Kleinwuchs infolge vorgeburtlicher
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Kleinwuchs infolge vorgeburtlicher
Novo Nordisk Pharma GmbH und Pfizer Pharma GmbH erstellt. Weitere Informationen zum Thema SGA und Wachstumshormon finden Sie unter den jeweiligen Internetadressen. Novo Nordisk Pharma GmbH Pfizer Pharma GmbH Brucknerstraße 1 Pfizerstraße 1 55127 Mainz 76139 Karlsruhe Telefon 0800 / 1115728 Telefon 0721 / 6101-9899 Telefax 06131 / 903-250 Telefax 0721 / 6101-9258 www.novonordisk.de www.pfizer.de Art.-Nr. 920577 Druckerei: Druckzentrum Lang Version: Juni 2007 Auflage: 2000 Diese Broschüre wurde mit freundlicher Unterstützung der Firmen ERSTINFORMATION ZUM THEMA : Kleinwuchs infolge vorgeburtlicher Wachstumsverzögerung Mein Kind ist immer noch zu klein – warum? Inhalt Vorwort 3 1. Johanna – Werdegang eines Wunschkindes 4 2. Begriffserläuterungen/Definitionen 10 2.1 Was bedeutet „SGA“ und „IUGR“? 11 2.2 Welche Ursachen sind bisher für einen Kleinwuchs infolge vorgeburtlicher Wachstumsverzögerung bekannt? 15 2.3 Probleme in der Neugeborenenzeit 18 2.4 Wie wachsen die Kinder nach der Geburt? 19 Wir danken den Autoren Dipl. Psych. Dr. Meinolf Noeker Zentrum für Kinderheilkunde der Universität Bonn Adenauerallee 119 53113 Bonn [email protected] 3. Möglichkeiten der Behandlung des Kleinwuchses infolge SGA 24 3.1 Gibt es Nebenwirkungen der Wachstumshormon-Behandlung? 27 4. Seelische und geistige Entwicklung von Kindern mit SGA 28 4.1 Umgang mit dem Kleinwuchs und psychische Entwicklung 28 Prof. Dr. Hartmut Wollmann Universitäts-Kinderklinik Tübingen Wilhelmstraße 44 72074 Tübingen [email protected] 4.2 Erfahrung von Hänseleien 29 4.3 Hinweise zur Unterstützung des Kindes 31 4.4 Unterscheiden lernen 33 Juni 2007 Vorwort 5. Mögliche Lernprobleme und geistige Entwicklung 5.1 SGA-bedingte Beeinträchtigungen im Rahmen der allgemeinen Intelligenzentwicklung 34 Johanna ist so fröhlich und lebhaft, wie ein 13-jähriges Mädchen eben sein kann. Doch das war nicht immer so. Bei ihrer Geburt war Johanna 38,5 Zentimeter lang und 1540 34 Gramm schwer. In der 37. Schwangerschaftswoche wurde sie per Kaiserschnitt geboren, denn die Ärzte hatten festgestellt: Johanna wächst nicht mehr. Vier Jahre lang wussten 5.2 Gemeinsame Ursachen von Wachstums- und Entwicklungsverzögerung 35 5.3 Professionelle Beratung und Förderung 37 5.4 Alltagsbezogene Förderung 38 6. Glossar 42 7. Weitere Beratung 44 die Kinderärzte nicht was ihr fehlt. Endlich wurde dann aber die Diagnose in der Uniklinik gestellt: Johanna gehört zu den kleinwüchsigen Kindern. „Viele Kinderärzte vertrösteten uns mit dem Hinweis, unsere Tochter wachse sicher noch, sie sei halt ein Spätentwickler“, erinnert sich die Mutter von Johanna. Johanna ist heute 13 Jahre alt und bereits 155 Zentimeter groß. Sie erhält seit einigen Jahren eine Wachstumshormontherapie und wird wie die meisten Kinder, die frühzeitig eine solche Behandlung erhalten, ihre „normale“ Körperhöhe erreichen. Die Broschüre möchte den Eltern von zu klein geborenen Kindern helfen, ihre Fragen zu beantworten und damit ein Stück Sicherheit und Vertrauen gegenüber den modernen therapeutischen Möglichkeiten vermitteln. 3 1. Johanna – Werdegang eines Wunschkindes Als ich schwanger wurde, ging mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. Ich war in den ersten vier Monaten sehr glücklich und genoss meine Schwangerschaft. Dann hatte ich plötzlich das Gefühl, dass mit meinem Kind etwas nicht stimmte, was dann auch durch verschiedene Ultraschalluntersuchungen bestätigt wurde: Es war zu klein, hatte zu wenig Fruchtwasser und bewegte sich zu wenig. Nach einem kurzen „Leidensweg“ durch zwei Kliniken kam ich schließlich zur Beobachtung auf die pränatale Station eines Hamburger Krankenhauses. Hier wurde mittels Ultraschall die Versorgungssituation meines Kindes ständig überwacht. Zehn lange Wochen verbrachte ich auf dieser Station, in ständiger Angst um mein Kind und umgeben von Schwangeren in ähnlicher Situation. Es war eine immens belastende, aber auch eine sehr intensive Zeit, da ich eigentlich den ganzen Tag in Gesprächen mit meinem Kind verbrachte, ihm vorsang und mir in Fantasiereisen unter der Anleitung einer Psychologin unsere gemeinsame Zukunft vorstellte. In der 37. Schwangerschaftswoche wurde ich dann auf eigenen Wunsch in eine Klinik in der Nähe meines Heimatortes verlegt, da die Ärzte damit rechneten, dass die Geburt nun kurz bevorstand. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Gewicht meines Kindes auf 1200-1700 g geschätzt, ein Gewicht, mit dem ihm gute Überlebenschancen eingeräumt wurden. Johanna wurde am 21. Juli 1992 per Notkaiserschnitt mit einer Länge von 38,5 cm und einem Gewicht von 1540 g geboren. Es war eine traumatische Geburtsnacht, in der ich stundenlang nichts über mein Kind erfuhr: „Es ist ein Mädchen und ein bisschen klein.“ Als ich am nächsten Morgen die Intensivstation aufsuchte, hatte Johanna ihre Augen noch geschlossen. Sie war völlig verkabelt, die Elektroden des Überwachungsgerätes wirkten riesig auf ihrem winzigen Körper und in ihrer Nase steckte ein Beatmungstubus. Der war mit vielen Pflastern fixiert, dass man von ihrem Gesicht fast nichts sah. Dennoch war ich selig, sie lebendig zu sehen, denn mehr hatte ich während der Schwangerschaft kaum zu hoffen gewagt. Und endlich gab es auch jemanden, der mir gratulierte: Der Chefarzt nahm mich in den Arm und sagte: „Herzlichen Glückwunsch Frau Rosen, haben Sie nicht ein hübsches Baby?“ Und ich war sicher, dass er das auch so meinte. In den nächsten Tagen ging es ihr schrittweise immer besser: Der Sauerstoffgehalt und die Beatmungsfrequenz konnten reduziert werden. Ab dem vierten Tag erhielt sie über eine Magensonde 8-mal am Tag je 0,5 ml Muttermilch und ihr Allgemeinzustand stabilisierte sich zusehends. Dennoch dauerte es noch sehr lange, bis sie endlich selbstständig atmen konnte. Erst nach 10 Wochen konnte der Tubus entfernt werden, der wegen der Gefahr des Zurückfallens ihrer Zunge noch so lange benötigt wurde. Es war ein wunderbarer Moment, als ich nach so langer Zeit endlich die Stimme meiner Tochter hören konnte. 4 5 Johanna – Werdegang eines Wunschkindes Zu diesem Zeitpunkt wog sie 1800 g und erhielt per Magensonde 8-mal am Tag 30 ml Muttermilch. Sie nuckelte an einem kleinen, abgeschnittenen Frühchensauger, den wir mit Watte ausgestopft hatten und lag in ihrem Inkubator. Hier lag neben diversen Spielsachen auch ein Teddybär, aus dessen Bauch ein Walkman mit Endlosband meine Herztöne spielte, wenn ich mal nicht da sein konnte. Nun folgte eine sehr lange Zeit, die durch ein ständiges Auf und Ab von guten Tagen mit Gewichtszunahme bei ihr und guter Laune bei mir und schlechten Tagen mit Infektionen bei ihr und viel Angst bei mir geprägt war. Sie erhielt wegen ihrer starken Hypotonie eine Therapie nach Vojta1 und nach einigen Monaten gab es dann die ersten Fütterungsversuche mit der Flasche, die anfangs sehr frustrierend ausfielen. Inzwischen hatte ich erfahren, dass sie kleinwüchsig ist und ich begann mir Literatur zu besorgen. Ich nahm Kontakt zu Selbsthilfeorganisationen auf, telefonierte mit ebenfalls betroffenen Eltern. Schließlich wagte ich es, zu Hause ein Kinderzimmer einzurichten, da ich nun damit rechnen konnte, dass sie schon bald mit nach Hause kommt. Das Warten auf die Entlassung war eine Geduldsprobe, aber am 7. Januar 1993 war es dann endlich so weit: Im Alter von 5 Monaten und 17 Tagen durfte Johanna nach Hause. Zu diesem Zeitpunkt wog sie 3030 g, war 50 cm lang, trank pro Mahlzeit zwischen 20 und 50 ml, konnte Arme und Beine bewegen und in Bauchlage den Kopf drehen. Sie erhielt nun Frühförderung von der Lebenshilfe und Krankengymnastik nach der Bobath-Methode2. Ende Januar wurde die Magensonde gezogen und sie musste von nun an alle benötigte Nahrung selbstständig trinken. Die Fütterungszeiten gerieten für beide Seiten zum Vollstress. Es gab Tage, an denen ich nach stundenlangen vergeblichen Versuchen, sie mit ausreichenden Milchmengen zu füttern, vor Verzweiflung und Wut die Flasche in die Ecke warf. 6 Das komplexe Diagnostik- und Therapiesystem wurde in den 60er Jahren von dem Kinder- und Erwachsenenneurologen Dr. Vojta, der seit 1975 im Kinderzentrum München tätig ist, entwickelt. (Fortsetzung siehe Glossar) 1 Ihre motorische Entwicklung schritt nur langsam voran. Im Alter von gut einem Jahr konnte sie sich vom Bauch auf den Rücken drehen, im Alter von 14 Monaten allein sitzen und kurz danach auch rollen. Mit 18 Monaten konnte sie das erste Wort sprechen und mit 2 Jahren allein laufen. Im Vergleich zu anderen gleichaltrigen Kindern war sie in ihrer Entwicklung weit zurück. Ich lernte in dieser Zeit, den Vergleich mit anderen Kindern aufzugeben und nur ihre persönlichen Fortschritte zu sehen. Dennoch war es manchmal schwer für mich, „normale“ Babys mit Speckrollen anzusehen oder die immer gleiche Begrüßung meines Nachbarn, „Wann gibst du deinem Kind endlich genug zu essen?“, zu ertragen. Als Johanna vier Jahre alt war, kam sie – gegen den Widerstand der Lebenshilfe, die sie in einen Sonderkindergarten eingliedern wollte – in eine integrative Kindergartengruppe, in der sie sich sehr wohl fühlte. Sie machte Fortschritte im motorischen und sprachlichen Bereich und holte Entwicklungsrückstände langsam aber stetig auf. Auch das Ernährungsproblem wurde langsam besser. Es kam sogar gelegentlich vor, dass sie gern aß – vor allem Nudeln! Das Bobath-Konzept strebt einen Lernprozess des Patienten an, um mit ihm die Kontrolle über die Muskelspannung (Muskeltonus) und Bewegungsfunktionen wieder zu erarbeiten. (Fortsetzung siehe Glossar) 2 7 Johanna – Werdegang eines Wunschkindes Über die Seminare der Arbeitsgemeinschaft SRS / IUGR (Silver-Russell-Syndrom/ Intrauterine Wachstumsretardierung) des BKMF3 hatte ich inzwischen auch von der Möglichkeit gehört, intrauterinen Kleinwuchs mit Wachstumshormon zu behandeln. Ich habe damals viel darüber nachgedacht und zunächst die Entscheidung getroffen, für Johanna keine Behandlung zu beantragen. Ich wollte sie so akzeptieren wie sie ist und es wäre mir als Verrat vorgekommen, sie mit einem Medikament größer machen zu wollen. Stattdessen habe ich es mir zum Ziel gesetzt, sie „von innen heraus“ groß zu machen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihr immer wieder zu zeigen, dass ich sie so liebe, wie sie ist. Sie war beliebt im Kindergarten, hatte viele Freunde, auch bei uns im Dorf, und wurde entgegen der Voraussage des Kindergartens, „Wir haben es noch nie geschafft, eines unserer integrativen Kinder in die Regelschule einzuschulen“, im August 1999 in eine Grundschule eingeschult. Damals war sie 7 Jahre alt, wog 12 Kilogramm und war 102 cm groß. Es gab zwar „technische Probleme“ (der 8 3 BKMF – Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. Schulranzen war zu schwer, der Tisch eigentlich zu groß und der Kleiderhaken zu hoch…), aber dennoch war sie von Anfang an in ihrer Klasse integriert. Sie fand Freunde und fühlte sich in ihrer Schule sehr wohl. Trotzdem kam ihr wohl in diesen Jahren zu Bewusstsein, dass sie deutlich kleiner ist als andere Kinder und als wieder einmal das Thema Wachstumshormonbehandlung diskutiert wurde und wir die Möglichkeit sahen, dass sie im Rahmen einer Studie behandelt werden könnte, haben wir diese Chance ergriffen. Vor allem, weil sie es selbst gern wollte. Wenn ich mich heute frage, ob ich es im Nachhinein bereue, mich vor einigen Jahren zunächst gegen die Wachstumshormonbehandlung entschieden zu haben, bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dass Zentimeter allein nicht ausschlaggebend für die wirkliche Größe eines Menschen sind und ich glaube, dass auch Johanna das weiß. Sie ist bis heute einen schwierigen Weg gegangen, aber sie hat ihn gemeistert. Sie musste sich oft viel mehr anstrengen als andere, aber sie hat deswegen nie aufgegeben. Sie ist erfolgreich in der Schule, spielt Badminton, fährt Ski und hat viele Hobbys. Als ich in den ersten Monaten sah, wie viele Schmerzen sie schon als so kleines Kind ertragen musste, habe ich oft gedacht, sie würde vielleicht niemals lachen können. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie ist ein fröhlicher und offener Mensch geworden, der Vertrauen in sich selbst und andere Menschen hat. Und sie ist in all diesen Jahren immer mein Wunschkind geblieben! Ursula Rosen, Räbke 9 2. Begriffserläuterungen/Definitionen Die kontinuierliche Überprüfung der zentralen Lebensfunktionen des heranwachsenden Embryos ist von großer Bedeutung für die Einschätzung des Entwicklungsstadiums und die Abschätzung möglicher Risiken für Mutter und Kind. Im Allgemeinen verläuft dieser Entwicklungsprozess in der Schwangerschaft zufrieden stellend und endet mit der Geburt eines gesunden, normal entwickelten Kindes. 5 % aller Kinder in Deutschland werden jedoch zu klein und/oder zu leicht für das entsprechende Schwangerschaftsalter geboren. Dabei werden häufig verschiedene Begriffe zur Beschreibung dieser Entwicklungsverzögerung benutzt: 2.1 Was bedeutet „SGA4“ und „IUGR5“? Die vorgeburtliche Entwicklung eines menschlichen Lebewesens ist genauso wie letztlich die Geburt des Kindes ein ganz spezielles Ereignis für die Eltern und Familienangehörigen. Die Ultraschallfotos werden explizit untersucht und angeschaut, der Gesundheitszustand der Mutter ständig kontrolliert, die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten in der Familie dokumentiert. 10 Die Abkürzung „SGA“ leitet sich vom englischen Begriff „Small for Gestational Age“, übersetzt: „zu klein für das Schwangerschaftsalter“, ab und beschreibt ein Neugeborenes, dessen Geburtsmaße (Geburtsgewicht und/oder Geburtslänge) geringer sind, als man es für die Schwangerschaftsdauer erwartet. Abhängig von der Definition haben 3 % aller Neugeborenen eine zu geringe Geburtslänge. Dasselbe gilt für das Geburtsgewicht. In einer Wachstumskurve (Perzentile) ausgedrückt, bedeutet dies, das Neugeborene liegt mit seinen Geburtsmaßen unter der 3. Perzentile (Wachstumskurve). e ngl. small for gestational age – zu klein für das Schwangerschaftsalter, beschreibt Neugeborene, deren Körpergewicht und/oder Körperlänge zum Zeitpunkt der Geburt, in Abhängigkeit vom Schwangerschaftsalter unter der 3. Perzentile liegen. 5 engl. intrauterine growth retardation – Wachstumsverzögerung, beschreibt den Wachstums- und Entwicklungszustand des Feten während der Schwangerschaft. 4 11 Begriffserläuterungen/Definitionen Perzentilen für die Körperhöhe von Mädchen (cm) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Perzentilen für die Körperhöhe von Jungen 12 13 14 15 16 17 18 Jahre 200 200 190 190 97 % 90 % 75 % 50 % 25 % 10 % 3% 180 170 160 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Jahre 97 % 90 % 75 % 50 % 25 % 10 % 3% 160 150 140 130 130 120 110 110 100 100 90 90 80 80 70 70 60 60 50 50 Manche Autoren nennen für die Zugehörigkeit zur SGA-Gruppe auch das Einschlusskriterium der 10. Perzentile. Dies ist in den meisten Fällen dann von Interesse, wenn der behandelnde Arzt (meist der Neonatologe) die 2 170 140 3. Perzentile 1 180 150 120 12 (cm) 3. Perzentile I. Brandt: Der Kinderarzt 11, 43-51 (1980); L. Reinken et al.: Klin. Padiatr. 192, 25-33 (1980) Risiken des Kindes nahe dem Geburtstermin erfassen möchte. Die zu erwartenden Spätfolgen (wie z. B. fehlendes Aufholwachstum) für das Neugeborene werden eher über die 3. Perzentile definiert. 13 Begriffserläuterungen/Definitionen LGA SGA und IUGR +2 SD Körperlänge/Gewicht IUGR aber nicht SGA 0 SD SGA aber nicht IUGR AGA Zusammenfassend basiert der Begriff SGA ausschließlich auf den Geburtsmaßen. Er beschreibt die Geburtsmaße zum Zeitpunkt der Geburt und lässt Rückschlüsse auf den Schwangerschaftsverlauf offen. Ein anderer, ebenfalls häufig verwendeter Begriff leitet sich vom englischen Begriff „Intrauterine Growth Retardation“, (IUGR), übersetzt: „vorgeburtliche (intrauterine) Wachstumsverzögerung“ ab und beschreibt die Wachstumsstörung, die z. B. mittels einer Ultraschalluntersuchung bereits vor der Geburt nachgewiesen wurde. –2 SD SGA Der Begriff IUGR erfasst also diejenigen Kinder mit nachgewiesener vorgeburtlicher Wachstumsstörung, während SGA auch die Kinder umfasst, die völlig gesund geboren werden, aber etwas zu klein sind. SGA ist damit der umfassendere Begriff. Die IUGR-Kinder stellen eine Untergruppe der SGA-Kinder dar. Andere Begriffe für zu klein geborene Kinder wie primordialer Kleinwuchs oder Dystrophie sollten nicht mehr verwendet werden. 2.2 W elche Ursachen sind bisher für einen Kleinwuchs infolge vorgeburtlicher Wachstumsverzögerung bekannt? Schwangerschaft Geburt LGA – zu groß für das Schwangerschaftsalter AGA – entsprechend dem Schwangerschaftsalter SGA – zu klein für das Schwangerschaftsalter 14 Zahlreiche Ursachen können dafür verantwortlich sein, dass ein Kind bei Geburt zu klein und/oder zu leicht ist. Von Seiten des Kindes können zum Beispiel genetische Störungen (Silver-Russell-Syndrom, Down-Syndrom) oder andere angeborene Fehlbildungen (schwere Herzfehler, Nierenfehlbildungen, andere Organfehlbildungen) für eine vorgeburtliche Wachstumsverzögerung verantwortlich sein. Sicherlich gibt es auch eine große Zahl von weiteren genetischen Störungen, die bis heute noch nicht diagnostiziert werden können. 15 Begriffserläuterungen/Definitionen Eine Störung der Plazentafunktion6 mit unzureichender Versorgung des ungeborenen Kindes mit Nährstoffen und Sauerstoff wird insbesondere im 3. Teil der Schwangerschaft häufig als Ursache für ein Zurückbleiben von Geburtsgewicht und/oder Geburtslänge verantwortlich gemacht. Häufig findet sich bei Geburt eines SGAKindes eine sehr kleine Plazenta, die z. B. Verkalkungen aufweist. Wahrscheinlich ist eine Unterfunktion der Plazenta und damit eine Mangelversorgung des Kindes die häufigste Ursache für eine Wachstumsretardierung. Bei gerade noch ausreichender Versorgung haben diese Kinder noch eine normale Körperlänge und auch einen normalen Kopfumfang, sind allerdings sehr mager und haben fast kein Körperfett. In schwerwiegenden Fällen bleibt auch das Längenwachstum zurück und in Einzel fällen kann die Mangelversorgung auch zum vorzeitigen Tod des Kindes führen. 16 6 lat. placenta – Kuchen, Mutterkuchen, scheibenförmiges Organ von 15 – 20 cm Durchmesser, 2 – 4 cm Dicke und ca. 500 g Gewicht; dient der Ernährung des Feten durch Austausch von Stoffwechselprodukten und Gasen zwischen mütterlichem und fetalem Blut. Es ist deshalb manchmal erforderlich, bei sehr schlechtem Zustand des Kindes die Schwangerschaft durch einen Kaiserschnitt vorzeitig zu beenden. Auch verschiedenartige Erkrankungen der Mutter (chronische und akute Infektionen, Blutarmut, Bluthochdruck etc.) können für eine vorgeburtliche Wachstumsretardierung verantwortlich sein. Eine besondere Bedeutung – da im Grunde vermeidbar – kommt dem mütterlichen Rauchen zu. Rauchen ist in den entwickelten Ländern bis zu 40% die häufigste Ursache für die Geburt von zu kleinen Kindern. In armen Ländern ist dagegen die Mangelernährung der Mutter die häufigste Ursache für ein bei Geburt zu kleines Kind. Der Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft ist besonders gefährlich, da die betroffenen Kinder nicht nur zu klein und zu leicht sind, sondern häufig Fehlbildungen aufweisen und in ihrer geistigen Entwicklung beeinträchtigt sind. Missbrauch anderer Drogen kann ebenfalls für eine SGA-Geburt verantwortlich sein, ist jedoch bei uns relativ selten. Neben diesen genannten Faktoren haben auch das Alter der Mutter bei Schwangerschaftseintritt und die ethnische Herkunft einen gewissen Einfluss auf den vorgeburtlichen Wachstumsprozess. Andererseits gehören zu der Gruppe der SGA-Kinder auch völlig gesunde, allerdings etwas kleinere Kinder, die gewissermaßen den unteren Bereich der Norm auf der Perzentilkurve ausfüllen. Das sind Kinder, die die Grenze zur 3. Perzentile mit ihrer Körperlänge und/oder ihrem Körpergewicht nicht erreichen. 17 Begriffserläuterungen/Definitionen 2.3 Probleme in der Neugeborenenzeit 2.4 Wie wachsen die Kinder nach der Geburt? Die meisten SGA-Kinder haben in der Neugeborenenzeit keine besonderen Probleme. Trotzdem werden diese Kinder von den Ärzten besonders gut überwacht, da das Risiko für Unterzuckerungen (Hypoglykämie7) erhöht ist, insbesondere wenn die Kinder schlecht trinken. Manche Kinder haben Probleme durch eine Eindickung des Blutes (Polyglobulie8), die sich bei gutem Trinken jedoch rasch normalisieren. Auch das Infektionsrisiko ist für diese Kinder erhöht und führt dazu, dass als Vorsichtsmaßnahme eine engmaschige spezielle ärztliche Versorgung in Betracht gezogen wird. Erfreulicherweise zeigen die meisten Kinder (bis zu 90%) nach der Geburt ein rasches Aufholwachstum für die Körperlänge und das Körpergewicht und kompensieren damit das vor Geburt zu langsame Wachstum. Dieses Aufholwachstum ist ein sehr früher Prozess, er beginnt wenige Wochen nach der Geburt. Schon innerhalb der ersten Monate kann man das Aufholwachstum messen, es ist in der Regel bis zum 2. Lebensjahr abgeschlossen. Die Kinder sind dann – sowohl bezogen auf die durchschnittliche Größe der Bevölkerung als auch für ihre Familie normal groß und normal schwer und unterscheiden sich nicht von den Kindern, die bei Geburt normal groß waren. Die Kinder allerdings, die kein Aufholwachstum zeigen (10 – 15%) oder bei denen das Aufholwachstum nur unvollständig abläuft, bleiben im Säuglings- und Kindesalter zu klein. Häufig sind diese Kinder untergewichtig und mager, wollen nicht trinken oder trinken nur geringe Mengen. Entsprechend ist auch das Körpergewicht geringer als bei gleichaltrigen Kindern. Eine ausreichende Ernährung, insbesondere im Säuglings- und frühen Kindesalter ist Voraussetzung für ein Aufholwachstum. Der Einfluss der Ernährung auf das Wachstum wird allerdings mit zunehmendem Alter geringer. Bisher gibt es kein zuverlässiges Verfahren, bei Geburt vorherzusagen, ob ein SGA-Kind noch spontan wachsen (Aufholwachstum) wird oder nicht. 7 18 8 Hypoglykämie – Zustand, der durch Unterzuckerung entsteht. Polyglobulie nennt man eine erhöhte Erythrozytenzahl oder Hämoglobinkonzentration im Blut. Im Blutbild findet sich ein erhöhter Hämatokritwert. 19 Begriffserläuterungen/Definitionen Wichtig ist in allen Fällen eine sorgfältige und regelmäßige Messung des Kindes beim Kinderarzt. Die Messdaten müssen in einem entsprechenden Perzentilenblatt9 (Wachstumskurve) dokumentiert werden. Wenn ein SGA-Kind nach dem 2. Geburtstag noch zu klein ist, kann nicht mehr mit einem spontanen Aufholwachstum gerechnet werden. Dieses Kind wird höchstwahrscheinlich während der ganzen Kindheit zu klein bleiben und auch die Erwachsenengröße wird im Vergleich zu dem, was man bei gegebener Elterngröße erwarten kann, reduziert sein. Eine schwedische Studie konnte zeigen, dass diese Kinder im Durchschnitt um 11 cm kleiner blieben, als man es – basierend auf der Elterngröße – erwartet hätte. Damit stellt die vorgeburtliche Wachstumsverzögerung eine häufige Ursache für den Kleinwuchs bei Erwachsenen dar. Entsprechend konnte gezeigt werden, dass nahezu bei 20% der kleinwüchsigen Erwachsenen die geringe Geburtslänge Ursache des Kleinwuchses war. Für sehr unreife, frühgeborene Kinder (Geburt vor der 32. Schwangerschaftswoche) ist die Situation noch komplizierter: Der Anteil der SGA-Kinder in dieser Gruppe ist im Vergleich zu Termingeborenen erhöht. 30 bis 50% aller dieser Kinder sind auch bezogen auf den frühen Geburtstermin noch zu klein, also nicht nur „frühgeboren“, sondern zusätzlich „SGA“. Allgemein geht man davon aus, dass das Aufholwachstum bei diesen Kindern längere Zeit in Anspruch nehmen kann, z. B. bis zum 4. Lebensjahr. 9 20 P erzentilen sind Prozentlinien, die auf der Basis von immer wiederkehrenden Messungen der Körperlänge und -höhe aber auch für das Gewicht erstellt werden. Danach wird die 50. Perzentile als Mittelwert gleichbedeutend mit dem Normwert definiert. Wenn ein Kind unter der 3. Perzentile für die Körperhöhe liegt, dann liegen nur noch 3% der Kinder dieser Altersklasse darunter. Sollte ein Kind über der 97. Perzentile liegen, so befinden sich 97% der Kinder gleichen Geschlechtes und Alters unter diesem Wert. Für den Kinderarzt und die betroffenen Eltern leitet sich daraus folgende Empfehlung ab: Neugeborene, die mit ihrer Körperlänge und/oder dem Körpergewicht mehr als 2 Standardabweichungen unter der Norm liegen (dies entspricht ziemlich genau der 3. Perzentile) bedürfen in der frühen Kindheit besonderer Aufmerksamkeit. · Die Längen- und Gewichtszunahme muss sorgfältig und engmaschig dokumentiert werden; die Messung der Körperlänge eines Säuglings erfordert 2 Personen sowie eine geeignete Messschale. Ein typischer Wachstumsverlauf für ein Kind mit bzw. ohne Aufholwachstum ist auf der folgenden Seite gezeigt. · Sind die Kinder im Alter von 2 Jahren normal lang/schwer, ist in Bezug auf das weitere Wachstum keine besondere Überwachung mehr erforderlich. · Sind die Kinder im Alter von 2 Jahren immer noch zu klein, ist das Risiko für einen permanenten Kleinwuchs im Kindes- und Erwachsenenalter deutlich erhöht. Ein spontanes Aufholwachstum ist dann nicht mehr zu erwarten. Eine Untersuchung durch einen Spezialisten für Hormon- und Wachstumsstörungen im Kindesalter (Kinderendokrinologe, meist an größeren Kliniken und Universitäten) ist zu empfehlen. · Da diese Kinder etwas häufiger als andere eine Entwicklungsverzögerung zeigen und im Schulalter häufiger an Konzentrationsmangel und Hyperaktivität (ADS) leiden, ist eine sorgfältige Entwicklungsdiagnostik und ggf. Frühförderung zu empfehlen. Hinweise dazu lesen Sie im folgenden Kapitel. 21 Begriffserläuterungen/Definitionen Wachstumsverlauf eines Jungen Wachstumsverlauf eines Jungen mit Aufholwachstum ohne Aufholwachstum Körperlänge (cm) Körperlänge (cm) 100 100 95 97 % 90 % 75 % 50 % 25 % 10 % 3% Körperlänge 90 85 80 97 % 90 % 75 % 50 % 25 % 10 % 3% Körperlänge 90 85 80 75 75 70 70 65 65 60 60 55 55 Junge A 50 50 45 45 40 40 35 Junge B 35 1 3 6 9 12 15 18 21 24 Alter (Monate) 22 95 1 3 6 9 12 15 18 21 24 Alter (Monate) 23 3. Möglichkeiten der Behandlung des Kleinwuchses infolge SGA Ist ein SGA-geborenes Kind im Alter von 2 Jahren noch zu klein, sollte eine Untersuchung durch einen Spezialisten für Wachstumsstörungen (Kinderendokrinologe) erfolgen. Dieser wird andere Ursachen für den Kleinwuchs ausschließen (chronische Infektionen, Unverträglichkeiten wie Zöliakie10, hormonelle Störungen, angeborene Syndrome, Organerkrankungen etc.), die Wachstumsgeschwindigkeit des Kindes über einen Zeitraum von 9 – 12 Monaten beobachten, dokumentieren und mit den Eltern die Möglichkeit einer WachstumshormonBehandlung diskutieren. In der Regel ist bei kleinwüchsigen SGA-Kindern eine Behandlung mit Wachstumshormon indiziert, wenn sie P mindestens 4 Jahre alt sind P die Wachstumsgeschwindigkeit unter dem Durchschnitt liegt (was ein spontanes Aufholwachstum ausschließt) P ein ausgeprägter Kleinwuchs vorliegt (Körperhöhe liegt mehr als 2,5 Standardabweichungen unter dem Durchschnitt oder weit unter der 3. Perzentile. Dies bedeutet für ein 4-jähriges Kind eine Körperhöhe von weniger als 95 cm; gleichaltrige Kinder haben eine durchschnittliche Körperhöhe von etwa 104 cm) Die Behandlung erfolgt dann durch die tägliche Injektion von Wachstumshormon, in der Regel mit Hilfe eines Injektionsgerätes (Pen). Das Verfahren ist fast schmerzfrei und kann ohne Probleme zu Hause von den Eltern oder dem Kind selbst durchgeführt werden. Halbjährliche Vorstellungen in der Spezialambulanz sind erforderlich. Hier sollte der Kinderendokrinologe regelmäßig die Körperhöhe messen und damit die Wachstumsgeschwindigkeit berechnen 24 10 Gluteninduzierte Darmerkrankung im Kindesalter. Bei der Zöliakie kann das in vielen Getreideprodukten vorhandene Gluten nicht verdaut werden, sodass in der Folge die Dünndarmschleimhaut stark geschädigt wird. Die Therapie besteht in einer glutenfreien Diät. und entsprechende Hormonparameter erheben. Die weitere Betreuung des Kindes erfolgt durch den Kinderarzt. Unter der Behandlung zeigen die meisten Kinder ein rasches Aufholwachstum, meist verdoppelt sich die Wachstumsgeschwindigkeit im ersten Jahr. Nach 2 – 3 Jahren hat die Mehrheit der Kinder eine Körperhöhe im Normalbereich erreicht; diejenigen, die bei Behandlungsbeginn sehr klein sind, brauchen dafür aber länger. Der Effekt der Behandlung ist besser bei jüngeren Kindern und bei denjenigen, die eine höhere Dosis Wachstumshormon erhalten. Die Behandlung sollte bis zum Erreichen der Erwachsenenendgröße fortgesetzt bzw. beendet werden, wenn die Wachstumsgeschwindigkeit kleiner als 2cm/Jahr beträgt. Unterbricht man die Behandlung nach Erreichen einer normalen Körperhöhe, wachsen die Kinder in der Folgezeit sehr langsam und verlieren einen Teil des gewonnenen Längenwachstums. Sollte sich nach einjähriger Behandlung zeigen, dass das Kind auf die Behandlung nicht gut anspricht (d. h. nicht genügend 25 Möglichkeiten der Behandlung des Kleinwuchses infolge SGA Aufholwachstum zeigt), muss die Notwendigkeit der Behandlung mit dem Kinderendokrinologen erneut diskutiert werden. Es muss überprüft werden, ob die Behandlung richtig durchgeführt wird und ob nicht doch eine andere Ursache für den Kleinwuchs des Kindes gefunden werden kann. Daten aus klinischen Studien zeigen, dass durch die Wachstumshormon-Behandlung nicht nur die Körperhöhe während der Kindheit normalisiert wird, sondern auch ein Zugewinn an Endgröße erreicht werden kann. Damit haben die behandelten Kinder (bei rechtzeitigem Therapiebeginn) die Chance, nicht nur während der Schulzeit normal groß zu werden, sondern auch eine für ihre Familie normale Endgröße zu erreichen. 26 3.1 Gibt es Nebenwirkungen der Wachstumshormon-Behandlung? Insgesamt ist die Behandlung mit Wachstumshormon nebenwirkungsarm. Dies zeigen große, internationale Datensammlungen, die Behandlungsdaten von mehr als 62.000 Kindern beinhalten. Kleinwüchsige SGA-Kinder werden im Rahmen von klinischen Studien schon mehr als 10 Jahre behandelt. Die Art und Häufigkeit der Nebenwirkungen unterscheiden sich nicht von anderen mit Wachstumshormon behandelten Kindern. Die Befürchtung, eine Wachstumshormon-Behandlung könnte einen ungünstigen Einfluss auf den Blutzuckerstoffwechsel dieser Kinder haben, hat sich in 8-jährigen Studien nicht bestätigt. Zwar ist bekannt, dass sich die Blutzucker- und Insulinwerte während der Wachstumshormon-Behandlung verändern können, jedoch konnte in diesen Studien gezeigt werden, dass nach der Beendigung der Therapie die Ausgangswerte wieder erreicht werden. Ferner wird empfohlen, bestimmte Laborparameter des Zuckerstoffwechsels und der Wachstumshormonachse engmaschig zu kontrollieren. 27 4. Seelische und geistige Entwicklung von Kindern Viele Eltern von SGA-Kindern machen sich nicht nur Gedanken um die Wachstumsentwicklung ihres Kindes. Sie sorgen sich im umfassenden Sinne, ob auch die seelische und geistige Entwicklung durch SGA verändert oder beeinträchtigt werden kann. Zwei Aspekte stehen im Vordergrund: Erstens der Umgang mit dem Kleinwuchs im Rahmen der psychischen Entwicklung und zweitens mögliche Lernprobleme im Rahmen der geistigen Entwicklung bei SGA. Diesen beiden Fragen wollen wir uns im Folgenden widmen. 4.1 Umgang mit dem Kleinwuchs und psychische Entwicklung Für Kinder und ihre Eltern stellt es eine besondere Herausforderung dar, mit dem Kleinwuchs seelisch und zwischenmenschlich zurechtzukommen. Die Stärke psychischer Belastung in Folge des Kleinwuchses hängt nicht einfach nur vom Ausmaß der Wachstumsverzögerung ab, sondern mindestens ebenso von der Fähigkeit des heranwachsenden Kindes und seiner Familie, die Herausforderungen kleiner Körperhöhe auf eine Weise zu bewältigen, ohne dass das Kind seelische Wunden davonträgt oder Verhaltensprobleme entwickelt. Daher gilt es, unabhängig von der Durchführung einer Hormontherapie zur Stimulation des körperlichen Wachstums, das Kind auch „innerlich groß werden zu lassen“ (Leitspruch des BKMF). Einfach nur klein zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig ein seelisches Drama. Es ist natürlich im Alltag lästig, wenn man nicht so gut an Klingelknöpfe und Regalbretter heranreichen kann wie größere Kinder. Aber solche lebenspraktischen Einschränkungen halten sich in Grenzen, wenn man Tricks entwickelt, um solche Hindernisse zu überwinden und vor allem keine Scheu hat, andere Leute unkompliziert um Hilfe zu bitten. 28 mit Kleinwuchs infolge SGA 4.2 Erfahrung von Hänseleien Seelischer Schmerz entsteht vor allem durch herabsetzende, verletzende Bemerkungen aus der Umwelt und dem inneren Hadern mit der eigenen Körperhöhe. Dieses Schicksal teilen kleinwüchsige Kinder mit vielen anderen Kindern, die aufgrund ihres Äußeren anders oder auffallender wirken. Kinder können zur Zielscheibe von Spott werden, weil sie angeblich zu dick oder zu dünn sind, rote Haare, eine Hauterkrankung wie Neurodermitis oder Akne haben, sich tollpatschig im Sport anstellen oder in Mathe immer nur Einser schreiben, eine Zahnspange tragen oder vielleicht auch nur die falschen Sweat-Shirts anhaben. Manchmal sind solche Sprüche gar nicht unbedingt verletzend gemeint, sondern kecke Provokationen, um das Kind aus der Reserve zu locken und es zu einem kräftemessenden Schlagabtausch mit Worten einzuladen. Manchmal dienen sie dem „Sprücheklopfer“ auch dazu, sich der eigenen Normalität, Unverwundbarkeit und vermeintlichen Überlegenheit zu vergewissern. 29 Seelische und geistige Entwicklung von Kindern mit SGA Die Wirkung solcher Sprüche auf das Kind reicht von einem harmlosen, augenzwinkernden Spaß bis hin zu einer seelischen Traumatisierung. Der Grad der seelischen Verletzung steigt an, je mehr das Kind aus einem Satz über die Körperhöhe eine pauschale, die ganze eigene Person und ihre Würde herabsetzende Botschaft heraushört. Ein Satz wie z. B. „Was willst du, Kleiner?“ kann das Kind unspektakulär als eine einfache Nachfrage auffassen. Es kann aber auch heraushören: „Du bist weniger wert als andere, ein Mensch zweiter Klasse“, „Du bist nicht liebenswert“, „Du gehörst nicht zu uns und wir wollen auch nichts mit dir zu tun haben“. Die emotionale Wucht kränkender Sprüche erwächst aus solchen fundamentalen Bedeutungen, die das Kind mit einem lapidaren Satz über seine Körperhöhe verbindet. Damit sich solche Botschaften in der Seele des Kindes nicht festsetzen, gilt es zwei selbst verständliche Wahrheiten klar auseinanderzuhalten: 1. Ja, ich bin kleiner als andere Kinder! 2. Ich bin genauso wertvoll und liebenswert wie andere Kinder! An diese einfachen Wahrheiten kann man kleinwüchsige Kinder erinnern. Manchmal muss man sie wiederholt daran erinnern, weil sie nach wiederkehrenden Kränkungen diesen Wahrheiten keinen Glauben mehr schenken können. Die stärkste Überzeugungskraft haben Beziehungen zu Eltern, Familie und Freunden, in denen das Kind die Wahrheit dieser Sätze glaubwürdig, überzeugend und belegbar spürt. Die Erfahrung annehmender, menschlich respektvoller Beziehungen kann daher wie eine Impfung gegen den Bazillus kränkender Sprüche wirken. 30 4.3 Hinweise zur Unterstützung des Kindes Zum Gelingen einer „emotionalen Impfung“ gegen Hänseleien und Beschädigungen des Selbstwertgefühls können folgende Hinweise dienen: · Eltern und Familie müssen dem Kind vorausgehen in der Akzeptanz des Kleinwuchses. Wenn das Kind spürt, dass seine Eltern es annehmen, unabhängig von seiner Körperhöhe, so kann es diese Haltung übernehmen und sich wie selbstverständlich zu eigen machen. Spürt es die echte Annahme durch seine Eltern und ein paar wenige, richtige Freunde, so können ihm „irgendwelche Kinder“, die blöde Sprüche machen, auch tatsächlich „egal sein“, weil es emotional nicht auf sie angewiesen ist. · Gute Freunde sind also Humus für das aufkeimende Selbstwertgefühl des Kindes. Eltern können ihr Kind unterstützen, Freunde zu gewinnen und Freunde zu behalten. Dies bedeutet, Gastfreundlichkeit gegenüber den Spielgefährten des Kindes auszustrahlen und es dem eigenen Kind zu erleichtern, Freunde unkompliziert nach Hause zum Spielen einzuladen. 31 Seelische und geistige Entwicklung von Kindern mit SGA · E lterliche Akzeptanz des Kleinwuchses drückt sich auch darin aus, der Versuchung zu widerstehen, dem Kind für sein Kleinsein einen „Nachteilsausgleich“ gewähren zu wollen in Form von Nachgiebigkeit in Alltagskonflikten und Abnehmen von altersgerechten Aufgaben und Pflichten. Das Kind kann dies unterschwellig so interpretieren, dass seine Eltern es eigentlich doch für „klein“ und nicht belastbar halten und dies schwächt wiederum sein Selbstwertgefühl. Hier liegt ein wichtiger Grund für das oft beschworene Leitprinzip, kleinwüchsige Kinder „normal“ zu behandeln. Normalität im Umgang schließt ein, Fehlverhalten des Kindes auch so zu benennen und mit normaler erzieherischer Konsequenz zu beantworten. Kritik an Fehlverhalten signalisiert, dass man es „wie ein großes Kind“ anspricht und ernst nimmt. Unbedingte Annahme, Liebe zur Person des Kindes einerseits und Kritik an konkretem Fehlverhalten andererseits sind zwei Seiten der gleichen Medaille. · Das Kind ernst nehmen signalisiert man auch dadurch, dass man es durchgängig entsprechend seinem Alter und nicht entsprechend seiner Körperhöhe behandelt. Fremden, die das Alter zunächst unterschätzen können, kann man einen kurzen Hinweis geben. · Eltern entwickeln ein Gespür dafür, wann sie das Kind bei Kränkungen für sich alleine ein treten lassen und wann sie ihm in einem aussichtslosen, überfordernden Kampf zur Seite stehen. Um das Kind nicht nur kurzfristig zu schützen, sondern langfristig zu stärken, kann man es „coachen“, wie es schlagfertig reagieren kann. Dazu spricht man am besten konkret erlebte Situationen in ihrem Ablauf minutiös durch. Wie bei einem Video, das man sich mit dem Kind gemeinsam ansieht, kann man die Pausentaste betätigen und gemeinsam überlegen: „Schau, genau in diesem Moment, was wäre da eine richtig gute und schlagfertige Antwort gewesen?“ So kann sich das Kind über die Zeit ein Repertoire an Verhaltens- 32 reaktionen aufbauen, mit denen es kränkende Sprüche kontern kann (z. B. für etwas ältere Kinder: „Hältst du dich für was Besseres, nur weil du größer bist? Ich halte mich ja auch nicht für was Besseres, nur weil ich nicht so dumme Sprüche mache wie du…“). Man kann die erlebten Situationen dann wie in einem kleinen Rollenspiel nachstellen und die Lösung mit den passenden Antworten durchspielen. Manchen Kindern helfen auch bestimmte Vorstellungsbilder: Etwa das Bild, bei Hänseleien in eine Ritterrüstung zu schlüpfen, an der die Sprüche wie Pfeile abprallen, ohne den Körper verletzen zu können. 4.4 Unterscheiden lernen Nicht jeder Kummer und nicht jede Verhaltensauffälligkeit des Kindes hat seine Wurzel in SGA und Kleinwuchs. Bei aller Sensibilität für die Besonderheiten in der Entwicklung kleinwüchsiger Kinder ist darauf zu achten, nicht jedes Problem und nicht jede Verstimmung verkürzt darauf zurückzuführen. Mitunter kann die Versuchung locken, sich nur als Opfer einer verständnislosen Umwelt und den Kleinwuchs als alleinigen Ursprung aller Probleme beim Kind zu sehen. Eine solche Vorstellung mag die Eltern kurzfristig entlasten, wenn ihr Kind nicht wegen des Kleinwuchses, sondern eigentlich wegen ehelicher Zwistigkeiten traurig oder aggressiv ist. Sie kann das Kind entlasten, wenn es von anderen Kindern im Grunde nicht wegen des Kleinwuchses, sondern wegen tatsächlich problematischer Verhaltensgewohnheiten geärgert, abgelehnt und ausgegrenzt wird. Kleinwuchs kann auch als Alibi missbraucht werden, wenn es eigentlich darauf ankommt, berechtigte Selbstkritik zu üben und Verantwortung für Konflikte zu übernehmen, die mit dem Kleinwuchs objektiv nichts zu tun haben. 33 5. Mögliche Lernprobleme und geistige Entwicklung 5.1 SGA-bedingte Beeinträchtigungen im Rahmen der allgemeinen Intelligenzentwicklung 5.2 G emeinsame Ursachen von Wachstums- und Entwicklungsverzögerung Aus Studien an großen Gruppen von SGA-Kindern weiß man, dass bei einer Minderheit der Kinder tatsächlich Lernprobleme und Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung auftreten können. Diese können von Kind zu Kind sehr unterschiedlich ausfallen. Manche Ursachen einer intrauterinen Wachstumsverzögerung (genetische Gründe, Erkrankungen oder Infektionen der Mutter, unzureichende Nährstoff- und Sauerstoffversorgung durch die Plazenta, Alkoholkonsum während der Schwangerschaft) können nicht nur das Wachstum des ungeborenen Kindes, sondern gleichzeitig auch die gesunde Reifung des Gehirns beeinträchtigen. Manche Kinder mit vorgeburtlicher Wachstumsverzögerung sind in ihrer Lernentwicklung und vor allem Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt. Nicht die Wachstumsstörung selbst ist jedoch für die Lernprobleme verantwortlich. Vielmehr ist es so, dass die gleichen vorgeburtlichen Gründe sowohl die Reifung des Körperwachstums als auch die Reifung des zentralen Nervensystems und damit die Lernentwicklung verzögert haben. Die vorgeburtlichen Risiken bestimmen Ausmaß und Art möglicher Entwicklungsverzögerungen. Das Spektrum reicht P von unauffälliger Entwicklung (gilt für die Mehrheit der SGA-Kinder), über P geringgradige Beeinträchtigungen vor allem im Bereich der Konzentration und geistigen Ausdauer (gilt für eine Minderheit), bis hin zu P beträchtlichen Entwicklungseinschränkungen (gilt vor allem für einige Kinder mit IUGR und weiteren Begleiterkrankungen). Wie alle Kinder wachsen auch SGA-Kinder mit ganz unterschiedlicher „in die Wiege gelegter“ Grundintelligenz auf. Für die Beurteilung der geistigen, lernbezogenen, schulischen und beruflichen Entwicklung ist das Vorliegen von SGA also immer nur ein Faktor unter vielen und in aller Regel nicht der entscheidende. 34 Bei SGA-Kindern mit einem kleineren Kopfumfang ist das Risiko für spätere Lernprobleme vor allem dann erhöht, wenn der Kopfumfang später kein Aufholwachstum zeigt. Natürlich ist der kleinere Kopfumfang nicht der Grund für Lernprobleme, aber er ist Zeichen dafür, dass die vorgeburtliche Gehirnentwicklung möglicherweise beeinträchtigt war. Auch SGA-Kinder, die in ihrer Wachstumsentwicklung spontan kein Aufholwachstum zeigen, haben etwas häufiger Lernprobleme. Aber auch hier ist es wichtig, keinem Missverständnis zu unterliegen: Die fortbestehende Wachstumsverzögerung ist nicht die Ursache einer verzögerten Hirnreifung. Entsprechend sollte man sich von der Therapie der Wachstumsstörung keine Therapie von Lernproblemen erwarten. 35 Mögliche Lernprobleme und geistige Entwicklung Häufig sind die Ursachen für Lernprobleme im Nachhinein nicht so genau zu diagnostizieren. Eine solche Erkenntnis wäre auch nur von begrenztem Wert, denn sie zieht in der Regel keine spezifische, darauf abgestimmte Behandlungsstrategie nach sich. Die vorgeburtlichen Ursachen sind jetzt Vergangenheit und medizinisch in aller Regel nicht zu korrigieren. Entscheidend ist der Blick nach vorn und die Konzentration darauf, dem Kind heute förderliche Bedingungen für seine Lernentwicklung zu Hause, im Kindergarten und in der Schule zu schaffen. 36 5.3 Professionelle Beratung und Förderung Je nach Art und Ausmaß von Entwicklungsproblemen kann eine Beratung durch den Kinderarzt oder Frühförderstellen, Sozialpädiatrische Zentren oder Kinderpsychologen, -neurologen oder -psychiater sinnvoll werden. Diese empfehlen gegebenenfalls eine therapeutische Förderung durch krankengymnastische, ergotherapeutische, heilpädagogische, logopädische oder psychomotorische Übungsbehandlung. Als Faustregel kann gelten, dass eine solche Förderung umso wirkungsvoller ist, je spezifischer ganz bestimmte Funktionen beim Kind betroffen sind, da dann eine professionelle Förderung umso gezielter ansetzen kann. Dies gilt zum Beispiel für Störungen in der Sprachentwicklung, die durch Logopädie behandelt werden. 37 Mögliche Lernprobleme und geistige Entwicklung 5.4 Alltagsbezogene Förderung Bei eher allgemeinen Entwicklungsverzögerungen im Bereich der Bewegung und Körperkoordination, der Aufmerksamkeit und Konzentration, der Merkfähigkeit und des Denkens ist es wichtig, Fortschritte nicht alleine von professioneller Förderung und Therapie zu erwarten. Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass ein Kind mit einer Therapiestunde pro Woche vielleicht vierzig Minuten professionelle Förderung erfährt. Das ist ein verschwindend geringer Zeitanteil im Vergleich zu der übrigen Zeit, in der das Kind durch seine ganz normalen Alltagsaktivitäten seine Sinne und seinen Geist stimulieren und somit automatisch weiterentwickeln kann. Spielen, Klettern, Basteln, Geschichten erzählen, Bilderbücher ansehen sind alles wunderbare Förderprogramme. Im Vergleich zu professioneller Förderung hat eine solche alltagsbezogene Förderung den wichtigen Vorteil, dem Kind nicht das Gefühl zu vermitteln, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung sei. Die folgenden Hinweise sollen helfen, die alltägliche „Lernumwelt“ des Kindes so zu gestalten, dass sie die Entwicklung des Gehirns gut stimuliert, die Freude am Lernen erhält und gleichzeitig zur seelischen Stabilisierung beiträgt. Die Hinweise gelten im Grunde für alle Kinder, für gesunde und auch für solche mit mehr oder weniger starken Entwicklungs- und Lernproblemen: Als Gegengewicht zu passivem Reizkonsum ist grundsätzlich jedes aktive Spielen für Kinder mit Entwicklungsproblemen „therapeutisch förderlich“. Spielen erzeugt eine beständige, für das Lernen wichtige Rückkoppelung zwischen Wahrnehmung und Handeln des Kindes. TV und PC führen dagegen zu einem isolierten Wahrnehmen, abgekoppelt vom eigenen Tun. 38 · Bei motorischen Entwicklungsverzögerungen empfiehlt es sich, Übungen und Materialien zu wählen, die das Kind, wenn es sie einmal beherrscht, eigenständig ohne weitere Unterstützung durch Erwachsene selbsttätig weiter nutzen wird. Bei Störungen der Körperkoordination kommt also dem schrittweisen, aber beharrlichen Einüben kindlicher Fortbewegungsmittel eine zentrale Rolle zu: Dreirad, Roller, Fahrrad. Bei feinmotorischen Problemen kann man Anregungen vermitteln für Bastelaufgaben und Malen sowie Duplound Legospiele mit natürlich ansteigendem Schwierigkeitsgrad. · Bei SGA-Kindern tritt unaufmerksames („bringt nichts zu Ende, ist hoch ablenkbar“), impulsives („kann nicht warten“) und hyperaktives („immer auf Achse“) Verhalten häufiger auf als bei Gleichaltrigen. Gerade im Kindergartenalter bestehen fließende Übergänge von einem „normalen“ ungestümen Temperament bis zur klinischen Diagnose einer „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ (ADS/HKS). Es gibt keinen medizi- 39 Mögliche Lernprobleme und geistige Entwicklung nischen Test zur Absicherung der Diagnose (z. B. durch eine Blutentnahme oder ein EEG). Diese stützt sich vielmehr auf die Verhaltensbeobachtung des Kindes im Alltag durch Eltern und Bezugspersonen. Im Vorfeld einer Beratung durch Kinderpsychiater oder Kinderpsychologen kann das Lesen eines Elternratgebers Orientierung vermitteln (z. B. Döpfner, M. u. a.: Wackelpeter und Trotzkopf, Beltz PVU Verlag). · Bei Kindern mit Bewegungsproblemen, Aufmerksamkeitsproblemen und Überaktivität sollte man solche Sportarten aussuchen, die einerseits dem Bewegungsdrang gerecht werden, andererseits trotzdem die Konzentration auf den gegenwärtigen Bewegungsablauf stärken. Günstig sind vor allem asiatische Sportarten wie Judo, aber auch beispielsweise Tischtennis. · Viele entwicklungsbeeinträchtigte Kinder neigen leider dazu, das Üben genau derjenigen Funktionen zu vermeiden, in denen sie schwach sind. Sie sind gefangen in einem Teufelskreis bestehend aus: niedriger Fertigkeit > geringerer Erfolgserlebnisse und deprimierender Vergleiche mit Gleichaltrigen > weiterer Entmutigung > Diese beziehen sich vor allem darauf, begonnene Spiele und Aufgaben zu Ende zu bringen. Vor allem Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen sollten schrittweise ansteigend lernen, zwischenzeitliche Gefühle der Lustlosigkeit auszuhalten und nicht abzubrechen (Training der so genannten Aufmerksamkeitskonstanz). Wenn anschließend ein schönes Ergebnis zu bewundern ist, können diese Kinder die Erfahrung machen, dass es lohnend sein kann, durchzuhalten. · Falls Ihr Kind spezielle professionelle Förderung bekommt, so schauen Sie den Therapeuten ruhig über die Schulter. Holen Sie sich Anregungen, wie Sie bestimmte Übungen geschickt in die Alltagsabläufe zu Hause einbauen und damit den Übungseffekt multiplizieren können. > Ausweichen vor der erneuten Erfahrung des eigenen Misserfolgs > weiterem Fertigkeitenverlust > 40 Um den Teufelskreis zu durchbrechen, ist erzieherisch zweierlei notwendig: Erstens sind die Anforderungen zunächst so herunterzuschrauben, dass das Kind realistische Chancen hat, Aufgaben auch erfolgreich zu lösen, um über Erfolgserlebnisse neue Lernlust zu gewinnen. Das setzt voraus, dass die Eltern und Erzieher möglichen Schwächen realistisch ins Auge sehen. Dies ist die Voraussetzung, um das Kind nicht zu überfordern. Zweitens gilt es, das Ausweichverhalten des Kindes liebevoll, aber erzieherisch konsequent zu stoppen. Dazu können kleine Vereinbarungen mit dem Kind geschlossen werden, deren Einhaltung dann auch eingefordert wird. weniger Üben und Trainieren 41 6. Glossar BKMF vertritt seit 1988 in der Bundesrepublik Deutschland die Interessen kleinwüchsiger Menschen. Der Bundesverband hat folgende Aufgaben: Information und Aufklärung, Interessenvertretung und Beratung, Zusammenarbeit mit Medizinern, Psychologen, Fachleuten aus sozialen und päd. Bereichen etc. Die Organisation hat insgesamt 3.500 Mitglieder. Bobath-Methode Das Bobath-Konzept strebt einen Lernprozess des Patienten an, um mit ihm die Kontrolle über die Muskelspannung (Muskeltonus) und Bewegungsfunktionen wieder zu erarbeiten. Die Arbeitsprinzipien des Bobath-Konzeptes sind Regulation des Muskeltonus und Anbahnung physiologischer Bewegungs abläufe. Alle Lernangebote an den Patienten werden nach diesen beiden Prinzipien gestaltet und auch vom Erfolg her beurteilt. (siehe auch www.bobathpflege.de) Perzentilen sind Prozentlinien, die auf der Basis von immer wiederkehrenden Messungen der Körperhöhe und -länge aber auch für das Gewicht erstellt werden. Danach wird die 50. Perzentile als Mittelwert gleichbe deutend mit dem Normwert definiert. Wenn ein Kind unter der 3. Perzentile für die Körperhöhe liegt, dann liegen nur noch 3% der Kinder dieser Altersklasse darunter. Sollte ein Kind über der 97. Perzentile liegen, so befinden sich 97% der Kinder gleichen Geschlechtes und Alters unter diesem Wert. Plazenta lat. placenta – Kuchen, Mutterkuchen, scheibenförmiges Organ von 15-20 cm Durchmesser, 2-4 cm Dicke und ca. 500 g Gewicht; dient der Ernährung des Feten durch Austausch von Stoffwechselprodukten und Gasen zwischen mütterlichem und fetalem Blut. SGA engl. small for gestational age – zu klein für das Schwangerschaftsalter, beschreibt Neugeborene, deren Körpergewicht und/oder Körperlänge in Abhängigkeit vom Schwangerschaftsalter unter der 3. Perzentile liegen. 42 IUGR engl. intrauterine growth retardation – Intrauterine Wachstumsretardierung, beschreibt den Wachstums- und Entwicklungsprozess des Feten während der Schwangerschaft. Hypoglykämie Zustand, der durch Unterzuckerung entsteht. Polyglobulie nennt man eine erhöhte Erythrozytenzahl oder Hämoglobinkonzentration im Blut. Im Blutbild findet sich ein erhöhter Hämatokritwert. Zöliakie Gluteninduzierte Darmerkrankung im Kindesalter. Bei der Zöliakie kann das in vielen Getreideprodukten vorhandene Gluten nicht verdaut werden, sodass in der Folge die Dünndarmschleimhaut stark geschädigt wird. Die Therapie besteht in einer glutenfreien Diät. Vojta-Methode Das komplexe Diagnostik- und Therapiesystem wurde in den 60er Jahren von dem Kinder- und Erwachsenenneurologen Dr. Vojta, der seit 1975 im Kinderzentrum München tätig war, entwickelt. Im Fortbewegungsprinzip VOJTA werden in bestimmten Ausgangslagen (Rückenlage, Seitenlage, Bauchlage) über definierte Zonen am Rumpf und an den Extremitäten Reize gesetzt. Diese bewirken Haltungs- und Bewegungsmuster, die den ganzen Körper, einschließlich der Hände, Füße und des Gesichts erfassen: das Reflexkriechen und das Reflexumdrehen. Sie beinhalten die für jede Fortbewegung untrennbaren Komponenten: die Aufrichtung gegen die Schwerkraft, die zielgerichtete Bewegung und die dynamische Anpassung der Körperlage. Neben der physiologischen Einstellung der Wirbelsäule und der Kugelgelenke sowie einer differenzierten Muskelarbeit sind u. a. eine Vertiefung der Atmung und eine Aktivierung des Kreislaufes und der Verdauung zu beobachten. Das Fortbewegungsprinzip VOJTA ist als Basistherapie in allen klinischen Bereichen (Kinderheilkunde, Orthopädie, Chirurgie, Neurologie u. a.) und unabhängig vom Alter des Patienten einsetzbar. 43 7. Weitere Beratung erhalten Sie hier: Notizen: Herausgeber: Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e. V. (BKMF) Beratungs- und Geschäftsstelle im Deutschen Zentrum für Kleinwuchsfragen Leinestraße 2 28199 Bremen Telefon 0421 / 3361690 Telefax 0421 / 505752 E-Mail: [email protected] www.bkmf.de 44 45