moers festival Magazin 50 Jahre Zukunftsmusik? – erster Teil

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moers festival Magazin 50 Jahre Zukunftsmusik? – erster Teil
moers festival Magazin
50 Jahre Zukunftsmusik? – erster Teil
Als im Jahre 1960 16 zentralafrikanische Staaten ihre Unabhängigkeit
feierten, bedeutete dies auch einen musikalischen Aufbruch für den
Kontinent. Boubacar Traoré kreierte mit seinem Mali-Twist eine
Akustikhymne der Indépendence. Kongolesische Musiker, allen voran
Franco und Pepe Kalle, re-akfrikanisierten karibische Rhythmen. Auf
Geheiß von Staatschef Sekou Touré begannen sich in Guinea die
Orchestres Fédéraux und Nationaux zu formieren, um das vielfältige
kulturelle Erbe zu bewahren und zugleich in die Moderne zu übersetzen.
Ein Vierteljahrhundert später wurde die Musik von Youssou N’Dour, Mory
Kanté, Salif Keïta und anderen für Europa Pop-tauglich. Das „afrikanische
Jahr“ wird 50, die „World Music“ bald 25. Lässt sich kulturelle
Aufbruchstimmung zwischen Dakar und Kapstadt auch 2010 finden? Was
ist vom Weltmusik-Boom der 1990er geblieben? Oder birgt Afrika heute
gar Potenzial für eine Zukunftsmusik? Stefan Franzen hat sich auf die
Suche gemacht und in seinem ersten Teil von "50 Jahre Zukunftsmusik?"
die Stars des Afropop unter die Lupe genommen.
Stagnation der Stars
Ein paar Stichproben ins aktuelle Werk jener Afrikaner, die mit ihren Platten
dazu beigetragen haben, den Markt für die sogenannte Weltmusik außerhalb
ihrer Heimat anzuheizen. Von seinem bewährten Rezept schweift Youssou
N’Dour seit einiger Zeit ab. Bisher produzierte er Mbalax, jene erste genuin
senegalesische Popmusik für den heimischen Markt, dem Westen lieferte er
catchy Afro-Pop-Platten mit vielen internationalen Gästen. Aufsehen erregte er
noch mit "egypt". Sein Glaubensbekenntnis zum Muridismus, eine sufistisch
geprägte, westafrikanische Strömung des Islam, eingespielt mit typtischen
Streichern, war tatsächlich pionierhaft. Für das Projekt "Retour à Gorée"
begeisterte er US-Jazzer, mit denen er auf der ehemaligen Sklaveninsel
afroamerikanische Geschichte aufarbeitete. Sein aktuelles Opus "DakarKingston" feiert ebenfalls den Black Atlantic, kommt aber als eine sehr
fragwürdige Bob-Marley-Reverenz daher: Wailers-Keyboarder Tyron Downie
und seine Kollegen agieren erschreckend müde zu den simplen "Africa
United" Botschaften. Ein ideenloser Roots-Reggae, der wenig Innovatives
offenbart.
Auch bei anderen Stars ehemaliger Tage ist eher Rückschau denn
Zukunftsgewandtheit angesagt: Salif Keïta, Held der frühen Tage der Rail
Band, die in den 1970ern der Stolz Bamakos war, zitiert auf dem aktuellen
Opus „La Différence" gerne seine alten Kompositionen, wenn auch im perfekt
produzierten Mande-Pop-Gewand. Mit akustischen Finessen und einer bislang
unerreichten Eleganz wendet sich Lokua Kanza nach Ausflügen in
französischen Chanson und Literatur mit „Nkolo" wieder einem Sound zu, den
er schon vor rund 20 Jahren pflegte. Am konservativsten Angélique Kidjo: Sie
verlässt sich auf ihrem aktuellen Album „Oyo" einmal mehr auf internationale
Gäste wie John Legend und Dianne Reeves, um die Roots aus Benin mit USSoul aufzupeppen. Auf der Black-Atlantic-Idee ruht sie sich seit über einer
Dekade aus. Man muss kein Pessimist sein: Angesichts der Entwicklung ihrer
Veröffentlichungen ist von den Afro-Giganten der 1970er bis '90er kein
Zukunftsimpuls für die afrikanische Musik zu erwarten: All ihre aktuellen Alben,
geprägt von afroamerikanischer Rückkopplung, hätten genauso vor 15 Jahren
erscheinen können.
Nostalgie versus Kopie
Ob es am Mangel herausragender Produktionen unserer Tage liegt, dass eine
wahre Flut von Afro-Vintage-Scheiben auf den Hörer niederregnet? Labels wie
Analog Africa, Strut, Soundway und Stern’s füllen die Lücke mit opulent
bebilderten und betexteten CD- und LP-Kollektionen. In ihnen wird
Popgeschichte aus Ghana, Nigeria, Guinea, Benin und anderer zumeist
westafrikanischer Länder akribisch aufgearbeitet. Keine noch so rare Single
scheint vor den – selbstredend europäischen oder amerikanischen –
Sammlern sicher, verschimmeltes Vinyl wird aus staubigen Flohmarktkisten zu
Tage gefördert und ausführlich kommentiert. Begleiterscheinung: Die goldene
Ära des Highlife, Afro-Funk und Afrobeat gewinnt immer mehr Tiefenschärfe,
offenbart Masse, oft auch Klasse.
Diese Kompilationen spiegeln nicht nur den musikalisch verordneten
Optimismus der frühen Unabhängigkeits-Tage wider: In Ghana beispielweise
florierten Stilvielfalt und Quantität der Plattenproduktionen vor allem in den
70ern des vergangenen Jahrhunders, als politisch mit einer Abfolge von
Militärjuntas das Land längst im Niedergang begriffen war. Die Black
Consciousness Movement der Soul- und Funk-Epoche wie zuvor schon die
Adaption karibischer Rhythmen sorgte auf dem Schwarzen Kontinent für ganz
neue Ausprägungen in der Popmusik von Lagos, Accra und Kinshasa, von
Rumba Congolaise bis hin zum Afrobeat.
Von Re-Afrikanisierung und wirklich neuen Stilkreationen kann heute nur
eingeschränkt die Rede sein. Beispielhaft die mittlerweile unüberschaubare
Hiplife-Szene Ghanas: Wie in vielen afrikanischen Metropolen ist in Accra der
HipHop in den letzten Jahren auf fruchtbaren Boden gefallen, doch unter den
unzähligen Titeln finden sich viele, die gerade auch in den Begleit-Clips wie
ein Abklatsch des modernen Bling-Bling-Zirkus made in USA anmuten.
Ähnlich am Kap: War im Kwaito noch das Eigene als verlangsamte HouseVariante mit lokalen Idiomen deutlich erkennbar, so stellt sich die
gegenwärtige House-Mode, zu verfolgen etwa auf dem Sampler "Ayobaness!",
als eher unreflektierte Kopie von Electro bis Deep House dar.
Es lässt sich freilich nicht leugnen: Das urbane Afrika bietet immer wieder
individuelle Musiktönungen, etwa wenn Bass Drum und Kora-Harfe verknüpft
werden, oder traditionelle Perkussion und Rap. Doch es sind eben nur
Tönungen, die sich über die dominierenden Muster US-amerikanischer Club-
und Street Culture legen. Tatsächlich fehlt die nachhaltige, zündende
Koppelung, die sich aus Afrika selbst gebiert und ihm im Idealfall als
wegweisender Ideengeber zur Verfügung stünde. Wo also wäre eine
afrikanische Zukunftsmusik des 21. Jahrhunderts zu finden?
Text: Stefan Franzen