So nicht, Moses!

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So nicht, Moses!
So nicht, Moses!
Führungswissen aus der Bibel, aus Ordensregeln,
Fürstenspiegeln und ähnlichen Quellen
Versuch einer Erschließung
Manuskript zur Vorlesung
Mitarbeiterorientierte Unternehmensführung I
Ludwig-Maximilians-Universität München
11. Januar 2010
Von Lic. Phil. Diplom-Volkswirt Robert Fischer
© 2010
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Inhalt
Zur Einführung
1. „So nicht, Moses!“ Führungs-Wissen aus der Bibel
2. Die Regel des Antonius
3. Die Regel des Pachomius
4. Die Regel des Basilius
5. Die Regel des Augustinus
6. Die Regel des Benediktus
7. Die Franziskaner-Regel
8. Erwägungen über Führung (Bernhard von Clairvaux)
9. De regimine principum. Über die Herrschaft der Fürsten.
(Thomas von Aquin)
10. Fürstenerziehung (Erasmus von Rotterdam)
11. Die Satzungen der Jesuiten
12. „Wie man ein Kloster regieret“ (Crescentia von Kaufbeuren)
Schluss
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Führungs-Wissen in alten Quellen
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Zur Einführung
Immer wieder tauchen neue Management-Modelle auf in Literatur und Praxis, seien es die by-byMethoden (Management by objectives, by motivation, by delegation usw.) oder andere „Systeme“.
Oft werden nur einzelne Bestandteile eines ganzheitlichen Managements herausgehoben,
verabsolutiert und als neu verkauft.
Dass Führungs-Wissen sich bereits in alten Quellen findet, wird oft übersehen. Darum wurden
solche Quellen ausgegraben, durchgesehen und auf Führungs-Wissen abgeklopft. Es geht dabei
nicht um Vollständigkeit, sondern mehr um Anregung für Führungskräfte, sich derartigem Wissen
zu öffnen. Im Vordergrund dieser Auswertung stehen die Bibel und Ordens-Regeln aus
verschiedenen Zeiten. Außerdem sind einige Fürstenspiegel in die – nicht vollständige – Sammlung
aufgenommen worden. Manches ist zeitgebunden, vieles aber zeitlos gültig bis in unsere Tage. Die
Dokumente regeln das Zusammenleben und das Zusammenwirken vieler Menschen mit je
besonderer Zielsetzung. Und das geschieht auf dem Hintergrund eines Bildes vom Menschen, das
auch heute noch gelten sollte: nicht Kostenfaktor, sondern Geschöpf Gottes, Bruder und Schwester
ist der Mensch, auch für den, der sie führt. Diese Sicht verhindert zwar nicht Konflikte, sie werden
aber mit einer besseren Konfliktkultur bereinigt.
Das in diesen Texten verborgene Wissen ist es wert, auch für unsere Zeit erschlossen zu werden.
Diese Regelungen haben sich offensichtlich bewährt, denn was sie ordnen, besteht schon
Jahrhunderte und lebt immer noch: z.B. die Benediktiner, die Jesuiten u.a. So lange Zeit halten
Führungsgrundsätze heutiger Unternehmen wohl nicht! Vielleicht wächst dem Leser auch eine
gewisse Demut zu gegenüber dem Wissen aus „früheren“ Zeiten, das keineswegs veraltet,
manchmal sogar moderner ist als manches „neue“ Modell.
Gerade in Zeiten der Globalisierung ist es wichtig, die eigenen Quellen zu kennen. So kann man
sich besser anderen Kulturkreisen öffnen und sie verstehen. Das Wissen um die alten Quellen und
ihrer Inhalte vermittelt der Führung und der Führungsethik einen größeren Tiefgang und eine solide
Orientierung. Es geht nicht um eine Umsetzung 1:1, sondern um ein verständiges Verwirklichen
für unsere Zeit. Dazu wollen die Überlegungen anregen. Dies ist zugleich Aufgabe für den Leser.
In der folgenden Auswertung und Vorstellung alter Quellen für modernes Führungs-Wissen
werden die jeweiligen Zeitumstände nicht besonders ausgewertet. Es ist auch keine
textgeschichtliche Studie zu den einzelnen Quellen. Der Leser soll sich aber ein Bild machen
können über diese Quellen und die Ergebnisse befragen, ob und wie sie heutzutage die Ausübung
von Management beeinflussen und befruchten können. Es sollen Anstöße zum Weiterdenken
vermittelt werden. Wo es angebracht und hilfreich ist, sind in den „Originalton“ der Dokumente
Texte vom Autor dazwischen geschaltet; damit diese besser erkennbar sind, wurden sie meist
kursiv gedruckt.
Die Ausarbeitung ist also kein Lesebuch, sondern eine Arbeitsunterlage. Wer
Führungsverantwortung trägt, sollte sich treffen lassen von dem einen oder anderen Wort, und sei
es nur für eine bestimmte Zeit.
Die Darstellungen der einzelnen Quellen wurden nicht in ein einheitliches Schema gebracht,
sondern der Stil der jeweiligen Quelle sollte erhalten bleiben. Dem Leser kommt es zu, wie er die
Quellen für sich auswertet und fruchtbar werden lässt. So wird das Manuskript eine Anregung zum
Erarbeiten, Bedenken und Umsetzen des Inhalts.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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1. „So nicht, Moses!“ Führungs-Wissen aus der Bibel
Die Bibel – Wort des sich den Menschen offenbarenden Gottes – gibt dem Menschen Hinweise,
wie er sein Leben „gerecht“, also „Gott entsprechend“ gestalten kann und soll. Über diesen
allgemeinen Grundsatz hinaus kann die Bibel für einzelne Menschengruppen besonderes Wissen
vermitteln, aus dem die Weisheit vieler Völker alter Zeiten spricht.
Diese Quellen sollte man auch für Menschen öffnen, die mit Führungs-Aufgaben in unserer Zeit
betraut sind. Die folgende Zusammenstellung will – bruchstückhaft, nicht vollständig – Hinweise
vermitteln, die für modernes Management Informationen und Anregungen enthalten: Zitate,
Verhaltensweisen, Begebenheiten werden aufgeführt, durch die Führungsaufgaben und der
Umgang miteinander dem in neuem Licht erscheinen können, der sich dafür öffnet und sich
ansprechen lässt.
Die ausgewählten Worte sind große Kostbarkeiten; sie können als Leitworte manches „Leitbild“
ersetzen bzw. vertiefen und eine Führungskraft zumindest eine gewisse Zeit – je nach Situation und
„Bedarf“ - begleiten. Vielleicht dient diese Zusammenstellung dazu, manchem Schriftwort eine
neue Bedeutung zu geben oder sensibler damit umzugehen und die eigene Führungspraxis an
Schriftworten zu messen. Es kann schnell konkret werden. Eine Episode aus dem Leben des
früheren Bischofs von Fulda Johannes Dyba zeigt dies: Er wurde einmal zu seinen Mitarbeitern
sehr ungehalten, weil sie einen Vorgang nicht fanden. Vor Arbeitsschluss ging er dann zu ihnen hin
und sagte: „Lassen wir den Tag nicht im Zorn zu Ende gehen; bitte verzeihen Sie mir“ (Eph 4,26).
Ein anderes Beispiel der Konkretisierung eines Schriftwortes: Ein Manager las im Buch Numeri
die Geschichte, wie die Israeliten murrten und Gott schlug sie mit Giftschlangen, viele starben. Da
kamen sie zu Moses, er solle für sie beten. Dann heißt es: „Da betete Moses für das Volk“. Und der
Manager fragte sich, ob er überhaupt schon einmal „für das Volk“, also für die ihm zur Führung
Anvertrauten, gebetet habe.
Die kursiv geschriebenen Texte sind eingefügte Anmerkungen, Ergänzungen und „Brückentexte“
vom Verfasser dieser Zusammenstellung.
Altes Testament
Buch Exodus (Ex)
Delegation als Führungsaufgabe zur Entlastung. Wenn Delegation als modernes
Führungsmittel genannt wird, ist es gut, die wohl älteste Quelle zu diesem Thema
auszugraben:
Am folgenden Morgen setzte sich Mose, um für das Volk Recht zu sprechen. Die Leute
mussten vor Mose vom Morgen bis zum Abend anstehen. Als der Schwiegervater des
Mose sah, was er alles für das Volk zu tun hatte, sagte er: Was soll das, was du da für das
Volk tust? Warum sitzt du hier allein , und die vielen Leute müssen vom Morgen bis zum
Abend vor dir anstehen? Mose antwortete seinem Schwiegervater: Die Leute kommen zu
mir, um Gott zu befragen. Wenn sie einen Streitfall haben, kommen sie zu mir. Ich
entscheide dann ihren Fall und teile ihnen die Gesetze und Weisungen Gottes mit. Da sagte
der Schwiegervater zu Mose: Es ist nicht richtig, wie du das machst. So richtest du dich
selbst zugrunde und auch das Volk, das bei dir ist. Das ist zu schwer für dich, allein kannst
du es nicht bewältigen. Nun hör zu, ich will dir einen Rat geben, und Gott wird mit dir
sein. Vertritt du das Volk vor Gott! Bring ihre Rechtsfälle vor ihn, unterrichte sie in den
Gesetzen und Weisungen, und lehre sie, wie sie leben und was sie tun sollen. Du aber sieh
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dich im ganzen Volk nach tüchtigen, gottesfürchtigen und zuverlässigen Männern um, die
Bestechung ablehnen. Gib dem Volk Vorsteher für je tausend, hundert, fünfzig und zehn!
Sie sollen dem Volk jederzeit als Richter zur Verfügung stehen. Alle wichtigen Fälle sollen
sie vor dich bringen, die leichteren sollen sie selber entscheiden. Wenn du das tust, sofern
Gott zustimmt, bleibst du der Aufgabe gewachsen und die Leute hier können alle zufrieden
heimgehen.
Mose hörte auf seinen Schwiegervater und tat alles, was er vorschlug. Mose wählte sich
tüchtige Männer in ganz Israel aus und setzte sie als Hauptleute über das Volk ein, als
Vorsteher für je tausend, hundert, fünfzig und zehn. Sie standen dem Volke jederzeit als
Richter zur Verfügung. Die schwierigen Fälle brachten sie vor Mose, alle leichteren
entschieden sie selber. (18,13-26)
Bücher der Könige (Kön)
König Salomon bittet Gott bei seiner Beauftragung um ein hörendes Herz:
In Gibeon erschien der Herr dem Salomo nachts im Traum und forderte ihn auf: Sprich
eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll. Salomo antwortete: Du hast deinem Knecht
David, meinem Vater, große Huld erwiesen; denn er lebte vor dir in Treue, in
Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen. Du hast ihm diese große Huld bewahrt und
ihm einen Sohn geschenkt, der heute auf seinem Thron sitzt. So hast du jetzt, Herr, mein
Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch
sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll. Dein Knecht steht aber
mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man seiner Menge
wegen nicht zählen und nicht schätzen kann. Verleih daher deinem Knecht ein hörendes
Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht.
Wer könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? Es gefiel dem Herrn, dass Salomo diese
Bitte aussprach. Daher antwortete ihm Gott: Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast
und nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um
Einsicht gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich
gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir
kommen wird, der dir gleicht. Aber auch das, was du nicht erbeten hast, will ich dir geben:
Reichtum und Ehre, so dass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht.
Wenn du auf meinen Wegen gehst, meine Gesetze und Gebote befolgst wie dein Vater
David, dann schenke ich dir ein langes Leben. (1 Könige 3,5-15)
Buch der Sprichwörter (Spr)
Die Würde des Ranges der folgenden Zitate („Wort Gottes“) verbindet sich mit der Würde
von Erfahrungen vieler Generationen und Völker, die in diesen Zitaten zum Ausdruck
kommen.
Der Weise höre und vermehre sein Wissen, der Verständige lerne kluge Führung. (1,5)
Vermeide alle Falschheit des Mundes, und Verkehrtheit der Lippen halte von dir fern!
(4,24)
Die Weisheit und Wahrheit eines Sprichworts findet sich im folgenden Wort:
Unrecht Gut gedeihet nicht. (10,2)
Wer aufrichtig seinen Weg geht, geht sicher. (10,9)
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Wahrheit gehört auch zur Führung:
Lügnerische Lippen sind dem Herrn ein Gräuel, doch wer zuverlässig ist in seinem Tun,
der gefällt ihm. (12,22)
Sorgen im anderen soll man erkennen und mit einem guten Wort aufmuntern:
Kummer im Menschen bedrückt den Menschen, ein gutes Wort aber heitert ihn auf.
(12,25)
Der Langmütige ist immer der Klügere, der Jähzornige treibt die Torheit auf die Spitze.
(14,29)
Auch Geführte sind Geschöpfe Gottes – wie der Führende:
Wer den Geringen bedrückt, schmäht seinen Schöpfer, ihn ehrt, wer Erbarmen hat mit dem
Bedürftigen. (14,31)
Eine sanfte Antwort dämpft die Erregung, eine kränkende Rede reizt zum Zorn. (15,1)
Seelische Befindlichkeiten drücken sich im Körper aus; man muss die Situation des
anderen erkennen:
Ein fröhliches Herz macht das Gesicht heiter, Kummer im Herzen bedrückt das Gemüt.
(15,13)
Ein hörendes Herz ist wichtig:
Gibt einer Antwort, bevor er gehört hat, ist es Torheit und Schande für ihn. (18,13)
Tod und Leben stehen in der Macht der Zunge; wer sie liebevoll gebraucht, genießt ihre
Frucht. (18,21)
Viele Menschen rühmen sich ihrer Güte, aber wer findet einen, auf den Verlass ist? (20,6)
Zweierlei Gewicht und zweierlei Maß, beide sind dem Herrn ein Gräuel. (20,10)
Hast bringt nicht viel:
Die Pläne des Fleißigen bringen Gewinn, doch der hastige Mensch hat nur Mangel. (21,5)
Wer führt, muss Gerechtigkeit und Güte in Einklang bringen:
Wer nach Gerechtigkeit und Güte strebt, findet Leben in Ehre. (21,21)
Wer andern eine Grube gräbt...:
Wer eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, wer einen Stein hochwälzt, auf den rollt er
zurück. (26,27)
Eigenlob ist problematisch:
Rühmen soll dich ein anderer, nicht dein eigener Mund, ein Fremder, nicht deine eigenen
Lippen (27,2)
Haben Gerechte die Oberhand, gibt es glanzvolle Zeiten, erheben sich die Frevler,
verstecken sich die Menschen. (28,12)
Wer einen anderen zurechtweist, findet schließlich Dank, mehr als der Schmeichler.
(28,23)
Spricht ein König den Geringen zuverlässig Recht, hat sein Thron für immer Bestand.
(29,14)
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Buch der Weisheit (Weish)
Verwehrt eurer Zunge das Verleumden! (1,11 b)
Buch Jesus Sirach (Sir)
Den Menschen ist die Weisheit unterschiedlich zugeteilt. (1,10 a)
Sei kein Heuchler vor den Menschen, und hab acht auf deine Lippen. (1,29)
Bleib fest in deiner Überzeugung, eindeutig sei deine Rede. Sei schnell bereit zum Hören,
aber bedächtig bei der Antwort! (5,10-11)
Die Wahrheit freundlich sagen:
Sanfte Rede erwirbt viele Freunde, freundliche Lippen sind willkommen. (6,5)
Tadle nicht, ehe du geprüft hast; zuerst untersuche, dann weise zurecht! (11,7)
Gib keine Antwort, bevor du gehört hast, sprich nicht mitten in einer Rede! (11,8)
Das Herz des Menschen verändert sein Gesicht und macht es heiter oder traurig. (13,25)
Wer setzt eine Wache vor meinen Mund, vor meine Lippen ein kunstvolles Siegel, damit
ich durch sie nicht zu Fall komme und meine Zunge mich nicht ins Verderben stürzt?
(22,27)
Lobe keinen Menschen, ehe du ihn nicht beurteilt hast. (27,7)
Beim Führen sollte man den Humor nicht vergessen:
Herzensfreude ist Leben für den Menschen, Frohsinn verlängert ihm die Tage. (30,22)
Neid und Ärger verkürzen das Leben, Kummer macht vorzeitig alt. (30,24)
Doch achte auf den Rat deines Gewissens. Wer ist dir treuer als dieses? Das Gewissen des
Menschen gibt ihm bessere Auskunft als sieben Wächter auf der Warte. (37,13-14)
Buch Jeremia (Jer)
Führung verlangt Mut zur Entscheidung! Im Buch Jeremia findet sich dazu folgende
Geschichte:
König Zidkija von Juda bat Jeremia, für ihn und sein Volk zu beten. (37,3) Seine (= des
Jeremia) Botschaft mahnte („Wort des Herrn“), die Juden sollten sich über den Abzug der
Chaldäer nicht täuschen, die Gefahr sei noch nicht überstanden! Daraus entstand ein
Konflikt, denn die Juden wollten anderes hören. Jeremia sollte wegen
„Wehrkraftzersetzung“ in eine Zisterne geworfen werden, was seinen sicheren Tod
bedeutet hätte.
Als der König Zidkija die Chance hatte, Jeremia zu retten, äußerte er: „Nun, er ist in eurer
Hand, denn der König vermag nichts gegen euch“. (38,5) Daraufhin wurde Jeremia in eine
Zisterne geworfen.
Nur durch das Eingreifen des Kuschiters Ebed-Melech (ein Höfling) wurde Jeremia
gerettet.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Genützt hat Zidkija seine Feigheit nichts: Nebukadnezar ließ seine Familie vor seinen
Augen umbringen, ihn selber ließ er blenden und er verschleppte ihn nach Babylon in die
Gefangenschaft. Erst zum Ende wurde Zidkija begnadigt und er bekam ein „Gnadenbrot“
in Babylon.
Mit Zidkijas Führungs-Feigheit kann auch Pilatus verglichen werden. Pilatus fand keine
Schuld an Jesus, übergab ihn aber trotzdem seinen Verfolgern: „Nehmt ihr ihn hin, ich
finde keine Schuld an ihm“ (Mt 27, 11-26; Mk 15, 1-15; Lk 23, 13-25; Joh 19, 1-16a).
Genutzt hat die Feigheit auch dem Pilatus nicht; er wurde später nach Südgallien
strafversetzt.
Buch Ezechiel (Ez)
Ezechiel nimmt das Bild vom Hirten auf, das in der Bibel eine große Rolle spielt. An
verschiedenen Stellen (z.B. Isaia 44,28; Jeremia 3,15) werden die Fürsten des Volkes (wie
bei den Sumerern, Babyloniern, Assyrern und Griechen) mit Hirten verglichen. Dabei wird
zwischen guten (Ez 34,11-16) und schlechten (Is 56,11; Ez 34,1-10) Hirten unterschieden,
je nachdem, ob sie die Interessen der ihnen Anvertrauten oder ihre eigenen Interessen
verfolgen.
Im Neuen Testament spricht Jesus öfter vom Guten Hirten (Mt 18,10-14; Lk 15,3-7 –
Gleichnis vom verirrten Schaf – Joh 10,1-16).
Nach diesen Bibelstellen kann auch der Manager sein Verhalten mit dem der Hirten
vergleichen und sich angerufen sehen, ein guter Hirte zu sein.
So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selber weiden. Müssen
Hirten nicht die Herde weiden? Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung
und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Die
schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr
nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht, und die starken
misshandelt ihr. (34,2-4)
Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber
um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an
dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine
Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag
zerstreut haben. Ich führe sie aus den Völkern heraus, ich hole sie aus den Ländern
zusammen und bringe sie in ihr Land. Ich führe sie in den Bergen Israels auf die Weide, in
den Tälern und an allen bewohnten Orten des Landes. Auf gute Weide will ich sie führen,
im Bergland Israels werden ihre Weideplätze sein. Dort sollen sie auf guten Weideplätzen
lagern, auf den Bergen Israels sollen sie fette Weide finden. Ich werde meine Schafe auf
die Weide führen, ich werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Die verloren
gegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten
verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein
und für sie sorgen, wie es recht ist. (34,11-16)
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Neues Testament
Die folgende Übersicht berücksichtigt nicht Aussagen über allgemeine Verhaltensweisen
als Weg im Glauben. Aufgeführt werden Textstellen aus den Evangelien und den
Apostelbriefen, die einen besonderen Bezug zur Führung von Menschen erkennen lassen
und entsprechende Verhaltensweisen fordern.
Evangelium nach Matthäus (Mt)
Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein. (5,37)
Die “Goldene Regel“ aus dem Matthäus-Evangelium ist auch bekannt als Sprichwort:
Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu!
Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! (7,12) (Vgl. Lukas 6,31: Was
ihr von anderen erwartet, das tut auch ihr ihnen.)
Jesus bringt ein ganz neues Maß in die Diskussion ein:
Im Streit der Jünger, wer von ihnen der größte sei, nimmt Jesus das Maß an einem Kind.
(18,1-5)
Jesus geht Konflikten nicht aus dem Weg; er ruft die Jünger zu einem
„Mitarbeitergespräch“:
Damals kam die Frau des Zebedäus mit ihren Söhnen zu Jesus und fiel vor ihm nieder,
weil sie ihn um etwas bitten wollte. Er fragte sie: Was willst du? Sie antwortete: Versprich,
dass meine beiden Söhne in deinem Reich rechts und links neben dir sitzen dürfen. ... Als
die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über die beiden Brüder. Da
rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und
die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein,
sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste
sein will, der soll euer Sklave sein. (20,20-21; 24-27)
Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (20,1-16) wird vermittelt, Gerechtigkeit
bezieht sich auf das, was abgemacht ist; danach wird bezahlt. Ein anderes Maß ist die
Barmherzigkeit. Gerechtigkeit allein genügt nicht für gelingendes Leben; ihre Kälte nimmt
ab, wo Menschlichkeit dazu kommt durch Barmherzigkeit .
Für Jesus ist das Dienen wichtiger als das Herrschen.
„Wer bei euch groß sein will, soll euer Diener sein“. (20,26) (Vgl. Mk 10,35-44)
Im Gleichnis von den Talenten (25,14-28) kann man eine Brücke schlagen zur
Personalentwicklung: jedem soll die Chance geboten werden, seine Fähigkeiten zu
entwickeln und einzubringen.
Evangelium nach Markus (Mk)
Im Gleichnis vom Sämann (4,1-8) wird die notwendige Geduld vermittelt, die man
braucht, wenn man mit Menschen umgeht.
Rückzug und Erholung darf man nicht vergessen; das lehren folgende Stellen:
Da sagte Jesus zu ihnen (den Jüngern): Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein
sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich
waren die Leute, die kamen und gingen. (6,31) (Vgl. Joh 6,15 b: Daher zog sich Jesus
wieder auf einen Berg zurück, er allein.)
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Evangelium nach Lukas (Lk)
Eine neue Art der Zusammenarbeit, auch bei Konflikten, lehrt Jesus; mit solcher
Konfliktstrategie kann man die Spirale des Hasses durchbrechen. Wer betet heute für die,
mit denen er im Betrieb zusammenarbeitet, Probleme hat? Könnte dies nicht eine ganz
neue Perspektive auftun?
Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde, tut denen Gutes, die euch hassen.
Segnet die, die euch verfluchen, betet für die, die euch misshandeln. (6,27-30)
Die folgende Stelle bringt die Frage, was der einzelne in sein Herz füllt:
Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist; und ein böser
Mensch bringt Böses hervor, weil in seinem Herzen Böses ist. Wovon das Herz voll ist,
davon spricht der Mund. (6,45)
Das folgende Gleichnis kann uns die rechte Ordnung nahe bringen:
Und Jesus erzählte ihnen folgendes Gleichnis: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand
eine gute Ernte. Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich
meine Ernte unterbringen soll. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde
meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und
meine Vorräte unterbringen. Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen
Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink, und freu dich des Lebens! Da
sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man das Leben von dir
zurückfordern. Wem wird dann alles gehören, was du angehäuft hast? So geht es jedem,
der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist. (12,16-21)
Das Gleichnis vom Feigenbaum mahnt zur Geduld mit Mitarbeitern:
Und Jesus erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen
Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu
seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser
Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts: Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden
seine Kraft nehmen? Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich
will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch
Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen. (13,6-9)
Evangelium nach Johannes (Joh)
Es kann schmerzlich sein, wenn man in der Karriere von anderen überholt wird. Es
verlangt viel Größe, andere zu fördern, wenn sie größer werden. Johannes der Täufer sagt
es deutlich:
Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden. (3,30)
Im Gleichnis vom Guten Hirten (10,11-16) finden sich viele Hinweise für gute Führung:
sich einsetzen für die zur Führung Anvertrauten und sie kennen:
Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. (10,11)
Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich.... (10,14)
Darf man als Führungskraft Gefühle zeigen? Oder ist der Betrieb eine „gefühlsfreie
Zone“? Das Johannes-Evangelium berichtet an mehreren Stellen, dass Jesus Freude und
Schmerz zeigte:
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Als Jesus sah, wie sie (= Maria von Bethanien) weinte und wie auch die Juden weinten, die
mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. Er sagte: Wo habt ihr
ihn bestattet? Sie antworteten ihm: Komm und sieh! Da weinte Jesus. (11,33-35)
„Seht, wie er ihn lieb hatte“ (11,36) sagten die Juden, als sie Jesus am Grab des Lazarus
weinen sahen. Aus dieser Freundschaft erwuchs sicher auch Freude für alle Beteiligten.
Jetzt ist meine Seele erschüttert. (12,27)
Nach diesen Worten war Jesus im Innersten erschüttert. (13,21)
„Freude“ war für Jesus kein Fremdwort; sonst hätte er nicht folgende Worte sagen
können:
Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude
vollkommen wird. (15,11)
Aber jetzt gehe ich zu dir. Doch dies rede ich noch in der Welt, damit sie meine Freude in
Fülle in sich haben. (17,13)
Paulinische Briefe
Paulus beginnt seine Briefe an verschiedene Gemeinden mit einer „captatio
benevolentiae“: Er bringt seine Freude und Anerkennung für die Adressaten der Briefe
zum Ausdruck. Auch die Aeropag-Rede beginnt Paulus mit Anerkennung: „Athener, nach
allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen“. (Apostelgeschichte Apg 17,22)
Dies öffnet die Herzen der Angesprochenen; bedeutsam ist ein solcher Einstieg auch für
Führungskräfte bei Gesprächen mit Mitarbeitern.
Zunächst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube in
der ganzen Welt verkündet wird. (Römer 1,8)
Ich danke Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus
geschenkt wurde, dass ihr an allem reich geworden seid in ihm, an aller Rede und
Erkenntnis. Denn das Zeugnis über Christus wurde bei euch gefestigt, so dass euch keine
Gnadengabe fehlt, während ihr auf die Offenbarung Jesu Christi, unseres Herrn, wartet.
(1 Korinther 1,4-7)
Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke;
denn ich habe von eurem Glauben an Jesus, den Herrn, und von eurer Liebe zu allen
Heiligen gehört. (Epheser 1,15-16)
Ich danke meinem Gott jedes Mal, wenn ich an euch denke; immer, wenn ich für euch alle
bete, tue ich es mit Freude und danke meinem Gott dafür, dass ihr euch gemeinsam für das
Evangelium eingesetzt habt vom ersten Tag an bis jetzt. (Philipper 1,3-5)
Ich danke meinem Gott jedes Mal, wenn ich in meinen Gebeten an dich denke. Denn ich
höre von deinem Glauben an Jesus, den Herrn, und von deiner Liebe zu allen Heiligen.
(Philemon 4-5)
Paulus nennt offen, was gesagt werden muss! Dafür Beispiele:
Sie sind voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit,
List und Tücke, sie verleumden und treiben üble Nachrede, sie hassen Gott, sind
Führungs-Wissen in alten Quellen
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überheblich, hochmütig und prahlerisch, erfinderisch im Bösen und ungehorsam gegen die
Eltern, sie sind unverständig und haltlos, ohne Liebe und Erbarmen. (Römer 1,29-31)
Du belehrst andere Menschen, dich selbst aber belehrst du nicht. Du predigst: Du sollst
nicht stehlen!, und stiehlst. Du sagst: Du sollst die Ehe nicht brechen!, und brichst die Ehe.
Du verabscheust die Götzenbilder, begehst aber Tempelraub. (Römer 2,21-23)
Wir müssen als die Starken die Schwäche derer tragen, die schwach sind, und dürfen nicht
für uns selbst leben. (Römer 15,1)
Um euch aber einiges in Erinnerung zu rufen, habe ich euch einen teilweise sehr deutlichen
Brief geschrieben. (Römer 15,15)
Wer also zu stehen meint, der gebe acht, dass er nicht fällt. (1 Korinther 10,12)
So lernen alle etwas, und alle werden ermutigt. (1 Korinther 14,31 b)
Führung darf nicht am Buchstaben hängen, sondern muss den Sinn einer Maßnahme
erläutern:
Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. (2 Korinther 3,6)
Auch unter Aposteln gab es Konflikte; sie wurden offen ausgetragen:
Als Kephas also nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil
er sich ins Unrecht gesetzt hatte. (Galater 2,11) (Kephas aß mit den Heiden; als Juden
kamen, zog er sich von den Heiden zurück, weil er die Beschnittenen fürchtete. Paulus
nennt dies „unaufrichtig“ und stellt Kephas offen zur Rede. Das Problem – müssen Heiden
zuerst beschnitten werden, ehe sie Christen werden können – wurde später auf dem
Apostelkonzil in Jerusalem gelöst. Die Heiden konnten direkt Christen werden.
(Apostelgeschichte 15,1-29))
Wir wollen nicht prahlen, nicht miteinander streiten und einander nichts nachtragen.
(Galater 5,26)
Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Wer sich einbildet,
etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich. Jeder prüfe sein eigenes Tun.
(Galater 6,2-4)
Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die
Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. (Epheser 4,2-3)
Konflikte soll man rasch lösen:
Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen. (Epheser 4,26)
Jede Art von Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung und alles Böse verbannt aus
eurer Mitte! Seid gütig zueinander, seid barmherzig, vergebt einander, weil auch Gott euch
durch Christus vergeben hat. (Epheser 4,31-32)
Nutzt die Zeit. (Epheser 5,16)
Schließlich, Brüder: Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend
ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht! (Philipper 4,8)
Eure Worte seien immer freundlich, doch mit Salz gewürzt; denn ihr müsst jedem in der
rechten Weise antworten können. (Kolosser 4,6)
Führungs-Wissen in alten Quellen
13
Darum tröstet und ermahnt einander, und einer richte den anderen auf, wie ihr es schon tut.
(1 Thessalonicher 5,11)
Prüft alles, und behaltet das Gute! (1 Thessalonicher 5,21)
Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. (2 Thessalonicher 3,10)
Befehl und Bitte als „Weisungsarten“:
Obwohl ich durch Christus volle Freiheit habe, dir zu befehlen, was du tun sollst, ziehe ich
es um der Liebe willen vor, dich zu bitten. (Philemon 8-9)
Petrus-Briefe
Legt also alle Bosheit ab, alle Falschheit und Heuchelei, allen Neid und alle Verleumdung.
(1 Petrus 2,1)
Endlich aber: seid alle eines Sinnes, voll Mitgefühl und brüderlicher Liebe, seid
barmherzig und demütig! Vergeltet nicht Böses mit Bösem noch Kränkung mit Kränkung!
Statt dessen segnet; denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erlangen. (1 Petrus 3,8-9)
Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er
empfangen hat. (1 Petrus 4,10)
Eure Ältesten ermahne ich, da ich ein Ältester bin wie sie und ein Zeuge der Leiden Christi
und auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird: Sorgt als Hirten für
die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will;
auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung; seid nicht Beherrscher eurer
Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde. (1 Petrus 5,1-3)
Führen als Dienst („Dien-Mut“) verstehen:
Alle aber begegnet einander in Demut! (1 Petrus 5,5 b)
Literatur
Altes Testament Einheitsübersetzung Stuttgart 1980
Neues Testament Einheitsübersetzung Stuttgart 19812
Lorin Woolfe, The Bibel on Leadership. From Moses to Matthew. Management Lessons
for Contemporary Leaders. American Management Association, New York 2002. Das
Buch stellt einzelne Führungspersönlichkeiten vor (z.B. Jakob, Josef, Moses, Samson,
Jesus) und analysiert deren Führungseigenschaften.
Führungs-Wissen in alten Quellen
14
2. Regel des heiligen Antonius (251-356)
Auszüge aus: P. Benedikt Contzen OSB, Die Regel des heiligen Antonius. Beilage zum
Jahresberichte des humanistischen Gymnasiums Metten für das Schuljahr 1895/96.
Antonius war der Sohn wohlhabender christlicher Eltern. Sein Erbe verschenkte er und er
begann ein aszetisches Leben, zuerst in der Nähe seines Heimatdorfes, dann in der Wüste,
wo er viele Kämpfe mit Dämonen bestand. Um ihn sammelten sich Gleichgesinnte. Er
blieb immer in lebendiger Beziehung zu Menschen, die seinen Rat suchten. Sein Grab ist in
Arles in der Pfarrkirche St.-Julien. Er hat keinen Orden gegründet, sondern
Einsiedlergemeinschaften, aus denen unter Pachomius Mönchsgemeinschaften wurden.
„In die Wüste gehen“ bedeutet nicht schlechthin „Auszug aus der Welt“, sondern zuerst
ein „Abseitsgehen“ von der normalen Lebenswelt, vergleichbar etwa dem Weggang von
Bruder Klaus in die ‚Ranft’. Neben „Wüstenvätern“ in der Nähe der Kulturlandschaft gab
es auch solche, die sich weiter zurückgezogen haben in die Wüste. (vgl. Gisbert Greshake,
Spiritualität der Wüste. Innsbruck 2002, bes. S. 62-109: Die Spiritualität der Wüstenväter).
Diese Mönche – es gab auch Frauenklöster – führten ein einfaches Leben; ihren
Lebensunterhalt verdienten sie sich mit Arbeit. Sie pflegten eine besondere
Gottverbundenheit. Oft wurden die Mönche und Nonnen, deren Leben ein Zeichen für
andere war, zu gesuchten Ratgebern.
Nächst der Regel des heiligen Pachomius ist unter den alten ägyptischen Mönchsregeln
jene, welcher die vorliegenden Blätter gewidmet sind, die meistgenannte, und zwar des
Mannes wegen, dem sie zugeschrieben wurde. Dies war der heilige Antonius der Große.
Die Geschichte nennt ihn den Vater der Mönche, dessen Größe verflochten erscheint mit
der Größe des Biographen, dem wir die meisten Nachrichten über sein Leben verdanken.
(S. 3)
Das Gebet aber, dem Lesen und Betrachten nicht zur Seite stehen, wird auf die Dauer nicht
Bestand haben. Darum mahnt die Regel ebenso wie zu ununterbrochenem Gebete, auch zu
fortwährendem Lesen, und sie verlangt das nicht nur vom Mönche, der in seiner Zelle
weilt, sondern er soll das soviel nur möglich auch tun, wenn er sich Wasser holt oder sonst
auf dem Wege ist. Das Wasserschöpfen wird besonders erwähnt, damit auch die während
des oft weiten Weges zur Quelle gebrauchte Zeit nutzbringend sei für Herz und Verstand.
(S. 20)
Nach der Regel des heiligen. Pachomius mussten alle, auch wenn sie nicht wollten, lesen
lernen. (S. 20)
Eine hervorragende Bedeutung teils aus aszetischen, teils aus natürlichen Gründen hat im
Leben des Mönchs die Arbeit. In der alten Welt verachtet, wurde sie hier geübt als
sittlicher Beruf, als Mittel / zur Buße, Sühne und Erlösung, wohl auch zum eigenen
Unterhalt und zur Abhilfe der Not der Armen, also aus Liebe zu Gott und im Dienste des
Nächsten. Sie war darum stets in der Verfassung des Mönchtums ein wesentliches
Element, dessen Notwendigkeit unsere Regel des öftern scharf betont. Der Mönch, will sie,
soll nicht murren über die Mühsal seiner Handarbeit, soll jeden Widerwillen dagegen
überwinden; denn Gott wird dafür Ruhe senden. Wie zerfallene Mauern vor den Städten
der Sammelplatz für allen Unrat sind, so wird die Seele des Faulen, der den Mönchstand
gewählt, eine Wohnung der Leidenschaften und des Verderbnisses. Darum bezwinge dich
durch deine Handarbeit, und die Furcht Gottes wird in dir wohnen, und wie die beharrliche
Führungs-Wissen in alten Quellen
15
Arbeit mit Gebet und Psalmenbetrachtung in der Zelle ein Mittel für Erlangung der Demut
ist, so ist sie auch eine der Übungen, worin die Demut selbst sich zeigt. (S. 22/23)
Neben den Werken der leiblichen Hilfe sind auch die des Seelentrostes nicht vergessen,
zumal ist immer Rücksicht auf die menschliche Schwäche zu nehmen – inbetracht der
eigenen Gebrechlichkeit; denn, heißt es, wenn du einen Bruder siehst, der eine Sünde nicht
zum Tode begeht, so verachte und verdamme ihn nicht; denn sonst wirst du in die Hände
deiner Feinde fallen. Mache auch niemand seine Schwäche noch seine Fehler zum
Vorwurfe. Der Geist liebevollster Schonung ist es, welcher uns hier entgegenweht,
entsprechend dem Evangelium. (S. 24)
Wenn auch der hl. Antonius nicht unmittelbar Verfasser der Regel ist, so sind doch sein
Leben und seine Worte als Quelle der Regel anzusehen. (S. 30 f.)
Dringend wird vor Selbstüberhebung gewarnt; denn was aus menschlicher Ruhmsucht
geschieht, ist ohne Glauben und die Bewunderung der eigenen Größe hat schon viele zur
Sünde gebracht. .... Trägheit widerspricht dem Geiste Gottes. (S. 43)
Nicht minder oft erscheint die Mahnung zu emsiger Handarbeit. Der Faule ist gleich einem
zerfallenen Hause, eine Wohnung für allerhand böses Gewürm, eine Lagerstätte für Schutt.
Darum heißt es immer wieder, man solle eifrige Handarbeit betreiben, um dadurch Gott ein
friedliches Opfer zu bringen. (S. 52)
3. Regel des heiligen Pachomius (ca. 287 – 347)
Pachomius wurde nach Militärdienst und Taufe um 308 Eremit. 320-325 erbaute er in
Tabennisi ein großes Kloster, das Mönche in koinobitischer Lebensform zusammenführte;
er wurde Abt dieses Klosters. Bis zu seinem Tod entstanden in einem Verband neun große
Männerklöster (mit etwa 9000 Mönchen) und zwei Frauenklöster. Pachomius gilt als
Begründer des Koinobitentums.
Bei seinem Tod gab es neun Klöster mit 9000 Mönchen und zwei Frauenklöster. Die
Klöster des Pachomius sind kasernenähnlich gebaut, abgeteilt nach ausgeübten Berufen.
Entsprechend atmet auch die Regel fast militärischen Geist; aber trotzdem zeichnen weise
Mäßigung und Milde diese Regel aus (vgl. Hans Urs von Balthasar, Die großen
Ordensregeln, S. 56).
4. Regel des heiligen Basilius (329/331 – 379)
Nach klassischen Studien an verschiedenen Orten empfängt Basilius 356 die Taufe.
Zusammen mit Gregorius von Nazianz gründet er ein Kloster und verfasst eine Regel.
Später wird er Erzbischof von Kaisaria; Kirchenlehrer.
Die etwas später datierte Regel des Basilius ist ausführlicher als die des Pachomius. Sie
gilt als Urform der Mönchsregeln. Basilius findet von einer allgemeinen Kirchenregel zur
Regel des organisierten Mönchtums. Christus ist das Haupt, der Vorsteher das Auge. Die
Gemeinschaft hat die rechte Ausübung der Führung zu überwachen und gegebenenfalls zu
kritisieren (Balthasar S. 51). Die ignatianische indifferencia ist schon bei Basilius zu finden
als Freiheit von allen ungeordneten Neigungen (a.a.O.,, S. 55). Das Leben in Gemeinschaft
schätzt Basilius hoch: Das Zusammenleben mit mehreren, die dasselbe Ziel haben, ist zu
vielerlei förderlich....von mehreren wird leichter eine Mehrzahl von Geboten erfüllt (a.a.O.,
S. 78 f.). Der Stärkere kann dem Schwächeren helfen (a.a.O., S. 82).
Führungs-Wissen in alten Quellen
16
In der Regel des Basilius finden sich Vorschriften für die Vorsteher, das sind solche, denen
die gemeinsame Sorge anvertraut ist (a.a.O., S. 99). Sie haben das Geschehene zu prüfen,
zu erwägen, was geschehen soll, das Amt des Auges, des Ohres oder der Hand auszuüben
(sehen, hören, tun). Der Vorsteher handle so, als müsste er für den Einzelnen Rechenschaft
abgeben. Er darf keinem aus Schmeichelei Fehler nachsehen, sonst wird der Vorsteher zum
blinden Führer (a.a.O., S. 101). Der Vorsteher muss Vorbild sein, die Schwächeren in der
Nachahmung Christi fördern (a.a.O., S. 102). Er soll ein demütiges Herz haben,
barmherzig und geduldig sein (a.a.O., S. 102 f.).
Der Vorsteher soll für Zeiten der Abwesenheit und Krankheit einen Stellvertreter haben
(a.a.O., S. 103). Die übrigen haben die Pflicht, den Vorsteher „mahnend zu erinnern, wenn
er sich irgendeines Vergehens verdächtig gemacht hat“ (a.a.O., S. 104). Die Vorsteher der
Brüderschaften sollen hin und wieder zusammenkommen, um sich miteinander zu
besprechen über unerwartete Vorfälle, schwer zu behandelnde Charaktere und über die Art
des Vorgehens (a.a.O., S. 104). Wer ein Amt bekleidet, soll es so ausüben, als diene er
nicht Menschen, sondern dem Herrn (a.a.O., S. 105). Der, dem die Verteilung der Arbeiten
obliegt, soll vorher die Tauglichkeit und die Kräfte des Arbeitenden prüfen (a.a.O., S. 110).
Der Vorgesetzte soll andere zur Beratung und Erwägung der gemeinschaftlichen
Angelegenheiten beiziehen, wie die Schrift sagt: „Tue alles mit Rat“ (Jesus Sirach 32, 19).
Muss der Vorsteher strafen, tue er dies nicht mit Leidenschaft, sondern mit Milde (a.a.O.,
S. 112). Nicht dem Schwachen soll er zürnen, sondern die Krankheit bekämpfen (a.a.O., S.
113).
Besondere Aussagen hat Basilius über den Wert der Arbeit in seine Regel eingeschrieben.
Das Ziel frommen Lebens leistet nicht Vorschub der Arbeitsscheu und Trägheit. Jeder soll
sich an seine eigene Arbeit halten, ihr mit Fleiß obliegen und sie mit unermüdlichem Eifer
verrichten, als ob Gott sie nachprüfte (a.a.O., S. 116 f.). Für Neue gilt: Wir müssen das
Vorleben jener kennen lernen, die bei uns eintreten wollen (a.a.O., S. 123). Eine besondere
Vorschrift sei noch erwähnt: Für das Behalten von Namen und Sachen sind den Schülern
Preise auszusetzen, so dass sie mit Freude und Lust, ohne Beschwerde und Anstoß das Ziel
erreichen (a.a.O., S. 121).
Die Hinweise und Ausführungen zeigen deutlich den Zusammenhang zu späteren Regeln.
Benedikt nennt die Regel des heiligen Vaters Basilius ausdrücklich (Benediktus-Regel BR - 73,5). Auch Benedikt verlangt vom Oberen, dass er alles mit Rat tue und bezieht sich
dabei, wie Basilius, auf Jesus Sirach 32,19 (BR 3,13). Aussagen über das Strafen mit
Milde finden sich ebenfalls bei Benedikt (BR 64, 11 ff.). Auch die starke Verankerung der
Verantwortung vor Gott kann man in vielen späteren Regeln lesen.
Was Basilius über die Treffen der Oberen schreibt, findet sich heutzutage unter den
Begriffen „Austausch“ und „Supervision“ wieder. Und die besondere Sorge für die
Gerätschaften formuliert Benedikt später, man behandle sie wie Altargeräte (BR 31,10).
Und wie man Schüler durch Belohnung motivieren soll, hat offensichtlich Basilius auch
schon gewusst!
Was kann der Manager heute aus den Regeln des Pachomius und des Basilius für
sich erkennen?
Beim Strafen weise Mäßigung und Milde üben; den Fehler bekämpfen, dem Fehlenden
Verständnis entgegenbringen und Hilfe anbieten. Die Gemeinschaft der Geführten soll die
Führung überwachen und gegebenenfalls kritisieren. Den Schwächeren fördern. Der
Vorgesetzte braucht Geduld und ein demütiges Herz. Führen ist Dienst an anderen.
Führungs-Wissen in alten Quellen
17
Tauglichkeit und Kräfte der Mitarbeiter muss der Vorgesetzte kennen. Vor Entscheidungen
soll er mit Betroffenen beraten. Neue soll man genau anschauen. Lob und Anerkennung
dürfen nicht fehlen. Der Manager soll sich nicht scheuen, sich mit anderen auszutauschen;
keiner weiß oder kann alles.
Literatur
Hans Urs von Balthasar, Die großen Ordensregeln. Basilius, Augustinus, Benedikt,
Franziskus, Ignatius von Loyola. Einsiedeln 1974
Udo Manshausen, Wüstenväter für Manager. Weisheiten christlicher Eremiten für die
heutige Führungspraxis. Wiesbaden 2000
Basilius von Caesarea, Die Mönchsregeln. St. Ottilien 1981
5. Die Regel des heiligen Augustinus
Vorbemerkung
Der heilige Augustinus (354-430) schrieb um 397 diese erste Klosterregel des
Abendlandes. Es gibt sie in zwei – inhaltsgleichen – Fassungen für Frauen- und
Männergemeinschaften. Ihre Bedeutung ist erkennbar, weil vierzehn Handschriften aus der
Zeit vor 1000 erhalten sind. Sie wurde von vielen klösterlichen Gemeinschaften
übernommen: Augustinerchorherren, Kreuzherren, Prämonstratenser, Trinitarier,
Mercedarier, Dominikaner, Serviten, Barmherzige Brüder vom hl. Johannes von Gott,
Birgittinnen, Ursulinen, Salesianerinnen,
Schwestern vom Guten Hirten, Arme
Schulschwestern usw. Es gibt einige hundert Orden und Kongregationen, die nach dieser
Regel leben.
Die Regel umfasst nur wenige Seiten, die wohl eine Zusammenfassung geistlicher
Vorträge von Augustinus sind. Ihr Ziel ist, einige Gedankengänge zu vermitteln, welche
die religiöse Welt des Hörers anregen und darin weiter wirken sollte und die sehr stark auf
biblische Aussagen beruhen.
Liebe und Gemeinschaft bilden die zentralen Werte: Ein gutes Gemeinschaftsleben ist das
Umsetzen der Liebe in die tägliche Praxis. Das Äußerliche muss Ausdruck innerer
Gesinnung sein. Das Leben in der Gemeinschaft ist Mittel zur Überwindung der
Selbstsucht.
Der folgende Text gibt die Version für Männer wieder; die Version für Frauen ist
textgleich, nur auf Frauen (z.B. „Oberin“ statt „Oberer“, „Schwester“ statt „Bruder“ usw.)
abgestellt.
Der Text ist dem Buch entnommen: Augustinus von Hippo, Regel für die Gemeinschaft.
Mit Einführung und Kommentar von Tarsicius Jan van Bavel O.S.A. Ins Deutsche
übertragen von Ludger Horstkötter O.Praem. Würzburg 20002.
Text der Regel (Version für Männer -Auszüge)
1. Kapitel
1 Euch, die ihr eine Klostergemeinschaft bildet, tragen wir auf, Folgendes in eurem Leben
zu verwirklichen:
Führungs-Wissen in alten Quellen
18
2 Zu allererst sollt ihr einmütig zusammenwohnen (Ps 68,7) wie ein Herz und eine Seele
(Apg 4,32) auf dem Weg zu Gott. Denn war das nicht der entscheidende Grund, weshalb
ihr euch zum gemeinsamen Leben entschlossen habt?
7 Andererseits dürfen jene, die in der Welt etwas zu sein schienen, nicht verächtlich auf
ihre Mitbrüder herabsehen, die aus ärmlichen Verhältnissen in diese heilige Gemeinschaft
eingetreten sind. Sie sollen viel stärker darauf bedacht sein, sich des Zusammenlebens mit
diesen armen Brüdern zu rühmen als der gesellschaftlichen Stellung ihrer reichen Eltern. 8
Lebt also alle wie ein Herz und eine Seele (vgl. Apg 4,32) zusammen und ehrt gegenseitig
in euch Gott; denn jeder von euch ist sein Tempel geworden (2 Kor 6,16).
3. Kapitel
5 Kranke müssen selbstverständlich eine der Krankheit angepasste leichte Kost
bekommen; andernfalls würde man die Krankheit verschlimmern. Sobald aber die
Besserung eintritt, sollen sie mit kräftiger Nahrung versorgt werden, damit sie sich so
schnell wie möglich erholen, selbst wenn sie vor ihrem Klostereintritt zur ärmsten Schicht
der Gesellschaft gehörten. Während der Genesungszeit sollen sie dasselbe erhalten, was
den Reichen aufgrund ihrer früheren Lebensgewohnheit zugestanden wird. Sobald sie aber
wieder zu Kräften gekommen sind, sollen sie von neuem anfangen, so zu leben wie früher,
als sie glücklicher waren, weil sie weniger nötig hatten. Je schlichter die Lebensführung
ist, desto besser passt sie zu den Dienern Gottes! – Wenn ein Kranker genesen ist, soll er
sich in Acht nehmen, dass er nicht zum Sklaven der eigenen Behaglichkeit wird. Er muss
auf die Vorrechte verzichten lernen, die seine Krankheit mit sich brachte. Diejenigen, die
zu einem anspruchslosen Lebensstil am ehesten bereit sind, sollen sich für die reichsten
Menschen halten. Denn es ist besser, wenig nötig zu haben als viel zu besitzen.
4. Kapitel
8 Sieht man aber nach einer solchen Ermahnung oder auch sonst, dass dieser Bruder doch
wieder dasselbe tut, dann soll jeder, der das merkt, sein Herz als verwundet betrachten und
um Heilung bemüht sein. Es steht dann niemandem mehr frei zu schweigen. Aber zunächst
sollst du nur ein oder zwei weitere Personen darauf aufmerksam machen, damit dieser
Bruder durch die Aussage von Zweien oder Dreien von seinem Fehler überzeugt werden
kann (Mt 18,15-17) und mit angemessener Strenge zur Ordnung gerufen wird. Du darfst
nicht meinen, dass du böswillig handelst, wenn du das tust. Im Gegenteil: Du lädst Schuld
auf dich, wenn du deine Brüder durch dein Stillschweigen ihrem Untergang entgegengehen
lässt, während du sie doch auf den guten Weg zurückführen kannst, sobald du offenbarst,
was du weißt. Nimm zum Beispiel an, dein Bruder hätte an seinem Leib eine Wunde und
wollte sie aus Angst vor einem ärztlichen Eingriff verbergen. Wäre es nicht herzlos von
dir, darüber zu schweigen? Und würde es demgegenüber nicht von Mitgefühl zeugen, dies
bekannt zu machen? Um wie viel größer ist dann aber deine Pflicht, den Zustand deines
Bruders offen zu legen, wenn du dadurch verhindern kannst, dass das Böse sein Herz
weiter angreift; und das wäre viel schlimmer.
9 Will er nicht auf deine Ermahnung hören, dann soll man zunächst den Oberen zu einem
Gespräch unter vier Augen hinzurufen, um dadurch die anderen noch herauszuhalten.
Bessert er sich daraufhin noch nicht, dann darfst du andere hinzuziehen, um diesen Bruder
von seinem Fehlverhalten zu überzeugen. Wenn er weiterhin bestreitet, soll man ohne sein
Wissen weitere Personen verständigen, um ihn in Gegenwart aller durch die Aussage von
mehreren auf sein Fehlverhalten hinweisen zu können (vgl. 1 Tim 5,20), weil ja zwei oder
Führungs-Wissen in alten Quellen
19
drei eher jemanden überzeugen können als einer allein. Ist seine Schuld einmal erwiesen,
dann soll der Obere oder der Priester, unter dessen Zuständigkeit das Kloster fällt, urteilen,
welche Strafe er zur Besserung auf sich zu nehmen hat. Wenn er es ablehnt, sich dieser
Strafe zu unterziehen, soll er aus eurer Gemeinschaft entlassen werden, auch wenn er
selbst nicht austreten möchte. Auch dies geschieht nicht aus Herzlosigkeit, sondern aus
Liebe. Denn dadurch beugt man vor, dass er andere durch seinen schlechten Einfluss
ansteckt und ins Verderben zieht.
10 Was ich über die lüsterne Begierde nach Frauen gesagt habe, gilt in entsprechender
Weise bei allen anderen Fehlern. Folgt derselben Verfahrensordnung gewissenhaft und
treu beim Aufdecken, Verhindern, Ans-Licht-Bringen, Beweisen und Bestrafen anderer
Sünden, und zwar mit Liebe geben über den betreffenden Menschen, aber mit Abkehr von
ihren Fehlern.
5. Kapitel
2 ... Niemand möge bei seiner Arbeit auf seinen persönlichen Vorteil bedacht sein,
sondern alles geschehe im Dienst der Gemeinschaft, und zwar mit mehr Eifer und größerer
Begeisterung, als wenn jeder Bruder für sich selbst und zum eigenen Nutzen arbeiten
würde. Denn über die Liebe steht geschrieben, dass sie nicht ihren Vorteil sucht (1 Kor
13,5), das heißt: Sie stellt das Gemeinschaftsinteresse über das Eigeninteresse und nicht
umgekehrt. Die Tatsache, dass ihr mehr Sorge für die Belange der Gemeinschaft als für
eure eigenen an den Tag legt, ist deshalb ein Prüfstein für euren Fortschritt. So wird sich in
allem, was die vergängliche Not des Menschen betrifft, etwas Bleibendes und
Überragendes zeigen, nämlich die Liebe (vgl. 1 Kor 12,31 u. 13,8 u.13; Eph 3,19).
6 Wie es im Einzelfall auch sein mag: Sobald ein Mitbruder sagt, dass er sich nicht wohl
fühlt und Schmerzen hat, dann glaubt ihm ohne weiteres, selbst wenn die Krankheit noch
nicht zum Ausbruch gekommen ist. Wenn ihr aber nicht sicher seid, ob die bevorzugte
Behandlung, die er erbittet, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit auch angebracht ist,
dann fragt einen Arzt um Rat.
6. Kapitel
1 Seid nie untereinander zerstritten. Sollte es doch einmal zum Streit kommen, dann macht
so schnell wie möglich Schluss damit. Sonst wächst der Zorn zum Hass. Dann wird ein
Splitter zum Balken (vgl. Mt 7,3-5) und macht aus eurem Herzen eine Mördergrube. Denn
es steht geschrieben: „Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Mörder“ (1 Joh 3,15).
2 Wenn du einen Bruder verletzt hast, indem du ihn ausgeschimpft, verwünscht oder zu
Unrecht schwer beschuldigt hast, dann denk daran, das Unheil, das du angerichtet hast, so
schnell wie möglich durch deine Entschuldigung wieder gutzumachen; und der Mitbruder,
der verletzt wurde, soll dir seinerseits ohne große Umstände verzeihen. Wenn sich zwei
Brüder aber gegenseitig beleidigt haben, dann müssen sie sich auch gegenseitig ihre
Schuld vergeben (vgl. Mt 6,12); andernfalls wird euer „Vater unser“-Beten zur Lüge.
Übrigens, je mehr ihr betet, desto ehrlicher und aufrichtiger wird euer Gebet sein müssen.
Man kann besser mit einem Bruder auskommen, der zwar schnell wütend wird, dies aber
auch schnell wieder gutmacht, sobald er einsieht, dass er einem anderen Unrecht getan hat,
als mit einem anderen Bruder, der weniger aufbrausend ist, der aber auch nur zögernd
bereit ist, seine Entschuldigung anzubieten. Wer aber nie um Verzeihung bitten will oder
dies nicht von ganzem Herzen tut (vgl. Mt 18,35), gehört nicht in ein Kloster, selbst wenn
man diesen Bruder nicht aus der Gemeinschaft entlässt. Hütet euch also vor verletzenden
Führungs-Wissen in alten Quellen
20
Worten. Wenn sie doch gefallen sind, dann seid nicht bange, das heilende Wort mit
demselben Mund zu sprechen, der die Verletzung verursachte.
3 Es kann jedoch vorkommen, dass die notwendige Sorge für den rechten Gang der Dinge
jemanden von euch zwingt, harte Worte gegenüber Minderjährigen zu gebrauchen, um sie
zur Ordnung zu rufen. In diesem Fall wird von euch nicht verlangt, dass ihr sie dafür um
Verzeihung bittet, auch wenn ihr selber das Gefühl habt, dass ihr dabei zu weit gegangen
seid. Denn wenn ihr euch gegenüber diesen Jüngeren durch übertriebene Demut als zu
unterwürfig erweist, schadet ihr damit der Autorität, die ihnen die nötige Leitung zu geben
hat und der sie sich zu unterwerfen haben. Bei solchen Gelegenheiten sollt ihr allerdings
den Herrn aller Menschen um Verzeihung bitten, der weiß, wie sehr ihr auch jene schätzt,
die ihr vielleicht mit zu großer Strenge behandelt habt. Eure Liebe zueinander darf nicht in
der Selbstsucht stecken bleiben; sie muss sich vielmehr vom Geist Gottes leiten lassen.
7. Kapitel
1 Gehorcht eurem Oberen (Hebr 13,17) so wie einem Vater, aber auch mit dem
gebührenden Respekt, der ihm aufgrund seines Amtes zusteht; andernfalls verfehlt ihr euch
gegen Gott in ihm. Das gilt noch mehr für euer Verhalten gegenüber dem Priester, der für
euch alle die Verantwortung trägt.
2 Es ist in erster Linie Aufgabe des Oberen, dafür zu sorgen, dass man alles, was hier
gesagt ist, auch verwirklicht und dass man Übertretungen nicht achtlos übergeht. Es ist
seine Aufgabe, auf fehlerhaftes Verhalten hinzuweisen und für Besserung zu sorgen. Was
seine Befugnisse und Kräfte übersteigt, soll er dem Priester vorlegen, weil dessen
Amtsautorität in bestimmter Hinsicht größer ist als seine.
3 Euer Oberer soll sich nicht deshalb glücklich schätzen, weil er kraft seines Amtes
gebieten (vgl. Lk 22,25-26), sondern weil er in Liebe dienen kann (vgl. Gal 5,13).
Aufgrund eurer Hochachtung soll er unter euch herausgehoben sein, doch aufgrund seiner
Verantwortlichkeit vor Gott soll er sich als der Geringste von euch einschätzen. Allen soll
er durch gute Werke ein Beispiel geben (Tit 2,7): Er soll diejenigen, die ihre Arbeit
vernachlässigen, zurechtweisen, den Ängstlichen Mut machen, sich der Schwachen
annehmen, mit allen Geduld haben (1 Thess 5,14). Er selber soll die Richtlinien der
Gemeinschaft in Ehren halten und auch bei den anderen auf Beachtung drängen.
Wiewohl beides in gleicher Weise nötig ist, soll er mehr darauf bedacht sein, von euch
geliebt als gefürchtet zu werden. Er soll stets daran denken, dass er vor Gott für euch
Rechenschaft ablegen muss (Hebr 13,17).
4 Indem ihr aus Liebe gehorcht, stellt ihr unter Beweis, dass ihr nicht nur mit euch selbst
Erbarmen habt (Sir 30,23), sondern auch mit eurem Oberen. Denn auch für eure
Gemeinschaft gilt: Je höher einer gestellt ist, desto größer ist die damit verbundene Gefahr!
8. Kapitel
1 Der Herr gebe, dass ihr, ergriffen vom Verlangen nach geistlicher Schönheit (Sir 44,6),
dies alles mit Liebe befolgt. Lebt so, dass ihr durch euer Leben den lebensweckenden
Wohlgeruch Christi verbreitet (vgl. 2 Kor 2,15). Lebt nicht als Sklaven, niedergebeugt
unter dem Gesetz, sondern als freie Menschen unter der Gnade (vgl. Röm 6,14-22).
Führungs-Wissen in alten Quellen
21
Was kann der Manager unserer Tage aus dieser Regel entnehmen?
Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, wenn man einen Kommentar zur Regel
zuzieht, der die geistigen Hintergründe der knappen Regel etwas ausleuchtet.
Die folgenden Anmerkungen gründen – soweit nichts anderes angegeben - auf dem Buch:
Augustinus von Hippo. Regel für die Gemeinschaft. Die Seitenangaben in Klammern
beziehen sich auf dieses Buch.
Manche Aussagen der Regel sind zeitgebunden, andere vermitteln zeitlose
Grunderfahrungen im menschlichen Miteinander; um diese geht es in den folgenden
Anmerkungen. Alte Wissens- und Erfahrungsschätze sollen für unsere Zeit gehoben und
fruchtbar gemacht werden. Unschwer ist zu erkennen: Nicht alles, was sich als neues
Wissen gibt, ist wirklich neu. Oft sind nur die Quellen nicht mehr bekannt.
Ziel:
Die knapp getextete Regel vermittelt Gedanken grundsätzlicher Art, die im Hörer weiter
wirken sollen (13). Es geht also nicht um Einzelvorschriften, sondern um die
Grundrichtung.
Damit wird die Motivation zur Weiterentwicklung zum Grundelement. Augustinus spricht
das Herz an.
Werte:
Ein gelungenes Gemeinschaftsleben stützt den Einzelnen. Das Äußerliche muss Ausdruck
innerer Haltung sein, nicht oberflächliches Spiel. Das Leben in der Gemeinschaft soll
helfen, die Selbstsucht des Individuums zu überwinden (14). Der Blick auf die
Gemeinschaft in Betrieb und Staat ist auch heute wichtig, wo der Individualismus vielfach
als Ideal gelebt wird. Nicht „Ellenbogen“, sondern Liebe sind unerlässliche
Gestaltungsfaktoren menschlicher Gemeinschaft.
Folgerungen:
„Untereinander eins, in dem einen Christus, auf dem Weg zu dem einen Vater!“ so fasst
Augustinus kurz zusammen (39) Auch im Betrieb muss eine gewisse Einheit trotz Vielheit
gegeben sein, um das Ziel zu erreichen. Für diese Einheit zu sorgen ist Aufgabe des
Managements.
Der Mönch braucht einen ständigen Weiterentwicklungsprozess (41). Heute würde man
sagen: „Personalentwicklung“.
Zwischenmenschliche Beziehungen verlangen ein gegenseitiges Anteilnehmen (41).
Gemeinschaft ist ein Netzwerk zwischen lebendigen Menschen, sie müssen einander
achten und helfen, voranzukommen. Dies zu fördern ist Aufgabe jeder Führungskraft.
Der Blick auf und für den Nächsten verlangt Aufmerksamkeit. Wie geht es ihm? Was kann
ihm in seiner Situation zugemutet werden?
Irdische Güter dienen der Entfaltung des Einzelnen und der menschlichen Gemeinschaft.
Habsucht und Machtstreben hindern daran, dass echte Gemeinschaft entsteht (46). Liebe
ist ein besserer Weg für Gemeinschaft. Die Verwirklichung solcher Gedanken ist
Führungsaufgabe, auch heute!
Führungs-Wissen in alten Quellen
22
Die Regel vermeidet Uniformität, die den einzelnen Menschen degradiert (48). Liebe
achtet die persönliche Eigenart des Einzelnen (48). „Lebt also alle wie ein Herz und eine
Seele zusammen und ehrt gegenseitig in euch Gott“ (1. Kap. 8). Hier wird daran appelliert,
im Nächsten (auch im Mitarbeiter) ein Gottesgeschöpf zu sehen.
Wie wird „der Andere“ gesehen: als Partner, als Konkurrent, als Mensch und Geschöpf
Gottes?
Augustinus vertieft seine Gedanken über die (Nächsten-)Liebe der Regel in einer Predigt
über den ersten Johannesbrief: „Wollt ihr die Liebe verwirklichen, dann seid vor allem
anderen davon überzeugt, dass die Liebe keine Kleinigkeit ist, nicht etwas Billiges, wofür
man nichts zu tun braucht. Man verwirklicht die Liebe nicht, indem man ein bisschen
Gutmütigkeit zeigt. ... Man verwirklicht die Liebe nicht, indem man unentschlossen,
gleichgültig oder nachlässig ist. Du darfst nicht meinen, dass du deinen Knecht liebst, nur
weil du ihn nicht verprügelst, dass du dein Kind liebst, wenn du ihm keine
Selbstbeherrschung beibringst, und dass du deinen Nachbarn liebst, nur weil du ihn nie
kritisierst. Das ist keine Nächstenliebe, sondern Faulheit und fehlende Einsatzbereitschaft.“
Augustinus betont die Eigenart einer jeden Person. Die individuelle Eigenart eines jeden ist
voll anzuerkennen (65). Nicht jeder ist in der Lage, dasselbe zu leisten (65). Also:
Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen!
Die Gemeinschaft trägt die Verantwortung für das Wohl und Wehe eines jeden einzelnen
Mitglieds (74). Auch im Betrieb sind Menschen füreinander verantwortlich.
„Sucht nicht, durch eure Kleidung Gefallen zu erwecken, sondern durch eure
Lebensführung“ (4.Kap. 1). Also: Mehr sein als scheinen!
Für notwendige Zurechtweisung oder Ermahnung nennt Augustinus vier Schritte, deren
Abfolge abhängig ist von der Einsicht des Fehlenden; der jeweils weitere Schritt wird
gegangen, wenn keine Besserung kommt:
• Den Schuldigen unter vier Augen auf seine Fehler hinweisen.
• Den Verantwortlichen des Klosters hinzuziehen.
• Mehrere Personen informieren.
• Der Fehlende wird in Gegenwart aller auf seine Verfehlungen hingewiesen.
Diese „Verfahrensordnung“ gründet in Mt 18,15-17 (75).
Wer das Böse sieht, aber nichts dagegen unternimmt, handelt lieblos (79). Beispiel aus
dem Betrieb: Alkoholismus bei einem Mitarbeiter!
Führung ist auch mit Sanktionen verbunden. Aber: Bei strafenden Maßnahmen darf die
Sanftmut nicht fehlen (80).
Augustinus äußert an anderer Stelle seine Gedanken zum Bestrafen bzw. Nichtbestrafen:
„Was soll ich zum Thema ‚Bestrafen oder Nicht-Bestrafen’ sagen? Gewiss wollen wir,
dass alles, was sich hierauf bezieht, denen zum Heil gereiche, die wir bestrafen oder nicht
bestrafen zu müssen glauben. Welches Maß soll die Strafe haben, nicht nur in Bezug auf
Art und Größe der Schuld, sondern auch in Bezug auf das geistige Fassungsvermögen des
Schuldigen? Was vermag der Betreffende auf sich zu nehmen? Was wird er ablehnen, so
dass er nicht nur keinen Nutzen daraus zieht, sondern auch noch mutlos zusammenbricht.
Führungs-Wissen in alten Quellen
23
Was sind das doch für abgrundtiefe und heikle Fragen! ... Ich bin mir auch nicht sicher, ob
durch Bestrafen mehr Menschen besser geworden oder zum Schlechteren abgeglitten sind.
Und wie verhält man sich in dem häufig vorkommenden Fall: Straft man jemanden, dann
zerbricht er daran; lässt man seine böse Tat ungestraft, dann geht ein anderer daran
zugrunde? ... Paulinus, heiliger Mann Gottes, der Schrecken befällt mein Herz, wenn ich
an all diese Dinge denke. Was für ein auswegloses Dunkel!“ (Brief 95,3) (81)
Ob Manager auch so denken und die Entwicklung eines Mitarbeiters einbeziehen, wenn sie
ihn beurteilen oder bestrafen?
Eine grundlegende Aussage macht Augustinus zum Thema „Fehler“: Er unterscheidet
zwischen Fehler und Fehlendem. Dem Fehler gilt seine Gegnerschaft, dem Fehlenden
seine Liebe. Denn den Menschen hat Gott geschaffen, aber die Fehler schuf der Mensch
selbst (82). Auch im Betrieb muss Kritik so geübt werden, dass der Kritisierte weiter leben
kann. Es darf nicht um Zerstörung eines Menschen gehen, sondern um dessen Besserung.
Zum Umgang mit Klostereigentum: Die Gegenstände müssten mit größerer Sorgfalt
behandelt werden als die Dinge, welche uns zu unserem persönlichen Gebrauch überlassen
sind. Es scheint aber in der Natur des Menschen zu liegen, dass er genau die
entgegengesetzte Haltung einnimmt (88). Wie gehen Manager und die Mitarbeiter mit dem
Eigentum des Betriebs um? Gilt noch die Regel, dass betriebliches Eigentum nicht
Privateigentum ist?
Die Augustinus-Regel baut auf einer demokratisch orientierten Struktur auf, was wohl
darin begründet ist, dass die ersten Gemeinschaften aus Freundeskreisen entstanden sind.
Der Hauptakzent liegt auf der Gruppe (102). Trotz der Tatsache, dass der Verantwortliche
(Praepositus = Propst) herausgehoben ist, steht er doch auch in der Gruppe (102). Jeder ist
für jeden verantwortlich; jeder muss eingreifen, wenn ernsthafte Gefahren drohen (103).
Die Verantwortlichkeit für die Gemeinschaft ist nicht auf eine einzige Person konzentriert,
sondern auf alle Mitglieder verteilt (103). Auch im Betrieb ist es gut, wenn die
gegenseitige Verantwortung geübt wird.
Die Aufgaben des Oberen (103;137):
• Sorge tragen für die ständige Verwirklichung des Gemeinschaftsideals.
• Vorgehen gegen jedes Aufweichen dieses Ideals.
• Geduld haben.
• Andere zurechtweisen.
• Durch gute Werke anderen ein Beispiel geben.
• Der Gemeinschaft in Liebe dienen.
• Die Richtlinien der Gemeinschaft in Ehren halten.
• Ängstliche ermutigen, sich der Schwachen annehmen.
Könnte dies nicht auch eine Richtschnur fürs Management sein?
Der Obere kann die Verantwortung nur tragen, wenn die anderen gehorchen und wenn sie
die Führungsfunktion respektieren (106). Dies gilt auch heute: Wem es nicht gelingt,
„Führung“ als reziproken Prozess zu verstehen und zu verwirklichen, der scheitert über
kurz oder lang. Autorität muss so ausgeübt werden, dass sie dem Ganzen dient.
Wenn Konflikte auftreten, sollen sie schnell bereinigt werden (135). Das heilende Wort
soll mit demselben Mund gesprochen werden, der verletzt hat (136). Was bedeutet dies für
die betriebliche Praxis? Wie gehen wir mit Konflikten um? Lassen wir sie „kochen“?
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Schlussbemerkung:
Die über 1600 Jahre alte Regel des heiligen Augustinus bietet zahlreiche Anregungen für
das Führungsverhalten und den Umgang miteinander in Betrieben und Verwaltungen.
Literatur
Augustinus von Hippo. Regel für die Gemeinschaft. Mit Einführung und Kommentar von
Tarsicius Jan van Bavel O.S.A. Ins Deutsche übertragen von Ludger Horstkötter O.Praem.
Würzburg (Augustinus-Verlag) 20002
Hans Urs von Balthasar, Die großen Ordensregeln. Einsiedeln 1974, Augustinus (S. 135171)
6. Die Regel des heiligen Benediktus
Vorbemerkung
Der heilige Benedikt wurde 480 in Nursia geboren. Mit siebzehn Jahren wurde er zum
Studium nach Rom geschickt. Die Verhältnisse in Rom veranlassten ihn, das Studium
aufzugeben und in die Einsamkeit zu gehen. Nach einem Zwischenaufenthalt in den
Sabinerbergen kam er nach Subiaco. Drei Jahre suchte er dort in einer Höhle (Sacro Speco)
seinen Weg mit Gott. Eine Mönchgemeinschaft in Vicovaro wählte ihn zum Vorsteher,
aber seine Strenge wird den verwöhnten Mönchen zuviel, sie wollten Benedikt vergiften.
Benedikt geht wieder zurück nach Subiaco und sammelte dort eine Gemeinschaft von
Einsiedlern um sich. Im Jahr 529 zog Benedikt mit einer Mönchsgemeinschaft nach
Montecassino: Auf dem Berg baute er ein Kloster auf, das heute noch besteht; dort schrieb
er seine Klosterregel. Benedikt starb 547.
In seinem Rundschreiben vom 21.3.1947 zum 1400. Todestag des heiligen Benedikt sagt
Pius XII.: „Die Regel ist ein hervorragendes Denkmal der römischen und christlichen
Weisheit, in der Rechte, Pflichten und die Wirksamkeit der Mönche mit evangelischer
Milde und Liebe geordnet werden. ... Denn im benediktinischen Gesetz paart sich höchste
Klugheit mit Einfalt, christliche Demut mit seelenstarker Tugend; die Strenge wird durch
Milde gemäßigt, der notwendige Gehorsam durch gesunde Freiheit geadelt; die
Zurechtweisung geschieht mit Festigkeit, doch von versöhnender Güte mild erfüllt; die
Vorschriften haben ihre volle Gültigkeit, aber der Gehorsam verleiht Ruhe dem Verstande,
Frieden dem Gemüt; das klösterliche Schweigen ist ernst, wird aber von anmutigen
Gesprächen abgelöst; die Autorität wird voll ausgeübt, es fehlt jedoch dem Schwachen
nicht an notwendiger Hilfe.“
Die Ausgewogenheit, der Wirklichkeitssinn und das ausgeglichene Mittelmaß der Regel
hat sie bis heute zu einem das Zusammenleben bestimmenden Werk gemacht. Die Regel
kann auch und gerade heute gute Anregungen vermitteln, wenn es darum geht, Regelungen
zu finden für Zusammenarbeit, Freiheit, gemeinsame Ziele und Ausübung von Führung.
Die Regel
Die Regel des heiligen Benedikt ist nach 529 in Montecassino entstanden. Quellen für
Benedikt sind die Heilige Schrift, die Väter (Pachomius, Basilius, Leo d.Gr., Hieronymus,
Augustinus). Die Benediktus-Regel hat für das ganze Abendland große Bedeutung erlangt.
Im 7. Jahrhundert legt die Synode von Autun fest, dass die Regel für alle Mönche
verbindlich ist. Karl der Große erbat sich eine Abschrift der Regel und führte sie in seinem
Führungs-Wissen in alten Quellen
25
Herrschaftsgebiet für alle Klöster ein. Im 9. und 10. Jahrhundert lebte man in allen
Klöstern Europas nach dieser Regel.
Benedikt hat in seiner Regel das ausgeglichene Mittelmaß verankert. Diese „menschliche
Komponente“ könnte der Grund für die weite Verbreitung sein. Mittelmaß darf man aber
nicht mit Mittelmäßigkeit verwechseln! Die Regel des Benedikt will eine Schule für den
Dienst des Herrn sein (Vorwort 45). Die Regel will für Cönobiten – die stärkste Art des
Mönchtums – eine Ordnung geben, das heißt für Mönche, die in einem Kloster
zusammenleben (BR 1,13), also nicht für Anachoreten (Eremiten), die alleine leben, nicht
für Sarabaiten, die tun, was sie wollen und die ein Zerrbild des Mönchtums sind, und nicht
für Gyrovagen, die ständig umherwandern und „Sklaven der Regungen ihres Eigenwillens
und der Gaumenlust“ sind.
Auf vielfache Weise ordnet Benedikt das Leben seiner Mönche. Seine Mönche sollen in
eigenständigen und wirtschaftlich selbständigen Klöstern wohnen: „Das Kloster aber soll
womöglich so angelegt sein, dass sich alle notwendigen Betriebe, nämlich Wasser, Mühle,
Garten und die verschiedenen Werkstätten innerhalb des Klosters finden“ (BR 66). Die
Mönche sollen sich in Gebet und Arbeit bewähren, durch die Gelübde des Gehorsams, der
Ehelosigkeit und Armut frei machen für den Weg zu Gott.
Schon im Vorwort schlägt Benedikt einen besonderen Ton an: „Höre, mein Sohn, auf die
Lehren des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm die Mahnung des gütigen Vaters
willig auf und erfülle sie im Werk!“ (Vorwort 1). Hier wird auf das Hören hingewiesen,
das wichtig ist im Zusammenarbeiten und Zusammenleben. Und auf die Motivation als
innere Kraft („neige das Ohr deines Herzens“); das klingt sehr modern – bis heute.
Die Führungskräfte
Besondere Aufmerksamkeit widmet Benedikt den Führungspersonen eines Klosters: Abt,
Prior und Cellerar. Welche Gaben und Aufgaben in diesen Ämtern erwartet werden, soll
nun aufgezeigt werden.
Der Abt muss als Vater dem Namen des Oberen durch Taten entsprechen; in ihm sieht man
im Kloster den Stellvertreter Christi: „Ein Abt, der würdig sein will, dem Kloster
vorzustehen, muss immer bedenken, was sein Name besagt (Abbas, Vater), und dem
Namen des Oberen durch Taten entsprechen (BR 2,1 f.). Der Abt darf „nichts lehren,
verfügen oder befehlen, was gegen das Gebot des Herrn ist, vielmehr sollen sein Befehl
und seine Lehre als Sauerteig der göttlichen Gerechtigkeit in die Herzen der Jünger
dringen (BR 2,1-5). Der Abt muss „seinen Jüngern in doppelter Weise als Lehrer
vorstehen, das heißt: er zeige alles Gute und Heilige mehr durch Taten als durch Worte“
(BR 2,11-12). Er schenke allen die gleiche Liebe, in allem lasse er (allen) dieselbe
Behandlung zuteil werden, wie sie es verdienen“ (BR 2,22). Der Abt verbinde – je nach
Situation – Strenge mit Milde, er zeige „die ernste Haltung des Meisters, die gütige des
Vaters“. (BR 2,24).
Seine Aufgabe ist es, Seelen zu leiten. „Und je nach der Veranlagung und Fassungskraft
eines jeden passe und schmiege er sich allen so an, dass er an der ihm anvertrauten Herde
nicht nur keinen Schaden leidet, sondern sich am Gedeihen der guten Herde freuen kann“
(BR 2,32). Der Abt „höre den Rat der Brüder an, überlege dann bei sich und tue, was nach
seinem Urteil das Nützlichste ist. Dass aber alle zur Beratung gerufen werden, bestimmen
wir deshalb, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was das Beste ist“ (BR 3,2-3). Er
muss alles umsichtig und gerecht anordnen (BR 3,6). Der Abt wisse, er muss Rechenschaft
Führungs-Wissen in alten Quellen
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über all seine Entscheidungen vor Gott ablegen (BR 3,11). In BR 3,13 findet sich der
Hinweis auf Jesus Sirach 32,19 – „Tue alles mit Rat“ – wie bereits in der Regel des
Basilius enthalten. Mit der größten Gewissenhaftigkeit trage der Abt Sorge für die
fehlenden Brüder (BR 27,1). Benedikt ist Realist, er weiß, dass nicht nur Heilige im
Kloster sind. Ein eigenes „Strafrecht“ (BR 28-30) soll die Ordnung wahren und Fehlende
zur Umkehr bringen – bis zu Rutenschlägen und Verabschiedung aus dem Kloster.
„Der Abt bringe die ihm anvertraute Herde nicht in Verwirrung und treffe keine
ungerechte Verfügung, als besäße er uneingeschränkte Gewalt, sondern er bedenke immer,
dass er vor Gott über alle seine Entscheidungen und Handlungen Rechenschaft ablegen
muss“ (BR 63,2-3).
Zum Abt soll derjenige gewählt werden, „der würdigen Lebenswandel und Lehrweisheit
verbindet“ (BR 64,2). Die Aufgabe des Abtes ist, mehr vorzusehen als vorzustehen (BR
64,8). Er muss im göttlichen Gesetz bewandert sein (BR 64,9), nüchtern und barmherzig
sein, er lasse Barmherzigkeit vor Recht gehen (BR 64,10).
Ein eigener „Abt-Spiegel“ sind die Verse 64,11-18 in der Regel. „Er hasse das Böse, liebe
die Brüder. Muss er zurechtweisen, handle er klug und gehe nicht zu weit, damit das Gefäß
nicht zerbricht, wenn er den Rost allzu eifrig entfernen möchte. Er schaue immer mit
Misstrauen auf seine eigene Gebrechlichkeit und denke daran, dass man das geknickte
Rohr nicht vollends zerbrechen darf. Damit wollen wir nicht sagen, er dürfe Fehler
wuchern lassen, im Gegenteil: er rotte sie, wie wir schon sagten, klug und liebevoll aus,
wie er es für jeden zuträglich findet. Und er strebe danach, mehr geliebt als gefürchtet zu
werden. Er sei nicht aufgeregt und ängstlich, er sei nicht maßlos und hartnäckig; er sei
nicht eifersüchtig und allzu argwöhnisch, weil er sonst nie zur Ruhe kommt. In seinen
Befehlen sei er umsichtig und besonnen; und mag der Auftrag, den er gibt, Göttliches oder
Zeitliches betreffen: er wisse immer zu unterscheiden und Maß zu halten und denke an die
weise Mäßigung des heiligen Jakob, der sprach: ‚Wenn ich meine Herden auf dem Marsch
überanstrenge, gehen sie alle an einem Tag zugrunde.´ Er eigne sich also diese und andere
Beispiele weiser Mäßigung, der Mutter der Tugenden, an und halte in allem so Maß, damit
gültig ist, was die Starken wünschen und wovor die Schwachen nicht zurückschrecken“
(BR 64,11-19).
Aus diesen Worten lassen sich unschwer Erkenntnisse und Forderungen für einen
Führenden auch für unsere Zeit ableiten. Vor allem stellt Benedikt den Menschen in den
Mittelpunkt, nicht den shareholder value!
Der Abt besetzt die Ämter im Kloster nach freiem Ermessen, aber nach Beratung mit den
Brüdern (BR 3,1; 65,15). Der Abt soll verstehen, eigene und fremde Wunden zu heilen,
ohne sie aufzudecken und bekannt zu machen (BR 46,6); er ist also zur Diskretion
verpflichtet. Er sorge für das rechte Maß auch in der Kleidung (BR 55,8); die Mahlzeiten
regle er so, dass es den Seelen zum Heil dient und die Brüder ohne Grund zum Murren ihre
Arbeit tun (BR 41,5).
Der Prior ist der Stellvertreter des Abtes; er wird vom Abt nach Beratung mit den Brüdern
bestellt. Der Prior „tue nichts gegen den Willen oder die Anordnung des Abtes“ (BR
65,16). Ein ähnlicher Satz findet sich auch in betrieblichen Führungsanweisungen zur
Stellvertretung; damit wird einmal mehr sichtbar, wie viel Weisheit in alten Ordensregeln
steckt.
Führungs-Wissen in alten Quellen
27
Wenn sich der Prior als ungeeignet erweist, kann er seines Amtes enthoben werden; bis zu
viermal wird er vorher ermahnt. Abmahnung ist also nichts Neues! Führungskräfte müssen
sich bewähren.
Der Cellerar hat sich um die wirtschaftlichen Belange des Klosters zu kümmern. Auch er
wird vom Abt bestellt nach Beratung mit den Brüdern. Benedikt stellt an ihn besondere
Anforderungen: Trotz der geistlichen Ausrichtung eines Klosters weiß Benedikt, dass
Irdisch-Weltliches im Klosterleben große Bedeutung hat als „Hülse“ für das Geistliche.
Die Regel formuliert einen eigenen „Tugend-Katalog“ für den Cellerar: In dieses Amt soll
einer gewählt werden, „der weise ist, von reifem Tugendstreben, nüchtern, nicht eßgierig,
nicht überheblich, nicht aufgeregt, nicht grob, nicht knausrig, nicht verschwenderisch, der
vielmehr Gott fürchtet und für die ganze Klostergemeinschaft wie ein Vater ist. Er trage
Sorge für alles. Er tue nichts ohne Auftrag des Abts. ... Er betrübe die Brüder nicht. Stellt
ein Bruder etwa an ihn eine unvernünftige Forderung, verachte und betrübe er ihn nicht,
sondern schlage die ungehörige Bitte mit Angabe des Grunds bescheiden ab. ... Mit aller
Gewissenhaftigkeit trage er Sorge für die Kranken, Kinder, Gäste und Armen, ... Alles
Gerät und den ganzen Besitzstand des Klosters betrachte er als heiliges Altargerät. ... Vor
allem habe er Demut, und kann er einem nichts geben, schenke er als Antwort ein
freundliches Wort; es steht ja geschrieben: ‚Ein freundliches Wort geht über die beste
Gabe.’“ (BR 31,1-14)
In einem Benediktinerkloster binden sich die Mönche lebenslänglich an diese
Gemeinschaft. Das Gemeinschaftsleben regelt deshalb Benedikt mit großer Sorgfalt.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Aussagen zur Aufnahme Neuer. „Kommt einer
neu zum klösterlichen Leben, werde ihm der Eintritt nicht leichthin gewährt, sondern es
gelte das Apostelwort: ‚Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind’. (BR 58,1-2) „Es werde
ihm (dem Neuen) zum voraus alles Rauhe und Harte gesagt, über das man zu Gott gehen
muss“ (BR 58,8).
Der Alltag im Kloster (Gebet, Arbeit, Essen und Trinken, Zusammenleben u.a.) ist genau
geregelt, aber nicht so, dass keine Anpassungen an besondere Gegebenheiten möglich
wären. Darauf wird hier nicht näher eingegangen. Geprägt sind diese Regelungen von
einem gesunden Mittelmaß, aber nicht von der Mittelmäßigkeit.
Damit die Regel nicht in Vergessenheit gerät oder verstaubt, wie so manche
Führungsgrundsätze in Unternehmen, wird sie im Jahreslauf während des im Schweigen
eingenommenen Essens dreimal vorgelesen.
Was sagt die Benediktus-Regel dem heutigen Manager?
Führung ist Dienst an den geführten Menschen. Sie sollen ihre Begabungen entfalten
können. Das gesunde Mittelmaß – nicht die Mittelmäßigkeit – kommt den Menschen
entgegen. Der Vorgesetzte soll auf die Veranlagung und die Fassungskraft des einzelnen
Rücksicht nehmen. Vor Entscheidungen berate er sich mit anderen, auch mit Jüngeren. Die
Starken sollen sich einbringen können, Schwächere aber nicht entmutigt werden. Eine
ausgewogene Führungsstruktur sorgt dafür, dass der Chef nicht überlastet wird. Sich als
ungeeignet erweisende Vorgesetzte werden ermahnt, notfalls abgelöst. Nicht alle Wünsche
lassen sich erfüllen, aber ein freundliches Wort sollte immer möglich sein. Neue soll man
sorgfältig auswählen und noch sorgfältiger einführen. Eine hohe Achtung vor dem anderen
präge den Umgang; auch „die anderen“ sind Menschen.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Gerade die Benediktus-Regel sollte eine Führungskraft lesen und in sich aufnehmen. Diese
Regel ist ein Grundsatz-Dokument guter Führung und ansprechender, fördernder
Gestaltung des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens – bis heute!
Literatur
Erzabtei Beuron (Hg.) Die Regel des heiligen Benedikt. Beuron 196510
Johannes Claudius Eckert, Dienen statt Herrschen. Unternehmenskultur und
Ordensspiritualität: Begegnungen, Herausforderungen, Anregungen. Stuttgart 2000. Diese
Dissertation des jetzigen Abtes von St. Bonifaz in München vergleicht Führungsgrundsätze
(leider nur) eines Unternehmens mit der Benediktus-Regel. Ein hochinteressanter
Vergleich, in dem die Benediktus-Regel auf die Thematik hin sehr gut ausgefaltet wird.
Anselm Grün, Menschen führen – Leben wecken. Anregungen aus der Regel des heiligen
Benedikt. Münsterschwarzach 20035. Eine schon vom Titel her geglückte und
ansprechende Darstellung der Thematik „Führen auf der Grundlage der BenediktusRegel“.
Baldur Kirchner, Benedikt für Manager. Die geistigen Grundlagen des Führens.
Wiesbaden 1994. Eine weniger geglückte Darstellung zum Thema: 5 % Benedikt, 95 %
Kirchner u.a.
Walter Schmidt, Kooperativ führen mit Regeln und Autorität. Das benediktinische
Führungsmodell. Heidelberg 2002. Eine gut lesbare praxisorientierte Gegenüberstellung
von Führungsgrundsätzen und Benediktus-Regel.
7. Aus den Regeln des Franziskanerordens (Minoriten OFM)
Der Gründer
Franz von Assisi wurde 1181/82 in Assisi als Sohn eines Kaufmanns geboren. Am 3.
Oktober 1226 starb er in einer Zelle bei dem Portiunkula-Kirchlein in Assisi.
Heiligsprechung 1228 durch Gregor IX., der einen Tag vor der Heiligsprechung den
Grundstein für die Basilika in Assisi legte.
Franz war ein sensibler, musisch begabter, intuitiver Mensch mit überdurchschnittlicher
Intelligenz, offen und großherzig, klein von Gestalt, groß an Geist und Seele. In seiner
Jugend war er eine Art Playboy; seinen Freunden gegenüber war er großzügig. Eine innere
Bekehrung wohl in der Gefangenschaft, in die er bei einer Auseinandersetzung der Städte
Perugia und Assisi geraten war, brachte ihn auf einen anderen Weg. Ursprünglich wollte er
Ritter werden. Mit dem neuen Lebensweg konnte sich der Vater nicht einverstanden
erklären, so enterbte er Franz (1206/7). Franz warf in aller Öffentlichkeit seine Kleider
dem Vater zu Füßen und wählte die rigorose Armut.
Bald fanden sich Gefährten, die sich Minderbrüder nannten (Minores). Von Benediktinern
auf dem Monte Subasio (das Kloster ist heute verfallen) erbaten sie sich das kleine
Kirchlein S. Maria degli Angeli mit einem Stückchen Land („Portiunkula“); daneben
bauten die Brüder ein Haus, das Stammkloster bis heute.
1212 kam Klara zu Franz; es wurde eine neue Gemeinschaft gegründet: die Klarissen.
Franz ging auf seelsorgerliche Wanderschaft nach Dalmatien (1212) und nach Spanien
(1213-15). 1217 wurde der Orden in Provinzen eingeteilt; 1221 entstand ein (3.) Orden für
Laien. 1221 kamen zum sogen. „Mattenkapitel“ etwa 3000 Minderbrüder. Man stelle sich
allein die logistischen Probleme eines solchen Treffens vor! Franz gab die Ordensleitung
an Elias von Cortona ab. 1224 geschah auf dem Monte Alverna die Stigmatisierung,
Bonaventura war Augenzeuge des Geschehens.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Der Sonnengesang gilt als erste Äußerung italienischer Literatur. Franziskus war eine seine
Zeit in Kirche und Welt prägende Persönlichkeit.
1223 wurde die „Regula bullata“ von Papst Honorius III. bestätigt. Die Ordensideale waren
(und sind): das Evangelium (sequi vestigia Christi) durch Befolgung der evangelischen
Räte, besonders der höchsten Armut des Einzelnen und der Gemeinschaft (Bettelarmut,
Geldverbot), Selbstheiligung, Apostolat der Arbeit und der Predigt unter Gläubigen und
Ungläubigen, was eine gute Ausbildung bedingte. Wissenschaft, Dichtung (Beispiele:
Sonnengesang; Dies irae von Thomas von Celano; Stabat mater von Jacopone da Todi).
Nach dem Tod des hl. Franz gab es Streit um die Auslegung der Regel; ihre Vorschriften
waren zu streng für eine Organisation in dieser Welt. Um 1300 zählte der Orden zwischen
30. – 40.000 Mitglieder. Bonaventura war der 8. General (1257-74); er gilt als zweiter
Stifter, weil er die Regel und die Strukturen des Ordens irdischen Notwendigkeiten
angepasst hat.
Die Ordensverfassung
Die grundlegende „Entität“ (GK Art. 169) ist die jeweilige Provinz. Der Provinzmagister
wird von den Mitgliedern der Provinz gewählt auf 6 Jahre; die Provinzmagister wählen den
General, auch auf 6 Jahre, eine Wiederwahl ist möglich.
Die Ordensverfassung hat verschiedene Ebenen:
• Regel
• Generalkonstitutionen (GK)
• Generalstatuten (Ergänzung der GK)
• Statuten der Provinz.
Die Organisation des Ordens umfasst drei Ebenen:
• Generalat mit den Leitungsämtern (Art. 178 GK) Generalminister, Generalvikar,
Generaldefinitorium, Generaldelegaten, Generalvisitator, Ordensrat.
• Provinzen, Vizeprovinzen, Kustodien mit den Leitungsämtern Provinzialminister,
Provinzvikar, Provinzdefinitorium, Kustos.
• Häuser mit den Leitungsämtern Guardian (auf 3 Jahre gewählt, eine Wiederwahl ist
möglich), Vikar, Diskreten, Hauskapitel (6 Treffen im Jahr – Art. 209 GS); jedes Haus
hat Gebietsgrenzen (Art. 194 GS).
Alle Ämter werden durch Wahl auf Zeit übertragen.
Folgende Gremien gibt es:
• Generalkapitel finden mindestens alle 6 Jahre statt. Ihm gehören an der
Generalminister, der Generalvikar, die Generaldefinitoren, der Generalsekretär, die
Provinzialminister, der Kustos des Heiligen Landes, Sonstige.
• Ordensrat ist beratendes Gremium mit Geschäftsordnung; die Mitglieder werden
gewählt von den Provinzialenkonferenzen; ferner gehören ihm an der Generalminister,
die Generaldefinitoren, der Generalsekretär und Sonstige.
• Provinzkapitel (Art. 215 GK)
• Provinzdefinitorium (Art. 170 GS)
• Provinzrat (Art. 218 GK; Art. 156-159 GS)
• Provinzialenkonferenzen regional (B: Mitteleuropäische Provinzkonferenz)
• Hauskapitel.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Aus der Regel des Franziskanerordens
(Von Papst Honorius III. 1223 gebilligt)
I. 1 „Regel und Leben der Minderen Brüder ist dieses, nämlich unseres Herrn Jesus
Christus heiliges Evangelium zu beobachten durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum
und in Keuschheit.“
III. 10 „Ich rate aber meinen Brüdern, warne und ermahne sie im Herrn Jesus Christus, sie
sollen, wenn sie durch die Welt gehen, nicht streiten, noch sich in Wortgezänk einlassen,
noch andere richten. Vielmehr sollen sie milde, friedfertig und bescheiden, sanftmütig und
demütig sein und anständig reden mit allen, wie es sich gehört.“
V. 1-2 „Jene Brüder, denen der Herr die Gnade zu arbeiten gegeben hat, sollen in Treue
und Hingabe arbeiten, / so zwar, dass sie den Müßiggang, welcher der Seele Feind ist,
ausschließen, aber den Geist des heiligen Gebetes und der Hingabe nicht auslöschen, dem
das übrige Zeitliche dienen muss.“
VII. 3 „Und sie müssen sich hüten, wegen der Sünde, die jemand begangen hat, zornig und
verwirrt zu werden; denn Zorn und Verwirrung verhindern in ihnen selbst und in den
anderen die Liebe.“
VIII. 4 „Und sollte jemals der Gesamtheit der Provinzialminister und Kustoden offenbar
werden, der erwähnte Minister (Anmerkung R.F.: gemeint ist der Generalminister) sei zum
Dienst und gemeinsamen Wohl der Brüder unzureichend, sollen die genannten Brüder,
denen die Wahl zusteht, gehalten sei, sich im Namen des Herrn einen anderen Oberen zu
wählen.“
X. 1 „Die Brüder, die Minister und Diener der anderen Brüder sind, sollen ihre Brüder
aufsuchen und ermahnen und sie in Demut und Liebe zurechtweisen, ohne ihnen etwas zu
befehlen, was gegen ihre Seele und unsere Regel wäre.“
4. „Und wo immer Brüder sind, die wüssten und erkännten, dass sie die Regel nicht
geistlich beobachten können, sollen und können sie zu ihren Ministern Zuflucht nehmen.“
5. „Die Minister aber sollen sie liebevoll und gütig aufnehmen und ihnen mit so großer
Herzlichkeit begegnen, dass sie mit ihnen reden und tun können wie Herren mit ihren
Knechten.“
6. „Denn so soll es sein, dass die Minister die Knechte aller Brüder sind.“
XII. 2 „Die Minister aber sollen nur denen die Erlaubnis zu gehen erteilen, die sie tauglich
finden, geschickt zu werden.“ (Anmerkung: Gemeint ist die Sendung zu Sarazenen und
andere Ungläubige.)
Auszüge aus den Generalkonstitutionen (GK)
Die in Klammern beigefügten Überschriften sind vom Bearbeiter.
Art. 39 (Gutes Miteinander)
„Da die Liebe Gottes durch den Heiligen Geist in ihren Herzen ausgegossen ist, sollen alle
Brüder im Umgang miteinander Familiensinn und gegenseitige Freundschaft aufs höchste
schätzen; sie sollen Höflichkeit, Frohsinn und alle anderen Tugenden pflegen, so dass sie
einander ständig zu Hoffnung, Frieden und Freude ermuntern und in echter Brüderlichkeit
volle menschliche, christliche und religiöse Reife erlangen.“
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Art. 40 (Jeden als Individuum annehmen)
„Jeder Bruder ist ein von Gott der Bruderschaft gegebenes Geschenk. Daher müssen die
Brüder sich gegenseitig in ihrer Individualität annehmen, so wie sie sind, als
Gleichwertige, wenn auch verschieden an Charakter, Bildung, Sitten, Talenten,
Fähigkeiten und Eigenschaften, so dass die gesamte Bruderschaft ein bevorzugter Ort der
Begegnung mit Gott wird.“
Art. 42 (Sich freuen über Erfolge anderer)
§ 1 „Um die brüderliche Einheit zu vertiefen, sollen die Brüder sich in gegenseitiger Liebe
zuvorkommen, bereitwillig einander Dienste erweisen, gute Unternehmungen unterstützen
und über erfolgreiche Arbeit der anderen sich freuen.“
Art. 43 (Correctio fraterna)
“Die Brüder sollen nichts tun, was die brüderliche Einheit verletzen könnte. Wenn sich
aber ein Bruder fände, der fleischlich und nicht geistlich wandeln wollte, dann sollen die
Brüder, mit denen er zusammen ist, ihn in Demut und Sorgfalt ermahnen, ihn aufmerksam
machen und zur Rede stellen.“ (vgl. dazu auch Art. 251-252)
Art. 45 (Vorgesetzte – Vorbild; Mitarbeiter anvertraut, nicht untertan)
§ 1 „Die Minister und Guardiäne sollen in enger Verbundenheit mit den ihnen anvertrauten
Brüdern sich bemühen, die Bruderschaft als eine “in Jesus Christus geeinte Familie“
aufzubauen, in der vor allem Gott gesucht und geliebt wird. Sie sollen den Brüdern Vorbild
sein in der Pflege der Tugenden und in der Beobachtung der Gesetze und Überlieferungen
des Ordens.“
Art. 45 (Beraten, Meinung äußern, Entscheidung durch Vorgesetzte)
§ 2 „Zur Förderung eines Gehorsams in Mitverantwortung und Eigeninitiative sollen
Minister und Guardiäne die Meinung der Brüder einzeln oder zusammen anhören, ja direkt
erfragen und ermutigen, unbeschadet jedoch ihrer Autorität, zu entscheiden und
anzuordnen, was zu tun ist.“
§ 3 „Die Brüder sollen den Ministern und Guardiänen, denen eine größere Last auferlegt
ist, gern helfen, ihre Meinung darlegen und im Geist des Glaubens und mit ganzem Herzen
deren Entscheidung ausführen.“
Art. 60 (Gegenseitige Förderung zur Lebensentfaltung)
§ 2 „Die Minderen Brüder sollen die Franziskanische Gemeinschaft schätzen, sie mit
besonderer Sorge unterstützen sowie die gegenseitige Lebensentfaltung und Hilfestellung
derart fördern, dass sie, vom echt franziskanischen Geist durchdrungen, in der Welt,
besonders unter der Jugend, immer gedeiht.
Art. 65 (Menschenbild)
„Was ein Mensch vor Gott ist, das ist er, und nicht mehr...“ (Anmerkung R.F.: Dieser Satz
stammt wörtlich aus den „Ermahnungen“ des heiligen Franziskus.)
Art. 68 (Miteinander im Guten und in Frieden)
§ 1 „Die Brüder sollen in dieser Welt als Anwälte der Gerechtigkeit und als Herolde und
Bauleute des Friedens leben, die das Böse durch das Gute besiegen.“
§ 2 „Mit dem Mund sollen sie den Frieden verkünden, mehr noch tief im Herzen tragen, so
dass niemand zu Zorn und Ärgernis provoziert wird, sondern alle durch die Brüder zu
Frieden, Freundlichkeit und Wohlwollen aufgerufen werden.“
Führungs-Wissen in alten Quellen
32
Art. 76 (Motivation zur Arbeit)
§ 1 „Als wahre, vom Geist und Beispiel des heiligen Franziskus geleitete Arme müssen die
Brüder Arbeit und Dienst als Gnade Gottes betrachten; deshalb sollen sie als Mindere
auftreten, die keiner zu fürchten braucht, weil sie dienen wollen und nicht sich dienen
lassen.“
§ 2 „In der Arbeit müssen die Brüder das normale und vorzügliche Mittel zur Beschaffung
des Notwendigen sehen. Darum sollen sie insgesamt wie einzeln ihren Dienst tun, in Treue
und Hingabe arbeiten und Müßiggang als den Feind der Seele fliehen.“
Art. 77
§ 1 (Arbeitsfreude)
„Die Brüder sollen Arbeitsgeist und –freude entwickeln;...“
§ 2 (Flexibilität – Verfügbarkeit)
„Die Brüder sollen an keiner noch so lange verrichteten Arbeit hängen, als wäre sie ihr
Eigentum; sie müssen allzeit bereit sein, Ort und Angefangenes aufzugeben, um
notwendige neue Arbeiten zu übernehmen.“
Art. 79 (Vorhandene Fähigkeiten berücksichtigen)
§ 1 „Bei der Auswahl einer Arbeit oder Dienstleistung ist dem brüderlichen Leben in Haus
und Provinz, von dem kein Bruder sich ausschließen darf, wie auch den Fähigkeiten des
einzelnen Rechnung zu tragen;...“ (Anmerkung: Rücksichtnahme auf Fähigkeiten wird
auch genannt in GK Art. 112 sowie in GS Art. 39 §1; Art. 44; Art. 76; Art. 101 § 1.)
Art. 92 (Inkulturation)
§ 2 „Unter den Völkern wächst das Verlangen, ihren Glauben in eigenständigen, ihrer
Eigenart entsprechenden Formen zu leben und zu feiern; dieses Werk der Inkulturation
sollen die Brüder gern unterstützen und fördern.“
Art. 104 (Ehrfurcht vor dem Gewissen des einzelnen)
„Bei der Verkündigung des Evangeliums müssen die Brüder mit Geduld und Demut
arbeiten und große Ehrfurcht vor dem Gewissen jedes einzelnen an den Tag legen;...“
(Grundsätze und Ziele der Ausbildung)
Art. 127
§ 1 „Die Ausbildung der Brüder muss zugleich menschlich, christlich und franziskanisch
sein.“
§ 2 „Die Ausbildung muss zu voller menschlicher Reife führen; daher sind die Brüder so
zu bilden, dass sie ihre physischen, psychischen, moralischen und intellektuellen Anlagen
harmonisch entfalten können und zur aktiven Beteiligung am sozialen Leben befähigt
werden.“
Art. 129
§ 2 „Zum Grundbestand einer angemessenen Ausbildung gehört, dass sie das
Verantwortungsbewusstsein weckt und schärft, damit jeder seine Freiheit vernünftig zu
gebrauchen und in der Bruderschaft aus eigener Initiative und Überlegung zu handeln lernt
und zu einem gesunden kritischen Sinn für das Zeitgeschehen kommt.“
(Anmerkung R.F.: Die Grundausbildung ist in den Art. 148-159 geregelt. Das Postulat
dauert 6 Monate bis max. 2 Jahre; das Noviziat 12 Monate; mit der Zeitlichen Profess –
„Junioren“- wird man Mitglied des Ordens; sie wird 3-6 Jahre lang jährlich erneuert,
dann folgt die Ewige Profess = endgültige Eingliederung in den Orden.)
Führungs-Wissen in alten Quellen
33
(Ständige Fortbildung)
Art. 135 (Personalentwicklung)
„Ständige Fortbildung ist das Weggeleit der Brüder für ihr ganzes Leben, das persönliche
wie das gemeinschaftliche. Dadurch werden die eigenen Anlagen....immer weiter
entfaltet;...“
Art. 137 (Eigenverantwortung – „Employability“)
§ 1 „Bei jedem einzelnen selber liegt die letzte und entscheidende Verantwortlichkeit, sich
um seine ständige Fortbildung zu kümmern und sie voranzubringen.“
Art. 160 (Begabungsorientierte Ausbildung)
§ 1 „Alle Brüder sollen je nach Begabung eine adäquate Ausbildung in Philosophie,
Theologie und Pastoral, auch in sonstigen wissenschaftlichen oder beruflichen Tätigkeiten
erhalten, damit sie besser zum Aufbau des Gottesreiches beitragen können.“
Art. 162 (Offenheit gegenüber Fortschritt in Wissenschaft und Technik)
„Alle Brüder sollen ihr Studium nach bestem Können betreiben und den Fortschritt in
Wissenschaft und Technik aufgeschlossen würdigen; dann werden sie sich für die
Verkündigung des Evangeliums gut gerüstet und der Kultur unserer Zeit gewachsen
finden.“
Art. 185 (Führen – Dienst in Demut; Gehorsam mit Achtung der Person verbinden)
§ 1 „Die Minister und Guardiäne sollen ihren Autoritätsdienst in Demut leisten, für den
Willen Gottes in ihrer Amtsführung empfänglich sein, die Brüder als die Söhne Gottes
schützen und ihren freiwilligen Gehorsam mit Achtung der menschlichen Person fördern.“
Art. 189 (Kommunikation im Orden)
§ 3 „Alle Brüder können dem Generalkapitel ihre Meinung zu Fragen, die das Wohl des
Ordens betreffen, zuleiten.“
(Anmerkung: Vgl. dazu Art. 45 § 2 und § 3 sowie Art. 177: „Wo das Recht die Zustimmung
oder den Rat nicht zwingend vorschreibt, sollen die Minister und Guardiäne bei den
Amtsgeschäften für die Bruderschaft gern ihre Brüder hören und, so sehr auch in solchen
Fällen ihnen die Entscheidung zukommt, nicht leichtfertig von der einhelligen Meinung der
Brüder abweichen.“)
Art. 251 (Umgang mit Kritik)
§ 2 „Alle Brüder, die wissen, dass ein Bruder gesündigt hat, dürfen ihn nicht beschämen
und herabsetzen; sie sollen vielmehr großes Erbarmen mit ihm haben, seine Sünde geheim
halten, ihm, so gut sie können, geistlichen Beistand leisten, ihn ermahnen, ihn aufmerksam
machen und in Demut und Sorgfalt zur Rede stellen.“
§ 4 „Die Brüder, besonders die Minister, sollen ein erbarmendes Herz haben und, von der
Liebe gedrängt, dem Bruder, der gesündigt hat, entgegen gehen; und kein Bruder darf ohne
Erbarmen fortgehen.“
Art. 252 (Prävention bei Gefahr, Mahnung in Liebe)
§ 1 „Die Minister, die Guardiäne und die anderen Brüder sollen zum Schutz des Guten in
der Gemeinschaft und beim einzelnen allem Bösen durch kluge Wachsamkeit und
brüderliche Mahnungen nach Kräften vorbeugen und Strauchelnde im Guten festigen.“
§ 2 „Wenn die Minister zum Wohl der einzelnen oder der Bruderschaft sich gezwungen
sehen, zu mahnen, zurechtzuweisen oder zu strafen, sollen sie diesen Dienst in Güte und
Liebe den Bestimmungen des allgemeinen und des eigenen Rechts erweisen.“
Führungs-Wissen in alten Quellen
34
Auszüge aus den Generalstatuten (GS)
Art. 30 (Interesse für Arbeit des einzelnen)
§ 2 „Das Hauskapitel hat die Aufgabe, nicht nur Fragen des Fortgangs der Arbeit, der
Evangelisierung und der Seelsorge zu behandeln, sondern zur Auferbauung und Förderung
der brüderlichen Gemeinschaft auch mit Interesse Berichte über jede einzelne Arbeit zu
erbitten.“
Art. 80 (Anforderungen an Novizen)
„Erfordernisse für die Zulassung zum Noviziat neben anderen Voraussetzungen, die in den
Partikularstatuten bestimmt werden können, und unter Wahrung anderer allgemeiner
Rechtsvorschriften sind diese:
1) rechte Absicht, freier Wille, geistliche, intellektuelle und soziale Eignung;
2) entsprechende körperliche und seelische Gesundheit, unter Beachtung etwaiger
Erbschäden;
3) genügend persönliche Reife;
4) genügend intellektuelle oder berufliche Ausbildung.“
(Anmerkung: In den Partikularstatuten der Thüringischen Provinz werden in Art. 2 § 1 die
Bewerbungsunterlagen genannt: Geburtsurkunde, Tauf- und Firmurkunde, lückenlosen
Lebenslauf, Zeugnis des Ledigenstandes, ärztliches Gesundheitszeugnis, Führungszeugnis,
Abschlusszeugnis einer Lehre oder ein Abitur- bzw. Fachabiturzeugnis.)
Art. 86 (Beurteilung eines Novizen durch Novizenmeister)
§ 3 „Eine schriftliche Beurteilung über die Eignung der einzelnen Novizen soll vom
Magister unter Mitwirkung des Ausbildergremiums zweimal im Jahr abgefasst und vom
Magister unterschrieben dem Provinzialminister zugeleitet werden, ...“
Art. 95 (Beurteilung zeitlicher Professen)
§ 1 „Ein vom Magister und dem Ausbildungsgremium unterschriebener Bericht über die
Eignung der Brüder mit zeitlicher Profess soll dem Provinzialminister wenigstens einmal
im Jahr vorgelegt werden.“
Art. 96 (Beurteilung der Kandidaten )
„Bei der Beurteilung der Eignung der Kandidaten für den Orden ist zur Gültigkeit außer
den Vorschriften des allgemeinen Rechts auch ihre erforderliche menschliche Reife und
ihre Arbeitsfähigkeit zu beachten. Dies erfordert bei der Auswahl ein entsprechend
strenges Urteil.“
(Anmerkung: Zur Amtsenthebung der Provinzleitung (Art. 123) und eines Guardian (Art.
204 § 2; der Guardian wird zweimal abgemahnt (Art. 225 § 1).)
Art. 237 (Sorge um Ausgetretene)
§ 1 „Die Minister und Brüder sollen sich um das geistliche, sittliche und soziale Wohl
derer, die den Orden verlassen oder von ihm entlassen werden, kümmern und ihnen unter
Berücksichtigung der Billigkeit, ihrer Notlage, der im Orden verbrachten Zeit und der vom
Orden empfangenen Wohltaten Unterstützung zukommen lassen.“
Führungs-Wissen in alten Quellen
35
Literatur
Die Schriften des heiligen Franziskus von Assisi. Einführung, Übersetzung, Erläuterungen
von Lothar Haardick OFM und Engelbert Grau OFM. Werl/Westfalen 1994.
Regel und Generalkonstitutionen des Minderbrüderordens. Rom 1987. Werl/Westfalen
1988.
Generalstatuten des Minderbrüderordens. Rom 1991. Werl/Westfalen 1991.
Statuten der Thüringischen Provinz von der heiligen Elisabeth. Fulda 1999.
Artikel „Franziskaner“, Franziskanerinnen“, „Franziskanerschule“ im Lexikon für
Theologie und Kirche. Band 4, Freiburg 19862.
Franz von Assisi, in: Lexikon der Namen und Heiligen, hg. von O. Wimmer und H.
Melzer, ergänzt von J. Gelmi, Innsbruck-Wien 19886.
8. „Considerationes“ Gedanken über „Führung“ von Bernhard von Clairvaux (1090/1-1153)
Aus: Was ein Papst erwägen muss. Einsiedeln 1985.
Vorbemerkung
Bernhard von Clairvaux trat 1112 in das vom heiligen Abt Robert von Molesme 1098 gegründete
Kloster Cĭteaux ein, aus dem der Zisterzienserorden erwuchs. 1115 wurde Bernhard mit 25 Jahren
Abt der Neugründung von Clairvaux. Später wurde er von Papst Eugen III. (1145-1153), der vor
seiner Wahl zum Papst Zisterzienser war, gebeten, ihm ein Schreiben für seine
Gewissenserforschung zu widmen. Bernhard hat nach langem Zögern dem Wunsch des Papstes
entsprochen. In diesen „Erwägungen“ finden sich viele Gedanken über Führung. Das Buch reiht
sich ein in andere Texte geistlicher Schriftsteller zum gleichen Thema, beispielsweise Gregor I.
(Hirtenregel).
In dieser Ausarbeitung sind einige Zitate zusammengestellt; die kursiv geschriebenen
Zwischenüberschriften stammen vom Bearbeiter.
Kein leer machender Aktionismus!
Wenn Du Dein ganzes Leben und Trachten der Aktion weihst und nichts der nachdenkenden
Erwägung: soll ich das loben? „Darin lobe ich nicht“ (1 Kor 11,22). Ich denke, dass auch niemand,
der Salomons Wort: „Wer sich im Handeln einschränkt, wird zur Weisheit gelangen“ (Sir 28,2),
vernommen hat, solches Verhalten loben kann. (22-23)
Ohne Muße kommt es zum Verlust von Daseinsqualität
Solch frommer und nützlicher Muße keinen Platz im Leben einräumen: besagt das nicht einen
Daseinsverlust? (32)
Nicht herrschen, sondern dienen!
Wenn wir uns für etwas Bedeutsames halten wollen, so müssen wir an den uns auferlegten Dienst
denken und nicht an eine uns verliehene Herrschaft. (45)
Das ist die apostolische Norm: Das Herrschen wird verboten, das Dienen wird Vorschrift. (48)
Strenge und Milde mit Unterscheidungsgabe anwenden
Du musst Dir vor Augen stellen, was Dein Eifer ist, was Deine Milde, und die
Unterscheidungsgabe, die diese Tugenden regelt: wie Du vorgehst beim Vergeben von Unrecht,
wie bei dessen Bestrafung, wieweit Du in beiden Fällen auf die Art und Weise des Vorgehens
achtest, wobei Ort und Zeit ins Gewicht fallen. (61-62)
Führungs-Wissen in alten Quellen
36
Im Urteil achtsam sein!
Ein zorngetrübter Blick kann nichts mit Güte betrachten. Wird er dagegen in tränensüchtiger
Weichlichkeit des Herzens ertränkt, so sieht er das Rechte nicht mehr. Schuldlos bist Du nicht,
wenn Du den strafst, dem man vielleicht verzeihen müsste, oder den schonst, der Strafe wirklich
verdient hat. (62)
Vorsteher sein heißt: die anderen fördern
Du bist Vorsteher, und dies auf einmalige Weise. Zu welchem Behuf? Das, sage ich Dir, bedarf der
Erwägung. Etwa um auf Kosten Deiner Untergebenen zu wachsen? Sicherlich nicht. Sondern damit
diese durch Dich wachsen. (80-81)
Untergebene nicht auslaugen
Ein kleiner, gemeiner Geist wäre, wer bei den Untergebenen nur den Profit sieht, den man
aus ihnen ziehen kann, nicht deren Vorteil. (81)
Vorsicht bei Personalentscheidungen
Lege keinem voreilig die Hände auf. (1 Tim 5,22) (107)
Entscheiden nach Beratung
So überlege denn sorgsam alles Vorzunehmende bei Dir selbst und zusammen mit Leuten, denen
Du trauen kannst. Verhandle vor der Tat, denn zu spät kommt die nachträgliche Rücknahme. Der
Weise gibt diesen Rat: „Tu alles mit Überlegung, dann reut es dich nicht nach der Tat“ (Sir 32,24).
(107)
Das personale Umfeld verlangt besondere Aufmerksamkeit
Ziehe Dir deshalb nicht Begierige und Geschäftige bei, lieber Zögernde, Sichentziehende;
derartige magst Du sogar zwingen und gewaltsam eintreten lassen. Bei solchen, meine ich,
soll Dein Geist zur Ruhe kommen, nicht bei Hitzköpfen, sondern bei Zurückhaltenden und
Gottesfürchtigen; doch sollen sie außer Gott niemanden fürchten, nichts erhoffen, außer
von Gott, sie sollen auf die Bedürfnisse der Anfragenden, nicht auf ihre Hände achten,
tapfer für die Unterdrückten Partei ergreifen, die Schwachen mit Billigkeit richten, ein
geordnetes Leben führen, in der Keuschheit erprobt und zum Gehorsam bereit, in Milde
geduldig, der Zucht unterworfen, in der Beurteilung von Straffällen streng, katholisch im
Glauben, treu in der Arbeit, einmütig im Frieden, lenkbar zur Einheit hin sein, beim
Richten sollen sie gerecht, im Ratgeben weitsichtig, im Fordern klug unterscheidend,
fleißig in ihren Geschäften, mutig in deren Ausführung, doch bescheiden im Reden,
verlässlich in Widrigkeiten, treu in Glücksfällen, nüchtern im Eifer, im Erbarmen nicht
schwächlich, in der Ruhe nicht müßig, in der Gastfreundschaft nicht leichtgesinnt, bei
Gastmählern nicht ausgelassen, im Verwalten ihrer Güter nicht allzu besorgt, noch
fremden Gutes begierig, mit dem eigenen nicht verschwenderisch, überall und in allen
Dingen behutsam sein. Wann immer sie als Christi Gesandte auftreten müssen, sollen sie
den aufgetragenen Dienst nicht verweigern, ihn sich aber nicht anmaßen, falls sie keinen
Auftrag haben; Einwände sollen sie mit Bescheidenheit vortragen, aber Aufgetragenes
nicht engstirnig ablehnen; als Ausgesandte nicht hinter dem Geld her sein, sondern auf
Christi Spuren wandeln, den Legatentitel nicht als Erwerbsquelle ansehen und nicht auf
Gaben, sondern auf Früchte aus sein. (108-109)
....
Das niedrige Volk dürfen sie nicht verachten, sondern sollen es belehren. Den Reichen sollen sie
nicht schmeicheln, sondern ihnen Furcht einflößen, die Armen nicht belasten, sondern ihnen helfen,
sie sollen die Drohungen der Fürsten nicht fürchten, sondern sie gering schätzen. Sie sollen nicht
lärmend antreten und nicht im Zorn ausscheiden, die Kirchen nicht plündern, sondern sie
unterstützen, die Geldbeutel nicht leeren, sondern die Herzen aufrichten und die Untaten ahnden,
Führungs-Wissen in alten Quellen
37
für ihren guten Ruf sorgen und den anderer nicht neiden, sie sollen gern beten und diese
Gewohnheit nicht verlieren, in allen Dingen mehr auf das Gebet als auf ihre Anstrengung und
Bemühung zählen. Ihr Eintritt soll friedlich, ihr Weggang bescheiden, ihr Wort erbaulich, ihr
Leben unbescholten, ihre Gegenwart erwünscht, ihr Andenken gesegnet sein; liebenswert sollen sie
sich durch Taten, nicht durch Worte erweisen, ehrwürdig durch ihr Wirken, nicht durch ihren
Prunk. Mit den Demütigen sollen sie demütig, mit den Unschuldigen unschuldig sein, die Harten
aber hart zurechtweisen, die Übeltäter einschränken, den Stolzen heimzahlen, wie sie’s
verdienen;...
(109)
Delegation
Dein Geist, der sich mit so großen und zahlreichen Dingen zu beschäftigen hat, muss unbedingt
von der Sorge um die kleinern und niedrigeren frei sein. (115)
Daran zweifle nicht: Du beraubtest Dich all dieser Güter und erlittest die entsprechenden Übel,
wenn Du, Deine Seele teilend, Dich gleichzeitig mit den Dingen Gottes und mit Nichtigkeiten
beschäftigen wolltest. So musst Du Dir jemanden besorgen, der an Deiner Stelle die Mühle dreht.
An Deiner Stelle, sag ich, nicht mir Dir zusammen. Einiges tust Du allein, einiges mit andern
zusammen, einiges durch andere ohne Dich. (115)
„Zuträger“ erkennen
Überhaupt soll Dir als allgemeine Richtschnur gelten, dass Dir jeder verdächtig sei, der offen zu
sagen sich scheut, was er Dir ins Ohr flüstert. Lädst Du ihn ein, es öffentlich zu sagen, und er
weigert sich, dann sei gewiss: er ist ein Zuträger, kein Ankläger. (116)
Stufen der Verantwortung
Das sind mir treffliche Beurteiler der Dinge, die dem Geringsten ihre höchste Sorge, wenig oder
keine dem Größten widmen. (117)
Aus der Mitte heraus handeln
Doch ich rate Dir kein strenges Gehabe an, sondern ein ernstes. Strenge stößt die Furchtsamen ab,
Ernst hält die Leichtsinnigen bei der Stange. Jene macht nur verhasst, aber fehlender Ernst macht
verächtlich. Das Beste ist immer das rechte Maß. Weder zu streng noch zu locker; nichts ist
willkommener als die rechte Mitte, so dass Du weder durch Strenge zur Last fällst, noch aufgrund
zu großer Vertraulichkeit verachtet wirst. (119)
Beispiel zieht mehr als Worte
Nichts tut Deinem Apostelamt mehr Ehre an, nichts ist heilsamer für das Gewissen, besser für den
guten Ruf, nützlicher als Beispiel. (120)
Führen und Gebet
Dein Antlitz erschrecke die Bösen. Wer den Mitmenschen missachtet, des Schwertes spottet, der
soll Deinen Zorneshauch scheuen. Wer Deine Ermahnung verschmäht, nehme sich in acht vor der
Macht Deines Gebetes. (121)
9. De regimine principum Über die Herrschaft der Fürsten von Thomas von Aquin
Vorbemerkung
Thomas von Aquin lebte von 1224(?)-1274; er starb auf dem Weg zum Konzil von Lyon in
Fossanuova, einem Zisterzienserkloster in der Nähe von Montecassino. Thomas war
Dominikaner. Er gilt als einer der bedeutendsten Denker des Abendlandes. Seine Werke
stellen einen wertvollen Schatz dar, aus dem man immer wieder schöpfen kann – bis heute,
auch wenn der „Thomismus“ in Philosophie und Theologie nicht mehr die führende Rolle
spielt wie etwa um 1900.
Führungs-Wissen in alten Quellen
38
Die Schrift „De regimine principum“ ist an den König des Kreuzfahrerstaates (Hugo II.
oder III.) von Cypern gerichtet; sie entstand um 1265. Natürlich bedarf das Gedankengut
der „Umsetzung“. Ziel dieses Auszugs verschiedener Stellen ist es, Texte
herauszuschreiben, die für den Manager von Heute bedeutsam sein können und die zeigen,
dass manches vom heutigen Managementwissen schon in frühen Quellen zu finden ist.
Textstellen in kursiver Schrift stellen Übergänge dar, die vom Verfasser dieser Auszüge
stammen. Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Reclam-Ausgabe 1999 in der
Übersetzung von Ulrich Matz ( Reclam Universal-Bibliothek Nr. 9326, Stuttgart 1999).
Die Schrift gliedert sich in zwei Bücher; das Werk ist wohl unvollendet.
Der Text
Thomas nennt als Ziel seiner Schrift:
Ich möchte darin den Ursprung königlicher Herrschaft und alles, was mit dem Beruf eines
Königs verbunden ist, geleitet vom Gebot der Heiligen Schrift, der Erkenntnis der
Philosophen und dem Beispiel gepriesener Fürsten, mit aller Sorgfalt entwickeln. (3)
1. Buch
Kapitel 1 befasst sich mit der Frage, warum es notwendig ist, dass Menschen, die in
Gemeinschaft leben, von jemandem mit ernstlichem Bemühen regiert werden.
Bei allem, was geschieht, um ein Ziel zu erreichen, bei dem man dazu verschiedene Wege
einschlagen kann, ist es notwendig, gerade jenen Weg zu bestimmen, durch den man ohne
Umwege das verlangte Ziel erreicht. (5)
....
Die Art und Weise, in der die Menschen ihr gefasstes Ziel zu erreichen suchen, ist
verschieden; schon die Verschiedenheit menschlicher Bestrebungen und menschlichen
Handelns bringt das zum Ausdruck. Es braucht der Mensch also etwas, das ihm den
geraden Weg zum Ziel bestimmt. Von Natur aus ist ihm so das Licht der Vernunft
eingepflanzt, dass er dadurch in seinem Handeln zum Ziel geführt werde. (5)
....
Es ist aber die natürliche Bestimmung des Menschen, das für / gemeinschaftliches und
staatliches Leben erschaffene Geschöpf zu sein, das gesellig lebt, weit mehr als alle
anderen Lebewesen. Schon die Notwendigkeit der menschlichen Natur gibt dafür die
Erklärung. Anderen Geschöpfen hat die Natur die Nahrung bereitgestellt, die Bedeckung
der Haare, Mittel zur Verteidigung, wie die Zähne, Hörner, Krallen, oder doch die
Möglichkeit geschenkt, sich dem Gegner durch schnelle Flucht zu entziehen. Der Mensch
aber ist mit keinem dieser Geschenke der Natur gerüstet, statt ihrer aller ist ihm die
Vernunft gegeben, damit er, von ihr geleitet, imstande sei, sie sich selbst durch die Arbeit
seiner Hände zu verschaffen. Aber um diese Aufgabe zu erfüllen, reicht die Kraft des
einzelnen nicht hin. Auf sich allein gestellt, wäre kein Mensch imstande, das Leben so zu
führen, dass er seinen Zweck erreicht. So ist es also der Natur entsprechend, mit vielen
gesellig zu leben. (5/6)
....
Thomas geht weiter auf den Unterschied zwischen Mensch und Tier ein und schließt
daraus die Notwendigkeit, dass kein Mensch allein alle erforderlichen Erkenntnisse
gewinnen kann. Deshalb braucht der Mensch für seine Entfaltung andere Menschen.
....
Führungs-Wissen in alten Quellen
39
Der augenscheinlichste Beweis dafür liegt wohl darin, dass es allein die Eigentümlichkeit
der Menschen ist, sich der Sprache / zu bedienen, durch die der einzelne alles, was er auf
seinem Gebiet erfasst hat, restlos dem anderen mitzuteilen vermag. (6/7)
....
Wenn es also der natürlichen Bestimmung des Menschen entspricht, in Gesellschaft mit
vielen zu leben, so muss unter den Menschen etwas sein, wodurch die vielen gelenkt
werden.
...
Das meint Salomo wohl, wenn er (Spr. 11,14) sagt: „Wo kein Regent ist, zerstreut sich das
Volk“. (7)
....
Es muss also in jeder Vielheit etwas geben, das regiert. (8)
Die Zielführung muss sich an dem orientieren, was dem Menschen angemessen ist; man
muss also auch die Fähigkeiten beachten.
Richtig wird etwas, was immer es auch sein, geleitet, wenn es zu dem Ziel geführt wird,
das ihm angemessen ist, unrichtig aber, wenn es zu einem Ziel gebracht wird, das ihm
nicht entspricht. (8)
....
Der Führende vollzieht einen Dienst an denen, die ihm anvertraut sind. Wenn er diesen
Dienst als Selbstbedienung missversteht, wird seine Führung ungerecht. Ziel der Führung
ist das Gemeinwohl (=Die Summe der Bedingungen, die es dem Einzelnen ermöglichen,
sich zu entfalten) und das Wohl des Einzelnen.
Wenn also eine Gesellschaft von Freien von ihrem Führer auf das Gemeinwohl der
Gesellschaft hingelenkt wird, so wird diese Regierung recht und gerecht sein, wie es Freien
angemessen ist. Wenn aber die Führung sich nicht das Gemeinwohl der Gesellschaft,
sondern den persönlichen Vorteil des Führers zum Ziel setzt, so wird die Herrschaft
ungerecht und wider die Natur sein. Daher droht auch der Herr solchen Führern durch
Hesekiel (Kap. 34,2): „Wehe den Hirten, die sich selbst weideten!“ (8)
....
Den Begriff ‚Führungskraft’ definiert Thomas so:
Hiemit ist deutlich gezeigt, was zu dem Begriff des Königs gehört: einer zu sein, der
anderen als Herr vorangesetzt ist und doch wie ein Hirte wirkt, indem er das Gemeinwohl
der Gesellschaft, nicht aber seinen eigenen Vorteil im Auge hat. (9)
In Kapitel 2 geht Thomas der Frage nach, warum es besser ist, wenn einer die Leitung hat
und nicht mehrere.
Denn das Streben eines jeden, der eine Herrschaft ausübt, muss darauf gerichtet sein, das,
was er zu regieren übernom/men hat, heil zu erhalten. (10/11)
....
Darauf muss also jeder Führer einer Menge vor allem achten, dass er das einigende Band
des Friedens behütet. (11)
....
Diese einigende Kraft des Friedens wird aber eher möglich sein, wenn nicht mehrere,
sondern einer die Führung innehält.
Kapitel 3 ist zeitgebunden; es stellt die Vorteile des Königtums der Herrschaft eines
Tyrannen gegenüber, unter dem Angst und Repression, auch in der Entfaltung der
Führungs-Wissen in alten Quellen
40
Menschen, vorherrschen. Da der Tyrann immer in Angst lebt, streut er Zwietracht in
seinem Land (=Divide et impera!). (13-17)
Kapitel 4 kann man übergehen; es befasst sich mit der Regierungsform der Römer.
Kapitel 5 behandelt die Thematik, warum Tyrannei eher aus der Herrschaft von mehreren
entsteht.
Wenn man zwischen zwei Dingen, die beide mit einer Gefahr bedrohen, eine Entscheidung
treffen muss, so muss man wohl das wählen, das das geringere Übel nach sich zieht. (19)
....
Denn die Zwietracht, die zumeist aus der Herrschaft mehrerer entsteht, steht dem Frieden
entgegen, der das höchste Gut in der zu gemeinsamem Leben verbundenen Menge ist. (20)
....
Wenn die Führer uneins sind, ist Streit unter der Menge die notwendige Folge. (20)
Kapitel 6 zeigt Wege auf, wie sich die Menge dagegen wehren kann, dass aus einem
Herrscher ein Tyrann wird.
Dann ist die Verwaltung des Königreiches so einzurichten, dass bereits durch die
Verfassung dem König jede Gelegenheit, eine Gewaltherrschaft aufzurichten, entzogen
wird. (22)
Kapitel 7 behandelt die Frage, nach welchen Beweggründen der König regieren muss:
Ehre oder Ruhm? Es wird untersucht, welcher Art der angemessene Lohn eines guten
Königs sei. Beides kann auf Irrwege führen. Auch Führungskräfte haben Anspruch auf
Anerkennung; die Mitmenschen sollen Zeugnis seiner Tugend geben.
Im 8. Kapitel handelt Thomas über das wahre Ziel für einen König, das ihn antreiben soll.
Hierbei wird der König als Herrscher von Gottes Gnaden – zeitbedingt – dargestellt.
In den Sinn aller Menschen, die von Natur aus die Vernunft gebrauchen, ist der Gedanke
eingesenkt, dass die Glückseligkeit der Lohn der Tugend sei. Denn das, was die Tugend
jedweder Sache ausmacht, wird als etwas beschrieben, das den, der es besitzt, gut macht
und ebenso sein Werk. Nun wird aber ein jeder durch richtiges Handeln zu dem zu
gelangen suchen, was am meisten Gegenstand seiner Sehnsucht ist Dies aber ist, glücklich
zu sein. Es ist unmöglich, dass das ein Mensch nicht will. Es wird also ganz richtig das als
Preis der Tugend erwartet, was den Menschen glücklich macht. (32)
....
Die Glückseligkeit ist, so sagen wir, das Endziel aller Sehnsucht. Denn der Drang der
Sehnsucht kann nicht ins Unendliche fortschreiten; dann wäre ja ein von der Natur
gegebener Antrieb vergeblich; das Unendliche kann nicht durchmessen werden. Da aber
die Sehnsucht jedes vernünftigen Wesens nach einem umfassenden Gut zielt, so wird jedes
Gut allein wirklich glücklich machen können, nach dessen Erlangen kein weiteres zu
wünschen bleibt. Und darum heißt die Glückseligkeit ein vollendetes Gut, weil sie alles
Ersehnenswerte in sich schließt. Kein einziges irdisches Gut ist aber dieser Art; wer
Reichtum hat, sehnt sich, noch mehr zu besitzen, und ähnliches ist bei allen übrigen zu
sehen. (33)
....
‚Denn’ - so sagt Augustinus (De civitate Dei, lib.5, cap.24) – ‚nicht deshalb nennen wir
christliche Fürsten glücklich, weil sie länger re-/giert haben oder weil sie nach einem
sanften Tod ihren Sohn als Herrscher zurückließen, weil sie die Feinde des Staates
bezwungen haben oder imstande waren, sich vor dem Aufruhr der Bürger zu hüten oder
ihrer Herr zu werden. Sondern dann nennen wir sie glücklich, wenn sie gerecht regieren,
Führungs-Wissen in alten Quellen
41
wenn sie lieber ihre Leidenschaften als irgendwelche Völker beherrschen wollen, wenn sie
alles nicht entbrannt für eitlen Ruhm, sondern aus Liebe zur wahren und ewigen Seligkeit
tun...solche christlichen Fürsten nennen wir glücklich...’ (33/34)
In Kapitel 9 geht Thomas der Frage nach, wie der Lohn der Tugend aussieht.
Denn wenn die Seligkeit der Lohn / der Tugend ist, folgt daraus, dass der größeren
Tüchtigkeit ein größerer Grad von Glückseligkeit zukommt. Nun ist aber das eine ganz
besondere Tüchtigkeit, durch die ein Mensch nicht nur sich selbst, sondern auch anderen
den Weg zu bestimmen vermag; und dies um so mehr, für je mehr sie bestimmend ist. ...
Es ist also wohl das Zeichen ganz besonderer Tugend, wenn einer die Pflicht eines Königs
gut erfüllt. (36)
Gut führen ist verdienstvoller als sich gut führen lassen.
Es ist also der König, wenn er seine Untertanen gut leiten kann, eines größeren Lohnes
wert als irgendeiner der Untertanen, der unter der Führung des Königs angemessen gelebt
hat. (36)
....
„Führen“ ist nicht einfach:
Denn es ist, wie Augustinus sagt, sehr schwer, dass die Fürsten inmitten der Reden
übertriebener Schmeichler und der blinden Folgsamkeit aller, die allzu tief den Rücken
beugen, sich nicht überheben und sich erinnern, dass sie Menschen sind. (38)
Aus Kapitel 10:
Führungskräfte müssen mit achtsamster Sorge sich selbst davor bewahren, dass sie sich der
Tyrannei zuwenden. (39)
....
Indes, so sehr sich die Tyrannen nach dem Gut der Freundschaft sehnen, sie können es
nicht erlangen. Das sie ja nicht das Gemeinwohl, sondern ihren persönlichen Vorteil
verfol-/gen, entsteht geringe oder gar keine Gemeinschaft mit ihren Untertanen. (40/41)
....
Die guten Könige aber werden, da sie mit Eifer auf den allgemeinen Fortschritt bedacht
sind und die Untertanen fühlen, dass sie durch ihren Eifer so manche Vorteile erlangen,
von den meisten geliebt, denn sie beweisen damit, dass sie ihren Untertanen zugetan sind.
(41)
....
Es bleibt also, dass die Herrschaft der Tyrannen allein durch die Furcht gestützt wird;
darum suchen sie mit allen Kräften zu erreichen, dass sie von ihren Untertanen gefürchtet
werden. / Die Furcht aber ist eine hinfällige Grundlage. (42/43)
Aus Kapitel 13:
Man muss also erwägen, was Gott in der Welt wirkt. Daraus wird sich klar ergeben, was
dem König zu tun bestimmt ist. Im allgemeinen sind zwei Wirksamkeiten Gottes in der
Welt zu betrachten, die eine, durch die er die Ordnung der Welt schafft, und die andere,
durch die er die so geordnete Welt regiert....Die zweite dieser Wirksamkeiten gehört im
engeren Sinne zum Amt eines Königs; von der Führung einer Regierung haben ja auch die
Könige ihren Namen. (49)
Aus Kapitel 14:
Wir müssen uns zuerst vor Augen halten, dass das Wesen der Regierung eben darin
besteht, das, was sie führt, in entsprechender Weise zu dem geforderten Ziele zu bringen.
(52)
Führungs-Wissen in alten Quellen
42
....
Der Arzt sorgt, dass das Leben des Menschen gesund bleibe, der Wirtschafter, dass aller
Lebensbedarf ausreichend gedeckt wird, der Gelehrte, dass er die Wahrheit erkennt, der
sittliche Führer des Volkes aber, dass es nach den richtigen Grundsätzen lebt. (53)
....
Nun ist es aber nach allem Anschein das Endziel der zu gemeinsamem Leben vereinigten
Gesellschaft, nach der Tugend zu leben. (53)
....
Gut leben aber heißt leben, wie es die Tugend verlangt. So ist das Leben nach der Tugend
das Endziel menschlicher Gemeinschaft. (54)
In Kapitel 15 geht es um die Forderung, dass der König seine Untertanen zu einem Leben
nach der Tugend anhält.
Da also der letzte Zweck eines guten Lebens, das wir jetzt führen, die himmlische Seligkeit
ist, so gehört es zu dem Amt eines Königs, für ein gutes Leben des Volkes nach der
Erwägung zu sorgen, inwieweit ihm zur Erreichung der himmlischen Seligkeit Bedeutung
zukommt, damit er, was dazu förderlich ist, anordnet und das Gegenteil, soweit das eben /
möglich ist, verbietet. (57/58)
....
Der König muss so, im göttlichen Gesetz wohlbewandert, seinen Eifer vor allem darauf
richten, in welcher Weise das ihm untergebene Volk ein gutes Leben führt. Dieses
Bestreben zerfällt in dreierlei: Erstens geht es darauf, in dem geführten Volk die
Grundlagen für ein gutes Leben zu schaffen, zweitens das so Gegründete zu bewahren und
drittens das Bewahrte zu immer Besserem zu heben. (58)
....
Damit ein einzelner ein gutes Leben führt, wird zweierlei gefordert: Das eine,
Hauptsächliche, ist das Handeln nach der Tugend (denn die Tugend ist es, die das Wesen
des ‚guten Lebens’ ausmacht) und das zweite, mehr Nebensächliche und gleichsam als
Hilfsmittel Anzusehende, das genügende Vorhandensein materieller Güter, deren
Gebrauch zu einem Akt der Tugend notwendig ist. (58)
....
Da die Menschen aber sterblich sind, so können sie nicht ewige Dauer haben, ja nicht
einmal, solange sie leben, stehen sie, da sich das Leben unter so viel Veränderungen
beugen muss, in der gleichen Blüte ihrer Kraft. So sind die Menschen keineswegs in
gleicher Weise ihr ganzes Leben hindurch geeignet, dieselben Aufgaben zu erfüllen. Ein
anderes Hindernis, das Staatswohl zu bewahren, kommt aus dem Inneren des Menschen.
Es beruht darauf, dass sich der Wille der Menschen verkehrt, so dass sie entweder zu träge
sind, den Forderungen des Staates gerecht zu werden, oder noch darüber hinaus dem
Frieden der Gesellschaft schädlich sind, indem sie die Gebote der Gerechtigkeit übertreten
und dadurch den Frieden der anderen stören. (59)
....
Aufgabe des Königs ist es erstens,
für den menschlichen Nachwuchs und den Ersatz aller jener, die in der leitenden Stellung
der verschiedenen Ämter stehen zu sorgen. (59)
....
Zweitens muss er darauf sehen, dass er durch seine Gesetze und Vorschriften, durch Strafe
und Lohn, seine Untertanen vom Unrecht abhält und zu Werken der Tugend veranlasst. ...
Drittens ruht auf dem König die Sorge, sein Volk vor den Feinden zu sichern. ... Er muss
auch für seine Förderung tätig sein. Das geschieht dadurch, dass er in allem, was wir
Führungs-Wissen in alten Quellen
43
vorher untersucht haben, das Unzweckmäßige richtigstellt, das Fehlende ergänzt und dort,
wo eine Verbesserung möglich ist, nach Vervollkommnung strebt. (60)
2. Buch
Im 2. Buch geht Thomas auf Gesichtspunkte ein, die für die Gründung einer Stadt oder
eines Reiches von Bedeutung sind: gemäßigtes Klima, damit die Gesundheit erhalten
bleibt, sichere Lage, Fruchtbarkeit der Gegend, Schönheit der Landschaft. Es ist
erstaunlich, an was Thomas alles denkt! Dafür einige Beispiele im Einzelnen:
Kapitel 2:
Der gesündeste Ort wird aber, wie Vergenius sagt, der sein, der in einer gewissen Höhe
liegt, von Nebel frei und dem Reife nicht ausgesetzt ist, der sich nicht nach der heißen oder
kalten Himmelsrichtung hin öffnet und nicht Sümpfe in seiner Nachbarschaft hat. Die
Höhenlage eines Ortes pflegt auch auf die gesundheitliche Wirkung der Luft von Einfluss
zu sein; ein hochgelegener Ort steht den durchstreichenden Winden offen, durch die die
Luft rein wird. (63)
....
Dann muss der Platz für die Stadt auch im Hinblick auf seine Lage nach den verschiedenen
Himmelsrichtungen so bestimmt werden, dass Kälte und Hitze gemäßigt sind. (64)
....
Die Hitze, die allen Dunst an sich zieht, zerteilt alle natürlichen Kräfte; deshalb werden
auch in gesunden Gegenden die Körper im Sommer matt. (65)
....
Wie aber die richtige Temperatur der Luft, so muss auch gesundes Wasser gesucht werden.
Denn von dem, was recht häufig zum menschlichen Gebrauch genommen wird, hängt die
körperliche Gesundheit am meisten ab, und von der Luft ist es ganz offenbar, dass wir sie
tagtäglich durch das Atmen bis zu den lebenswichtigen Organen in uns einziehen. (65)
Kapitel 3:
Eine Stadt muss genügend Lebensmittel haben. Je autarker eine Stadt ist, umso größere
Sicherheit bietet sie. Dazu dient der Handel. Ein Problem sieht Thomas darin, dass die
Kaufleute auf Gewinn aus sind.
Da das Streben der Kaufleute sich vor allem auf den Gewinn richtet, wird durch den
Betrieb des geschäftlichen Verkehrs die Begehrlichkeit in den Seelen der Bürger erweckt.
Die nächste Folge daraus ist, dass im Staate alles käuflich wird, sich alles Vertrauen
verliert und für jeden Betrug Platz ist, dass jeder in Verachtung des Gemeinwohls nur
seinem persönlichen Vorteil folgt und jedes Bemühen um die Tugend schwindet, da die
Ehre, sonst ihr allein als Lohn vorbehalten, nun allen dargeboten wird. (68)
....
Dennoch dürfen die Kaufleute nicht gänzlich aus dem Staate ausgeschlossen werden. ...
Eine vollkommene Stadt muss daher auch die Kaufleute verwenden – aber im richtigen
Maß. (69)
In Kapitel 4 verlangt Thomas, dass der für eine Stadt ausgewählte Platz auch
landschaftlich schön sein soll, aber die Bürger sollten diese Schönheit nur mit Maß
genießen. Wie modern! Was Thomas zur Städtegründung sagt, gilt auch für
Betriebsansiedlungen.
Bei einer Städtegründung soll auch ein solcher Platz erwählt werden, der durch die
Schönheit der Landschaft den Bewohnern Freude macht. Denn einen anmutigen Ort wird
Führungs-Wissen in alten Quellen
44
man nicht so leicht verlassen, und ebenso strömt nur schwer eine Menge von Bewohnern
an einem Ort zusammen, dem jeder landschaftliche Reiz fehlt. Denn ohne eine gewisse
Schönheit kann das Leben der Menschen nicht lange bestehen. (69)
....
Weil aber übergroße Annehmlichkeiten der Landschaft den Menschen im Übermaß zum
Vergnügen locken, was wieder für den Staat größten Schaden bedeutet, ist es notwendig,
sie mit Maß zu genießen. Denn erstens werden die Menschen, die sich nur dem Vergnügen
widmen, schlaff im Geiste. ... Zweitens bewirken die übermäßigen Vergnügungen, dass die
Menschen aufhören, die Tugend zu achten, denn nichts führt mehr zu Maßlosigkeit, durch
die die rechte Mitte der Tugend beeinträchtigt wird, als das Vergnügen. ... Durch die
Vermeidung des Übermaßes gelangt man so leicht zur richtigen Mitte, die das Wesen der
Tugend ausmacht. (70)
....
So mag es dem Geist nützlich sein, mäßig Vergnügungen zu genießen, wie das Salz, das
bei der Zubereitung der Speise zu ihrer eigenen Schmackhaftigkeit verwendet wird. (71)
Man darf also weiterhin im Betrieb einen Ausflug oder Ähnliches anbieten!
10. Fürstenerziehung. (Institutio Principis Christiani) von Erasmus von Rotterdam
Vorbemerkung
Dieses Werk von Erasmus von Rotterdam wurde etwa 1517 erstmals als pädagogische
Hilfe zur Erziehung Karl V. herausgegeben. Als Quelle für die folgenden Auszüge wird
verwendet die lateinisch-deutsche Ausgabe: Erasmus von Rotterdam „Fürstenerziehung.
Institutio Principis Christiani. Die Erziehung eines christlichen Fürsten. Einführung,
Übersetzung und Bearbeitung von Anton J. Gail. Paderborn 1968, Ferdinand Schöningh
Verlag. Auf diese Ausgabe beziehen sich alle Seitenangaben der folgenden Auszüge. Wo
Texte auf zwei Seiten stehen, wird dies mit „/“ angegeben; dabei springt die Angabe
jeweils um zwei Seiten, weil der Text in deutscher Sprache berücksichtigt wird; die
„Zwischenseite“ bezöge sich auf den lateinischen Text. Verwendet wurde die neue
Rechtschreibung; erkennbare Druckfehler wurden berichtigt.
Erasmus von Rotterdam lebte 1466-1536. Er wurde zum Priester geweiht, er war aber
überwiegend als Humanist und Schriftsteller tätig. Zeitgenossen waren Thomas Morus
(1478-1535; London) – mit ihm war Erasmus befreundet – und Niccolò Macchiavelli
(1469-1527; Florenz).
Mit seiner Institutio reiht sich Erasmus ein in die Tradition der antiken Fürstenspiegel; an
vielen Stellen stellt er Beziehungen her zum Gedankengut von Xenophon, Plato und
Aristoteles. In diese Reihe gehört die „Civitas Dei“ von Augustinus genau so wie spätere
Werke, etwa von Alkuin unter Karl d.Gr. (vgl. S. 27 f.), die Hirtenregel des Papstes Gregor
d.Gr., oder die „Considerationes“ des hl. Bernhard von Clairvaux für Papst Eugen III.
Den folgenden Auszügen liegt die Absicht zugrunde, Aussagen, die für Führung und
Management von Bedeutung sind, herauszuschreiben. Die Arbeit ist Teil eines Vorhabens,
alte Quellen für das moderne Management zu erschließen.
Aus der Einleitung von Anton J. Gail
Dass der Mensch ein animal educabile sei, dass er allein schon vermöge seiner rein
menschlichen Ausstattung zu großen Hoffnungen berechtige, das war für Erasmus seit je
ein unbestrittener Glaubenssatz. (10)
Führungs-Wissen in alten Quellen
45
Bildung aber, das ist immer jenes wissende Verstehen, das sich in der Vermenschlichung
des Umgangs zu legitimieren hat. (10)
Wer das Steuer des Staates in die Hand nimmt, darf keinen privaten Geschäften nachgehen
und nur das öffentliche Wohl im Auge haben. (12)
Der Fürst ist Mensch wie alle anderen, hat aber als verantwortlicher Staatsmann sowohl
das spezifisch Menschliche wie das spezifisch Christliche in exemplarischer Weise
vorzuleben. (13)
Erasmus hält es für eine dringende Forderung der Zeit, endlich mit dem Wahn der Geburt
aufzuräumen und fernerhin die Eignung zum Regenten nicht in der Tatsache fürstlicher
Abkunft zu erblicken. (18)
Das Muster, das hier entworfen wird, ist keine private Erbauungslektüre für Fürsten,
sondern ein Appell an jedermann, das politische Leben mitzutragen und
mitzuverantworten. (26)
Die Aufgabe der Erziehung ist es, ... den Menschen im Angesicht der Wahrheit urteilsfähig
und selbständig zu machen. (27)
Die Institutio
Die Widmung
Aristoteles glaubt sogar, dass keine Weisheit hervorragender ist als die, die den Fürsten
sich wohltätig zu verhalten lehrt, so dass Xenophon in seinem „Ökonomikus“ genannten
Buch mit vollem Recht meint, dass es etwas Übermenschliches, geradezu Göttliches sei,
Freien und mit Willen Begabten (mit deren Einverständnis) zu befehlen. (39)
Anmerkung:
Erasmus weist hier auf den Wunsch Salomos hin, Gott möge ihm ein hörendes Herz
schenken. „In Gibeon erschien der Herr dem Salomo nachts im Traum und forderte ihn
auf: Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll. Salomo antwortete: Du hast deinem
Knecht David, meinem Vater, große Huld erwiesen; denn er lebte vor dir in Treue, in
Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen. Du hast ihm diese große Huld bewahrt und
ihm einen Sohn geschenkt, der heute auf seinem Thron sitzt. So hast du jetzt, Herr, mein
Gott, deinen Knecht anstelle meines Vaters David zum König gemacht. Doch ich bin noch
sehr jung und weiß nicht, wie ich mich als König verhalten soll. Dein Knecht steht aber
mitten in deinem Volk, das du erwählt hast: einem großen Volk, das man wegen seiner
Menge nicht zählen und nicht schätzen kann. Verleih daher deinem Knecht ein hörendes
Herz, damit er sein Volk regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht. Wer
könnte sonst dieses mächtige Volk regieren? Es gefiel dem Herrn, dass Salomo diese Bitte
aussprach. Daher antwortete ihm Gott: Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und
nicht um langes Leben, Reichtum oder um den Tod deiner Feinde, sondern um Einsicht
gebeten hast, um auf das Recht zu hören, werde ich deine Bitte erfüllen. Sieh, ich gebe dir
ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen
wird, der dir gleicht. Aber auch das, was du nicht erbeten hast, will ich dir geben:
Reichtum und Ehre, so dass zu deinen Lebzeiten keiner unter den Königen dir gleicht.
Wenn du auf meinen Wegen gehst, meine Gesetze und Gebote befolgst wie dein Vater
David, dann schenke ich dir ein langes Leben. Da erwachte Salomo und merkte, dass es
ein Traum war (1 Könige 3,5-15).
Führungs-Wissen in alten Quellen
46
Als Philosophie meine ich nun nicht die Lehre von den Prinzipien, von der Ursubstanz,
von der Bewegung oder vom Unendlichen, sondern die Lehre, die den Geist von den
falschen Meinungen der Menge befreit und die Kunst der Regierung nach dem Beispiel des
ewigen Geistes darlegt. (39)
Kapitel I: Grundsätze für die Wahl eines Fürsten
Dort, wo man den Fürsten durch Wahl erhebt, verdienen Herkunft, äußere Erscheinung
und auffallende Größe nicht entfernt die Beachtung wie geistige Anlagen, Menschlichkeit
und maßvolle Haltung. Erwünscht ist ein besonnener und durchaus uncholerischer Geist, ...
Anderseits soll er nicht willfährig sein, dass er sich von jeder beliebigen Meinung
beeinflussen lässt. Man muss darauf achten, dass er tatkräftig ist und noch in dem Alter
steht, wo seine Geisteskraft nicht nachlässt, wiederum auch nicht in der ersten Jugend, die
von Affekten bestimmt wird. Sicher wird man auch auf eine gute Gesundheit Wert legen,
damit man nicht gleich wieder vor der Notwendigkeit steht, einen neuen Fürsten zu
wählen, was ja immer den Staat in eine gefährliche Lage bringen kann. (43)
In der Seefahrt vertraut man das Steuer nicht dem Vornehmsten oder Reichsten an, sondern
dem Kundigsten, Wachsamsten und Zuverlässigsten. Genauso wird man die Herrschaft
dem übertragen, der die anderen durch staatsmännische Talente überragt, d.h. mit
Weisheit, Gerechtigkeit, Maß, Voraussicht und Eifer für das Gemeinwohl sorgt. (45)
Das, was der Herrscher einzig im Auge behalten muss bei der Regierung, das muss das
Volk auch bei der Wahl des Fürsten beachten: die Staatswohlfahrt. Persönliche
Rücksichten dürfen dabei keine Rolle spielen. (45)
Von den Windeln an, wie man so sagt, muss man also die noch von allen Eindrücken freie
Seele des künftigen Fürsten mit gediegenen Auffassungen erfüllen. (45)
Es ist eine herrliche und wundervolle Sache, gut zu regieren. (47)
Es gibt keine höhere Auszeichnung für einen Herrscher als die, einen Thronfolger
herangebildet zu haben, der ihn noch übertrifft. (47)
Der Erzieher des künftigen Regenten muss so sein, dass er (was Seneca schon sehr treffend
gesagt hat) tadeln kann, ohne zu beschimpfen, und loben, ohne zu schmeicheln. Jener
sollte ihn wegen seiner Gradheit achten und wegen seiner Liebenswürdigkeit gern haben.
(49)
Jedes bedeutende Können wird durch Mühe erworben. Trotzdem ist keines bedeutender
und zugleich anspruchsvoller als die Kunst des Herrschens. (49)
Ein Regent sollte, solange er jung ist, besonders kritisch sein gegen sich selbst, einmal
wegen seines Mangels an Erfahrung, dann auch wegen seines noch unbändigen Geistes. Er
sollte sich vor ausgreifenden Unternehmungen hüten, wenn er nicht von klugen Männern
beraten ist, vor allem von reiferen Männern. Deren Gesellschaft sollte er suchen, damit
seine stürmische Jugend durch Achtung vor den Älteren gezügelt wird. (51)
Wenn andere dabei sind, soll der Erzieher loben, aber redlich und ohne Umschweife.
Tadeln darf er nur unter vier Augen, und zwar so, dass er eindringlich mahnt, aber maßvoll
bleibt im Ton, besonders wenn der junge Mann reifer geworden ist. (57)
Führungs-Wissen in alten Quellen
47
Autorität, Ansehen und Majestät, so sollte man ihn lehren, verdanken ihr Wachstum und
ihren Bestand nicht Äußerlichkeiten, sondern der Weisheit, Untadligkeit und redlichem
Verhalten. (59)
Wer sein Leben ehrenvoller verbracht, nicht wer länger gelebt hat, ist der glücklichere. Die
Fülle des Lebens misst man an der Fülle guter Taten und nicht an der Menge der Jahre.
(59)
Philosoph ist nicht, wer sich auf Dialektik oder Physik versteht, sondern wer den falschen
Schein der Dinge durchschaut und mit tapferem Herzen das wahre Gute ergründet und
befolgt. (59)
Bedenke also, wie abwegig es ist, mit Schmuck, Gold, Purpur, Gefolge und anderem
augenfälligem Aufwand, mit wächsernen und steinernen Ahnenbildern, was ja alles nicht
Deine eigenen Vorzüge sind, die anderen alle so haushoch zu übertrumpfen, aber in vielen
wirklich geistigen Qualitäten unter dem Durchschnitt zu erscheinen. (61)
Willst Du Dich als einen hervorragenden Fürsten vorstellen, achte darauf, dass niemand
Dich an Vorzügen übertrifft, die wesentlich zu Deinem Stande gehören, also an
Hochherzigkeit, maßvoller Gesinnung und Untadligkeit. (61)
Es gibt nämlich drei Arten des Adels: erstens jener, der seine Grundlage in der Tugend und
im Rechttun hat, zweitens jener, der auf Ausbildung in den ehrenvollsten Disziplinen
beruht, und der dritte, der sich auf Ahnenbilder und Stammtafeln oder auf Besitz beruft.
(61)
Wenn Dir das alles nichts sagt, können doch Deine Hoheitsinsignien Dich an Deine Pflicht
erinnern. Was bedeutet denn Salbung anderes als die Verpflichtung des Fürsten zu
höchster Milde und höchster Sanftmut, wo doch im Allgemeinen die Grausamkeit die
Begleiterin großer Machtfülle ist? Was zeigt das Gold anderes an als außergewöhnliche
Weisheit; was der Glanz der Edelsteine, als hervorragende und allen Durchschnitt
überragende Tugenden; was der strahlenden Purpur, als die Liebe zur bürgerlichen
Gemeinschaft; was das Szepter, als ein empfindliches Rechtsgefühl, das sich durch keine
Verlockungen vom geraden Wege abbringen lässt? (63)
Christ ist nicht, wer gewaschen und gesalbt dem Gottesdienst beiwohnt, sondern wer
Christus mit ganzem Herzen aufnimmt und ihm in frommem Verhalten nachlebt. (65)
Es könnte aber auch die Situation entstehen, dass Du Deine Herrschaft nur um den Preis
von Rechtsverletzungen, Blutvergießen und Religionsverfolgung behaupten kannst: dann
danke lieber ab und weiche der Situation! (67)
Anmerkung: Beim Rat, lieber zurückzutreten als sein Menschsein zu verlieren, sind zwei
Dinge von Führungskräften zu beachten: Erstens sollte kein Betrieb eine Führungskraft in
eine solche Situation bringen. Zweitens ist zu bedenken, ob der Betreffende sich den Mut
leisten kann; die Lage ist jeweils anders mit oder ohne Familie und ob sich eine andere
Stelle findet. Der Betreffende muss also in gewisser Weise finanziell abgesichert sein.
„Mutige Mitarbeiter“ gedeihen in guter Unternehmenskultur, in der Offenheit und Mut
ungestraft möglich sind, ja sogar positiv gewürdigt werden Wer mutig ist, darf aber den
Verstand nicht ausschalten. Er muss sich fragen, was änderbar und was hinzunehmen ist.
Den „idealen“ Betrieb gibt es nicht.
Führungs-Wissen in alten Quellen
48
Sei dagegen mit beharrlichem Sinn lieber ein gerechter Mensch als ein ungerechter
Herrscher! (67)
Wie es auf dieser Erde nichts Wohltuenderes gibt als einen weisen und guten Monarchen,
kann auch nichts Verderblicheres sein als ein beschränkter und schlechter Monarch. Keine
Infektion wirkt schneller und totaler als ein schlechter Fürst. Anderseits gibt es keinen
kürzeren und wirksameren Weg, das Verhalten des Volkes zu bessern, als durch untadligen
Lebenswandel eines Fürsten. (71)
Blick nur zurück in die Geschichte: Die Sitten der Gesellschaft, das wirst Du bestätigt
finden, waren immer so, wie der Lebenswandel des Fürsten gewesen ist. (71)
Ein guter Fürst ist nach einem klugen Wort des Plutarch wie ein lebendes Abbild Gottes, in
dem Güte und Macht gleich überragend sind, der aus Güte allen nützen will und aus seiner
Machtfülle denen nützen kann, denen er nützen will. (71)
Hüte Dich vor aller Überheblichkeit. (73)
Die christliche Theologie schreibt Gott drei Eigenschaften zu: höchste Macht, höchste
Weisheit und höchste Güte. Diesen dreifachen Lehrgang musst Du mit aller verfügbaren
Kraft absolvieren. Denn Macht ohne Weisheit ist finstere Tyrannei; ohne Weisheit erzeugt
sie Verderben, aber keine Führung. Gib Dir also vor allem Mühe, Dir die höchste Fülle der
Weisheit zu erwerben, wenn das Schicksal Dir Macht verliehen hat, damit Du als einziger
unter allen am besten einsiehst, was zu erstreben und was zu vermeiden ist, und Du dann
darauf aus bist, allen möglichst viel zu nützen; denn dies ist das Kennzeichen der Güte.
(73)
Gott ist keinen Leidenschaften ausgesetzt und regiert die Welt mit größter Gerechtigkeit.
Nach diesem Beispiel sollte ein Fürst bei allem, was er unternimmt, Gefühlsregungen
unterdrücken und Vernunft und Urteilsvermögen gebrauchen. (75)
... je höher Dich also das Schicksal empor getragen hat, um so duldsamer und weniger
hochfahrend musst Du sein. (75)
Übernimmst Du die Regierung, erwäge nicht, wie viel Ehre Dir zuteil wird, sondern wie
viel Last und Sorge, rechne Dir nicht Deine Steuer- und Zolleinkünfte aus, sondern Deine
Obliegenheiten, / glaube nicht, dass Du einen reichen Fang gemacht hast, sondern dass Dir
eine Aufgabe gestellt ist. (75/77)
Den Titel eines Fürsten verdienen die, die sich dem Staat widmen, nicht aber die, die sich
den Staat zunutze machen. (77)
Ein Tyrann regiert mit Furcht, List und Intrigen, ein König mit Weisheit, Redlichkeit und
Wohltätigkeit. (81)
Es ist sicher der Mühe wert zu hören, mit welchen Prädikaten Julius Pollux vor Kaiser
Commodus, den er in der Jugend erzogen hatte, einen König und einen Tyrannen versieht.
Den König ordnet er gleich nach den Göttern ein. .... „Einen König soll man mit folgenden
Prädikaten versehen: Vater, mild, sanft, nachgiebig, vorsorglich, billig, menschlich
hochgemut, frei, Verächter des Geldes, keinen Affekten unterworfen, hart gegen sich
selbst, Herr seiner Gelüste, vernünftig, treffend im Urteil, scharfblickend, umsichtig,
starker Ratgeber, gerecht, nüchtern, auf die Ehrung der Götter bedacht, im Interesse der
Menschen geschäftig, zuverlässig, sicher, untrüglich, voll hoher Gedanken, mit Autorität
Führungs-Wissen in alten Quellen
49
ausgestattet, fleißig, gewandt in seinen Amtsobliegenheiten, fürsorglich und eine Zuflucht
für seine Untergebenen, zur Wohltätigkeit geneigt, im Strafen zurückhaltend, gewiss,
standhaft, unbeugsam, der Gerechtigkeit dienend, immer auf seinen Ruf bedacht,
untrüglich wie eine Waage, für jedermann zu sprechen, freundlich im Umgang, mit einem
offenen Ohr für alle, die ihn sprechen wollen, liebenswürdig, nicht ver-/schlossen, dem
Gebot seiner Eltern aufmerksam folgend, seinen Soldaten zugetan, im Krieg ein
entschlossener Feldherr, aber nicht kriegslustig, friedensliebend und ein
Friedensvermittler, auf Einhaltung des Friedens bedacht, bemüht den sittlichen Zustand
seines Volkes zu heben, mit Führungstalent und mit der Gabe des Regierens ausgestattet,
einer, der wohltätige Gesetze zu erlassen weiß, ein geborener Diener seines Volkes, von
eindrucksvoll hoheitlichem Auftreten. Es gibt aber noch manches, was man in einer
Abhandlung darlegen, jedoch nicht mit einzelnen Worten erfassen kann.“ Soweit haben
wir die Meinung des Pollux wiedergegeben. (93/95)
Höre nun aber auch, mit welchen Farben er den Tyrannen darstellt. Der Sinn dieser Worte
ist ungefähr folgender: „Einen schlechten Fürsten wird man etwa so tadeln: Tyrannisch,
grausam, hochtrabend, gewalttätig, immer hinter fremdem Eigentum her, auf Geld
versessen, dem Dämon Geld verfallen wie es bei Platon heißt, raffgierig und ein Vertilger
seines Volkes, wie es bei Homer heißt, hochmütig, aufgeblasen, verschlossen und
unbequem im Umgang, als Verhandlungspartner schwierig, unwirsch bei der Unterhaltung,
äußerst jährzornig, erregbar, Schrecken um sich ausbreitend, unberechenbar, seinen
Gelüsten hörig, unbeherrscht, maßlos, unüberlegt, unmenschlich, ungerecht, unberaten,
unbillig, gottlos, ohne Überlegung, leichtfertig und unbeständig, leicht zu täuschen, schwer
zugänglich, hartherzig, von seinen Affekten abhängig, unverbesserlich, sehr
schmähsüchtig, ein Kriegstreiber, eine ständige Belastung für alle, beschwerlich,
unbezähmbar und unerträglich.“ (96)
Also ist eine Regierung in Tugend und Wohlwollen nicht nur ruhiger und erfreulicher,
sondern auch beständiger und sicherer. (97)
Deshalb zeugt es von höchster, ja durchaus göttlicher Tüchtigkeit, wenn ein König die
Herrschaft so besonnen ausübt, dass das Volk sie als Wohltat und nicht als Knechtschaft
empfindet. (99)
Du darfst Dich keinem weniger verbunden fühlen, sonder musst alle Bürger gleichmäßig
schätzen. (99)
Denk lieber, wie es einem guten Fürsten geziemt, etwa so: „Das ist mir anvertraut, also
muss ich darauf achten, dass es besser wird, als ich es empfangen habe“. (101)
Kann sich wohl jemand großartig vorkommen, wenn er über angstgetriebene Bürger wie
über Vieh herrscht? (105)
Dem, der seine Herrschaft auf christliche Art führt, geht sein Recht nicht verloren, er
besitzt es nur auf eine andere, und zwar auf viel rühmlichere und verlässlichere Art. Dass
das so ist, magst Du an folgenden Beweisen erkennen. Zunächst einmal sind die nicht die
Deinen, die Du in Knechtschaft unter Druck hältst; denn erst ihre Zustimmung macht Dich
zum Fürsten. Du kannst erst diejenigen als die Deinen ansehen, die Dir aus eigenem
Antrieb und freiwillig gehorchen. Außerdem, wenn Du Verängstigte besitzest, hast Du
nicht einmal ihre Hälfte auf Deiner Seite. Ihre Körper beherrschest Du zwar, ihr Geist ist
Dir aber abgeneigt. (107)
Führungs-Wissen in alten Quellen
50
Anmerkung: Hier sei hingewiesen auf die „Fabrikrede“ von Franz Josef Buß am
25.4.1837 in der Badischen Zweiten Kammer, in der Buß die Lage des Arbeiters u.a. so
schildert: „Bei der größten Abgewandtheit seines Gemütes von seinen Brotherrn bleibt er
an dessen Geschäft gefesselt.“
Wenn schließlich die christliche Liebe Volk und Fürst verbindet, ist durch sie alles Dein
Eigentum, so oft die Lage es erfordert. Denn der christliche Fürst stellt keine Forderungen,
wenn nicht die Not des Vaterlandes es verlangt.(107)
Zudem ist die Ehrung, die dem Tyrannen erwiesen wird, nicht einmal Ehre, sondern
Schmeichelei und Heuchelei. Es ist kein Gehorsam, sondern Unterwürfigkeit. Wie er sich
aufführt, das ist keine wahrhaft glanzvolle Haltung, sondern Anmaßung, keine Macht,
sondern Gewalt(tätigkeit). Das alles besitzt nur wahrhaft, wer sich als christlicher Fürst
benimmt. Keinem erweist man mehr Ehre als dem, der keine Ehre fordert. Keinem
gehorchen die Menschen lieber als dem, der keinen Gehorsam verlangt. (107)
Hat der Fürst vom Schaden des Staates seine Freude und seinen Gewinn, ist er kein Teil
des Staates und kein Fürst, sondern ein Wegelagerer. (109)
Führe Deine Regierung so, dass Du leicht über alle Deine Maßnahmen Rechenschaft
ablegen kannst. (109)
Nachdem Du Dich einmal dem Staat gewidmet hast, hast Du nicht mehr die Freiheit, nach
Deinem Geschmack zu leben; die Rolle, die Du übernommen hast, musst Du behalten und
zu Ende bringen. Keiner kommt zum olympischen Wettstreit, der nicht vorher wohl
überlegt hat, wie die Bedingungen des Kampfes sind. ... Genauso muss, wer die Regierung
übernimmt, sehr wohl bei sich erwägen, was das Amt des Fürsten von ihm verlangt:
Einsatz zum Nutzen anderer und Gleichgültigkeit gegen persönliche Anliegen,
Wachsamkeit, damit andere schlafen können, Arbeit, damit andere ihre Muße genießen
können. Er muss ein untadeliges Leben führen, wo bei den anderen schon eine leidliche
Unbescholtenheit genügt. Seinen Geist muss er von allen Affekten freihalten, und wo er
öffentliche Aufgaben wahrnimmt, auch bedingungslos politisch verantwortlich denken. Er
muss selbst da ein Wohltäter sein, wo man keinen Dank dafür weiß, auch gegenüber
Einsichtslosen und Widerstrebenden. Wenn Dir das nicht passt, warum strebst Du dann
nach der Regierung oder warum übergibst Du die unfreiwillig übernommene nicht einem
anderen? Wenn Dir das nicht erlaubt ist, übertrage die Wahrnehmung der
Regierungsgeschäfte einem, der so ist, wie Du sein müsstest. (111)
Die Weisen des Altertums gebrauchten Hieroglyphen und umschrieben den Sinn des
Lebens mit Allegorien der Dinge: das Bild des Königs, indem sie ein Auge und dazu ein
Szepter malten. Damit wollten sie andeuten, dass Richtung und Bahn des Lebens auf keine
Weise vom Ehrenhaften abirren dürfe und deshalb mit Klugheit und höchster Wachsamkeit
verbunden sein müsse. (117)
Anmerkung: Im Hafen von Valletta (Malta) findet sich ein Wachtturm, an dem auf der
einen Seite ein Auge, auf der anderen ein Ohr zu sehen ist als Mahnung zur steten
Wachsamkeit aller Sinne in allen Richtungen.
Der erste Vorzug eines guten Fürsten ist sein Wille, das Beste zu verwirklichen. Sein
nächster Vorzug, zu erkennen, wie Schäden zu vermeiden oder auszumerzen und im
Gegensatz dazu, gute Entwicklungen einzuleiten, zu fördern und zu sichern sind. (119)
Führungs-Wissen in alten Quellen
51
Bewerte Dich nicht nach den Vorzügen des Körpers oder des Vermögens, sondern nach
den Vorzügen des Geistes. Miss Dich auch nicht an dem Lob der anderen, sondern an
Deinen eigenen Taten. (119)
Was verlangt schließlich der Heide Aristoteles in seiner Politik von einem Fürsten? ...
Höchste und vollendete Tüchtigkeit und in seiner privaten Lebensführung eine unauffällige
Genügsamkeit. (121)
Wenn Du zugleich ein guter Fürst und Mensch sein kannst, wirst Du Dein Amt am
schönsten verwalten. Geht das nicht, verzichte lieber auf Deine fürstliche Stellung, als dass
Du deshalb ein schlechter Mensch wirst. Wer kein guter Fürst sein kann, mag deshalb doch
ein guter Mensch werden. Es kann aber niemand ein guter Fürst heißen, ohne ein guter
Mensch zu sein. (121)
Der Fürst enthalte sich peinlichst solcher mehr als tyrannischen Meinungen wie: So will
ich es, so befehle ich es, mein Wille geht der Vernunft voran. Noch viel weniger jenes „Sie
mögen mich hassen, wenn sie mich nur fürchten“, was doch allgemeiner Verwünschung
unter den Menschen verfallen ist. (121)
Anmerkung: Hier spielt Erasmus an auf Senecas Wort „Oderint dum metuant- Sollen sie
mich hassen, wenn sie mich nur fürchten! (De ira I,66).
Es ist ein unerschütterlicher Vorsatz des Fürsten, keinen zu verletzen, allen zu nützen, vor
allem den eigenen Bürgern, Übel zu beseitigen oder zu heilen, wo immer man nur damit
dem allgemeinen Nutzen dienen kann. Wer diese Gesinnung nicht gegen den Staat hegt, ist
ein Tyrann, kein Fürst. (121)
Wer auf das Wohl der Gesamtheit achtet, der ist König, wer auf seinen eigenen Vorteil
bedacht ist, der ist Tyrann. (123)
... wenn also die Quellen verschmutzt sind, von denen alle Handlungen des Lebens ihren
Ausgang nehmen, dann wird es äußerst schwierig sein, Heilung zu finden. (125)
Anmerkung: Mit diesem Hinweis betont Erasmus die Wichtigkeit des Erziehers eines
Fürsten; Erziehung muss für reine Quellen sorgen!
Kapitel II: Die Unnahbarkeit des Fürsten für Schmeichelei
Das kann aber nicht sein, wenn nicht diejenigen mit allen Mitteln ferngehalten werden, die
zu allem Ja sagen. Dieser Pest ist das Glück großer Fürsten am stärksten ausgesetzt; denn
die Harmlosigkeit der Jugend selbst bietet dieser Seuche einen vorzüglichen Zugang,
einmal weil der Mensch von Natur mehr Freude am Schmeichlerischen als am Wahren hat,
dann weil junge Menschen unerfahren sind ... . Man weiß doch, dass die blühendsten
Reiche größter Könige durch die Worte von Schmeichlern vernichtet worden sind. (125)
Anmerkung: Im Anschluss an diese Ausführungen geht Erasmus auf die Bedeutung der
guten Wahl der Ammen, der Spielgefährten, der Erzieher und der Diener ein, weil ihr
Umgang den jungen Menschen besonders prägt.
Es gibt nun zwei Lebensalter, die für Schmeichelei ganz besonders anfällig sind, die
Kindheit wegen des Mangels an Erfahrung, und das hohe Alter wegen der
Geistesschwäche. (131)
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Es gibt auch eine verschwiegene Schmeichelei in Gemälden, Plastiken und Sprüchen.
(131)
Anmerkung: Erasmus zählt eine ganze Reihe solcher Schmeicheleien auf: Alexander d.Gr.
schwang einen Blitz in der Hand, Augustus wurde als Jupiter dargestellt. Dazu zählen
auch die Kolossalstatuen eines Nero oder Konstantin.
Ich heiße die Gewohnheit gut, derzufolge man heute den römischen Papst mit dem Titel
des Heiligsten ehrt. Wenn er das nämlich ständig hört, erinnert er sich daran, was von
jenem dargestellt werden müsste und was in ihm das Schönste wäre, nicht wenn er der
Reichste wäre oder weiterhin Herrschaft ausübte, sondern wenn er sich durch Heiligkeit
auszeichnen würde. (133)
Wenn er die Namen seiner Länder hört, soll ihm nicht gleich der Kamm schwellen, als ob
er der Herr über solche Macht wäre; er soll sich lieber bewusst werden, wie vielen er ein
guter Fürst sein muss. (135)
Auf jeden Fall sollte der Fürst aber seine Freunde so gewöhnen, dass sie sich in dem Maße
in seiner Gunst wissen, als sie freimütig Mahnungen aussprechen. (141)
Kapitel III: Die Künste des Friedens
So wie die alten Schriftsteller die gesamte Art der Staatsverwaltung in zwei Disziplinen
aufgeteilt haben, die des Friedens und die des Krieges, so muss die erste und vorzügliche
Sorge sein, den Fürsten in diesen beiden Disziplinen zu unterweisen, die darauf gerichtet
sind, weise die Friedenszeiten zu erhalten, deren man sich nach Kräften bedienen muss,
damit man das Mittel des Krieges nicht in Anspruch zu nehmen braucht. (143)
Deshalb muss man den Fürsten wohl vor allem dazu anleiten, dass er seinen
Herrschaftsbereich kennt. ... . Es kann niemand einen Körper kurieren, der ihn nicht vorher
kennen gelernt hat. Keiner baut einen Acker richtig an, ohne ihn untersucht zu haben.
(143)
Auf jede Art muss er sich dann um die Gegenliebe der Seinen bewerben, aber doch so,
dass seine Autorität bei ihnen nicht weniger stark ist. (145)
Es täuschen sich aber auch diejenigen, die mit Geschenken, Gastmählern und
unangebrachter Nachgiebigkeit nach der Gunst der Menge jagen. Sicher gewinnt man mit
solchen Dingen eher eine gewisse Zuneigung des Volkes als durch freundliche Gesinnung,
doch sie ist nicht redlich und nicht von Dauer. (145)
Zwei Dinge sind es, die nach der Meinung des Aristoteles in seiner Politik die Herrschaft
untergraben: Hass und Verachtung. Dem Hass begegnet man mit Wohlwollen, der
Verachtung mit Autorität. Es ist also Aufgabe des Fürsten, seine Aufmerksamkeit darauf
zu richten, wodurch jenes erzeugt und wie dieses vermieden wird. Hass erzeugt man durch
Zügellosigkeit, Gewalttätigkeit, Schmähungen, Launigkeit, Kleinlichkeit und Raubsucht.
... Glaube mir: Wer die Gunst des Volkes einbüßt, geht eines bedeutenden Bundesgenossen
verlustig. Im Gegensatz dazu erwirbt man das Wohlwollen der Menge mit einem Verhalten
– um es allgemein zu sagen - , das sich gründlich von der Tyrannei abhebt: mit Milde,
Freundlichkeit, Gerechtigkeit, Umgänglichkeit und Güte. (149)
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Verachtung zieht man sich vor allem zu durch Vergnügungssucht, Trinkerei,
Ausschweifungen, Spielleidenschaft, Narreteien, Possenreißereien, vor allem durch
törichte Gedankenlosigkeit. Nur durch gegenteiliges Verhalten erwirbt man Ansehen,
zweifellos / also durch Klugheit, Untadligkeit, maßvolle Gesinnung, Besonnenheit und
Wachsamkeit. (149/151)
Man sollte hierbei nicht den Rat des Aristoteles übersehen. Nach seiner Meinung soll der
Fürst, der die Abneigung der Seinen vermeiden und ihr Wohlwollen vermehren will, das
Widerwärtige anderen übertragen, alles, was Beifall findet, selbst in die Hand nehmen.
Anmerkung: Dieser Rat ist nicht anzunehmen. Gutes und Schlechtes muss auf gleicher
Schiene laufen, sonst wird die Autorität der Zwischenvorgesetzten beschädigt. Der frühere
Außenminister der Bundesrepublik Deutschland beklagte einmal: “Wenn es regnet, muss
ich hinaus, wenn die Sonne scheint, kommt Kohl“ (Quelle: E. Niejahr / R. Pörtner,
Joschka Fischers Pollenflug und andere Spiele der Macht. Wie Politik wirklich
funktioniert. Frankfurt/M. 2002, S. 101).
Jede Art Neuerung sollte der Fürst nach Möglichkeit vermeiden. Denn auch wenn es sich
um eine Besserung handelt, erregt das Neue doch Anstoß. Noch nie hat man die
Staatsverfassung, die allgemeinen Gewohnheiten im Staat oder die althergebrachte
Gesetzgebung ohne Aufruhr geändert. ... Ist aber etwas absolut unerträglich, sollte man es
geschickt und Schritt für Schritt bessern. (153)
Anmerkung: Dieser Rat des Erasmus hat heutzutage wohl nur noch insoweit Gültigkeit, als
er mahnt, Änderungen geschickt und Schritt für Schritt durchzuführen. Change
Management, also die glückende Durchführung notwendiger Änderungen, hat heute eine
wichtige Aufgabe.
Es kommt sehr viel darauf an, welches Leitbild sich der Inhaber der fürstlichen Gewalt
setzt; hat er nicht richtig entschieden, wird er notwendig in allen seinen Maßnahmen
fehlgehen. (153)
Anmerkung: Die Diskussion um Leitbilder heutzutage zeigt die Notwendigkeit, das Ziel
klar zu machen. Hier sei an das lateinische Sprichwort erinnert: Quidquid agis, prudenter
agas et respice finem – Was du tust, tue klug und denke ans Ziel.
Der Fürst darf sich also nicht durch große Worte täuschen lassen; denn das ist die Quelle
und der Ursprung allen Übels auf der Welt. Das / ist nämlich kein wahrhaftes Glück, wenn
das Volk reichlich Muße und Luxus hat, und das ist auch keine wahre Freiheit, wenn jeder
tun und lassen kann, was er will. Es ist doch keine Knechtschaft, nach der Vorschrift
ehrenvoller Gesetze zu leben, ... (153/155)
Kapitel IV: Steuern und Tribute
Wenn einer die Aufzeichnungen der Alten aufschlägt, wird er feststellen, dass die meisten
Aufstände ihren Grund in maßlosen Tributen hatten. Deshalb muss ein guter Fürst dafür
sorgen, dass das Volk durch solche Zumutungen möglichst wenig aufgeregt wird. Er sollte
wenn eben möglich seine Regierung ohne Entgelt führen. (157)
Man müsste mehr darauf bedacht sein und Verfahren dazu ersinnen, möglichst wenig aus
dem Volk herauszuholen. Die bequemste Art, die Einkünfte zu erhöhen, wäre es, wenn der
Fürst überflüssigen Aufwand herabsetzt, wenn er nutzlose Hofdienste ablehnte, Kriege und
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mit diesen durchaus vergleichbare Repräsentationsreisen meidet, geldverzehrende
Dienstleistungen einschränkt und sich mehr darauf verlegt, sein Reich ordnungsgemäß zu
verwalten, als es zu erweitern. (157)
Anmerkung: Dieser Rat gilt sicher bis heute. Die schnellste Art, Sparerfolge zu erreichen,
ist, weniger Geld auszugeben. Dies gilt nicht nur für den Staat, auch für den Betrieb und
dessen Leitung. Man kann nicht Sparappelle an die Mitarbeiter richten, wenn man selber
nicht gewillt ist, mit gutem Beispiel spürbar voranzugehen z.B. bei den Reisekosten oder
bei der Ausstattung der Arbeitsplätze.
Gibt es eine zwingende Notwendigkeit, das Volk zu besteuern, dann sollte ein guter Fürst
es so einrichten, dass die wirtschaftlich Schwächeren am wenigsten davon betroffen sind.
Die Wohlhabenden zur Enthaltsamkeit zu veranlassen, ist sogar ein gutes Werk. (159)
Am besten wird auch hier, wie gesagt, das Budget des Fürsten erhöht, wenn man den
Aufwand einschränkt, nach dem Sprichwort: Eine große Steuer ist die Sparsamkeit. (161)
Kapitel V: Die karitativen Aufgaben des Fürsten
Wenn schon Güte und Wohltätigkeit den eigentümlichen Vorzug guter Fürsten ausmachen,
mit welcher Stirn kann dann ein Fürst diesen Namen für sich beanspruchen, der es für den
Inbegriff der Wohlberatenheit hält, auf Kosten aller das eigene Interesse zu fördern? (161)
Ein begabter und wachsamer Fürst wird alles darauf anlegen, sich um alle verdient zu
machen, was nicht mit bloßem Geben zu erreichen ist. ... Es muss so sein, dass er jeden
Tag für verloren hält, an dem er nicht irgendeinem durch Wohltätigkeit geholfen hat. (163)
Anmerkung: Vom römischen Kaiser Titus wird berichtet, er habe einmal geklagt: „Ich
habe einen Tag verloren“ als ihm einfiel, er habe an diesem Tag niemandem eine Gnade
erwiesen.
Der Fürst muss vor allem jene Art der Wohltätigkeit pflegen, die nicht mit Nachteil und
noch viel weniger mit Ungerechtigkeit für irgend jemand verbunden ist. Denn die einen
auszuplündern, um die anderen reich zu machen, diese ins Unglück zu stürzen, um jene zu
erheben, ist krasses Übeltun, aber keine Wohltätigkeit, zumal, wenn das, was man
würdigen Menschen genommen hat, unwürdigen zugeschoben wird. (163)
Es mag nun jemand antworten: Ich kann nicht die Hände aller meiner Gefolgsleute
festhalten; was an mir ist, stehe ich schon meinen Mann. Mach, dass Deine Gefolgsleute
Deinen entschlossenen Willen erkennen, und ich will tot umfallen, wenn sie ihre Hände
nicht zurückhalten. (165)
Kapitel VI: Gesetzgebung und Verbesserung der Gesetze
Die besten Gesetze unter dem bestmöglichen Fürsten machen den Staat oder das Reich vor
allem glücklich. Sein Zustand ist dann der günstigste, wenn alle dem Fürsten gehorchen,
der Fürst selbst den Gesetzen gehorcht, die Gesetze aber dem Leitbild der Gerechtigkeit
und Ehrenhaftigkeit entsprechen und auf nichts anderes hin entworfen sind als auf den
Fortschritt des Gemeinwesens. (165)
Auch Platon will die Zahl der Gesetze aufs äußerste begrenzt wissen, vor allem, soweit es
sich um Bagatellefälle handelt, zum Beispiel bei Vertragsabschlüssen, im Handel und bei
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Steuersachen. Für den Staat bringt nämlich die Vielzahl der Gesetze nicht mehr Heil als
(sc. für den Kranken) die Vielzahl der Medikamente. (167)
Mit Recht weist man hier auf Dionys von Syrakus hin, der sehr viele Gesetze, aber in
durchaus tyrannischer Absicht herausbrachte, indem er ein Gesetz auf das andere häufte.
Er ließ es zu, dass das Volk sie wie üblich vernachlässigte, um so alle in seine Schuld zu
bringen. Das ist aber keine Gesetzgebung, sondern ein Auslegen von Fangstricken. (167)
Diejenigen sind also im Irrtum, die glauben, dass Gesetze ganz kurz gefasst sein müssten,
so dass sie nur anordnen, aber nicht belehren. Im Gegenteil, ihr Anliegen sollte es vor
allem sein, mit Gründen statt mit Strafen von Verbrechen abzuschrecken. (167)
Anmerkung: Anweisungen sollten nicht nur erlassen, sondern auch hinreichend begründet
werden. Erst so entfalten sie bei den Betroffenen ihre wahre Wirksamkeit nach außen und
nach innen.
Wenn schon das Volk nicht unbesonnen an den Gesetzen des Fürsten herum- / kritisieren
soll, hat der Fürst dafür zu sorgen, dass solche Gesetze erlassen werden, die allen
Gutwilligen gefallen. Er sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass auch das gemeine Volk
Urteilsvermögen hat. (167/169)
Der Fürst muss also darauf hin wirken, dass seine Bürger nach Tugend und Sitten
geschätzt werden, nicht nach ihrem Besitz. (171)
Wie man gegen Krankheiten keine neuen Heilmittel versuchen soll, solange man dem Übel
mit den alten beikommen kann, so soll man keine neuen Gesetze erlassen, wenn die alten
ausreichen, um den Staat vor Schäden zu bewahren. (177)
Es gibt aber nichts Verderblicheres als gute Gesetze, die durch Missbrauch entwertet
wurden. (177)
Rachsucht ist Zeichen eines minderwertigen und niedrigen Geistes, deshalb passt nichts
weniger zu einem Fürsten, der überlegen und hochgemut sein muss, als dies. (183)
In Wirklichkeit ist keiner ein heftigerer Gegner des Fürsten, als wer ihn durch widerliche
Speichelleckerei betört und vom rechten Weg abbringt. (185)
Es ist schandbar, wenn man Gesetze als ein Netz benutzt, um möglichst viele damit zu
fangen, wobei man weniger für den Staat sorgt, vielmehr damit Beute zu machen sucht.
Die Gesetze sollten schließlich auch mit klaren und unzweideutigen Worten formuliert
sein, damit man nicht allzu sehr auf die Hilfe jener geldgierigen Menschen angewiesen ist,
die sich da Rechtsanwälte und Advokaten nennen. (185)
Kapitel VII: Behörden und Ämter
Der Fürst muss von seinen hohen Beamten verlangen, dass sie sich genauso oder doch in
einer sehr ähnlichen Weise untadlig verhalten, wie er es selbst tut. Er soll sich nicht damit
begnügen, den Behörden Anweisungen erteilt zu haben, da es sehr darauf ankommt, wie
man Anweisungen gibt, und dann muss er darauf achten, dass die Aufträge redlich
wahrgenommen werden. Klug und eindringlich erinnert Aristoteles daran, dass man gute
Gesetze vergeblich erlässt, wenn man keine Leute hat, die die wohlfundierten Gesetze auch
in ihre Obhut nehmen. (187)
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Zweifellos sollte man die Beamten weder auf Grund ihrer Vermögenslage noch mit
Rücksicht auf ihre Herkunft oder ihr Alter bestimmen, sondern vornehmlich entsprechend
ihrer Einsicht und ihrem Charakter. Trotzdem ist es zweckmäßiger, Leute von reiferem
Alter für diese Aufgaben heranzuziehen, von denen die Sicherheit des Staates abhängt,
nicht so sehr, weil ältere Menschen mehr Lebensklugheit besitzen und bei ihnen die
Abhängigkeit von Affekten mehr kontrolliert ist, sondern viel mehr noch, weil das Alter
ihnen beim Volk Ansehen verleiht. Deshalb verbietet Plato, dass Gesetzeswächter
bestimmt werden, die jünger als fünfzig oder älter als siebzig sind. Priester soll nur sein,
wer mindestens sechzig ist. Wie es aber eine gewisse Reife des Alters gibt, so gibt es auch
eine Altersgrenze, die Entlassung und Rückzug aus allen Ämtern geboten erscheinen lässt.
187)
Wie die einzelnen Teile der Seele nicht alle die gleiche Funktion haben, einige befehlen,
andere gehorchen, und der Körper dennoch nur gehorcht, so muss der Fürst als höchster
Teil des Staates auch über die höchste Weisheit verfügen und von allen groben Affekten
völlig frei sein. (189)
Kapitel VIII: Bündnisse
Beim Abschluss von Verträgen soll der Fürst genau wie bei anderen Dingen nur auf den
Nutzen des Staates bedacht sein. (191)
Wenn man einander trauen kann und es sich um Beziehungen unter Menschen guten
Willens handelt, dann hat man diese Flut von Urkunden, angefüllt mit Misstrauen, gar
nicht nötig; (191)
Es ist oft zweckmäßig, ein Auge zuzudrücken; denn auch im täglichen Leben ist die
Verbundenheit nicht von Dauer, wenn man alles auf die Goldwaage legt. (193)
Kapitel IX: Die dynastischen Verbindungen der Fürsten
Ein guter Fürst beurteilt seine Verhältnisse nur als günstig, wenn er die öffentliche
Wohlfahrt fördert. (199)
Kapitel X: Die Beschäftigungen der Fürsten in Friedenszeiten
Ein Fürst ... liebt nichts mehr ... als das Glück seines Volkes, das er wie einen einzigen
Körper gleichermaßen wertschätzen und hegen muss. (199)
Von seinem (= Philipps) Sohn, Alexander dem Großen, der sonst doch ehrgeizig war bis
zum Wahnsinn, wird überliefert, er habe sich bei Vernehmungen gern ein Ohr zugehalten,
mit dem Bemerken, das andere müsse er sich für die gegnerische Partei freihalten. (201)
Der Fürst hat seine Regierungsmaßnahmen so zu treffen, dass die armen Leute darunter am
wenigsten zu leiden haben, dass er seinen Bereich von Räubern und Übeltätern säubert,
und zwar ohne viel Blutvergießen, und dass er unter seinen Bürgern beständige Eintracht
stiftet und erhält. (203)
Er (= Epaminondas) war nämlich nicht der Meinung, dass das Amt dem Manne Ehre
bringe, sondern der Mann dem Amt. (205)
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Kapitel XI: Notwendige Kriegshandlungen
Darf schon der Fürst in keinem Falle übereilt handeln, dann muss er gerade da mit größter
Bedächtigkeit und Umsicht vorgehen, wo es sich um ein kriegerisches Unternehmen
handelt: denn aus kleinen Misshelligkeiten entstehen schon gewisse Unbequemlichkeiten,
der Krieg dagegen ist eine einzige Katastrophe aller geordneten Verhältnisse und bringt
eine Sintflut von Schlechtigkeiten mit sich. (207)
Für einen guten Fürsten gibt es nichts angelegentlicheres als die Förderung der Sittlichkeit
unter seinen Bürgern. (209)
Was sollen wir nun sagen, wenn Christen mit Christen im Kriege liegen, die doch durch so
viele Bande miteinander verbunden sind? (209)
Deshalb muss ein guter und christlicher Fürst jeden Krieg, so gerecht er auch sein mag, für
verdächtig halten. (211)
Ein guter Teil der Herrschaft ist der Consensus des Volkes, aus ihm sind erst die Könige
hervorgegangen. Wenn schon ein Streit unter Fürsten entsteht, warum bestellt man dann
nicht lieber Schiedsrichter? (213)
Weise Fürsten nehmen manchmal lieber einen Verlust hin, statt auf ihrem Recht zu
beharren, weil sie erkennen, dass man so weniger Schaden anrichtet. (213)
Nicht einmal unter Freunden gibt es Verbundenheit, wenn keiner dem andern gelegentlich
Zugeständnisse macht. Oft genug übt der Gatte Nachsicht gegen die Gattin, um das Band
der Gemeinschaft nicht zu trennen. Was bringt aber ein Krieg anderes hervor als Krieg?
Freundlichkeit dagegen fordert zur Freundlichkeit auf, billiges Verhalten zur Billigkeit.
(213)
Man braucht, um einen Krieg zu führen, soviel Rüstung, muss soviel Ungemach und soviel
Mühe und Sorge auf sich nehmen, dass man für den zehnten Teil (davon) den Frieden hätte
erhalten können. (215)
11. Die Satzungen der Gesellschaft Jesu
Vorbemerkung
„Ignatius ist ein praktischer und pädagogischer Mensch“ (P. Franz Jalics SJ in:Geist und
Leben 1998, S.118). Dies schlägt sich auch in den Satzungen der Gesellschaft Jesu (Sa)
nieder, an denen Ignatius bekanntlich mehr als zehn Jahre gearbeitet hat. Vorher – schon
ab 1539 – diskutierten und beschlossen Gefährten des Ignatius Grundlagen der Satzungen
(vgl. Stierli, S.96 ff.).
In der Gesellschaft Jesu sollten Männer vielfältiger Begabungen in den verschiedensten
Regionen der Erde Menschen zu Christus führen. Ignatius hat 1550 seinen Entwurf
„nahezu allen Professen“, die im Heiligen Jahr in Rom waren, vorgelegt zur Diskussion
(Satzungen, S.20). Erst drei Jahre später wurden die Satzungen veröffentlicht und nach
weiteren Jahren 1558 von der Generalkongregation verabschiedet. Schon daraus ist ein
Grundsatz modernen Managements erkennbar: Betroffene in Entscheidungsprozesse
rechtzeitig einzubeziehen.
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58
In den folgenden Ausführungen werden die Satzungen der Gesellschaft Jesu nach dem
Text der Ausgabe von 1997 zu acht Themenkreisen befragt, die im modernen Management
von besonderer Bedeutung sind.
Zielsetzung
Im Apostolischen Schreiben „Exposcit debitum“ vom 21. Juli 1550 nennt Papst Julius III.
das Ziel der neuen Gründung: Verteidigung und Vertretung des Glaubens, Fortschritt der
Seelen in christlicher Lebensführung und Lehre. Die Mittel dazu sind öffentliche
Predigten, Vorträge, geistliche Übungen, Unterweisung, geistliche Tröstung durch
Beichthören und Verwaltung der übrigen Sakramente, Versöhnung von Zerstrittenen,
Dienst an Gefangenen und Kranken – und das alles umsonst.
Dass diese Zielsetzung einige Jahrhunderte durchgehalten wurde, zeigt ihre Weisheit und
ihre Verbundenheit mit der transzendentalen Orientierung. Wie kurzlebig sind dagegen oft
Zielsetzungen im politischen oder wirtschaftlichen Management unserer Zeit! Die
„Kurzatmigkeit“ ist mehr verbreitet als langfristige Überlegungen, für die man sich kaum
noch Zeit nimmt. Deshalb sind häufige, auch kostspielige Änderungen selbst bei
„Jahrhundertgesetzen“ an der Tagesordnung.
Wege der Führung
Als ehemaliger Offizier wusste Ignatius um die Bedeutung von Führung. „Führung durch
Befehlen“ steht aber auch in einer straff organisierten Gemeinschaft wie der Gesellschaft
Jesu nicht im Vordergrund. Immer wieder taucht der Begriff „Beratung“ auf, schon im
bereits erwähnten Apostolischen Schreiben von Julius III. In den Satzungen werden auf
verschiedenen Ebenen Beratergremien vorgesehen (Sa 667, 803, EN 354). Den Oberen
bleibt aber die volle Verpflichtung, selbst zu entscheiden und anzuordnen, was zu tun ist
(EN 354).
Führung hat bei Ignatius zwei Dimensionen. Einmal geht es um die „innere“ Führung; mit
ihr sollen die Menschen, vor allem seine Mitbrüder, mehr in die Nähe Gottes gelangen
durch Gelübde, aus denen sie Freiräume für ihr Leben und Tun erhalten. Erwähnt sei am
Rande, dass der Begriff „Innere Führung“ heutzutage teilweise anders besetzt ist; man
spricht z.B. von der „Inneren Führung“ bei der Bundeswehr und bezeichnet damit ein
Prinzip der Menschenführung, das Geführte zur selbständigen und im Rahmen eines
Befehls oder Auftrags zur eigenverantwortlichen Mitarbeit bringt. Dann geht es Ignatius
um die „äußere“ Organisation der Gesellschaft Jesu, wofür die Satzungen viele Regeln
enthalten. Beides lässt sich aber nicht genau trennen, weil das eine dem anderen dient.
Dem betrieblichen Management ist die erste Dimension von Führung im ignatianischen
Sinn aus verschiedenen sozialen und rechtlichen Gründen verschlossen. Trotzdem sind
dafür manche Regelungen der Satzungen von den zugrundeliegenden Gedanken her auch
für weltliches Management eine interessante Quelle.
Dass gerade in den Satzungen (EN 364 § 3) der Gesellschaft Jesu besonders auf Freiräume
in der Arbeit hingewiesen wird, überrascht. Weithin wird ja die Gesellschaft Jesu mit
Befehl und Gehorsam identifiziert. Dass sogar auf menschliche Schwachheit Rücksicht
genommen werden soll, hätte man wohl nicht erwartet. Hier wird ein wichtiger Grundsatz
für modernes Management erkennbar: Freiräume zugestehen, in denen verschiedene
Begabungen zur Geltung kommen können, durch die die Motivation der Mitarbeiter
herausgefordert und gestärkt wird. Auch einer leistungsorientierten Organisation, z.B.
Führungs-Wissen in alten Quellen
59
einem Betrieb, einem Wohlfahrtsverband, steht es gut an, menschliche Rücksichtnahme zu
ermöglichen. Nicht jeder kann jederzeit Höchstleistungen erbringen.
Art der Führung
An verschiedenen Stellen der Satzungen (z.B. Sa 423) wird den Oberen auferlegt, selber
Vorbild zu sein („lebende Norm“ EN 349 § 2) und Strenge mit Güte zu verbinden.
Bei Entscheidungen im Einzelfall kann manchmal mehr die Strenge (Gerechtigkeit), ein
andermal eher die Güte (Barmherzigkeit) im Vordergrund stehen. Der Vorgesetzte braucht
dazu Mut zur Entscheidung „nach den Normen des Einzelfalls“, ohne dass die allgemeine
Ordnung in Gefahr gerät. Die Ausübung von Autorität verlangt eben die Gabe der
Unterscheidung und der klugen Liebe (EN 352).
Die Oberen sollen sich so verhalten, dass ihnen mehr aus Liebe als aus Furcht gehorcht
wird (Sa 667). Eine solche Atmosphäre beeinflusst in jeder Organisation – nicht nur in
Orden – Zusammenarbeit und Betriebsklima positiv. Alles wird menschlicher, ohne dass
wirtschaftliche Aspekte zu kurz kämen. Nach den ergänzenden Normen (EN 353) hat der
Obere dafür zu sorgen, dass seine Absichten den Mitbrüdern bekannt sind und von ihnen
verstanden werden. Diese Regelung kann unmittelbar in weltliche Führungsgrundsätze
übernommen werden.
Eigenschaften des Oberen
Die Frage nach den Eigenschaften eines Vorgesetzten hat eine eigene Geschichte. In
„Fürstenspiegeln“ wird ein besonderes Herrscherbild entwickelt. Sie beginnen oft bei
einfachen Anstands- und Verhaltensregeln, haben aber ihren Schwerpunkt bei Anleitungen
zu praktisch-politischem Handeln bis hin zu theoretischen Begründungen des
Herrscheramtes. Die Tradition solcher Fürstenspiegel geht schon auf Platon und
Aristoteles zurück. Augustinus schreibt über den Imperator felix (De Civitate Dei V, 24 /
413 - 426), Thomas von Aquin behandelt in „De regimine principum“ (1265/66) die
Fragestellung. Wohl das bekannteste Werk einschlägiger Thematik ist von Niccolò
Machiavelli mit dem Titel „Il principe - Der Fürst“ (1513).
Dem ehemaligen Offizier Ignatius ist klar, dass Führung sehr wesentlich von der Qualität
der Führungskräfte abhängt. Darum verwendet er große Sorgfalt auf die Auswahl guter
Oberer.
Was sagen dazu die Satzungen der Gesellschaft Jesu?
Das 2. Kapitel des 9. Teils der Satzungen trägt die Überschrift „Wie der Generalobere sein
soll“. Die erste Eigenschaft ist die Verbundenheit mit Gott; mit ihm soll er im Gebet und in
all seinen Handlungen vertraut sein (Sa 723). Soll der „normale“ Manager diese
Dimension aussparen, wenn er sich Christ nennt? Die Gottverbundenheit gibt sicherlich zu
den zur Führung anvertrauten Menschen einen tieferen Bezug; das die Führung prägende
Menschenbild ist anders.
Zweitens wird erwartet, dass der Generalobere ein Beispiel gebe in allen Tugenden, ihm
eine Liebe zum Nächsten innewohne und er wahre Demut habe, die ihn liebenswert mache
(Sa 725). Wenn „Nächstenliebe“ als Wohlwollen verstanden wird, trifft man genau auf
einen Punkt, ohne den Führung flach wird. Ohne Wohlwollen, ohne positives
Führungs-Wissen in alten Quellen
60
Menschenbild wird Führung zweifelhaft, weil die Geführten eher gehemmt werden als zur
Entfaltung gebracht.
An dritter Stelle sagen die Satzungen (Sa 726), er müsse von Leidenschaften frei sein,
damit das Urteil der Vernunft nicht gestört werde. Ferner soll er äußerlich gesetzt und im
Sprechen ausgeglichen sein. Fürs Management heute: eine Führungskraft sollte ihr
Temperament im Zaume halten und auch in den Äußerungen ausgeglichen sein.
Der Generalobere soll die notwendige Geradheit und Strenge mit Güte und Milde zu
verbinden wissen (Sa 727). Das gilt in gleicher Weise für Manager heute. Des weiteren
werden Großmut und Tapferkeit des Herzens erwartet; bei Widerständen soll er nicht den
Mut verlieren (Sa 728). Wohl dem, der heutzutage auch außerhalb der Gesellschaft Jesu
einen Vorgesetzten mit diesen Eigenschaften hat.
Der Obere braucht die Gabe der Unterscheidung der Geister. Zwar verlangt niemand von
heutigen Führungskräften die Gabe der Unterscheidung der Geister im ignatianischen Sinn.
Ein Manager darf auch nicht zu sehr ins Innere seiner Mitarbeiter eindringen. Er braucht
aber ein gutes Unterscheidungsvermögen bei der Beurteilung von Menschen. Außerdem
muss er sich auf verschiedenartige Menschen einstellen können und sie zur betrieblichen
Leistung zusammenhalten. Ferner ist jedem Vorgesetzten ein „Eindenken“ und
„Einfühlen“ in seine Mitarbeiter zu wünschen.
Vom Generaloberen wird erwartet, dass er wachsam, sorgfältig und eifrig sei, nicht sorglos
und nachlässig, um Dinge ihrem Ziel und ihrer Vollendung zuzuführen (Sa 730). Auch
vom Manager heute wird erwartet, dass er seine Aufgabe umsichtig und mit Nachdruck
erfüllt, dass er nicht vieles anfängt und wenig zu Ende bringt. Das frustriert die
Mitarbeiter, letztlich auch den betroffenen Vorgesetzten.
Interessant ist ferner, dass die Gesellschaft Jesu bei aller spirituellen Ausrichtung an ihren
Generaloberen besondere Wünsche hat hinsichtlich Gesundheit, Erscheinung und Alter (Sa
731). Er soll nicht zu jung, aber auch nicht zu alt sein, damit Erfahrung und Autorität, aber
auch die körperlichen Kräfte für die Aufgabe ausreichen. Manche Führungskraft wird in
dieser Hinsicht falsch eingeschätzt und bekommt dadurch Probleme mit Mitarbeitern und
Sachaufgaben. Nicht selten wäre es gut, wenn die Kraft der Jugend mit der Erfahrung der
Älteren zusammen wirken würde. Ein letzter Punkt betrifft die Vertrauenswürdigkeit und
den guten Ruf (Sa 733). Persönliche Integrität wäre auch bei jeder Führungskraft
angebracht. Die Praxis sieht heutzutage leider nicht selten anders aus!
Die Oberen müssen Kenntnisse der Untergebenen haben, um sie besser leiten und lenken
zu können und mehr auf sie zu achten (Sa 91). Dieser Satz kann unbesehen für moderne
Führungskräfte übernommen werden. Für diese Aufgabe brauchen Führungskräfte Zeit und
Kraft, die sie frei bekommen durch Delegation anderer Aufgaben. Jede Führungskraft
muss sich mit jedem seiner Mitarbeiter befassen, dass er ihn richtig führen kann, auch
wenn dieses „kennen“ nicht so vollständig ist, wie es Ignatius verlangt; es muss aber
hinreichend sein.
Der Obere muss volle Kenntnis von den Neigungen und Beweggründen derer haben, für
die er verantwortlich ist (Sa 92, 551). Wie könnte eine Führungskraft ihre Mitarbeiter
motivieren, wenn sie deren Motive (Neigungen und Beweggründe) nicht kennt? Ein gutes
Instrument, die Mitarbeiter kennen zu lernen, ist die Mitarbeiterbeurteilung, die freilich
nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen von Vorgesetzten gehört.
Führungs-Wissen in alten Quellen
61
Aufnahme - Einstellung Neuer
Besondere Sorgfalt wendete Ignatius Bestimmungen zu, mit denen er die Aufnahme in den
Orden regelte. Schon im Apostolischen Schreiben von Julius III. ist festgehalten, dass
niemand aufgenommen werden darf, ohne dass sein Leben und seine Lehre in lang
dauernden und sehr sorgfältigen Prüfungen erforscht worden sind. Ignatius weiß
offensichtlich um die Schwierigkeiten, die hohen Anforderungen zu erfüllen. Er fürchtete
nichts so sehr, „als dass Mitläufer in die Gesellschaft Jesu einträten....Er erklärte sogar,
wenn es irgend etwas gäbe, weswegen er länger leben wollte, so sei es, um bei der
Aufnahme in die Gesellschaft streng zu sein“ (de Dalmases, S. 218).
Die sorgfältige Auswahl neuer Mitarbeiter ist in der Tat eine wichtige Führungsaufgabe.
Im Betrieb sind sicherlich Fragen, die ins Innere des anderen zielen, nicht in dem Maß
zulässig, wie sie Ignatius vorsieht. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter kennen. Obere
sollen mit Eifer, Liebe und Sorgfalt den Neuen helfen (Sa 35). Beide Seiten – Gesellschaft
und Bewerber – sollen Zufriedenheit und Genugtuung erlangen (Sa 133).
Mehr kann man auch bei Neueinstellungen in Betrieben nicht erwarten. Wenn dann
unüberwindliche Hindernisse auftreten, lasse man die Kandidaten gehen „so getröstet wie
möglich“ (Sa 31); dies könnte auch manchem Bewerberabsagebrief eine menschliche Note
geben oder bei Entlassungen ein wichtiger Rat sein.
Der Prüfungsvorgang fordert den Bewerber ziemlich heraus. Er soll wissen, worauf er sich
einlässt. Der Generalobere wird von der Generalkongregation auf Lebenszeit gewählt (Sa
719). Er kann von seinem Amt zurücktreten (EN 362) oder dazu aufgefordert werden (EN
366). Die Teilnehmer der Generalkongregation werden von den Provinzen demokratisch
delegiert; in der Regel sind dies je Provinz zwei Delegierte. Der jeweilige Provinzial
gehört „von Amts wegen“ zur Generalkongregation (Sa 692).
Der Generalobere hat die Gesamtverantwortung für die Gesellschaft Jesu. Diese
Verantwortung übersteigt die Kräfte eines Menschen. Dieses Amt fordert mehr als den
ganzen Menschen (Sa 793). Darum sehen die Satzungen und die Ergänzenden Normen
Helfer mit umschriebenen Aufgaben vor: den Sekretär (Sa 800, 801), vier Assistenten (Sa
805), den Generalökonomen (Sa 806).
Diese Helfer geben dem Generaloberen die Möglichkeit, seine Zeit einzuteilen: für Gott,
für Amtsträger und Helfer, für sich selbst, „indem er bei sich selber nachdenkt und sich
entschließt und bestimmt, was mit der Hilfe und Gunst Gottes unseres Herrn zu tun ist“ (Sa
809). Auch die Provinzoberen, Rektoren und Hausoberen müssen Hilfen haben (Sa 810).
In allen Fällen gilt aber, dass die Entscheidung nach Beratung vom Oberen getroffen und
verantwortet wird (Sa 810).
Folgerungen für Führungskräfte von heute: Wer alles selbst tun will, geht unter. Er ist nicht
mehr bei sich, um nach- und vorauszudenken. Und wer entscheidet, trägt die
Verantwortung.
Um eine geeignete „Führungsreserve“ zu haben, kommen von Zeit zu Zeit aus der Zentrale
Anfragen an bestimmte Ordensmitglieder über die Eignung bestimmter Personen zur
Führung von Häusern oder Provinzen. Die in Wirtschaft und Verwaltung heutzutage oft
praktizierte „Nachwuchs-Kartei“ hat also bereits ein jahrhundertealtes Vorbild in den
Satzungen der Gesellschaft Jesu.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Der Ernennung von Oberen soll immer eine geeignete Beratung vorausgehen (EN 340 § 2).
Zu Oberen sollen solche ernannt werden, die neben anderen Gaben Gottes vor allem die
Wertschätzung ihrer Untergebenen besitzen und über persönliche Autorität verfügen, so
dass sie den freiwilligen Gehorsam der Untergebenen fördern. Außerdem sollten sie sich in
einer solchen Weise um die Untergebenen kümmern, dass diese überzeugt sind, die Oberen
wissen, wollen und können sie gut leiten, und gern bereit sind, sich von ihnen leiten zu
lassen (EN 340 § 1).
Man übertrage diese Regeln einmal – wenigstens gedanklich – auf modernes Management.
Der Vorstandsvorsitzende einer Firma würde von Delegierten der Belegschaft gewählt. Bei
der Berufung weiterer Vorgesetzter wird mit Betroffenen beraten. Die Auswahl der
Kandidaten erfolgt nach den in den Ergänzenden Normen (EN 340 §1) genannten
Voraussetzungen. Dies gäbe wohl ein Beben in den Führungsriegen in Wirtschaft und
Verwaltung. Wer denkt schon beim Bestimmen von Führungskräften an die Geführten?
Zusammenarbeit
In den Satzungen der Gesellschaft Jesu finden sich an verschiedenen Stellen Hinweise und
Regelungen für die Zusammenarbeit.
Jeder soll für das eingesetzt werden, was man als angebracht beurteilt (Sa 387). Jeden nach
Eignung einzusetzen war bereits für Ignatius ein besonderes Anliegen (vgl. de Dalmases,
S.226).
Öfter wird in den Satzungen auf die Beratungen der Oberen mit Betroffenen vor einer
Entscheidung verwiesen. Daraus wird ein besonderes Miteinander in der Zusammenarbeit
deutlich. Jeder Kommunität kommt diese beratende Aufgabe zu; sie soll den Oberen
unterstützen, damit er besser entscheiden kann (EN 151 § 3).
Zur Förderung des Gemeinschaftslebens werden als nötig angesehen (EN 319):
Informationsaustausch zwischen Oberen und Untergebenen;
gemeinsame Beratungen, bei denen einerseits Erläuterungen von Fachleuten eingeholt
werden und andererseits die aktive Teilnahme aller Mitglieder gefördert wird im Hinblick
auf die Koordination und Weiterentwicklung des Apostolats und anderes, was sich auf das
Wohl der Gemeinschaft bezieht;
Übertragung von bestimmten Vollmachten der Oberen an die Untergebenen;
vielfältige Zusammenarbeit, die jeden Anschein von Individualismus überwindet;
eine klare Ordnung des Gemeinschaftslebens;
Sinn für die Universalität, der die kleinen häuslichen und persönlichen Dinge übersteigt.
Diese Ausführungen können teilweise wörtlich, teilweise im übertragenen Sinn auch
Management-Überlegungen befruchten.
Zusammenarbeit verlangt Ordnung der Zuständigkeiten. Der Obere soll einem jeden seine
Regeln geben für das, was er tun muss; er achte darauf, dass sich der eine nicht in das Amt
des anderen einmischt (Sa 428). Ein jeder tue, was er soll (Sa 504). Diese Grundsätze
dienen jeder Organisation, auch heute. Manche in Grabenkämpfen verschwendete Energie
ließe sich besser nutzen.
Führungs-Wissen in alten Quellen
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Was hat es mit dem Gehorsam auf sich? Ignatius betont: Wenn ein Jesuit an eine
bestimmte Stelle mit genauen Weisungen geschickt wird, muss er an Ort und Stelle nach
Beratung prüfen, ob nicht etwas anderes als die gegebene Weisung richtiger ist. Der
Betreffende trägt aber auch das Risiko einer späteren Rüge, wenn er – nach Meinung der
Weisungsgeber – fälschlicherweise etwas anderes getan hat (vgl. Lambert, S. 66). Dem
Oberen können Ansichten und Vorschläge unterbreitet werden. Aber in der Weisung des
Oberen ist eine Kundgabe des göttlichen Willens zu sehen.
Der Begriff „Gehorsam“ bedarf in diesem Zusammenhang einiger besonderer Hinweise.
Das Wort „Kadaver-Gehorsam“ findet sich zwar im Text der Satzungen; aber wie er in der
Praxis zu üben ist, zeigen weitere Äußerungen von Ignatius. In einem Brief aus dem Jahr
1554 über das Gespräch zwischen einem Oberen und einem Ordensmitglied wird das Wort
„Kadaver“ doch sehr stark relativiert. Dort ist die Rede, wie man auf den Oberen zugeht
und mit ihm verhandelt; sogar dreimal kann man zum Oberen in einer Sache gehen, um
eine bessere Entscheidung zu erreichen (vgl. Lambert, S. 116-118).
Die Einforderung von Disziplin in einem Betrieb auf Grund des arbeitsrechtlichen
Direktionsrechts kennt diese tiefere Verankerung nicht. Das muss jedem Vorgesetzten klar
sein.
Sicher spielt der Gehorsam als Element des Zusammenseins in diesem doch straff
organisierten Orden eine wichtige Rolle; dieser Gehorsam zielt auf Christus (Sa 84, 284,
286). Aber nicht allein das Befehlen, sondern auch das Bitten hat Bedeutung (Sa 86). Den
Willen und das Urteil des Oberen soll jeder zur eigenen Regel machen (Sa 284). Über im
Gehorsam Gebotenes sollen Oberer und Mitbruder ein Gespräch führen (EN 150 § 1). Ein
Gespräch ist vor allem dann angezeigt, wenn Gewissensnöte über das Gebotene
aufkommen. In solchen Fällen ist sogar die Möglichkeit vorgesehen, sich an den
nächsthöheren Oberen zu wenden (EN 154). Bis heute gilt: Jeder Jesuit kann sich jederzeit
unmittelbar an den Pater General wenden. Kann sich in einem Betrieb jeder an den
nächsthöheren Vorgesetzten wenden, ohne dass ihm Ungemach ins Haus steht?
In keinem Betrieb funktioniert Zusammenarbeit ohne Autorität und Gehorsam. Aber die
Formen der Ausübung von Autorität und der Einforderung von Gehorsam sind
unterschiedlich; sie reichen vom knappen Befehl bis zum Überzeugen durch Argumente.
Die zuletzt genannte Form ist zwar aufwendiger, sie wirkt aber nachhaltiger.
Zusammenarbeit glückt nur, wenn ein gut funktionierendes Informationssystem vorhanden
ist. Ignatius war selber ein guter Kommunikator; allein die Anzahl seiner Briefe – an die
7000! (vgl. de Dalmases, S. 242) – beweist es. Dazu kamen unzählige Gespräche mit
seinen Mitbrüdern. Die Satzungen (Sa 673-676) bestimmen genau den Informationsfluss in
der Gesellschaft. Ortsobere und Rektoren schreiben wöchentlich dem Provinzial, der
Provinzial wöchentlich bzw. monatlich dem General. Der General schreibt monatlich den
Provinziälen. Von allen in einem Haus wohnenden Jesuiten ist jeweils nach vier Monaten
dem General ein Verzeichnis zu schicken. Man muss diese Formulierungen auf dem
Hintergrund der damaligen Kommunikationsmöglichkeiten sehen.
Ein gutes Informationswesen ist von hoher Wichtigkeit in allen Organisationen. Es
transferiert Nachrichten an bestimmte Stellen wie der Blutkreislauf, der die Nährstoffe im
Körper verteilt. Wenngleich die gegenseitige Information in den Satzungen große
Bedeutung zugesprochen bekam: die Praxis hat diese Regelungen etwas „normalisiert“.
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Ein Beispiel: Für jede Niederlassung gibt es einen sogenannten Konsult, dessen Mitglieder
der Provinzial auf Vorschlag des Hausoberen ernennt. Jedes Konsultmitglied schreibt
jährlich direkt an den Generaloberen und erstattet Bericht.
Die Satzungen der Gesellschaft Jesu kennen bereits die sogenannte
Vorgesetztenbeurteilung durch Untergebene (Sa 504). Der Rektor einer Universität gibt
jährlich einen Bericht über das Geschehen an der Universität und über alle Lehrer und
übrigen Mitglieder der Gesellschaft an den Generaloberen. Der Syndikus und der Rat der
Universität berichten jährlich dem Generaloberen und halbjährlich dem Provinzial über
den Rektor. Wenigstens alle drei Jahre sollen die einzelnen Lehrer, Studenten und
Koadjutoren schreiben, was sie von den anderen und vom Rektor denken (Sa 507).
Die Vorgesetztenbeurteilung in Wirtschaft und Verwaltung setzt sich nur langsam durch;
meist erfolgt sie als Mitarbeiterbefragung, z.B. in der Betriebsklima-Erforschung. Doch
wird dieses Instrument als immer wichtiger angesehen.
In der doch sehr zentral orientierten Gesellschaft Jesu spielt das Führungsinstrument
„Delegation“ eine beachtliche Rolle. Jeder Obere, angefangen vom General, kann der
nächsten Vorgesetztenstufe Zuständigkeiten aus dem jeweils eigenen Bereich übertragen.
So kann der Generalobere seinen unmittelbaren Helfern viel Vollmacht geben und einzelne
Dinge anheim stellen (Sa 791). Ähnliches gilt zwischen verschiedenen Stufen der
Organisation (Sa 797,820). Auch Führungskräfte in weltlichen Bereichen müssen zur
Delegation bereit sein, um Freiräume für echte Managementaufgaben zu haben und um
Motivation und Leistungsfreude der Mitarbeiter zu fördern.
Wie modern die Satzungen in verschiedenen Punkten sind, zeigt die Institution des
Admonitors, des Ermahners. Die Gesellschaft Jesu soll beim Generaloberen und bei den
untergeordneten Oberen jemanden haben, der verpflichtet ist, ihn mit der geschuldeten
Bescheidenheit und Demut auf das hinzuweisen, wovon er meinte, es würde bei ihm zu
größerem Dienst und größerer Verherrlichung Gottes gereichen (Sa 770). Die
Anforderungen an den Admonitor sind genau festgelegt: guter Ordensmann, mit Gott im
Gebet verbunden, in fortgeschrittenem Alter, mit gutem und reifem Urteil, mit großem
Eifer, mit der Gabe der klugen Unterscheidung, nicht leichtgläubig, nicht schüchtern (EN
379 § 1).
Im modernen Management sind – leider – keine solchen Ermahner vorgesehen. In
manchen Fällen ist die Funktion eines „Coach“ als Mittler, Moderator und Berater z.B.
beim Beurteilungsvorgang zwar vorhanden, ob aber sein Eingreifen nicht eher als Störung
oder gar „Majestätsbeleidigung“ aufgefasst wird? Von der Sache her wäre ein Ermahner
eine sehr gute Einrichtung. Früher hatte an Fürstenhöfen der Hofnarr eine ähnliche
Funktion: mahnend die Wahrheit sagen, und zwar selbstlos, ohne Rücksicht auf eventuelle
persönliche Nach- oder Vorteile. Manchem Manager, manchem Amtsträger in Kirche oder
Politik wäre eine solche zugeordnete Persönlichkeit zu wünschen. Der Vereinsamung in
hohen Positionen, nicht selten verbunden mit wachsendem Misstrauen, könnte damit
entgegengearbeitet werden.
Bewahrung des inneren Klimas
Der letzte (10.) Teil der Satzung widmet sich dem Thema „Wie dieser ganze Leib in
seinem guten Stand bewahrt und gemehrt werden soll“. Anliegen dieser Ausführungen ist,
das „innere Klima“ der Gesellschaft Jesu zu wahren und zu mehren. Nicht nur die äußere
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Struktur, sondern der Geist ist für Ignatius wichtig, um das Ziel nicht zu verfehlen (Sa
813). Ignatius nennt dafür die Verbindung mit Gott, die Mittel der Güte, Tugend und
Liebe. Die inneren Mittel machen die äußeren Mittel erst wirksam. Man müsse sich um die
menschlichen oder erworbenen Mittel mit Sorgfalt bemühen, eine solide Lehre verkünden
und eine Form finden, mit den Leuten umzugehen (Sa 814).
Damit die Einheit gewahrt bleibt, muss man voneinander Kenntnis und Nachrichten und
viel Verbindung miteinander haben; der Gehorsam muss sorgfältig eingehalten werden (Sa
821).
Auch in der Gesellschaft Jesu gibt es keine „Übermenschen“. Deshalb entscheiden sich die
Satzungen für das Mittelmaß und vermeiden Extreme (Sa 822). Dieses „rechte Maß“ findet
sich bereits ausgeprägt in der Regel des heiligen Benedikt. Mittelmaß ist aber nicht zu
verstehen als Mittelmäßigkeit
Diese Gedanken in den Satzungen über das „innere Klima“ enthalten wichtige Anstöße,
die auch für das Management heute bedeutsam sind. Das „innere Klima“ im Betrieb zu
fördern, ist eine zentrale Aufgabe von Führungskräften, aber auch der Mitarbeiter. Zwar
werden in Betrieben z.T. andere Mittel gefordert, aber das Grundanliegen bleibt.
Nennen wir „Tugend“ Vorbild, „Liebe“ Wohlwollen, „Vermeidung von Ehr- und
Habsucht“ selbstlosen Dienst, das „Mittelmaß“ Richtschnur für die Abforderung von
Leistung, dann erkennen wir unschwer die Verbindung zum modernen Management. Nicht
zu vergessen die richtige Ausübung von Über- und Unterordnung, ohne die keine
Organisation bestehen kann, sowie das Vermeiden der Einstellung Ungeeigneter oder die
Berufung von Ungeeigneten auf Führungspositionen. „Führung von innen“, d.h. aus einem
positiven Menschenbild, als Vorbild, ist wirksamer als rein äußerliche Organisation und
besonders wichtig für Aufbau und Erhalt eines guten inneren Klimas. Werden diese
Gesichtspunkte im Führungsalltag berücksichtigt, entsteht in jeder Organisation eine gute
innere Struktur auf einem soliden Fundament.
Was kann der Manager unserer Tage aus den Satzungen der Gesellschaft Jesu als
Anregung entnehmen?
Bereits bei der kurzen Darstellung der Satzungen und der Ergänzenden Normen wurde
verschiedentlich auf Brücken zum modernen Management hingewiesen. Hier geschieht es
noch einmal in einer knappen Zusammenfassung.
Die Satzungen des Ignatius bieten eine umfassende Ordnung für seinen Orden. „Die vielen
Regeln und Anweisungen verbinden in einem Balanceakt das innere Gesetz der Liebe und
Güte, das über jeder äußeren Satzung steht, mit einer Liebe zum Detail.....“ (Ansgar
Wucherpfennig SJ, in: Canisius, S. 35). Trotzdem werden Freiräume zugesichert für
verschiedene Begabungen und Interessen der einzelnen Mitglieder, auch entsprechend den
jeweiligen Umständen und Regionen.
Klare Zielsetzung, Ordnung mit Freiräumen, Beratung vor Entscheidungen, Verbindung
von Güte und Strenge, lebendige Information, Delegation, Mut zur Offenheit zwischen
Führenden und Geführten, Vorgesetzte als Vorbild, hohe Ansprüche an Führungskräfte,
Sorgfalt bei Aufnahme und Einführung Neuer, Umsicht bei der Bestimmung von
Leitungsverantwortlichen, Einhalten des rechten Maßes, ein Admonitor als Coach für
Obere, Mitarbeiter- und Vorgesetztenbeurteilung – das sind „Stich“-Worte, die sich klar
Führungs-Wissen in alten Quellen
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aus den Satzungen herausnehmen lassen und die den Führungsstil von Ignatius
charakterisieren.
In der Tat: Die Satzungen sind eine Fundgrube für modernes Management! Und wie wär‘s
mit dem letzten Wort der Satzungen: Ad maiorem Dei gloriam - zur größeren Ehre Gottes?
Keine schlechte Maxime für einen christlichen Manager!
Literatur
Satzungen der Gesellschaft Jesu und Ergänzende Normen (zitiert: Sa, EN). Hg. von der
Provinzialskonferenz der Zentraleuropäischen Assistenz. München 1997
Dalmases, Candido de: Ignatius von Loyola. München 1989
Fischer, Robert: Was können Ordensregeln, insbesondere die Satzungen der Gesellschaft
Jesu, dem Manager von heute sagen? In: R. Funiok / H. Schöndorf (Hg.): Ignatius von
Loyola und die Pädagogik der Jesuiten. Ein Modell für Schule und Persönlichkeitsbildung.
Donauwörth 2000, S. 113-129
Lambert, Willi: Die Kunst der Kommunikation. Entdeckungen mit Ignatius von Loyola.
Freiburg 1999
Stierli, Josef, Ignatius von Loyola. Mainz 1990
12. Form und Weise, wie eine würdige Fr. Mutter ihre Klosterfrauen regieren soll,
welche die gottselige Mutter M. Crescentia Hößin zu Kaufbeuren 3. O.S.F. ihr selbst
vorgesetzt hat.
Vorbemerkung
Die heilige Crescentia Höß wurde am 20.10.1682 in Kaufbeuren geboren. 1703 trat sie in
das dortige Kloster der Franziskanerinnen ein. Zunächst hatte sie erhebliche Probleme mit
der damaligen Oberin Theresia Schmid, von der sie unsäglich gemobbt wurde; Crescentia
hat alle Schikanen im Gehorsam über sich ergehen lassen. Man könnte sie Patronin aller
Gemobbten nennen. Diese Oberin wurde wegen Unfähigkeit 1707 abgesetzt. Dann wurde
es leichter für Crescentia. Ihre Fähigkeiten (Krankenpflege, kochen nähen, freundlicher
Umgang mit Menschen und Gütern) machten sie zu einer angesehen und hochgeschätzten
Mitschwester und Ratgeberin für viele; 1741 wurde sie zur Oberin. 1744 starb sie. 2001
wurde Crescentia heilig gesprochen.
Der Text
(Die folgenden Punkte sind nach Zeugnis des H. P. Joh. B. Bamer (= Johann Baptist Pamer SJ Anm. R.F.),
damaligen Beichtvaters der Klosterfrauen zu Kaufbeuren die wahre Norm gewesen, nach welcher die
ehrwürdige Mutter M. Crescentia ihre Klosterfrauen regiert und geleitet hat.
Diese Punkte hat der Hochw. Pfarrer Joh. B. Schorer, Beichtvater bei den Klosterfrauen zu Mindelheim von
dem Hochw. H. Joh. B. Bamer, seinem ehemaligen Professor zur Abschrift bekommen. (Nach Angaben von
Herrn Dr. Karl Pörnbacher handelt es sich um eine Abschrift aus dem Jahre 1833.)
1. Das erste und vornehmste ist meine eigene Vollkommenheit; ohne diese kann ich
meinen Untergebenen nichts nützen; daher will ich die Stunden der Betrachtungen, des
Examens, des geistlichen Lesens fleißig halten.
2. Ich will meine Untergebenen regieren durch ein frommes, heiliges Exempel. Wenn ich
fromm und heilig bin, kann das ganze Kloster fromm und heilig werden.
3. Meine Passion und Zorn will ich an mir wirken lassen, insonderheit wann ich strafen
soll. Ich will strafen, wenn mir der Unwillen vergangen ist.
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4. Damit ich die Liebe und das Vertrauen meiner Untergebenen gewinne, will ich ihnen
öfters extra was zu essen und zu trinken geben.
5. Alle Wochen will ich eine jede zu mir kommen lassen, mit ihr reden und sie trösten,
wenn es braucht.
6. Wann nach all angewandter Müh keine Frucht erfolgt, will ich den hl. Engeln
nachfolgen, welche, wann sie bei ihren Pflegkindern nichts ausrichten, die Sach Gott
anbefehlen.
7. Nichts neues will ich aufkommen lassen, und nichts altes abbringen, es seie dann der
Wille der Obrigkeit.
8. Ich will nicht die Zahl der Klosterfrauen vermehren, sondern ihre Tugenden. Sie sagte
auch zu dem Beichtvater, wann sie eine aufnehme, müsse sie selbe wohl kennen und
probieren, und wolle keiner Recommendation ansehen.
9. Der nächste Weg zur Vollkommenheit ist lieben, was die Welt hasset und hassen, was
die Welt liebt, nämlich Ehre, Bequemlichkeit, Ansehen usw.
10. Wenn ein guter Protext vorhanden, kann in der Wochen allzeit eine Communion seyn.
11. Die Armut soll scharf gehalten werden; daher will ich öfters die Zellen visitieren, und
die vornehmeren Sachen herausnehmen.
12. Der Gehorsam soll sein der Augapfel in einem recht löblichen Kloster.
13. Die Liebe untereinander soll aufs beste gehalten werden. Die bissigen Reden sollen
nicht geduldet werden. Wenn eine die andere beleidiget, soll sie ihr auf der Stell abbitten.
14. Mir ist lieber ein fröhliches Gemüt als Traurigkeit.
15. Mit betrübten und angefochtenen Seelen ich liebreich umgehen.
16. Wann man etwas begehrt von mir, so wider die Regel und Statuten ist, will ich eine
solche Person statt das Verlangte zu gewähren, liebreich trösten.
17. Von Klagen will ich gar nichts glauben. NB. Die sel. Crescentia sagte hierüber ihrem
Beichtvater: „Ich glaube nichts, was ich nicht selbst gesehen“. Das ist ein Hauptpunkt bei
Schwätzereien.
18. Ich will für gewiss mir einbilden, wenn ich in der Still mit einigen rede, dass es andere
wieder inne werden; daher muß ich behutsam im reden sein und heimliche Fehler auch
andern nicht erzählen.
19. Ich muß mich nicht abschrecken lassen, wenn ich schon einen Undank bekomme, wenn
ich meine Untergebenen in dem corrigiere, was Gott mißfällig.
20. In dem Herzen muß ich allen Untergebenen durch Demut eine Sklavin sein, und nicht
Oberin.
21. Mit meinen Untergebenen will ich redlich umgehen. Wenn man mit ihnen verschrauft
(= verschroben Anm. R:F.) und unvertraulich umgeht, können sie gar nicht gedulden. Ich
will mit ihnen umgehen nach den heiligen Grundwahrheiten so in den hl. Regeln und
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Statuten enthalten sind. Will auch auf keinen menschlichen Respect (= hier: Anstand,
Gepflogenheit, Rücksichtnahme Anm. R:F.) acht haben.
22. Wenn eine Schwester im heftigen Zorn, muß ich sie nicht gleich strafen, bis der Zorn
vergangen; hernach kann ich ihre Fehler liebreich vortragen, und sie strafen aus guter
Meinung, und nicht zum Trutz. Heimliche Fehler müssen nicht öffentlich gestraft werden;
und wenn die Untergebene ihre Buß ausgestanden, muß alles in Vergessenheit kommen,
und ihr nichts mehr vorhalten.
23. Das Hauptfundament bei den Novizen soll sein die tägliche Betrachtung, insonderheit
des bittern Leiden und Sterben J. Ch. (= Jesu Christi Anm. R.F.). Das tägliche fleißige und
genaue Examen, und das geistliche Lesen. Geschehen diese 3 Sachen, so ist alles
gewonnen. Auch in der Früh muß man fleißig aufstehen zu der Andacht und nicht länger
aus Saumseligkeit im Bett bleiben.
24. Gegen alle will ich willig sein, keiner mehr als der andern geneigt sein; denn nichts
mehr tut die Gemüter verbiestern als dies.
25. Wenn Religiosen meines Ordens daher kommen, will ich die Helfmutter (=
Stellvertreterin der Oberin Anm. R.F) und Gastmeisterin ihnen zulassen. Um 8 Uhr sollen
die Gäste schlafen gehen, und da muß aller menschliche Respekt hintan gesetzt werden.
Jene Schwestern, die gerne mit auswärtigen Leuten zu thun haben, will ich wenig zur
Porten (= Pforte Anm. lR.F.) lassen, noch weniger zur Portnerin machen lassen.
26. Ohne ausdrückliche Erlaubnis soll keine Schwester was ausschenken oder annehmen.
27. Vor allem will ich sorgen, daß keine Schwester auswärtige Personen in die Zell lasse.
28. Die Portnerin soll keiner Schwester was geben oder ausrichten ohne Erlaubnis der
Oberin.
29. Briefe schicken in der Still ist allzeit verboten, wann sie auch unschuldig. oder auch
empfangen, solche sind strafmäßig.
30. Auf die Haltung der Tagsordnung will ich fleißig Sorge tragen. Ohne wichtige Ursache
will ich niemal dispensieren wegen dem Chor.
31. Die Novizen müssen öfters verdemütiget werden, wenn sie schon unschuldig.
32. Nichts wenigers soll geduldet werden, als eine stutzige (= widerspenstig, widersetzlich
Anm. R.F.) Schwester, solche ist eine Pest im Kloster.
33. Keine Schwester soll einen Handwerker zu ihr kommen lassen ohne Erlaubnis der
Oberin.
34. Durch Liebe und Demut müssen die Novizen und jüngeren Schwestern gewonnen
werden.
Was können Führungskräfte aus diesen Regeln für sich entnehmen?
Vorbild wirkt! (1 und 2). Wer strafen muss, soll dies ohne Zorn tun (3; 22). Für Mitarbeiter
sorgen (4). Das regelmäßige Gespräch mit den Mitarbeitern pflegen; wer Hilfe braucht,
soll sie erhalten (5). Auf den Willen der Vorgesetzten achten, wenn es um Neuerungen
geht (7). Nicht die große Zahl, sondern die Qualität der Mitarbeiter ist wichtig (8). Guter
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Umgang soll gepflegt werden (13-15; 21). Wer andere ausrichtet, erfährt keinen Glauben
(17). Mit Fehlern anderer sorgfältig umgehen (18). Keine Bevorzugung einzelner (24).
Umgang mit Schwierigen ist eine besondere Aufgabe (32). Mit Neuen liebevoll umgehen
(34).
Schluss
Diese Zusammenstellung will Quellen von Führungs-Wissen für unsere Tage erschließen.
Es gäbe noch mehr solcher Quellen; diese aufzuspüren bleibt Aufgabe für den
aufmerksamen Leser einschlägiger Dokumente.
Diese Ausarbeitung stellt überwiegend Texte aus christlichen Quellen vor. Das hat zwei
Gründe: Das Buch sollte nicht zu umfangreich werden, weil eine hohe Seitenzahl Leser
abschreckt. Zum zweiten sind gerade diese Quellen in einer säkularisierten Welt und
Wirtschaft in besonderer Gefahr, nicht mehr gepflegt und zur Kenntnis genommen zu
werden. Damit bliebe ein großer Schatz im Tresor der Geschichtsbücher verschlossen und
würde keine Wirksamkeit mehr entfalten. Unsere Führungskultur würde unverdient
verarmen.
Wenn man die Entwicklung des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft und vor allem in
der Wirtschaft anschaut, wird deutlich, dass wir mehr Rücksicht auf den Menschen und
weniger Orientierung an Sachwerten brauchen. Die aufgeführten Quellen können dazu
beitragen, dass das Wissen um diese Aufgabe wieder stärker gesehen wird und nicht eine
„ethische Erblindung durch das Obsiegen des Interesses und der Macht“ (Papst Benedikt
XVI. in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ vom 25.12.2005, Ziff. 28) den Blick verstellt.
Werden die Gedanken aufgenommen und in Taten umgesetzt, dann steht der Mensch
wieder da, wo er hingehört, nämlich im Mittelpunkt. Dem Menschen Entfaltung
seiner Kräfte und Fähigkeiten zu ermöglichen, ist der eigentliche Auftrag von
Führung.

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