AG StGB AT Termin 4_3

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AG StGB AT Termin 4_3
Vorlesungsbegleitende Arbeitsgemeinschaft im Strafrecht für das 1. Semester (WS 10/11)
Wiss. Mit. Jürgen Telke
Die Objektive Zurechnung
I. Einleitung
Nachdem in der Prüfung der Kausalität die Ursächlichkeit der Handlung des Täters
für den Erfolgseintritt festgestellt wurde, ist nunmehr in der zweiten Zurechnungsstufe
zu überprüfen, ob sich der vom Täter verursachte Erfolg auch normativ gerade als
„sein Werk“ darstellt. Die Notwendigkeit einer solchen zweiten Zurechnungsstufe ergibt sich aus der extremen Weite der ersten Zurechnungsstufe, der Kausalität. Die
dort festgestellten Ergebnisse sind nur unter der Prämisse haltbar, dass auf einer
zweiten Ebene eine Korrektur der teilweisen Uferlosigkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit vorgenommen wird. Die Kausalität stellt somit eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die Ursächlichkeit der Handlung für den Erfolg dar.
Bsp.: Kausal für den Tod des Opfers ist auch der Waffenhersteller, der die Tatwaffe produziert
hat oder die Eltern des Täters, die diesen gezeugt haben.
Die Korrektur auf der zweiten Stufe erfolgt nach weit überwiegender Ansicht über die
Lehre von der objektiven Zurechnung1, die mit folgender Formel operiert:
Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg dem Täter dann, wenn dieser durch seine Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.
Die Prüfung der objektiven Zurechnung ist also eine zweigeteilte: Zunächst muss
festgestellt werden, ob der Täter durch sein Verhalten ein rechtlich missbilligtes Risiko gesetzt hat. Wenn dies positiv beantwortet werden konnte, ist zu fragen, ob sich
die so begründete Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg niedergeschlagen hat. Zur
Beantwortung dieser beiden Fragen haben sich diverse Fallgruppen gebildet, die im
Folgenden dargestellt werden:
II. Fallgruppen
Es sei gleich zu Beginn angemerkt, dass eine strenge systematische Trennung der
Fallgruppen, wie sie hier dargestellt ist, in der konkreten Fallprüfung nicht immer einzuhalten ist. Vielmehr sind viele Fallgruppen eng miteinander verwandt, sodass in
der Fallbearbeitung eine klare Trennung nicht immer möglich, aber auch nicht nötig
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Die im Kapitel Kausalität angesprochene Adäquanztheorie nimmt diese Korrektur bereits im Rahmen der Kausalitätsprüfung vor, da sie nur für den Erfolg adäquate Bedingungen erfasst. Bei Befolgung dieser Lehre ist eine
Prüfung der objektiven Zurechnung also überflüssig.
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ist. Auch werden diese Fallgruppen mitunter in der Literatur von verschiedenen Autoren unterschiedlich eingeordnet. Im Ergebnis sind sie jedoch gleichbedeutend.
a) Schutzzweck der Norm (fehlender Risikozusammenhang)
Die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr setzt voraus, dass der Täter durch
seine Handlung eine gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsgutes dienende
Norm übertritt. Es genügt also nicht jeder Verstoß gegen eine Verhaltensnorm, vielmehr muss das verletzte Rechtsgut von der übertretenen Norm auch geschützt werden.
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Bsp.: A überschreitet in München mit seinem Pkw die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. In
Nürnberg rennt ihm bei ordnungsgemäßer Fahrweise ein Kind unvermittelt vor das Fahrzeug.
Es kommt zu einem für A unvermeidbaren Unfall, der den Tod des Kindes zur Folge hat.
In einem solchen Fall ist zwar die Kausalität des Täters zu bejahen (denn wäre er in
München ordnungsgemäß gefahren, wäre er in Nürnberg nicht „rechtzeitig“ zur Stelle
gewesen, um das Kind anzufahren; seine Handlung war also conditio-sine-qua-non),
jedoch ist es in Anbetracht des Schutzzwecks der Norm nicht möglich, ihm den Erfolg
auch objektiv zuzurechnen. Denn der Schutzzweck der hier verletzten Norm der
StVO erschöpft sich darin, die Verkehrsteilnehmer im unmittelbaren Verkehrsbereich
zu schützen. Es sollen also die Gefahren vermieden werden, die sich in der konkreten Situation des StVO-Verstoßes für die Verkehrsteilnehmer ergeben (hätte A also
in der konkreten Situation seiner Geschwindigkeitsüberschreitung in München das
Kind getötet, wäre das durch die StVO-Norm geschützte Rechtsgut verletzt), jedoch
sollen Gefahren, die dadurch entstehen, dass Fahrzeuge bestimmte Orte früher erreichen, nicht erfasst werden. Notwendig ist also, dass die Handlung des Täters dem
Schutzzweck der Norm entgegensteht. Der Täter hat durch den Geschwindigkeitsverstoß in München keine rechtlich missbilligte Gefahr für das Leben des Kindes in
Nürnberg geschaffen (sondern allenfalls für ein Kind in München, welche sich aber
nicht im tatbestandlichen Erfolg realisierte).
b) Allgemeines Lebensrisiko
Die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos ist auch dann abzulehnen, wenn
das geschaffene Risiko das allgemeine Lebensrisiko nicht übersteigt.
Bsp.: Täter T schickt sein Opfer bei Gewitterlage in der Hoffnung nach draußen, dieser werde
vom Blitz erschlagen, was schließlich auch passiert.
Erneut ist die Handlung des Täters conditio-sine-qua-non für den Erfolg. Indem er
das Opfer aus dem Haus geschickt hat, hat er auch die Gefahr geschaffen, dass die2
Wessels/Beulke, Rn. 182.
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ses durch einen Blitzschlag getötet wird, welche sich auch im Erfolg niedergeschlagen hat. Abgesehen von der freiverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers kann
jedoch mangels Beherrschbarkeit des Schadenseintritts durch den Täter nicht von
einem rechtlich missbilligten Risiko ausgegangen werden. Vielmehr stellt das von T
geschaffene Risiko nur das allgemeine Lebensrisiko dar.
Bsp.: Die Eltern A und B zeugen T. Dieser tötet Jahre später O.
Die Zeugung eines späteren Straftäters stellt kein rechtlich missbilligtes Risiko dar.
Vielmehr wird durch sie ebenfalls lediglich das allgemeine Lebensrisiko begründet,
dass der gezeugte Mensch später eine Straftat begehen wird.
Auch wenn der Täter potentiell gefährliche Situationen verursacht, kann er sich noch
innerhalb des allgemeinen Lebensrisikos bewegen.
Bsp.: Neffe T überredet seinen Erbonkel O zu häufigen Flugreisen, weil er hofft, dass irgendwann eines der Flugzeuge abstürzen werde. Bereits beim zweiten Flug tritt dieser von T nicht
vorhersehbare Fall ein und O stirbt.
Auch hier bewegt sich der Täter mit seiner Handlung noch innerhalb des erlaubten
allgemeinen Risikos. Zwar hat er hier ein nicht unerhebliches, signifikantes Risiko
geschaffen, jedoch ist dieses Risiko angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit eines Absturzes und der sozialen Nützlichkeit des Flugverkehrs nicht rechtlich zu
missbilligen. Es handelt sich erneut nur um das allgemeine Lebensrisiko.
c) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung und -schädigung des Opfers
Stellt dich das Eingreifen des Opfers in den vom Täter begründeten Kausalverlauf als
eigenverantwortliche Selbstgefährdung oder -schädigung dar, scheidet eine objektive
Zurechnung ebenfalls aus. Dies gilt auch dann, wenn das Opfer sich nach der Tat
ganz ungewöhnlich verhält.
Bsp.: T verletzt O in Tötungsabsicht mit einem Messer schwer. Im Krankenhaus verweigert O
die Bluttransfusion, die notwendig für die lebensrettende Operation ist. O verstirbt.
Der Schutzbereich einer Norm endet dort, wo der eigene Verantwortungsbereich des
Betroffenen beginnt; jeder ist grds. für sein eigenes Verhalten verantwortlich. Die Zurechnung ist daher dann nicht möglich, wenn sich die Handlung des Täters als bloße
Veranlassung oder Ermöglichung einer Selbstgefährdung bzw. -schädigung des Opfers darstellt und der Erfolg gerade die Folge einer bewussten, eigenverantwortlich
gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung oder -schädigung des Opfers ist.
Bsp.: Der HIV-infizierte T lernt in einer Disco die 16-jährige O kennen. Kurz darauf kommt es
trotz Kenntnis der O von allen Umständen zum ungeschützten Geschlechtsverkehr auf ihren
ausdrücklichen Wunsch. O infiziert sich dabei ebenfalls mit HIV.
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Eine Zurechnung des Erfolgs trotz Selbstgefährdung bzw. -schädigung des Opfers ist
allerdings dann möglich, wenn der Täter überlegenes Wissen aufweist, seine Kenntnisse also über die des Opfers hinausgehen.
Bsp.: Der HIV-infizierte T lernt in einer Disco die 16-jährige O kennen. Kurz darauf kommt es
zum ungeschützten Geschlechtsverkehr auf ihren ausdrücklichen Wunsch. T hat ihr jedoch bewusst seine HIV-Infektion verschwiegen. O infiziert sich ebenfalls.
Da die Risikokenntnis des Täters hier über die des Opfers hinausgeht, ist sein Verantwortungsbereich trotz des Dazwischentretens des Opfers eröffnet.
Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung ist abzugrenzen von der einverständlichen Fremdgefährdung. Diese liegt vor, wenn die Gefahrschaffung nicht durch das
Opfer selbst, sondern durch einen Dritten herbeigeführt wird, das Opfer jedoch mit
der Schaffung der Gefahr einverstanden ist.
Bsp.: O spritzt sich Heroin, das er von T erhalten hat. Er verstirbt an den Folgen der Verabreichung des Rauschgiftes. eigenverantwortliche Selbstgefährdung
Bsp.: O lässt sich von T Heroin spritzen und verstirbt an den Folgen der Verabreichung des
Rauschgiftes. einverständliche Fremdgefährdung
Die einverständliche Fremdgefährdung schließt nach h.M. im Gegensatz zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung die Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr
nicht aus. Das Einverständnis des Opfers soll nicht ausreichen, das Geschehen aus
dem Verantwortungsbereich des Täters zu entlassen. Welche der beiden Konstellationen vorliegt, bestimmt sich danach, wer das gefährdende Geschehen beherrscht.
Dies kann in Einzelfällen wie etwa dem oben dargestellten HIV-Fall natürlich sehr
schwer zu bestimmen sein.
d) Dazwischentreten Dritter
Bereits im Rahmen der Kausalität wurde festgestellt, dass die Kausalität zwischen
(Erst-)Handlung und Erfolg auch dann nicht unterbrochen wird, wenn ein Dritter
durch eine (Zweit-)Handlung in den Kausalverlauf eingreift und dabei an die Ersthandlung anknüpft, das Ersthandeln also notwendige Bedingung für das Zweithandeln ist.
Bsp.: Neffe T schießt in Tötungsabsicht mit einer Pistole auf seinen reichen und gebrechlichen
Erbonkel O. Dieser bricht getroffen zusammen, wird allerdings schnell gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Dort macht er sich mit seinen ständigen Nörgeleien keine Freunde. Eines
Tages ist es die Krankenschwester S leid. Sie injiziert ihm ein tödlich wirkendes Gift, um endlich
Ruhe zu haben. O stirbt an der Vergiftung.
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T ist kausal für den Tod des O geworden, denn ohne seinen Schuss auf O wäre dieser nicht ins Krankenhaus gebracht worden und hätte daher auch nicht von S vergiftet werden können.
Jedoch entfällt in diesen Fällen regelmäßig die objektive Zurechnung. Denn der ersthandelnde Täter hat hier zwar eine rechtlich missbilligte Gefahr für das Leben des
Opfers geschaffen, doch hat sich eben nicht gerade diese Gefahr im tatbestandlichen Erfolg realisiert, sondern die von der Zweithandlung ausgehende Gefahr. Eine
Zurechnung des Erfolges zur Ersthandlung ist damit ausgeschlossen (= Regressverbot) und es kommt lediglich eine Versuchsstrafbarkeit und – in diesem Fall – Körperverletzung in Betracht.
Abweichend von dieser Regel der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs
kann aber eine Zurechnung in Einzelfällen doch gegeben sein. Dies ist zum einen
der Fall, wenn der (Erst-)Täter die rechtlich missbilligte Gefahr durch Verletzung von
Vorschriften schafft, die gerade dazu dienen sollen, Rechtsgüter vor solchen Taten
Dritter zu schützen. Ein etwas breiterer Anwendungsbereich für eine Zurechnungsmöglichkeit zum Ersthandeln trotz Dazwischentreten eines Dritten ergibt sich, wenn
das Verhalten des Dritten so eng mit der durch den Ersthandelnden verursachten
Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es bereits als typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint.
Bsp.: T sticht mehrmals in Tötungsabsicht auf O ein. O bricht blutüberströmt zusammen. T, der
sein Opfer irrtümlich für tot hält, schickt zur Beseitigung der Spuren seinen Freund X an den
Tatort, wo dieser O röchelnd vorfindet und ihn mit mehreren Schlägen und Tritten gegen den
Kopf traktiert. O stirbt, wobei nicht geklärt werden kann, ob infolge der Messerstiche oder der
Schläge und Tritte.
Im Gegensatz zum obigen Krankenhaus-Fall kann hier nicht mehr von einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs gesprochen werden. T hat hier vielmehr
durch seine (Erst-)Handlung den Grundstock für X´s späteres (Zweit-)Handeln gelegt. Das Handeln des X ist hier bereits in der von der Ersthandlung geschaffenen
Ausgangsgefahr begründet, womit T der Erfolg objektiv zurechenbar ist und er wegen vollendeten Totschlags zu bestrafen ist, X nach dem in-dubio-pro-reo-Grundsatz
jedoch nur wegen entsprechenden Versuchs.
e) Risikoverringerung
Unter der Fallgruppe der Risikoverringerung sind Konstellationen zu verstehen, in
denen der Täter den Erfolg in der Weise mitverursacht, dass er durch sein Handeln
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bei einem bereits angelegten Kausalverlauf einen drohenden schwereren Erfolg abschwächt.
Bsp.: T und O arbeiten auf einer Baustelle, als sich plötzlich ein Wellstegträger im Obergeschoss löst und O zu erschlagen droht. T schlägt O geistesgegenwärtig mit aller Kraft vor die
Brust, sodass dieser strauchelt und der Träger nur den rechten Arm des O trifft und bricht.
T ist durch sein Handeln kausal für den Armbruch des O geworden. Des Weiteren
hat er durch seine Handlung auch die Gefahr dieser Verletzung geschaffen, die sich
im Erfolg realisierte. Jedoch ist die von T geschaffene Gefahr deshalb nicht rechtlich
missbilligt, weil sie gegenüber der eigentlich bestehenden Gefahr geringer war. Das
Strafrecht soll keine Handlungen verbieten, die drohende Rechtsgutsverletzungen
bei fehlenden Abwendungsmöglichkeiten abmildern und das Schadensrisiko verringern. Eine objektive Zurechnung ist also wegen der Risikoverringerung nicht möglich.
Die objektive Zurechnung entfällt jedoch nach h.M. nur dann aufgrund Risikoverringerung, wenn der Retter durch seine Handlung keine neue, eigenständige Ursachenreihe in Gang setzt.
Bsp.: T eilt ins Obergeschoss eines brennenden Hauses, um das Kind O zu retten. Als er O gefunden hat, ist ihm jedoch der Rückweg durch die Flammen versperrt, weswegen er das vom
Feuertod bedrohte Kind aus dem Fenster wirft. O bricht sich ein Bein.
Hier hat T sich nicht darauf beschränkt, den bereits in Gang gesetzten Kausalverlauf
abzumildern, sondern er eröffnet eine neue, auf das Opfer zulaufende Ursachenreihe. Daher ist ihm der Erfolg auch objektiv zuzurechnen (so die ganz h.M. Natürlich ist
ein Ausschluss der Strafbarkeit dann auf einer anderen Ebene möglich).
f) Atypische Kausalverläufe
Eine Zurechnung ist auch dann abzulehnen, wenn es zu einem atypischen, nicht
vorhersehbaren Geschehensverlauf kommt. Dies ist immer dann der Fall, wenn der
Erfolg ganz außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt und als absolut ungewöhnlich und nicht vorhersehbar einzustufen ist. Dann liegt eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf vor, sodass der Erfolg dem Täter nicht mehr zugerechnet
werden kann.
Bsp.: A und B geben unabhängig voneinander eine allein nicht tödlich wirkende Dosis Gift in ein
Getränk des O, wobei nur die Gesamtmenge der beiden Dosen zur Todesherbeiführung geeignet ist. O verstirbt nach dem Genuss.
In diesem Fall ist die (kumulative) Kausalität zu bejahen. Es scheitert jedoch eine
objektive Zurechnung des Erfolges sowohl an A als auch an B. Denn das Eingreifen
des B bei Prüfung der Strafbarkeit des A (und umgekehrt) stellt sich als absolut ungewöhnlicher Umstand dar, mit dem niemand rechnen konnte. Es handelt sich hier6
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bei nicht um das Werk eines Täters, sondern um das Werk des Zufalls. Dieser völlig
atypische Kausalverlauf verhindert eine objektive Zurechnung des Erfolges.
g) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Schließlich gilt es, die Fallgruppe des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zu beachten,
auch wenn sie ausschließlich im Rahmen von Fahrlässigkeitsdelikten von Bedeutung
ist. Die objektive Zurechnung bei Fahrlässigkeitsdelikten ist demnach dann zu verneinen, wenn der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei
pflichtgemäßem Alternativverhalten des Täters eingetreten wäre. Dann ist der Erfolg
nicht auf die Pflichtwidrigkeit des Täters zurückzuführen und der Pflichtwidrigkeitszusammenhang und damit die objektive Zurechnung sind unterbrochen.
Bsp.: Lkw-Fahrer T überholt den am Straßenrand fahrenden Radfahrer O mit viel zu geringem
Seitenabstand. Als sich der Lkw gerade neben O befindet, schwankt dieser, wird vom Lkw erfasst und wird überrollt. O ist sofort tot. Später stellt sich heraus, dass O in erheblichem Maße
betrunken war und daher berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass er auch dann unter
den Lkw geraten wäre, wenn T den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten hätte.
Hier steht eine Strafbarkeit des T wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 in Rede. Die
Pflichtwidrigkeit des T besteht darin, O mit zu geringem Abstand überholt zu haben.
Die objektive Zurechnung ist jedoch dann zu verneinen, wenn diese Pflichtwidrigkeit
nicht im Zusammenhang mit dem Erfolg steht. Es ist also zu fragen, ob der Erfolg
auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten, also bei Einhaltung eines ausreichenden Abstandes, eingetreten wäre. Dies ist zwar nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit feststellbar, jedoch besteht berechtigter Grund zu dieser Annahme, sodass die h.M. nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon ausgeht und den
Pflichtwidrigkeitszusammenhang zugunsten des Täters verneint.3
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Die Gegenansicht (Risikoerhöhungslehre) lässt es demgegenüber für die Zurechnung ausreichen, wenn der
Täter durch sein Verhalten schon das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat.
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