 5 / Tabitah Klau / http://www.helikon-online.de / 2010; S.16 6 / http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_der_Republik_Venedig 7/ http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_der_Republik_Venedig Abb.2 / Andrea Gritti / „Portrait Tizian“ / 1540; http://de.wikipedia.org/wiki/Andrea_Gritti 8 / http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkenkriege 9 / Terry Eagleton / „Das Böse“ / Ullstein Hardcover Verlag / 2011 Abb. 3 + 10 / Artikel der Berliner Zeitung / „Wo fängt Rassismus an?“ / 14.02.2012 11 / Jasmin Andresh / http://www.spiegel.de/gesundheit/sex/eifersucht-die-dunkle-seite-der-liebe-a844046.html 12 / Jan Kott / „Die zwei Paradoxe des Othello“ / 1970; Shakespeare heute Weiterführendes Literatur Ina Schabert / „Shakespeare-Handbuch. Die Zeit. Der Mensch. Das Werk. Die Nachwelt.“ / Kröner Verlag /Stuttgart 1978 Terry Eagleton / „Das Böse“ / Ullstein Hardcover Verlag / Berlin 2011 Moninger, Markus / „Shakespeare inszeniert. Das westdeutsche Regietheater und die Theatertradition des dritten deutschen Klassikers“/ Niemeyer Verlag / Tübingen 1996 Bitterli, Urs / „Die Wilden und die Zivilisierten. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung“/ Beck‘sche Sonderausgaben / München 1976 Filme From Shakespeare with Love / Regie: John Madden / USA, Großbritannien 1998 Othello / Regie: Oliver Parker / USA, Großbritannien 1995 / Verfilmung des Stücks „Gut wär´s, wenn Menschen wären wie sie scheinen.“ Jago in OTHELLO IMPRESSUM Herausgeber Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH Neuer Platz 6 33098 Paderborn Intendanz und Geschäftsführung Katharina Kreuzhage Vorsitzender des Aufsichtsrates Heinz Paus Redaktion Theaterpädagogik / Larissa Werner / Theresa Blöthner Dramaturgie / Nikolaos Boitsos Gestaltung Larissa Werner / Marguerite Windblut (CI Kleon Medugorac / www.better-new-world.com) Probenfotos Marcel Diemer / www.mdphoto.org Theaterkasse Tel.: 05251/ 2881100 / Neuer Platz 6 / 33098 Paderborn / Di-Sa: 10:00-13:30 Uhr / Di-Fr: 14:30-18:00 Uhr