LösungWW06
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Prof. Dr. Giovanni Biaggini Dr. Madeleine Camprubi Universität Zürich Rechtswissenschaftliche Fakultät Vorprüfung im Öffentlichen Recht für Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler Lösungsskizze Die Hinweise beziehen sich auf das Skript „Öffentliches Recht für Studierende der Wirtschaftswissenschaft“ vom WS 04/05. Aufgabe 1 Das Parlament (6 P) a) Skript S. 29 f. Das Proporzsystem oder Verhältniswahlsystem müsste eingeführt werden. Nach diesem System bekommen die politischen Parteien so viele Sitze, wie sie Stimmen im Verhältnis zu den Stimmenden erhalten. Eine Partei mit landesweit 10% der Stimmen würde daher 10% der Sitze erhalten. (2 P) b) Skript S. 28 und 29 ff. Das Parlament besteht aus dem Nationalrat und dem Ständerat. Das Wahlverfahren ist für den Nationalrat im Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR) geregelt. Für den Ständerat ist es im kantonalen Recht geregelt. (2 P) c) Skript S. 14 Nein, die Bundesverfassung schreibt den Kantonen eine demokratische Verfassung vor (Art. 51 Abs. 1 BV). Die Kantone müssen ihre Staatsform zumindest indirekt-demokratisch gestalten. Eine nicht vom Volk gewählte Parlamentskammer würde diese Voraussetzung nicht erfüllen. (2 P) Aufgabe 2 Der Bund und die Kantone (10 P) a) Skript S. 21 und 20 In Frage kommt die Bundesexekution. Zur Bundesexekution zählen - die Ersatzvornahme (Ausführung durch den Bund selbst anstelle und auf Kosten des Kantons), - die Zurückbehaltung zweckgebundener Subventionen, - die militärische Gewalt. 1884 drohte der Bund dem Tessin militärische Gewalt an. (3 P) b) Zur Anordnung von Massnahmen der Bundesexekution sind die Bundesversammlung (Art. 173 Abs. 1 lit. e BV) und der Bundesrat (Art. 186 BV) zuständig. (3 P) c) Skript S. 36 und S. 20 Dies beruht auf dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz. (1 P) d) Skript S. 5 Der Bundesrat stützt sich auf das bundesstaatliche Prinzip (oder föderalistische Prinzip). (1 P) 1 Prof. Dr. Giovanni Biaggini Dr. Madeleine Camprubi Universität Zürich Rechtswissenschaftliche Fakultät e) Skript S. 44 Die Meinungsfreiheit ist nicht relevant, weil die Freiheitsrechte/Grundrechte nur den Privaten, nicht dem Gemeinwesen (bzw. den Staatsorganen) zustehen. (1 P) f) Skript S. 10 Die Kantone gelten nicht als Staaten im rechtlichen Sinne. Sie verfügen nicht über die höchste Staatsgewalt/über Souveränität. (1 P) Aufgabe 3 Die Kantone (13 P) a) Skript S. 12. Die Änderung des Bestands der Kantone ist in Art. 53 Abs. 2 BV geregelt. Erforderlich ist allgemein die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung, der betroffenen Kantone sowie von Volk und Ständen. Konkret braucht es also für die Halbierung das Volks- und das Ständemehr, die Mehrheit der Stimmen im Oberwallis und im Unterwallis sowie die Mehrheit der Stimmen im Kanton Wallis. Letztere Voraussetzung ist mit der Mehrheit der Stimmen im Oberwallis und im Unterwallis automatisch erfüllt, weil nur die Bevölkerung im Kanton Wallis betroffen ist. (3 P) b) Skript S. 11 Die Halbkantone haben grundsätzlich die gleiche Rechtsstellung wie die anderen Kantone. Ausgenommen ist die Zahl der Ständeräte pro Kanton: Die Halbkantone wählen nur eine oder einen Abgeordneten. In den Volksabstimmungen gilt ausserdem die Mehrheit im Halbkanton nur als halbe Standesstimme. (2 P) c) Skript S. 53 f. Ein solches Gesetz würde gegen die Sprachenfreiheit nach Art. 18 BV und gegen Art. 70 Abs. 2 BV verstossen. Die Sprachenfreiheit gewährleistet das Recht, von einer beliebigen Sprache Gebrauch zu machen. Im Umgang mit den Behörden darf der Gebrauch einer Amtssprache vorgeschrieben werden. Die Kantone bestimmen die kantonalen Amtssprachen. Sie sind allerdings dabei verpflichtet, auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und auf die angestammten sprachlichen Minderheiten Rücksicht zu nehmen. (5 P) d) Skript S. 22 Streitigkeiten zwischen Kantonen sollen nach Möglichkeit durch Verhandlung und Vermittlung beigelegt werden (Art. 44 Abs. 3 BV). (1 P) e) Skript S. 24 Es wird sich um das Verfahren der staatsrechtlichen Klage vor Bundesgericht gehandelt haben (Art. 83 lit. b OG). (2 P) Aufgabe 4 Toxin in der Milch (15 P) Skript S. 48 ff. und 97 Betroffenheit von Freiheitsrechten (Skript S. 54 ff.) 2 Prof. Dr. Giovanni Biaggini Dr. Madeleine Camprubi Universität Zürich Rechtswissenschaftliche Fakultät Die Einmischung des Staats tangiert nach schweizerischem Recht: - die Forschungsfreiheit (Art. 20 BV) des Professors, weil zur freien Forschung die Veröffentlichung von wissenschaftlichen Ergebnissen gehört. (1½ P) - die Medienfreiheit (Art. 17 BV) der Zeitschrift, weil das Recht, die zu veröffentlichenden Beiträge selber zu bestimmen, dazu gehört. (1½ P) - sowie subsidiär für beide Parteien die Meinungsfreiheit (Art. 16 BV und Art. 10 EMRK), weil mit dem staatlichen Eingriff die freie Verbreitung der im Beitrag geäusserten Meinung eingeschränkt wird. (1½ P) Der Professor und die Zeitschrift sind als natürliche Person bzw. als juristische Person des Privatrechts Träger der genannten Freiheitsrechte. (1½ P) Verletzung Voraussetzungen (Skript S. 48 ff. und 97) Eine Einschränkung der Grundrechte ist zulässig, wenn sie sich auf eine gesetzliche Grundlage stützt, im öffentlichen Interesse liegt oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt ist, verhältnismässig ist und den Kerngehalt der Freiheitsrechte beachtet (Art. 36 BV). (3 P) Gesetzliche Grundlagen (Skript S. 48 f.) Die gesetzliche Grundlage muss generell-abstrakt und genügend bestimmt sein. Die Einschränkung ist schwer und muss deshalb in den Grundzügen in einem Gesetz geregelt sein. (2 P) Das öffentliche Interesse (Skript S. 55 und 49) besteht hier in der Wahrung der öffentlichen Sicherheit, einem polizeilichen Interesse. (1 P) Die Massnahme ist unverhältnismässig - Das Verbot der Veröffentlichung des Forschungsergebnisses ist geeignet, die öffentliche Sicherheit zu fördern. (½ P) - Die Massnahme ist nicht erforderlich. Die Publikation einer um konkrete Angaben abgekürzten Version des Beitrags würde den Sicherheitsbedürfnissen auch genügen. (½ P) - Das Verhältnis zwischen dem staatlichen Eingriff und der Wirkung der Regelung für den Professor ist gewahrt. Das Risiko für die öffentliche Sicherheit ist erheblich. Dem öffentlichen Interesse muss demnach gegenüber dem Publikationsinteresse des Professors und der Zeitschrift der Vorrang gegeben werden. Der Professor konnte seine Forschung durchführen und seine Ergebnisse werden von den betreffenden Regierungsstellen zur Kenntnis genommen. Ausserdem bleibt die Möglichkeit bestehen, dass der Beitrag später veröffentlicht wird. Die Zeitschrift ist ihrerseits nicht auf die Publikation des Beitrags angewiesen. (2 P) Der Kerngehalt der genannten Freiheitsrechte bleibt gewahrt, weil dem Professor die Forschung nicht vollständig verboten wird und die Zeitschrift ihre Publikationstätigkeit nicht einstellen muss. 3