58-63 Joggen
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58-63 Joggen
GESELLSCHAFT Lebensstil So lang die Füsse tragen Zwei Drittel der Bevölkerung bewegen sich zu wenig. Walking und Jogging sind für sie der ideale Einstieg in ein gesünderes Leben, denn: Die beiden risikoarmen Sportarten machen den Körper in jedem Alter wieder fit. Text: Jörg Greb Fotos: Andreas Gonseth W alking oder Jogging – für André Berdat stellt sich die Frage nicht. Trotz seiner 76 Jahre. Berdat läuft, «obwohl mich meine Tochter immer wieder von den Vorteilen des Walkings überzeugen will». Sie betätigt sich nämlich als Walking-Leiterin. «Aber», sagt Berdat zu seiner Bevorzugung des Laufens, «solange ich zehn Kilometer unter einer Stunde schaffe, gibt es keinen Grund zum Wechseln.» Berdat ist ein passionierter Läufer. Seit über 30 Jahren gehört das Laufen zu seinem Leben. Ein Senior unter Senioren André Berdat ist keiner, der nur das Laufen kennt. Vielmehr hatte der einstige Personalverantwortliche beim Bund einst «keine Zeit» dafür. Beruf und Familie füllten seine Tage aus. Zum Ausgleich spielte er Faustball und turnte in der Männerriege. So sagt er denn: «Ausdauersport war für mich bis 44 eine unbekannte Grösse.» Doch dann flogen die Kinder eins nach dem andern aus, und er gewann mehr Freizeit. Als schliesslich sein Sohn, damals 19, sich für den 100-Kilometer-Lauf in Biel anmeldete und diesen marschierend bewältigte, fühlte sich der Vater gekitzelt. Das Ereignis war Ansporn für ihn selber. Er begann mit einem gezielten Training, nahm zwölf Kilo ab und stand ein Jahr später auch an der Startlinie dieses Ultra58 Natürlich | 5-2006 Laufes. Fünf Mal nahm er diese Strecke in der Folge in Angriff. Einmal kam er gar unter zehn Stunden durch. Und es blieb nicht beim «100er». Weitere Marathons kamen dazu, darunter auch der GP Bern. Letzteren, den mittlerweile grössten Volkslauf der Schweiz, nimmt er diesen Mai zum 25. Mal in Angriff. Berdat gehört zu den 101 Läufern, die seit 1982 noch nie gefehlt haben – und er ist der Älteste von ihnen. Sport ohne Alterslimite Senior Berdat ist ein Beispiel dafür, dass es für das Laufen eigentlich keine Alterslimite gibt. Und für Walking ohne und das trendige Nordic Walking mit Stöcken gilt diese These sowieso. Die Sportärztin Gaby Aebersold-Schütz aus Brügg BE bestätigt: «Sporttreiben ist auch für ältere Menschen nur von Vorteil.» Der Leistungsgedanke soll dabei nicht im Vordergrund stehen. Entscheidend und für eine hohe Lebensqualität von Bedeutung sind nicht nur Ausdauer und das Gefühl des Fitseins, sondern auch Faktoren wie Gleichgewicht, Geschicklichkeit und Koordinationsfähigkeit. Um diese zu schulen, empfiehlt Aebersold eine Kombination von Kraft- und Ausdauertraining – auf entsprechendem Level natürlich, das heisst: Jeder nach seinen Möglichkeiten. Zur Sicherheit ein Ärztecheck Den Appell zum Aktivsein richtet Gaby Aebersold aber nicht nur an Senioren, sondern an die gesamte Bevölkerung. Sie weiss, dass nur ein Drittel der erwachsenen Schweizer Bevölkerung genügend Sport treibt – und ebenfalls ein Drittel an Übergewicht leidet. Aus ärztlicher Sicht empfiehlt sie vor dem Einstieg für jedermann und jede Frau ab 45 im eigenen Interesse Lebensstil GESELLSCHAFT einen ärztlichen Check. Das ist in der Regel keine kostspielige Angelegenheit, meist reichen eine Befragung durch den Hausarzt und das Messen von Blutdruck und Puls. Ein Elektrokardiogramm des Herzens (EKG), so Aebersold, sei nur nötig, wenn Risikofaktoren wie Schwindelgefühle, Ohnmachten oder genetische Neigungen zu Kreislaufkrankheiten vorhanden seien. Nicht ratsam ohne ärztliche Kontrolle sieht sie die Trainingsaufnahme bei Beschwerden wie Atemnot, Klemmen auf der Brust oder Gelenkbeschwerden. Grundsätzlich hält Aebersold aber fest: «Es ist erwiesen, dass Bewegung gegen HerzKreislauf-Erkrankungen hilft, aber auch dazu beiträgt, das Cholesterin und den Blutdruck tief zu halten. Sanfter und günstiger Einstieg Ist alles in Ordnung und der Wille zur Bewegung da, kann es losgehen – zum Beispiel mit Treppensteigen statt Liftfahren, Gehen oder Velofahren für kürzere Wege statt einer Fahrt im Auto und generell mit ein bisschen mehr körperlicher Aktivität im Alltag. Denn, das sei betont, entscheidend ist nicht primär, Natürlich | 5-2006 59 Lebensstil GESELLSCHAFT Foto: Tomas Wüthrich Muskelkater und Seitenstechen Er läuft und läuft und läuft: André Berdat trainiert auch mit 76 Jahren mehrmals wöchentlich Sportanfänger kommen kaum darum langsam gesteigert wird. Schmerzen die herum: schmerzende Muskeln und Muskeln trotzdem, verschaffen warme stechender Schmerz in der Zwerchfell- Umschläge und Bäder, lockere Massa- Gegend. gen und leichte Gymnastik Linderung. • Muskelkater: Dabei handelt es sich • Seitenstechen: Dieses Phänomen tritt um feine Risse in den Muskelfasern, meist bei Laufanfängern auf. Es gibt hervorgerufen durch eine ungewohnte mehrere Ursachen, dazu gehören eine Belastung. Der Heilungsprozess führt zu hohe Trainingsintensität, Verspan- innert eines Tages bis zweier Tage am nung der Bauchmuskeln, ein zu voller Ort der so genannten Mikroverletzun- Magen, eine Ausdehnung der Darm- gen zu einer entzündlichen Muskel- wände aufgrund einer durch die Bewe- schwellung, die sich schmerzhaft be- gung geförderten Gasbildung oder eine merkbar macht. Der Muskel wird dabei vorübergehende verminderte Durch- hart, druckempfindlich und reagiert mit blutung des Zwerchfells. Abhilfe schafft zusätzlichen Schmerzen auf Bewe- in der Regel eine kurze Trainingspause gung. Muskelkater heilt in der Regel oder eine Verminderung des Lauf- innert weniger Tage. tempos. Grundsätzlich gilt: Je fitter Muskelkater lässt sich am besten ver- eine Person ist, desto weniger tritt hüten, indem die Trainingsintensität nur Seitenstechen auf. was man tut, sondern vor allem, dass man etwas tut. Wer sich für Laufen oder Nordic Walking entscheidet, hat einfache, aber wirksame Sportarten gewählt und sich etwas Bereicherndes vorgenommen. Walking wie Jogging erfordern geringe Auslagen für Lauf- oder Walkingschuhe und NordicWalking-Stöcke sowie für funktionelle Kleidung. Gute Schuhe gibt es ab 150 Franken, Stöcke ab 50 Franken und bei der Sportbekleidung – ein altes T-Shirt und die Trainerhosen aus der vorletzten Saison tun es für den Einstieg auch – entscheidet der persönliche Geschmack über den Preis. Im Vergleich dazu: Eine Stunde Psychotherapie kostet auch gegen 200 Franken. Ein weiterer Pluspunkt von Jogging und Walking: Beide Disziplinen können praktisch von zu Hause aus ausgeübt werden. Für beide spielt das Wetter oder die Jahreszeit eine untergeordnete Rolle, und bei beiden bewegt man sich – im Gegensatz zum meist vor dem TV aufgestellten Home-Trainer – von der ersten Minute weg an der frischen Luft. Am Anfang ist die Langsamkeit Für Menschen, die mit Sport wenig oder gar keine Erfahrung haben, sind Einstei- kel gerkurse in beiden Sportarten empfehlenswert. Doch zuerst gilt es, sich für eine davon zu entscheiden. Das bringt Jogging: • Kreislauf und Herz werden trainiert, der Fettstoffwechsel angeregt und mehr Kalorien verbrannt als beim gewöhnlichen Gehen oder Nordic Walking. • Die allgemeine Leistungsfähigkeit verbessert sich, überflüssige Pfunde gehen verloren. • Trainingserfolge stellen sich relativ schnell ein. • Die Muskulatur wird besser durchblutet, das Immunsystem gestärkt. Das bringt Nordic Walking: • Kreislauf, Herz und Fettstoffwechsel werden wie beim Jogging angeregt und gestärkt. • Im Gegensatz zum Jogging werden nicht nur die Bein-, sondern durch den Stockeinsatz auch die Arm-, Oberkörper-, Rücken- und Nackenmuskulatur gestärkt. • Fuss-, Knie-, Hüftgelenke und Wirbelsäule werden weniger belastet als beim Joggen. • Nordic Walking kann in jedem Alter und auch nach Krankheiten und Unfällen zur Rehabilitation ausgeübt werden. Natürlich | 5-2006 61 GESELLSCHAFT Lebensstil «Wer sich anstrengt, bekommt viel zurück» Der 40-jährige Urs Gerig gilt in der Schweiz als «Walkingpapst». Jörg Greb sprach mit ihm über die Vor- und Nachteile von Walking und Jogging. In verschiedenen Kursen und Workshops, als Buchautor und Aktivsportler hat der frühere Spitzentriathlet und heutige Sportcoach massgeblich zum Aufschwung der WalkingBewegung beigetragen. Urs Gerig, Sie treffen in Ihren Kursen immer wieder auf Leute, die etwas für ihre Fitness tun möchten – aber nicht genau wissen was und wie. Was raten Sie ihnen? Urs Gerig: Heutzutage ist das Angebot an Sport- und insbesondere Ausdauer-Sportarten gross wie noch nie. Vor 20 Jahren gab es die vier traditionellen Ausdauer-Sportarten Laufen, Velofahren, Schwimmen und Langlaufen. Heute sind fünf weitere hinzugekommen, nämlich Inlinen, Biken, Aqua-fit, Schneeschuhlaufen und eben Walking und Nordic Walking. Es gilt, je nach Vorlieben zu wählen. Kann, wer sich nun fürs Walking oder Jogging entscheidet, einfach die Schuhe schnüren und loslaufen? Gerig: Ja, aber bitte mit Verstand. Es lohnt sich, Zeit zu investieren und eine erfahrene Person auf diesem Gebiet um Rat zu fragen. Natürlich kann man auch einen Kurs besuchen oder ein Buch studieren. So erfährt man zum Beispiel, dass zu schnelles Joggen nicht sinnvoll ist. Ebenso, dass richtig ausgeführtes Nordic Walking den Puls in die Höhe treibt. Ich finde es jeweils enorm schade, wenn ich Leute antreffe, die ihre Stöcke mehr oder weniger hinter sich herziehen. Sie glauben vielleicht, Nordic Walking zu betreiben, kommen so aber zu keinem Erfolgserlebnis. 62 Natürlich | 5-2006 Gibt es Leute, für die sich Walking nicht eignet? Gerig: Mir ist noch niemand begegnet. Für den ganz grossen Teil der Bevölkerung ist Nordic Walking ideal und eine grosse Chance, um zu mehr Fitness, Gesundheit und Wohlbefinden zu gelangen. Dasselbe gilt aber auch für die andern Ausdauer-Sportarten. Jede von ihnen kann das Tor zu einem aktiven Leben und zur Sportwelt öffnen. Es gibt Menschen, für die ist Jogging zu anstrengend oder, vor allem bei massivem Übergewicht, körperlich zu belastend. Nur schon die Vorstellung zu rennen, schreckt viele ab. Gerig: Das hängt vom Charakter jedes Einzelnen ab. Fürs Jogging muss man der Typ Mensch sein, der die Anstrengung sucht. Ein Jogger beisst – zumindest ab und zu – auf die Zähne. Über Spass oder «Chrampf» entscheiden immer Nuancen. Geübte spüren feine Unterschiede. Vom Jogger abgucken können aber auch die Walker – auch sie brauchen Erfolgserlebnisse, wollen zum Beispiel abnehmen oder schneller werden. Und da gilt für alle Sportarten derselbe Grundsatz: Wer sich anstrengt, bekommt mehr zurück. Was ist nötig, damit der Einstieg in mehr Bewegung, ins Joggen oder Walken gelingt? Gerig: Die gewählte Aktivität muss in den Tagesablauf passen. Ich denke dabei ans Zu-Fussoder Mit-dem-Velo-ins-Büro-Gehen, ans Spazierenführen des Hundes am Morgen und am Abend oder an eine sportliche Tätigkeit über Mittag. Die Integration des Sports in den Alltag ist entscheidend für den Erfolg. Beginne ich nach der ersten Trainingszeit zu spüren, dass mir Sport gut tut, zähle ich zu den Erfolgreichen. Wie lange braucht es, bis Neueinsteiger erste Erfolge verspüren? Gerig: Das ist individuell. Generell lässt sich aber sagen: Je weniger fit ich bin, desto grösser sind die Leistungssprünge, desto offensichtlicher lassen sich die Fortschritte feststellen. Beim Walking und beim Nordic Walking mit Stöcken gilt es, sich die einfache, aber nötige Technik anzueignen. Die ist schnell gelernt, konsequent angewendet hoch effizient und führt darum rasch zu einer spürbaren Steigerung des persönlichen Wohlbefindens und der Ausdauer. Beim Jogging ist grössere Aufbauarbeit nötig. Für Anfänger als Erfolg versprechend erwiesen haben sich für den Einstieg kurze Lauf-Intervalle von einer halben bis zu einer ganzen Minute mit ebenso langen Gehpausen dazwischen. Angestrebt wird auf diesem Weg die Verlängerung der Laufzeiten bei gleich bleibenden oder gar kürzeren Pausen. Die Erhöhung des Lauftempos ist dabei unwichtig und auch nicht anzustreben. Die Regel besagt, dass in einem zehnwöchigen Aufbau eine Distanz von fünf Kilometer gelaufen werden kann – unter der Voraussetzung, dass zwei- bis dreimal pro Woche trainiert wird. Lebensstil GESELLSCHAFT Die magischen 42 Kilometer Bei jenen, die sich für einen Ausdauersport begeistert haben und regelmässig unterwegs sind, taucht oft der Wunsch auf, die eigene Leistungsfähigkeit zu testen und mit andern zu messen. Für Läufer, die das wollen, sind Lauf-Events bestens geeignet. Deren Zahl hat sich mit der Anzahl der Freizeitsportler entwickelt. Überall wird gerannt und so haben Volksläufer an jedem Wochenende die Wahl zwischen verschiedenen Veranstaltungen. Tausende von Läuferinnen und Läufern zieht es gar irgendwann auf die Marathonstrecke. Die 42,195 Kilometer üben eine magische Anziehungskraft aus. Zwar verursacht ein solches Rennen mit ziemlicher Sicherheit für einige Tage Beschwerden. Aber das Marathontraining als solches gilt als etwas vom Gesündesten in der Welt des Laufens. Und mit der nötigen Konsequenz lässt sich diese historische Distanz praktisch von jedermann bewältigen. Auch Walkerinnen und Walkern bieten sich seit einigen Jahren Möglichkeiten für den Wettkampf – so sie das wollen. Es gibt mittlerweile kaum mehr einen bedeutenden Volkslauf, der keine Walking-Kategorie führt. Speziell auf diese Sportlergruppen ausgerichtete Events (Swiss Walking Event Solothurn, Graubünden Walking, Snowwalking Event Arosa) erfreuen sich besonderer Beliebtheit. An diesen können auch anspruchsvolle Distanzen in Angriff genommen werden. Gewinn für Körper und Seele «Durch Joggen bin ich leistungsfähiger geworden, ich fühle mich wohler und beweglicher», sagt André Berdat im Rückblick auf seine Läuferkarriere. Hervor hebt er zudem «das bewusste Erleben der Natur und der vier Jahreszeiten» sowie den «sozialen Kontakt mit andern Läufern quer durch alle Schichten». All dies möchte er bis heute nicht mehr missen. Geändert hat sich seine Beziehung zum Laufen dennoch. Hatten früher für ihn die Resultate eine grosse Bedeutung, spielen diese mittlerweile «keine so grosse Rolle mehr». Heute bestreitet er Wettkämpfe, um dabei zu sein, aber «das Training ist mir nun wichtiger», sagt er. Allerdings nimmt er auch das nicht mehr allzu seriös. «Ich bin drei- bis viermal pro Woche unterwegs und richte mich dabei nach dem Wetter», sagt er. Tempoläufe, die früher dazugehörten, lässt er nun weg und sagt: «Am liebsten laufe ich gemütlich.» ■ Infobox Wertvolle Informationen bieten die beiden Gratis-Broschüren «Laufen leicht gemacht» und «Nordic Walking» des Fachmagazins «Fit for Life». Die Broschüren können kostenlos bezogen werden gegen ein frankiertes C5-Rückantwortcouvert (Fr. 1.10) bei «Fit for Life», Neumattstrasse 1, 5001 Aarau. Buchtipps • Gerig: «Nordic Walking», BLV-Verlag 2005, ISBN: 3-405-16926-7, Fr. 8.80 • Gerig: «Richtig Walken», BLV-Verlag 2005, ISBN: 3-405-16823-6, Fr. 21.50 • Dargatz: «Joggen – das ideale FitnessTraining», Copress 2004, ISBN: 3-7679-0845-X, Fr. 19.70 • Erdle: «Jogging easy», Verlag Humboldt 1997, ISBN: 3-7081-9902-2, Fr. 23.– Internet • www.fitforlife.ch • www.allez-hop.ch • www.ryffel.ch • www.gesundheit.ch/fitness/ • www.swissnordicfitness.info/ Natürlich | 5-2006 63