Gewandungsleitfaden Stuntteam\374

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Gewandungsleitfaden Stuntteam\374
Gewandungsleitfaden Stuntteam
Dieser Leitfaden ist verbindlich für alle Mitglieder des
Stuntteams. Im Zweifelsfalle entscheidet der
Stuntteamcoordinator!
Prolog
Warum eigentlich historisch korrekte Gewandung? Was zum
Teufel ist eigentlich Gewandung? Woher bekomme ich sie
und was muss ich beim Kauf beachten?
Gladiatores ist eine Schule für historische europäische Kampfkünste. Dabei geben
sich die Lehrer und Schüler größte Mühe, historische Kampftechniken wiederzubeleben und die alten Handschriften in historisch nachvollziehbare und kämpferisch sinnvolle Techniken, Abläufe und Übungen zu interpretieren.
Um diese Interpretationen zu trainieren und vorzuführen ist moderne Sportkleidung
durchaus sinnvoll und ausreichend. Auf Kampfsportevents oder Treffen von historischen Fechtern ist diese Bekleidung (natürlich alle im Gladiatores T-Shirt) wahrscheinlich auch die Beste, da es hier um die Technik, um Abläufe und Fachsimpelei
geht.
Als Stuntteam werden wir aber größtenteils auf Veranstaltungen mit mittelalterlichem
Thema auftreten. Dazu zählen Mittelaltermärkte, Burgbelebungen oder Themenabende. Hierfür müssen sich alle Mitglieder des Stuntteams entsprechend mittelalterliche Kleidung zulegen, eben die „Gewandung“ in der Szenesprache.
Nun ist die Szene weit gefächert, von Kostümsäufern bis zu musealen Darstellern,
die auch noch ihre Stoffe selber färben.
Wir werden uns hier aus folgenden Gründen an den augenblicklich allgemein als historisch korrekt anerkannten Gewandungsformen orientieren.
Wir bekommen ein einheitliches Gesamtbild, trotz großer persönlicher Möglichkeit zur Individualität und geben so optisch ein rundes Bild ab.
- Wir zeigen ein deutliches Interesse an der Zeit des Mittelalters und an einer ernsthaften Beschäftigung mit dieser Zeit, was einer wohlwollenden
Grundeinstellung gegenüber unserem Fechten bei den Fachleuten führt.
(Nach dem Motto: Wenn die schon in Phantasieklamotten rumlaufen,
kann denen ihre Fechterei ja auch nicht besser sein.)
- Wir setzten uns von den üblichen Hau-Drauf-Wie-Nix Schaukampfgruppen
schon auf den ersten Blick ab.
- Wir setzten uns optisch von den üblichen Marktlagergruppen und Rittergruppen ab.
Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Gewandung den höchstmöglichen
Qualitätsstandart erfüllt. Allerdings werden wir bei Kleidung, die vor allem als Aufführkleidung dient, gewisse Zugeständnisse machen (müssen), um die Sicherheit
beim Fechten nicht zu gefährden oder eine möglichst geringe finanzielle Belastung
zu ermöglichen. Die Gewandung erfüllt also folgende Qualitätsmerkmale:
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Sie wurde nur aus Wolle oder Leinen gefertigt. Ein geringer Anteil von Kunstfaser in der Wolle macht diese haltbarer und pflegeleichter. Dieser sollte 10%
nicht überschreiten, da sonst die Kleidung leicht unangenehm zu tragen wird.
(Bei Matuls z.B. der Standart)
Nach Möglichkeit sind alle sichtbaren Nähte (Halsausschnitt, Saum) von Hand
genäht, der Rest kann durchaus maschinengenäht sein.
Die Gewandung entspricht in Schnitt Farbe und Gesamtbild den allgemein üblichen Kleidungen. (s.u.)
Die Schuhe sind ebenfalls nach historischen Vorlagen gefertigt. Allerdings
können sie eine DÜNNE Gummisohle haben, um einen besseren Grip und eine höhere Haltbarkeit zu erreichen. (s.u.)
Sonstige Ausrüstung (Gürtel, Messer, Taschen) entsprechen ebenfalls den
historischen Vorbildern.
Besser nachfragen, bevor etwas gekauft wird, im Internet wird viel Schrott
als „historisch“ verramscht.
Historische Gewandung
Welche Gewandung soll ich mir jetzt zulegen? Woher bekomme ich
diese? Warum ausgerechnet diese Gewandung?
Die Zeit des Mittelalters umfasst die Spanne von ca.500 n.Chr.
bis 1500 n.Chr. In dieser Zeit von 1000 Jahren hat sich viel getan,
in Fragen der Wissenschaft, der Waffentechnik und auch der
Kleidung. Vieles ist über Jahrhunderte gleich oder ähnlich
geblieben, insbesondere in der Kleidung der einfachen Schichten.
Das heißt aber nicht, dass die „Bauern“ (der dritte Stand) automatisch arm waren. Viele Bauern und später Handwerker und
Städter hatten durchaus ein gutes Einkommen und ein entsprechendes Bedürfnis, diesen Wohlstand durch Kleidung
auszudrücken. Davon zeugen diverse Kleidungsordnungen, in
denen immer wieder versucht wird, diesen Exzess einzudämmen.
(Daher der Ausdruck „gut betucht“)
Als Soldaten oder Söldner stehen wir dabei auf der gleichen
Gehaltsstufe wie ein Handwerksgeselle (Kriegshandwerk), sind
also nicht arm und bekommen dazu meistens vom jeweiligen
Arbeitgeber (Stadt, Fürst, Kriegsherr) mehrmals im Jahr Stoff
oder fertige Kleidung sowie gute Verpflegung. Dementsprechend
sollte unsere Kleidung dieses auch repräsentieren und gut,
jedoch nicht zu übertrieben sein und durchaus modisch. (Soldaten werden in den
Kleidervorschriften regelmäßig ausgenommen, da sie einerseits im Krieg tragen sollten was sie wollten und bekamen und da es andererseits „die einzige Freude, die die
armen Burschen haben“ war.)
Die gute Kleidung ist der wichtigste Teil der Ausrüstung, Rüstung, Helm oder Zusatzwaffen können später kommen!
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Welche Zeit nehmen wir?
Aus 1000 Jahren Mittelalter müssen wir uns nun für eine Zeit entscheiden. In unserem Fall ist recht simpel, da unsere Hauptwaffe, das Lange Schwert, ganz klar auf
das Spätmittelalter, die Zeit von ca.1350 – 1500, hinweist. In diesem Rahmen werden wir uns von 1450 – 1500 festlegen. Dies hat verschiedene Gründe:
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Viele Fechtcodexe aus dieser Zeit sind erhalten, auch illustriert, so dass allein
hier schon ein klarer Vergleich möglich ist.
Es gibt außerordentlich viele Bild und Textquellen, in denen man deutlich und
einfach die damalige Kleidung erkennen kann.
Es gibt viele gute Mittelaltergruppen dieser Zeit, die ihre Informationen online
zur Verfügung stellen.
Es gibt viele Händler, die Kleidung dieser Zeit gut und günstig anbieten.
Der Nachteil ist, dass die Kleidung immer komplexer wird, die Schnitte immer schwieriger, was es schwer macht, selber Kleidung anzufertigen. Trotzdem ist es durchaus
möglich, und wer Geld sparen muss, kann hier auch selber machen. (Einfach fragen)
Die Zeitspanne von 50 Jahren ist dabei schon ein großer Kompromiss, (stellt Euch
eine 2. Weltkriegsdarstellung mit Vietnam-Hubschraubern und Golfkrieg-Kampfjets
vor) eigentlich ist eine Differenz von max. 20 Jahren üblich. Also versuchen wir, uns
in der Zeit um 1470 einzupendeln.
Die Kleidung des Spätmittelalters im Einzelnen:
1. Männer
Unterwäsche: es wurde ein einfaches Hemd aus „weißem“ Leinen getragen, ohne
Schnürung, Ösen, Falten oder Rüschen.
Dazu eine Leinenunterhose, entweder in einer Art langer Boxershorts oder engere
Retro- bis Slipformen. (Nicht zwingend, weiße Retro oder Boxer sind durchaus OK)
Wams: Ein Wams (oder Doublet) aus Wolle mit langen Ärmeln als Oberbekleidung.
Dabei sind verschiedene Formen möglich, mit Puffärmeln, Schnürung, Häkchen oder
Knopfverschluss, mit stark ausgeschnittener Öffnung und Ärmeln oder sehr schlicht.
Hose: Normalerweise wurden Hosen getragen, die aus einem Stück bestehen. Es
gab aber auch noch die einzelnen Beinlinge (Leggings), die allerdings sehr hoch gingen. Hose oder Beinlinge werden an das Wams angenestelt (angebunden). Man
trägt also eine Art Overall.
Die Beinlinge sind zum Fechten unter Umständen besser, da die Hose dazu neigt,
am Schritt leicht zu reißen, bzw. Löcher zu bekommen, insb. beim tiefen Stand.
Darüber wurden dann evtl. noch eine Jacke und ein Mantel getragen.
2. Frauen
Es gibt viele Berichte von kämpfenden Frauen, auch viele Bilder. Allerdings tragen
die Frauen dabei immer normale Frauenkleidung, evtl. mit den üblichen Rüstteilen
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(Polsterwams, Helm) verstärkt. Selbst das einzige bekannte zeitgenössische Bild der
Johanna von Orleans zeigt sie in einem Kleid!
Unterwäsche: Frauen trugen ein langes Unterhemd aus weißem Leinen. Es gibt keine Nachweise für Unterhosen.
Kleid: Über dem Unterhemd wurde ein einfaches langes Kleid aus Leinen (augenblicklich in der Diskussion) oder Wolle, mit langen oder kurzen Ärmeln getragen (nie
angenestelt). Immer einfarbig, ohne bunten Keile! Darüber dann oft ein weiteres
Kleid aus Wolle, manchmal ohne Ärmel, in verschiedensten Formen.
Strümpfe: Frauen trugen Strümpfe, die aus Stoff genäht waren (Männer evtl. auch)
und unter dem Knie angebunden waren.
3. Für Beide
Schuhe: Schuhe sind eigentlich ein ganz eigenes Kapitel. Bis zur Renaissance wurden Schuhe wendegenäht hergestellt, d.h. auf links genäht und dann umgestülpt.
Daher darf das Leder der Sohle nicht zu dick sein. Man trug also eher dicke Ledersocken, als echte Schuhe. Diese (die sog. Rahmengenähten) entwickelten sich erst im
16. Jhd. Allerdings wurden im SpäMi bereits doppelte Sohlen angenäht. (Siehe Quellen).
Für uns kann eine dünne Gummisohle aufgeklebt werden (macht jeder Schuster), da
trockene Ledersohlen auf trockenem Gras sehr rutschig sind, auf Asphalt und Schotter sehr schnell kaputt gehen und nasse Ledersohlen auf Asphalt praktisch sofort
durch sind.
Bei den Schuhen sollte ansonsten jedoch nicht gespart werden, da die falschen
Schuhe ein ansonsten sehr gutes Outfit sofort ruinieren können. An den Schuhen
erkennt man sofort, wie ernst jemand seine Gewandung nimmt!
Kopfbedeckung: Im Mittelalter wurde IMMER eine Kopfbedeckung getragen, als
Schutz gegen Sonne, Dreck, Läuse, auch in geschlossenen Räumen und am Tisch.
Die Möglichkeiten sind unendlich, Strohhüte, Wollmützen in vielen Formen, Coifs
(Babyhäubchen) und bei den Damen verschiedene Kopftuchformen.
Accessoires: Gürtel mit kleiner Tasche und Dolch oder Essmesser. Soldaten im
Kampf werden meist ohne Taschen dargestellt, also nur mit Dolch /Schwertgürtel.
Wir sind kein Weihnachtbaum und müssen uns nicht entsprechend dekorieren!
Es wurden keine Fläschchen, Beutelchen, Thorhämmer, Ketten, Ringe, Handschuhe
am Gürtel oder um den Hals getragen.
Evtl. ist ein Paternoster am Gürtel möglich und Pilgerabzeichen an der Mütze.
Schnitt
Die Kleidung des SpäMi war sehr körperbetont und enganliegend geschnitten, zumindest die Basis Garderobe. Das kommt aus der militärischen Mode, da unter den
immer feiner entwickelten Vollrüstungen enganliegende Kleidung vonnöten war, damit keine Falten im Stoff scheuern oder die Bewegungsfreiheit einschränken können.
Durch die Overall-Gestaltung heißt dass allerdings auch, das man sich in einer SpäMi Gewandung nicht so frei bewegen kann wie in Sportkleidung. Etwas wird dies erleichtert, wenn die Hose in der Mitte hinten nicht oder sehr locker geschnürt wird.
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Farben
Die Kleidung im Spämi war sehr bunt. Die Menschen hatten ein anderes Farbempfinden als wir heute und daher sind manche Kombinationen in den Büchern für das
heutige Auge sehr grenzwertig. Das Ideal waren satte, kräftige Farben ohne Schatten oder Verzierungen.
Es kann praktisch die ganze Farbpalette genutzt werden, wobei Rot, Blau, Gelb,
Grün, Braun und Natur gebräuchlich waren. Schwarz war sehr beliebt, allerdings
sehr schwierig zu färben (damit teuer), meistens war „schwarz“ eher ein sehr dunkles
blau oder braun (naturbraune Wolle blau überfärbt o.ä.). Es gab auch ein echtes
Schwarz, allerdings war der Färbevorgang so aggressiv, das der Stoff sehr schnell
kaputt ging.
Insofern sollte Schwarz nicht exzessiv verwendet werden, auch wenn unsere Schulfarben schwarz-rot sind, eine sehr gediegene Kombi (siehe Sven, Anette, Dirk)
Auch alle Mischfarben sind möglich, bis hin zu wirklich grellen Farben.
Hier ist eine gute Übersicht:
http://www.wolle-stoffe-seide-pflanzengefaerbt.de/shop/farbkarte.html
Brille: Viele bei uns tragen eine Brille. Allerdings zerstört die Brille extrem ein ansonsten sehr gutes Outfit, sowohl kämpferisch als auch historisch. Brillen wurden bis
in die 1930er nur von Gelehrten und beim lesen, niemals ständig und schon gar nicht
von einfachen Soldaten getragen!
Jeder Brillenträger sollte daher für Auftritte auf Kontaktlinsen ausweichen. Es gibt für
jeden Brillenträger passende Kontaktlinsen, eine Beratung bei einem GUTEN Optiker
oder Augenarzt hilft auch denen, die sonst Probleme haben. Am besten sind für Faule Ein-Tages-Linsen. Die Kosten sind zwischen 1-3 Euro pro Paar. Ich selber verwende die gleiche Stärke auf beiden Augen, auch wenn ich -0,5 Unterschied habe,
das macht die Benutzung noch einfacher. Allerdings sollte man dann auch mal mit
Kontaktlinsen trainieren, da diese ein wenig die Wahrnehmung verändern!
5 .Quellen
Einige kommentierte Quellen im Internet, die fertige Kleidung oder Rohmaterial zum
Selbermachen anbieten und unseren Qualitätsanspruch erfüllen. Bei anderen Anbietern vorsichtig sein und lieber nachfragen.
Kleidung, Accessoires
www.matuls.pl
Sehr guter und günstiger polnischer Anbieter. Leider hat er oft sehr lange Lieferzeiten und scheint manchmal Sachen durcheinanderzubringen (Fragt mal Anette nach
ihrer Kleidgeschichte).
www.madievaldesign.com
Sehr guter Anbieter aus Italien mit sehr italienischen Schnitten. Komplettoutfit B und
C für unter 400 € ist Top (Haben Alfo, Sven, Dirk, Markus)
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Schuhe
www.historische-lederarbeiten.de
Gute Schuhe für 50€. Die Quali schwankt ein bisschen, ist aber super, wenn man
eine Naht nachnäht und eine doppelte Sohle aufklebt.
Taschen für unter 20€.
Da die Ware aus Indien kommt, hat er manchmal Lieferschwierigkeiten.
www.knieriem.net
Der wohl beste Mittelalterschuster in Deutschland. Teuer (ca.300€ aufwärts) aber
unschlagbare Quali. Auf seiner Seite könnt ihr alles lesen, was es über Mittelalterschuhe zu lernen gibt! Bietet auch super Selbstbaukombis an.
www.plantagenetshoes.freeserve.co.uk
Sehr gute englische Firma. Das Pfund ist ja gerade nicht so
stark, da geht es dann preislich auch.
6. Gruppen
Einige Spämi-Gruppen, bei denen man getrost abgucken
kann und die oft auch sehr gute Anleitungen auf ihren Seiten
haben.
http://www.winneburger-tross.de/haupt_gruppe.html
http://www.aufgebot1474.de
http://www.anno1476.de
http://www.companie-of-st-george.ch
Bücher
Es gibt sehr viele Bücher zum Thema, gut geeignet für einen
ersten Überblick sind die Osprey Men-at-Arms Serien: Diese
können gerne von mir ausgeliehen werden. Ich stelle aber
auch eine CD mit allen Men-at-Arms Büchern der Epoche in die Halle zum kopieren.
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The Swiss at War
The War of the Roses
German Medieval Armies
Sowie das Reenactement Buch:
Embleton, Gerry: Medieval Military Costume (stell ich demnächst in die Hallenbücherei)
Sehr schön ist auch das Thalhoffer Fechtbuch.
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Zum Selbernähen:
Sarah Thursfield: the medieval tailor’s assistant; Costume & Fashion Press
Das beste (und einzige) Buch für ambitionierte Spämi-Selbernäher, nur auf Englisch
erhältlich.
Bei Fragen, Hilfegesuchen, zusammengenähten Fingern, Wutausbrüchen beim Quellenstudium stehen wir Euch alle gerne zur Seite. Gute Ansprechpartner für Spämi
sind Markus, Sebastian und Anette, bei Frühmi und Nähen allgemein ist Blaubär
auch immer gut.
Bilder
Gut, dann jetzt mal die Bildchen (alle aus den Online Dragons der Company of St.
George)
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Doublets mit verschiedenen Kragenformen, Verschlüssen und Schnitten.
Hose, geschlossen, niedrige Form (1a), höhere Form (1), entsprechende
Doubletlänge.
(3) Hose hinten nicht geschnürt.
Hemden, Unterhosen und Hose / Beinlinge (7a).
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Bewaffnete Frauen: Hellebarde (a+b) Muskete (C) Stock.
Mit fechterischem Gruß
Sebastian Kreisel (Stuntteamcoordinator)
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