Pflegeoase – eine Wohnform für Menschen mit schwerer

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Pflegeoase – eine Wohnform für Menschen mit schwerer
Pflegeoase – eine Wohnform für
Menschen mit schwerer Demenz
Fachtagung bpa NRW Essen 11. Oktober 2013
Dr. Anja Rutenkröger, Christina Kuhn, Renate Berner
Pflegeoasen 2013
Wandsbek
Holle
Tostedt
Recklinghausen
Solingen
Telgte
Allstedt
Adenau
Idar-Oberstein
Baden-Baden
Eislingen
GrenzachWhylen
Karlsruhe
Bamberg
Garching a. d. Alz
Helbrechts
Langenzenn
Ruprechtstegen
Definition Pflegeoase
• Kleine Gruppe von Menschen mit schwerer Demenz
• Dauerhafter Lebensort für Menschen mit extrem hohem Pflege- und
Unterstützungsbedarf innerhalb einer stationären Pflegeeinrichtung
• Betreuungs- und Pflegekonzept ausgerichtet auf bestmögliche
Lebensqualität
• Pflegende sind während der Tagschichten kontinuierlich präsent
• Präsenz und Raumkonzept unterstützen eine unmittelbare Reaktion auf
die körperlichen, psychischen und sozialen Bedürfnisse der Zielgruppe
• Raumkonzept:
Mehrpersonenraum mit kommunikativer Mitte und
Individualbereichen, Rückzugsraum, Pflegebad, Küchenausstattung,
bettengängiger Außenbereich
 Die Pflegeoase bietet einen geschützten Raum, sichert aber auch die
Teilhabe und Mobilität der Bewohner/innen außerhalb dieses Lebensortes
Expertengruppe Pflegeoase 2012 Brandenburg et al.
Zielgruppe
•
Menschen mit weit
fortgeschrittener Demenz
(Mehrfacherkrankungen)
•
stark eingeschränkte Mobilität
(Ortsfixiertheit)
•
stark eingeschränkte verbale
Kommunikationsfähigkeit
•
•
Pflegestufe III bzw. III+
Bewohner/innen, die seit mind.
6 Monaten in der Einrichtung
leben
Pflegebad
Unreiner
Arbeitsraum
WC
Pflegeoase Eislingen Grundfläche: 135,03 m²
Studienüberblick
Studie Pflegeoase
Vergleichsgruppe
1. Studie 2006-2008 Holle, Rutenkröger, Kuhn
Keine
2. Studie 2008-2010 Luxemburg, Rutenkröger, Kuhn
Hausgemeinschaft, Herköml. WB
3. Studie 2010 Garching, Dettbarn-Reggentin, Reggentin
Herkömmlicher Wohnbereich
4. Studie 2008-2010 Schuhmacher, Klie et a4
Herkömmlicher Wohnbereich
5. Studie 2008-2009, Karlsruhe Ost, Becker
Herkömmlicher Wohnbereich
6. Studie 2010-2011 Solingen, Rüsing, Ruppert et al.
Herkömmlicher Wohnbereich
7. Studie 2009-2011, Idar-Oberstein, Brandenburg, Adam-Paffrath et al
Herkömmlicher Wohnbereich
8. Studie 2009-2011 Holle, Rutenkröger, Kuhn, Berner
Herkömmlicher Wohnbereich
9. Studie 2010-2011 Eislingen, Rutenkröger, Berner, Kuhn
Herkömmlicher Wohnbereich
10. Studie 2010-2012, Rupprechtstegen, Städtler-Mach, Worofka
Herkömmlicher Wohnbereich
11. Studie 2009-2010 Mühlacker, Riedel, Schneider
Konzeptanalyse Pflegeoase
12. Studie Osnabrück, 2010-2011 Hotze, Böggemann
Tagesoase
13. Studie Wiesbaden, 2010-2012 Stemmer et al.
Tagesoase
Lebensqualität für Menschen mit schwerer
Demenz – wie wird sie untersucht?
Annäherung über Einbeziehung Multiperspektivische Betrachtungen
Sichtweisen der Angehörigen, der Pflegenden, weiterer Personen
(ärztliches Team), teilnehmende Beobachtungen durch Forscherteams
Wie beeinflussen Pflegeoasen
die Lebensqualität der
Bewohnerinnen?
Untersuchte Parameter:
Anzahl u. Qualität sozialer Kontakte, positiv wie negativ erlebter Situationen,
Schmerzen
Ernährung
Mobilität, Bewegungsradius
Psychischer Gesundheitsstatus: herausfordernde Verhaltensweisen
Mensch-Umwelt-Passung: Schutz der Privatheit als besondere Herausforderung
Weitere Forschungsfragen
1. Wie beurteilen Angehörige die Pflegeoase?
2. Wie bewerten Pflegende den Arbeitsplatz Pflegeoase?
3. Wodurch kennzeichnet sich ein optimales bauliches Milieu?
4. Was sind elementare Qualitätsmerkmale einer Pflegeoase?
Soziale Kontakte
 Interaktionshäufigkeit „Doppelt so viele Kontakte in den
Pflegeoasen wie in den Kontrollgruppen“
Interaktionshäufigkeit
Pflegeoase
Kontrollgruppe
1. Holle
34
8 herkömmlicher WB
2. Luxemburg ALA
24
23 Hausgemeinschaft
3. Luxemburg CHNP
24
10 herkömmlicher WB
4. Eislingen
24
12 herkömmlicher WB
Rutenkröger, Kuhn, Berner 2008, 2010, 2012
Schmerzen
Vergleich Schmerzen in Ruhe/in Bewegung Oase
erhoben mittels BESD-Skala
10
9
ab 2 behandlungsbedürftiger Schmerz
BESD 0-10 Punkte
8
7
6
Mrz 11in Ruhe
5
Mrz 11in Bewegung
4
3
2
1
0
BW1
Schmerzbehandlung
Dauermedikation
Bedarfsmedikation
BW2
BW3
BW4
BW 1
0
ja
BW2
2
ja
BW 3
1
ja
Rutenkröger, Kuhn, Berner, 2012
BW5
BW6
BW 4
0
nein
BW 5
2
ja
BW 6
2
nein
10
Mobilität und Bewegungsradius
Bewohnernahe Tätigkeiten
Oase Aug. 2010 t1
Oase Feb. 2011 t2
9%
6%
20%
7%
Körperpflege
5%
40%
12%
Körperpflege
Essen
Essen
Mobilisation
Mobilisation
Psych.Betreuung
Therap.Intervent
18%
Psych.Betreuung
Therap.Intervent
42%
41%
Eislingenstudie
Bewegungsradius
 Orte außerhalb der Einrichtung/Freibereiche werden nicht aufgesucht
 Eislingen, Idar-Oberstein, Adenau, Karlsruhe, Rupprechtstegen
Rutenkröger, Kuhn, Berner, 2012
11
Empfehlungen
Lebensqualität aufrechterhalten
 Bewegungsradius ausbauen - innerhalb und außerhalb der Oase
 therapeutische Angebote ausbauen – Schmerzlinderung
 Ausgefeiltes Ernährungskonzept entwickeln
 Sinnesangebote erweitern
 Zeitgeber über Tagesstruktur, Bewegung und Licht einbauen
Schmerzmanagement ausbauen
 Bedarfsmedikation prüfen – insbesondere vor Mobilisation einsetzen
 Zusammenarbeit mit Fachärzten ausbauen
 adäquate Intervention einleiten
Schutz der Privatheit als besondere Herausforderung beachten
 Nicht jeder ist für das Leben in einer Pflegeoase geeignet.
Daher sind Ein- und Auszugskriterien zu formulieren.
Wahrung der Würde und Privatsphäre
Räumlich: Trennwände, Rückzugszimmer Gestaltung des Nahbereichs
Haltung: Wertschätzung, Anerkennung der Person
12
Auswertung der Mitarbeiterinnen
Sichtweisen
Dr. Anja Rutenkröger, Christina Kuhn, Renate Berner
Mitarbeiterinnen: Im Spannungsfeld von
Arbeitszufriedenheit und Arbeitsbelastung
Arbeitszufriedenheit
Bedürfnisorientierung
• Bewohner im Blick haben und unmittelbar
auf ihre Bedürfnisse reagieren können
• kontinuierliche Präsenz erhöht Bindungstiefe
Gestaltungsfreiraum
• Entscheidungsautonomie
•individuelle flexible, kreative Pflegeansätze
entwickeln können – Lernfeld Pflegeoase
„Sinn finden“ in der Arbeit
• so pflegen können wie man es sich vorstellt
• unmittelbare Auswirkungen der eigenen Arbeit
auf die Lebensqualität der Bewohnerinnen
feststellen können – selbstwirksam sein
Arbeitsbelastung
Individuenbezogene Belastung
•Geringe Austauschmöglichkeit im Team
•hohe Verantwortungsübernahme
•Unterstützung einfordern
•Pause regeln: uneinheitliche Handhabung
•erhöhte Verlustangst
•Schwerstpflege
•Unausweichbarkeit – immer präsent sein
Organisationsbezogene Belastung
•Unklare Regelung der Verantwortungs- und
Aufgabenbereiche
•Dauer der Dienstintervalle
•Leitungsebene erfüllt Führungsrolle nicht
14
Burnout
Maslach Burnout Inventory – MBI D
Median
Q1-Q3
Emotionale
Pflegeoase
2,89
2,39-3,72
Erschöpfung
Kontrollgruppe
2,56
1,56-3,12
Mann Withney-U p=0,001
signifikant geringere
Burnout-Belastung
in Pflegeoasen
Rutenkröger, Kuhn, Berner, 2013 unveröffentlicht
15
Auswertung der Angehörigen
Sichtweisen
Dr. Anja Rutenkröger, Christina Kuhn, Renate Berner
Qualitätsmerkmale der Pflegeoase
aus Sicht der Angehörigen
Präsenz der Mitarbeiterinnen
„Zeit haben“ und „Begleitet sein“
Direkte Wahrnehmung
der Bedürfnisse
Unmittelbarkeit
„im Blick haben
Starke Bindung der Pflegenden
zu den Bewohnerinnen
führt zur Entlastung
17
Subjektives Erleben der Angehörigen
• Ja, dass sich einfach mehr um sie gekümmert wird … Die
(Pflegenden, Anm. d. Vfs.) laufen öfters vorbei und
streicheln sie mal oder
sprechen mit ihr.
Und das war
im anderen
(Wohnbereich,
Anm. d. Vfs.)
nicht
so viel.“
(I 12)*
*Rutenkröger, Kuhn 2008 und 2010, *Berner, Rutenkröger, Kuhn 2012
Qualitätskriterien für Pflegeoasen
Dr. Anja Rutenkröger, Christina Kuhn, Renate Berner
Personal – und Pflegekonzept
Präsenz und Haltung
Präsenz: Personalplanung die Präsenz von mind. 14-16 h sicherstellt
PflegeOase
Präsenz und Haltung
Haltung: personzentriert, Sozialkompetenz
Fachkompetenz: Wissen über schwere Demenz, Schmerzmanagement,
Kinästhetik, Basale Stimulation, Palliative Pflege
Zeichnungen Magdalena Czolnowska
Gruppengröße: Unmittelbarkeit
und Teilhabe
Unmittelbarkeit – unmittelbares Wahrnehmen und Reagieren auf
Bedürfnisse
Teilhabe - bei dieser kommunikationseingeschränkten Gruppe wird
wesentlich von der Gruppengröße und Präsenz und Haltung der
Pflegenden mitbestimmt
Zeichnungen Magdalena Czolnowska
Bauliches Milieu: Überschaubarkeit
und Anregung
Überschaubarkeit
Anregung
Mensch-Umwelt-Passung
Ausreichende Grundfläche
 Pro Person Mindestmaß von 16m² (nicht keiner als EZ)
plus 5 m² Gemeinschaftsfläche
 zuzüglichen Flächen für weitere Räume (z.B.
Rückzugszimmer)

Raumkonzept und Grundriss bestimmen
maßgeblich die Gestaltung des
dauerhaften Wohn- und Lebensort für
den Personenkreis

Anregung durch Gestaltung des
unmittelbaren Nahbereichs u. der
technischen Ausstattung
Zur gelingen Umsetzung einer Pflegeoase
bedarf es einer konzeptionellen Vorarbeit:
Der Raum folgt dem Konzept und nicht
umgekehrt!
Organisation: Flexibilität und
Entwicklung
Flexibilität: Arbeitsabläufe flexibel an Bedürfnisse der Bewohnerinnen
anpassen, Tagesablauf anpassen, Mahlzeitengestaltung, hochkalorische
Nahrung, Schmerzmanagement usw.
Entwicklung: offene Lernorte, prozesshafte Begleitung der Leitung bei
der Einführung einer Pflegeoase, Zusammenarbeit mit kooperierenden
Wohnbereich, Schnittstellen managen
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
Praxisserie PFLEGEOASE
Download:www.demenzsupport.de/publikationen/Reihe deSS@work
www.demenz-support.de
[email protected]
Ausgewählte Literatur
•
Rutenkröger, A.; Kuhn, C. (2012): Qualitätskriterien und Handlungsempfehlungen zur Implementierung
einer Pflegeoase. In: Brandenburg, H.; Adam-Paffrath, R. (Hrsg.) 2012: Pflegeoasen in Deutschland –
Wissenschaftliche Perspektiven zu einem Wohn- und Pflegekonzept für Menschen mit schwerer
Demenz. Hannover: Schlütersche.
•
Rutenkröger, A.; Kuhn, C. (2008): „Im Blick haben“ Evaluationsstudie zur Pflegeoase im
Seniorenzentrum Holle. Abschlussbericht für das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen,
Familie und Gesundheit. Hannover (abrufbar unter: www.demenz-support.de).
•
Rutenkröger, A.; Kuhn, C. (2010): „Da-sein“. Pflegeoasen in Luxemburg. Eine Evaluationsstudie im
Auftrag des Ministeriums für Familie und Integration Luxemberg. Itzig: RBS – Center fir Altersfroen asbl.
•
Rutenkröger, A, Berner, R. , Kuhn, C. (2012): „Langzeitevaluation im Seniorenzentrum Holle“.
Unveröffentlichtes Manuskript.
•
Rutenkröger, A, Berner, R. , Kuhn, C. (2012) :Evaluation „Vom Ruheraum zum bewegt(er)en
Lebensraum“ Wissenschaftliche Begleitstudie zur Pflegeoase im Altenzentrum St. Elisabeth, Eislingen
•
Rutenkröger, A, Berner, R. , Kuhn, C. (2013): Meta-Analyse Pflegeoasen – unveröffentlichtes
Manuskript
25