Sind Implantate die besseren Zähne?
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Sind Implantate die besseren Zähne?
Koch.qxd 07.03.2006 16:29 Seite 2 4 6 8 10 KRITISIEREN & ARGUMENTIEREN ZAHNERHALT VERSUS IMPLANTAT Dr. Jan H. Koch, Freising: Dr. Markus Schlee beim DGI-Master – Ein Parodontologe zieht Zwischenbilanz 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 Sind Implantate die besseren Zähne? Sollten Zähne im Rahmen einer Sanierung parodontal erhalten oder besser extrahiert und durch Implantate ersetzt werden? Das Thema wird zurzeit heftig diskutiert. Beim Einsteiger-Modul zum Master of Science der Deutschen Gesellschaft für Implantologie in Berlin analysierte Dr. Markus Schlee das Thema aus Sicht eines niedergelassenen Parodontologen. Sein Zwischenbericht bietet spannende wissenschaftliche Einblicke – und schließt mit klaren Empfehlungen für die Praxis. 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 „Ich bin nachhaltig der Meinung, dass wir zu viel extrahieren.“ Schlee lässt keine Zweifel, dass sein Herz für den Zahnerhalt schlägt. Implantate hätten zwar hohe Überlebensraten. Es sei aber zu bedenken, dass Implantate, die vor oder während der Freilegung entfernt werden, in Studien häufig nicht erfasst sind. Patienten kämen zudem nicht mit dem Wunsch nach aufwändigen implantologischen Eingriffen zum Zahnarzt. Sie wünschten vielmehr schöne, funktionierende, langfristig stabile Zähne. Moderne parodontologische, endodontologische und restaurative Methoden führen nach Schlees Überzeugung zu sehr guten Erfolgen. So gingen in einer Studie der Universität Kiel bei 142 parodontal behandelten Patienten in der Phase der unterstützenden Parodontaltherapie (Erhaltungstherapie) im 122 124 126 128 130 DENTAL MAGAZIN 2/2006 Verlauf von 11,7 Jahren nur durchschnittlich 0,07 Zähne pro Jahr verloren. Grenzen der PAR-Therapie Doch Schlee zeigt auch klar auf, wo die Grenzen der Parodontaltherapie liegen. So ergab eine andere Studie mit 600 Patienten, dass nach durchschnittlich 22 Jahren 31 Prozent der zu Beginn als fragwürdig eingeschätzten Zähne verloren gegangen waren. Sehr häufig sind Zähne mit Furkationsbefall betroffen. Hemisektionen und Wurzelamputationen sind mit hohen Misserfolgsraten belastet. Ob gesteuerte Geweberegeneration erfolgreich ist, hängt stark vom Können des Operateurs und der Quelle: Jörg Kühn/DGI 54 Koch.qxd 07.03.2006 16:30 Seite 3 3 ZAHNERHALT VERSUS IMPLANTAT KRITISIEREN & ARGUMENTIEREN 5 Dr. Jan H. Koch, Freising: Dr. Markus Schlee beim DGI-Master – Ein Parodontologe zieht Zwischenbilanz 9 7 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 Bei einem 49-jährigen Patienten war Zahn 12 alio loco wegen starker Lockerung mit Komposit geschient worden. Es waren bereits mehrfach parodontale Abszesse aufgetreten. Die Krone auf Zahn 13 hatte einen stark überkonturierten Rand. (Fall: Dr. Markus Schlee) 33 Der Parodontalbefund zeigt vertiefte Taschen vor allem im Seitenzahnbereich von Ober- und Unterkiefer. Aufgrund des hohen Attachmentverlusts, des Röntgenbefundes und des Lockerungsgrades wurde entschieden, Zahn 12 durch ein Implantat zu ersetzen. Hierfür wurde zunächst durch Extraktion von 12, 38 und 48 und eine umfassende parodontale Vorbehandlung die Hygienefähigkeit hergestellt. Die Entzündungswerte wurden reduziert und die klinischen Parameter (BOP, API) auf ein akzeptables Niveau zurückgeführt. Die Zähne und Implantate 17 bis 12 wurden während der Phase der Parodontaltherapie mit einem laborgefertigtem Langzeitprovisorium versorgt. 35 37 39 41 43 45 47 49 51 53 55 Parodontaler Abschlussbefund: Nach Abheilen der Weichgewebe war bei 12 eine Augmentation des Hartgewebes mit autogenen Knochenspänen und des Weichgewebes mit einem Bindegewebstransplantat durchgeführt worden. Zahn 15 wurde wegen fortgeschrittenen Attachment- und Knochenverlustes durch ein Implantat ersetzt und eine Metallkeramikbrücke von 13 über 15 auf 17 hergestellt. Im zweiten Quadranten wurde Zahn 24 wegen eines Wurzelrisses ebenfalls durch ein Implantat ersetzt. Schlees Empfehlungen bei Furkationsbefall: Im Gegensatz zu furkationsbeteiligten Unterkieferzähnen haben Oberkieferzähne eine schlechte Prognose. 57 59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 Das klinische Abschlussbild zeigt reizlos abgeheilte Gewebe und eine sehr günstige Weichgewebskontur beim Implantat 12. 79 81 83 85 87 89 91 Defektmorphologie ab. Zudem ist die Art der parodontalen Therapie laut Literatur häufig nicht erfolgsentscheidend: „Tun Sie im Zweifel nicht zu viel und stellen Sie lieber eine gute Dentalhygienikerin an.“ Schlechte Karten für Raucher Bei der Entscheidung für Erhalt oder Implantation spielt nach Schlees Recherche der Zigarettenkonsum eine wichtige Rolle. Der Forchheimer Parodontologe zeigt Röntgenbilder von einem Molaren mit Paro-Endo-Problem bei einem Raucher. Das Scaling stabilisiert den Zahn zunächst, doch drei Jahre später ist der Knochen um die benachbarten Prämolaren so weit abgebaut, dass eine Implantattherapie ohne Sinuslift nicht mehr möglich ist. Bei fünf Prozent der Patienten mit aggressiver Parodontitis hat die Parodontaltherapie keinen nachhaltigen Erfolg. Unter diesen fünf Prozent befinden sich 90 Prozent Raucher – also Personen, die mehr als zehn Zigaretten pro Tag rauchen. Das Risiko variert stark und ist dosisabhängig. Auch eine ungünstige genetische Dispositon kann das Erkrankungsrisiko erhöhen. Ein genetischer Polymorphismus führt zur Überproduktion des Entzündungs-Mediators Interleukin 1. Ergebnis ist ein 93 95 97 99 101 103 105 107 Die Literaturliste können Sie als pdf unter www.dentalmagazin.de herunterladen. 109 111 113 115 117 119 121 123 125 127 DENTAL MAGAZIN 2/2006 129 Koch.qxd 07.03.2006 16:30 Seite 4 4 6 8 10 KRITISIEREN & ARGUMENTIEREN ZAHNERHALT VERSUS IMPLANTAT Dr. Jan H. Koch, Freising: Dr. Markus Schlee beim DGI-Master – Ein Parodontologe zieht Zwischenbilanz 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 Bei einem starken Raucher wurde der Zahn 16 mit ParoEndo-Problem mit geschlossenem Debridement behandelt. (Fall: Dr. Markus Schlee) Nach Ablauf eines Jahres ist Zahn 16 stabil, der Patient raucht aber weiter. Zahn 14 zeigt einen zunehmenden Knochenverlust. erhöhtes Risiko für generalisierten und stärker progedienten Krankheitsverlauf. Da aber 30 Prozent der Bevölkerung diesen Polymorphismus aufweisen, ist allein dadurch noch keine individuelle Prognose möglich. Zusammen sind Rauchen und genetische Disposition für zirka 86 Prozent der Parodontitisfälle verantwortlich. Ein Zusammenhang zwischen der Schwere einer Erkrankung bei Rauchern und IL1Genotyp wurde aber nicht gefunden. Weitere wichtige Risikofaktoren sind Diabetes und psychosozialer Stress. Engmaschiges Recall entscheidend 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 Wenn der Knochenerhalt kritisch ist, sollten fragliche Zähne frühzeitig entfernt werden. Wenn eine Restauration geplant ist, ist aus Kostengründen oft eine Extraktion sinnvoll. 76 78 80 82 84 86 Implantate bei aggressiver Parodontitis? 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 „Die gegenwärtige Datenlage spricht dafür, dass Implantate bei Risikopatienten und fortgschrittenem Knochenabbau möglicherweise die bessere Lösung sind.“ Die Entscheidung ist bei einem Patienten mit therapierter aggressiver Parodontitis für Implantate gefallen. Wie hoch ist in diesem Fall das Risiko für Implantatverluste? Schlee: „Die Datenlage reicht für eine abschließende Bewertung noch nicht aus.“ Das Keimspektrum ist laut Literatur bei Periimplantitis und Parodontitis vergleichbar und die fraglichen Leitkeime sind um Implantate ebenso wie um natürliche Zähne nachweisbar. IgG-Antikörper im Serum waren bei Patienten mit nicht integrierten Implantaten signifikant niedriger als bei Patienten mit normalen IgG-Werten. Das heißt, dass bei ungünstiger Abwehrlage weniger Implantate osseointegrieren als bei intaktem Immunsystem. 122 124 126 128 130 DENTAL MAGAZIN 2/2006 Einzelne Studien zeigen aber – bei engmaschigem Recall – sehr gute Überlebensraten für Implantate bei Patienten mit therapierter aggressiver Parodontitis. So betrug die Erfolgsquote in einer Studie mit 59 Patienten 1 bis 7 Jahre nach Implantation 97 Prozent (Unterkiefer) und 98 Prozent (Oberkiefer). Allerdings waren 57 der 59 Patienten in einem engmaschigen Recall und daher stark selektiert. Als Risikofaktoren für periimplantären Knochenabbau waren in einer weiteren Untersuchung das Rauchen von Bedeutung, Patientenalter und Interleukin 1Genotyp dagegen nicht. Dr. Markus Schlee ist in seiner Praxis mit parodontologischer Ausrichtung in Forchheim niedergelassen. Er ist Spezialist für Parodontologie (DGP, EDA) und hat einen Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie (BDIZ). Sein Know-how gibt er u.a. als Lehrbeauftragter beim Masterstudiengang der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) weiter. Koch.qxd 07.03.2006 16:30 Seite 5 3 ZAHNERHALT VERSUS IMPLANTAT KRITISIEREN & ARGUMENTIEREN 5 Dr. Jan H. Koch, Freising: Dr. Markus Schlee beim DGI-Master – Ein Parodontologe zieht Zwischenbilanz 9 7 11 13 15 17 19 21 Ein weiteres Jahr später ist Zahn 16 weiterhin stabil, doch die Prämolaren sind extraktionsreif. Eine Implantattherapie ist jetzt wegen des starken Knochenverlustes problematisch. Eine frühzeitige Implantation hätte den Knochen wahrscheinlich erhalten. Ein anderes Patientenkollektiv mit therapierter chronischer oder aggressiver Parodontitis erhielt Implantate, die über drei bzw. fünf Jahre nachuntersucht wurden. Weder bei der Art der Mikroorganismen noch beim Knochen- und Attachmentver- G Information Master of Science in Oral Implantology DGI Der Masterstudiengang der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) startet im März 2006 mit der vierten Studiengruppe. Der praxisbegleitende Studiengang wird in Zusammenarbeit mit der privaten Steinbeis-Universität Berlin durchgeführt. Er umfasst 24 Module und dauert zwei Jahre. Die Dozenten kommen als führende Experten aus Wissenschaft und Praxis. Die Kursbausteine sind wissenschaftsbasiert, werden aber etwa zur Hälfte in hoch qualifizierten Praxen durchgeführt. Im Gegensatz zu anderen Angeboten sind die praktischen Inhalte besonders umfangreich. Einzelne Kursmodule finden im Ausland statt (zum Beispiel in Wien, Budapest und auf Mallorca). Entsprechend den Standards des europäischen Bologna-Prozesses umfasst das Studium eine intensiv betreute Masterthese und eine Abschlussprüfung. Alle Teilnehmer werden intensiv von einem selbst gewählten Tutor betreut. Das DGI Curriculum Implantologie wird zu 100 Prozent zeitlich und finanziell auf den Studiengang angerechnet. lust stellten die Forscher signifikante Unterschiede zwischen Implantaten und natürlichen Zähne fest. Sondierungstiefen und Attachmentverlust waren bei den Patienten mit therapierter aggressiver Parodontitis größer als bei der chronischen Form. Das gilt für Implantate und therapierte natürliche Zähne. Interessant ist aber auch, dass der Knochenverlust um Implantate sogar geringer war als um – zuvor therapierte – natürliche Zähne. Schlee folgert unter Vorbehalt der dünnen Datenlage, dass Implantate bei aggressiver Parodontitis sogar erfolgreicher sein könnten natürliche Zähne. 23 Bei Patienten mit aggressiver Parodontitis oder sehr weit fortgeschrittener chronischer Parodontitis wird in Schlees Praxis eine Keimbestimmung mit entsprechender systemischer Anitibiotikagabe durchgeführt (genaue Empfehlungen unter www.dgparo.de, Zahnärzte/Stellungnahmen/Ad juvante Antibiotika). 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49 51 53 Das Gesamtbild sehen 55 Parodontal geschädigte Zähne lassen sich häufig erhalten. Schlee weist zum Abschluss noch einmal auf die hohen Erfolgsraten einer gut durchgeführten Parodontaltherapie hin. „Doch bei Patienten mit erhöhtem Risiko und nicht optimaler Mitarbeit sind vor allem Zähne mit Furkationsbefall, hohem Lockerungsgrad und fortgeschrittenem Knochenabbau gefährdet.“ Die Entscheidung für Implantate fällt vor allem, wenn der Zahn unter den genannten Bedingungen als Pfeiler noch längere Zeit im Mund bleiben soll. Abschließend zeigt Schlee eine erfolgreich parodontal therapierte Patientin mit langen Zahnhälsen und hoher Lachlinie. „Als Parodontologe bin ich stolz auf das Ergebnis. Doch ist das wirklich ein Erfolg für die Patientin?“ Häufig müsse überlegt werden, ob nicht eine implantatgetragene, abnehmbare Versorgung mit Kunststoffgingiva die bessere Lösung sei. „Die sicherste Papille macht Peter, der Lehrling in unserem Labor. Bei der Therapiewahl muss immer auch das Gesamtbild gesehen werden.“ Schlee weiß, dass seine Zuhörer beim DGI Master in Berlin sehr engagierte Zahnärzte sind. Sie werden ihre Entscheidungen für oder gegen Zahnerhalt jetzt noch besser fällen können als bisher. Da der Studiengang Master of Science in Oral Implantology interdisziplinär ausgerichtet ist, werden sie in weiteren Kursmodulen noch viel über die Schnittstellen beider Fachgebiete erfahren (siehe auch Infokasten). Sicher zum Vorteil für ihre Praxis und ihre Patienten. 57 59 61 63 65 67 69 71 73 75 77 Neben der Art der parodontalen Erkrankung und dem individuellen Risiko müssen bei der Entscheidung für oder gegen Zahnerhalt weitere Faktoren berücksichtigt werden. Dazu gehören u.a. endodontische Fragen, das Ausmaß des Knochenund Attachmentverlustes und der bisherige Krankheitsverlauf. 79 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 101 103 105 107 109 111 113 115 117 119 121 123 125 127 DENTAL MAGAZIN 2/2006 129