Von den Inseln der Ordnung Flemming-Dental

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Von den Inseln der Ordnung Flemming-Dental
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Die ZahnarztWoche
Tagung und Fortbildung
Von den Inseln der Ordnung
Flemming-Dental-Kongress „Implantologie & mehr“ in Berlin
„Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass das
Chaos in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Inseln der Ordnung herrschen kann.“ Chaostheoretiker und FraunhoferLeiter Prof. Dr. Heinz-Otto Peitgen aus Bremen stellte in seinem Vortrag auf dem 13. Flemming-Kongress „Implantologie
& mehr“ im Januar in Berlin anregend dar, dass der physikalische Grundsatz von der Proportion von Ursache und
Wirkung (kleine Veränderung der Ursache führt zu kleiner,
große Veränderung zu großer Veränderung der Wirkung)
in zahlreichen Gefügen nicht stimmt. Dort können nämlich
auch kleine Veränderungen zu komplett anderen Ergebnissen
führen.
Auf die Zahnmedizin übertragen könnte man behaupten: Unter
bestimmten dentalen Bedingungen ist eine geringfügige Abweichung in der Behandlungsführung
eben keine geringfügige Ergebnisveränderung, sondern ein eklatanter Therapie-Misserfolg. Umso wichtiger ist es, Inseln der Ordnung, Bereiche neuer und veränderter Therapiemöglichkeiten abzustecken, um sichere Zonen der
Therapie für Patient und Behandler zu definieren.
Diese Aufgabe stellte sich der
Flemming-Kongress unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr.
Dr. Volker Strunz, Berlin, der in
Zusammenarbeit mit Steffen Kahdemann (Ziterion Uffenheim) ein
spannendes und niveauvolles Tagungsprogramm aufgestellt hatte.
Strunz referierte über die Geschichte der Implantologie als einer Geschichte nach der Suche
von sicheren Techniken, Materialien und Produktdesigns. Aus
heutiger Sicht erscheinen dann
auch Plattenimplantate Linkowscher Art als Chaoszonen, die allerdings Voraussetzungen waren,
um heutige Implantatformen als
therapiesichere Varianten zu finden. In nur 20 Jahren hat die Implantologie sich zu dem innovativen Sektor der Zahnmedizin entwickelt, zu Beginn interessanterweise mit stärkeren Impulsen aus
dem Praxisalltag als aus dem universitären Feld.
land) über Platform Switching in
der Frontzahnimplantologie (Dr.
Dietmar Weng, Starnberg) bis
hin zur Herausstellung der Möglichkeiten der DVT-Analyse für die
Implantologie (Prof. Dr. Uwe J.
Rother, Hamburg) und denen der
plastischen Chirurgie in der Implantologie (PD Dr. Meikel Vesper, Berlin) reichten. Die profunden Beiträge verstärkten je-
Ausgabe 9/11
durch die Beimischung geringer
Mengen Aluminiumoxid könne Zirkondioxid als materialtechnisch
sicher gelten, so Kuntz.
Dass Fußballspiele keine Inseln der Ordnung sind, musste
Schiedsrichterlegende und Zahnarzt Dr. Markus Merk, der gerade zum „Weltschiedsrichter des
Jahrzehnts“ gewählt wurde, nicht
erst herausstellen. Dass aber Fußballregeln gelten, um das Chaos
beherrschbar zu machen, führe
zu der Frage, wie gerecht Entscheidungen sein können, die in
Sekundenschnelle vom RefereeTeam getroffen werden müssen.
„Alles richtig machen ist unmöglich. Gerecht zu sein noch mehr.
Aber der Wille dazu, der muss in
jeder Situation, bei deinem Tun
und Handeln erkennbar sein.“ Die
innere Einstellung bringt Sicherheit, die Konzentration auf die Inseln der Jetztzeit: „Das Leben findet heute statt.“
Welche Regeln gelten für das
Zusammenspiel von Kunststoff-
Schwimmlegende Michael Groß und Flemming-Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Krebs (von links)
Die 550 Fachteilnehmer im noblen Ritz-Carlton Hotel verfolgten mit großer Aufmerksamkeit
die internationalen Fachvorträge,
die von der Biomechanik (Prof.
Roger Thull, Würzburg), Rezessionsmanagement (Dr. Gerd Körner, Bielefeld), Abutmentherstellung (Dr. Helmut Steveling,
Gernsbach), Augmentationsaspekten (Dr. Istvan Urban, Budapest; Prof. Massimo Simion, Mai-
weils auf ihre Art die sich herausbildenden Kriterien für die Inseln
der Ordnung in der Implantologie.
Prof. Dr.-Ing. Hans-Olaf Henkel, ehemaliger IBM-Europa-Chef,
langjähriger Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie und Präsident der LeibnitzGemeinschaft, markierte in seinem „Über-den-Tellerand-Beitrag“ zu den „Fünf Rezepten für
Deutschland“ fünf Flächen als
Voraussetzung gesellschaftlichen
Fortschritts, die nach Henkels Ansicht neu wahrgenommen werden
müssen. Besonders die Wahrheitsinsel lag ihm am Herzen: Wenn
dem politischen Diskurs die Wahrhaftigkeit fehlt, verliert eine Gesellschaft eine elementare Größe,
nämlich Vertrauen und Verlässlichkeit als Bedingungen von Menschlichkeit und Ökonomie. Wer alles
selbst herausfinden muss, um zu
validen Ergebnissen zu kommen,
weil er niemandem mehr trauen
könne, der kann nicht effektiv und
ökonomisch handeln. Wahrhaftigkeit sei keine „Nice-to-have“-Insel, kein Urlaubsressort, sondern
die Basis einer aufgeklärten und
immer wieder aufklärenden Gesellschaft.
Für Aufklärung sorgte auch Dr.
Meinhard Kuntz, der als Entwicklungsleiter der Plochinger Firma
CeramTech ausgewiesener Spezialist für Medizinkeramiken ist.
Besonders sein Hinweis auf die
hydrothermale Alterung von Zirkonoxid gab vielen zu denken. Nur
Prof. Dr.-Ing. Hans-Olaf Henkel (links), hier mit FlemmingVorstand Mathias Schmidt, diskutierte fünf Voraussetzungen
für den gesellschaftlichen Fortschritt.
restaurationen, Nachhaltigkeit
und Ästhetik? Prof. Daniel Edelhoff aus München zeigte an spannenden Patientenfällen, welche
beeindruckenden ästhetischen
Möglichkeiten heute durch den
Einsatz CAD/CAM-generierter Provisorien bestehen.
Dass es auch für das Feld der
allergischen und Immun-Reaktionen wissenschaftlich erwiesene Methoden der Verortung sicherer Materialien gibt, zeigte Dr.
Volker von Baehr, Berlin, der die
Implantologie unter Berücksichtigung immunologischer und allergologischer Aspekte (Fokus Titan)
darstellte. Hervorzuheben war
hier der für viele Teilnehmer neue
Hinweis, dass Körperreaktionen
mithilfe des sogenannten Lymphozyten-Transformationstests
(LTT) inzwischen sehr gut wissenschaftlich nachweisbar sind
und bei zu Allergien tendierenden Menschen sehr hilfreiche Ergebnisse zeigen.
Immer wieder stellten die Referenten heraus, dass bei aller
Behandlungsroutine innovative
Implantologie nicht eine bis ins
letzte Detail Sicherheit gehende
Therapie sein kann, weder durch
Bohrschablone oder DVT-Technik noch navigierte 3-D-Planung,
die eben immer nur Annäherun-
gen an Sicherheits- und Behandlungsziele leisten können.
Die täglichen Herausforderungen zu meistern, schafft Meisterschaft. Schwimmerass Michael
Groß zeigte in seinem Vortrag,
dass auch für Schwimmer Ordnung
und Chaos, Erfolg und Misserfolg
nah beieinander liegen. Ähnlich
wie Schiedsrichter Merk betonte
auch Groß, dass Selbstanspruch,
Selbstdisziplin und innere Einstellung, gekoppelt mit Fehleranalyse
und Verbesserungswille Voraussetzungen sind, um im Meer der Möglichkeiten genau im schmalen
Strom des Erfolgs zu schwimmen.
Flemmings Koppelung von Referaten zur Implantologie mit Referaten aus ganz anderen Bereichen,
die den Blick über den Tellerrand
ermöglichten, war in diesem Jahr
wieder ein besonderes Ereignis,
das das Jahr für die Teilnehmer mit
alltagsrelevanten Themen (die in
etlichen Workshops vertieft werden konnten) spannend einläutete. Auch im Rahmen- und Abendprogramm zeigte die größte deutsche Dentallabor-Gruppe Niveau,
Leistung, Profil und Persönlichkeiten, denen die Schaffung von Inseln der Ordnung in einer manchmal auch chaotischen Welt mehr
als zugetraut werden kann.
Reinhard Bröker,
Freising
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