JOHANN MICHAEL MOSCHEROSCH KRIEGSERFAHRUNGEN lM

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JOHANN MICHAEL MOSCHEROSCH KRIEGSERFAHRUNGEN lM
JOHANN MICHAEL MOSCHEROSCH ­
KRIEGSERFAHRUNGEN lM WESTRICH
Wenn man sich in Deutschland an literarische Darstellungen
des DreiBigj ahrigen Krieges erinnert, dann ist in erster Linie
von Grimmelshausens Simplicissimus ( 1 668), von seiner Courasche
(167 1 ) die Rede, vielleicht auch von Martin Opitz' Trostgedichte
in Widerwiirtigkeit des Krieges ( 1 63 3 ) . Von diesen wuchtigen
Zeugnissen für die Greuel des Krieges ist bei den Feierlichkeiten
zum dreihundertfünfzigsten Jubilaum der Friedensschlüsse von
Münster und Osnabrück in diesem Jahr 1 998 hauptsachlich die
Rede. Ein anderer Bericht von rücksichtslosem Realismus, der sich
für moderne Leser manchmal wie Zynismus liest, wird selten
genannt, namlich das letzte von Johann Michael Moscheroschs
( 1 601 - 1 669) sogenannten Gesichten (Visionen) mit dem Titel
Soldaten-Leben . Diese Zurücksetzung hat viele Gründe, unter
anderem den, daB man die Erzahlung seit langer Zeit nur schwer in
die Hande bekommen kann. Die letzte Ausgabe erschien 1 964Cll.
Auch sind die vierzehn Satiren, die Moscherosch unter dem Titel
Gesichte Philanders von Sittewaldt zusammengefaBt hat, in den
ersten Teilen schwer zu lesen, weil sie der Autor mit spathuma­
nistischem gelehrtem Wissen angereichert hat. Davon ist das letzte
der Gesichte, eben das Soldaten-Leben, fast ganz frei. Es ist ein
Erlebnisbericht aus eigener Erfahrung.
Wie entstand diese Erzahlung? Johann Michael Moscherosch
stand ab April 1636 als Amtman im Dienst des erst sechzehnj ahrigen
Herzogs Ernst Bogislav von Croy-Arschot (1620-1684) . Sein Gebieter
war der Sohn aus der Ehe des Herzogs Ernst von Croy-Arschot,
aus einer verzweigten, in Luxemburg, den spanischen Niederlanden
und in Finstingen/Fénétrange begüterten Familie, und der Tochter
Anna des Herzogs Bogislav XIII. von Pommern. Sein B esitz in der
Stadt Finstingen und in den Dorfern der B aronie Finstingen wurde
vom weit entfernten Wolgast aus verwaltet. Sein Vertreter in
Finstingen war Moscherosch, der ,pommersche Amtmann" , wie er
genannt wurde(2l.
Ü berrascht schon die Zugehorigkeit lothringischen Gebietes
zu Pommern und damit zum Heiligen Romischen Reich Deutscher
1 ) Hanns Michael Moscherosch, Gesichte Philanders von Sittewald, hg. V. Felix Bobertag.
Darmstadt 1964 (Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1883 Deutsche Nationalliteratur, 32.
B and) , hier S. 253-403 . !ch habe eine gekürzte und sprachlich modernisierte Fassung des
Soldatenlebens hergestellt, um überhaupt wieder auf dieses Erziihlwerk aufmerksam zu
mach en: Un ter Raubern. J. M. Moscherosch Soldatenleben, hg. v. W. E. Schiifer, Karlsruhe
1996.
2) Voir page suivante.
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Nation in dieser Zeit, so waren darüber hinaus die politischen und
Rechtsverhaltnisse in der Herrschaft Finstingen von einer solch
komplizierten Unübersichtlichkeit, wie sie sich der Bürger eines
neuzeitlichen Flachenstaates kaum vorzustellen vermag. Da waren
zunachst in Finstingen zwei distinkte Familien von Croy - die
lutherische Linie von Croy-Arschot und das katholische Haus von
Croy-Havré - begütert. Die anderen Herrschaftsrechte verteilten
sich unter den verschiedenen Linien der Wild- und Rheingrafen, so
der katholische Fürst von Salm, Wild- und Rheingraf Leopold
Philipp, der lutherische Graf zu Salm, Wild- und Rheingraf Johann
Georg, und der ebenfalls lutherische Graf zu Salm, Wild- und
Rheingraf zur Kirburg Johann Casimir. Diese fünf Hauser residierten
zeitweilig im SchloB zu Finstingen, das an der groBen Brücke über
die Saar am Eingang der heute abgelegenen Kleinstadt zu sehen
ist, wenn man von Süden, von Pfalzburg, kommt. Ü ber seinem
Hauptportal zeigt es heute noch die in Stein gehauenen Wappen der
Herzoge von Croy und zweier Linien der Wild- und Rheingrafen(3).
Diese Grundherren hatten alle eigene Verwalter bestellt, die auf
engstem Raum - der Mauerring der befestigten Stadt maB nicht
viel mehr als einen Kilometer im Durchmesser - in bescheidenen
Amtshausern nebeneinander lebten. Es war vorauszusehen, daB
die vorhandenen Spannungen zwischen den Adelsfamilien auf dem
Niveau der Amtsleute noch um einiges erbitterter ausgetragen
würden und die je nach Kriegslage schnell wechselnden politischen
Verhaltnisse die B alance zwischen den Herrschaften je nach der
einen oder anderen Seite aufheben würden. Doch damit nicht genug.
Auch die Bürgerschaft der Stadt hatte althergebrachte Rechte und
2) Biographie von Ernst Bogislav von Croy-Arschot und seine B esitzansprüche in
Finstingen sind in meiner Studie dargestellt: W. E. Schafer, Die pommersche Herrschaft in
Finstingen (Fénétrange) in Lothringen, in: Pommern in der Frühen Neuzeit. Literatur und
Kultur in Staclt und Region, hg. v. W. Kühlmann u. H. Langer, Tübingen 1 994, S. 293-304.
Die biographische Literatur zu Moscherosch ist umfanglich. Ein vollstandiges Verzeichnis
findet sich in W. E. Schafer, Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker und
Padagoge im Barockzeitalter, München 1982, S. 226-229, und in W. Kühlmann/W. E.
Schafer, Frühbarocke Stadtkultur am Oberrhein. Studien zum literarischen Werdegang J.
M. Moscheroschs ( 1 601-1669), S. 215-220.
3) Ü ber die politischen und rechtlichen Verhaltnisse in Finstingen zur Zeit Moscheroschs
berichten L. Benoit, Notes sur la Lorraine allemande: les corporations de Fénétrange, in:
Mémoires de la société d'archéologie Lorraine (1864), S. 43-7 1 , ders., Etude sur les insti­
tutions communales du Westrich et sur le livre du vingtième jour de Fénétrange, in:
Mémoires de la société d'archéologie lorrain e (1866), S. 174-259; A. Benoit, Le littérateur
J. M. Moscherosch à Fénétrange, in: Journal des communes d'Alsace-Lorraine (1879), Nr.
38, S. 251 -252, ders. , Les seigneurs poméraniens à Fénétrange, in: Journal des communes
d'Alsace-Lorraine ( 1 879), Nr. 39 S. 257-258; H. Schlosser, J. M. Moscherosch und die Burg
Geroldseck im Wasgau, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erhaltung der geschichtlichen
Denkmaler im Elsal3, 2. Folge 16 (1893), S. 10-83; ders., Moscheroschiana. Beitrage zu
einer Darstellung des Lebensschicksals Moschoeroschs wahrend seines widerholten
Aufenthaltes im jetzigen Bezirk Lothringen, in: Jahrbuch der Gesellschaft für lothrin­
gische Geschichte und Altertumskunde 25 (1913), S. 1 30-254; E. Burger, Geschichte
Finstingens, Metz 1 93 1 ; J. Gallet, Le bon plaisir du baron de Fénétrange, Nancy 1 990;
A. Eisele, Un ,état" singulier et minuscule: La baronnie de Fénétrange, in: Les Cahiers
lorrains (1991 ) , S. 1 1 -145.
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Selbstverwaltung. Um die Interessen zwischen den Grundherren
und der Bürgerschaft auszugleichen, waren die A mter von zwei
,Baumeistern" geschaffen worden, das heiBt, daB aus der Schar
der Amtmanner zwei ausgewahlt wurden, welche die laufenden
Geschafte zwischen den Grundherren und der Bürgerschaft
erledigten. Moscherosch war zugleich einer dieser B aumeister.
D amit stand er zwischen den Interessen der Feudalherren und
denen der Stadtbürgerschaft.
Seine Zeit in Finstingen, fünfeinhalb Jahre, war gepragt von
Entbehrungen und von der Unruhe standig neuer Ü berfalle und
Einquartierungen. Schon zwei Monate nach seiner Ankunft wurde
Finstingen von schwedischer Kavallerie eingenommen und schlimm
geplündert. lm Januar 1 639 übergab der bestochene schwedische
Kommandant die Stadt kampflos an die besonders gefürchteten
Truppen Karls IV. von Lothringen. lm Mai 1 639 wurden die
Lothringer durch franzosische Truppen aus Finstingen getrieben,
und die Franzosen ihrerseits im Frühj ahr 1 641 durch kaiserliche
Truppen. Unter ihnen hatte der lutherische Amtmann am meisten
zu leiden(4).
Die Erzahlung Soldaten-Leben erinnert an Moscheroschs letzte
Jahre im Westrich. Sie erzahlt von Streifzügen und Raubereien
einer B ande von Marodeuren meist kroatischer Abstammung, die
ursprünglich zur kaiserlichen Armee gehort hatten, in der Endphase
des Krieges sich aber selbstandig gemacht hatten und die ausgeblu­
tete Gegend zwischen Mosel und Rhein unsicher machten. Ihr
Stützpunkt war Saarbrücken, wo sie den Rat und den kaiserlichen
Kommandanten durch Tributzahlungen bei Laune hielten. Die
wenigen noch vorhandenen Landleute machten sie durch grausame
Foltern und To't schlag gefügig. Wieweit es sich um historische
Fakten handelt, die Moscherosch erzahlt, laBt sich nicht mehr über­
prüfen. Immerhin erwahnt ein historisches Werk des 1 9 . Jahr­
hunderts diese ,B ande Mosel-Saar' , wie Moscherosch sie nannte;
ob nun auf der Grundlage von Moscheroschs Erzahlung selbst oder
aus anderen historischen Quellen, muB offen bleiben(s).
Moscherosch ist so entschieden wie Grimmelshausen in der
Zurückweisung aller Versuche, den Krieg - zumindest in seiner spaten
Phase - als eine Auseinandersetzung zwischen Konfessionsparteien
verstehen zu wollen. Die Gesinnung von Soldaten und Offizieren,
die in Freundesland nicht weniger plünderten , erpreBten,
vergewaltigten ais in Feindesland, der bedenkenlose Ü bertritt von
4) Vgl. W. E. Schiifer, J. M. Moscherosch (wie Anm. 2), S. 99-1 19.
5) C. Schneider, Geschichte des Wild- und Rheingriiflichen Hauses, Kreuznach 1854, S. 201 .
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Gefangenen in die Solddienste der j e anderen Partei, die
selbstsüchtigen Versuche von Heerführern, eigenen Grundbesitz in
eroberten Territorien zu okkupieren - das alles lieB ein solches
Verstandnis nicht mehr zu. Immer deutlicher zeichnete sich hinter
den Fronten der kriegsführenden Parteien der tiefere Gegensatz
zwischen seBhaften Bürgern und wehrlosen B auern einerseits,
bindungslosen Soldaten und Marodeuren andererseits ab.
Das Kriegschaos wird als das Gegenteil einer Friedensordnung
verstanden, es ist ,verkehrte Welt" . Moscherosch wie Grimmels­
hausen beschworen in zahllosen Varianten Bilder auf den Kopf
gestellter Ordnungssysteme. Nur so ist es versti:indlich, daB
Moscherosch seiner Erzahlung ein groBformatiges Kupferstich­
portrait seiner selbst als Amtmann von Finstingen beigegeben hat
und immer wieder darauf zu sprechen kommt. Sicher, er hat hier
einen entscheidenden Moment seiner Biographie ins Bild fassen
lassen: den Überfall jener Rauberbande entlaufener Soldaten auf ihn
und seine Knechte vor den Toren von Finstingen am 6. September
1 641(6). Gegenwehr war nicht moglich. Seine Knechte, mit denen er
das Feld gepflügt hatte, liefen davon. Er selbst rettete sich mit
knapper Not hinter die Mauern der Stadt. Man hatte es auf ihn
abgesehen. Er hatte Gründe anzunehmen, daB einer seiner
Amtskollegen der Rauberbande den Hinweis gegeben hatte, wann
und wo er bei der Feldarbeit zu fassen sei. Der Ü berfall kostete ihn
seinen Viehbestand, seinen Lebensunterhalt, und zwang ihn zur
Rückkehr mit seiner Familie nach StraBburg.
Aber das biographische Moment macht nicht allein die
Bedeutung des Stiches aus. Er ist darüber hinaus Abbild einer
durch den Krieg bedingten verkehrten Ordnung. Er zeigt, daB
der Vertreter der regierenden Schicht, der Beamte Moscherosch,
gezwungen war, seine Familie als Landbauer durch der Hande
Arbeit zu ernahren . Moscherosch hatte seit Monaten keine
Besoldung mehr erhalten. Für Menschen des 17. Jahrhunderts war
dies nicht bloB eine Notsituation, sondern eine Verkehrung des von
Gatt gewollten Standeaufbaus, wie er sich in den damais üblichen
Kategorien von Lehrstand, Wehrstand und Nahrstand zusammen­
fassen lieB. Ein Angehoriger des Wehrstandes war gezwungen
worden, die Standesschranken zu übertreten und ais Ackerbauer
zum Nahrstand überzutreten. So j edenfalls hat Moscherosch diesen
Stich interpretiert(7J.
6) D e r Stich ist reproduziert i n J. M. Moscherosch, Barockautor a m Oberrhein, Satiriker
und Moralist. Eine Ausstellung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, hg. v. der
B adischen Landesbibliothek, Karlsruhe 1981, S. 40.
7 ) Voir page suivante.
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fol . Gt G .
Die wohl folgenreichste Verkehrung ist die des Menschen zum
Tier oder anders gesagt die des Soldaten zum Rauber. Moscherosch
bringt in vielen Einzelbildern j ene Erfahrungen zur Sprache, die
bei lang andauernden Kriegen auch noch im zu Ende gehenden 20.
Jahrhundert zu mach en sind: daB Soldaten auf ihren Kriegszügen in
steigendem MaB zu verrohen drohen und ihr Seelenleben sich auf
7) Zum B eispiel in einem Brief an Samuel Gloner in StraBburg, wiedergegeben bei
J. Wirth, Moscheroschs Gesichte Philanders von Sittewalt. Diss. Erlangen 1 887, S. 59
(in deutscher Ubersetzung): Stelle Dir also bitte vor: erblicke, wenn Du willst, einen Mann,
der im schiiumenden Meer des Krieges, hin- und hergeworfen zwischen den Klippen und
Abgründen des untergehenden Vaterlandes, iingstlich das Brot für die eigene Notdurft
und die der Seinen sucht: nicht durch die Freigebigkeit eines Fürsten, nicht durch einen
festgesetzten Sold, nicht durch Hilfe eines adligen Gonners, nicht durch zugehorige
Dienerschaft, sondern nach alter Viitersitte hinter dem Pflug. Denn dies sind hier zulande die
Würden des Amtmanns. Und was das Beschwerlichste ist: im Krieg zwischen Drohungen
und Tod, zwischen Geschossen, Schwertern, Spief3en, Belagerungsgeriit und Blitzen,
zwischen tausend Gefahren, die dem unsicheren Leben auflauern, Schutz für Pferde und
Zugvieh, für Haus und Herd suchend oder von einer Anhohe spiihend. Der ich, um die
Mühen und Beschwerden der Arbeit und den Schrecken der drohenden Gefahr wenn auch
nicht zu meistern, so doch wenigstens zu mildern, mit Verteidigungswaffen an beiden Seiten,
mit der Radschlof3flinte, die vom Rücken herabhiingt, eine Pistole in Hiinden, an der Hüfte
die Handfeuerwaffe, ein Wurfgeschof3 unter der Kleidung verbergend, gleichsam auf einem
Fuf3 stehe oder umhergehe und meine Knechte, wenn nicht durch die Hiinde selbst, so doch
mit Mut und Zuspruch unterstütze, indem ich selbst, damit ich nicht durch Unbeschiiftigtsein
auf schlechte Gedanken komme, manchmal Verse oder Epigramme dichte.
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tierische Instinkte reduziert. So schildert Moscherosch den psycho­
logischen ProzeB, wie der Held seiner Erzahlung mit Namen
Philander - ein Ebenbild seiner selbst - sich allmahlich an die
verkommene Moral der Rauber- und Morderbande anpaBt. Der
zum Tier herabgesunkene Soldat zerstort, was den Menschen in der
Ordnung der Lebewesen auszeichnet, seine Gottebenbildlichkeit.
Er sinkt zum ,Monstrum" herab, zum Zwitterwesen, halb Mensch,
halb Tier. ,Monstrum" - das taucht in Wort und Bild immer wieder
auf.
Als Satiriker, nach j enem alteren, vom Humanismus übernom­
menen Verstandnis von der Aufgabe der Satire, batte Moscherosch
die Pflicht, der ,verkehrten Welt" , den Verzerrungen anthropolo­
gischer und sozialer Ordnungen durch den Krieg, MaBstabe für
gerechtere Ordnungen entgegenzustellen. Als solcher dient ibm zum
B eispiel die tradierte Idee vom Gerechten Krieg, also von einer
durch ethische Grundsatze eingeschrankten Kriegsführung. Sie muB
sich durch einen dem Rechtsempfinden entsprechenden Kriegsgrund,
durch ein gerechtes, den Frieden begünstigendes Kriegsziel und
durch den Grundsatz der VerhaltnismaBigkeit der Mittel legitimieren.
Der Rückgriff auf die von Augustinus begründete, von Thomas von
Aquin und den spanischen Spatscholastikern breit entwickelte
Theorie war umso dringender, als sie unter dem Eindruck der
pragmatischen Kriegspolitik absolutistischer Herrscher mit ihren
Zielsetzungen der Arrondierung des Staatsgebiets, der Mehrung
der ,Reputation", in Vergessenheit zu geraten drohte(s). Moscherosch
laBt gerade einen B auern in einer Runde verkommener Soldaten
die Grundsatze dieser Theorie vorbringen: Ihr Herren, wenn ihr
etwas vorhabt, eine Schlacht, ein Scharmützel, einen Streifz ug, so
bedenkt zuerst, wem ihr dient. Tut nicht wie manche, die da sagen,
ich nehme Geld und diene dem Teufel. Denn wer gegen seine
Glaubensgenossen dient, der ist schlimmer als ein Heide. Danach
denkt nach, ob das Recht auf eurer Seite ist. Drittens, ob es zur Ehre
Gattes, zum Dienst eures gniidigen Herrn und zu des Vaterlandes
Heil sein kann. Wenn das so ist, dann sprecht so: Groj3miichtiger
Gatt, himmlischer Vater! Hier bin ich nach deinem Gottlichen Willen
in diesem weltlichen Werk und Dienst meines Herrschers, wie ich es
schuldig bin, und bin gewij3, daj3 dieser mein Gehorsam auch dir
wohlgefiillig ist(Y). Diese Ermahnung fruchtet nicht viel. Einer der
umsitzenden Marodeure gibt zurück: Wenn ich morgens aufstehe,
dann spreche ich ein ganzes ABC. Darin sind alle Gebete enthalten.
Unser Herrgott kann sich dann die Buchstaben selbst zusammenlesen
8) Ygl. R. Steinweg (Hg.), Der gerechte Krieg: Christentum. lslam. Marxismus. Frankfurt,
1 980.
9) Unter Raubern, hg. v . W. E. Schafer (wie Anm. 1), S. 70.
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und Gebete daraus machen wie er will. Und wenn ich mein A B C
gesagt hab ', so bin ich abgewischt und getriinkt und a n diesem Tag
so fest wie eine Mauer<1D). Und ein anderer: Und ich . . . , ich lasse mor­
gens einen Furz streichen ais Morgensegen. Das tut mir den ganzen
Tag wahl im Leib .
Moscherosch weiB von der Vergeblichkeit des Versuchs, die
Soldateska auf Grundsatze gerechter Kriegsführung zu verpflichten.
Er ist sich wohl auch bewuBt, daB sein Rückgriff auf das Ideal des
christlichen Streiters, wie es Luther in der Schrift Ob Kriegsleute
auch in seligem Stand sein konnen (1526) umrissen hat, nicht viel an
den Fakten andern wird. Dessen ungeachtet rückt er in sein
Soldaten-Le ben ein langes Gedicht unter de rn Titel Der Soldaten
Lehr-Brief ein, das in achzig Strophen die Verhaltensregeln für
einen solchen Streiter entwickelt( 1 1 l .
Man weiB aus manchen Zeugnissen der Zeit, daB unter dem
Eindruck des Schreckens manche Glaubensüberzeugungen
erschüttert wurden, j a daB es gemarterten B auern schwer fiel, noch
an Gott zu glauben. Auch Moscherosch machte Erfahrungen, die sich
nicht mehr nach den eingespielten Deutungsmustern lutherischer
Glaubenslehre interpretieren lieBen,wie er es immer wieder
versuchte. An solchen Punkten der Erzahlung stellt der Autor seine
Zweifel in Form einer Diskussion zwischen Erzahlfiguren und damit
in abgemilderter Form dar. Zu den qualenden Kriegserfahrungen
gehôrte der Zweifel an der Vorsehung Gattes, insofern sie Leben
und Schicksal des einzelnen Menschen bestimme (providentia
privata), und daB der Lebenslauf durch die Geburtsstunde, das
Horoskop, vorherbestimmt sei, wie allgemein geglaubt wurde. lm
Soldaten-Leben entzündet sich die Diskussion beim Anblick eines
auf der Saar, ungefahr bei Mettlach, in den Grund gebohrten
Schiffes, auf dem an fünfundzwanzig Personen, viel vornehme
ehrliche Leute(l2), im gleichen Augenblick zu Tode kamen. Der
Erzahler Philander macht sich Gedanken darüber, wie es môglich
ist, daB so viele Personen in ein und derselben Stunde auf die
gleiche Weise sterben muBten, wo sie doch bestimmt nicht ein und
dieselbe Geburtsstunde hatten. Ein Doktor der Medizin, Freund
Philanders, besteht auf der These, daB die Ertrunkenen alle
notwendig ein und dasselbe , Geburtszeichen" gehabt haben
müBten, denn die ,Nativitat" bestimme Lebenslauf und Lebensende.
Doch in der Gegenargumentation Philanders tritt zutage, daB mehr
gemeint ist: Da ist einer von glückverheif3ender Geburt und unter
10) Ebenda. ,So fest wie eine Ma uer": durch magische Kraft unverwundbar.
1 1 ) Hanns Michael Moscherosch, Gesichte (wie Anm. 1 ) , S. 347-366.
12) Unter Raubern, hg. v. W. E. Schafer (wie Anm. 1), S. 28.
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dem Zeichen eines langen Lebens geboren, zieht aber in eine Stadt
oder wohnt schon in einer solchen, über die ein groj3es Unglück
verhiingt ist, wie zu unseren Zeiten über die Stadt Magdeburg. Der
wird mit der ganzen Stadt zugrunde gehen, wenn er auch noch so
gute Zeichen eines langen Lebens in seiner Geburtsstunde gehabt
hat. Wie oft sehen wir, daj3 durch eine allgemein eingerissene Pest
Leute wegsterben, die doch ihrer Geburtsstunde nach noch viele
Jahre hatten /eben konnen und sallen. Solches ist auch aus der
Heiligen Schrift bekannt, daj3 oft der Unschuldige wegen der Bosheit
des Schuldigen sein Leben lassen muj3te und frühzeitig sterben, den
es doch Gatt an der Seele nicht wird haben entgelten lassen. Es geht
also auch um Schuld und Unschuld des Einzelnen, um Bestrafung
und B elohnung durch Gott hier und im Jenseits, um Gottes
Gerechtigkeit bei der Zuteilung der menschlichen Lose. Für
Philander ist ein Zusammenhang nicht mehr erkennbar. Gottes
Gerechtigkeit bleibt im Kriegsgeschehen verborgen. Das war nun
allerdings ein zentraler Glaubensartikel, der hier ins Wanken kam.
Kein Wunder, daB der Erzahler die Diskussion abbricht, indem
er erklart: Dieses aber alles in meiner Einfalt zu ergründen oder zu
beschreiben ist mir unmoglich. Es ist auch nicht meinesWesens,
Willens und Vorhabens. Gelehrter Leute Urteil mochte ich dennoch
darüber horen.
Die Liste der Glaubenszweifel lieBe sich erweitern. In einem
besonderen Kapitel seiner Erzahlung artikuliert Moscherosch ein
besonderes Problem moderner Kriegsführung, das erst im Horizont
des bisher skizzierten Themenkreises sein Gewicht erhalt. Es geht
um die Wirkung von Feuerwaffen, von Geschützen aller Art(B) .
Dieses Thema hatte schon Erasmus von Rotterdam und Martin
Luther beunruhigt, stellte sich aber nun, in der Epoche der
Entwicklung einer durchschlagenden mauerbrechenden Artillerie,
wie sie besonders den franzosischen Armeen Ludwigs XIII. zur
Verfügung stand, mit neuer Scharfe. Moscherosch geht in seinem
Soldaten-Leben auf den Ursprung der SchieBtechnik überhaupt
zurück und stellt den Erfinder des Pulvers, den Monch Berthold
Schwarz (14. Jahrhundert ) , vor die imaginierte Gerichtsversammlung
altdeutscher Helden der germanischen Frühzeit, die noch mit dem
Speer in der Hand und dem Schwert in der Faust gekampft haben.
Die Anklager dieses Gerichts tragen vor: Wahrlich, was kann die
alte deutsche Tugend und Redlichkeit noch nützen, wenn der
allermiichtigste, kühnste Held stündlich sorgen muj3, daj3 auch der
allerschlimmste verzagteste Bosewicht und Bube ihm mit einer Kugel
von fern her und hinter einer Hecke verborgen das Leben nehmen
13) Ebenda S. 1 1 8-128.
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kann! Einer, der sonst wohl nicht das Herz hiitte, einem Helden nur
ins Gesicht zu sehen! Wie soli man nun noch einen Unterschied
machen konnen zwischen dem, der Kriegstugend hat und dem, der
keine hat, da ja solcher Weise ein feiger Kerl den beherztesten Mann
niederlegen und tbten kann! Da früher, zu unserer redlichen Viiter
Jahren noch Mann gegen Mann mit freier Faust und Stirn gegen Stirn
gefochten hat, und man mit den Augen hat sehen und erkennen
konnen, in wem wahre Tugend, Treue und Redlichkeit steckte! la,
wer ist schuld an so vieler Christenmenschen Blut als dieser
verdammte Monchf(l4). Die traditionellen Tugenden eines Soldaten,
korperliche Sti:irke und Gewandheit, Mut und Redlichkeit im
Kampf, sind im Angesicht der neuen Feuerwaffen nichts mehr wert.
Doch noch bedenklicher ist, daB die MassentOtungsinstrumente
keine Chance mehr lassen, Sterben und Tod eines Soldaten als
personliche, von Gott verhangte Bestimmung zu begreifen.
Doch erhebt sich für Moscherosch wie nach j edem Krieg die
Frage, ob Erfahrungen, die in extremen Situationen gemacht worden
sind, sich als Erfahrungsschatz überhaupt an künftige Generationen
weitergeben lassen. Moscherosch hat von dieser Schwierigkeit
gewuBt. Er hat es für notig gehalten, einem anderen Bericht über
den DreiBigj ahrigen Krieg eine Leseanweisung mitzugeben, die
!autet: !ch wünschte aber, wer dieses Werklein nach meinem
A bsehen recht lesen wollte, daj3 er sich fest einbilden konnte, als ob
er wiire mit Feindesvolk um und umgeben, konnte keinen Schritt
oder Tritt tun ohne Gefahr Lebens, müj3te sorgen, es stünde ein
Bluthund hinter ihm und wollte ihn niederstoj3en. Dürfte aus Furcht
zur Nacht nicht aus den Kleidern schlafen, sondern müj3te sich
befahren, der Feind stiege über die Mauern und würde ihm und den
Seinigen plotzlich den Hals abstechen. In summa: In Angst stehen
müj3te, als sollte er diese Stunde nicht nur ermordet, sondern mit
vielerlei Plagen und Martern, Pein und Qual, dreifach getbtet werden.
Wenn er sich dieses alles und noch mehr fest einbilden konnte, dann
würde er unserer Not, darin ich dieses schreibe, zum Teil verstehen
mogen. Denn alles Etend zu erziihlen ist unmoglich. Das aber, was
ich erziihlen kann, zu verstehen, ohne selbst eigene Erfahrung, ist
kaum moglich(l5).
Walter Ernst SCH ÂFER
14) Ebenda S. 123.
15) J. M. Moscherosch, Insomnis Cura Parentum. Abdruck der ersten Ausgabe ( 1 643) , hg.
v . L. Pariser, Halle an der Saale 1 893, S. 1 5 .
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Résumé
JOHANN MICHAEL MOSCHEROSCH :
CHRONIQUES D E GUERRE DANS LE WESTRICH
Johann Michael Moscherosch (1601 -1669) , le satiriste allemand
le plus connu du XVIIe siècle, fut de 1 636 à 1641 bailli attaché aux
services de seigneurs allemands en Lorraine, d'abord à celui du
comte Pierre-Ernest de Créhange, ensuite celui du duc Ernest­
Bogislav de Croy-Arschot à Fénétrange. L'exercice de sa charge a
été assombri, surtout à l'époque où il était à Fénétrange, après la
défaite des forces protestantes devant Nordlingen en 1 634, par des
attaques suivies de pillages, des sièges, la famine, les épidémies, des
intrigues et les assassinats. Il a fixé toutes ces expériences éton­
nantes dans « Soldaten-Leben » ( Vie de soldat ) , le dernier de ses
quatorze récits intitulés Gesichte Philanders von Sittewalt. Le texte
rapporte les agissements d'une bande de maraudeurs croates dans
les régions dévastées du Westricht sur les rives de la Sarre et de la
Moselle dans les années 1 635-1641 . Le récit n'a rien d'un exposé de
faits historiques, cependant l'auteur, par le biais du héros Philander
qui prend sa place, a su faire état dans son texte de ce qu'il a vécu
lui-même. Dans leurs conversations, les personnages mis en scène,
essentiellement des paysans victimes des pilleurs et des tortion­
naires et des bourgeois habitant les villes dévastées telles que
Sarrebruck, donnent de précieuses indications sur les causes de la
guerre et le fondement de la cruauté bestiale dont fait preuve la sol­
datesque de tous bords. C'est ainsi que le récit devient un tableau
saisissant de la Guerre de Trente Ans entrée dans sa phase finale.
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