des Pop-Rock - WordPress.com
Transcrição
des Pop-Rock - WordPress.com
Kultur 31 MAGAZIN 28. September 2014 Die finnische Band Sunrise Avenue feiert bei uns mit durchschnittlicher Musik überdurchschnittliche Erfolge. Bandleader Samu Haber weiss warum. VON JONAS DREYFUS W Seifenoper Foto: Adrian Bretscher des Pop-Rock Alleinherrscher über eine der erfolgreichsten Bands Europas: Samu Haber (38), Sonnyboy aus Finnland. illkommen im Stasi-Gebäude», sagt Samu Haber, Sänger der finnischen Erfolgsband Sunrise Avenue. Der 38-Jährige schüttelt kräftig die Hand und lässt sich in einen Ledersessel plumpsen. Tatsächlich war das Gebäude, in dem wir uns befinden, zu DDR-Zeiten das Hauptquartier des Ministeriums für Staatssicherheit. Heute beherbergt es einen der exklusivsten MemberClubs Berlins, in den nur reinkommt, wer «too cool for school» ist. Sprich: zu kreativ, erfolgreich und der Zeit voraus, um sich unter Normalsterbliche zu mischen. Das Gegenteil von dem, was Sunrise Avenue symbolisieren. Schweizer reissen sich um Tickets für Sunrise Avenue «Wir sind die Party, zu der jeder eingeladen ist», sagt Haber. «Kleine Kinder, Eltern und Grosseltern.» Es ist eine der wenigen Möglichkeiten, in der serbelnden Musikindustrie noch Geld zu verdienen – indem man mehrere Generationen gleichzeitig anspricht. Wie die Rolling Stones, die ihre Fanbasis aber während eines halben Jahrhunderts aufgebaut haben. Heute können Music-Acts nicht mehr warten, bis die Fans ihre CDs eines Tages an die Kinder weitergeben. Sie müssen mit ihrer Musik von Anfang an die ganze Familie begeistern. Sunrise Avenue gelingt das vor allem in der Schweiz. Neben Deutschland, von wo aus die Band vermarktet wird, laufen ihre Songs nirgendwo öfter im Radio als hier. Über 30 000 Tickets hat die Band dieses Jahr bereits bei uns verkauft. Kommende Woche stehen die Finnen drei Mal hintereinander im KKL auf der Bühne. Mit einem KlasFortsetzung auf Seite 32 32 Kultur 33 MAGAZIN 28. September 2014 Den Leuten ein gutes Gefühl geben sik-Orchester werden sie Songs wie «Hollywood Hills» oder «Fairytale Gone Bad» intonieren. Zum selben Zeitpunkt erscheint auch das erste Best-of-Album: ein Rückblick auf acht Jahre Band-Geschichte. Ohne Deutsch-Kenntnisse bei «The Voice of Germany» «Im Vergleich zu anderen MusicActs sind wir ziemlich normal», sagt Samu Haber. «Wir zerstören keine Hotelzimmer, schminken uns nicht und fallen auch sonst kaum auf. Uns wurde schon geraten, statt T-Shirts, Jeans und Turnschuhe auf der Bühne weisse Anzüge zu tragen. Aber ich bin nun mal der TShirt-, Jeans- und Turnschuh-Typ.» Auch musikalisch sei da wenig, was den Hörer überrasche, fügt er an. «Wir wollen den Leuten einfach ein sicheres, gutes Gefühl geben.» Sunrise-Avenue-Songs sind immer ähnlich aufgebaut: Viervierteltakt, dominantes Schlagzeug, E-Gitarre und jede Menge effektvolle Oktavenwechsel. Alles überlagert von Habers nasalem Bariton, der sich zum Refrain mühelos in hymnische Höhen schwingt. «Bye Bye, Holly- wood Hills», singt er in einem der Hits der Band. «I’m gonna miss you, wherever I go. I’m gonna come back to walk these streets again.» Klingt nach Tagebucheintrag eines Teenagers, der seinem ersten USA-Besuch nachtrauert. Haber: «In unseren Texten geht es um die kleinen Dinge im Leben – nichts Extravagantes. Im übertragenen Sinne kein Tarantino-Film, mehr Seifenoper. Sunrise Avenue ist sozusagen das ‹Marienhof› des Pop-Rock.» Samu Haber kennt sich aus mit deutschen TV-Formaten. Am 9. Oktober startet auf Pro 7 und Sat.1 die vierte Staffel von «The Voice of Germany», bei der er zum zweiten Mal in der Jury sitzt. In der Talentshow hat Haber mit seinem holprigen Deutsch und den damit verbundenen Versprechern («Muschikanten») sowie seiner drolligen Art («Könnte der Finne mal etwas sagen?», «Komm zu Papa!») den Co-Juroren Nena oder Max Herre die Show gestohlen. Nun muss er sich unter anderen gegen Michi Beck und Smudo von den Fantastischen Vier beweisen. Ihm sei bewusst gewesen, wie sehr er mit der Show den Bekanntheitsgrad von Sunrise Avenue steigern könne, sagt Haber. «In der ersten Folge verstand ich aber nur Bahnhof und geriet in Panik. Würde ich den Ruf der Band auf ewig ruinieren? Irgendwie schlug ich mich mit viel Hilfe von allen Seiten durch.» Das erste Album, das nach der Show herauskam, stieg in der Schweiz und in Deutschland auf Platz vier bzw. drei ein – so hoch wie keines zuvor. Interview-Fragen auf Deutsch sind trotzdem unerwünscht, wie das Management im Vorfeld mitteilt. Was man über Samu Haber wissen muss: Sein Vater kam zwar in Deutschland zur Welt, zog aber im Babyalter mit den Eltern nach Finnland. «In den Vierzigerjahren war die Welt ein Chaos», sagt Haber in Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg. «Man rannte damals in Finnland nicht herum und rief: ‹Hallo, ich bin Deutscher!›» Deshalb hätten die Grosseltern mit dem Sohn nie ein Wort Deutsch gesprochen. Man kann sich den platinblonden 1,93-Meter-Hünen Samu Haber gut mit sechzehn vorstellen, als er seine erste Band gründete. Sein spitzbübiges Wesen hat er sich bewahrt. Beim Sprechen neigt er gerne den Kopf zur Seite, zieht eine Augenbraue nach oben und lächelt verschmitzt. Vieles an ihm wirkt knabenhaft, seine Pausbacken mit den Lachgrüb- Samu Haber mit Sunrise Avenue (o.), Freundin Vivianne Raudsepp (r.) und seinen CoJuroren von «The Voice of Germany»: Rea Garvey, Stefanie Kloss, Michi Beck und Smudo. Immer dem Sonnenaufgang entgegen: Sunrise Avenue in aktueller Formation mit Riku Rajamaa, Samu Haber, Sami Osala und Raul Ruutu (v. l.) chen ebenso wie die Stupsnase, die dunkelblauen Knopfaugen oder der glattrasierte Körper. Ein Typ, den junge Mädchen in der ganzen Schweiz anhimmeln können, ohne dass es etwas Anrüchiges hätte. «Ich komme aus einer armen Familie», sagt Haber. Als er sieben war, trennten sich seine Eltern, sei- ne Mutter zog ihn und seine zwei jüngeren Geschwister alleine auf. «Sie hat mir viel Liebe gegeben und ist noch heute meine wichtigste Ansprechperson.» Ein Schwiegersohn, den sich jede Mutter wünscht. Seit fünf Jahren ist Haber mit dem vierzehn Jahre jüngeren finnischen Model Vivianne Raudsepp liiert. Fotos: Olaf Heine/Universal Music, Matthew Lewis/Getty Images, Facebook, Jörg Carstensen/DPA/AFP Fortsetzung von Seite 31 Was sie an ihm mag? «Keine Ahnung», sagt er und stapelt wieder einmal tief: «Ich bin schlecht im Bett, kann nicht kochen und räume nie auf.» Exzessiv war gestern, heute heisst es fit sein Im Jahr 2002 sass Haber verkatert in einer Party-verseuchten Wohngemeinschaft in Barcelona. Dort hatte er sich vier Jahre lang die Hörner abgestossen. Es war die Zeit, als finnische Bands wie Him, The Rasmus oder Nightwish die internationalen Charts eroberten. «Ich wollte mein Stück vom Kuchen haben und flog nach Hause.» In der Memphis Bar in Helsinki, die es heute nicht mehr gibt, schmiedete Haber mit seinen Kumpeln Pläne für die «Eroberung der Welt» durch seine Jugendband. Deren Name erst einmal pragmatisch vom nichtssagenden «Sunrise» ins aussagekräftigere «Sunrise Avenue» umbenannt wurde. Einer seiner Freunde verkaufte sein Haus, um mit 20 000 Euro das Debüt «On the Way to Wonderland» zu finanzie- « Ich habe ein Bon-Jovi-Logo auf der Schulter tätowiert. Das sagt doch eigentlich alles» Samu Haber ren. Es holte Gold in der Schweiz und Platin in Deutschland. Bis heute erhält der freundliche Sponsor jedes Mal Geld, wenn die Sunrise Avenue GmbH Geld abwirft. Haber: «Der Deal hat sich für ihn mehr als gelohnt.» Wenn er vom Erfolg spricht, hat man nicht das Gefühl, einen Rock-Star vor sich zu haben. Haber kann Verkaufszahlen runterrattern wie ein Marketing-Profi. Die Namen der Künstler, gegen die Sunrise Avenue gerade in der Hitparade antreten, kommen wie aus der Pistole geschossen: «Bruno Mars, Foo Fighters, Maroon 5.» Das Klischee des exzessiv Kreativen, der ständig Partys feiert, ist offenbar genauso überholt wie jenes des übergewichtigen Starkoches, der gerne ein Glas Rotwein zu viel trinkt. Man müsse, sagt Haber, den Leuten heute, wo Unterhaltung vor allem im Internet stattfinde, einiges bieten, damit sie ein Konzertticket kaufen. Auch die Plattenfirmen investieren ihre arg geschrumpften Budgets lieber in Künstler, die zuverlässig sind. Haber: «Wer heute an der Spitze mitspielen will, muss körperlich und geistig fit sein.» Für das kalkulierte Mitschwimmen im Mainstream werden Sunrise Avenue von Leuten, die gute Musik zu kennen glauben, oft belächelt. Darauf angesprochen, verliert Samu Haber einen kurzen Moment lang seine kumpelhafte Lässigkeit. «Ich liebe Mainstream und verstehe diesen Anspruch auf Innovation überhaupt nicht», sagt er aufgebracht und krempelt die Ärmel seines T-Shirts hoch. «Ich habe mir ein Bon-Jovi-Logo auf die Schulter tätowieren lassen. Das sagt doch eigentlich alles.» Dann setzt er wieder sein verschmitztes Lächeln auf, neigt den Kopf zur Seite, zieht eine Augenbraue nach oben und sagt: «In den JamesBond-Filmen bleibt ja auch immer alles beim Alten. Der Held besiegt den Bösewicht und vernascht das Girl. Und trotzdem rennen wir dafür jedes Mal wieder ins Kino.» Sunrise Avenue, «Fairytales – Best of 2006 – 2014» (Universal), ab 3. Oktober 2014.