VII. Ehrenmänner und Windflüsterer

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VII. Ehrenmänner und Windflüsterer
VII. Ehrenmänner und Windflüsterer
VII. Ehrenmänner und Windflüsterer:
Multiethnische Werbung für die US-Streitkräfte
Politiker der US-Administration »finden es akzeptabel, dass in Hollywood und anderswo
pro-amerikanische Filme gedreht werden, die junge Männer und Frauen dazu ermutigen,
in einem Krieg zu kämpfen und zu sterben. Dahinter steht die Vorstellung, dass eine Supermacht den Krieg verherrlichen muss, damit die Öffentlichkeit die Tatsache akzeptiert,
dass sie ihre Söhne und Töchter in den Tod schickt.« US-Medienbeobachter Joe Trento1
»Als Offizier der U.S. Army setze ich jeden Tag mein Leben an der Front ein, ohne zu zögern. Dennoch trage ich einen Konflikt in mir. Was empfinde ich für mein Vaterland, und
was empfindet dieses Land seinerseits für mich?« Ein afro-amerikanischer Kampfpilot
(um 1944) im Film The Tuskegee Airmen
Die Rekrutierungs-Kampagnen der US-Streitkräfte sind äußerst kostspielig, werden
professionell auf der Basis von Umfrageergebnissen gestaltet und umfassen jedes moderne Medium. Anfang 2001 reagierte die Armee im Rahmen »einer rund 300 Millionen Mark teuren Kampagne« auf das verbreitete Image, der Einzelne sei in ihr
nur ein anonymes Rädchen. Ein Videoclip warb mit Individualismus: »And I’ll be
the first to tell you the might of the U.S. Army doesn’t lie in numbers. It lies in me.
I am an Army of one.«2 Nicht nur die schon genannten Computer-Kriegsspiele des
Pentagon, sondern auch offensive, zum Teil geradezu militaristische Armeeaktivitäten
im Schulbetrieb erreichen ganz junge Leute.3 Einige unglaubliche Einblicke in die
Arbeitsweise von Anwerbern vermittelt auch Michael Moores jüngster Dokumentarfilm Fahrenheit 9/11. Die gegenwärtige Aufrüstung der Militärwerbung sollte nicht
verwundern. In Kriegszeiten ist der Soldatenberuf lebensgefährlich. Das spricht sich
schneller herum als es der Army lieb ist. Die Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden
der US-Soldaten ist in den Vereinigten Staaten groß, und noch weniger Mitgefühl
gibt es vermutlich im Rest der Welt.4
1. Top Gun (1985) und Probleme für das Rekrutierungskino
Wegweisend für die neue Ära der massenmedialen Rekrutierung ist Top Gun (USA
1985) von Tony Scott, der legendäre Werbespielfilm für angehende Kampfpiloten.
Die beim Pentagon gut angesehene Produktionswerkstatt Bruckheimer erhielt für
diesen Titel umfangreiche Unterstützung seitens des Militärs.5 Vermittelt werden
die Formung eines stürmerischen Draufgängers in der Eliteausbildung, Action und
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die Attraktivität von Militärpiloten in den Augen von Frauen. Fast in einem Viertel
der Spielzeit sind direkte patriotische Elemente enthalten; mehr als sieben Minuten
lang ist allein die us-amerikanische Flagge zu sehen.6 Bis heute, so US-Filmkritiker
Jim Hoberman, wirkt das Konzept nach: »Top Gun ist eine Art glänzend gemachter Kriegsporno. Mit einem Elite-Corps von gut aussehenden, jungen und technisch
hervorragend ausgebildeten Soldaten, die sich nicht durch Sümpfe schleppen und
erschießen lassen müssen, sondern hoch über den Wolken Loopings fliegen. Es werden zwar auch Bomben abgeworfen und Bilder von Gewalt gezeigt, aber das wird von
Rock’n’Roll-Musik untermalt und ist unterhaltsam und lustvoll. Durch diesen Film
wurde die latente Zuneigung zwischen dem Pentagon und Hollywood offensichtlich
neu entflammt, und der Grund dafür lag meiner Meinung nach in seinem hohen
Rekrutierungspotential. Inzwischen hat jeder den Film vergessen, doch als der Präsident seine Siegesrede [zum Irakkrieg auf dem Flugzeugträger »Abraham Lincoln« im
Mai 2003; Anm.] hielt, war klar, dass die Inszenierung aus Top Gun stammte. Alle
Amerikaner wussten das, aber es war interessanter Weise fast unwichtig. Letztendlich
war jedem bewusst, dass dies ein triumphaler Moment war, weil er das aus dem Film
gelernt hatte.«7
Top Gun gelangt an die Spitze der Kino-Charts. Der kommerzielle Part dieser
Image-Produktion verbucht eine Einspielsumme von fast 350 Millionen Dollar. (Begleitet von einer Werbekampagne wurde der Titel im Herbst 2004 auch im deutschen
Privatfernsehen wieder einmal ausgestrahlt. Für das Frühjahr 2005 plant Paramount
eine aufwendige Special-Edition-DVD.) Das Signal von Top Gun an die Filmindustrie lautet: Kooperation mit dem Militär macht sich bezahlt. Ausdrücklich bemerkt
der Pentagon-Unterhaltungschef Philip Strub vor dem Hintergrund der kriegskritischen Vietnamkriegs-Ära: »Top Gun war meiner Meinung nach ein Meilenstein
der Kinogeschichte, weil der Film das Militär als akzeptables Thema in einem positiven Kontext rehabilitierte. Er bewies mir und vielen anderen Menschen, dass man
mit einem positiven Bild des amerikanischen Militärs Geld verdienen kann, ohne in
Hollywood zum Ausgestoßenen zu werden. Ich behaupte nicht, dass dies der erste
Film dieser Art war, aber er war der wichtigste, denn er stand für einen Wandel der
öffentlichen Meinung.«8
Das Konzept, eine Mischung aus High-Tech-Flugabenteuern und privater Romanze, lockt zahlreiche junge Männer in die Büros der Luftwaffe. Die so Rekrutierten kommen allerdings mit etwas fehlgeleiteten Vorstellungen zur U.S. Army, so dass
Top Gun nach dem Irakkrieg 1991 im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen
durch Armeeangehörige ausdrücklich Erwähnung findet.9 Bei einem Pro-MilitärFilm wie GI Jane (USA 1997), der für die Aufnahme von Frauen in den Kreis einer
Elitekampfeinheit (Navy SEALs) votiert, wird das Pentagon später seine Mitwirkung
versagen.10 – Das Rekrutierungskino spielt natürlich nicht erst seit Top Gun eine zentrale Rolle. Bereits über einen Film aus dem Jahr 1943 schreibt Roland Schäfli: »Das
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Marines-Korps ist so zufrieden mit dem universalen Approach von >Guadalcanal Diary<, dass es die Kino-Foyers mit Rekrutierungsplakaten zupflastert. In der Nähe von
Kinos werden temporäre Rekrutierungszentren eröffnet, und bald zählt das Korps
12.000 Neulinge mehr.«11
Ein Jahr nach Top Gun führt Heartbreak Ridge (USA 1986) Rekruten am
Ende ihrer Formung zu »echten Marines« in einen richtigen Krieg. Zu den jungen
Soldaten, die nach überstandenem Drill den strengen Ausbilder wie einen Vater betrachten, gehören Kiffer, Rock’n’Roller und ein deutlich ins Auge fallender Anteil
an Afro-Amerikanern. Der reaktionäre Ausbilder, ein altgedienter Veteran, vermittelt
zwischen der lässigen Haltung der nachwachsenden Disco-Generation und der Disziplin seiner alten Schule. Am Ende gewinnt er Vertrauen und Respekt aller jungen
Männer in seiner Truppe. Zur Belohnung dürfen sie am 25. Oktober 1983 zusammen mit 5.000 anderen U.S. Marines auf Grenada landen und dort mitmachen beim
ersten »schönen kleinen Krieg«, mit dem die Reagan-Administration beweist, dass
das Vietnam-Trauma erledigt ist. (Ausdrücklich weiß der Ausbildungs-Sergeant mit
Blick auf Korea und Vietnam: »Aber die Schlachten haben wir gewonnen!«) Der Film
bemüht sich nicht besonders, die Widersprüchlichkeit der offiziellen Propaganda zur
Grenada-Invasion der Vereinigten Staaten aufzulösen. Dankbare Medizinstudenten
sollen zeigen, dass es um die Evakuierung von US-Amerikanern geht. (Historisch
immerhin korrekt werden sie nicht als wirklich bedroht vorgestellt.) Warum jedoch
nach »Befreiung der US-Bürger« Soldaten durch Schüsse oder US-Granaten getötet
und Hügel erobert werden, warum ein nach Auskunft des US-Außenministeriums
angeblich bestehendes Massengrab12 auf der Insel nie gefunden wird und warum der
Einmarsch der USA mit der erwünschten Absetzung des Premierministers von Grenada endet, all das erfahren wir in Heartbreak Ridge nicht.
Wofür nun soll man als Rekrut, zumal wenn man aus dem schwarzen Getto
kommt, kämpfen? Hinter dem Mythos vom gelobten Land der Freiheit lauerte einst
das hässliche Gesicht einer Sklavenhaltergesellschaft, die aus Afrika etwa zehn Millionen Menschen »importieren« ließ – wobei vermutlich noch einmal so viele auf
Überfahrten starben. Gründungsväter der USA wie George Washington und Thomas Jefferson13 predigten Freiheit und hielten Zuhause selbst Sklaven. Dem Ende
der Sklaverei folgte jener Rassismus, der im Süden der USA noch bis in die 1960er
Jahre Lynchmord-Orgien hervorbrachte. Die entsprechenden »Partys« der White-Anglo-Saxons nannte man »Negergrillfeste«. Die ihnen zugrunde liegende Gesinnung
kann sich immer wieder auf der Geschworenenbank oder in Polizeidezernaten niederlassen.14 Das alles wird der Hollywood-Geschichtsunterricht nach Mandingo15
(USA 1974), Roots (TV-Serie nach dem Buch von Alex Haley, USA 1977), Amistad
(USA 1997), Mississippi Burning (USA 1988) oder Filmen über Martin Luther
King und Malcom X nie mehr übergehen können.16 Afro-Amerikaner sind stolz auf
ihren erfolgreichen Kampf um Bürgerrechte und auf ihre kritische Erinnerungskul-
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tur. Doch gegenwärtig müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass sich die US-Regierung
im internationalen Kontext einer gerechten Aufarbeitung des Völkermordes an Afrikanern und der Sklaverei-Vergangenheit widersetzt17 und dass viele afro-amerikanische Wähler mit dubiosen Methoden aus den Wählerlisten entfernt werden. (Europa
freilich steht an dieser Stelle kein Urteil an! Auf deutschen Bahnhöfen und Bahngleisen werden von Bundesgrenzschutz und Polizei gezielt Menschen mit einer von der
Mehrheit abweichenden Hautfarbe kontrolliert. Einige Mitbürger zeigen inzwischen
bei entsprechenden Maßnahmen solidarisch auch ihre Ausweise vor.)
Schon während des Zweiten Weltkrieges waren die US-Kriegsfilme zumindest bemüht, einen multiethnischen Querschnitt der Gesellschaft innerhalb der gezeigten
Truppe zu präsentieren, obwohl die Traumfabrik sonst ein fast ausschließlich »weißes
Amerika« suggerierte.18 Entsprechende Filmtitel »porträtierten beispielsweise eine UBoot-Besatzung, der jeweils ein Italiener oder Jude aus Brooklyn, ein Farmersohn aus
dem Mittleren Westen oder dem Süden, gelegentlich ein Stahlarbeiter osteuropäischer Herkunft oder, in späteren Filmen, ein schwarzer Soldat angehörten.«19 (Die
Realität während des Zweiten Weltkrieges: Afro-amerikanische Soldaten aßen auch
beim Militär separat; sie sollten nur administrative Aufgaben erledigen; Blutspenden
wurden durch Rotes Kreuz und Army nach »Rasse« sortiert.20) Der Film A Soldier’s
Story (USA 1984) von Norman Jewison vermittelt – mit einigen bemerkenswerten psychologischen Ansätzen – das rassistische Klima in der U.S. Army um 1944.
Das Verteidigungsministerium hat bei diesem Titel kooperiert21; das Drehbuch fand
also Gefallen: Der zu klärende Mordfall an einem afro-amerikanischen Sergeant geht
nicht – wie zunächst vermutet – auf weiße Offiziere oder den Ku-Klux-Klan zurück,
sondern ist Werk von »schwarzen« Soldaten in der Kaserne von Tynin/Lousiana. (Das
Mordopfer Sergeant Waters hatte die »eigenen Leute« aus verstecktem Selbsthass und
wegen des Wunsches nach Anerkennung durch die weiße Hierarchie geschunden,
einige sogar in den Tod getrieben. Ein besonderes Gräuel waren ihm andere Schwarze, die mit ihrem guten »Blues« das Klischee des »Unterhaltungs-Niggers« bedienen.)
Nebenbei bahnt sich in der Gestalt des ermittelnden Militärjuristen Akzeptanz für
einen Afro-Amerikaner im Rang eines Captain an.
Während des Vietnamkrieges klärte die Bürgerrechtsbewegung darüber auf, dass
proportional viel mehr schwarze als weiße Soldaten unter den us-amerikanischen Todesopfern zu finden waren. In vielen bekannten Vietnamfilmen mit eher kritischem
Anspruch lassen sich entsprechende Konfliktszenen finden.22 Sogar der vom Pentagon
gesponserte Streifen Hamburger Hill lässt keinen Zweifel daran, aufgrund welcher
sozialen Verhältnisse Afro-Amerikaner in Südostasien ihren Unterhalt unter Lebensgefahr verdienen müssen.
Die Rassenunruhen in den USA zu Beginn der 90er Jahre sind ohne Zweifel für
Rekrutierungskampagnen unter afro-amerikanischen Männern nicht förderlich gewesen. Vielleicht hat sich das Verteidigungsministerium auch deshalb für eine Koo-
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peration bei Joel Schumacher’s A Time To Kill (USA 1996) entschieden. Diese Grisham-Verfilmung weckt im Drehbuchtext ausdrücklich »Verständnis für einen Mann,
der das Gesetz in seine Hand nimmt, auch wenn er ein Schwarzer ist.« Die zehnjährige
Tochter eines afro-amerikanischen Arbeiters und Vietnamveteranen wird von zwei
weißen Rassisten vergewaltigt und gefoltert. Aus Angst vor einem – in Mississippi
durchaus nicht ungewöhnlichen – Freispruch erschießt der Vater die beiden Täter
im Foyer des Gerichtsgebäudes. In der Stadt gründet sich nun eine neue Ortsgruppe
des »gottesfürchtigen« Ku-Klux-Klans. Diese »Soldaten zum Schutz der christlichen
Heime und Familien«, aus deren Mitte die Vergewaltiger kamen, wollen den Tod des
Afro-Amerikaners. Staatsanwalt und Richter sind voreingenommen. Vor dem Gericht kommt es zu gewalttätigen Tumulten. Negativ werden die Vertreter der Bürgerrechtsbewegung in der Tradition Martin Luther Kings und ein schwarzer Prediger
gezeichnet; sie wollen den Fall für eigene Zwecke instrumentalisieren. Der eigentliche
Held ist ein weißer Rechtsanwalt, der am Ende einen Freispruch für den afro-amerikanischen Vater bewirkt.
Alle »Guten« in diesem Film votieren für die Rechtmäßigkeit von Selbstjustiz und
grundsätzlich auch für die Todesstrafe. (Ausgenommen davon ist lediglich eine Jurastudentin aus reichem Haus, die der Verteidigung freiwillig ihre Dienste anbietet und
die »radikale Bürgerrechtspositionen« vertritt.) Das entscheidende Schlussplädoyer
nimmt nicht mehr Bezug auf den entlastenden Umstand »Unzurechnungsfähigkeit«,
sondern will die Jury von der berechtigten Rache eines Vaters an den Vergewaltigern
seiner Tochter überzeugen. Bezeichnend für die rechtstaatlichen Ideale im US-Militär
ist der Förderkreis dieses angeblich antirassistischen Films: »We gratefully acknowledge
the cooperation of the Department of Defense, the Department of the Army and the National Guard Bureau. – Special thanks to: Mississippi National Guard, 112th Military
Police Batallion.«
Höchst ungünstig für die U.S. Army fällt in den späten 90er Jahren ein historischer
Rückblick zum Zweiten Weltkrieg aus, den der NBC-Film Mutiny (USA 1999) von
Kevin Hooks zeigt: In der U.S. Marine der 40er Jahre haben schwarze Matrosen
höchstens die Chance, zum Verladen von Munition eingeteilt zu werden. Sie erhalten
keine Unterweisung im Umgang mit dem hochexplosiven Material. Rassistische Vorgesetzte schließen überdies Wetten über die höchste Arbeitsleistung ihrer jeweiligen
Mannschaften ab, schikanieren die Matrosen und setzen sie unter Zeitdruck. Am 17.
Juli 1944 kommt es deshalb im Hafen von Port Chicago zu einer Explosion, bei der
320 – zumeist afro-amerikanische – Matrosen sterben. Daraufhin weigern sich die
schwarzen Matrosen, unter den lebensgefährlichen Bedingungen weiter zu arbeiten.
Alle werden bestraft und unehrenhaft entlassen. Ein Teil der Mannschaft wird vor
dem Kriegsgericht sogar wegen Meuterei verurteilt. Die wirklichen Hintergründe
bleiben unberücksichtigt. Bemühungen um eine späte Rehabilitation durch den USKongress sind erfolglos.
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Die Problemanzeige für moderne Rekrutierungskampagnen enthält auch ein Film
wie Ali (USA 2001), in dem der berühmteste afro-amerikanische Boxchampion unter Hinweis auf den Rassismus innerhalb der US-Gesellschaft den Militärdienst in
Südostasien verweigert: »Die Vietcong? Mann, ich habe keinen Ärger mit dem Vietcong. Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt. [...] Ich drück mich nicht, ich
verbrenne keine Fahne und ich fliehe nicht nach Kanada. Ich bleibe hier! Ihr wollt
mich ins Gefängnis stecken? Nur zu, ich war 400 Jahre im Gefängnis, dann schaffe
ich auch noch 4 Jahre mehr. Aber ich fliege keine 10.000 Meilen, um zu helfen, andere Menschen zu ermorden. Wenn ich sterben will, dann sterbe ich hier und jetzt, im
Kampf gegen Euch! Ihr seid mein Feind, nicht die Chinesen, die Vietcong oder die
Japaner. Ihr seid mein Gegner, wenn ich Gerechtigkeit will [...], wenn ich Gleichheit
will. Ich soll irgendwo hin fliegen und für Euch kämpfen? Ihr tretet nicht einmal in
Amerika für mich ein ... !«23
Das hier Thematisierte ist noch nach Jahrzehnten aktuell, auch wenn Afro-Amerikaner längst General oder auch Außenminister werden können. Für den US-Militäreinsatz im Irak formulierte Arundhati Roy im Jahr 2003 eine scharfe Kritik:
»Und wer kämpft eigentlich in diesem Krieg? Wieder einmal die Armen Amerikas.
Die Soldaten, die unter irakischer Wüstensonne schmoren, sind nicht die Kinder
der Reichen. Unter allen Abgeordneten des Repräsentantenhauses und des Senats hat
ein einziger ein Kind, das im Irak kämpft. Die amerikanische >Freiwilligenarmee<
ist angewiesen auf die Armuts-Wehrpflichtigen, arme Weiße, Schwarze, Latinos und
Asiaten, die nach einem Weg suchen, sich eine Ausbildung, und den Lebensunterhalt
zu sichern. Bundesstatistiken zeigen, dass Afroamerikaner 21 Prozent der gesamten
bewaffneten Streitmacht und 29 Prozent der US-Armee stellen. Sie stellen nur 12
Prozent der Gesamtbevölkerung. Es ist eine Ironie, nicht wahr – in der Armee und
im Gefängnis sind Afroamerikaner unproportional oft vertreten.«24 Inzwischen ist
öffentlich bekannt, in welchem Umfang Söldneragenturen und private »Sicherheits«Dienstleister den Antiterror-Krieg der USA als privates Geschäft prägen. Fast 40.000
Kämpfer der US-Streitkräfte im Irak, so klagte der britische Parlamentsabgeordnete
George Galloway im Oktober 2003, seien so etwas wie »Green Card Soldiers«, denen
nach Bewährung im Einsatz die Aussicht auf eine US-Staatsbürgerschaft winke. (Wie
irreführend der häufig zu hörende Hinweis ist, dass im Gegensatz zum Vietnamkrieg
heute ja Berufssoldaten ihr Leben riskierten, zeigt gegenwärtig auch die Not von Tausenden Reservisten. Seit Beginn des Irakkrieges bis Dezember 2004 waren laut CBSNews bereits über 5.500 US-Soldaten auf unterschiedliche Weise desertiert.)
Auf jeden Fall bleibt besonders das »rassische« Ungleichgewicht in der U.S. Army
erklärungsbedürftig. Ein mit patriotischer Theatralik inszenierter Film wie Glory
(1989) klärt das Publikum über den Einsatz von ausschließlich schwarzen Regimentern während des us-amerikanischen Bürgerkrieges auf25; 180.000 Afro-Amerikaner
wurden nach einem Kongressentscheid rekrutiert, und 40.000 Afro-Amerikaner ver-
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loren im »Kampf gegen die Sklaverei und das Auseinanderbrechen der Union« als Soldaten ihr Leben. Die Mitglieder des ersten afro-amerikanischen Regiments der Union
reißen sich 1863 darum, unter der Flagge endlich »mit dem Gewehr in der einen
Hand und der Heiligen Schrift in der anderen« in die Schlacht ziehen zu dürfen (statt
nur grobe Hilfsarbeiten zu verrichten). Edward Zwick inszeniert ihren Weg ins Massengrab mit Gospel, Mannesehre, Gemetzel und »charakterstarkem« Militarismus.
Im Tod sind sie dann endgültig vereint mit ihren weißen Offizieren. (Nicht mehr erfahren wir, was einige Überlebende noch in ihrer Generation erleiden müssen. In den
1890er Jahren gab es jährlich durchschnittlich 153 bekannt gewordene Lynchmorde
an Afro-Amerikanern.)
Der U-Bootfilm U-571 (USA 2000) über den II. Weltkrieg, in dessen Danksagungsliste neben der italienischen Marine und Vertretern der Royal Navy auch das
»U.S. Navy Office of Information, West« auftaucht, zeigt auf geradezu phantastische
Weise einen »Quotenschwarzen«, dessen Rolle als Kriegsheld mit historischen Verhältnissen rein gar nichts mehr zu tun hat. Filme, die mit militärischer Unterstützung
gedreht werden, enthalten bezogen auf die Darstellung der Army viel seltener jene
negativen Stereotypen und ethnischen Vorurteile, die das Kino im multiethnischen
Nationenprojekt USA sonst immer noch zu bieten hat.26 Die (Re-)Konstruktion des
militärischen »Selbstbewusstseins« von ethnischen Minderheiten ist in Koproduktionen von Hollywood und Pentagon obligat und kann zum Angelpunkt ganzer Drehbücher werden.
2. The Tuskegee Airmen (1995)
Paradigmatisch geschieht das in der vom Pentagon geförderten HBO-Produktion The
Tuskegee Airmen (USA 1995). Der Afro-Amerikaner Hannibal Lee hat bereits als
kleiner Junge auf den Feldern seines Heimatstädtchen in Iowa mit einem Miniaturflugzeug gespielt.27 1943 kommt er zum US-Fliegerstützpunkt Tuskegee, wo in einem
»experimentellen Programm« die ersten schwarzen Kampfpiloten der USA ausgebildet werden sollen: »Negro Pilots get wings.« Auf der Zugfahrt müssen die schwarzen
US-Soldaten ihre Plätze für weiße deutsche Kriegsgefangene räumen! Der rassistische
Ausbilder Major Roy in Tuskegee kommentiert ihre patriotische Motivation folgendermaßen: »Das hier ist nicht Ihr Land. Ihr Land ist voller Affen und Gorillas!« Im
zivilen Leben sind die ersten schwarzen Flugkadetten durchweg Akademiker (Politikund Wirtschaftswissenschaftler, Medizinstudenten, Flugzeugingenieure, Literaturund Kunsthistoriker ...). Einer von ihnen erinnert sich, wie man im Süden noch vor
kurzem einen hochdekorierten schwarzen Veteran des Ersten Weltkrieges kurzerhand
gelyncht hat, um keinen Übermut aufkommen zu lassen.28 Der Film zeigt, wie stolz
andere Schwarze (Verwandte, arbeitende Häftlinge auf einem Feld) auf »ihre Leute«
bei der U.S. Army sind. Das Weiße Haus verkündet: »Das amerikanische Volk ist
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bereit, gemeinsam hohe Opfer in diesem Krieg zu bringen. Das bedeutet eine nationale Einheit, die hinsichtlich der Rasse und des Glaubens keine Vorurteile zulässt.«
Die First Lady Frau Roosevelt fliegt demonstrativ vor der Presse im Flugzeug eines
schwarzen Kampfpiloten mit.
Doch rassistische Politiker wie Senator Conyers geben an der »anthropologischen
Fakultät einer der berühmtesten Universitäten des Landes« ein Gutachten zum Tuskegee-Projekt in Auftrag. Mit unanfechtbarem Ruf und unanfechtbaren Ergebnissen
kommen dessen Verfasser zum Ergebnis, dass Schwarze, deren rassische Merkmale
u.a. »engere Blutgefäße« umfassen würden, kaum die intellektuellen Fähigkeiten zur
Handhabung von komplizierten Maschinen hätten. (Hier ist im Ansatz daran erinnert, dass die USA Anfang des 20. Jahrhunderts Hochburgen für rassistische Anthropologie und akademische »Erbhygiene-Forschung« beherbergten, die oft enge Beziehungen zu deutschen Faschisten pflegten.29) Die zunächst in Nordafrika eingesetzte
Staffel der schwarzen Piloten wird auch im Krieg gegen »Hitlers Herrenrasse« schikaniert, ausgetrickst und als unfähig diffamiert, obwohl das Kriegskino der U.S. Army
vor Ort ihre Treffer dokumentiert. Senator Conyers agitiert ohne Unterlass gegen die
»Bande College-verzogener Nigger, die sich einbilden, teure Kriegsflugzeuge fliegen
zu müssen«. Sie sind nach seiner Überzeugung kindisch, impulsiv und unfähig zur
exakten Zielidentifizierung.
Beim Einsatz in Europa kommt es wieder zu rein schwarzen Einheiten, die lediglich als Eskorten für die bedrohten Bomber fungieren. Dabei erringen sich die
Afro-Amerikaner aufgrund ihrer Leistungen enormen Respekt. Mit Theatralik und
unerschütterter Fliegerehre wird im Film der Heldentod von Lieutenant Billy Roberts inszeniert. (Die Rolle spielt Cuba Gooding Jr., der in den Filmbeispielen dieses
Kapitels gleich dreimal auftaucht.) Ein Ex-Rassist verabschiedet sich nun von seinen
»texanischen Soziologiekenntnissen« und fordert die inzwischen berühmte schwarze Division ausdrücklich als Eskorte für die gefährliche Bombardierung Berlins an.
– Der Schluss verkündet zu historischen Bildern: Die schwarzen Tuskegee-Flieger im
Zweiten Weltkrieg erhielten im Kampf 850 Orden, hatten 66 gefallene Piloten zu
beklagen und verloren nie auch nur einen einzigen der von ihnen begleiteten Bomber
durch Feindabschuss. Der Abspann: »We gratefully acknowledge the Cooperation of the
Department of Defense, the Department of the Army, the National Guard Bureau, specifically: Philip M. Strub (Department of Defense Liaison), Major Thomas D. Mc. Collum
(Military Coordinator, Technical Advisor), Lt. Colonel Mitchell E. Marovitz (Army Office of Public Affairs, Los Angeles Branch), Fort Chaffee, Arkansas, Oklahoma National
Guard.« Die in The Tuskegee Airmen gezeigten Kampfeinsätze gegen feindliche
Piloten, Züge, Kraftwerke, Militärschiffe oder Städte sind überwiegend nach dem
Simulationsmuster elektronischer Kriegsspiele gestaltet und vollziehen sich meistens
unter gut gelaunten Abenteuerparolen.
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3. Men Of Honor (2000)
Zur Jahrtausendwende sieht auch die Navy Nachholbedarf in Sachen Rassen-Integration. Sie legt mit einem ähnlich gestrickten Kinofilm, der viele Parallelen enthält, nach.30 Men Of Honor (USA 2000) erzählt, wie ein armer afro-amerikanischer Bauernsohn aus Kentucky Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts gegen
alle Widrigkeiten eine Ausbildung zum Navy-Taucher übersteht und sich schließlich
den Rang eines »Master Chief Sergeant« erkämpft. Bereits als Kind schläft der kleine
Carl, ein begeisterter Taucher, mit einer Navy-Anzeige im Life-Magazin ein: »Fight
– Let’s go! Join the Navy!« Als ihn nach sieben Schuljahren später die Army-Anwerber abholen, lautet die Bitte des Vaters: »Bring es mal weiter als ich. Kämpfe, sei der
Beste!« Bei der Navy hat ein Schwarzer drei Möglichkeiten: Koch, Offiziersbursche
oder: Verschwinden. Als einziger schafft Carl den Weg in die Taucherschule. Obwohl
1948 Truman offiziell die Rassentrennung in der U.S. Army aufgehoben hat, wird
er dort bis hin zur manipulierten Schlussprüfung mit einer Drohung verfolgt: »Wir
ertränken Dich, Nigger!« Die ihm zustehende Medaille für eine Lebensrettung geht
an einen weißen Feigling. Mit Hilfe seiner zukünftigen Frau, einer schwarzen Medizinstudentin, bewältigt er die theoretischen Anforderungen. Sein Werkzeugbeutel
beim Unterwasserexamen wird dann absichtlich zerschnitten, und die Prüfung kann
er nur unter Lebensgefahr absolvieren. Die begonnene Karriere ist Jahre später zu
Ende, als Carl bei der Bergung einer vor Spanien im Meer versunkenen US-Atombombe durch Heldentum fast ein Bein verliert. Er lässt es sich ohne Not amputieren,
um mit einer Prothese den Weg zum Master Chief hartnäckig weiter zu verfolgen.
Ausgerechnet der rassistische und sadistische Ausbilder seiner Anfangsjahre hilft ihm
jetzt dabei. Die Presse, die sich sonst offenbar nirgends um die Rechte von Schwarzen
kümmert, ist an dem ehrgeizigen Vaterlandshelden interessiert. Bei einer öffentlichen
Anhörung31 geht es um seinen Verbleib beim Militär im aktiven Tauchdienst. Carl
präsentiert sich als Verfechter der alten Schule: »Die Navy ist kein Geschäft für mich.
Wir haben viele Traditionen [...] Manche waren gut, manche waren schlecht. Aber ich
wäre nicht hier, wenn es nicht um die wichtigste unserer Traditionen gehen würde,
... die Ehre!« 1968 kehrt Carl Brashear, dessen »wahre Geschichte« der Film aufgreift,
als erster amputierter Navy-Taucher in den aktiven Dienst zurück und wird der erste
Afro-Amerikaner im Rang eines »Master Diver«. Was man nicht erfährt, obwohl es
ausgezeichnet zum zeitlichen Ausgangspunkt des Drehbuches passen würde: Dem
Kampf schwarzer Veteranen des Zweiten Weltkriegs um Menschenrechte und Wahlrecht folgte 1946 und 1947 in den Südstaaten wieder eine Welle rassistischer Gewalttaten.32 Es fällt schwer, anzunehmen, hier werde im Kino ein historisches Interesse
verfolgt. Die Filmbotschaft lautet eher: Der schlimme Navy-Rassismus ist im Jahr
2000 wirklich Vergangenheit geworden; herzlich willkommen an einem Ort, an dem
Du auch heute gesellschaftliche Anerkennung finden kannst! – Die Ehre, so weiß es
der schwarze Held in Men Of Honor, ist das Allerwichtigste in der Navy!
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Das Markenzeichen erscheint im Abspann: »We gratefully acknowledge the support
and cooperation of the United States Department of Defense and the Department of the
Navy«; »specials thanks« gehen u. a. an: Divers Institute of Technology of Seattle
(WA), Philip M. Strub, Special Assistant for audio visual (DoD) und USNS Navajo,
Military Sealift command, Pacific Fleet.
Das Thema wird im Rahmen des bereits ausführlich vorgestellten BruckheimerBay-Films Pearl Harbor (2001) weiter zurückverfolgt. Dieses Staatskunstwerk würdigt erstmals die historische Figur des schwarzen Schiffkochs Dorie Miller in einer
längeren Filmepisode. (Die einzige schwarze Persönlichkeit, die der Film daneben
als Individuum zeigt, ist Roosevelts privater Diener. Dieser privilegierte Butler darf
den Rollstuhl des US-Präsidenten schieben und ihm im Garten eine weiße Rose zuschneiden!) Obwohl Miller (auch hier: Cuba Gooding Jr.) auf seinem US-Schiff im
Hafen von Pearl Harbor nur für die Arbeit in der Küche zugelassen ist, verdient er
sich durch außerordentliche Box-Leistungen den Respekt des – von ihm sehr verehrten – weißen Captains. Der versichert ihm väterlich: »Das Schiff ist stolz auf Sie!«
Während des Angriffs der Japaner bedient Miller – trotz fehlender Ausbildung sehr
erfolgreich – das verwaiste Flugabwehrmaschinengewehr an Bord. Dazu stößt er im
Film gewaltige Urschreie aus. (Von Scham kann bei einer solchen Regie wirklich keine
Rede mehr sein!) Im Schlussresümee heißt es dann: »Dorie Miller wurde als erstem
Schwarzen das Navy Cross verliehen, und er sollte nicht der letzte bleiben! Er reihte
sich ein in die Liste der Helden!«
4. Windtalkers (2002)
Im Vietnam-Kriegsepos We Were Soldiers (2001) erklärt wenig später ein Vorgesetzter jegliche Rassenschranke im Raum des Militärs für nicht existent, und diese Ansage
bestimmt im Voraus auch die Drehbuchwirklichkeit. (Eine schwarze Soldatengattin
hält ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen mit Blick auf den bevorstehenden
Kampf in Südostasien für nebensächlich!) – Eine fast märchenhafte »Heldenfreundschaft« zwischen dem US-Marine Joe Enders und seinem Funker Ben Yahzee, einem
Navajo-Indianer, erzählt Windtalkers (2002). 1944 bilden die beiden ein Team
bei jenen US-Truppen, die die Japaner auf der Insel Saipan besiegen und zu Hitlers
Niedergang beitragen sollen. – Saipan, so heißt es nebenbei, bietet Reichweiten für
»unseren Bomben auf Tokio«. – Historisch erinnert der Film an den kaum bekannten
und lange Zeit geheim gehaltenen militärischen »Navajo-Code«. Er ist im Ernstfall
auch durch Tötung seiner indianischen Träger als geheim zu schützen. Dieser Film
bemüht sich allzu offensichtlich, den Nachfahren der Ureinwohner Amerikas patriotische Identität zu vermitteln, was freilich keinem nennenswerten Rekrutierungsinteresse mehr dienen kann. Parallel zum Filmprojekt verlieh George W. Bush Jun.
den überlebenden Navajo-Indianern, die den beschriebenen Militärdienst geleistet
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hatten, die Goldmedaille des Kongresses. Die Geschichte der Diskriminierung – bis
hin zum Verbot der Navajo-Sprache z. B. in der katholischen Kirche – klingt (zumeist
in eher nachrangigen Details) immerhin an. Weiße Rassisten in der Armee sehen in
der Uniform den einzigen Unterschied zwischen den »verdammten Rothäuten« und
den »Japsen«. Der weiße Soldat, dem der Indianer Whitehourse das Leben gerettet
hat, erinnert sich: »Ich weiß noch, wie mein Großvater auf der Veranda über die Jagd
auf Indianer geredet hat – so als würde er über Eichhörnchen sprechen oder so. Er
hat damals für jedes Comanchen-Ohr drei Dollar gekriegt.33 Ich weiß, das gibt einem
zu denken ...« Doch die indianische Hauptfigur bekennt: »Es ist auch mein Krieg.
Ich kämpfe für meine Nation, für mein Land, für meinen Stamm!« Das indianische
Kriegerideal ist jetzt ein patriotisches und wird in der nächsten Generation an einen
Sohn weitergegeben, der »George Washington« heißt.
Strittigster Punkt der Filmgeschichte war der Befehl, die Navajo-Codeträger zu
töten, falls diese in feindliche Hand geraten sollten.34 Der Kasus ist von Überlebenden und in einem schriftlichen Bericht des Kongresses (2000) eindeutig belegt. Den
»Filmoffizieren des Pentagon, die den Dreh neun Monate lang überwachten, waren
auch noch die Andeutungen, die der Vorgesetzte des Corporals bezüglich dieser Order macht, zu deutlich. Obwohl er vom US-Kongress bestätigt wurde, bestreitet das
Pentagon bis heute, dass es einen Befehl zur Tötung der Code-Talker gegeben habe.«35
In diesem Zusammenhang wird Matt Morgan vom Pentagon Film Office zitiert: »Ich
habe das Skript, das mir ursprünglich vorgelegt wurde, ändern lassen. Wir vom Pentagon passen genau auf, dass unsere Geschichte absolut korrekt dargestellt wird.«36
Gegen alle – öffentlich dokumentierten – historischen Fakten behauptet Philip M.
Strub, Chef der Unterhaltungsindustrieaktivitäten des Pentagon, dreist: »Kein Soldat
hatte Order, einen Codefunker zu töten, um dessen Gefangennahme zu verhindern.«37
Drehbuchautor John Rice lässt sich umstimmen, streicht im Dialog der Schlüsselszene das Wort »Töten« und findet das im Nachhinein »sowieso besser als richtig direkt«:
»... Unter keinen Umständen darf Ihr Funker in die Hände des Feindes fallen. Ihre
Mission ist es, den Code zu beschützen, um jeden Preis. Haben Sie mich verstanden?«
De facto zeigt der Film aber dann doch in schnellen Schnitten und Großaufnahmen
die Ausführung des Tötungsbefehls, was Jim Dever, der zuständige Pentagon-Militärberater für Windtalkers, auf ein hohes Ethos des betroffenen Indianers zurückführt:
»Er will nicht in Kriegsgefangenschaft geraten, denn ihm ist klar, dass es das Leben
vieler Männer bei den Marines gefährdet, wenn die Japaner mit seinem Wissen den
Code knacken.«
Um zu belegen, dass die Kunst auch bei Kooperationen mit dem US-Militär ganz
frei bleibt, resümiert Philip Strub: »Ich muss sagen, als ich den Film sah, dachte ich,
wir haben den Kürzeren gezogen. Jetzt sieht es so aus, als hätten die Marines diesen
Befehl wirklich erhalten. In diesem Fall haben wir nicht das erreicht, was wir uns
vorgenommen haben.«
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VII. Ehrenmänner und Windflüsterer
Eine weitere Korrektur an Windtalkers bezieht sich auf die Rolle eines Zahnarztes
in der U.S. Army. Obwohl historische Aufnahmen belegen, dass US-Soldaten toten
Japanern im Zweiten Weltkrieg Goldzähne herausgebrochen haben, besteht Pentagon-Unterhaltungsexperte Philip Strub in einem internen Vermerk auf eine Streichung der betreffenden Stelle: »Die Figur des Zahnarztes legt ein Verhalten an den
Tag, das für Marines undenkbar ist.«38 Was vom Pentagon unabhängige Produktionen
wie The Thin Red Line (1998) ins Bild setzen, soll ein militärisch »korrekter« Film
nicht zeigen.39 Zu sehen ist stattdessen auf der Leinwand, wie ein US-Amerikaner
mit seinen letzten Schmerzpillen einem unschuldigen Kind hilft. Aktuelle Rekrutierungspropaganda hält die DVD-Version von Windtalkers im Link »Trainingslager«
bereit. Die Teamerfahrung des Army-Drills ist für die Beteiligten »a great experience«
und wie üblich »unbelieveable».
Außerhalb der in Kooperation mit dem Pentagon gezielt multiethnisch konzipierten Kriegsfilme präsentiert Hollywood in Matrix Reloaded (2003) neuerdings
eine Armee, in der fast alle militärischen Leitungsfunktionen mit »Schwarzen« besetzt
sind. Diese Armee der Menschheitsretter erscheint zugleich als der angesagte Ort einer modernen afro-amerikanischen Kulturszene.
5. Antwone Fisher (2003)
Im ersten Jahr des Irakfeldzugs der USA vervollständigt Denzel Washington mit seinem Regiedebüt Antwone Fisher (2003) das Filmcurriculum-Kapitel »Rassenintegration im Militär« sehr eigenwillig und ohne Kriegsszenen: Immer wieder kommt
es beim jungen Matrosen Antwone Fisher zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen.
Nach seiner Geburt in einem Gefängnis, dem Aufwachsen in einer Pflegefamilie
und kurzer Zeit im Wohnungslosenasyl hat er – statt im Milieu der Straßenkriminalität zu enden – bei der Navy seinen Platz gefunden. Doch selbst arglose Anrede
durch weiße Soldaten empfindet er als rassistische Provokation. »Brothers«, die mit
Weißen rumhängen, mag er nicht. Es kommt zu Schlägereien, Disziplinarstrafen
und zur Verordnung einer psychiatrischen Begutachtung. Der afro-amerikanische
Navy-Psychologe Dr. Davensport, gespielt vom Regisseur selbst, zeigt zunächst klare
professionelle Distanz. Er besteht auf Respekt vor seinem militärischen Dienstgrad
und lässt den Matrosen Fisher auch zwangsweise in sein Büro bringen. Nach mehreren Schweigestunden öffnet sich Fisher, und die lebensgeschichtlichen Wurzeln
seiner Aggressivität treten nach und nach zutage. Letztlich ist er Opfer der Sklavengesellschaft, deren zerstörerische Auswirkungen auf Familienzusammenhalt und Selbstwertgefühl über Generationen hinweg andauern.40 Fishers schwarze Waisenmutter
hat ihre Zöglinge sadistisch gequält, gegeneinander ausgespielt und stets nur mit
»Nigger« gerufen. Bevorzugt wurde von ihr der einzige Mischling. Ihre Tochter hat
den nur sechsjährigen Antwone regelmäßig sexuell missbraucht, der deshalb später
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VII. Ehrenmänner und Windflüsterer
in der Beziehung zu Frauen gehemmt ist. Der einzige Freund seiner Jugendzeit wurde bei einem versuchten Ladendiebstahl erschossen ...
Die Lösungen des autobiographisch inspirierten Drehbuches sind phantastisch.
Der Militärpsychologe bietet dem jungen Matrosen nicht nur Hilfe, sondern auch
Freundschaft an und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Antwone pflegt seine geistig-kulturellen Begabungen und findet eine schwarze Freundin, die ebenfalls bei der
Navy arbeitet. Gegen die psychiatrische Begleitung hat sie nichts einzuwenden, weil
sie das von ihrem Vater, einem Navy-Vietnamveteranen, kennt. Schließlich gelingt es
Fisher, die eigene Vergangenheit aufzusuchen. Von der Waisenmutter verabschiedet er
sich endgültig: »Sie konnten mich nicht zerstören. Ich bin hier, stark! Und das werde
ich auch immer sein!« Er macht die Familie seines schon vor der Geburt erschossenen
Vaters ausfindig. Dort wird er von allen mit einer schier unglaublichen Herzlichkeit
und Wärme aufgenommen. Der in ärmlichen Verhältnissen lebenden leiblichen Rabenmutter, die er zuvor nie gesehen hat und die im Film nur hilflos zurückbleibt,
kann Antwone zumindest seine Enttäuschung mitteilen: »Ich habe viel gelesen, bin
nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. [...] Ich habe die Welt bereist und meinem Land gedient. [...] Ich habe immer von Dir geträumt.«
Die ideologische Zielrichtung dieses Titels wird beim Vergleich mit dem etwas
früheren Film Conviction (USA 2002) nach der Biographie von Carl Upchurch
besonders deutlich. Im Rahmen einer Resozialisierungsgeschichte gab es in Conviction ernsthafte Ansätze einer politischen Bewusstseinsentwicklung.41 In Antwone
Fisher entpuppt sich rassistische Anmache im US-Militär bei näherem Hinsehen
als Paranoia. Die Wurzeln der Probleme heutiger Afro-Amerikaner liegen, wie wir
erfahren, weit zurück in der Vergangenheit. Die Botschaften des melodramatisch und
psychologisch außerordentlich geschickt inszenierten Films: Wenn Du keine Perspektive und kein Zuhause hast, findest Du beides in der U.S. Army; obendrein einen Psychiater, der den Stein von deinem Seelengrab nimmt und deine Lebenswunden heilt,
und sogar eine Gefährtin fürs Leben. Die Navy ist für dich eine Familie und hilft
dir dabei, deine leibliche Familie wieder zu finden. Bei solchen Aussichten erklären
nicht nur kostspielige Kulissen – wie ein echter Flugzeugträger – die lange Liste der
dokumentierten Hilfestellung durch Pentagon und U.S. Army: »The producers wish to
thank for their Assistance: Department of Defense; U.S. Navy; special Assistant for Entertainment Media Philip Strub; Navy Office of Information West; CDR Robert Anderson
(USN); Lt. Tanya Wallace (USN); Lt. Marc Williams (USN); JOI Tyler Swartz (USN);
Commander – Navy Region Southwest; Commander – Naval Air Force (U.S. Pacific
Fleet); Naval Station San Diego; Naval Base Coccoada; Naval Medical Center San Diego;
Space and Naval Warfare Systems Center San Diego; Navy Ships: USS Tarawa (LHA-1);
USS Belleau Wood (LHA-3); USS Nimitz (CVN-68); USS Constellation (CV-64); USS
Peleliu (LHA-5).«42 Passend wird Antwone Fisher zusammen mit Men Of Honor
im DVD-Verkauf als Kombi-»Marines Pack« angeboten.
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