Mitten im Geschehen

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Mitten im Geschehen
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Interview
Mitten im Geschehen
Das Helsinki Barockorchester auf Deutschland-Tour
Im Gespräch: Aapo Häkkinen und Susanne Rydén
Die Fragen stellte Johannes Jansen
Foto: Helsinki Baroque Orchestra/Heikki Tuuli
Von Helsinki aus betrachtet, liegt Deutschland schon halb in Südeuropa, denn nach Berlin ist es von dort fast genauso weit wie von
Berlin nach Rom. Aber Entfernungen spielen für Aapo Häkkinen
ohnehin keine Rolle. Er denkt international. Im Helsinki Baroque
Orchestra ist die Probensprache Englisch, der Konzertmeister
kommt aus Italien. ›Open‹ und ›not so electric‹ ruft Häkkinen
seinen Mitspielern bei der Probe im Berliner Konzerthaus zu, um
ihnen einen Begriff von seiner Klangvorstellung zu vermitteln. Ein
bisschen ›elektrisch‹ wirkt er selbst, wenn er vom Cembalo aufspringt und mit beiden Händen ins Klanggeschehen eingreift. Dass
man sich manchmal an den ›sound‹ von Musica Antiqua Köln erinnert fühlt, ist kein Zufall, denn auch Reinhard Goebel arbeitet gelegentlich mit dem Orchester. Anfang Mai präsentierte es sich im
Rahmen zweier vom Finnland-Institut und Deutschlandradio
Kultur ermöglichten Konzerte in Berlin und Eisenach. Als Gast
dabei war die schwedische Sopranistin Susanne Rydén, die wir bei
dieser Gelegenheit gleich mit zum CONCERTO-Gespräch gebeten
haben. Im September wird das Helsinki Barockorchester bei den
Bach-Tagen in Köthen und beim Bremer Musikfest zu hören sein.
CONCERTO: Frau Rydén, wie stark waren Sie als Gastkünstlerin
bei der kleinen Deutschlandtournee des Helsinki Barockorchesters
an der Auswahl des Programms beteiligt?
RYDEN: Wir mussten natürlich schauen, dass es von der Besetzung
her zusammen passt und haben dann neben der nicht so häufig
gespielten Bach-Kantate Non sà che sia dolore als eine Art intimes
Zentrum des Programms, das ja eigentlich ein Orchesterprogramm
ist, zwei Deutsche Arien von Händel ausgewählt. Das hat auch mit
Riccardo Minasi, dem Konzertmeister, zu tun, weil er ein so ausgezeichneter Geiger ist.
CONCERTO: Wie kommt ein italienischer Geiger in das Helsinki
Barockorchester?
HÄKKINEN: Ich hatte mit ihm schon in verschiedenen Ensembles
zusammengearbeitet, kannte ihn also schon länger, als ich ihn 2004
als Dirigenten erstmals zu einem Konzert mit dem Helsinki Barockorchester einlud. Seitdem ist er immer wieder als Konzertmeister
und auch als Dirigent mit uns aufgetreten. Seit dem vergangenen
Jahr ist er uns in diesen Funktionen als ›associate director‹ fest verbunden und hat viel dazu beigetragen, unsere Streichergruppe zu
vereinheitlichen, was ja in einem kleinen Orchester, wie es ein
Barockorchester nun einmal ist, besonders wichtig ist. Wir sind sehr
glücklich über diese Zusammenarbeit.
CONCERTO: Aber Sie praktizieren keine sogenannte Doppeldirektion vom Cembalo und Konzertmeisterpult aus?
HÄKKINEN: Nein. Aber der Konzertmeister hat natürlich trotzdem immer eine wichtige Position.
CONCERTO: Nicht von ungefähr, vermute ich, ist das heutige
Eröffnungsstück von Pisendel. Er war ja einer der berühmtesten
Violinvirtuosen und Konzertmeister seiner Zeit ...
HÄKKINEN: Ja, speziell diese c-Moll-Sonate ist allerdings weniger
im virtuosen als vielmehr im Stil einer Vivaldi-Kirchensonate gehalten. Für mich ist aber die interessantere Verbindung diejenige zu
Bach. In harmonischer Hinsicht und auch im rhetorischen Gebrauch
verschiedener Motive und Intervalle erinnert doch vieles an Bachs
Kirchenmusik.
CONCERTO: Wie würden Sie aus Ihrer jeweils unterschiedlichen
Perspektive beschreiben, was Sie mit Bach verbindet?
RYDEN: In Schweden haben wir Johan Helmich Roman, den wir
den Vater der schwedischen Musik nennen. Aber Bach ist für mich
so etwas wie der Mittelpunkt aller Musik. Als Sängerin liebe ich es
besonders, die h-Moll-Messe und andere große Werke solistisch aufzuführen, wie ich es mit Joshua Rifkin und, auf etwas andere Art,
mit Cantus Cölln gemacht habe. Da ist man die ganze Zeit mitten im
Geschehen. Trotzdem funktioniert Bach auch mit einem Riesenchor
und Sinfonieorchester. Die Musik ist so vollendet, dass sie alle diese
Varianten der Interpretation erträgt.
CONCERTO: Nichts kann Bach kaputt machen ...
HÄKKINEN: Am besten erkennt man vielleicht, was Bachs Musik
ausmacht, wenn man ihn und Telemann direkt nebeneinander
stellt, wie wir es neulich einmal gemacht haben. Ich rede nicht von
einem Qualitätsunterschied, sondern von der Art zu komponieren.
Diese Komplexität, die ihm von den Zeitgenossen oft vorgeworfen
wurde, gibt es ja tatsächlich, und zwar nicht nur in der MatthäusPassion. In jedem Takt ist zu erkennen, dass er so nur von Bach und
keinem anderen hätte geschrieben werden können.
RYDEN: Was auch dazu gehört, ist die Tatsache, dass man – ganz
anders als in Händels Da-capo-Arien, die man ausschmücken kann
und muss – beim Singen kaum Verzierungen anzubringen braucht.
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Johan Joachim Agrell, einem Schweden in deutschen Diensten,
widmet sich die jüngste Einspielung des Helsinki Barockorchesters;
unten: Aapo Häkkinen und Susanne Rydén in Eisenach
Fotos: Aeolus/Kl.-P. Kaschke
Es ist alles komplett, abgesehen vielleicht von ein paar kleinen
Trillern.
CONCERTO: Haben Sie, Herr Häkkinen, auch schon mit solchen
Minimalbesetzungen bei Bach experimentiert?
HÄKKINEN: Wir haben einige Kantaten in solistischer Besetzung
aufgeführt und kürzlich auch die Johannes-Passion mit einem Kammerchor von etwa der Größe, die Bach 1730 in seinem Entwurff
gefordert hat. Aber ich habe da keine feste Meinung und denke, er
hat verschiedene Optionen gehabt und auch genutzt. Die Diskussion um die solistische Besetzung dauert ja nun schon fast 30 Jahre
an; Studien wie diejenige von Andreas Glöckner im Bach-Jahrbuch
2006 werfen immer wieder neues Licht darauf. Und natürlich ist es
keine Frage, die sich allein auf Bach beschränkt.
CONCERTO: Anders als in Schweden mit Johan Helmich Roman
gibt es in Finnland keine solche Vaterfigur, wohl aber eine recht
lebendige Alte-Musik-Szene. Es geht also auch ohne ›Tradition‹ ...
HÄKKINEN: In der Zeit, von der wir sprechen, war Finnland ein
Teil Schwedens mit Stockholm als Hauptstadt und einer starken
Zugehörigkeit zum gesamten Baltikum. Es gab enge Verbindungen
mit Tallinn, Riga und auch mit den deutschen Hansestädten.
Komponisten wie Ritter, Meder oder später Kraus waren auch in
Turku bekannt, der damaligen Hauptstadt des
östlichen Teils von Schweden. Aber die Herausbildung einer Alte-Musik- Szene in Finnland –
wobei wir im wesentlichen natürlich von Helsinki sprechen – ist ein Phänomen der vergangenen 25 Jahre.
CONCERTO: Hat dazu auch das vielbewunderte finnische Bildungswesen beigetragen?
Wie war es bei Ihnen?
HÄKKINEN: Ich kam im Alter von dreizehn
oder vierzehn Jahren an der örtlichen Musikschule erstmals mit dem Cembalo in Berührung, als ich dort Klavierunterricht hatte. Es gibt
diese Musikschulen fast überall, jeder kann
seine Kinder dorthin schicken, es kostet die
Eltern praktisch nichts. Es ist ein gutes System,
das momentan allerdings unter Druck gerät. An
den allgemeinbildenden Schulen hat man die
Zahl der Musikstunden schon reduziert.
RYDEN: In Schweden war es einmal genauso
wie in Finnland. Auch ich bin ja sozusagen ein
Produkt dieser allgemeinen Musikschule, an
der ich zunächst Geige und Klavier gelernt
habe. Nebenbei habe ich natürlich immer auch
gesungen ...
CONCERTO: ... wie Sie ja auch, Herr Häkkinen, nicht wahr?
HÄKKINEN: Ich war, ehe ich auf die Musikschule ging, im Knabenchor der Domkirche von Helsinki und habe auch im Schulchor
gesungen. Heute ist die Musik allerdings nur noch an wenigen
Schulen so stark in den normalen Unterricht integriert.
RYDEN: Aber das finnische Musikschulsystem ist nach wie vor
intakt. Ich kenne es, weil ich dort selbst ein wenig unterrichte, und
muss sagen, es ist viel, viel besser als in Schweden. Die Musikschule
von Stockholm hat erst gerade wieder wegen politischer Sparmaßnahmen die Ensemble- und Orchesterangebote streichen müssen.
Für die Instrumentalausbildung ist das der Tod, denn ein Instrument spielt man doch, um mit anderen Musik zu machen! In der
Königlich Schwedischen Musikakademie, der ich seit ein paar
Jahren angehöre, engagieren wir uns sehr stark gegen diese Kürzungen und versuchen, den Politikern die Augen dafür zu öffnen,
welche Chancen die Musikausbildung den Kindern bietet. Aber das
ist sehr schwierig. Ich kann nur hoffen, dass es in Finnland nicht
auch in diese Richtung geht.
CONCERTO: Noch steht Finnland als leuchtendes Vorbild da und
bringt eine Vielzahl erstaunlicher Talente wie den jungen Organisten Ilpo Laspas, den Klarinettisten Olli Leppäniemi und eine große
Zahl international gefragter Dirigenten hervor. Auch sie haben
neben Ihrem Orgel- und Cembalostudium bei Elina Mustonen und
Olli Porthan eine Dirigierklasse an der Sibelius-Akademie besucht ...
HÄKKINEN: Ja, mein Schwerpunkt war allerdings das Chordirigieren. Als Orchesterdirigent habe ich nur einige Kurse besucht und
sehe mich auch nicht als Teil der berühmten Schule von Jorma
Panula, die sich ja sehr auf die schlagtechnischen Aspekte des Dirigierens konzentriert. Wir haben heute eine Generation von technisch ungeheuer versierten Dirigenten, die sehr komplexe Partituren in der Hälfte der üblichen Probenzeit umsetzen können. Aber es
gibt Stimmen, die sagen, es fehle manchmal an der geistigen Durchdringung und Interpretationskultur, was natürlich auch daran liegt,
dass diese rein technische Erziehung nach dem Prinzip verfährt:
Mach, was Du willst, wir helfen Dir herauszufinden, wie es geht!
Daran ist soweit nichts verkehrt, aber ich sehe mich überhaupt nicht
in dieser Tradition, die mit der früheren Art, Musik zu machen und
zu formen, wenig zu tun hat, weil es Dirigenten, wie wir sie heute
kennen, damals gar nicht gab.
CONCERTO: Verspüren Sie keine Neigung, ins romantische Repertoire vorzustoßen?
HÄKKINEN: Ich liebe romantische Sinfonien und interessiere mich
auch für Neue Musik. Aber im Orchester liegt der Schwerpunkt
naturgemäß auf der Musik von etwa 1600 bis 1800. Allerdings
haben wir im Rahmen eines Programms mit geistlicher Musik aus
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Österreich auch schon einmal Schuberts Salve Regina gespielt.
›Barockorchester‹ ist freilich ein doppelter Anachronismus in dem
Sinne, dass das, was wir unter ›barock‹ verstehen, als Begriff erst seit
dem 20. Jahrhundert existiert und es Barockorchester in der heutigen Standardbesetzung eigentlich nie gegeben hat. Deshalb sollte
man vielleicht besser von einem Instrumentalensemble mit Schwerpunkt auf der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts sprechen.
CONCERTO: Welche Rolle spielt die Oper beziehungsweise Theatermusik in Ihrer Arbeit?
HÄKKINEN: Wir haben bisher Haydns L’isola disabitata und
Händels Acis and Galatea gemacht, nicht jedoch als abendfüllende
Produktionen ...
RYDEN: ... aber das kommt!
CONCERTO: Ist beim Publikum die Neugier groß?
HÄKKINEN: Absolut! Schon aufgrund der Tatsache, dass die
Nationaloper keinerlei Barock-Produktionen anbietet. Im September bringen wir allerdings in der Aula der Oper ein etwas avantgardistisches Vivaldi-Bühnenprogramm mit Tänzern heraus.
RYDEN: Bisher bin ich, glaube ich, die einzige, die dort etwas in
dieser Richtung gemacht hat, allerdings auch nicht auf der großen
Bühne, sondern im Foyer mit meinem ›Christina‹-Programm über
die Reise der Königin von Schweden.
HÄKKINEN: Vor einigen Jahren gab es tatsächlich einmal den Plan,
Monteverdis L’Orfeo aufzuführen. Lars-Ulrik Mortensen sollte dirigieren, Topi Lehtipuu die Titelpartie singen und Sirkka-Liisa Kaakinen die Streicher anleiten. Dann hatte jemand die fabelhafte Idee,
den Trompetern des Opernorchesters auf die Schnelle das Zinkspielen beizubringen. Das konnte natürlich nicht funktionieren, und so
wurde dann nichts aus dem Projekt.
CONCERTO: Die Zukunft des kleinen Alte-Musik-Festivals in
Vantaa scheint auch recht ungewiss ...
HÄKKINEN: Ja, es ist jetzt einmal ausgefallen und musste praktisch
wieder bei Null anfangen. Das ist schade, denn es war das einzige
Festival seiner Art mit internationaler Ausrichtung.
CONCERTO: Das Stockholm-Early-Music-Festival scheint hingegen recht erfolgreich zu sein, wie auch das Opernfestival in Drottningholm. Wo steht die schwedische Alte-Musik-Szene heute?
RYDEN: Die Szene ist recht klein und konzentriert sich im wesentlichen auf Stockholm. Immerhin haben wir diese beiden Festivals. Sie
müssen zwar um ihren Platz kämpfen, aber es gibt doch gewisse
Garantien, so dass sie weiterhin stattfinden können – in Stockholm
sind es ja nur drei Tage im Juni. Geldmangel ist natürlich auch in
Drottningholm ein Problem. Es ist zwar, wie ich finde, ein geradezu
magischer Ort, aber das Theater hat nur 450 Plätze und die historische Substanz darf nicht zu sehr beansprucht werden. Doch gibt es
Pläne und Visionen, wie man es erweitern kann.
CONCERTO: Wie setzt sich das Opernorchester zusammen – ist es
identisch mit dem Drottningholms Barockensemble?
RYDEN: Nein, die sollte man nicht verwechseln. Das Theaterorchester hat sich, seit Mark Tatlow die künstlerische Leitung
innehat, mehr und mehr zu einer festen Truppe schwedischer
Musiker entwickelt. Es gibt auch noch ein drittes Barockorchester in
Stockholm und neuerdings in Südschweden ein weiteres kleines
Festival. Alle, die wie ich nach der Ausbildung im Ausland jetzt
nach Schweden zurückkehren, wirken engagiert am Aufbau dieser
Szene mit.
CONCERTO: Könnten Sie als Sängerin in Schweden allein vom
Musikmachen leben, ohne nebenher zu unterrichten?
RYDEN: Ja, aber ohne meine Stelle an der Hochschule in Stockholm
wäre es schwer, obwohl das Interesse wächst. Schweden ist eben ein
kleines Land. Deshalb können wir an der Alte-Musik-Abteilung der
Hochschule auch nicht alle Fächer anbieten. Im Moment gibt es zum
Beispiel keine Gambe.
CONCERTO: Namen wie Kati Hämäläinen und die schon erwähnte
Elina Mustonen stehen für die guten Ausbildungsmöglichkeiten,
die es speziell für Tasteninstrumente in Finnland schon recht lange
gibt. Aber wie die meisten Ihrer Kollegen sind auch Sie, Herr Häkkinen, irgendwann nach Amsterdam und dann nach Paris gewechselt. Muss man sich den letzten Schliff im Ausland holen?
HÄKKINEN: Ich denke, es ist immer gut, etwas von der Welt zu
sehen. Das würde ich jedem empfehlen, gleich ob er aus Finnland
oder Deutschland kommt, denn die Alte Musik ist ja eine internationale ›freelance‹-Szene.
CONCERTO: Wer waren Ihre wichtigsten Lehrer?
HÄKKINEN: Neben Bob van Asperen gewiss Pierre Hantaï.
RYDEN: Für mich war es René Jacobs in Basel. In Schweden gab es
zu der Zeit keine Möglichkeit, Gesang mit Schwerpunkt Alte Musik
zu studieren. Es war auch ein bisschen Zufall. Ich habe sehr viel im
Chor gesungen bei Eric Ericson, der selbst ja auch vor langer Zeit in
Basel studiert hatte. Auf einer kleinen Tournee mit der JohannesPassion lernte ich Musiker aus Basel kennen, die mir rieten, nachdem
sie mich singen gehört hatten, ich solle mich doch ernsthafter mit
Alter Musik beschäftigen. Zunächst war ich nur zu Besuch dort,
aber nach einer Woche bei Emma Kirkby und Anthony Rooley war
mir klar, dass meine Stimme und ich uns in der Alten Musik
zuhause fühlen. Dann habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht und
hatte das Glück, mit René Jacobs im letzten Jahr, als er dort unterrichtete, viele Konzerte machen zu dürfen. Als Sängerin hat mich
natürlich auch Emma sehr inspiriert, und ich bin glücklich, dass
jetzt im Herbst unsere zweite gemeinsame CD mit Duetten
erscheint.
CONCERTO: Lassen Sie uns auch über Ihre jüngste Platte mit
Sinfonien von Johan Joachim Agrell spechen, der am Hof von
Hessen-Kassel und in Nürnberg tätig war, aber aus Schweden
stammt. Stilistisch ist Agrell sehr schwer einzuordnen – manche
seiner Sachen klingen moderner, als es die Entstehungszeit vermuten lässt.
HÄKKINEN: Einiges ja, die früheren Kompositionen hingegen, zu
denen auch das B-Dur-Oboen-Konzert auf unserer CD gehört, sind
noch ganz im Barockstil à la Vivaldi gehalten. Das gilt auch für die
D-Dur-Sinfonie, die Vivaldi bei einer Aufführung in Amsterdam
von der Violine aus dirigiert hat. Die spätesten Werke, die um 1760
entstanden, zeigen eine viel größere stilistische Bandbreite, die aber
typisch ist für viele deutsche Komponisten dieser Zeit. Es geht
darum, viele verschiedene Elemente zu kombinieren, aber so, dass
jede Stil-Zutat für sich erkennbar bleibt. Mich erinnert das an die
japanische Küche. Darüber hinaus zeichnet sich Agrells Musik,
wenn man sie mit Mannheimer Komponisten wie Richter vergleicht, durch ein ausgeprägtes Formbewusstsein aus. In vielen Einzelsätzen zeigt sich sowohl im harmonischen Verlauf als auch in der
Periodisierung eine Art Bogenkonstruktion, die sehr ›sophisticated‹
ist. Er legte mehr Wert auf Balance als auf Überraschungseffekte,
wie sie uns bei den Bach-Söhnen begegnen.
CONCERTO: Und was ist Ihr nächstes Schallplattenprojekt?
HÄKKINEN: Eine Gesamteinspielung der Cembalokonzerte von
Johann Sebastian Bach. Die ersten Aufnahmen sind schon gemacht.