Die Urteile in Strafsachen

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Die Urteile in Strafsachen
Vahlen • Jura / Referendariat
Die Urteile in Strafsachen
sowie Beschlüsse und Protokoll der Hauptverhandlung
von
Prof. Dr. Lutz Meyer-Goßner, Dr. Ekkehard Appl, Dr. Theodor Kroschel, Dr. Karl Doerner
29. Auflage
Die Urteile in Strafsachen – Meyer-Goßner / Appl / Kroschel / et al.
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Thematische Gliederung:
Strafverfahrensrecht
Verlag Franz Vahlen München 2014
Verlag Franz Vahlen im Internet:
www.vahlen.de
ISBN 978 3 8006 4647 0
Inhaltsverzeichnis: Die Urteile in Strafsachen – Meyer-Goßner / Appl / Kroschel / et al.
Meyer-Goßner · Appl
Die Urteile in Strafsachen
Die Urteile
in Strafsachen
sowie Beschlüsse und
Protokoll der Hauptverhandlung
Von
Dr. Ekkehard Appl
Richter am Bundesgerichtshof
29., neu bearbeitete Auflage
des von Theodor Kroschel 1895 begründeten
und von Lutz Meyer-Goßner von der 23. bis zur 26. Auflage bearbeiteten
und in der 27. Auflage mitbearbeiteten Werkes
Verlag Franz Vahlen München 2014
Zitiervorschlag: Meyer-Goßner/Appl Die Urteile in Strafsachen
www.vahlen.de
ISBN 978 3 8006 4647 0
© 2014 Verlag Franz Vahlen GmbH
Wilhelmstraße 9, 80801 München
Druck: Druckhaus Nomos
In den Lissen 12, 76547 Sinzheim
Satz: R. John + W. John GbR, Köln
Umschlagkonzeption: Martina Busch, Grafikdesign, Homburg Kirrberg
Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier
(hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff)
Vorwort
Seit dem Erscheinen der 28. Auflage vor sechs Jahren haben sowohl das sachliche
Strafrecht als auch besonders das Strafverfahrensrecht eine Vielzahl von Änderungen
erfahren. Vor allem sind davon zu erwähnen das Gesetz zur Neuordnung des Rechts
der Sicherungsverwahrung und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die ihren Niederschlag gefunden hat im Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung. Grundlegende Bedeutung kommt auch dem Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren in
der Ausprägung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu. Dadurch bedingte gesteigerte Anforderungen an die Abfassung der
Urteilsgründe und vor allem des Protokolls waren zu verarbeiten und hatten vielfache Textänderungen zur Folge. Schließlich war auch die neue Rechtsprechung zum
Beweiswert von DNA-Gutachten und deren Behandlung in den Urteilsgründen zu
berücksichtigen.
Als Anlage enthält das Buch ein fehlerhaftes und ein vorschriftsmäßiges Urteil, jeweils vollständig und im Einzelnen gegenübergestellt. Der Leser, der sich schnell einen Überblick über den ordnungsgemäßen Aufbau eines Strafurteils verschaffen und
die häufigsten – in der täglichen Praxis der Strafgerichte immer wieder zu beobachtenden – Fehler vermeiden will, kann zunächst die Anlage durcharbeiten; dabei wird
er immer auf die einschlägigen Randnummern im Buchtext hingewiesen. Wer das
Buch umgekehrt systematisch von Anfang bis Ende durcharbeiten will – was besonders dem im Strafverfahrensrecht noch ungeübten Rechtsreferendar zu empfehlen ist
–, erhält parallel dazu in der Anlage eine praktische Anschauung zum Buchtext.
Im Übrigen ist der bewährte Aufbau des Buches beibehalten worden, so dass sich
auch hier nach wie vor eine unterschiedliche Arbeitsweise ergeben kann: Entweder
können dem Aufbau des Werkes folgend zunächst die Teile 1. und 2. (Urteil und Beschluss) und erst dann der Gang der Hauptverhandlung an Hand des Protokolls mit
dem 3. Teil erarbeitet werden; möglich ist es aber auch, dem zeitlichen Ablauf folgend
– zunächst Durchführung der Hauptverhandlung mit deren Abschluss durch das Urteil – mit dem 3. Teil zu beginnen und sich erst dann dem 1. und danach dem 2. Teil
zuzuwenden. Letzteres ist dem Anfänger im Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht anzuraten.
Weilburg, im Januar 2014
Ekkehard Appl
V
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
1. Teil. Die Abfassung der Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1. Abschnitt. Der Eingang (Urteilskopf, Rubrum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Bezeichnung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Angabe der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Bezeichnung der mitwirkenden Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Bezeichnung des Tages der Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Abschnitt. Die Urteilsformel (Tenor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Allgemeiner Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Sprachliche Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Berichtigung und Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Name des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Rechtliche Bezeichnung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Tatmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Tateinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Andere Strafbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Fortgesetzte Handlung und Bewertungseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Wahlfeststellung und Postpendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Gesetzeseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
h) Erfolgsqualifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Strafausspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Hauptstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Nebenstrafen und Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Anrechnung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Anrechnung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung . . . . . . . . .
6. Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Absehen von Strafe und Straffreierklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Strafaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Verwarnung mit Strafvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Verurteilung ohne Teilfreispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Verurteilung mit Teilfreispruch oder Teileinstellung . . . . . . . . . . . . . .
d) Straffreierklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Auslagen des Nebenklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Entschädigungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII
Inhaltsverzeichnis
1. Hauptsacheentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Entschädigungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Hauptsacheentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Entschädigungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Urteile in Jugendsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Urteile bei vorbehaltener oder nachträglich angeordneter
Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Urteile in Privatklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Urteile in Verfahren zur Entschädigung des Verletzten (Adhäsionsverfahren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Rechtsmittelentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Berufungsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Revisionsurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Urteile, die nach Zurückverweisung ergehen . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Vollständig neue Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Bei rechtskräftigem Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Abschnitt. Die Bezeichnung der angewendeten Vorschriften . . . . . . . . . . . .
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Rechtsfolgenausspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Annexentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Rechtsmittelentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Abschnitt. Die Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Unterschied zum Zivilurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Frist zur Fertigstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Art der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Sachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Gründe der Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Eingangs- und Schlussformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Änderung der Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Wiederherstellung der Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Übersicht über den Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Sachverhaltsschilderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Wesen und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Urteilsverfasser als Augenzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Feststellung aller Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Angabe der Gesetzesworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Klare Hervorhebung der gesetzlichen Merkmale . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
f) Subjektive Merkmale der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Erschöpfung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
h) Vielzahl von Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
i) Wahlfeststellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Beweisgründe und Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Angabe der Beweisgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Streng- und Freibeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verdachts- oder Indizienbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Ablehnung von Beweisanträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Die besondere Vorschrift des § 267 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die besonderen Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Behauptung der Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Art der Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Rechtsausführungen und Strafgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Die Rechtsausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Das Strafgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Die Strafzumessungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Revisibilität der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Festsetzung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Strafzumessungstatsachen und -erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Geldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Gesamtstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Strafzumessung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Minder und besonders schwere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Erörterung in den Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Anrechnung der Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Nebenstrafen und Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Strafaussetzung zur Bewährung, Verwarnung mit Strafvorbehalt und
Absehen von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Erörterung im Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Strafaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Verwarnung mit Strafvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Absehen von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12. Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Erörterung in den Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus . . . . . . . . . . . .
c) Unterbringung in einer Entziehungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Führungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Berufsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
h) Verbindung von Maßregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Kosten und notwendige Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14. Entscheidung über die Entschädigung für
Strafverfolgungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15. Abgekürztes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Nicht-abgekürzte Urteilsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Freispruch aus tatsächlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Freispruch aus rechtlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Unterschiedliche Auffassungen der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IX
Inhaltsverzeichnis
d) Erschöpfung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
f) Freispruch und Maßregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
g) Kosten und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
h) Entschädigungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Abgekürztes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Teilfreispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Fehlender Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Fehlende Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Sonstige Prozessvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse . . . . .
5. Kosten, notwendige Auslagen und Entschädigung . . . . . . . . . . . . . .
6. Einstellung und Freispruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Abgekürztes Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Einstellung im Privatklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Das Berufungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Zulässigkeit der Berufung und der Berufungsbeschränkung . . . . .
b) Inhalt des Berufungsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Freispruch, Verweisung und Verwerfung ohne Verhandlung zur
Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Das Revisionsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Entscheidung des Revisionsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Inhalt des Revisionsurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Urteile in Jugendsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Sicherungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . .
5. Das beschleunigte Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Die Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Das Verfahren zur Entschädigung des Verletzten . . . . . . . . . . . . . . .
8. Urteile in Steuerstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Urteile nach »Verständigung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Das Bußgeldverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Bedeutung und Inhalt des Bußgeldbescheids . . . . . . . . . . . . . . .
b) Förmlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Urteilsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Schriftliches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
e) Verwerfungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Abschnitt. Die Unterschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Abschnitt. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Urteil des Strafrichters (Verurteilung mit Bekanntmachungsbefugnis
und Entschädigung des Verletzten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Urteil des Strafrichters (Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Urteil des Schöffengerichts (Verurteilung zu Freiheitsstrafe mit
Strafaussetzung zur Bewährung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Urteil des Jugendschöffengerichts (Verurteilung mit Aussetzung der
Verhängung der Jugendstrafe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Urteil des Schwurgerichts (Verurteilung zu lebenslanger
Freiheitsstrafe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Urteil des Strafrichters (Freispruch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Urteil des Strafrichters (Einstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Berufungsurteil der Strafkammer (Verwerfung der Berufung) . . . . . .
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9. Berufungsurteil der Strafkammer (Aufhebung des Ersturteils und
Verurteilung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10. Berufungsurteil der Strafkammer (Teilfreispruch) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Urteil des Bundesgerichtshofs (Aufhebung und Freispruch) . . . . . . . . . . .
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2. Teil. Die Abfassung von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Entscheidung durch Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Urteil und Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Beschluss und Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Inhalt des Beschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Rubrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Tenor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Begleitverfügungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Rechtsmittelbelehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . .
1. Mögliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Form und Inhalt des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Mängel des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Beschwerdeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Besetzung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Erlass und Abänderbarkeit von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Abänderbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
und des Einspruchs gegen den Strafbefehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Ablehnung des Antrags auf vorzeitige Aufhebung der Sperre für die
Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Erfolgreiche Beschwerde gegen Durchsuchungsbeschluss . . . . . . . . . . . .
7. Verwerfung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
und einer Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8. Verwerfung einer Haftbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Verwerfung der Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im Urteil . . .
10. Verwerfung einer Beschwerde im DNA-Identitätsfeststellungsverfahren . .
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3. Teil. Das Protokoll der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Abschnitt. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Bedeutung des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . .
1. Beweiskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Protokollführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Urkundscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Rechtsnachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . .
II. Äußeres des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Kurzschrift, Tonband, Durchstreichungen
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XI
Inhaltsverzeichnis
2. Randvermerke, Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Sprachliche Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Übersichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Abschnitt. Inhalt des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Der Eingang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Ort und Tag der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Besetzung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Bezeichnung der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Bezeichnung der Angeklagten usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Öffentliche Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Dolmetscherzuziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Wiedergabe des Ganges der Verhandlung und ihres wesentlichen
Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Feststellung der erschienenen Angeklagten . . . . . . . . . . . . .
2. Aufzählung der Verteidiger, Vertreter, Nebenkläger usw. . . . .
3. Zulassung eines Nebenklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Ausbleiben des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Verbindung mehrerer Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Ausschluss der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Aufruf der Zeugen und Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . .
8. Belehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Ordnungsmittel gegen nicht erschienene Zeugen . . . . . . . .
10. Nachträglich erschienene Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11. Vernehmung des Angeklagten zur Person . . . . . . . . . . . . . . .
12. Nichteinhaltung der Ladungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. Ablehnung von Richtern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14. Verlesung des Anklagesatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15. Mündlich erhobene Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16. Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes . . . . . . . . . . .
17. Nachtragsanklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18. Verständigungsgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19. Vernehmung des Angeklagten zur Sache, Vorstrafen . . . . . . .
20. Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten . . . . . .
21. Vorhaltungen aus früheren Angaben des Angeklagten . . . . .
22. Verlesung von Angaben des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . .
23. Fehlen des Angeklagten bei Einspruch gegen den Strafbefehl
24. Zeugenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25. Personalien der Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26. Zeugnis- und Auskunftsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . .
27. Ordnungsmittel wegen Zeugnis- oder Eidesverweigerung . . .
28. Anwesende Personen als Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29. Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen . . . . . . . . . .
30. Entbindung von der Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31. Vorhaltungen aus früheren Aussagen von Zeugen . . . . . . . .
32. Verlesung früherer Aussagen von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . .
33. Niederschrift der Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34. Feststellung des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35. Vereidigung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36. Nochmalige Vernehmung bereits vereidigter Zeugen . . . . . .
37. Berufung auf früheren Eid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38. Nachträgliche Eidesbelehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39. Vernehmung von Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40. Augenscheinseinnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41. Ortsbesichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42. Verlesung von Schriftstücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43. Verlesung zwecks Beweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
a) Verlesung von Urkunden und Schriftstücken . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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b) Verlesung von Protokollen und schriftlichen Äußerungen . . . . . . . . .
c) Verlesung von Zeugnissen, Gutachten und Attesten . . . . . . . . . . . . .
d) Verlesung von Aussagen im ersten Rechtszug . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44. Verlesung von Schriftstücken aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . .
45. Anhörung des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46. Entfernen des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47. Entlassung der Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48. Audiovisuelle Zeugenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49. Ungebührfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50. Strafbare Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51. Anträge auf Aussetzung der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52. Beweisanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53. Hilfsweise gestellte Beweisanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54. Anhörung der Prozessbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55. Antrag auf Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56. Schluss der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57. Verständigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58. Schlussvorträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59. Wiedereröffnung der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60. Unterbrechung und Aussetzung der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61. Das letzte Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62. Beratung, Wiedereröffnung der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63. Urteilsverkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64. Rechtsmittelbelehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65. Rechtsmittelverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66. Rechtsmitteleinlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67. Strafaussetzung zur Bewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68. Haftbefehle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69. Einstellung des Verfahrens durch Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70. Verweisungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Abschluss und Fertigstellung des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Unterschrift unter dem Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Fertigstellung des Protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Änderungen und Zusätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Berichtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Wiederherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Protokoll in Berufungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Erklärungen vor dem Rechtsmittelgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Gang der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Kein Abweichen vom gesetzlichen Aufbau der Hauptverhandlung . . . . . .
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Anhang: Musterurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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XIII
Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
a.A. . . .
a.a.O. . .
abl. . . . .
Abs. . . .
abw. M..
AG . . .
Anm. . .
Art. . . .
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anderer Ansicht
am angegebenen Ort
ablehnend
Absatz
abweichende Meinung
Amtsgericht
Anmerkung
Artikel
BAK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Blutalkoholkonzentration
BayObLG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts
in Strafsachen
BayVerfGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bayerischer Verfassungsgerichtshof
BbgVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfassungsgericht des Landes Brandenburg
BeckRS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beck-Rechtsprechung (beck-online)
bez. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bezüglich
BGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung)
BGBl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundesgesetzblatt
BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundesgerichtshof und Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (Amtliche Sammlung)
BGH GrS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bundesgerichtshof, Großer Senat in Strafsachen
BGHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BGH-Rechtsprechung
BKatV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bußgeldkatalog-Verordnung
Brunner/Dölling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar
(12. Aufl. 2011)
BtMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betäubungsmittelgesetz
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streitig
Strafverteidiger Forum
Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
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Strafverteidiger (Zeitschrift, zitiert nach Jahr und Seite)
Strafverfahrensänderungsgesetz
Straßenverkehrsgesetz
Straßenverkehrs-Ordnung
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung
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wistra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht
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ZRP .
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zust. .
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Zivilprozessordnung
Zeitschrift für Rechtspolitik
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
zustimmend
XVII
1. Teil. Die Abfassung der Urteile
Einleitung
Ein erheblicher Teil der Arbeitskraft des Strafrichters in der Tatsacheninstanz wird 1
für die Absetzung des schriftlichen Urteils benötigt. Führen dann vermeidbare Fehler zur Aufhebung des Urteils, so ist es für den Urteilsverfasser, der regelmäßig viel
Mühe und Arbeit in die Abfassung der Urteilsgründe investiert hat, besonders ärgerlich. Im ersten Teil des Buches werden deshalb die bei den fünf Urteilsbestandteilen –
Eingang, Formel, Liste der angewendeten Vorschriften, Gründe, Unterschriften – zu
beachtenden Punkte eingehend erörtert, um nicht nur dem Referendar und Assessor
einen ersten Überblick zu verschaffen, sondern auch dem bereits erfahrenen Praktiker ein schnelles Nachschlagen in Zweifelsfällen zu ermöglichen.
Der schriftlichen Niederlegung des Strafurteils geht in aller Regel dessen Verkün- 2
dung voraus. Am Schluss der Verhandlung oder spätestens am elften Tage nach dem
Schluss der Verhandlung verliest der Richter in öffentlicher Sitzung (§ 173 Abs. 1
GVG) die Urteilsformel und gibt die Gründe seiner Entscheidung bekannt (§ 268
Abs. 2 und 3 StPO)1, wobei auf die schutzwürdigen Interessen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten Rücksicht genommen werden soll. Gegebenenfalls kann
für die Verkündung der Urteilsgründe oder eines Teiles davon die Öffentlichkeit unter den Voraussetzungen der §§ 171b, 172 GVG, also insbesondere bei der Erörterung von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten,
Zeugen oder Verletzten, wegen Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen
Ordnung oder der Sittlichkeit, des Lebens, Leibes oder der Freiheit eines Zeugen
oder einer anderen Person, oder falls ein wichtiges Geschäfts- oder ein privates Geheimnis, dessen unbefugte Offenbarung mit Strafe bedroht ist, zur Sprache kommt,
ausgeschlossen werden (§ 173 Abs. 2 GVG).2 Während der Urteilsverkündung – wie
übrigens während der ganzen Hauptverhandlung, also ab Aufruf der Sache (§ 243
Abs. 1 S. 1 StPO) – sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und
Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung untersagt (§ 169 GVG).3
Die Urteilsgründe teilt der Richter in der Regel nur ihrem wesentlichen Inhalt nach 3
mit; sie zu verlesen, ist zulässig (§ 268 Abs. 2 S. 2 StPO), in der Praxis aber selten.
1 Diese besondere Fristenregelung ist auch nach der Verlängerung der regulären Unterbrechungsfrist
für die Hauptverhandlung in § 229 Abs. 1 StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom
24. August 2004 zwingendes Recht; ebensowenig findet die Frist des § 229 Abs. 2 StPO Anwendung, wenn nur noch die Urteilsverkündung aussteht (BGH NStZ-RR 2007, 278); bei Erkrankung
des Angeklagten, eines Berufsrichters oder eines Schöffen ist – sofern die Hauptverhandlung schon
an mindestens 10 Tagen stattgefunden hat – die Frist gehemmt, aber nicht länger als sechs Wochen
(§ 268 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 229 Abs. 3 StPO).
2 Die Verkündung der Urteilsformel in nicht-öffentlicher Sitzung stellt einen absoluten Revisionsgrund (§ 338 Nr. 6 StPO) dar (BGH 4, 279).
3 Vgl. BVerfG NJW 2001, 1633; solche Aufnahmen sind ein Revisionsgrund (BGH 22, 83). Das
Verbot gilt nicht vor und nach der Verhandlung und in Verhandlungspausen (BGH 23, 123).
1
1. Teil. Die Abfassung der Urteile
Beim Kollegialgericht verkündet der Vorsitzende, in seiner Vertretung (z.B. bei
stimmlicher Behinderung) ein anderes richterliches Mitglied des erkennenden Gerichts, das Urteil; die Verkündung durch einen Schöffen oder einen Referendar ist
unzulässig. Die Formel muss verlesen werden, bevor die Gründe mitgeteilt werden
(§ 268 Abs. 2 S. 4 StPO), damit der Angeklagte nicht unnötigen seelischen Belastungen ausgesetzt wird. Unterbleibt die Mitteilung der Urteilsgründe, so ist dies kein
Revisionsgrund; denn die mündliche Eröffnung der Urteilsgründe stellt nur den unwesentlichen Teil der Urteilsverkündung dar (BGH 15, 264). Werden keine Gründe
verkündet, so beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Urteils an den
Angeklagten. Im Jugendstrafverfahren gilt die Einschränkung des § 54 Abs. 2 JGG,
d. h. die Urteilsgründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon
Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind.
4 Das Gericht ist gem. § 246 Abs. 1 StPO verpflichtet, bis zum Beginn der Urteilsverkündung Anträge des Angeklagten oder seines Verteidigers entgegenzunehmen und
darüber zu entscheiden, auch wenn die Urteilsberatung zu diesem Zeitpunkt schon
abgeschlossen und der neue Termin lediglich für die Verkündung des Urteils vorgesehen war (BGH NStZ 2005, 395).
5 Bis zum Abschluss der mündlichen Urteilsbegründung (dazu s. unten Rn. 30) kann
der Angeklagte beantragen, nochmals in die Verhandlung einzutreten (BGH NStZ
1992, 346). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, erst während der Urteilsverkündung gestellte Beweisanträge zu berücksichtigen und zu diesem Zweck die Verhandlung wiederzueröffnen; die bloße Entgegennahme des Antrags durch den Vorsitzenden bedeutet noch nicht die Wiedereröffnung der Verhandlung. Es steht dem
Vorsitzenden frei, ob er dies ausdrücklich erklären oder es an geeigneter Stelle in die
Begründung des Urteils einfließen lassen will (BGH NStZ 1986, 182). Geht das Gericht auf die Beweisanträge nicht ein, so kann darin allenfalls eine Verletzung der
Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), nicht jedoch die fehlerhafte Behandlung eines Beweisantrags (§ 244 Abs. 3 bis 6 StPO) liegen (BGH bei Dallinger MDR 1975,
24).
6 Der Richter soll die mündlichen Urteilsgründe ruhig und maßvoll, mit Würde und
nicht mit Leidenschaft bekannt geben, mag er über die Tat des Angeklagten noch so
empört sein; sonst entsteht der Eindruck, das Urteil sei nicht in Ruhe und Sachlichkeit erwogen worden. Auch Ausführungen wie »Das Gericht bedauert, den Angeklagten nicht verurteilen zu können« stehen einem Vorsitzenden schlecht an; denn
alle Gefühlserwägungen haben aus den Gründen auszuscheiden. Dass bei der Urteilsbegründung auch nicht versteckte Angriffe oder Anzüglichkeiten gegen den Verteidiger gerichtet werden, ist für den sachlichen, überlegenen Richter selbstverständlich. Auch bei der Verhandlungsführung soll der Richter auf Ruhe und Gelassenheit
bedacht sein, soll Abstand von Sache und Person erkennen und sich insbesondere
nicht zu abwegigen und verletzenden Vergleichen verleiten lassen (im Einzelnen vgl.
dazu Tröndle, Über den Umgang des Richters mit den anderen Verfahrensbeteiligten,
DRiZ 1970, 213).
7 Die Niederschrift der Gründe vor der Verkündung des Urteils ist nur vorgeschrieben (tunlichst!), wenn die Verkündung ausgesetzt war (§ 268 Abs. 4 StPO); doch bildet ein solches Verfahren eine seltene Ausnahme, zumal die Nichtbeachtung dieser
Soll-Vorschrift nicht mit Erfolg gerügt werden kann. Während also die Formel stets
schriftlich vorliegt und nach Schluss der Verkündung vom entscheidenden Gericht
2
Einleitung
sachlich auch nicht mehr geändert werden kann (vgl. BGH NStZ 1984, 279: Unzulässige Änderung nach Verkündung während der Rechtsmittelbelehrung!), muss die
Urschrift des Urteils in seinen übrigen Bestandteilen vom Richter – beim Kollegialgericht vom Berichterstatter – erst noch abgefasst und niedergeschrieben werden. § 275
Abs. 1 StPO setzt dafür als Regel eine Frist von fünf Wochen; die Frist verlängert sich
hiernach jedoch, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, jeweils entsprechend der Dauer der Hauptverhandlung.4
Bei der mündlichen Mitteilung der Gründe darf sich der Richter darauf beschrän- 8
ken, auf die Fragen einzugehen, die die Aufmerksamkeit der Anwesenden im besonderen Maße beansprucht und daher im Mittelpunkt der Hauptverhandlung gestanden
haben. Der Vorsitzende soll eine zusammengedrängte, auf das Wesentliche beschränkte Darstellung der Urteilsgründe geben. Sie soll dazu dienen, die Prozessbeteiligten und die Öffentlichkeit von der Gerechtigkeit des Urteils zu überzeugen.
Auch bei Strafprozessen, die sich über längere Zeit erstrecken, ist das nicht unmöglich. Mehrstündige Urteilsbegründungen können nur in großen Prozessen mit vielen
Angeklagten angebracht sein. Die mündliche Urteilsbegründung richtet sich vor allem an den Angeklagten, insbesondere, wenn er verurteilt worden ist.
Dem schriftlichen Urteil sind weitere Aufgaben gestellt; es soll für jeden, der es liest, 9
das strafbare oder zunächst für strafbar gehaltene Geschehen von der Grundlage des
Strafgesetzes aus auf alle objektiven und subjektiven Voraussetzungen hin prüfen und
so dem Leser die Erwägungen klarmachen, auf die der Richter seinen Schuld- und
Rechtsfolgenausspruch oder aber seinen Freispruch gestützt hat. Zu den Lesern gehören in erster Linie die Prozessbeteiligten, aber auch das Rechtsmittel- und das
Wiederaufnahmegericht sowie die Vollzugs- und die Gnadenbehörden. Die Strafprozessordnung stellt daher an das Urteil5 gewisse Mindestanforderungen.
Den Inhalt des Urteils behandelt die Strafprozessordnung hauptsächlich in den 10
§§ 260, 267 und 275 StPO, und zwar sind die Bestimmungen über die Gründe in
§ 267, diejenigen über den sonstigen Inhalt des Urteils in §§ 260, 275 Abs. 2 und 3
StPO enthalten. Die gesetzlichen Vorschriften sind nicht erschöpfend; sie werden
durch eine in vielen Punkten feststehende Rechtsübung ergänzt. Das Urteil besteht
aus dem Eingang, der Formel, der Liste der angewendeten Vorschriften, den Gründen und der Unterschrift. Es wird »Im Namen des Volkes« verkündet (§ 268 Abs. 1
StPO). Nicht erforderlich, aber üblich ist es, dass der Richter diese Worte bei der
Verkündung gebraucht. Während der Verkündung der Urteilsformel – nicht der Urteilsgründe – erheben sich die Anwesenden einschließlich des Gerichts von den Plätzen (Nr. 124 Abs. 2 S. 2 RiStBV).
Der Angeklagte kann, wenn ihm nicht das Urteil von Amts wegen zuzustellen ist 11
(vgl. §§ 316 Abs. 2, 343 Abs. 2 StPO), auf Antrag eine Urteilsabschrift erhalten (§ 35
Abs. 1 S. 2 StPO). Von einem rechtskräftigen Urteil sowie von einem Beschluss über
Strafaussetzung zur Bewährung ist dem Angeklagten und, sofern er einen Verteidiger
hat, auch diesem ohne Antrag eine Abschrift zu übersenden (Nr. 140 RiStBV).
4 Die nicht rechtzeitige Urteilsabsetzung ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 338 Nr. 7 StPO). Näher
zur Urteilsabsetzungsfrist Rn. 203 f.
5 Das Wort »Urteil« findet sich erstmals in den Akten des »Brandenburger Schöppenstuhls« des
16. Jahrhunderts, der seine Rechtsauskünfte »Belehrungsurteil«, seit dem 17. Jahrhundert »Informationsurteil« und im 18. Jahrhundert einfach »Urteil« oder »Sentenz« nannte.
3
1. Teil. Die Abfassung der Urteile
12 Ein Ausländer hat keinen Anspruch auf eine Übersetzung des schriftlichen Urteils in
eine für ihn verständliche Sprache; Nr. 181 Abs. 2 RiStBV ist in der Regel durch die
Übersetzung der mündlichen Urteilsgründe in der Hauptverhandlung genügt. Ist der
Angeklagte im Revisionsverfahren durch einen Rechtsanwalt verteidigt, kann er auch
nicht verlangen, dass ihm das Gericht das schriftlich niedergelegte Urteil für Zwecke
der Revisionsbegründung in einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache
mitteilt (BVerfG NJW 1983, 2762; NStZ-RR 2005, 273).
4
1. Abschnitt. Der Eingang (Urteilskopf, Rubrum)
I. Bedeutung
Der Eingang ist der Teil des Urteils, der der Urteilsformel vorausgeht. Regelmäßig 13
ist jedes Urteil mit einem Aktenzeichen versehen und mit der Bezeichnung des erkennenden Gerichts (z.B. Amtsgericht Weilburg) überschrieben; es folgt die Formel
»Im Namen des Volkes« (§ 268 Abs. 1 StPO) und dann die Überschrift »Urteil«.
Weiter heißt es dann:
In der Strafsache gegen … wegen … hat das Amtsgericht … in der öffentlichen Sitzung vom …, an
der teilgenommen haben …, für Recht erkannt:
Die Vorschriften des Gesetzes über den Eingang sind lückenhaft; dass er aber einen
notwendigen Bestandteil des Urteils bildet, ergibt sich aus § 275 Abs. 3 StPO. Es
steht also mit dem Gesetz in Widerspruch, wenn die Gründe ohne Eingang unmittelbar der Urteilsformel in dem bereits abgeschlossenen Sitzungsprotokoll angefügt
werden. Eine gesonderte Absetzung der Urteilsgründe ist stets unzureichend
(Nr. 141 Abs. 1 S. 3 RiStBV). Dass das Verhandlungsprotokoll nach § 272 Nr. 1, 2
und 4 StPO die in § 275 Abs. 3 StPO geforderten Angaben ebenfalls enthält, kann
nach dem Willen des Gesetzes (»sind in das Urteil aufzunehmen«) ihre Anführung im
Eingang nicht ersetzen. Das Urteil soll ein in sich verständliches Ganzes bilden und
nicht der Ergänzung aus dem Protokoll bedürfen (BGH NStZ 1989, 584). Dies ist
wichtig, weil die Strafakten in der Regel früher vernichtet werden als das 30 Jahre
aufzubewahrende Urteil.
Eine Ausnahme lässt das Gesetz zur Vereinfachung des Geschäftsgangs und zur Kostenersparnis nur zu, wenn das Urteil mit den Gründen vollständig in das Protokoll
aufgenommen ist (§ 275 Abs. 1 StPO), ein Fall, der in der Praxis selten ist; er kommt
im beschleunigten Verfahren nach §§ 417 ff. StPO oder bei Verwerfung des Einspruchs nach § 412 StPO oder der Berufung nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO vor. Dann
muss aber das Protokoll nicht nur die Formel, sondern auch die Gründe enthalten,
d.h., die Unterschriften des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten müssen sich am
Schluss der Gründe (unter der Unterschrift der Richter) befinden.
Das Rubrum dient nicht der Ergänzung der Urteilsgründe; seine Angaben sind daher
keine »Feststellungen« (§ 267 Abs. 1 StPO) des Gerichts. Fehler im Rubrum können
deshalb auch nicht zur Urteilsaufhebung führen (BGH VRS 72, 199).
II. Bestandteile
1. Bezeichnung des Angeklagten
Der Eingang beginnt mit der Bezeichnung des Angeklagten: In der Strafsache gegen 14
den … usw. Das Gesetz führt den Namen des Angeklagten nicht ausdrücklich als
Bestandteil des Urteils auf; dass er aber hineingehört, ist selbstverständlich. Bei mehreren Angeklagten werden die Namen auch in der Urteilsformel gebracht; bei einem
Angeklagten ist dies nicht nötig. Zur genauen Bezeichnung des Angeklagten sind
anzuführen (vgl. Nr. 141 Abs. 1 S. 1, 110 Abs. 2 Buchst. a RiStBV):
5
Urteile – 1. Abschnitt. Der Eingang
a) sein Familienname (auch ein etwa beigelegter Name), die Vornamen (Rufname
unterstreichen), bei Namensänderung durch Eheschließung auch der Geburtsname (§ 1355 Abs. 2 BGB),
b) Beruf,
c) Wohnort oder Aufenthaltsort (bei kleineren Orten unter Angabe des Kreises) im
Zeitpunkt der Urteilsverkündung,
d) Familienstand,
e) Geburtstag und Geburtsort (evtl. Kreis, Bezirk),
f) Staatsangehörigkeit (also nicht nur bei Ausländern),
g) bei Minderjährigen Namen und Anschriften der gesetzlichen Vertreter.
Eine genaue Bezeichnung des Angeklagten ist zweckmäßig, damit die Behörden, denen nicht die Akten übersandt werden, sondern nur die Urteilsformel mitgeteilt wird,
die Personengleichheit des Angeklagten feststellen können und damit diese Feststellung auch nach Vernichtung der Akten möglich bleibt. Hierzu reicht natürlich die
Bezeichnung des Angeklagten als »Maurer Otto Schulze aus München« nicht aus.
Verwendet ein Angeklagter »Alias-Namen«, sind auch diese anzuführen, um so eine
lückenlose Erfassung aller Verurteilungen eines Angeklagten unter allen von ihm benutzten Identitäten im Bundeszentralregister zu gewährleisten.
Werden die Urteilsgründe in das Protokoll aufgenommen (§ 275 Abs. 1 StPO), so ist
darauf zu achten, dass dieses die Angaben über die Person des Angeklagten vollständig enthält.
Im Eingang ist auch zu erwähnen, ob und gegebenenfalls seit wann der Angeklagte
sich in dieser Sache in Untersuchungshaft befindet oder einstweilig untergebracht ist,
bzw. dass und wo er sich in Strafhaft befindet oder nach den §§ 63 ff. StGB untergebracht ist.
Angaben über frühere Strafen des Angeklagten gehören nicht in den Eingang, sondern in die Urteilsgründe; auch die allgemeine Angabe »vorbestraft« hat im Eingang
zu unterbleiben.
Sind mehrere Personen angeklagt, so sind sie nicht in willkürlicher, sondern in der
Reihenfolge der Anklageschrift anzuführen, zuerst derjenige, nach dem das Aktenstück bezeichnet ist (A. und andere).
2. Angabe der Straftat
15 Weiter ist im Eingang die Straftat kurz anzugeben, z.B. wegen Diebstahls, Betrugs
usw.; bei mehreren Straftaten oder verletzten Gesetzesbestimmungen wird der
schwerste Vorwurf angegeben und ein Hinweis auf die weiteren Vorwürfe mitaufgenommen, z.B. wegen schweren Raubes u.a. Gesetzlich vorgeschrieben ist diese Angabe zwar nicht; sie ist aber allgemein üblich und erleichtert die Übersicht, besonders
wenn mehrere Aktenstücke gebildet sind, in denen verschiedene Straftaten des Angeklagten behandelt werden. Es ist darauf zu achten, dass die Bezeichnung der Straftat
nicht gedankenlos vom Aktendeckel oder aus der Anklageschrift übernommen wird.
Wenn dem Angeklagten z.B. zunächst eine Strafvereitelung zur Last lag, er jedoch
nur wegen Vortäuschens einer Straftat verurteilt worden ist, muss es im Eingang des
Urteils nicht »wegen Strafvereitelung«, sondern »wegen Vortäuschens einer Straftat«
heißen. Ebenso heißt es im »Betreff« nicht »wegen Verdachts des Mordes« (so nur bei
6
II. Bestandteile
einem freisprechenden Urteil), wenn der Angeklagte tatsächlich »wegen Mordes«
verurteilt worden ist.
3. Bezeichnung der mitwirkenden Personen
Hierher gehört die Bezeichnung des erkennenden Gerichts unter Hervorhebung 16
der betreffenden Abteilung (Amtsgericht C I, 3. Große Strafkammer; auch wenn
eine Spezialstrafkammer wie z.B. das Schwurgericht, die Wirtschaftsstrafkammer
oder die Jugendkammer entschieden hat, ist dies mitzuteilen) und unter Anführung
der Namen der Richter und der Schöffen (Ergänzungsrichter und -schöffen, vgl.
§ 192 Abs. 2 und 3 GVG, nur, wenn sie am Urteil mitgewirkt haben; in diesem Fall
entfällt die Nennung derjenigen Personen, für die sie eingetreten sind); ferner die Angabe des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers (ohne Kennzeichnung, ob
Wahl- oder Pflichtverteidiger) und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Haben
mehrere Staatsanwälte oder mehrere Verteidiger mitgewirkt, so sind sie sämtlich aufzuführen. Dagegen genügt bei einem Wechsel des Urkundsbeamten die Angabe desjenigen, der bei der Urteilsverkündung anwesend war. Dass bei Richtern (s. § 19a
DRiG), Staatsanwälten und Urkundsbeamten die Dienstbezeichnung beigefügt wird,
ist Übung und wird vom Gesetz stillschweigend vorausgesetzt.
Die Angabe weiterer Personen verlangt das Gesetz nicht. Haben aber noch andere 17
Prozessbeteiligte an der Verhandlung teilgenommen, so sollten auch sie im Eingang
aufgeführt werden. Hierzu gehören Nebenkläger und ihre Vertreter (vgl. BGH
NStZ-RR 1999, 38; auch der gem. § 397a StPO gerichtlich bestellte anwaltliche Beistand ist aufzunehmen), sowie Nebenbeteiligte und ihre Prozessbevollmächtigten.
Dagegen würde es zu weit führen, auch Verletzte und ihre Beistände (§ 406g StPO)
und den Beistand des Angeklagten (§ 149 StPO) ins Rubrum aufzunehmen. Auch der
Dolmetscher (§ 189 GVG) wird im Eingang nicht erwähnt.
In Privatklagesachen pflegt ein dem Zivilprozess ähnlicher Urteilskopf gewählt zu
werden:
In der Privatklagesache des … Privatklägers, vertreten durch …, gegen den …, Angeklagten (nicht
»Privatbeklagten«), vertreten durch …
Über die Angabe des Antragstellers bei Urteilen in Verfahren zur Entschädigung des
Verletzten (Adhäsionsverfahren) vgl. unten Rn. 158.
4. Bezeichnung des Tages der Sitzung
Wenn sich die Sitzung auf mehrere Tage erstreckt hat oder wenn die Urteilsverkün- 18
dung ausgesetzt worden ist, genügt es, den Tag der Verkündung anzugeben. Es ist
aber vielfach üblich, sämtliche Sitzungstage anzuführen oder zumindest mitzuteilen,
an welchem Tag die Verhandlung begonnen hat.
Die Überleitung vom Eingang zur Urteilsformel geschieht herkömmlicherweise
durch die Worte »für Recht erkannt«.
7
2. Abschnitt. Die Urteilsformel (Tenor)
I. Allgemeines
1. Begriffsbestimmung
19 Unter der Urteilsformel (dem Tenor) versteht man den entscheidenden Teil des Urteils.1 Die StPO gebraucht das Wort in den §§ 260, 268, 273; in § 451 hingegen scheint
sie das Wort »Urteilsformel« in dem weiteren Sinne von Eingang und Urteilsformel
anzuwenden; denn dass die Vollstreckungsbehörden mit der letzteren allein nichts
anfangen können, ist selbstverständlich. Im folgenden wird das Wort überall in dem
allgemein üblichen engeren Sinne gebraucht.
2. Bedeutung
20 Die Urteilsformel ist der wichtigste Teil des Urteils. In ihr erscheint der schwerwiegende Ausspruch des Gerichts über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten und
über die Rechtsfolgen in kurzen Worten zusammengedrängt; sie allein bestimmt den
Umfang der Rechtskraft. Wird sie nicht verkündet, so liegt kein Urteil im Rechtssinne vor. Welche Wichtigkeit ihr das Gesetz beimisst, ergibt sich aus der Bestimmung,
dass nur eine schriftlich festgelegte Formel verlesen werden darf.2 Die Formel sollte
im Beratungszimmer schriftlich niedergelegt und nicht im Sitzungssaal, etwa gar
noch während der Schlussausführungen des Staatsanwalts oder des Verteidigers, niedergeschrieben und sogleich verlesen werden.3 Dies kann zur Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit führen (BayObLG bei Rüth DAR 1979, 239;
Schultz MDR 1979, 371). Steht dem Richter kein Beratungszimmer zur Verfügung,
sollte er sich zur Niederschrift der Formel in sein Arbeitszimmer zurückziehen.
Die richtige Fassung der Formel ist nicht nur ihrer sachlichen Bedeutung wegen, sondern auch deshalb besonders nötig, weil die im Zivilprozess zulässige Ergänzung des
Urteils im Strafverfahren gar nicht und eine Berichtigung des Urteils nur ausnahmsweise zulässig ist (dazu unter Rn. 30 ff.).
3. Allgemeiner Inhalt
21 Was die Urteilsformel enthalten muss, ist in § 260 Abs. 2 bis 4 StPO geregelt. Aus
diesen Bestimmungen ergibt sich der Inhalt des Tenors jedoch nur unvollkommen.
Es werden hier lediglich einige Bestandteile der Formel zwingend vorgeschrieben,
jedoch wird nicht erschöpfend aufgezählt, was alles zum Entscheidungssatz gehört.
Soweit nicht diese oder sonstige (z.B. § 200 StGB, § 464 Abs. 1 StPO) zwingende
1 In § 173 Abs. 1 GVG wird sie ungenau »Urteil« genannt. In den Entscheidungen des BGH wird
von der »Urteilsformel« oder auch vom »Urteilsspruch«, vom »Urteilssatz« und vom »Entscheidungssatz« gesprochen.
2 Es ist allerdings kein zwingender Revisionsgrund, wenn die Urteilsformel bei der Verkündung
nicht verlesen wird (RG 71, 379).
3 Die Niederschrift der Urteilsformel vor Beendigung der Schlussvorträge begründet jedoch nicht
die Revision, solange nicht feststeht, dass der Richter die Schlussausführungen bei der Urteilsfindung unberücksichtigt gelassen hat (BGH 11, 74). Dasselbe gilt für die Niederschrift der Formel
vor Beginn der Hauptverhandlung.
8
I. Allgemeines
Bestimmungen entgegenstehen, ist der Tatrichter befugt, die Urteilsformel frei zu
gestalten (§ 260 Abs. 4 S. 5 StPO; vgl. BGH 4, 130).
Es kann ein Sach- oder ein Prozessurteil ergehen. Das erstere lautet auf Freispruch, 22
Verurteilung, Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder sieht
unter Schuldigsprechung von Strafe ab (z.B. nach §§ 60, 139 Abs. 1, 142 Abs. 4, 157,
158 Abs. 1, 174 Abs. 4, 306e Abs. 1, 314a Abs. 2, 320 Abs. 2, 330b Abs. 1 StGB, vgl.
auch § 5 Abs. 3 JGG) bzw. erklärt den Angeklagten für straffrei (§ 199 StGB). Das
Prozessurteil stellt das Verfahren wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung oder
Vorliegens eines unbehebbaren Prozesshindernisses ein (§ 260 Abs. 3 StPO).
Im Urteilsspruch ist nach § 260 Abs. 4 S. 1 StPO die rechtliche Bezeichnung der Tat 23
anzugeben, deretwegen der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Der Tenor enthält
ferner die angeordneten Rechtsfolgen, wie sich aus § 260 Abs. 4 S. 3 StPO und auch
aus § 451 StPO ergibt. Nach der zuletzt genannten Vorschrift wird die Strafe auf
Grund einer beglaubigten Abschrift der Urteilsformel vollstreckt. Somit muss die
Urteilsformel, und müssen nicht die Gründe über den einer Vollstreckung fähigen
Teil des Richterspruchs Auskunft geben. Dazu gehören die Strafe, die Nebenstrafen
und Nebenfolgen, die Maßregeln der Besserung und Sicherung, sowie ggf. die
Schuldschwereklausel gem. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB (BGH 39, 121; vgl. Rn. 155).
In der Formel ist die Aussetzung der Strafe oder einer Maßregel der Besserung und
Sicherung zur Bewährung (§§ 56, 67b StGB), der Vorbehalt der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung (§ 66 a StGB), die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB)
oder das Absehen von Strafe zum Ausdruck zu bringen (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO).
Schließlich hat der Tenor einen Ausspruch über die Kosten sowie gegebenenfalls eine
Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu enthalten.
Ergeht ein Urteil nach Erlass eines Strafbefehls, gegen den rechtzeitig Einspruch er- 24
hoben ist, so entscheidet das Gericht nicht etwa über den Strafbefehl, hält ihn aufrecht oder hebt ihn auf, sondern es erkennt, als ob ein solcher überhaupt nicht erlassen worden wäre. Der Strafbefehl ist dadurch, dass das Gericht in die
Hauptverhandlung eingetreten und der Einspruch bis zur Urteilsverkündung nicht
zurückgenommen worden ist (§ 411 Abs. 3 S. 1 StPO), endgültig außer Kraft gesetzt;
er wird weder in der Urteilsformel noch in den Urteilsgründen weiter erwähnt. Anders ist es nur, wenn der Einspruch – etwa auf den Strafausspruch – beschränkt worden ist (§ 410 Abs. 2 StPO); dann muss sich das Gericht im Tenor auf den Strafbefehl
beziehen, soweit er bindend geworden ist:
»Der Angeklagte ist nach dem Strafbefehl vom … des Diebstahls schuldig. Er wird zu einer Geldstrafe von … verurteilt.«
War gegen einen Angeklagten wegen einer Ordnungswidrigkeit ein rechtskräftiger 25
Bußgeldbescheid erlassen worden und wird der Angeklagte nun wegen einer durch
dieselbe Handlung begangenen Straftat verurteilt (was wegen der sich aus § 84 Abs. 1
OWiG ergebenden nur beschränkten Rechtskraft des Bußgeldbescheides zulässig ist),
so ist der Bußgeldbescheid gem. § 86 Abs. 1 S. 1 OWiG stets aufzuheben und gem.
§ 86 Abs. 2 und 3 OWiG die Anrechnung gezahlter Geldbeträge auszusprechen:
Der Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 9. Januar
2014 wird aufgehoben; vom Angeklagten auf Grund dieses Bußgeldbescheides gezahlte oder beigetriebene Geldbeträge werden auf die Kosten des Strafverfahrens angerechnet.
9
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
26 Den Schluss des Urteilstenors machte nach altem Gerichtsgebrauch die Formel »von
Rechts wegen«.4 Wenn sie auch nicht gesetzlich vorgeschrieben war, so gebrauchte
man sie doch, da sie dem Tenor einen seiner Bedeutung entsprechenden Abschluss
gab. Schon die Magdeburger, dann auch die Leipziger und andere Schöffengerichte
des 14. bis 16. Jahrhunderts pflegten sich ihrer zu bedienen. Das Reichsgericht machte von ihr in Zivil- und Strafsachen stets Gebrauch. Der Bundesgerichtshof hat diese
Übung übernommen; bei anderen Gerichten wird sie allerdings nicht mehr verwendet.
4. Sprachliche Fassung
27 Die Urteilsformel soll sich durch Kürze und Deutlichkeit auszeichnen. Dass sie
kurz sein muss, folgt aus ihrer Bestimmung und wird schon durch die Bezeichnung
»Formel« angedeutet. Jedes unnütze Wort ist zu vermeiden. Der Tenor muss von allem freigehalten werden, was nicht unmittelbar der Erfüllung seiner Aufgabe dient
(BGH NStZ 1983, 524). Was in die Gründe gehört, ist daher auszuscheiden. Die
Formel ist in der Mehrzahl der Fälle das einzige, was den Zuhörern durch Verlesen
wörtlich mitgeteilt wird. Eine gute Fassung ist deshalb besonders wichtig. Im einzelnen ist die Form der Abfassung bei den Gerichten recht unterschiedlich. So erkennen
z.B. viele Gerichte
Der Angeklagte ist der fahrlässigen Tötung und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig
und wird deshalb … verurteilt.
während andere sagen:
Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Tötung und unerlaubten Entfernens vom Unfallort … verurteilt.
Wenn sich die letztere Fassung durch ihre Kürze empfiehlt, so hebt dafür die erstere
in der Formel den Schuld- und den Strafausspruch deutlicher voneinander ab. Die
Aufnahme des Sachverhalts in den Urteilsspruch (wegen Diebstahls einer goldenen
Uhr) ist nicht zulässig.
Die Fälle der Straffreierklärung und des Absehens von Strafe setzen naturgemäß eine
ausdrückliche Schuldigerklärung voraus:
Der Angeklagte ist der Beleidigung schuldig, wird aber für straffrei erklärt,
oder:
Der Angeklagte ist der falschen uneidlichen Aussage schuldig. Es wird von Strafe gegen ihn abgesehen.
28 Die Urteilsformel muss ferner klar und verständlich sein. Sie darf nicht so gefasst
sein, dass es wiederholten Hörens oder Lesens bedürfte, um in ihren Sinn einzudringen. Deshalb ist die direkte Rede anzuwenden. Die Formel gewinnt dadurch zugleich
an befehlender Kraft.
29 Für verwickelte Fälle lassen sich wenig allgemeine Regeln geben. Zweckmäßig wird
es sein, die Verurteilungen voranzustellen, Freisprechungen und die Kostenentscheidung zuletzt zu bringen. Kommen mehrere Angeklagte in Frage, so sind ihre Namen zu wiederholen (sie sind nicht etwa als die Angeklagten zu 1, 2 zu bezeichnen)
4 Zur geschichtlichen Entwicklung und Bedeutung dieser Formel vgl. Kirchner, FS Pfeiffer, 1988,
S. 485 ff.
10
I. Allgemeines
und ferner für jeden Angeklagten die ihn treffenden Strafen besonders auszusprechen
und nur den Ausspruch über die Kosten am Schluss zusammenzufassen. Also etwa:
Die Angeklagten A., B. und C. sind jeweils der geheimdienstlichen Agententätigkeit, A. außerdem
einer Urkundenfälschung schuldig.
Es werden verurteilt:
A. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, B. und C. je zu einer Freiheitsstrafe von acht
Monaten. Im übrigen werden die Angeklagten freigesprochen.
Den Angeklagten A., B. und C. werden auf die Dauer von drei Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter
zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, sowie das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkannt.5
Soweit die Angeklagten verurteilt werden, werden ihnen die Kosten des Verfahrens auferlegt; im
Übrigen fallen die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last.
Oder:
Der Angeklagte D. wird wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Der Angeklagte E. wird wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Die Angeklagte F. wird freigesprochen.
Die Angeklagten D. und E. tragen die sie betreffenden Kosten des Verfahrens; die die Angeklagte F.
betreffenden Kosten und deren notwendige Auslagen trägt die Staatskasse.
Oder:
1. Der Angeklagte A. wird wegen Diebstahls in sechs und wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
2. Weiter werden verurteilt wegen Hehlerei
der Angeklagte B. zu sechs Monaten Freiheitsstrafe,
der Angeklagte C. zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 EUR,
der Angeklagte D. zu sieben Monaten Freiheitsstrafe.
Bei dem Angeklagten B. wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Dem Angeklagten C. wird die Zahlung der Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 100 EUR, fällig jeweils am 5. eines Monats, erstmals am 5. des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats,
gestattet.
3. Die Angeklagten E. und F. werden freigesprochen.
4. Soweit die Angeklagten verurteilt wurden, haben sie die Kosten des Verfahrens zu tragen. Im übrigen
trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten.
Oder:
I. Es sind schuldig:
1. Der Angeklagte B. des Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, des Diebstahls, des versuchten Diebstahls und des versuchten Betrugs;
2. der Angeklagte K. des versuchten Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und des Diebstahls;
3. der Angeklagte V. des Diebstahls, der Beihilfe zum Diebstahl und der Hehlerei;
4. die Angeklagte F. der Beihilfe zum Diebstahl.
II. Es werden verurteilt:
1. B. und K. je zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 (fünf) Jahren und 6 (sechs) Monaten;
2. V. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren und 6 (sechs) Monaten;
3. F. zu einer Freiheitsstrafe von 6 (sechs) Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
wird.
5 Vgl. §§ 99 Abs. 1 Nr. 1, 101, 45 Abs. 2, 5 StGB. Die angewendeten Vorschriften werden in einer
gesonderten Liste aufgeführt und gehören nicht zur Urteilsformel (§ 260 Abs. 5 StPO; dazu im
3. Abschnitt Rn. 184 ff.).
11
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Die sichergestellte Pistole 7,65 mm – Marke Walther – und der sichergestellte Revolver 9 mm –
Marke Rhöm – je mit 12 Patronen Munition – werden eingezogen.
Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
5. Berichtigung und Änderung
30 a) Für die Berichtigung und die Änderung der Urteilsformel gelten die nachstehenden Grundsätze:
Die Urteilsverkündung ist erst beendet, wenn die Urteilsformel verlesen ist und die
Urteilsgründe bekanntgegeben sind. Bis zur Beendigung der Verkündung des Urteils,
also auch noch nach Verlesen der Urteilsformel und bis zum Abschluss der Verkündung der Urteilsgründe, ist die Berichtigung und Änderung der Urteilsformel (ebenso wie der Gründe) mündlich möglich; bis dahin kann auch die schriftliche Urteilsformel ohne Einschränkung berichtigt und geändert werden. Nicht mehr zur
Urteilsverkündung gehören aber die Bekanntgabe und Begründung von Beschlüssen
nach § 268a StPO (BGH 25, 333) sowie die Rechtsmittelbelehrung gem. § 35a StPO
(BGH NStZ 1984, 279).
31 Ist die Urteilsverkündung abgeschlossen, so ist die Änderung der Urteilsformel
(wie der mündlichen Gründe) überhaupt nicht mehr (BGH NStZ 1984, 279) und ihre
Berichtigung nur noch unter engen, streng zu prüfenden Voraussetzungen zulässig;
denn die StPO kennt kein förmliches Berichtigungsverfahren wie die ZPO
(§§ 319 ff.). Bei der Berichtigung ist also besondere Zurückhaltung geboten, dies auch
deshalb, weil die räumliche Trennung des Berichtigungsbeschlusses von der Urteilsurschrift die Gefahr nicht ausschließt, dass der ursprüngliche, nicht berichtigte Urteilssatz versehentlich zur Grundlage der Strafvollstreckung gemacht wird. Ist die
Änderung unzulässig, so müssen Irrtümer und Fehler durch Einlegung von Rechtsmitteln bzw. im Gnadenweg ausgeräumt werden (vgl. de Vries/Neumann DRiZ 2011,
398).
32 Die Vornahme einer sachlichen Änderung (z.B. die Aufnahme einer weder in der
Formel noch in den Gründen verkündeten und nicht beschlossenen Nebenstrafe)
wird auch nicht dadurch zulässig, dass sich die Mitglieder des Gerichts nach Abschluss der Verkündung zu einer neuen Beratung zurückziehen und das dann Beschlossene neu verkünden. Denn grundsätzlich kann kein Strafgericht seinen einmal
gefassten Urteilsspruch aufheben oder ändern, wenn es ihn nachträglich als fehlerhaft
erkennt (BGH 17, 97); das verbieten Wesen und Bedeutung der sachlichen Rechtskraft.
33 Zulässig ist es, rein formale Mängel der Urteilsformel, z.B. Schreibfehler, Rechenfehler, sonstige Fassungsversehen oder Unklarheiten, die den sachlichen Bestand des
Urteils nicht berühren, sowie Mängel des Ausdrucks für das erkennbar Gewollte zu
berichtigen und zu diesem Zweck die Formel zu ändern (BGH NStZ-RR [C/Z]
2013, 102). Voraussetzung ist aber, dass die Mängel offensichtlich sind. Solche Berichtigungen sind auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG 9, 235). Es
wäre nicht erträglich und dem Ansehen der Gerichte schädlich, den Richter an einen
offensichtlichen und unbezweifelbaren Irrtum zu binden und dadurch ein widersinniges Ergebnis bestehen zu lassen. Allgemeine Grundsätze darüber, wann ein offensichtliches Versehen vorliegt, lassen sich nicht aufstellen; es kommt immer auf den
Einzelfall an.
12
I. Allgemeines
Im Einzelnen hat die Rechtsprechung die Berichtigung (Ergänzung) in folgenden 34
Fällen als zulässig angesehen (es kann gleichermaßen zugunsten und zuungunsten des
Angeklagten berichtigt werden):
Die Urteilsformel gibt den beschlossenen Spruch nicht richtig oder nicht vollständig wieder, so z.B.
wenn dem Gericht in der Formel ein offenbarer Zählfehler (statt 71 vollendeter und 6 versuchter
Betrugshandlungen 72 vollendete und 5 versuchte Betrugshandlungen) unterlaufen ist,
oder wenn bei Tatmehrheit die Verurteilung wegen einer Tat nicht in der Formel, sondern nur in den
Gründen erwähnt ist,
oder wenn der verkündete Urteilssatz eine niedrigere Strafe enthält als die Urteilsgründe und feststeht, dass die in den Urteilsgründen genannte Strafe beschlossen ist,
oder wenn der verkündete Inhalt der Formel infolge Versehens des Verkündenden vom beschlossenen und schriftlich niedergelegten Inhalt der Formel abweicht,
oder wenn der Angeklagte in der Urteilsformel wegen einer Tat mitverurteilt ist, wegen der er nach
den Gründen, wie beschlossen, freigesprochen worden ist,
oder umgekehrt, wenn der Angeklagte nach den Urteilsgründen, wie beschlossen, wegen einer Tat
verurteilt worden ist, während er nach der Urteilsformel wegen dieser Tat freigesprochen wurde,
oder wenn die verkündete Urteilsformel auf eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren lautet, deren Vollstreckung wegen fehlerhafter Verwendung eines Formulars als zur Bewährung ausgesetzt bezeichnet
wurde und aufgrund der Urteilsbegründung das vom Gericht Gewollte zweifelsfrei feststeht,
oder wenn der in der Urteilsformel nicht enthaltene Urteilsausspruch (z.B. der Verlust der Fähigkeit,
öffentliche Ämter zu bekleiden, der Rechte, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen, die Entziehung der Fahrerlaubnis) mitbeschlossen und bei der Eröffnung der Urteilsgründe auch bekanntgegeben ist (nicht aber, wenn der mitbeschlossene Teil auch in den Gründen nicht verkündet worden
ist),
oder wenn nach der Formel die Revision verworfen wurde, während nach den Gründen das Urteil
aufgehoben und die Sache zurückverwiesen wurde,
oder wenn das Revisionsgericht nach der Formel die Sache an ein anderes Gericht zurückverweist,
während sich aus den Gründen ergibt, dass das Revisionsgericht die Sache nur an eine andere Kammer des gleichen Gerichts zurückverweisen wollte.
Immer ist Voraussetzung der Zulässigkeit der Berichtigung, dass der Irrtum und 35
damit das wirklich Beschlossene offenkundig, also jeder vernünftige Zweifel ausgeschlossen ist. Das Versehen muss schon ohne die Berichtigung offensichtlich sein.
Dazu müssen sich der Irrtum und das wirklich Beschlossene ohne jeden Zweifel entweder aus den Urteilsgründen oder bei Widerspruch zwischen der mündlich verkündeten Formel und der schriftlich niedergelegten Formel aus der letzteren ergeben.
Auch die Möglichkeit, dass die Berichtigung in Wirklichkeit eine sachliche Abänderung enthält, muss mit Sicherheit ausgeschlossen sein. Unter der »Berichtigung« darf
sich niemals eine Abänderung des inhaltlich fehlerhaften, aber beschlossenen und
verkündeten Urteils verbergen.
Unzulässig sind sachliche Änderungen und Ergänzungen der Urteilsformel, die auf 36
einem neuen Denkvorgang, somit auf neuen rechtlichen Erwägungen beruhen. Sachliche Fehler können also auch dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie offensichtlich sind. Ergeben die Urteilsgründe nichts Bestimmtes oder kann gar aus
ihnen entnommen werden, dass der fehlende Ausspruch nicht gewollt oder der angebliche Mangel gewollt ist, so ist die Berichtigung unzulässig (OLG Düsseldorf
MDR 1981, 606).
Nicht statthaft ist daher z.B. die Berichtigung einer sachlich fehlerhaften Berechnung
der Gesamtstrafen (z.B. Gesamtstrafe gleich der Summe der Einzelstrafen, vgl. § 54
13
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Abs. 2 S. 1 StGB), oder die Ergänzung der vergessenen Bestimmung über die Anordnung einer Sperrfrist nach § 69a StGB (BGH bei Miebach NStZ 1988, 449) oder über
die Zeitdauer eines Berufs- oder Fahrverbots, oder die Berichtigung einer unrichtig
bezeichneten Straftat (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983, 212).
37 b) Bei einem Widerspruch zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen ist
grundsätzlich erstere maßgebend. Das gilt aber nicht, wenn das Urteil zur Schuldfrage insgesamt derart tiefgreifende Widersprüche enthält, dass unklar bleibt, welches
Strafgesetz angewendet wurde; wenn etwa der Angeklagte in der Formel einer üblen
Nachrede schuldig gesprochen wird, aber in den Gründen § 187 StGB zitiert ist und
ausgeführt wird, der Angeklagte habe »wider besseres Wissen« gehandelt. Im Übrigen kommt es darauf an, ob der Fehler sich in der Formel oder in den Gründen befindet. Sind die Gründe unrichtig mitgeteilt, während der Inhalt der Formel beschlossen war, so ist die Berichtigung der Formel unzulässig und diejenige der Gründe
entbehrlich, weil zur Zeit der Verkündung noch keine schriftlichen Gründe vorlagen.
Entsprechen die Gründe aber dem Beschlossenen, so ist die Formel zu berichtigen,
auch wenn sich dies zuungunsten des Angeklagten auswirkt (OLG Frankfurt NJW
1988, 3028).
38 c) Besteht ein Widerspruch zwischen der Urteilsformel des Protokolls und derjenigen der Urteilsurkunde, so ist die Formel des Protokolls maßgeblich (BGH 34, 11;
wistra 2013, 203). Was im Protokoll steht, ist erkannt, selbst wenn es nicht beschlossen oder nicht verkündet ist; was nicht in ihm steht, ist nicht erkannt und kann nicht
mehr nachgeholt werden. Ein echter Widerspruch zwischen Sitzungsniederschrift
und Urteil führt daher zur Aufhebung des letzteren, da Niederschrift und Urteil als
eine Einheit anzusehen sind (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 100; OLG Köln NStZ 2007,
481). Erklären allerdings Richter und Protokollführer übereinstimmend, dass das
Protokoll unrichtig sei und den Inhalt der verkündeten Entscheidung nicht vollständig wiedergebe, so entfällt die formelle Beweiskraft des Protokolls; damit gilt dann
ohne weiteres der Inhalt der verkündeten Entscheidung (BGH 4, 364; OLG Hamm
VRS 60, 206).
39 d) Bei einem Widerspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen ist die Urteilsformel zunächst mit der im Protokoll enthaltenen zu vergleichen. Stimmen sie
nicht überein, gilt – wie unter c ausgeführt – die Fassung des Protokolls; entspricht
diese den Gründen, ist der Widerspruch durch Berichtigung des Tenors der Urteilsurkunde behoben. Sind die Urteilsformel in der Sitzungsniederschrift und in der Urteilsurkunde identisch, so können beide berichtigt werden, wenn sie dem in Wahrheit
verkündeten – mit den Gründen übereinstimmenden – Urteilstenor nicht entsprechen (BGH 34, 12). Ist der Widerspruch zwischen Urteilstenor (in Protokoll und
Urteilsurkunde) einerseits und Urteilsgründen andererseits nicht erklärbar, so kommt
eine Berichtigung des Tenors nicht in Betracht (BGH wistra 2013, 203).
40 e) Die Berichtigung geschieht außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluss,
nicht durch ein Ergänzungsurteil. Den Beschluss fassen die Richter, die an dem Urteil
mitgewirkt und die Urteilsurkunde unterschrieben haben. Ist einer verhindert, genügt die Mehrheit und ein Verhinderungsvermerk nach § 275 Abs. 2 S. 2 StPO. Ein
Richter, der an der Verhandlung nicht teilgenommen hat, kann nicht als Ersatzmann
unterschreiben (BGH bei Kusch NStZ 1993, 30). Gegen den Berichtigungsbeschluss
sowie gegen den eine Berichtigung ablehnenden Beschluss ist Beschwerde zulässig,
sofern nicht das Urteil, dessen Bestandteil der Berichtigungsbeschluss ist, mit einem
14
II. Verurteilung
Rechtsmittel angefochten worden ist oder noch angefochten werden kann. Auch das
Revisionsgericht kann die Urteilsformel des angefochtenen Urteils berichtigen
(BGH 3, 245; OLG Hamm VRS 57, 35).6 Ob die Berichtigung offenbarer Schreib-,
Rechen- oder sonstiger Fassungsfehler des Urteilsspruchs auch dann zulässig ist,
wenn sie erst geschieht, nachdem die Revision sich schon auf den Fehler gestützt hatte, ist fraglich (offen gelassen in BGH 34, 12, verneint von OLG Koblenz VRS 72,
194; zur »Rügeverkümmerung« bei nachträglicher Protokollberichtigung vgl. BGH
NStZ 2007, 661; Rn. 1036). Doch dürfte im Allgemeinen die Berichtigung nach Eingang der Revisionsrüge für eine sachliche und daher unzulässige Änderung sprechen.
Ein unzulässiger Berichtigungs- oder Ergänzungsbeschluss ist unbeachtlich (BGH
NJW 1991, 1900).
Wegen der Änderung der Urteilsgründe vgl. unten Rn. 258 ff.
II. Verurteilung
1. Name des Angeklagten
Bei manchen Gerichten ist es üblich, im Urteilstenor den Namen des Angeklagten 41
nochmals anzuführen. Das ist nur zu Unterscheidungszwecken bei mehreren Angeklagten notwendig, sonst entbehrlich, weil es sich aus dem Urteilseingang ergibt. Die
Angabe des Geburtstages und -ortes oder des Wohnortes des Angeklagten belastet
die Urteilsformel unnötig und ist überflüssig.
2. Schuldspruch
a) Rechtliche Bezeichnung der Tat
Nach § 260 Abs. 4 S. 1 StPO muss die Urteilsformel die rechtliche Bezeichnung der 42
Tat enthalten. Die angewendeten Strafvorschriften werden in ihr nicht angegeben.
Auch der Sachverhalt darf nicht in die Formel aufgenommen werden; die näheren
Einzelheiten gehören in die Gründe. Die Urteilsformel muss also lauten:
Der Angeklagte wird wegen versuchten Diebstahls und wegen fahrlässiger Körperverletzung zu …
verurteilt.
Vorgeschrieben ist die »rechtliche Bezeichnung« der Tat, nicht aber ihre »gesetzliche«
Bezeichnung (vgl. BGH bei Holtz MDR 1977, 108). Soweit ein Straftatbestand aber
eine gesetzliche Überschrift hat, wie dies bei allen Tatbeständen des Besonderen Teils
des StGB der Fall ist, soll gem. § 260 Abs. 4 S. 2 StPO diese Überschrift verwendet
werden. Davon kann abgewichen werden, wenn die Überschrift nicht passt, z.B. bei
Verurteilung wegen »unbefugten Tragens von Uniformen« (§ 132a Abs. 1 Nr. 4
StGB); die gesetzliche Überschrift des § 132a StGB (»Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen«) würde die Tat nur ungenau kennzeichnen (zu § 184
b StGB vgl. BGH StV 2012, 540; zu § 160 StGB vgl. BGH NStZ 2012, 147, 148; zu
§ 239 Abs. 3 StGB vgl. BGH, BeckRS 2009, 09311). Fehlt – wie zumeist im Nebenstrafrecht – eine gesetzliche Überschrift, so sind herkömmliche oder die Tat charakterisierende Beschreibungen zu verwenden (»wegen bewaffneten Betäubungsmittel6 Z.B. bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung durch Anfügen der Worte »in Tateinheit mit
fahrlässiger Körperverletzung«.
15
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
handels« oder »wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln« und nicht nur
»wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz«; die Rauschgiftart ist nicht in
der Urteilsformel zu bezeichnen). Für die rechtliche Bezeichnung der Tat nach § 370
AO genügt die Angabe »Steuerhinterziehung«, der Kennzeichnung der Steuerart in
der Urteilsformel bedarf es nicht (BGH wistra 2012, 484, 485). Diese Grundsätze
gelten auch im Bußgeldverfahren. Auch dort ist in der Urteilsformel nur die rechtliche Bezeichnung der Tat anzugeben, also etwa »wegen vorsätzlichen Überholens bei
unklarer Verkehrslage und fahrlässiger Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers«. Die angewendeten Vorschriften gehören nicht in die Formel. Sie können die
rechtliche Bezeichnung der Tat nicht ersetzen, sondern sind nach der Urteilsformel
anzuführen (dazu im 3. Abschnitt Rn. 184). Es ist darauf zu achten, dass die Straftat
so genau wie möglich bezeichnet wird (also nicht »wegen Beleidigung«, wenn es sich
um Verleumdung – § 187 StGB – handelt, oder nicht wegen »Verstoßes gegen das
Waffengesetz«, sondern wegen »unerlaubten Führens einer halbautomatischen
Kurzwaffe« – § 52 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG, BGH NStZ 2008, 470). Hat der Angeklagte
mehrere Straftatbestände (tatmehrheitlich oder tateinheitlich) verwirklicht, ist der
Tatbestand, dem die (höchste) Strafe entnommen wird, an den Beginn zu stellen
(BGH StV 2007, 562).
43 Die Klassifizierung der Tat als Verbrechen oder Vergehen (§ 12 StGB) braucht nicht
in die Urteilsformel aufgenommen zu werden. Sie ist rechtlich nicht geboten, belastet
unnötig den Urteilsspruch und ist nur geeignet, eine Fehlerquelle zu eröffnen (BGH
NStZ 1986, 40).
44 Die Schuldform (vorsätzlich oder fahrlässig) sollte immer dann in der Urteilsformel
enthalten sein, wenn es sich um Vergehen handelt, die sowohl vorsätzlich als auch
fahrlässig begangen werden können (vgl. § 15 StGB), also z.B. bei Körperverletzung
(§§ 223, 229 StGB), bei Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) oder bei Fahren ohne
Fahrerlaubnis (§ 21 StVG); besondere Sorgfalt ist bei § 315c StGB geboten (Abs. 1
und Abs. 3 Nr. 1 sind vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdungen, vgl. § 11 Abs. 2
StGB, Abs. 3 Nr. 2 ist Fahrlässigkeitstat); jedenfalls darf die Bezeichnung »fahrlässig«
bei nur fahrlässig begangener Tat nie fehlen (BGH NStZ 1992, 546, wo der Zusatz
»vorsätzlich« nicht verlangt wird; dem folgt die Praxis insbesondere bei Verstößen
gegen das BtMG). Bei auch fahrlässig begehbaren Ordnungswidrigkeiten ist diese
Unterscheidung ebenfalls vorzunehmen (OLG Koblenz NStZ 1984, 370). Anzugeben ist auch, ob die Straftat lediglich versucht worden ist (wobei es hier des Zusatzes »vorsätzlich« nicht bedarf, weil es einen fahrlässigen Versuch nicht gibt, vgl.
Fischer § 22 StGB Rn. 2. (Aus Gründen der Klarheit und Übersichtlichkeit empfiehlt
es sich bei Mehrfachtätern die Fälle vollendeter und versuchter Taten voneinander
getrennt aufzuführen, also nicht wiederholt die Formulierung »wegen … in X-Fällen,
wobei es in Y-Fällen beim Versuch blieb« zu gebrauchen.)
45 Auch die Angabe der Teilnahmeform gehört zur rechtlichen Bezeichnung der Tat. So
ist anzugeben, wenn der Angeklagte nur als Teilnehmer (Anstifter, Gehilfe) verurteilt
worden ist; dagegen wird die Angabe, ob Allein- oder Mittäterschaft vorliegt, nicht
verlangt (BGH NStZ-RR [C/Z] 2011, 226), auch nicht, ob der Angeklagte in mittelbarer Täterschaft gehandelt hat.
46 Bei Verurteilung nach § 323a StGB wird die Rauschtat nicht in die Urteilsformel aufgenommen, da die Trunkenheitstat nur eine Bedingung der Strafbarkeit darstellt; die
16
II. Verurteilung
Verurteilung erfolgt in der Formel nur »wegen fahrlässigen« oder »wegen vorsätzlichen Vollrausches« (BGH bei Spiegel DAR 1977, 142).
Bei Verurteilung aus § 30 StGB ist die Art. des geplanten oder verabredeten Verbre- 47
chens in die Urteilsformel mitaufzunehmen, da § 30 keine selbständige Strafvorschrift
ist, also z.B. »wegen Verabredung zum schweren Raub« (BGH NStZ-RR [C/Z] 2013,
101).
Die Bezeichnung echter Qualifikationstatbestände ist vollständig in die Urteilsfor- 48
mel aufzunehmen, so der »Diebstahl mit Waffen« (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB), der
»Wohnungseinbruchsdiebstahl« (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB), der »schwere Raub« oder
die »schwere räuberische Erpressung« (§§ 250, 255 StGB), die »gewerbsmäßige Hehlerei« (§ 260 StGB) oder die schwere Vergewaltigung (§ 177 Abs. 3 StGB). Hat der
Täter eine weitere Qualifikation verwirklicht, etwa § 250 Abs. 2 StGB, der im Verhältnis zu den §§ 249, 250 Abs. 1 StGB eine weitere Qualifikation darstellt – gleiches
gilt im Verhältnis § 177 Abs. 4 zu § 177 Abs. 3 StGB – ist auf »besonders schweren
Raub« bzw. »besonders schwere Vergewaltigung« zu erkennen (BGH NStZ 2010,
101; NStZ-RR [C/Z] 2011, 226). Auch bei § 226 Abs. 1 und 2 StGB handelt es sich
um eine gestufte Qualifikation; es ist zu tenorieren »schwere Körperverletzung« bzw.
»beabsichtigte schwere Körperverletzung« (BGH NStZ 2006, 686; zu § 232 StGB vgl.
BGH NStZ-RR [C/Z] 2010, 72).
Die Annahme eines besonders schweren oder eines minder schweren Falls gehört 49
hingegen nicht in die Formel, sondern in die Gründe; denn insoweit handelt es sich
nur um Strafzumessungsgründe und nicht um eigene Straftatbestände. Eine Ausnahme gilt für die Vergewaltigung, § 177 StGB. Durch das 33. StrÄndG sind die Straftatbestände des § 177 StGB a.F. (Vergewaltigung) und des § 178 StGB a.F. (sexuelle Nötigung) in einem Straftatbestand zusammengefasst worden (§ 177 StGB – sexuelle
Nötigung; Vergewaltigung). Grunddelikt ist die sexuelle Nötigung, § 177 Abs. 1
StGB, die Vergewaltigung ist zu einem von mehreren Regelbeispielen für einen besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung geworden. Gleichwohl ist nach BGH
NJW 1998, 2988 in Fällen, in denen das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
StGB vollendet ist, wegen »Vergewaltigung« zu verurteilen; dies deshalb, weil die
Aufnahme des Regelbeispiels in die gesetzliche Überschrift von § 177 StGB Anlass
gibt, das so hervorgehobene Regelbeispiel in die Urteilsformel aufzunehmen. Das
verwirklichte Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB ist auch dann im Urteilstenor als Vergewaltigung zu bezeichnen, wenn das Gericht die Strafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnimmt (BGH bei Pfister NStZ-RR 2000, 357). Bleibt
die Vergewaltigung jedoch im Versuchsstadium stecken, ist zu unterscheiden: Scheitert die Tat, ehe es zu sexuellen Handlungen kommt, ist eine solche Tat rechtlich als
versuchte Vergewaltigung zu bezeichnen (BGH StV 2005, 135); dagegen ist, wenn das
Grunddelikt vollendet, das Regelbeispiel aber nur versucht wurde, nur wegen sexueller Nötigung zu verurteilen (BGH bei Pfister NStZ-RR 2001, 356).
Auch soweit das Gesetz zwingende Beispiele (z.B. in § 241a Abs. 4 StGB) oder Re- 50
gelbeispiele (z.B. in §§ 125a, 243, 263 Abs. 3 StGB, § 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG) aufstellt, hat die Kennzeichnung als »besonders schwerer Fall« oder als »gewerbsmäßig«
in der Urteilsformel zu unterbleiben (BGH 27, 289; NStZ-RR [C/Z] 2011, 226).
Ebenso wird im Tenor nicht erwähnt, dass lediglich eine »geringwertige Sache«
(§ 248a StGB) entwendet wurde (OLG Düsseldorf NJW 1987, 1958). Diese Einzelheiten ergeben sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften (dazu im 3. Ab17
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
schnitt Rn. 184), die der Entlastung des Tenors dient. Im Betäubungsmittelrecht ist
das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln »in nicht geringer Menge« nach § 29a
Abs. 1 Nr. 2 BtMG – im Gegensatz zur alten Fassung in § 29 Abs. 3 Nr. 4 – nicht
mehr als bloße Strafzumessungsregelung, sondern, wie bei der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, als selbständiger
Verbrechenstatbestand ausgestaltet und daher in den Tenor aufzunehmen. Dazu in
Tateinheit stehen kann der dann auch in den Tenor aufzunehmende unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum, weil sich durch die tateinheitliche
Begehung zweier Tatbestände durch Erwerb von Betäubungsmitteln – teils zum Eigenkonsum, teils zum Weiterverkauf – der Schuldumfang insgesamt verringert (BGH
StV 2002, 255).
51 Stellt sich im Verlaufe einer Hauptverhandlung heraus, dass der Angeklagte schuldunfähig ist, muss Freispruch erfolgen und gegebenenfalls eine Maßregel nach §§ 63ff.
StGB angeordnet werden (vgl. Rn. 103). Die Begehung einer Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB ist nur für die Strafzumessung
bedeutsam und deshalb in der Urteilsformel nicht zu kennzeichnen. Hingegen ist die
besondere Schwere der Schuld gem. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB – weil für die Vollstreckung bedeutsam – in der Urteilsformel festzustellen (BGH 39, 121); will das Gericht sie verneinen, genügt ein Hinweis in den Urteilsgründen (BGH NJW 1993, 2001).
52 Im Sicherungsverfahren ergeht kein Schuldspruch; daher unterbleibt im Urteilsspruch die Kennzeichnung der begangenen Anlasstat (vgl. Rn. 104).
b) Tatmehrheit
53 Ist der Angeklagte einer Reihe selbständiger Straftaten (§ 53 StGB) angeklagt, so
erstreckt sich die Formel auf sämtliche im Eröffnungsbeschluss zugelassenen Fälle
der Anklage. Bei gleichartiger Tatmehrheit wird die Zahl der Fälle in der Formel angegeben, bei ungleichartiger Tatmehrheit genügt die Verbindung mit »und« oder mit
»sowie«. Damit bringt der Schuldspruch den selbständigen Charakter der mehreren
Straftaten zum Ausdruck.
Der Angeklagte wird wegen Betrugs in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und
6 Monaten verurteilt;
er wird wegen Diebstahls und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von … verurteilt.
Dagegen brauchen die einzelnen Straftaten in der Formel nicht näher auseinandergehalten zu werden. Es heißt also nicht:
Der Angeklagte wird wegen zweier Diebstähle zum Nachteil des Kaufmanns Müller in X. und wegen
eines Diebstahls zum Nachteil des Rentners Meyer, des Fabrikbesitzers Schmidt und des Werkführers Schulze in Y. zu … verurteilt, von der Anklage eines weiteren Diebstahls zum Nachteil des
Bahnwärters Schneider in Z. jedoch freigesprochen.
Vielmehr ist richtig zu sagen:
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls in fünf Fällen zu … verurteilt; im Übrigen wird er freigesprochen.
Das andere gehört in die Gründe. Nur in einem Fall muss der Verletzte im entscheidenden Teil des Urteils genannt werden, nämlich dann, wenn ihm die Befugnis zur
Veröffentlichung der Urteilsformel zugesprochen ist. Das erfordert der Zweck der
Veröffentlichung (Nr. 231 S. 1 RiStBV).
18
II. Verurteilung
Probleme entstehen immer dann, wenn sich das Urteil und der Eröffnungsbe- 54
schluss, so wie er die Anklage zugelassen hat, nicht decken, z.B. wenn der Eröffnungsbeschluss von Tatmehrheit und das Urteil von Tateinheit ausgeht oder umgekehrt. Zweifelsfälle sind von dem Gesichtspunkt aus zu lösen, dass der
Eröffnungsbeschluss durch das Urteil erschöpft werden muss (BGH NStZ-RR 2007,
175). Über jede selbständige Tathandlung (§ 53 StGB) – auch bei einer einheitlichen
Tat i.S.d. § 264 StPO – ergeht ein gesonderter Schuldspruch. Dabei ist aber auch zu
berücksichtigen, dass Gegenstand der Urteilsfindung, also auch der Urteilsformel, die
Tat ist, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung, und nicht nach dem
Eröffnungsbeschluss darstellt. Wenn also der Angeklagte wegen zweier selbständiger
Handlungen (§ 53 StGB), z.B. wegen Körperverletzung und wegen Widerstandes
gegen Vollstreckungsbeamte, angeklagt ist, das Gericht aber entgegen dem Eröffnungsbeschluss einen in allen Teilen erwiesenen einheitlichen Lebenssachverhalt annimmt und in ihm aus Rechtsgründen nur den Tatbestand des Widerstandes erblickt,
so wird der Angeklagte nicht etwa von der Anklage der Körperverletzung freigesprochen, sondern nur wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt.
Hält das Gericht hingegen von zwei als selbständig angeklagten Handlungen den
Tatbestand der einen tatsächlich nicht für erwiesen, so muss insoweit freigesprochen
werden, auch wenn die materiellrechtlich selbständigen Handlungen (§ 53 StGB) zu
einer Tat i.S.d. § 264 StGB gehören; es ist unzulässig, dies mit der Begründung zu
unterlassen, dass einheitliches Zusammentreffen vorliegen würde, wenn auch die
zweite Straftat erwiesen worden wäre (vgl. BGH 44, 201; wistra 2009, 466, 467). Es
muss also heißen:
Der Angeklagte ist des Diebstahls schuldig und wird deshalb zu … verurteilt; im Übrigen wird er freigesprochen.
Zur Bildung der Gesamtstrafe bei Tatmehrheit und deren Angabe im Tenor vgl. unten Rn. 81 ff.
c) Tateinheit
Sie liegt vor, wenn ein und dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe 55
Strafgesetz mehrmals verletzt (ungleichartige und gleichartige Tateinheit). Es wird
dann nur auf eine Strafe erkannt (§ 52 StGB). Bei Tateinheit wird die Strafe nach dem
Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht, sie darf aber nicht milder sein, als
die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen (§ 52 Abs. 2 S. 2 StGB). Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) kann oder muss erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze sie vorschreibt oder zulässt
(§ 52 Abs. 4 StGB).
Bei Tateinheit muss die Urteilsformel sämtliche zusammentreffende Strafgesetze 56
enthalten. Diese nur in den Urteilsgründen zu erwähnen, genügt nicht. Dass es sich
um Tateinheit, nicht um Tatmehrheit handelt, muss schon aus der Formel hervorgehen, durch Verwendung der Worte »in Tateinheit mit« oder »zugleich mit«. Man sagt
also nicht: der Angeklagte wird wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt
(das würde Tatmehrheit bedeuten, s.o. Rn. 53), sondern: wegen Betrugs in Tateinheit
mit Urkundenfälschung. Sind mehr als zwei Tatbestände in Tateinheit verwirklicht,
werden die weiteren mit den Worten »und mit« angeschlossen (BGH NStZ 1986, 40),
z.B. »der Angeklagte ist der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nöti19
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
gung und mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr schuldig«. Bei gleichartiger Tateinheit heißt es nicht »wegen Mordes in zwei Fällen« (das wäre Tatmehrheit), sondern »wegen tateinheitlich begangenen zweifachen Mordes« (BGH NStZ 2006, 167;
NStZ-RR 2008, 66 [B]).
57 Von der Kenntlichmachung gleichartiger Tateinheit im Urteilsspruch kann jedoch
ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dadurch der Tenor unübersichtlich würde;
dies widerspräche nämlich dem auch zu berücksichtigenden Gebot der Klarheit und
Verständlichkeit der Urteilsformel (BGH NStZ-RR [C/Z] 2013, 101).
58 Bei der Erfüllung mehrerer Alternativen eines Tatbestandes, z.B. des § 250 Abs. 1
oder des § 224 Abs. 1 StGB zum Nachteil eines Geschädigten durch eine Tat ist hingegen nur wegen eines schweren Raubes bzw. einer gefährlichen Körperverletzung
und nicht wegen in Tateinheit begangener mehrerer Alternativen zu verurteilen (mit
unterschiedlicher Begründung BGH NStZ 1994, 284 und 394; zu § 176a Abs. 1 u. 2
StGB vgl. BGH NJW 2010, 2742, 2743).
59 Diese Grundsätze gelten natürlich auch bei Verurteilungen wegen Ordnungswidrigkeiten nach der StVO und StVZO. Es heißt also nicht: Der Angeklagte wird wegen
Ordnungswidrigkeiten nach der StVO (§§ 1, 16) zu … verurteilt, sondern richtig:
Der Angeklagte wird wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes
gegen die Vorschriften über das allgemeine Verhalten im Straßenverkehr zugleich mit
einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Vorschrift über die
Abgabe von Warnzeichen zu einer Geldbuße von … verurteilt (vgl. zur Tenorierung
§ 49 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 16 StVO).
60 Nimmt das Gericht im Gegensatz zum Eröffnungsbeschluss (bzw. zur Anklage)
z.B. nur Betrug an und verneint es eine damit tateinheitlich zusammentreffende Urkundenfälschung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, so darf von der Anklage der Urkundenfälschung nicht freigesprochen werden, sondern es ist einfach zu
sagen: Der Angeklagte wird wegen Betrugs verurteilt (falsch wäre auch zu sagen: der
Angeklagte wird nicht wegen Urkundenfälschung, sondern wegen Betrugs verurteilt). Denn es handelt sich um eine einzige strafbare Handlung, die nur rechtlich anders als im Eröffnungsbeschluss (Anklage) bewertet wird, und wegen derselben
Handlung kann nicht zugleich verurteilt und freigesprochen werden; eine solche
Freisprechung wäre unwirksam. In diesem Fall ist in den Gründen anzugeben, weshalb das Gericht keine Tateinheit angenommen hat. Nur ausnahmsweise wird bei
angeklagter Tateinheit teilweise freigesprochen, wenn die Annahme der Tateinheit
nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung von Anfang an offensichtlich fehlerhaft
war (BGH NStZ 1992, 398), es sich in Wirklichkeit also um zwei selbständige Taten
handelt, von denen nur eine bewiesen ist; denn nur so wird der Umfang des Strafklageverbrauchs deutlich (BGH NJW 1993, 2125). Kein Teilfreispruch erfolgt, wenn der
Angeklagte wegen Vollrauschs verurteilt wird, ihm in der Anklage aber mehrere selbständige im Zustand der Schuldfähigkeit begangene Handlungen (etwa fahrlässige
Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) vorgeworfen worden waren. War jemand wegen § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB in
Tatmehrheit mit §§ 142, 316, 52 StGB angeklagt worden, weil er im betrunkenen Zustand einen Unfall verursacht hatte und weitergefahren war, und erfolgt in der
Hauptverhandlung nur Verurteilung nach § 316 StGB, weil ihn an dem Unfall kein
Verschulden traf und er ihn auch nicht bemerkt hatte, so ergeht ebenfalls kein Teilfreispruch, da die beiden Abschnitte der Trunkenheitsfahrt (vor und nach dem zu20
II. Verurteilung
nächst angenommenen unerlaubten Entfernen vom Unfallort) zu einer Tat zusammenwachsen (OLG Zweibrücken VRS 85, 208m.w.N.).
Schwierig ist das Verhältnis zwischen Freispruch und Einstellung: Steht in der 61
Hauptverhandlung bereits fest – also nicht, wenn die Schuldfrage noch unklar ist
(BGH 44, 218; NStZ-RR 96, 299) – dass dem Angeklagten keine Straftat nachzuweisen ist, wird, wenn nunmehr ein Prozesshindernis entsteht oder entdeckt wird, das
Verfahren nicht eingestellt, sondern der Angeklagte freigesprochen (Vorrang des Freispruchs). Das gilt allerdings nicht, wenn die Tat gar nicht angeklagt oder das Hauptverfahren wegen dieser Tat gar nicht eröffnet worden war; dann ist das beim Gericht
geführte Verfahren einzustellen (BGH NJW 2006, 522, 530; vgl. Rn. 659).
Ist eine einheitliche Tat unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten angeklagt, aus 62
unterschiedlichen Gründen aber nicht zu ahnden, kommen sowohl Freispruch wie
auch Einstellung des Verfahrens in Betracht. Ist die Tat unter dem einen Gesichtspunkt nicht nachweisbar und unter dem anderen Gesichtspunkt wegen Verjährung
nicht mehr verfolgbar, richtet sich die Entscheidung danach, welches der rechtlich
schwerwiegendere Vorwurf ist (BGH NJW 2005, 1287; vgl. Rn. 660). Je nachdem ist
einzustellen oder freizusprechen. Sind die Vorwürfe gleich schwer, hat die Einstellung
vor dem Freispruch den Vorrang (Meyer-Goßner § 260 StPO Rn. 46).
Dieselben Grundsätze gelten, wenn die Tat nur unter einem rechtlichen Gesichts- 63
punkt angeklagt ist, sie unter diesem Gesichtspunkt aber nicht nachweisbar ist und
sie unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht mehr verfolgt werden kann
(BGH 36, 340). So ist freizusprechen, wenn z.B. ein Vergehen der Trunkenheit im
Verkehr nach § 316 StGB angeklagt, aber nicht nachweisbar ist und die Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG bereits verjährt ist, oder wenn eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB nicht nachzuweisen und für § 223 StGB kein Strafantrag
gestellt ist und ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von der
Staatsanwaltschaft verneint wird.
Wird dem Angeklagten eine nur auf Antrag zu verfolgende Straftat tateinheitlich 64
zusammentreffend mit einer anderen, schwereren Straftat zur Last gelegt und ist die
letztere nicht erwiesen, die erstere aber mangels wirksamen Strafantrags oder wegen
Zurücknahme des Antrags nicht mehr verfolgbar, so ist der Angeklagte freizusprechen, wenn ein Strafantrag nicht mehr gestellt werden kann (BGH 1, 231; 7, 256). Ist
das Verfahrenshindernis jedoch noch behebbar, ist die Einstellung des Verfahrens
auszusprechen, auch wenn der schwerwiegendere, der Anklage zugrundeliegende
Vorwurf aus tatsächlichen Gründen nicht aufrechtzuerhalten ist, weil ein Freispruch
sonst zu einem umfassenden Strafklageverbrauch führen würde; vgl. auch unten
Rn. 661.
d) Andere Strafbestimmung
Wenn das Gericht auf Grund einer anderen Strafbestimmung verurteilt als der in 65
der Anklage oder im Eröffnungsbeschluss (soweit dieser die Anklage ändert) genannten, z.B. wegen Unterschlagung statt wegen Untreue, so wird nicht von der Anklage
der Untreue freigesprochen; denn die den Gegenstand der Anklage bildende Tat
wird, wenn auch aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, für strafbar erachtet
und eine Freisprechung von einzelnen rechtlichen Gesichtspunkten ist dem Gesetz
unbekannt. Der Angeklagte wird vielmehr ohne Erwähnung der Untreue wegen Un21
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
terschlagung verurteilt. Dasselbe gilt, wenn statt einer schwereren eine leichtere Straftat angenommen wird, z.B. Diebstahl statt Raub.
e) Fortgesetzte Handlung und Bewertungseinheit
66 Durch die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH vom 3.5.1994
(NJW 1994, 1663) ist das richterrechtlich geschaffene Gebilde der fortgesetzten
Handlung praktisch aufgegeben worden. Zur bisherigen Rechtsprechung siehe die
26. Aufl. S. 22 f.
67 Bei der in erster Linie im Betäubungsmittelrecht bedeutsamen neu geschaffenen
Rechtsfigur der Bewertungseinheit (vgl. Fischer vor § 52 StGB Rn. 12 ff.) handelt es
sich um einen Fall der tatbestandlichen Handlungseinheit, so dass hinsichtlich der
Tenorierung keine Besonderheiten zu beachten sind.
f) Wahlfeststellung und Postpendenz
68 Die Frage, wie der Richter den Urteilsspruch bei einer Wahlfeststellung (doppeloder mehrdeutige Feststellung, vgl. hierzu unten Rn. 337 ff.) zu fassen hat, war früher durch § 267b Abs. 1 StPO ausdrücklich dahin geregelt, dass der Angeklagte in der
Formel nur der Verletzung des anzuwendenden, nämlich des milderen Strafgesetzes,
schuldig gesprochen wurde. Die Verfahrensordnung enthält jetzt eine Regelung nicht
mehr. Der BGH hielt es früher für zulässig, nur das mildere Gesetz aufzunehmen
(BGH 1, 304). Es ist aber jetzt allgemein üblich und entspricht auch dem Erfordernis
bei der Anklageerhebung (BGH 32, 146), im Urteilssatz wahldeutig zu verurteilen,
z.B.
Der Angeklagte ist der Untreue oder der Unterschlagung schuldig und wird deshalb zu … verurteilt.
Gehen Anklage und Eröffnungsbeschluss alternativ von zwei selbständigen Taten
(z.B. Diebstahl oder Hehlerei) aus und gelangt das Gericht zu einer eindeutigen Verurteilung (z.B. wegen Diebstahls), muss der Angeklagte von dem Vorwurf der anderen Tat freigesprochen werden (BGH NStZ 1998, 635).
69 Eine gleichartige Wahlfeststellung (Tatsachenalternativität; es ist z.B. fraglich, welche von zwei sich widersprechenden Aussagen desselben Zeugen falsch ist) kommt
hingegen in der Urteilsformel nicht zum Ausdruck.
70 Bei einer Postpendenzfeststellung (vgl. unten Rn. 343) wird nur das angewendete
Strafgesetz (i.d.R. § 259 StGB) im Urteilsspruch erwähnt, im Übrigen erfolgt Teilfreispruch, wenn dem Angeklagten in der Anklage zwei Taten zur Last gelegt wurden
(BGH NStZ 2011, 510).
g) Gesetzeseinheit
71 Bei Gesetzeseinheit wird nur die rechtliche Bezeichnung der angewendeten Strafvorschrift in der Urteilsformel angegeben. Das gilt auch dann, wenn auf Grund einer
verdrängten Vorschrift auf die Anordnung von Nebenfolgen erkannt worden ist.
h) Erfolgsqualifikationen
72 Wird bei der einmaligen Begehung eines erfolgsqualifizierten Delikts die Erfolgsqualifikation mehrfach herbeigeführt – kommen also bei einer Brandstiftung mehrere
22
II. Verurteilung
Menschen ums Leben –, lautet der Tenor nicht etwa »Brandstiftung mit Todesfolge in
acht Fällen« (das würde acht in Tatmehrheit begangene Taten bedeuten), sondern
Der Angeklagte ist der Brandstiftung mit achtfacher Todesfolge schuldig.
3. Strafausspruch
a) Hauptstrafe
aa) Bei Verurteilung zu Geldstrafe sind nach § 260 Abs. 4 S. 3 StPO Zahl und Höhe 73
der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Die Angabe des sich aus der Multiplikation von Zahl der Tagessätze und Höhe des Tagessatzes ergebenden Gesamtbetrages wird vom Gesetz nicht verlangt. Sie ist in der Praxis nicht üblich und auch
nicht erforderlich. In der mündlichen Urteilsbegründung wird der Richter dem Angeklagten den Gesamtbetrag der zu zahlenden Geldstrafe erläutern; bei Zustellung
eines Strafbefehls erhält der Angeklagte zugleich eine Zahlungsaufforderung mit dem
errechneten Gesamtbetrag. Die Formel braucht also durch den gesetzlich nicht vorgeschriebenen Gesamtgeldbetrag nicht belastet zu werden; die Aufnahme des Gesamtbetrages in die Formel ist allerdings unschädlich.
Dass an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe Freiheitsstrafe tritt, wobei ei- 74
nem Tagessatz ein Tag Freiheitsstrafe entspricht, ergibt sich aus dem Gesetz
(§ 43 StGB) und wird daher in der Formel nicht erwähnt. Die Zahl der Tagessätze
bewegt sich in einem Rahmen von 5 bis 360 (§ 40 Abs. 1 StGB), bei Bildung einer
Gesamtstrafe bis 720 (§ 54 Abs. 2 S. 2 StGB), die Höhe zwischen 1 und 30.000 EUR
(§ 40 Abs. 2 S. 3 StGB). Die Formel lautet damit:
Der Angeklagte wird wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 EUR
verurteilt.
Die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe ist auch dann, wenn das 75
Gesetz Geldstrafe nicht oder nur wahlweise androht, möglich, falls sich der Täter
durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht hat (§ 41 StGB). Zu den hierfür
erforderlichen Voraussetzungen vgl. BGH 26, 325: »Bestimmung hat Ausnahmecharakter.«7 Bei der Verurteilung zu mehreren Einzelstrafen muss für jede Tat gesondert
entschieden werden, ob neben ihr eine Geldstrafe verhängt werden soll; es ist nicht
zulässig, eine Geldstrafe als zusätzliche Sanktion für sämtliche abgeurteilten Straftaten auszusprechen (BGH NStZ-RR 2004, 106).
Neben einer lebenslangen oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren 76
konnte nach § 43a StGB eine Vermögensstrafe in bestimmten Fällen (z.B. nach
§§ 244 Abs. 3, 260 Abs. 3 StGB, § 30c BtMG) verhängt werden (zu ihrer Berechnung
vgl. BGH 41, 278). Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2002, 1779) hat jedoch
§ 43 a StGB – weil mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar – für verfassungswidrig erklärt.
Die Mittellosigkeit des Täters steht der Verhängung einer möglichen Geldstrafe 77
nicht entgegen8; ebenso wäre es rechtsfehlerhaft mit der Begründung, der Strafrah-
7 Die Verhängung einer zusätzlichen Geldstrafe nach § 41 StGB darf bei der Bemessung der Freiheitsstrafe mildernd berücksichtigt werden (BGH 32, 60).
8 Das ist vielmehr ein Problem des § 42 StGB und der §§ 459 c ff. StPO.
23
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
men der Geldstrafe reiche nicht aus, bei einem wohlhabenden Täter von der an sich
gebotenen Verhängung einer Geldstrafe abzusehen.
78 Wird auf Grund des § 47 Abs. 2 StGB statt auf eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten auf eine Geldstrafe erkannt, so ist nur die Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen; denn es handelt sich um eine reine Geldstrafe im Sinne des § 40 StGB. Ist
Freiheitsstrafe mit einem erhöhten Mindestmaß angedroht, so bestimmt sich das
Mindestmaß der Geldstrafe nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe,
wobei dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe entsprechen (§ 47 Abs. 2 S. 2
StGB); bei einer Verurteilung wegen falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB) zu
Geldstrafe müssen also beispielsweise mindestens 90 Tagessätze verhängt werden.
79 Das Gericht hat dem Verurteilten eine Zahlungsfrist zu setzen oder ihm zu gestatten,
die Geldstrafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen, wenn ihm eine sofortige Zahlung nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten
ist (§ 42 S. 1 StGB; vgl. OLG Stuttgart StV 2009, 131: zwingende Vorschrift). Dies ist
immer dann in Erwägung zu ziehen, wenn die festgesetzte Geldstrafe ein MonatsNettoeinkommen des Verurteilten übersteigt (OLG Schleswig JR 1980, 425 m. Anm.
Zipf). Die Zahlungsfrist und die zu zahlenden Teilbeträge müssen in die Urteilsformel aufgenommen werden. Ist dies nicht geschehen, so kann nachträglich nur noch
die Vollstreckungsbehörde Zahlungserleichterungen gewähren (§ 459a Abs. 1 StPO).
Zahlungserleichterungen können zudem dann gewährt werden, wenn anderenfalls die
Wiedergutmachung des durch die Straftat verursachten Schadens durch den Verurteilten erheblich gefährdet würde (§ 42 S. 3 StGB; fakultative Regelung). Im Urteil
kann bereits der Verlust der Vergünstigung bei nicht rechtzeitiger Zahlung der Teilbeträge angeordnet werden (§ 42 S. 2 StGB). Die Urteilsformel lautet:
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 20 EUR verurteilt. Ihm wird gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Teilbeträgen von 100 EUR, fällig jeweils am
1. eines Monats, erstmals fällig am 1. des auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monats zu bezahlen. Zahlt er einen Teilbetrag nicht rechtzeitig, so entfällt die Teilzahlungsbefugnis.
80 bb) Freiheitsstrafe unter einem Jahr wird nach vollen Wochen und Monaten, Freiheitsstrafe von längerer Dauer nach vollen Monaten und Jahren bemessen (§ 39 StGB;
zu Ausnahmen vgl. Rn. 82 a). Infolgedessen darf Freiheitsstrafe nach Bruchteilen eines Monats (41/2 Monate) oder eines Jahres (11/2 Jahre) nicht ausgesprochen werden.
Aus § 39 StGB ist aber nicht zu folgern, dass immer dann, wenn die Zahl der kleineren Zeiteinheiten die nächst größere erreicht oder übersteigt, auf die größere (und
einen etwaigen Rest der kleineren Zeiteinheit) zu erkennen ist, also z.B. statt auf
14 Monate auf ein Jahr und 2 Monate; eine Freiheitsstrafe von 6 Wochen darf daher
verhängt werden (BayObLG NJW 1976, 1951). Die Mindeststrafe von einem Monat
darf aber nicht unterschritten werden (§ 38 Abs. 2 StGB).
81 cc) Gesamtstrafe. Hat jemand mehrere Straftaten begangen und dadurch mehrere
zeitige Freiheitsstrafen verwirkt, so ist auf eine Gesamtfreiheitsstrafe, bei Verwirkung
mehrerer Geldstrafen auf eine Gesamtgeldstrafe zu erkennen (§ 53 Abs. 1 StGB). Ist
eine der Einzelstrafen lebenslange Freiheitsstrafe oder ist mehrfach lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt, so ist auf »lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe« zu erkennen (§ 54 Abs. 1 S. 1 StGB). Bei Tatmehrheit von Straftat und Ordnungswidrigkeit gibt es keine Gesamtgeldstrafe; hier sind Geldstrafe und Geldbuße getrennt zu
verhängen (OLG Köln NJW 1979, 379). Falls Freiheits- und Geldstrafe zusammentreffen, ist in der Regel ebenfalls eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, jedoch kann
24
II. Verurteilung
auch gesondert auf Geldstrafe erkannt werden (§ 53 Abs. 2 StGB). Treffen mehrere
Straftaten zusammen, deretwegen jeweils getrennt auf Freiheitsstrafe und Geldstrafe
erkannt werden muss, so sind aus den Freiheitsstrafen und den Geldstrafen je gesonderte Gesamtstrafen zu bilden (BGH 23, 260). Die Gesamtstrafe wird durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe gebildet, darf aber die Summe der Einzelstrafen
nicht erreichen (§ 54 Abs. 1, 2 StGB). Neben der Gesamtstrafe kann auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen erkannt werden, wenn eines der bei Tatmehrheit
anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt (§§ 53 Abs. 4, 52 Abs. 4 StGB).
Trotz der selbständigen Bedeutung der Einzelstrafen9 ist der Einfachheit und Verständlichkeit der Formel wegen nur die Gesamtstrafe unter Verwendung dieses Wortes in den Entscheidungssatz aufzunehmen10; dies ergibt der Wortlaut des § 53 Abs. 1
StGB: »so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt«. Die Einzelstrafen gehören aber stets
in die Gründe.
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten
verurteilt.
Der Angeklagte ist der fahrlässigen Tötung und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig.
Er wird zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu 35 EUR verurteilt.
Die gleichen Grundsätze gelten bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe (§ 55 82
StGB), von der der Tatrichter nur ausnahmsweise absehen kann, so z.B. wenn er auf
Grund der bislang gewonnenen Erkenntnisse keine sichere Entscheidung fällen kann,
etwa weil die Unterlagen für eine möglicherweise gebotene Gesamtstrafenbildung
nicht vollständig vorliegen, ohne dass dies auf unzureichender Terminsvorbereitung
beruht. Dann darf der Tatrichter die nachträgliche Gesamtstrafenbildung dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen (BGH NStZ 2005, 32; NStZ-RR
2008, 73; Rn. 458). Stets ist das Urteil, aus dem die Strafe einbezogen wird, genau zu
bezeichnen, um Zweifel über den Umfang der Einbeziehung auszuschließen. Es wird
die Strafe, nicht das frühere Urteil einbezogen (anders nur bei § 31 JGG, dazu unten
Rn. 152):
Der Angeklagte wird wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unter Einbeziehung der durch
Urteil des AG Weilheim vom … – Az. … – verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
11 Monaten verurteilt.
Ausnahmsweise muss die nachträglich zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe abweichend 82a
von § 39 StGB dann nicht nach vollen Monaten bemessen werden, wenn sonst den
Grundsätzen der Gesamtstrafenbildung nicht entsprochen werden kann (BGH
NStZ-RR 2004, 137: Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 11 Monaten und 1 Woche).
Eine Abweichung von § 39 StGB kann auch bei Berücksichtigung eines Härteaus9 Der Ausspruch über jede Einzelstrafe ist eine selbständige, der Rechtskraft fähige richterliche
Entscheidung. Die Einzelstrafen sind nicht bloße Rechnungsgrößen der Gesamtstrafe, sie gehen
nicht unerkennbar in ihr auf, sondern behalten ihre Eigenständigkeit. Volle eigene Bedeutung gewinnen sie zurück, wenn sie wiederaufleben bei Teilaufhebung im Rechtsmittelweg, im Wiederaufnahmeverfahren oder auch bloß bei Auflösung der Gesamtstrafe zur Bildung einer neuen Gesamtstrafe. Deshalb muss auch die Strafmilderung nach § 21 StGB bei der Bestimmung der
Einzelstrafen berücksichtigt werden; sie darf nicht erst und ausschließlich bei der Bildung der Gesamtstrafe in Betracht gezogen werden. Auch die Strafzumessungsgründe müssen sich, soweit nicht
eine Zusammenfassung möglich ist, auf die einzelnen Taten beziehen. Vgl. auch unten Rn. 453.
10 Dieser Grundsatz gilt für das Rechtsmittelverfahren nur bedingt, vgl. unten Rn. 173 sowie Meyer-Goßner/Cierniak, Anm. zu OLG Zweibrücken NStZ 2000, 611.
25
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
gleichs in Betracht kommen (BGHR StGB § 55 Abs. 1 S. 1 Härteausgleich 13;
Rn. 459).
83 Hatte das frühere Urteil bereits eine Gesamtstrafe ausgesprochen, so ist diese aufzulösen und es ist aus den ihr zugrundeliegenden und den jetzt bestimmten Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden. Die früheren Einzelstrafen bleiben bestehen,
nur die aufgelöste Gesamtstrafe entfällt; die Ausdrücke »in Wegfall kommen« oder
»wegfallen« sollten vermieden werden (BGH 12, 99):
Der Angeklagte wird wegen schweren Raubs und wegen Strafvereitelung unter Einbeziehung der
durch Urteil des LG Augsburg vom … – Az. … – verhängten Strafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Kann nur mit einem Teil der neu abgeurteilten Taten und der früheren Strafen eine
Gesamtstrafe gebildet werden, weil etwa eine der jetzt abgeurteilten Taten erst nach
Erlass des letzten tatrichterlichen Urteils in dem früheren Verfahren begangen wurde
(§ 55 Abs. 1 S. 2 StGB), so ist die Urteilsformel so zu fassen, dass sie erkennen lässt,
welchen Taten die jeweilige Gesamtstrafe zuzuordnen ist (BGH NStZ-RR [C/Z]
2010, 103):
Der Angeklagte wird wegen Raubs unter Einbeziehung der durch Urteil des LG Traunstein vom … –
Az. … – verhängten Strafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und wegen Begünstigung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.
Bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist stets zu beachten, dass die neue Gesamtstrafe einerseits nicht niedriger sein darf als die frühere (BGH 7, 183; sie braucht
aber auch nicht höher zu sein, BGH NJW 1973, 63), andererseits die Summe der früheren Gesamtstrafe und einer neuen Einzelstrafe nicht überschreiten darf (BGH 15, 166).
83a Zwar hat das erkennende Gericht grundsätzlich § 55 Abs. 1 StGB anzuwenden, wenn
die Voraussetzungen vorliegen. Es ist aber nicht zulässig, Einzelstrafen – auch für
sich genommen rechtskräftige –, die schon zur Bildung einer Gesamtstrafe in einem
nicht rechtskräftigen anderen Urteil gedient haben, in eine Gesamtstrafe einzubeziehen, da dies die Gefahr einer verbotenen Doppelbestrafung begründen würde
(BGH 50, 188).
83b Nach Aufhebung und Zurückverweisung einer Sache hat die Gesamtstrafenbildung
in der erneuten Verhandlung gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 StGB nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung zu erfolgen, damit
einem Revisionsführer ein erlangter Rechtsvorteil durch nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht durch sein Rechtsmittel genommen wird. Zwischen der ersten und der
neuen Verhandlung vollständig vollstreckte Strafen sind daher bei der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen (BGHR StGB § 55 Einbeziehung 9; StraFo 2013, 474).
84 Ob der Angeklagte einen Teil der Strafe des früheren Urteils schon verbüßt und wieviel Strafe er noch zu verbüßen hat, wird im Urteil nicht ausgesprochen; dies kann
der Vollstreckungsbehörde bzw. der nach § 458 Abs. 1 StPO zu treffenden gerichtlichen Entscheidung überlassen werden.11 Wird jedoch eine Freiheitsstrafe aus einem
11 Anders, wenn im früheren Urteil nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (vom
17.1.2008 – NJW 2008, 860) ein Teil der früher verhängten Gesamtfreiheitsstrafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt worden ist, vgl. dazu Rn. 460a.
26
II. Verurteilung
früheren Urteil, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, in die
Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen und entfällt damit die ursprünglich gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, so ist im Urteilstenor gemäß §§ 58 Abs. 2 S. 2, 56 f Abs. 3
S. 2 StGB über die die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung von Leistungen
zu entscheiden, die der Angeklagte zur Erfüllung von Auflagen aus dem Bewährungsbeschluss erbracht hat (BGH NStZ-RR 2009, 201; dies gilt jedoch nicht bei einer gemäß § 31 Abs. 2 JGG nachträglich gebildeten Einheitsjugendstrafe, BGH 49, 90):
Als Ausgleich für die Leistungen, die der Angeklagte zur Erfüllung der Auflage aus dem Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Limburg vom 19. November 2007 erbracht hat, wird pro angefangenem
Betrag von 25 EUR ein Tag Freiheitsstrafe auf die hier verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet.
Bei der Bemessung der neu zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe findet die Erfüllung
von Auflagen folgerichtig keine (erneute) Berücksichtigung.
Wird eine früher erkannte Geldstrafe gem. § 53 Abs. 2 S. 2 StGB nicht in eine Frei- 85
heitsstrafe einbezogen, so ist eine Gesamtstrafenbildung nicht erfolgt; die – nicht einbezogene – Geldstrafe ist dann selbstverständlich nicht in den Urteilstenor aufzunehmen (Meyer-Goßner § 460 StPO Rn. 9).
War in der früheren Entscheidung auf eine Nebenstrafe, Nebenfolge oder Maß- 86
nahme erkannt, so ist diese in der Formel ausdrücklich aufrechtzuerhalten, es sei
denn, sie ist durch die neue Entscheidung gegenstandslos (§ 55 Abs. 2 StGB); dies ist
bei mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis (dazu unten Rn. 86b) praktisch besonders bedeutsam sowie dann, wenn sich die angeordnete Sperrfrist durch Zeitablauf
erledigt hat. In diesem Fall kann sie neben der Gesamtstrafe nicht mehr aufrechterhalten werden (BGH 42, 308).
Sind zwei Gesamtfreiheitsstrafen zu bilden, muss das Gericht u.U. bei der zweiten 86a
Gesamtfreiheitsstrafe die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anordnen, obwohl es dieselbe Maßregel bei der ersten Gesamtfreiheitsstrafe aufrechterhalten hat. Denn die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist bei Vorliegen der Voraussetzungen grundsätzlich auch dann zwingend, wenn
die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet worden ist, die in dem
späteren Verfahren abgeurteilten Taten aber zum Teil nach der früheren Verurteilung
begangen worden sind (BGH StraFo 2006, 292; NStZ-RR 2007, 38). Gemäß § 67f
StGB erledigt sich dann die durch die erste Gesamtfreiheitsstrafe aufrechterhaltende
Maßregel.
Der Aufrechterhaltung einer früher angeordneten Einziehung bedarf es nicht. Die- 86b
se ist nämlich erledigt, da das Eigentum an dem betreffenden Gegenstand mit der
Rechtskraft des ersten Urteils nach § 74e StGB auf den Staat übergegangen war
(BGH StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 8). Im Tenor des neuen Urteils kann lediglich klargestellt werden, dass das frühere Urteil insoweit erledigt ist (BGH 42, 299;
NStZ 2006, 173). Gleiches gilt hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und
der Einziehung des Führerscheins, die unmittelbar mit der Rechtskraft des ersten
Urteils wirksam werden. In diesen Fällen bedarf es lediglich der Aufrechterhaltung
der im früheren Urteil angeordneten Sperrfrist, sofern diese noch nicht abgelaufen ist
(BGH NStZ-RR 2010, 58).
Schwierigkeiten ergeben sich, wenn nachträglich eine Gesamtstrafe aus Geldstrafen 87
mit unterschiedlicher Höhe des Tagessatzes gebildet werden muss (die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten haben sich verbessert oder verschlechtert). Als
27
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
einzubeziehende Strafe waren beispielsweise 20 Tagessätze zu 30 EUR festgesetzt,
während nun 10 Tagessätze zu 40 (oder 10) EUR verhängt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die Einsatzstrafe – das ist die Einzelstrafe
mit der höchsten Tagessatzzahl – nicht nur in der Anzahl der Tagessätze, sondern
auch in dem Produkt aus Tagessatzzahl und Tagessatzhöhe überschritten werden und
außerdem muss die Gesamtstrafe das Produkt aus Zahl und Höhe jeder einbezogenen
Einzelstrafe überschreiten (BGH 27, 359; 28, 364).
Entsprechend einem weiteren vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsatz, dass
sich die Höhe des Tagessatzes der Gesamtstrafe von der nach § 40 Abs. 2 S. 1 StGB
festzusetzenden Tagessatzhöhe nur so weit entfernen darf, wie es im Hinblick auf
§ 54 Abs. 2 S. 1 StGB geboten ist, ist daher wie folgt zu verfahren:
88 Falls sich die Einkommensverhältnisse des Angeklagten verschlechtert haben, ist die
Höhe des Tagessatzes nach der rechnerisch niedrigsten Möglichkeit zu bestimmen,
die das Produkt der höchsten Einzelstrafe übersteigt. Bei Verbesserung der Einkommensverhältnisse ist die Höhe des Tagessatzes so festzusetzen, dass sie den z.Z.
der Gesamtstrafenbildung geltenden Einkommensverhältnissen am nächsten kommt,
die Summe der Produkte der Einzelstrafen jedoch noch nicht erreicht.
89 Im Beispielsfall bedeutet das: Die Zahl der Tagessätze der Gesamtstrafe kann nach
§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StGB auf mindestens 21 und höchstens 29 festgesetzt werden.
Haben sich die Einkommensverhältnisse verschlechtert (einzubeziehende Strafe 20
Tagessätze zu 30 EUR, neue Strafe 10 Tagessätze zu 10 EUR), so ist bei Bildung einer
Gesamtgeldstrafe von 21 Tagessätzen die Höhe des Tagessatzes auf 29 EUR festzusetzen (21 x 29 = 609 EUR; 21 x 28 = 588 EUR wäre zu wenig, da die einzubeziehende Strafe bereits 20 x 30 = 600 EUR beträgt). Wird die Zahl der Tagessätze der Gesamtgeldstrafe auf 25 festgesetzt, so muss der Tagessatz mit 25 EUR angesetzt
werden (25 x 25 = 625 EUR; 25 x 24 = 600 EUR wäre zu wenig, da damit das Produkt der einzubeziehenden Strafe – 20 x 30 = 600 EUR – nicht überschritten würde).
90 Haben sich die Einkommensverhältnisse verbessert (einzubeziehende Strafe 20 Tagessätze zu 30 EUR, neue Strafe 10 Tagessätze zu 40 EUR), so kann der Tagessatz bei
einer Gesamtgeldstrafe von 21 Tagessätzen entsprechend den Verhältnissen z.Z. der
Gesamtstrafenbildung auf 40 EUR festgesetzt werden, denn die Summe der Produkte
der Einzelstrafen ist damit noch nicht erreicht (20 x 30 + 10 × 40 = 1.000; 21 x 40 =
840). Wird die Gesamtgeldstrafe mit 25 Tagessätzen bemessen, beträgt die Höhe eines
Tagessatzes 39 EUR (25 x 39 = 975 EUR; 25 x 40 wäre zu viel, da die Summe von
1.000 EUR nicht erreicht werden darf).
91 Bei einer aus mehr als zwei Einzelstrafen nachträglich zu bildenden Gesamtstrafe ist
entsprechend zu verfahren. Sind Einzelstrafen von 30 Tagessätzen zu 40 EUR und
20 EUR Tagessätzen zu 30 EUR einzubeziehen und wird jetzt – wegen Verschlechterung der Einkommensverhältnisse – eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu nur
10 EUR verhängt, so darf sich das Gericht bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe der
Gesamtstrafe nur so weit von den jetzigen Einkommensverhältnissen entfernen, wie
es nötig ist, um das Produkt aus der höchsten Einzelstrafe (30 x 40 = 1.200 EUR) zu
überschreiten. Bei einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen muss der Tagessatz
daher auf 25 EUR festgesetzt werden (50 x 25 = 1.250 EUR; 50 x 24 = 1.200 EUR
wäre zu wenig). Bei Verbesserung der Einkommensverhältnisse (neue Strafe
10 Tagessätze zu 50 EUR) darf die Summe der Produkte der Einzelstrafen
28
II. Verurteilung
(30 x 40 + 20 x 30 + 10 x 50 = 2.300 EUR) nicht erreicht werden, der Tagessatz muss
aber den jetzigen Einkommensverhältnissen entsprechend nahe an 50 EUR herankommen. Der Tagessatz ist bei einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen daher auf
45 EUR zu bemessen (50 x 45 = 2.250 EUR; 50 x 46 = 2.300 EUR wäre zu hoch).
Hatte der Angeklagte in diesem Fall auf die einzubeziehenden Strafen bereits Zah- 92
lungen geleistet, so sind diese anzurechnen. Das hat aber nur die Vollstreckungsbehörde, nicht der Richter bei seiner Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen. Der
Richter muss nur prüfen, ob die einzubeziehenden Strafen noch nicht voll bezahlt
sind, weil sonst eine Gesamtstrafenbildung gem. § 55 Abs. 1 S. 1 StGB unzulässig
wäre. Für den Ausspruch im Urteil ist es unerheblich, ob und wieviel der Angeklagte
auf die einzubeziehenden Strafen bereits geleistet hat.12
b) Nebenstrafen und Nebenfolgen
Neben der Hauptstrafe hat die Urteilsformel die ausgesprochenen Nebenstrafen und 93
Nebenfolgen zu erwähnen. Als Nebenstrafe kennt das StGB nur das Fahrverbot
(§ 44). Hier lautet die Formel:
Dem Angeklagten wird für die Dauer von zwei Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge
jeder Art. zu führen.
Im Anschluss an die Urteilsverkündung ist der Angeklagte über den Beginn der Verbotsfrist zu belehren (§ 268c StPO mit § 44 Abs. 2 und 3 StGB).
Bei der Verhängung eines Fahrverbotes wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit 94
durch Urteil ist, sofern die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2a StVG vorliegen, ergänzend zu tenorieren (BGH NJW 2000, 2685; BayObLG DAR 1998, 361):
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils.
Als Nebenfolge kommt der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden 95
und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen sowie des Rechts, in öffentlichen
Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen (§ 45 StGB), in Betracht. Dies ist im
Tenor mit den Worten des Gesetzes, nicht mit beliebigen ähnlichen Ausdrücken, wie
Entziehung des bürgerlichen Wahlrechtes, auszusprechen.
Hierher gehört auch die Bekanntmachungsbefugnis nach §§ 165, 200 StGB. Diese 96
ist nur auf Antrag des Verletzten anzuordnen (§ 165 Abs. 1, § 200 Abs. 1 StGB). Die
Art, in der die öffentliche Bekanntmachung geschehen soll, darf nicht dem Ermessen
des Verletzten überlassen werden, sondern ist vom Gericht festzulegen (§ 200 Abs. 2
S. 1 StGB). Für eine durch Veröffentlichung in einer Zeitung oder Zeitschrift oder im
Rundfunk begangene Beleidigung oder falsche Verdächtigung enthält § 200 Abs. 2
S. 2 StGB besondere Vorschriften über die anzuordnende Bekanntmachung. In der
Urteilsformel muss der Name des Verletzten enthalten sein (Nr. 231 RiStBV); aus ihr
muss ferner erkennbar sein, in welchen Teilen die Urteilsformel und ob auch die Ur-
12 Es ist umstritten, in welcher Weise die Anrechnung zu erfolgen hat: BGH 28, 365 rechnet nach
der z.Z. der Einzahlung geltenden Tagessatzhöhe; das führt aber zu merkwürdigen Ergebnissen.
Richtig erscheint es, auf den Nennbetrag der Zahlungen abzustellen (LG Konstanz MDR 1991,
171 mit zust. Anm. Tulatz = Rpfleger 1990, 220 mit zust. Anm. Hamann; Meyer-Goßner NStZ
1991, 434; KK/Appl § 460 StPO Rn. 30a).
29
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
teilsgründe (ganz oder teilweise) zu veröffentlichen sind (KK/Appl § 463 d StPO
Rn. 4). Wenn der Angeklagte gleichzeitig wegen Vergehen, deretwegen auf Veröffentlichungsbefugnis zu erkennen ist, und wegen anderer Vergehen schuldig gesprochen
wird, so wird mit der üblichen Fassung auf eine Gesamtstrafe erkannt, und es ist zulässig, den entscheidenden Teil des Urteils in dieser Form zu veröffentlichen. Will das Gericht die Veröffentlichung etwa auf die Beleidigung beschränken, so ist zu formulieren:
Der Angeklagte ist der Beleidigung, der Bedrohung und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig
und wird deshalb zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 EUR und zu den Kosten des
Verfahrens verurteilt. Dem Verletzten NN. wird die Befugnis zugesprochen, die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung einmal auf dessen Kosten im Weilburger Tageblatt bekanntzumachen.
Will das Gericht nur die Formel veröffentlichen lassen, so wird die Veröffentlichungsbefugnis »auf den erkennenden (verfügenden) Teil des Urteils« beschränkt.
Die Anordnung der Bekanntmachung wird nur vollzogen, wenn der Berechtigte es
innerhalb eines Monats nach Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung verlangt
(§ 463c Abs. 2 StPO; vgl. auch § 59 StrafvollstreckungsO).
97 Weiter müssen aus der Urteilsformel die den Nebenstrafen verwandten Aussprüche
verfügender Art. hervorgehen. Hierzu rechnen Verfall und erweiterter Verfall (§ 73
und 73d StGB), die Einziehung von Gegenständen nach §§ 74, 74d, 150 Abs. 2, 295
StGB, der Verfall oder die Einziehung des Wertersatzes (§§ 73a, 74c StGB: Angabe
des Betrages des Wertersatzes). Stets ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
zu beachten. So kann z.B. gem. § 74b Abs. 2 StPO die Einziehung eines Computers
für den Fall vorbehalten werden, dass der Angeklagte der Anweisung, bestimmte Dateien unbrauchbar zu machen und dieses nachzuweisen, nicht nachkommt (BGH
NStZ 2012, 319). Bei Anordnung von Verfall ist z.B. zu formulieren:
Gegen die Angeklagten A und B als Gesamtschuldner wird der Verfall von 5.000 EUR angeordnet.
Ist eine Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO veranlasst (vgl. unten Rn 526) lautet
der Tenor:
Es wird festgestellt, dass wegen eines Geldbetrages in Höhe von … , den der Angeklagte aus den
Taten erlangt hat, nur deshalb von der Anordnung von Wertersatzverfall abgesehen wird, weil Ansprüche von Verletzten entgegenstehen.
Die Anordnung nur in den Gründen ist wirkungslos. Es genügt auch nicht, wenn die
Urteilsformel z.B. die Gegenstände der Einziehung im Allgemeinen bezeichnet,
selbst wenn die Urteilsgründe erkennen lassen, welche Gegenstände eingezogen werden sollen. Die einzuziehenden Gegenstände müssen in der Urteilsformel so genau
bezeichnet werden, dass es bei der späteren Vollstreckung des Urteils keinen Zweifel
geben kann. Dies ist besonders wichtig bei der Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel. Es genügt z.B. nicht, die Einziehung »der unter Nr. 337/99 asservierten
Gegenstände« oder »des sichergestellten Heroins« anzuordnen, vielmehr müssen hier
Art. und Menge des einzuziehenden Rauschgifts angegeben werden (Franke/Wienroeder § 33 BtMG Rn. 6):
Die sichergestellten 835,3 g Heroin, bestehend aus Heroinhydrochlorid zu 47% und Mehl, werden
eingezogen.
Zur Ergänzung oder Erläuterung der Urteilsformel darf auf die Urteilsgründe zurückgegriffen werden. Ist allerdings das beschlagnahmte und einzuziehende Material
30
II. Verurteilung
besonders umfangreich, so genügt es, wenn die einzuziehenden Gegenstände in der
Urteilsformel oder in einer besonderen Anlage dazu mit einer Sammelbezeichnung
erfasst sind und wenn die Gründe erkennen lassen, dass es sich ausschließlich um
solche Gegenstände handelt (BGH 9, 89). Die Bezugnahme auf die Anklageschrift
reicht nicht aus (BGH bei Pfeiffer NStZ 1981, 295). Es ist darauf zu achten, dass sichergestelltes Rauschgift, das nicht Gegenstand der von der Anklage umfassten und
vom Gericht festgestellten Tat geworden ist, nicht eingezogen werden kann (BGH
NStZ 2002, 438).
Sieht das Gesetz eine Entschädigung für den unbeteiligten Eigentümer vor (§ 74f 97a
StGB), so wird die Gewährung der Entschädigung in der Urteilsformel nicht erwähnt, weil der Anspruch des Dritten auf Entschädigung diesem kraft Gesetzes zusteht (§ 74f Abs. 1 StGB); wird die Entschädigung aufgrund des § 74f Abs. 2 StGB
abgelehnt, so spricht das Gericht in der Urteilsformel aus, dass dem Einziehungsbeteiligten eine Entschädigung nicht zusteht (§ 436 Abs. 3 StPO), und rechtfertigt seine
Entscheidung in den Gründen. Hält das Gericht eine Entschädigung für geboten,
weil es eine unbillige Härte wäre, sie zu versagen (§ 74f Abs. 3 StGB), so spricht es
die Entschädigung, auch der Höhe nach, in der Urteilsformel zu; auch diese Entscheidung ist zu begründen.
Wird der Angeklagte zu Strafe verurteilt, gibt das Gericht aber einem Antrag der 98
Staatsanwaltschaft auf Anordnung von Nebenstrafen oder Nebenfolgen nicht statt,
so hat die Formel nicht die Ablehnung des Antrags auszusprechen, sondern ihn mit
Stillschweigen zu übergehen. Das Urteil entscheidet über die Tat des Angeklagten
(§ 264 StPO), nicht über die Anträge; die Ablehnung solcher Anträge ist in den
Gründen zu behandeln.
4. Anrechnung der Untersuchungshaft
Die Untersuchungshaft wird von Gesetzes wegen auf zeitige Freiheitsstrafe und 99
auf Geldstrafe angerechnet (§ 51 Abs. 1 S. 1 StGB).13 Das bedeutet, dass es insoweit
einer ausdrücklichen richterlichen Anordnung im Urteil nicht bedarf (BGH 24, 30);
vielmehr rechnet die Strafvollstreckungsbehörde von sich aus die gesamte bis zur
Rechtskraft des Urteils verbüßte Untersuchungshaft auf die erkannte Strafe an (vgl.
hierzu auch § 450 StPO). Ebenso wenig ist – wenn ein Gericht mehrere Gesamtfreiheitsstrafen verhängt – im Urteil eine Bestimmung darüber zu treffen, auf welche
Gesamtfreiheitsstrafe die erlittene Untersuchungshaft anzurechnen ist (BGHR StPO
§ 260 Urteilsspruch 3). Ein Ausspruch über die Anrechnung der Untersuchungshaft
gehört selbst dann nicht in die Formel, wenn das Gericht der Ansicht ist, die Strafe
sei durch die erlittene Untersuchungshaft voll verbüßt. Sätze der Art, »die Strafe ist
durch die erlittene Untersuchungshaft erledigt«, haben im Tenor nichts zu suchen;
denn die Strafzeitberechnung obliegt der Strafvollstreckungsbehörde. Eine solche
Feststellung hätte nur deklaratorischen Charakter und würde die Vollstreckungsbehörde bei fehlerhafter Berechnung nicht binden (BGH 27, 288; NStZ 1994, 335).
Auch wenn lediglich ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird, ergibt sich dies aus
13 Das Gleiche gilt nach § 51 Abs. 1 S. 1 StGB für jede Freiheitsentziehung, die der Angeklagte im
Interesse der Strafverfolgung erlitten hat (z.B. die Polizeihaft auf Grund der vorläufigen Festnahme, die Auslieferungshaft, die einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO, die Unterbringung zur Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 81 StPO, vgl. BGH 4, 325);
zur Anrechnung sog. »verfahrensfremder« Untersuchungshaft vgl. Rn. 521.
31
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
der Formel nicht. Wird der Angeklagte z.B. zur Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, von denen 5 Monate durch die erlittene Untersuchungshaft verbüßt sind und
wird der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, heißt es nur:
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Wenn die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft die erkannte Strafe übersteigt, scheidet eine Strafaussetzung schon begrifflich aus (BGH NJW 2002, 1356).
100 Einer richterlichen Entscheidung und damit eines Ausspruchs in der Formel bedarf
es nur, wenn die Anrechnung ganz oder teilweise unterbleiben soll, weil sie im
Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist
(§ 51 Abs. 1 S. 2 StGB):
Der Angeklagte wird wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe unterbleibt (oder: Auf die Freiheitsstrafe werden
nur 3 Monate der Untersuchungshaft angerechnet).
Hierzu ist in den Gründen auszuführen, weshalb die Anrechnung der Untersuchungshaft – ganz oder teilweise – unterblieben ist. Darüber hinaus muss nur ausnahmsweise, falls Zweifel über die Art der Anrechnung bestehen, wenn z.B. Freiheits- und Geldstrafe nebeneinander verhängt werden, in der Formel darüber
entschieden werden, auf welche der beiden Strafen oder in welcher Verteilung die
Untersuchungshaft anzurechnen ist (BGH 24, 30).
101 Auch ausländische Freiheitsentziehung wird gem. § 51 Abs. 3 StGB kraft Gesetzes
auf die Strafe angerechnet, so dass es eines Ausspruchs darüber in der Formel nicht
bedarf. Jedoch ist im Tenor gem. § 51 Abs. 4 S. 2 StGB der Maßstab (z.B. 1:1 oder
1:2) festzusetzen, nach dem die Freiheitsentziehung anzurechnen ist (BGH NStZ
1997, 385). Das gilt auch bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe; hier
ist im Tenor auszusprechen, in welchem Verhältnis die im Ausland erlittene Freiheitsentziehung auf die durch § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB festgesetzte Mindestverbüßungszeit anzurechnen ist (BGH NJW 2004, 3789).
Wegen Anrechnung der Untersuchungshaft in Jugendsachen auf Jugendarrest und
Jugendstrafe vgl. unten Rn. 742.
Soweit in der Urteilsformel nichts Gegenteiliges bestimmt ist, wird ebenfalls kraft
Gesetzes eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis oder eine Beschlagnahme
oder Sicherstellung des Führerscheins auf ein Fahrverbot angerechnet (§ 51 Abs. 5
StGB).
102 Nicht in die Formel gehört die Entscheidung des Gerichts über die Fortdauer der
Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung oder die Aufhebung des
Haftbefehls. Diese Entscheidungen werden in einem vom Urteil getrennten, dem
Protokoll beizufügenden Beschluss getroffen, der zugleich mit dem Urteil zu verkünden ist (§ 268b StPO). Das Gericht hat über die Fortdauer der Untersuchungshaft
oder einstweiligen Unterbringung von Amts wegen zu entscheiden. Der Beschluss
wird zweckmäßigerweise im Anschluss an die mündliche Urteilsbegründung verkündet.
32
II. Verurteilung
5. Anrechnung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung
War ein Strafverfahren von den Strafverfolgungsbehörden in rechtsstaatlich nicht 102a
hinnehmbarer Weise verzögert worden, waren nach bisheriger Rechtsprechung die
dadurch für den Angeklagten verursachten besonderen Belastungen durch eine bezifferte Herabsetzung der ohne diese Verzögerung angemessenen Strafe auszugleichen
(Strafzumessungslösung, vgl. Rn. 490a). Nach der Entscheidung des Großen Senats
für Strafsachen vom 17.1.2008 (NJW 2008, 860) ist nunmehr die an sich schuldangemessene Strafe im Urteil festzusetzen und gleichzeitig auszusprechen, dass ein angemessener Teil hiervon zum Ausgleich für die Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt gilt, sog. Vollstreckungslösung (Rn. 460 a, 490):
Der Angeklagte wird wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Von
der verhängten Freiheitsstrafe gelten sechs Monate als vollstreckt.
Bei nur geringem Umfang der Verzögerungen kann zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen genügen. Es heißt dann:
Es wird festgestellt, dass das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist.
Diese Vollstreckungslösung findet auch bei der Verhängung von Jugendstrafe Anwendung (BGH NStZ 2012, 152). Nach einer Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH
NJW 2008, 307) sind auch Verstöße gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener
Konsularrechtsübereinkommens (Belehrung über den Anspruch auf Benachrichtigung der konsularischen Vertretung) derart zu kompensieren, dass ein bestimmter
Teil der verhängten Freiheitsstrafe als verbüßt anzurechnen ist (dagegen der 3. Strafsenat NJW 2008, 1090).
6. Maßregeln der Besserung und Sicherung
Die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) – nicht 103
hingegen die Ablehnung eines Antrags auf Anordnung von Maßregeln (das gehört
in die Gründe, vgl. § 267 Abs. 6 StPO) – ist in der Urteilsformel auszusprechen.
Dabei sind die Worte des Gesetzes (§§ 63 ff. StGB) zu verwenden (die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt wird angeordnet; die Sicherungsverwahrung wird angeordnet; dem
Angeklagten wird die Ausübung des ... berufs untersagt). Der Ausspruch schließt
sich am besten an den Strafausspruch an. Die Auswahl der einzelnen Anstalt ist
Sache der Vollstreckungsbehörde. Die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt kann gem. § 67b StGB zur Bewährung
ausgesetzt werden.
Es ist unzulässig, bei der Aburteilung der Straftat die Entscheidung über die Anord- 103a
nung einer Maßregel vorzubehalten; eine Ausnahme gilt gem. § 66a StGB für den
Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.
Der Tenor lautet dann:
Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten.
Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheidet das Gericht des ersten
Rechtszuges dann gemäß § 66a Abs. 3 StGB endgültig spätestens bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe, möglichst sechs Monate zuvor (§ 275a Abs. 5
33
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
StPO) und zwar durch Urteil (§ 275a StPO); dieses lautet auf Anordnung der Sicherungsverwahrung oder auf Absehen von dieser Anordnung.
104 Im Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO ist ebenfalls nur die Unterbringung
auszusprechen; der Grund der Unterbringung und die Anlasstat (»wegen eines im
Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Totschlags«) gehören nicht in die Formel
(BGH bei Holtz MDR 1985, 449). Wird dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht
stattgegeben, so ist die Ablehnung des Antrags auf Unterbringung in der Urteilsformel auszusprechen (§ 414 Abs. 2 S. 4 StPO):
Der Antrag der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, wird abgelehnt.
Ist aber gegen einen Schuldunfähigen ein Strafverfahren eingeleitet worden und gibt
das Gericht einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus keine Folge, so ist der Angeklagte freizusprechen und die Ablehnung des Antrags in den Gründen zu erörtern.
104a Sofern die Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorliegen, ist eine solche (erneut) anzuordnen, auch wenn sich der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits aufgrund eines früheren Urteils im
Vollzug dieser Maßregel befindet (BGH 50, 199; zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. BGH StraFo 2013, 250).
105 Soll die Strafe ganz oder teilweise vor der Maßregel vollzogen werden, was nach
§ 67 Abs. 2 S. 2 StGB bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren nunmehr die Regel ist, so ist
dies in der Formel anzuordnen. Nach Satz 3 ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen,
dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung gemäß § 67
Abs. 5 S. 1 StGB eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Erledigung der
Hälfte der Strafe möglich ist. Etwaig verbüßte Untersuchungshaft bleibt dabei unberücksichtigt. Die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor
der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat allerdings zu unterbleiben, wenn
sich der mögliche Vorwegvollzug durch die vom Angeklagten erlittene Untersuchungshaft bereits erledigt hat (BGH NStZ 2008, 213). Auch bei der Anordnung
mehrerer freiheitsentziehender Maßregeln nebeneinander gehört die Bestimmung der
Reihenfolge der Vollstreckung nach § 72 Abs. 3 S. 1 StGB in den Tenor.
106 Die Einschränkung, dass Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe
nicht in Betracht kam, wenn ausschließlich auf diese Strafe erkannt war, ist durch das
Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.8.2002 entfallen. Gleichwohl scheidet die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe aus praktischen Erwägungen in der Regel aus (BGHR StGB
§ 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; dagegen BGH NJW 2013, 3735).
106a Der aufgrund von Entscheidungen des EGMR und des BVerfG mehrfach geänderte
§ 66b StGB ermöglicht nur noch nach sog. Fehleinweisungen in ein psychiatrisches
Krankenhaus die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (vgl. Rn. 752c). Mit Urteil (nicht etwa durch Beschluss, vgl. BGH
NJW 2006, 852), dem ein besonderes Verfahren nach § 275a StPO vorausgegangen
ist, ordnet das Gericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung entweder an oder
lehnt den entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft ab.
34
II. Verurteilung
Die Anordnung von Führungsaufsicht nach § 68 Abs. 1 StGB erfolgt in der Urteils- 107
formel. Weisungen nach § 68b StGB oder die Bestimmung der Dauer der Führungsaufsicht nach § 68c Abs. 1 S. 2 StGB werden in einem mit dem Urteil zu verkündenden Beschluss festgelegt (§ 268a Abs. 1, 2 StPO).
Die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) wird in der Urteilsformel ausge- 108
sprochen. Die Fahrerlaubnis wird nicht für eine bestimmte Frist entzogen, sondern es
wird neben der Entziehung der Fahrerlaubnis eine erst ab Rechtskraft des Urteils
laufende Frist bestimmt, vor deren Ablauf die Verwaltungsbehörde eine neue Fahrerlaubnis nicht erteilen darf (Sperre); gleichzeitig ist in der Urteilsformel der von einer
deutschen Behörde erteilte Führerschein einzuziehen (§ 69 Abs. 3 S. 2 StGB). Die
Urteilsformel lautet:
Dem Angeklagten wird die Fahrerlaubnis entzogen. Sein Führerschein wird eingezogen. Vor Ablauf
von 9 Monaten darf ihm die Verwaltungsbehörde keine neue Fahrerlaubnis erteilen.
Ordnet das Gericht nur eine selbständige Sperre an (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB), so heißt
es in der Formel:
Die Verwaltungsbehörde darf dem Angeklagten vor Ablauf eines Jahres keine Fahrerlaubnis erteilen.
Bei der Festsetzung der Sperrfrist sind die Bestimmungen über die Mindestdauer 109
(§ 69a Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Abs. 4 S. 2 StGB) sorgfältig zu beachten. Bei Anordnung
der Sperre können bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen, nicht aber bestimmte
Kraftfahrzeuge, von der Sperre ausgenommen werden (§ 69a Abs. 2 StGB).
Die Ablehnung eines Antrages auf Entziehung der Fahrerlaubnis gehört nicht in die 110
Urteilsformel, darüber haben sich die Urteilsgründe auszusprechen (insbesondere,
wenn ein Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB vorliegt). Wird die Fahrerlaubnis nicht entzogen, so ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch besonderen Beschluss aufzuheben (§ 111a Abs. 2 StPO).
Zur Entziehung der Fahrerlaubnis bei ausländischen Fahrberechtigungen vgl. § 69b 111
StGB. Die Eintragung eines Vermerks nach § 69b Abs. 2 S. 2 StGB ist Sache der Vollstreckungsbehörde und daher nicht im Urteil durch den Richter anzuordnen (BayObLG NJW 1979, 1788).
Die Anordnung des Berufsverbots (§ 70 StGB) bedarf besonderer Sorgfalt. Die Ver- 112
hängung der Maßregel setzt immer voraus, dass der Täter den Beruf oder das Gewerbe, bei dem ihm Missbrauch oder grobe Pflichtverletzung vorgeworfen wird, bei Begehung der Straftat tatsächlich ausgeübt hat. Taten nur im Zusammenhang mit einer
beabsichtigten oder vorgetäuschten Berufs- oder Gewerbetätigkeit genügen nicht
(BGH wistra 2001, 105; 386). Nach § 260 Abs. 2 StPO ist der Beruf bzw. das Gewerbe oder der Gewerbezweig in der Urteilsformel genau zu bezeichnen. Nur dann
können bei einem Verstoß die strafrechtlichen Sanktionen des § 145c StGB verhängt
werden (OLG Karlsruhe NStZ 1995, 446 mit Anm. Stree). Soweit der Tätigkeitsbereich gesetzlich oder tatsächlich festgelegt ist und durch die Bezeichnung des Berufs
zweifelsfrei abgegrenzt wird, wie z.B. beim Arzt, Rechtsanwalt, Patentanwalt,
Schriftleiter, Friseur, macht der Ausspruch keine Schwierigkeiten. In den übrigen Fällen muss das Gericht in der Formel den Kreis der verbotenen Tätigkeit möglichst
eindeutig bestimmen, um alle Zweifel auszuschließen. Es wird daher z.B. auszusprechen haben, dass dem Verurteilten der Vertrieb von Arzneimitteln, die Herstellung
von Wurstwaren, die Ausübung des Buchhändlergewerbes, das Betreiben von Bank35
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
geschäften usw. untersagt werde (vgl. auch Rn. 602). Schließlich darf nicht übersehen
werden, dass die Dauer des Berufsverbots festzulegen ist (mindestens 1 Jahr und
höchstens 5 Jahre oder für immer), wobei zu beachten ist, dass die Zeit der Strafverbüßung nicht in die Verbotsfrist eingerechnet wird (§ 70 Abs. 4 S. 3 StGB). Hat die
Urteilsformel die Abgrenzung nicht bestimmt genug vorgenommen oder die Zeitdauer nicht festgelegt, so muss ein Beschluss des Gerichts nach § 458 StPO herbeigeführt werden.
7. Absehen von Strafe und Straffreierklärung
113 Wird der Angeklagte für schuldig befunden, im Urteilsspruch aber von Strafe abgesehen (wie z.B. in den Fällen der §§ 46a, 46b, 60, 157 Abs. 1, 2, 158 Abs. 1, 320 Abs. 2
StGB, §§ 29 Abs. 5, 31 BtMG), so ist in die Formel der Schuldspruch aufzunehmen
(BGH 4, 173), also etwa zu sagen:
Der Angeklagte ist der fahrlässigen Tötung schuldig. Von der Verhängung einer Strafe wird abgesehen.
Bei Absehen von Strafe nach § 60 StGB wird das Maß der an sich verwirkten Strafe in
der Formel nicht angegeben; auch in den Gründen ist lediglich zu erwähnen, dass
eine Strafe von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe nicht in Betracht gekommen wäre.
Wenn der Angeklagte auf Grund des § 199 StGB für straffrei erklärt wird, ist zu formulieren:
Der Angeklagte ist der Beleidigung schuldig. Er wird für straffrei erklärt.
8. Strafaussetzung zur Bewährung
114 Wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt (§§ 56 ff. StGB), so gehört dieser Ausspruch in die Urteilsformel, etwa mit den Worten, dass die Vollstreckung der Strafe
oder auch, dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Formel ist zu fassen:
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Die Aussetzung zur Bewährung kann nur gleichzeitig mit dem Urteil beschlossen
werden, und zwar nur hinsichtlich der erkannten Strafe (Gesamtstrafe) und nur in
deren voller Höhe; eine teilweise Aussetzung ist nicht zulässig (§ 56 Abs. 4 S. 1
StGB). Auch ein Strafrest kann nach § 56 Abs. 4 S. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt
werden, wenn auf den übrigen Teil die Untersuchungshaft angerechnet wird (BGH 6,
392); auch dann heißt es im Tenor nur, dass die Strafe (nicht etwa »der verbleibende
Strafrest«) zur Bewährung ausgesetzt wird. Wenn aber die Strafe durch Anrechnung
von Untersuchungshaft vollständig verbüßt ist, kommt eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr in Betracht (BGH NJW 2002, 1356). Eine nachträgliche Strafaussetzung (nach Beendigung der Urteilsverkündung oder gar nach Rechtskraft des
Urteils) ist nicht zulässig, es sei denn im Rechtsmittelweg, als bedingte Entlassung
gemäß § 57 StGB oder im Gnadenverfahren.
115 Die Einzelanordnungen über die Aussetzung, nämlich die Bestimmung der Bewährungszeit und der Auflagen (§§ 56a ff. StGB), gehören nicht in die Urteilsformel, sondern in einen besonderen Beschluss des erkennenden Gerichts, der zugleich mit dem
Urteil zu verkünden ist (§ 268a StPO). Die Verkündung dieses Beschlusses kann
nicht auf später aufgeschoben werden. Unterbleibt versehentlich der gemäß § 268a
36
II. Verurteilung
Abs. 1 StPO vorgesehene Erlass eines Bewährungsbeschlusses in der Hauptverhandlung, so kann nachträglich nur die gesetzlich vorgesehene Mindestdauer der Bewährung festgesetzt werden; die Auferlegung weiterer Weisungen oder Auflagen ist nicht
mehr zulässig (KK/Appl § 453 StPO Rn. 3 m.w.N.; str.); jedoch können Entscheidungen nach §§ 56a bis 56d StGB auch nachträglich getroffen, geändert und aufgehoben
werden (§ 56e StGB, der das Bestehen eines Bewährungsbeschlusses voraussetzt).
Der Beschluss wird – da nach § 305a StPO nur beschränkt anfechtbar – in der Praxis
nicht begründet; legt der Angeklagte gegen den Beschluss aber Beschwerde ein, so
muss der Richter eine begründete Entscheidung nach § 306 Abs. 2 StPO treffen,
wenn er der Beschwerde nicht abhilft und das Beschwerdevorbringen erhebliche Tatsachenbehauptungen enthält (BGH 34, 392). An die Verkündung des Beschlusses
schließt sich die Belehrung des Angeklagten an (§ 268a Abs. 3 StPO).
Die Reihenfolge der verkündeten Entscheidungen ist demnach:
116
1. Verkündung der Urteilsformel mit der Entscheidung über die Strafaussetzung zur
Bewährung durch Verlesen,
2. Verkündung der Urteilsgründe durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen
Inhalts,
3. Verkündung des Beschlusses über die Bewährungsanordnungen,
4. Belehrung des Angeklagten über seine Pflichten während der Bewährungszeit.
5. Belehrung des Angeklagten über die Rechtsmittel gegen das Urteil.
Lehnt das Gericht es ab, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, so wird dies nicht in
die Urteilsformel aufgenommen. Ist die Strafaussetzung zur Bewährung in der Urteilsformel nicht ausdrücklich erwähnt, so gilt sie als abgelehnt.
9. Verwarnung mit Strafvorbehalt
Ebenso wie die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist auch die 117
nach § 59 StGB angeordnete Verwarnung mit Strafvorbehalt in die Urteilsformel
aufzunehmen (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO). Auch hier werden die Nebenentscheidungen
(Dauer der Bewährungszeit, Erteilung von Auflagen nach § 59a StGB) in einem gesonderten, mit zu verkündenden Beschluss (§ 268a Abs. 1 StPO) getroffen. Der Tenor lautet daher:
Der Angeklagte ist der fahrlässigen Körperverletzung schuldig. Er wird deswegen verwarnt. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu 50 EUR bleibt vorbehalten.
Auf Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung kann neben der Verwarnung mit
Strafvorbehalt erkannt werden; werden Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet, so ist die Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht zulässig (§ 59 Abs. 2 StGB),
auch nicht neben einem Fahrverbot, das Verurteilung zu Strafe voraussetzt (OLG
Stuttgart MDR 1994, 932; BayObLG NStZ 1982, 258 mit Anm. Meyer-Goßner). § 59
StGB gestattet nicht, die Anordnung eines Fahrverbots vorzubehalten (BayObLG
NJW 1976, 301). Der Anordnung der Verwarnung mit Strafvorbehalt steht es nicht
entgegen, wenn der Täter zuvor anrechnungsfähige Untersuchungshaft erlitten hat.
Möglich ist es auch, eine bereits rechtskräftig verhängte Geldstrafe gemäß § 55 StGB
in eine Verwarnung mit Strafvorbehalt einzubeziehen (BGH 46, 279).
Die spätere Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 59b Abs. 1 StGB) erfolgt 118
ohne mündliche Verhandlung nach Anhörung des Verwarnten und der Staatsanwalt37
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
schaft durch Beschluss des erkennenden Gerichts 1. Instanz (§ 462a Abs. 2 StPO);
andernfalls wird festgestellt, dass es bei der Verwarnung sein Bewenden hat (§ 59b
Abs. 2 StGB).
10. Kosten
a) Allgemeines
119 Jede das gerichtliche Verfahren beendende Entscheidung (Urteil, Strafbefehl, Einstellungsbeschluss14) muss gleichzeitig bestimmen, von wem die Kosten des Verfahrens
zu tragen sind (§ 464 Abs. 1 StPO). Fehlt die Bestimmung, so ist die Ergänzung der
Entscheidung durch Beschluss zulässig, wenn sich die Bestimmung aus den Entscheidungsgründen eindeutig ergibt; ist das nicht der Fall, so ist eine Ergänzung unzulässig
und die Kosten fallen der Staatskasse zur Last (BGH NStZ-RR 1996, 352).
120 Desgleichen trifft das Gericht in dem das Verfahren abschließenden Urteil oder Beschluss die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt (§ 464 Abs. 2
StPO). Diese Vorschrift wird in der Praxis vielfach dahin missverstanden, dass jede
Entscheidung auch einen Ausspruch über die notwendigen Auslagen enthalten müsse. § 464 Abs. 2 will aber nur sagen, dass die Entscheidung über die notwendigen
Auslagen, falls eine solche zu treffen ist, im Urteil und nicht – wie früher – in einem
gesonderten Beschluss ergehen muss (Meyer-Goßner § 464 StPO Rn. 10). Die StPO
geht stillschweigend davon aus, dass jeder seine Auslagen (und natürlich alle, nicht
nur die notwendigen Auslagen) selbst trägt. Nur wenn ein Beteiligter rechtlich verpflichtet ist (z.B. nach §§ 465 Abs. 2 S. 3, 467 Abs. 1, 469, 470, 471, 472, 473 Abs. 2
bis 4 StPO, wobei es nicht darauf ankommt, ob auch tatsächlich Auslagen entstanden
sind), einem anderen seine Auslagen zu erstatten, kommt daher ein Ausspruch nach
§ 464 Abs. 2 StPO in Frage (BGH 36, 28). Dabei wird der Erstattungsanspruch
grundsätzlich auf die »notwendigen« Auslagen beschränkt. Zu den notwendigen
Auslagen gehören insbesondere die Entschädigung für eine notwendige Zeitversäumnis und die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts. Darüber, in welcher Höhe
die Auslagen als notwendig anzusehen sind, spricht sich die Kostenentscheidung
selbst nicht aus. Insofern ergeht nach Rechtskraft der Kostenentscheidung auf Antrag
des Erstattungsberechtigten ein besonderer Beschluss (§ 464b StPO); zuständig ist
nach § 21 Nr. 1 RPflG der Rechtspfleger des Gerichts des ersten Rechtszugs, nicht
das Gericht selbst.
121 Ein Ausspruch über die Erstattung notwendiger Auslagen des Angeklagten kommt
daher insbesondere bei völligem oder Teilfreispruch in Betracht, umgekehrt ist bei
Verurteilung des Angeklagten über die notwendigen Auslagen eines Nebenklägers zu
entscheiden. Unsinnig und missverständlich ist es jedoch, wenn – wie es in der Praxis
häufig geschieht – dem Angeklagten bei voller Verurteilung »die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen« auferlegt werden: Der Angeklagte hat im Fall
der Verurteilung nicht nur seine notwendigen, sondern sämtliche Auslagen zu tragen!
Letzteres wird aber nicht ausgesprochen, da die StPO einen solchen Ausspruch nicht
kennt, sondern – wie ausgeführt – stillschweigend das Tragen der eigenen Auslagen
voraussetzt.
14 Auch bei einer gerichtlichen Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO handelt es sich trotz des missverständlichen Wortlauts in Wahrheit um eine endgültige Einstellung, so dass eine Kostenentscheidung veranlasst ist (BGH NJW 1996, 2519).
38
II. Verurteilung
b) Verurteilung ohne Teilfreispruch
Wird der Angeklagte verurteilt, so hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 465 122
Abs. 1 S. 1 StPO). Der Verurteilung stehen das Absehen von Strafe, die Verwarnung
mit Strafvorbehalt oder auch nur die Anordnung einer Maßregel der Besserung und
Sicherung gleich (§ 465 Abs. 1 S. 1, 2 StPO). Lehnt das Gericht in einem auf Strafe
lautenden Urteil die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ab, so
hat dies keine Bedeutung für die Kostenentscheidung. Eine Verurteilung ist auch die
Anordnung von Zuchtmitteln bei Jugendlichen, z.B. die Verhängung von Jugendarrest (vgl. aber § 74 JGG, dazu unten Rn. 154).
Über Teilkosten, die einem Dritten wegen Verschuldens auferlegt sind, z.B. einem 123
Zeugen und Sachverständigen oder dem Verteidiger nach §§ 51, 70, 77, 145 StPO,
wird im Urteil nicht entschieden; dies bleibt im Urteil unerwähnt. Hingegen ist es im
Tenor auszusprechen, wenn dem verurteilten Angeklagten die von ihm verschuldeten
Auslagen eines Dolmetschers oder Übersetzers auferlegt werden (§ 464c StPO); andere durch deren Heranziehung entstandene Auslagen trägt die Staatskasse, ohne
dass es dazu eines Ausspruchs im Urteil bedarf (vgl. Art. 6 Abs. 3 Buchst. e MRK;
Nr. 9005 KVGKG).
Maßgebend für die Kostenpflicht ist die endgültige Entscheidung; verurteilt sie, so 124
hat der Angeklagte auch die Kosten eines Rechtszuges zu tragen, in dem er freigesprochen wurde.
Die Kostenentscheidung lautet daher:
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
verurteilt. Er hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Richtete sich das Verfahren gegen mehrere Angeklagte und werden diese sämtlich
verurteilt, so werden den Angeklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dass sie
für die Auslagen als Gesamtschuldner haften, wird im Urteil nicht erwähnt; es ergibt
sich aus § 466 S. 1 StPO.
Wird der Angeklagte zwar verurteilt, erfolgt die Verurteilung aber nach einer milde- 125
ren Vorschrift als im Eröffnungsbeschluss angenommen (etwa wegen Beleidigung
statt wegen Vergewaltigung) oder nur wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen (Eröffnungsbeschluss: Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung, Urteil:
nur Betrug) oder – was praktisch besonders bedeutsam ist – nur wegen einer Ordnungswidrigkeit statt einer Straftat (§ 24a StVG statt § 316 StGB), so spricht man von
einem fiktiven Teilfreispruch; ein (echter) Teilfreispruch ergeht hier nicht, da eine
Verurteilung wegen der angeklagten Tat – wenn auch mit anderer rechtlicher Würdigung – erfolgt (vgl. oben Rn. 60). Hier greift § 465 Abs. 2 StPO ein: Sind durch den
schwereren Vorwurf Mehrkosten entstanden, hatte etwa der Angeklagte das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit nie bestritten und sich nur dagegen gewehrt, dass er
fahruntüchtig gewesen sei, so können die besonderen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie im Sinne streng rechnerischer
Trennbarkeit genau feststellbar und ausscheidbar sind. Das Gericht kann sich in der
Formel auf den Ausspruch beschränken:
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Staatskasse werden jedoch die besonderen
Auslagen des Verfahrens und die besonderen notwendigen Auslagen des Angeklagten, die wegen
des Verdachts der … entstanden sind, auferlegt.
39
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Falls es einfach ist, die gesamten Kosten des Verfahrens und die Höhe der Mehrauslagen auszurechnen, kann das Gericht statt dessen im Urteil eine Quotelung der Auslagen vornehmen und damit – wie im Zivilprozess – eine Bruchteilsentscheidung treffen (§ 464d StPO; vgl. BGH StraFo 2005, 438):
Der Angeklagte trägt 1/4 der Kosten des Verfahrens; 3/4 der Kosten des Verfahrens und 3/4 der dem
Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Eine solche Bruchteilsentscheidung wird für das Gericht aber nur sehr selten möglich
sein; diese Art. der Entscheidung, die ohnehin nur bei einfacher Sachlage möglich ist,
ist wenig empfehlenswert und in der Praxis nicht üblich.
Auch sonst können Mehrkosten, die durch zugunsten des Angeklagten ausgegangene
Untersuchungen entstanden sind, der Staatskasse auferlegt werden, wenn es unbillig
wäre, den Angeklagten damit zu belasten (§ 465 Abs. 2 S. 1 StPO), etwa die durch
Entnahme einer Blutprobe (§ 81a Abs. 1 S. 2 StPO) entstandenen Auslagen.
c) Verurteilung mit Teilfreispruch oder Teileinstellung
126 Wird der Angeklagte teils verurteilt, teils freigesprochen oder das Verfahren teilweise eingestellt, so ist er nach § 465 in Verbindung mit § 467 StPO (die StPO enthält
hierüber keine eigene Vorschrift) von den besonderen Kosten und Auslagen freizustellen, die durch die mit Freisprechung bzw. Einstellung endenden Fälle entstanden
sind (BGH 25, 112; vgl. Rn. 657). Diese Kosten und Auslagen werden nicht im Urteil
ermittelt, sondern im Kostenansatzverfahren nach dem GKG und im Kostenfestsetzungsverfahren (vgl. § 464b StPO) festgestellt. Das Urteil hat sich auf den Ausspruch
zu beschränken:
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens, soweit er verurteilt ist; soweit er freigesprochen ist,
fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse (in
manchen Bundesländern heißt es statt Staatskasse Landeskasse) zur Last.
Es ist nicht richtig, hier – wie es teilweise in der Praxis entsprechend der früheren
Rechtslage noch geschieht – von den »ausscheidbaren« Kosten und notwendigen
Auslagen zu sprechen; denn auch hier kommt es nicht auf die streng rechnerische
»Ausscheidbarkeit« und Trennbarkeit an (BGH 25, 116). Alternativ zu der sog.
Differenzmethode ist gemäß § 464 d StPO bei einer Verurteilung mit Teilfreispruch
oder Teileinstellung auch eine Bruchteilsentscheidung möglich.
d) Straffreierklärung
127 Bei Straffreierklärung gem. § 199 StGB kann der Angeklagte sowohl im Amts- als
auch im Privatklageverfahren zur Tragung aller Kosten und Auslagen oder eines Teils
derselben verurteilt werden, muss es aber nicht, § 468 StPO.
e) Auslagen des Nebenklägers
128 Nach § 472 StPO ist über die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu entscheiden:
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu
tragen.
129 Die Erstattungspflicht besteht nur, wenn durch die Verurteilung eine Straftat geahndet wird, die den Nebenkläger betrifft; dies erfordert nicht, dass es zur Verurteilung
40
II. Verurteilung
gerade wegen des Nebenklagedelikts kommt (BGH 38, 93; NJW 2002, 1356); es genügt vielmehr, wenn die Verurteilung denselben geschichtlichen Vorgang im Sinne
des § 264 StPO betrifft, der der Nebenklage zugrunde liegt, und wenn die Tat sich
gegen den Nebenkläger als Träger eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts richtet
(BGH NStZ 2006, 572). Wird der Angeklagte von dem Vorwurf einer zum Nachteil
des Nebenklägers begangenen Straftat wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen, gegen ihn aber eine Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt, so hat er auch die
notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen; denn er gilt kostenrechtlich als
verurteilt (§ 465 Abs. 1 S. 1 StPO). Wird der Angeklagte wegen mehrerer nebenklagefähiger Straftaten i.S.d. § 264 StPO teils verurteilt, teils freigesprochen, kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Nebenklägers gemäß § 472 Abs. 1 S. 2 StPO nach
Billigkeitsgesichtspunkten verteilen.
Im Strafbefehlsverfahren ist der Anschluss als Nebenkläger erst zulässig, wenn 130
Termin zur Hauptverhandlung anberaumt oder der Erlass eines Strafbefehls abgelehnt worden ist (§ 396 Abs. 1 S. 3 StPO). Die Entscheidung über die notwendigen
Auslagen des Nebenklägers im Urteil folgt den gewöhnlichen Regeln. Nimmt der
Angeklagte allerdings seinen Einspruch gegen den Strafbefehl erst nach Terminsanberaumung zurück, so ist eine selbständige Entscheidung darüber zu treffen, von wem
die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen sind (LG Rottweil NStZ
1988, 523; LG Zweibrücken Rpfleger 1992, 128).
11. Entschädigungsentscheidung
Wenn es nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht, kann dem Ange- 131
klagten gem. § 4 StrEG auch bei Verurteilung eine volle oder teilweise Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen (zum Begriff: § 2 StrEG) gewährt
werden. Das ist einmal möglich, wenn das Gericht den Angeklagten zwar für schuldig befunden, jedoch von Strafe abgesehen hat (oben Rn. 113). Zum anderen kommt
eine Entschädigungsentscheidung in Betracht, wenn die im Urteil angeordneten
Rechtsfolgen geringer sind als die darauf gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen;
wenn also der Angeklagte z.B. zehn Monate in Untersuchungshaft war, aber nur zu
einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt wird oder ihm die Fahrerlaubnis
bereits sechs Monate vorläufig entzogen war, von einem endgültigen Entzug im Urteil jedoch abgesehen und lediglich ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt wird (vgl.
§ 51 Abs. 5 StGB).
Schließlich kann eine Entschädigung zugesprochen werden, wenn der Angeklagte im
Strafverfahren nur wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt wird.
Das Gericht hat von Amts wegen über die Frage der Entschädigung zu entscheiden. 132
Beurteilungsgrundlage ist nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung, sondern der
Sachverhalt, wie er sich im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme darstellte
(BGHR StrEG § 5 Abs. 2 S. 1 Fahrlässigkeit, grobe 6; OLG Düsseldorf NJW 1992,
326). Die Entscheidung muss in die Urteilsformel aufgenommen werden.15 Die Formel lautet beispielsweise:
15 Ist eine Entscheidung im Urteil ausnahmsweise nicht möglich, z.B. weil über die Entscheidungsgrundlagen nach §§ 3–6 StrEG zusätzliche Beweise erhoben werden müssen, oder ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung aus anderen Gründen unterblieben, kann sie nachträglich
durch Beschluss nachgeholt werden, § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG.
41
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Dem Angeklagten wird für die in dieser Sache seit dem 20.3.2013 erlittene Untersuchungshaft Entschädigung gewährt,
oder
Eine Entschädigung wird für die die erkannte Freiheitsstrafe übersteigende Dauer der Untersuchungshaft nicht gewährt,
oder
Der Angeklagte ist des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig. Er wird zu einer Geldstrafe
von 60 Tagessätzen zu 30 EUR verurteilt. Ihm wird für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Das Fahrverbot ist durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
erledigt. Für die die Dauer des Fahrverbots übersteigende Zeit der vorläufigen Entziehung wird eine
Entschädigung nicht gewährt. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Wird die Entschädigung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 StrEG versagt, so heißt es:
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Er trägt die
Kosten des Verfahrens. Die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafe unterbleibt. Die
Staatskasse ist nicht verpflichtet, den Angeklagten für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen.
Die Entscheidung enthält keinen Ausspruch über die Höhe der Entschädigung. Hierfür gibt es ein besonderes Verfahren (§§ 10 ff. StrEG).
III. Freispruch
1. Hauptsacheentscheidung
133 Bei freisprechenden Urteilen wird die Straftat, von der der Angeklagte freigesprochen wird, in der Urteilsformel nicht erwähnt; denn die Freisprechung bedeutet, dass
die Strafbarkeit des Angeklagten wegen der ihm zur Last gelegten Tat nicht nur aus
dem Gesichtspunkt der Anklage oder des Eröffnungsbeschlusses, sondern aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt auch immer verneint wird. Es heißt also nur: »Der
Angeklagte wird freigesprochen.« Es wird weder die Strafbestimmung der Anklage
noch eine andere, die vielleicht nach der rechtlichen Lage in Betracht käme, angeführt. Selbst der Ausspruch, dass »von der Anklage« freigesprochen wird, kann als
selbstverständlich unterbleiben. Auch Zusätze wie: der Angeklagte werde »mangels
Beweises«, »wegen erwiesener Unschuld«, »aus rechtlichen Gründen« freigesprochen, sind zu unterlassen; es gibt keine verschiedenartigen Freisprüche mehr. Lautet
das Urteil teils auf Verurteilung, teils auf Freisprechung, so wird nur gesagt, dass der
Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird.
Der Angeklagte wird wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 20 EUR verurteilt.
Im Übrigen wird er freigesprochen.
Wenn der Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt werden kann, ist er
freizusprechen, auch wenn zugleich eine Maßregel der Besserung und Sicherung verhängt wird:
Der Angeklagte wird freigesprochen. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
wird angeordnet.
42
III. Freispruch
2. Kosten
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wer- 134
den gem. § 467 Abs. 1 StPO der Staatskasse (oder Landeskasse, nicht Bundeskasse)
auferlegt, und zwar durch ausdrückliche Entscheidung (§ 464 Abs. 1, 2 StPO):
Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten trägt die Staatskasse (oder: fallen der Staatskasse zur Last).16
Nur solche Kosten, die der Angeklagte durch schuldhafte Versäumnis (nicht auch 135
durch sonstiges Verschulden, wie mutwillige Beweisanträge) verursacht hat, muss er
auch im Fall der Freisprechung tragen, und zwar müssen sie ihm im Urteil auferlegt
werden (§ 467 Abs. 2 StPO). Der Tenor lautet dann:
Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten trägt die Staatskasse. Der Angeklagte hat jedoch die Kosten zu tragen, die durch seine
schuldhafte Säumnis am … entstanden sind; insoweit werden seine notwendigen Auslagen nicht
erstattet.
Ebenfalls eine Muss-Vorschrift enthält § 467 Abs. 3 S. 1 StPO, wonach der Staatskas- 136
se die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht auferlegt werden dürfen, wenn
dieser die Erhebung der öffentlichen Klage durch eine Selbstanzeige, in der er die
Begehung der ihm zur Last gelegten Tat vorgetäuscht hatte, veranlasst hatte. Demgegenüber kann das Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er die Erhebung der öffentlichen Klage aus
anderen Gründen mitverschuldet hatte (vgl. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO). Hingegen
macht die nach § 469 StPO vorgeschriebene Belastung desjenigen, der eine unwahre
Anzeige vorsätzlich oder leichtfertig erstattet hat, mit den Kosten des Verfahrens und
den notwendigen Auslagen des Beschuldigten die Überbürdung der Kosten und
notwendigen Auslagen auf die Staatskasse nach § 467 Abs. 1 StPO nicht entbehrlich;
die Entscheidung nach § 469 StPO ergeht durch Beschluss und gibt der Staatskasse
nur einen Rückgriffsanspruch gegen den Anzeigeerstatter.
Sieht das Gericht davon ab, die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, so spricht es dies in der Urteilsformel aus:
Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Die notwendigen Auslagen werden dem Angeklagten nicht erstattet.
Der Nebenkläger kann bei Freispruch des Angeklagten selbstverständlich keinen 137
Ersatz seiner notwendigen Auslagen verlangen. Er trägt seine Auslagen selbst, ohne
dass es insofern eines ausdrücklichen Ausspruchs im Urteil bedarf (vgl. oben
Rn. 120).
3. Entschädigungsentscheidung
Hatte der Angeklagte Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 2 StrEG erlitten, 138
so ist über die Frage, ob ihm Entschädigung zu gewähren ist, in der Urteilsformel zu
entscheiden. Die Entscheidung ergeht von Amts wegen, eines Antrags des Angeklagten
oder seines Verteidigers bedarf es nicht. In der Regel wird eine Entschädigung gewährt
16 Zu der umstrittenen Frage, wie zu verfahren ist, wenn der Staatskasse versehentlich nur die Kosten und nicht auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt werden, vgl. MeyerGoßner § 464 StPO Rn. 12.
43
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
werden müssen (§ 2 Abs. 1 StrEG); in den Fällen des § 5 StrEG – praktisch wichtig
§ 5 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 S. 1 – ist die Entschädigung jedoch ausgeschlossen, gemäß
§ 6 StrEG kann sie ganz oder teilweise versagt werden. Die Urteilsformel lautet:
Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Angeklagten trägt die Staatskasse. Die Staatskasse ist verpflichtet, dem Angeklagten für die in dieser Sache erlittene Untersuchungshaft Entschädigung zu gewähren.
Oder:
Die Staatskasse ist zur Entschädigung des Angeklagten dafür verpflichtet, dass ihm vom 5. Januar
bis 25. Februar 2014 die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war.
Oder:
. . ., dass auf Grund des Gerichtsbeschlusses vom 26. März 2013 seine Geschäftsräume durchsucht
wurden und seine Geschäftsunterlagen vom 27. März 2013 bis heute beschlagnahmt waren.
Zu beachten ist, dass der Angeklagte oftmals gem. § 127 Abs. 2 StPO nur einen Tag in
Polizeigewahrsam war und dann von der Polizei, dem Staatsanwalt oder Richter wieder auf freien Fuß gesetzt, also nicht in Untersuchungshaft genommen wurde. Auch
hier ist eine Entschädigungsentscheidung notwendig (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 StrEG). Im
Übrigen ist bei freiheitsentziehenden Maßnahmen immer deren Zeitraum zu bezeichnen (BGH StraFo 2010, 87).
Das Gericht stellt in seiner Entscheidung nur die Verpflichtung der Staatskasse zur
Entschädigung fest. Die Entscheidung entspricht dem Grundurteil des Zivilprozesses. Sie enthält keinen Ausspruch über die Höhe der Entschädigung. Hierfür gibt es
ein besonderes Verfahren (§§ 10 ff. StrEG).
Wird die Entschädigung versagt, so lautet die Formel:
Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich
der notwendigen Auslagen des Angeklagten. Die Staatskasse ist nicht verpflichtet, den Angeklagten
dafür zu entschädigen, dass er sich vom 10. März bis 2. Mai 2013 im psychiatrischen Krankenhaus in
Wiesloch befunden hat.
In den Gründen wäre auszuführen, dass die Entschädigung versagt wurde, weil der
Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit zur Zeit der Tat freigesprochen worden ist (§ 6
Abs. 1 Nr. 2 StrEG).
IV. Einstellung
1. Hauptsacheentscheidung
139 Wird das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses eingestellt, so
darf die Urteilsformel keine Sachentscheidung enthalten, z.B. auch keinen Schuldspruch. Es ist lediglich die Einstellung des Verfahrens auszusprechen:
Das Verfahren wird eingestellt.
Welche Prozessvoraussetzung fehlt oder welches Verfahrenshindernis besteht, wird
in der Urteilsformel nicht angegeben (also nicht: »wegen Verjährung« oder »wegen
Rücknahme des Strafantrags«), sondern in den Gründen erörtert.17
17 Auch im Falle des Todes des Angeklagten vor Rechtskraft ist das Verfahren nach § 206a bzw.
§ 260 Abs. 3 StPO einzustellen und über die Kosten nach allgemeinen Grundsätzen zu entscheiden, d.h. es ist zu erwägen, ob der Angeklagte mit Sicherheit verurteilt worden wäre, BGH 45,
108; NStZ-RR 2002, 262 [B].
44
IV. Einstellung
2. Kosten
Während die Staatskasse die Kosten des Verfahrens tragen muss (§ 467 Abs. 1 140
StPO), kann das Gericht davon absehen, ihr auch die notwendigen Auslagen des
Angeklagten aufzuerlegen (§ 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO). Voraussetzung für eine solche Ermessensentscheidung ist, dass ohne den Eintritt des Verfahrenshindernisses mit
Sicherheit eine Verurteilung erfolgt wäre. Die Ermessensentscheidung hängt u.a. davon ab, ob das Verfahrenshindernis vor oder nach Klageerhebung entstanden ist; im
erstgenannten Fall hat i.d.R. die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen. Auch sonst sollten die notwendigen Auslagen der Staatskasse nur dann
nicht auferlegt werden, wenn der Angeklagte den Eintritt des Verfahrenshindernisses
zu vertreten hat (vgl. Meyer-Goßner § 467 StPO Rn. 18 m.w.N. und Beispielen).
Nach herrschender Ansicht ist § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO auch anwendbar, wenn
die angeklagte schwerere Tat (z.B. Vergewaltigung, § 177 StGB) nicht erwiesen ist
und ein leichteres Delikt (z.B. Beleidigung, § 185 StGB) zwar feststeht, seine Verfolgung aber wegen eines Verfahrenshindernisses (fehlender Strafantrag) ausgeschlossen
ist.18
Wird das Verfahren wegen Zurücknahme des Strafantrags eingestellt, so sind die 141
Kosten sowie die dem Angeklagten und einem Nebenbeteiligten erwachsenen notwendigen Auslagen in der Entscheidung über die Einstellung gemäß § 470 StPO in
der Regel dem Antragsteller aufzuerlegen. Sie können aber nach § 470 S. 2 StPO auch
dem Angeklagten oder einem Nebenbeteiligten auferlegt werden, wenn diese sich zur
Übernahme bereit erklären; die Kostenabrede wirkt dann nicht nur unter den Parteien. Das Gericht kann die Kosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten.
Der Nebenkläger trägt bei Einstellung des Verfahrens seine Auslagen selbst, ohne 142
dass es dazu eines Ausspruchs in der Urteilsformel bedarf (vgl. oben Rn. 120).
3. Entschädigungsentscheidung
Hatte der Angeklagte Strafverfolgungsmaßnahmen erlitten, so ist in der Formel aus- 143
zusprechen, ob eine Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung besteht
(§ 2 Abs. 1 StrEG). Die Entschädigung kann gemäß § 5 StrEG ausgeschlossen sein
oder gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG ganz oder teilweise versagt werden. Die Formel
lautet:
Das Verfahren wird eingestellt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Die notwendigen
Auslagen werden dem Angeklagten nicht erstattet. Eine Entschädigung für die am 2. Mai 2013 erfolgte vorläufige Festnahme wird nicht gewährt.
In den Gründen ist auszuführen, warum gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO keine
Erstattung der notwendigen Auslagen erfolgt und weshalb gem. § 5 oder § 6 Abs. 1
Nr. 2 StrEG keine Entschädigung gewährt wird.
18 OLG Karlsruhe NStZ 1981, 228.
45
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
V. Besonderheiten
1. Urteile in Jugendsachen
144 Bei der Fassung der Urteilsformel ist, wenn ein Jugendlicher, d.h. eine zur Zeit der
Tat über 14, aber noch nicht 18 Jahre alte Person, oder ein Heranwachsender, d.h.
eine zur Zeit der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alte Person, einer Straftat beschuldigt wird, nach dem JGG die Dreiteilung in Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und
Jugendstrafe zu beachten.
145 Ordnet das Gericht nach §§ 9ff. JGG Erziehungsmaßregeln an oder ahndet es nach
§§ 13 ff. JGG die Straftat mit Zuchtmitteln, so sind die Erziehungsmaßregeln und
Zuchtmittel in der Urteilsformel genau zu bezeichnen. Bei den Erziehungsmaßregeln
ist der Gebrauch des Wortes »verurteilt« zu vermeiden; sie werden aus Anlass der
Straftat des Jugendlichen »angeordnet« (§ 5 Abs. 1 JGG). Zuchtmittel haben nicht die
Rechtswirkungen einer Strafe (§ 13 Abs. 3 JGG); deshalb soll auch bei ihnen das
Wort »verurteilt« oder »bestraft« nicht gebraucht werden. Auf Jugendstrafe wird
»erkannt« oder sie wird »verhängt«; auch bei ihr lässt sich also das Wort »verurteilt«
vermeiden.
Im Einzelnen ist die Urteilsformel wie folgt zu fassen:
146 Bei Erziehungsmaßregeln:
Der Angeklagte ist des Diebstahls schuldig. Erziehungsbeistandschaft wird angeordnet.
Dass von Jugendstrafe und Zuchtmitteln abgesehen wird, kommt in der Urteilsformel nicht zum Ausdruck.
Sollen nur Weisungen oder diese neben der Erziehungsbeistandschaft erteilt werden
(mehrere Erziehungsmaßregeln können nebeneinander angeordnet werden, § 8
Abs. 1 JGG), so sind die Weisungen im Einzelnen so genau wie möglich in der Formel zu bezeichnen.
Der Angeklagte ist des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig. Es wird ihm die Weisung
erteilt, während dreier Monate ab Rechtskraft des Urteils allwöchentlich an einem polizeilichen Verkehrsunterricht teilzunehmen.
Will das Jugendgericht die Art der Erziehungsmaßregeln anordnen, so hat dies im
Urteil, und zwar im Urteilsspruch, zu geschehen. Die nachträgliche Auswahl der Erziehungsmaßregeln durch das Jugendgericht ist unzulässig. Überlässt das Jugendgericht dagegen gemäß § 53 JGG dem Familien- oder Vormundschaftsrichter die Auswahl und Anordnung von Erziehungsmaßregeln, so ist in der Urteilsformel wie folgt
zu erkennen:
Der Angeklagte ist der Unterschlagung schuldig. Erziehungsmaßregeln sind erforderlich. Ihre Auswahl und Anordnung wird dem Vormundschaftsrichter überlassen.
147 Bei Zuchtmitteln:
Die Entscheidung, dass Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen, wird nicht in der Urteilsformel, sondern in den Gründen zum Ausdruck gebracht und dargelegt. Die Urteilsformel spricht bereits die Art des angeordneten Zuchtmittels aus. Es genügt also
nicht, zu erkennen, dass Zuchtmittel erforderlich seien. Bei dem Zuchtmittel der Verwarnung ist zwischen deren Ausspruch und ihrer Vollstreckung zu unterscheiden.
46
V. Besonderheiten
Die Urteilsformel darf daher nicht lauten, der Angeklagte werde verwarnt oder es
werde ihm eine Verwarnung erteilt. Richtig lautet die Formel in diesem Falle:
Der Angeklagte ist der fahrlässigen Körperverletzung schuldig. Dem Angeklagten ist eine Verwarnung zu erteilen.
Oder:
Der Angeklagte ist der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Ihm werden folgende Pflichten auferlegt:
1. Der Angeklagte hat sich bei dem Verletzten zu entschuldigen.
2. Der Angeklagte hat den dem Verletzten zugefügten Schaden bis spätestens . . . wiedergutzumachen und den Nachweis hierüber dem Gericht zu erbringen.
Oder:
Der Angeklagte ist des Diebstahls in 5 Fällen schuldig. Es wird gegen ihn auf zwei Wochen Jugendarrest erkannt.
Bei Jugendstrafe:
148
Gegen den Angeklagten wird wegen Totschlags auf eine Jugendstrafe von drei Jahren erkannt. Auf
die Strafe werden nur drei Monate der Untersuchungshaft angerechnet.
Im Übrigen gelten bei der Verhängung von Jugendarrest und Jugendstrafe für die
Fassung der Urteilsformel dieselben Grundsätze wie bei der Verhängung von Strafen.
Für die Anrechnung der Untersuchungshaft auf Jugendarrest und Jugendstrafe gel- 149
ten die Sonderbestimmungen der §§ 52, 52a JGG. § 51 StGB, der grundsätzlich die
Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft auf die erkannte Strafe vorschreibt,
findet also in Jugendsachen keine Anwendung. Der Jugendrichter hat daher außer im
Fall des § 52a Abs. 1 S. 1 JGG in der Urteilsformel über die Anrechnung der Untersuchungshaft ausdrücklich zu entscheiden.
Bei Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung (§ 21 JGG):
150
Diebstahls19
Der Angeklagte ist des
und der Hehlerei in je zwei Fällen schuldig.
Es werden gegen ihn sechs Monate Jugendstrafe verhängt. Gleichzeitig wird ihm die Weisung erteilt,
bis spätestens … eine Arbeitsstelle anzunehmen.
Die Vollstreckung der Jugendstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
Die weiteren Entscheidungen, z.B. über die Bewährungszeit, die Person des Bewährungshelfers und die Bewährungsauflagen (§§ 22ff. JGG), gehören nicht in die Urteilsformel, sondern in einen später zu erlassenden Beschluss (§ 58 JGG), der häufig
im
unmittelbaren Anschluss – und in der Besetzung des Gerichts wie in der Hauptverhandlung – ergeht.
Solange der Strafvollzug noch nicht begonnen hat, kann die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung auch nachträglich durch Beschluss angeordnet werden (§ 57
JGG).
19 Wenn ein besonders schwerer Fall des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 S. 2 StGB vorliegt, ist dies
schon bei der Verurteilung eines Erwachsenen nicht in den Urteilsspruch aufzunehmen (Rn. 50).
Ein jugendlicher oder ein heranwachsender Angeklagter, gegen den Jugendstrafrecht angewendet
wird, darf darüber hinaus deshalb nicht wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall verurteilt werden, weil die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts bei der Bemessung der Jugendstrafe keine Anwendung finden (§ 18 Abs. 1 S. 3 JGG) und § 243 StGB nur eine Strafzumessungsregel enthält.
47
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
151 Bei Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe (§ 27 JGG):
Der Angeklagte ist des Betruges in zwei Fällen schuldig.
Die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe wird auf die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt.20
Die weiteren Entscheidungen erfolgen auch hier in einem später zu erlassenden Beschluss (§§ 62, 58 JGG).
Die Jugendstrafe, auf die nachträglich gemäß § 30 Abs. 1 JGG erkannt wird, wird
durch Urteil (ohne nochmalige Verhandlung zur Schuld- und Straffrage) ausgesprochen, ohne dass die Urteilsformel den Widerruf der Aussetzung enthalten müsste:
Aufgrund des Urteils vom … wird gegen den Angeklagten auf eine Jugendstrafe von … erkannt.
Die Gründe dieses Urteils befassen sich nur noch mit dem Widerruf und der Strafzumessung; hinsichtlich des Schuldspruchs kann auf die Gründe des vorausgegangenen Urteils Bezug genommen werden. Liegen die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1
JGG nach Ablauf der Bewährungszeit nicht vor, so wird der Schuldspruch nach
Abs. 2 durch Urteil oder Beschluss – vgl. § 62 Abs. 1u. 2 JGG – getilgt.
152 Wird eine rechtskräftige Entscheidung nach § 31 Abs. 2 JGG einbezogen, kommt
folgender Urteilstenor in Betracht:
Gegen den Angeklagten wird wegen … und unter Einbeziehung des Urteils des … vom … (Az. …)
auf eine Jugendstrafe von … erkannt.
So ist auch zu tenorieren, wenn ein nach allgemeinem Strafrecht ergangenes Urteil
gem. § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 S. 1 JGG in eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht einbezogen wird (BGH NStZ 2009, 43). Waren bereits in die einbezogene Entscheidung weitere frühere Entscheidungen einbezogen, so sind all diese Entscheidungen erneut formell einzubeziehen und im Urteilstenor entsprechend zu kennzeichnen
(BGH NStZ-RR 2006, 12). Demgegenüber wäre es fehlerhaft, zusätzlich zu den neuen Taten noch die den einbezogenen Urteilen zugrundeliegenden Taten im Tenor anzugeben, weil sie dann zwei Mal erwähnt würden (BGH bei Böhm NStZ 1988, 492).
Wird eine Verurteilung zu Jugendstrafe mit Bewährung in eine Verurteilung zu
Jugendstrafe ohne Bewährung einbezogen, ist für einen die Strafvollstreckung verkürzenden Ausspruch über die Anrechnung von Bewährungsleistungen – anders als
bei einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (Rn. 84) – kein Raum (BGH
49, 90).
Hat der Angeklagte aufgrund eines einbezogenen Urteils bereits Jugendstrafe verbüßt, so ist die verbüßte Strafe kraft Gesetzes anzurechnen; eines Ausspruchs über
die Anrechnung in der Urteilsformel bedarf es nicht (BGH 41, 315).
Ist von mehreren, im selben Urteil ausgesprochenen Rechtsfolgen eine bereits vollständig erledigt, ist insoweit eine Einbeziehung des früheren Urteils gemäß § 31
Abs. 2 JGG nicht mehr möglich. Es empfiehlt sich dann, im Tenor des neuen Urteils
20 Die Festsetzung der Bewährungszeit erfolgt hier im Urteilstenor und nicht – wie sonst (s.
Rn. 114) – in einem gesonderten Beschluss. Sie ist integrierender Bestandteil der Entscheidung;
§ 28 JGG enthält nämlich insofern eine Sonderregelung, während hinsichtlich der Bewährungshilfe und der Auflagen und Weisungen in § 29 S. 2 JGG lediglich auf §§ 23 bis 25 JGG verwiesen
wird.
48
V. Besonderheiten
klarzustellen, dass das frühere Urteil bezüglich der vollstreckten Rechtsfolge erledigt
ist (BGH 42, 299).
An Maßregeln der Besserung und Sicherung sind gegen einen Jugendlichen nur die 153
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt,
Führungsaufsicht, Entziehung der Fahrerlaubnis sowie vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung zulässig (§ 7 JGG). Insoweit wird wegen der Fassung der
Urteilsformel auf die Erörterungen zu Rn. 103 ff. verwiesen. Auch in diesem Fall
braucht in der Urteilsformel nicht ausgesprochen zu werden, dass von Jugendstrafe
und Zuchtmitteln abgesehen werde (§ 5 Abs. 3 JGG). Es genügt und erscheint
zweckmäßig, diese Entscheidung nur in den Urteilsgründen zu behandeln. In Verfahren gegen Heranwachsende kann das Gericht bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht ebenfalls die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten oder diese
später nachträglich anordnen, § 106 Abs. 3–7 JGG (vgl. Rn. 103a, 106a, 155a).
Wird nach der Ermessensvorschrift des § 74 JGG davon abgesehen, dem Angeklagten 154
Kosten und Auslagen aufzuerlegen, so ist dies in der Urteilsformel auszusprechen.
Wenn dem Angeklagten die Kosten auferlegt werden sollen, muss es in der Urteilsformel angeordnet werden. In diesem Falle bedarf es einer besonderen Begründung
nur dann, wenn bei mehreren Jugendlichen unterschiedliche geldliche Verhältnisse
vorliegen (BGH 16, 261).
Unter den »Auslagen« i.S.d. § 74 JGG sind nicht die notwendigen Auslagen des Jugendlichen selbst zu verstehen, seine eigenen notwendigen Auslagen können ihm also
nicht aus der Staatskasse erstattet werden (BGH NStZ-RR 2006, 224). Es kann ausnahmsweise auch davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines etwaigen
Nebenklägers dem verurteilten Jugendlichen (§ 80 Abs. 3 JGG) oder Heranwachsenden aufzuerlegen (BGH StraFo 2003, 277). In der Regel sollten die notwendigen Auslagen der Nebenklage jedoch aus erzieherischen Gründen dem verurteilten Jugendlichen auferlegt werden, um zu verdeutlichen, dass der Nebenkläger Opfer einer
Straftat ist und um eine Abschwächung der Verurteilung durch die Kostenfreistellung
zu vermeiden.
Der zur Hauptverhandlung geladenen und nicht erschienenen Jugendgerichtshilfe
können die infolge Vertagung der Hauptverhandlung entstandenen Kosten nicht auferlegt werden (OLG Karlsruhe NStZ 1992, 251 mit abl. Anm. Schaffstein).
2. Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 86, 288) ist dann, 155
wenn der Angeklagte zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird, besonders im
Urteil darüber zu befinden, ob die Schuld des Angeklagten im Sinne des § 57a Abs. 1
S. 1 Nr. 2 StGB als besonders schwer anzusehen ist (vgl. unten Rn. 748). Bejaht das
Gericht dies, so ist der Ausspruch in den Urteilstenor aufzunehmen (BGH 39, 121).
Die Formel lautet dann:
Der Angeklagte wird wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Schuld des Angeklagten wiegt besonders schwer.
Verneint das Gericht die besondere Schuldschwere, so legt es das nur in den Gründen
dar; der Urteilstenor enthält diesen Ausspruch nicht (BGH NStZ 1993, 448).
49
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
3. Urteile bei vorbehaltener oder nachträglich angeordneter Sicherungsverwahrung
155a Bei im Ersturteil vorbehaltener Sicherungsverwahrung entscheidet das Gericht des
ersten Rechtszugs vor vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe (§ 66a Abs. 3
StGB), möglichst sechs Monate zuvor nach Maßgabe von § 275a Abs. 2 bis 5 StPO
durch Urteil; dieses lautet auf Anordnung der Sicherungsverwahrung oder auf Absehen von dieser Anordnung. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der
nachträglichen Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB, § 7 Abs. 4 JGG wird ebenfalls durch Urteil entweder abgelehnt oder die (nachträgliche) Sicherungsverwahrung
wird angeordnet (vgl. Rn. 106a).
4. Urteile in Privatklageverfahren
156 Im Privatklageverfahren lautet die Urteilsformel wie im Verfahren auf Grund einer
öffentlichen Klage. Es ist daher unrichtig, wenn das freisprechende Urteil dahin gefasst wird, die Privatklage werde zurückgewiesen. Das ist die Ausdrucksweise des
Zivil-, nicht des Strafprozesses. Auch aus § 383 StPO lässt sich nichts anderes herleiten; denn § 384 Abs. 1 S. 1 StPO bestimmt ausdrücklich, dass sich das weitere Verfahren nach den Bestimmungen richtet, die für das Verfahren auf erhobene öffentliche
Klage gelten. Es muss also heißen:
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Wird das Verfahren in der Hauptverhandlung gem. § 383 Abs. 2 StPO eingestellt, so
geschieht dies durch Beschluss. Wird der Angeklagte wegen einzelner Taten verurteilt, ein Teil des Verfahrens aber wegen Geringfügigkeit eingestellt21, so ist auch dieser Teil des Urteils rechtlich ein Beschluss, der nur mit sofortiger Beschwerde angefochten werden kann:
Der Angeklagte wird wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 25 EUR verurteilt. Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und
die notwendigen Auslagen des Privatklägers.
Wird das Verfahren wegen Zurücknahme des Strafantrags eingestellt, so gilt für die
Kostenentscheidung § 470 StPO. Bei Zurücknahme der Privatklage (§ 391 Abs. 1 S. 1
StPO) ist diese Vorschrift entsprechend anzuwenden (KK/Gieg § 471 StPO Rn. 6).
5. Urteile in Verfahren zur Entschädigung des Verletzten (Adhäsionsverfahren)
157 Auf Grund der §§ 403 ff. StPO kann der Verletzte gegen den Beschuldigten – sofern
es sich nicht um einen Jugendlichen handelt (§ 81 JGG – anders bei einem auch nach
Jugendstrafrecht verurteilten Heranwachsenden)– einen aus der Straftat erwachsenen
vermögensrechtlichen Anspruch geltend machen. Nach § 406h StPO ist er von
Staatsanwaltschaft und Gericht auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Der Adhäsionsantrag kann nicht mehr nach Beginn der Schlussvorträge in der tatrichterlichen
Hauptverhandlung angebracht werden. Erscheint der Antrag nach dem Ergebnis der
Hauptverhandlung ganz oder zum Teil begründet, so gibt das Gericht ihm im Strafurteil in entsprechendem Umfang statt; die Entscheidung kann sich auch auf den
21 Strittig ist, ob in einem solchen Fall ein gesonderter Einstellungsbeschluss veranlasst ist (so
Meyer-Goßner § 383 StPO Rn. 18) oder ob einheitlich durch Urteil entschieden wird (so KK/
Senge § 383 StPO Rn. 12).
50
V. Besonderheiten
Grund oder einen Teil des geltend gemachten Anspruchs beschränken (§ 406 Abs. 1
S. 2 StPO). Auch ein bloßes Feststellungsurteil (§ 256 ZPO) ist zulässig, ebenso ein
gerichtlicher Vergleich (§ 405 StPO) und ein Anerkenntnisurteil (§ 406 Abs. 2 StPO).
Wird der Angeklagte zum Ersatz künftiger materieller Schäden des Adhäsionsklägers
verurteilt, so ist im Hinblick auf § 116 SGB X bzw. § 86 VVG zu tenorieren, dass
diese Verpflichtung nur insoweit besteht, als die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Versicherer übergegangen sind (BGH StraFo 2010, 117).
Soweit der Anspruch zuerkannt wird, steht die Entscheidung einem Zivilurteil gleich.
Die Entscheidung wird wie im Zivilprozess für vorläufig vollstreckbar erklärt (§ 406
Abs. 3 S. 2 StPO). Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 472a StPO.
Die Formel lautet etwa:
Der Angeklagte wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Er wird ferner zur Zahlung von
500 EUR Schadensersatz und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 1.000 EUR, zusammen also
1.500 EUR, an den Verletzten, Franz Meyer in Bad Godesberg, verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verletzten.
Das Urteil ist, soweit es auf Zahlung an den Verletzten lautet, gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 1500 EUR vorläufig vollstreckbar.22
Da der Ersatzanspruch zivilrechtlicher Natur ist, handelt es sich dabei nicht um 158
eine »Rechtsfolge der Tat« i.S.v. § 358 Abs. 2 StPO. Sowohl das Berufungsgericht auf
Berufung nur des Angeklagten als auch das Tatgericht nach der auf die Revision des
Angeklagten erfolgten Aufhebung und Zurückweisung der Sache können dem Verletzten erstmals im Wege des Adhäsionsverfahrens Schmerzensgeld zusprechen.
Wegen der Rechtskraftwirkung und der Vollstreckung der vermögensrechtlichen
Entscheidung sind im Eingang des Urteils Name und Anschrift des Antragstellers
anzugeben; es ist also z.B. zu sagen:
wegen Körperverletzung zum Nachteil des Schlossers Franz Meyer, wohnhaft in Bad Godesberg, Rosenstr. 5.
Wird der Angeklagte nicht verurteilt, so sieht das Gericht in der Urteilsformel von
einer Entscheidung über den vermögensrechtlichen Anspruch ab. Anders, wenn sich
der Antrag zur Erledigung im Strafverfahren nicht eignet, wenn er unzulässig oder
unbegründet ist (§ 406 Abs. 1 S. 3–6 StPO), dann Entscheidung durch Beschluss,
§ 406 Abs. 5 S. 2 StPO.
Die Entscheidung über das vollständige Absehen von einer Entscheidung (so ist 158a
auch zu tenorieren, nicht etwa den Antrag abzuweisen) ergeht durch zu begründenden Beschluss, der nach Maßgabe des § 406a Abs. 1 S. 1 StPO mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden kann. Nur wenn bis zum Urteilszeitpunkt keine Entscheidung über das Absehen getroffen wurde, sowie bei teilweisem Absehen, wird
über den Antrag im Urteil befunden (BGH NStZ 2003, 565).
22 Zinsen werden nur auf Antrag zugesprochen, Meyer-Goßner § 404 StPO Rn. 3; § 308 Abs. 1
ZPO gilt auch im Adhäsionsverfahren, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 2.
51
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
6. Rechtsmittelentscheidungen
a) Allgemeines
159 Der Unterschied, den die Zivilprozessordnung zwischen Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig und Zurückweisung als unbegründet kennt, ist in der Strafprozessordnung nicht enthalten. Es ist auch im Strafverfahren üblich, kenntlich zu machen, ob ein Rechtsmittel als unzulässig oder als unbegründet verworfen wird (vgl.
z.B. § 349 Abs. 1 u. 2 StPO). Der Ausdruck »Bestätigung« des ersten Urteils ist als
dem Gesetz fremd zu vermeiden.
Die Formel des Rechtsmittelurteils muss klar erkennen lassen, was mit dem Rechtsmittel geschehen ist, ob das angefochtene Urteil aufgehoben oder das Rechtsmittel
verworfen wird; insoweit ist die Ermessensfreiheit des Gerichts (§ 260 Abs. 4 S. 5
StPO) eingeschränkt. Es muss in der Formel bei mehreren Rechtsmittelführern (Angeklagter, Staatsanwaltschaft, Nebenkläger) über jedes Rechtsmittel entschieden werden, also z.B.
Die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers werden als unbegründet verworfen.
Auf die Berufung des Angeklagten wird …
Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen im Rechtsmittelverfahren trifft das
Rechtsmittelgericht in seiner abschließenden Entscheidung (§ 464 Abs. 1 und 2
StPO). Ein selbständiger Kostenbeschluss ergeht bei wirksamer Zurücknahme des
Rechtsmittels – außerhalb oder in der Hauptverhandlung – durch das Rechtsmittelgericht. Waren die Akten dem Rechtsmittelgericht noch nicht vorgelegt worden, so entscheidet das untere Gericht (BGH 12, 217).
b) Berufungsurteile
160 aa) Verwerfung der Berufung. Die Bezeichnung des angefochtenen Urteils und dessen, der es angefochten hat, kann bereits im Urteilseingang enthalten sein (Auf die
Berufung des ... gegen das Urteil des Amtsgerichts in … vom … hat …). In diesem Fall
ist die nochmalige Erwähnung in der Urteilsformel überflüssig. Es heißt dann nur:
Die Berufung wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Andernfalls ist die Urteilsformel zu fassen:
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Celle vom . . . wird als unbegründet
verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Wiederholt die Formel des Berufungsurteils wörtlich die Formel der Verurteilung
durch das Amtsgericht, ohne ausdrücklich die Verwerfung der Berufung zu erklären,
dann liegt kein im Revisionsverfahren nachzuprüfender Rechtsfehler sondern ein
bloßes Fassungsversehen vor, das jederzeit, auch vom Berufungsgericht, berichtigt
werden kann (OLG Saarbrücken VRS 28, 439).
Auch im Falle des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO lautet die Formel nur:
Die Berufung des Angeklagten wird verworfen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Angeklagte.
Dass die Berufung ohne Verhandlung zur Sache verworfen wurde, ergibt sich nur aus
den Gründen.
52
V. Besonderheiten
Die Kosten eines völlig erfolglosen Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat 161
(§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO). Führt ein Rechtsmittel lediglich zu einer Schuldspruchänderung, gilt es ebenfalls als erfolglos i.S.d. § 473 Abs. 1 StPO. War die Berufung vom
Angeklagten eingelegt und hatte sich ein Nebenkläger angeschlossen, so ist auszusprechen, dass der Angeklagte auch die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu
tragen hat (§ 473 Abs. 1 S. 2 StPO). War sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch
vom Angeklagten erfolglos Berufung eingelegt, so treffen die Kosten der ersteren die
Staatskasse, die der letzteren den Angeklagten. In diesem Fall hat der Angeklagte dem
Nebenkläger, der kein Rechtsmittel eingelegt hat, die ihm im Berufungsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten (OLG Hamburg MDR 1970, 1029);
dies ist in der Formel auszusprechen.
Ist das erfolglose Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft eingelegt worden, so fal- 162
len die Kosten nicht ihr, sondern der Staatskasse zur Last; dies gilt auch dann, wenn
die Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten das Rechtsmittel eingelegt hat. In
diesen Fällen sind die dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der
Staatskasse aufzuerlegen (§ 473 Abs. 2 StPO), und zwar auch dann, wenn der Angeklagte nicht freigesprochen worden ist. Die Staatskasse hat die notwendigen Auslagen
des Nebenklägers niemals zu tragen (KK/Gieg § 473 StPO Rn. 9).
Hat der gesetzliche Vertreter das Rechtsmittel aus eigenem Recht gemäß § 298 StPO 163
eingelegt, so macht er zwar formell ein eigenes Recht geltend, handelt aber materiell
als Vertreter fremder Interessen; daher haftet er für die Kosten nicht mit seinem eigenen Vermögen, sondern es haftet nur das Vermögen der von ihm vertretenen Person.
Die Kosten des vom bevollmächtigten Verteidiger eingelegten Rechtsmittels treffen 164
nicht ihn, sondern den Angeklagten; hatte der Verteidiger keine Vollmacht, so sind
die Kosten ihm aufzuerlegen.
Ist das Rechtsmittel vom Nebenkläger eingelegt, so fallen ihm die Kosten des 165
Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten zur Last
(§ 473 Abs. 1 S. 2 StPO). Hatten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Nebenkläger erfolglos Berufung eingelegt, so wird erstere auf Kosten der Staatskasse, letztere auf Kosten des Nebenklägers verworfen. Dem Nebenkläger können in diesem Fall
notwendige Auslagen des freigesprochenen Angeklagten nicht auferlegt werden
(BGH NStZ-RR 2006, 128), wohl aber sind sie gem. § 473 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen.
bb) Teilerfolg der Berufung. § 328 Abs. 1 StPO verlangt, dass das Berufungsgericht 166
bei Begründetheit der Berufung »unter Aufhebung« des Urteils in der Sache selbst
erkennt. Daraus folgt, dass bei nur teilweiser Begründetheit die Formel nicht zu lauten hat:
Das Urteil des Amtsgerichts X wird dahingehend abgeändert, …
sondern entweder:
Das Urteil wird insoweit aufgehoben, als es die Einziehung des … anordnet,
oder:
Die Berufung des Angeklagten wird mit der Einschränkung (oder: mit der Maßgabe) verworfen, dass
die Anordnung der Einziehung des … entfällt.
Die letztere Fassung passt natürlich nicht, wenn der Angeklagte die Berufung beschränkt, also z.B. nur wegen der Anordnung der Einziehung Berufung eingelegt hatte.
53
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
War der Angeklagte im ersten Rechtszug zu einer Gesamtstrafe verurteilt, z.B. wegen
Diebstahls und Betrugs, und wird im zweiten Rechtszug der Betrug verneint, so ist es
nicht zweckmäßig, das Urteil insoweit aufzuheben, als der Angeklagte wegen Betrugs
verurteilt worden ist, weil eine solche Formel nicht erkennen ließe, welche Strafe zu
vollstrecken ist; es ist besser, unter Aufhebung des ganzen Urteils zu sagen:
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts X aufgehoben. Der Angeklagte
wird wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 40 EUR verurteilt. Im Übrigen
wird er freigesprochen.
Eine Aufhebung des ganzen Urteils und Neufassung des gesamten Tenors empfiehlt
sich immer dann, wenn das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht geändert
wird; der Tenor des Berufungsurteils wird sonst leicht zu unübersichtlich.
167 Bei teilweisem Erfolg hat das Gericht nach § 473 Abs. 4 StPO die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen und die notwendigen Auslagen der Beteiligten
ganz oder teilweise der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten.
Beispiele: Der Angeklagte ist im ersten Rechtszug zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft, weil die Strafe erhöht werden soll, und der Angeklagte mit dem Ziel der Freisprechung Berufung eingelegt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist
verworfen worden. Auf die Berufung des Angeklagten ist die Strafe auf sechs Monate Freiheitsstrafe
herabgesetzt worden. Macht das Berufungsgericht von der Befugnis des § 473 Abs. 4 StPO
Gebrauch, so lautet die Entscheidung:
Die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse. Von den Kosten der Berufung des Angeklagten und den
insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten tragen der Angeklagte und die
Staatskasse je die Hälfte; die Berufungsgebühr wird um die Hälfte ermäßigt.
Ist der Angeklagte im ersten Rechtszug wegen dreier Diebstähle zu Strafe und Kosten verurteilt und vom Berufungsgericht auf sein in vollem Umfang eingelegtes
Rechtsmittel von der Anklage wegen zweier Diebstähle freigesprochen worden, so ist
die Kostenentscheidung des unteren Gerichts aufzuheben und zu erkennen23:
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Berufung fallen dem Angeklagten, soweit er verurteilt
ist, zur Last; im Übrigen trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten die Staatskasse.
168 Bei einem Teilerfolg des Rechtsmittels des Angeklagten ist für die notwendigen Auslagen des Nebenklägers § 473 Abs. 4 StPO entsprechend anzuwenden; das Gericht
kann also die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Beteiligten
nach pflichtgemäßem Ermessen zwischen Angeklagtem und Nebenkläger verteilen
oder auch einem von ihnen ganz auferlegen. Die Staatskasse darf nicht mit Auslagen
des Nebenklägers belastet werden.
Ein Teilerfolg ist auch gegeben, wenn der Angeklagte unbeschränkt Berufung eingelegt hatte, aber nur die Strafaussetzung zur Bewährung oder den Wegfall einer Maßregel der Besserung und Sicherung erreicht.
23 Bei Teilfreispruch in der Rechtsmittelinstanz gilt nicht § 473 Abs. 4 StPO, sondern § 467 StPO
(OLG Düsseldorf StV 1995, 308).
54
V. Besonderheiten
Kein Teilerfolg, sondern ein voller Erfolg liegt vor, wenn die Berufung nur wegen 169
einer von mehreren Straftaten eingelegt war und Erfolg hatte; ebenso, wenn sie auf
einen Teil des Urteils (Nebenstrafe, Maßregel der Besserung und Sicherung, Strafaussetzung, Abkürzung der Sperrfrist bei Entziehung der Fahrerlaubnis) oder auf (erhebliche) Milderung der Strafe beschränkt war und Erfolg gehabt hat. Dann gilt § 473
Abs. 3 StPO, wonach die Kosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen sind. Dabei ist aber zu beachten, dass das z.B. auf eine Nebenstrafe, Maßregel
oder die Strafaussetzung beschränkte Rechtsmittel unter Umständen, nämlich wegen
des engen Sachzusammenhangs, den ganzen Rechtsfolgenausspruch ergreift (unten
Rn. 670 ff.); dann liegt gleichwohl, wenn das Rechtsmittel hinsichtlich der Nebenstrafe usw. erfolgreich ist, kostenrechtlich voller Erfolg vor (BGH 19, 226). Ein voller
Erfolg liegt nach überwiegender Meinung auch dann vor, wenn das Rechtsmittel
nachträglich beschränkt wurde und in diesem Umfang Erfolg hatte; allerdings sind
dann diejenigen gerichtlichen und außergerichtlichen Auslagen dem Rechtsmittelführer aufzuerlegen, die bei einer von vornherein beschränkten Rechtsmitteleinlegung
vermeidbar gewesen wären (OLG Hamm StV 1998, 88; OLG München NStZ-RR
1997, 192).
Hat die – auf die Entziehung der Fahrerlaubnis beschränkte – Berufung nur wegen
Zeitablaufs Erfolg, so gilt das Rechtsmittel gem. § 473 Abs. 5 StPO als erfolglos.
Wird im Urteil des Berufungsgerichts die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, sei es, 170
dass das Berufungsgericht die Strafaussetzung anordnet, sei es, dass es die vom Amtsgericht angeordnete Strafaussetzung aufrechterhält, so muss das Berufungsgericht
stets einen neuen Bewährungszeit- und Pflichtenbeschluss (§ 268a StPO) erlassen
(OLG Köln NStZ 1991, 453); der Beschluss des Amtsgerichts ist damit hinfällig. Das
Berufungsgericht kann dies jedoch auch in Form einer Bestätigung des amtsgerichtlichen Beschlusses tun.
cc) Erfolgreiche Berufung. Hatte der Angeklagte Berufung eingelegt und wird er in 171
der Berufungsinstanz freigesprochen, so lautet der Tenor:
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts X vom . . . aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
Bei vollem Erfolg treffen die Kosten den Gegner. Hier gilt § 467 StPO, wonach in der
Regel die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten der
Staatskasse zur Last fallen. Hatte sich ein Nebenkläger angeschlossen, so trägt dieser
– ohne besonderen Ausspruch in der Formel – seine Auslagen selbst.
Hatten mehrere Angeklagte gegen ihre Verurteilung Berufung eingelegt und hat nur
einer von ihnen Erfolg, so heißt es etwa:
Auf die Berufung des Angeklagten A wird das Urteil des Amtsgerichts X vom . . ., soweit es ihn betrifft, aufgehoben. Der Angeklagte A wird freigesprochen. Die Berufung des Angeklagten B wird als
unbegründet verworfen. Der Angeklagte B hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; hinsichtlich des Angeklagten A trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten A
entstandenen notwendigen Auslagen.
Hatte die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt 172
und hatte sie Erfolg, so heißt es:
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts X vom . . . aufgehoben.
55
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Der Angeklagte ist des Diebstahls schuldig. Er wird zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
173 Haben Angeklagter und Staatsanwaltschaft (letztere zu Ungunsten des Angeklagten) Berufung eingelegt und bestätigt das Landgericht zwar die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtstrafe, ändert aber die dieser zugrundeliegenden Einzelstrafen
durch Herabsetzung der einen und Heraufsetzung der anderen, so haben beide
Rechtsmittel einen Teilerfolg. Es darf daher nicht tenoriert werden:
Die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft werden kostenfällig verworfen.24
Der richtige Tenor lautet vielmehr:
Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des … vom … dahin abgeändert, dass wegen versuchter räuberischer Erpressung eine Einzelstrafe von . . . verhängt wird; auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird die Einzelstrafe wegen Menschenhandels auf … festgesetzt.
Die weiter gehenden Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten werden als unbegründet verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel tragen die Staatskasse und der Angeklagte je zur Hälfte; die Staatskasse hat auch die Hälfte der notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Zwar ist es grundsätzlich richtig, dass im Tenor lediglich die Gesamtstrafe ausgesprochen wird und die Einzelstrafen keine Erwähnung finden. Das gilt aber nur für das
erstinstanzliche Urteil. Jede Rechtsmittelentscheidung muss nämlich klar zum Ausdruck bringen, ob und wenn ja, inwieweit das oder die Rechtsmittel Erfolg haben
und in die angefochtene Entscheidung rechtsgestaltend eingegriffen wird. War ein
Rechtsmittel teilweise erfolgreich, darf es im Tenor der Rechtsmittelentscheidung
nicht schlechthin verworfen werden. Das ergibt sich aus §§ 328 Abs. 1, 353 Abs. 1
StPO25 (streng genommen müsste im Urteilstenor formuliert werden, dass das angefochtene Urteil nicht nur »abgeändert«, sondern in den Einzelstrafenaussprüchen
»aufgehoben« wird und insoweit neue Einzelstrafen festgesetzt werden, vgl. oben
Rn. 166 aber auch Rn. 27 f.).
174 Ist das erfolgreiche Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten eingelegt, so sind die Kosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen (§ 473 Abs. 2 S. 2 StPO). Ist es zuungunsten eingelegt, wird jedoch das Urteil zugunsten des Angeklagten abgeändert (§ 301 StPO), so hat es zwar Erfolg
gehabt, aber nicht den beabsichtigten, so dass die Kosten den Rechtsmittelführer (also die Staatskasse) treffen.
175 Bei vollem Erfolg des Rechtsmittels des Nebenklägers hat der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen, gleichgültig, ob die Staatsanwaltschaft gleichzeitig Berufung eingelegt hatte oder nicht.
176 Wenn das Urteil aufgehoben und die Sache gem. § 328 Abs. 2 StPO an das zuständige Gericht verwiesen wird, ergeht keine Entscheidung über die Kosten und Auslagen.
Dies bleibt vielmehr dem Gericht vorbehalten, das nunmehr erneut in der Sache entscheidet. Es hat einheitlich über die Kosten des Verfahrens – einschließlich der Kosten der Berufungsinstanz – zu befinden. Dabei kommt es nur auf das endgültige Ergebnis an; die Verweisung ist also kein Erfolg im kostenrechtlichen Sinn.
24 So unzutreffend OLG Zweibrücken NStZ 2000, 610.
25 Vgl. Meyer-Goßner/Cierniak, Anm. zu OLG Zweibrücken NStZ 2000, 611.
56
V. Besonderheiten
c) Revisionsurteile
aa) Verwerfung der Revision. Ist die Revision unzulässig oder unbegründet, so wird 177
sie verworfen, wobei es üblich ist, bei Unzulässigkeit den Zusatz »als unzulässig«
beizufügen. Die Ausführungen zu Rn. 159 ff. gelten entsprechend.
bb) Aufhebung und Zurückverweisung. Das Revisionsgericht kann in der Regel 178
nicht selbst entscheiden, da es keine tatsächlichen Feststellungen treffen kann. Es
hebt daher bei Begründetheit der Revision das Urteil auf, soweit es durch die Gesetzesverletzungen betroffen ist, und verweist die Sache gem. § 354 Abs. 2 StPO zurück;
bei Unzuständigkeit der Vorinstanz wird gem. § 355 StPO verwiesen (In diesen Fällen von einem vorläufigen Erfolg des Rechtsmittels zu sprechen ist verfehlt, denn die
Revision hat Erfolg; ob der Beschwerdeführer später den von ihm in der Sache gewünschten Erfolg erzielt, ist eine andere Frage). Es heißt dann:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 1. März 2013 mit
den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
Über die Kosten des Revisionsverfahrens wird in dem neuen tatrichterlichen Urteil
mitentschieden (oben Rn. 176).
Die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen werden auch dann aufgehoben,
wenn der Angeklagte zu Unrecht freigesprochen worden war. Sind mehrere Straftaten festgestellt, so ist in der Formel genau zu sagen, welche Feststellungen aufgehoben werden und welche nicht. Nur wenn das Revisionsgericht Feststellungen ausdrücklich aufhebt, entfallen diese; fehlt ein solcher Ausspruch, bleiben sie bestehen
(BGH NJW 2007, 1540; a.A. Meyer-Goßner § 353 StPO Rn. 12 m.w.N.)
Wird nur der Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben, so ist eine festgesetzte,
Nebenstrafe, Nebenfolge oder Maßnahme nicht mit aufgehoben; denn diese ist Bestandteil des Rechtsfolgenausspruchs für die Einzeltat, die Anlass für ihre Anordnung war. Auch wenn ein Urteil im gesamten Strafausspruch (nicht im gesamten
Rechtsfolgenausspruch) aufgehoben wird, erwachsen etwaige Maßregelaussprüche,
z.B. die Entziehung der Fahrerlaubnis, in Rechtskraft und unterliegen nicht mehr der
Entscheidungsbefugnis des nach Zurückverweisung zuständigen Gerichts.
Wird die Revision nur zum Teil, z.B. bei Verurteilung wegen Diebstahls und Betrugs
nur hinsichtlich der Verurteilung wegen Betrugs, für begründet erachtet, so wird das
Urteil, soweit es den Betrug betrifft, samt den sich darauf beziehenden Feststellungen
aufgehoben, im Übrigen aber die Revision verworfen.
cc) Eigene Entscheidung. Nach § 354 Abs. 1 StPO kann das Revisionsgericht in den 179
dort bezeichneten Fällen selbst endgültig entscheiden. Wird das Urteil etwa nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde
liegenden Feststellungen aufgehoben, so erkennt das Rechtsmittelgericht in der Sache
selbst; so auch, wenn das Tatgericht irrig § 56 Abs. 2 StGB angewendet hatte (vgl.
BGH 24, 365):
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 3. Mai
2013 insoweit aufgehoben, als dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt worden
ist. Die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Der
Angeklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
57
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Das Revisionsgericht erkennt selbst auf eine absolut bestimmte Strafe, wenn das Instanzgericht dies versäumt, also bei Mord keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt
hatte (so BGH NJW 1977, 1545; 1978, 1336).
Das Revisionsgericht kann auch den Schuldspruch berichtigen, wenn die Feststellungen des angefochtenen Urteils dazu ausreichen und nicht ein rechtlicher Hinweis
nach § 265 Abs. 1 StPO nachgeholt werden muss, damit sich der Angeklagte in tatsächlicher Hinsicht anders verteidigen kann. Dies gilt auch dann, wenn der Tatrichter
alle zum Schuldspruch notwendigen Feststellungen getroffen, von einer Verurteilung
aber abgesehen hat, weil er rechtsirrig ein Verfahrenshindernis angenommen hat
(BGH NJW 1952, 1263; OLG Hamburg NJW 1962, 754).
179a § 354 Abs. 1a StPO ermöglicht es dem Revisionsgericht, bei einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen von der Aufhebung des angefochtenen
Urteils abzusehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist, bzw. sogar auf
Antrag der Staatsanwaltschaft die Rechtsfolge angemessen herabzusetzen. Eine Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts nach dieser Vorschrift ist jedoch dann
ausgeschlossen, wenn zugleich eine Änderung des Schuldspruchs, sei es auch infolge
einer Beschränkung nach §§ 154, 154a StPO, veranlasst ist (BVerfG NStZ 2007, 598).
179b Nach § 354 Abs. 1b kann das Revisionsgericht nach Aufhebung des Urteils nur wegen einer Gesetzesverletzung bei der Gesamtstrafenbildung anordnen, dass eine
nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe im Beschlussverfahren
nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. April
2013 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist …
7. Urteile, die nach Zurückverweisung ergehen
a) Vollständig neue Entscheidung
180 Ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben worden, so muss das
nach Zurückverweisung nunmehr mit der Sache befasste Gericht insgesamt eine
neue Entscheidung erlassen. Dabei darf es auch dann, wenn es auf Grund der neuen
Verhandlung zu demselben Ergebnis wie früher kommt, nicht etwa das alte Urteil
»aufrechterhalten«; denn dies Urteil ist aufgehoben.26 Ein Rückgriff auf die Sachdarstellung im aufgehobenen Urteil kann nicht erfolgen, weil eine Bezugnahme auf aufgehobene und daher nicht mehr existente Feststellungen nicht möglich ist (BGH
NStZ-RR 2013, 22); der Tatrichter muss umfassende eigene Feststellungen treffen
und in den Urteilsgründen mitteilen. Nur wenn die neue Hauptverhandlung die
Richtigkeit der Feststellungen des aufgehobenen Urteils ergeben hat, ist es zulässig,
in dem Umfang den Text des aufgehobenen Urteils wörtlich zu übernehmen (BGH
NStZ-RR 2009, 148). Dass das neue Urteil nach einer Zurückverweisung erging, lässt
sich höchstens aus der Kostenentscheidung entnehmen:
Der Angeklagte wird wegen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Er hat die
Kosten des Verfahrens zu tragen, jedoch werden zwei Drittel der Kosten des Revisionsverfahrens
26 Auch mit den aufgehobenen und damit rechtlich nicht mehr existenten Feststellungen des Ausgangsurteils braucht sich der neue Tatrichter nicht beweiswürdigend auseinanderzusetzen, wohl
aber u.U. mit dem früheren Aussageverhalten von Zeugen.
58
V. Besonderheiten
einschließlich der dem Angeklagten dort entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt, die Gebühr für das Revisionsverfahren wird um zwei Drittel ermäßigt.
Wenn die Entscheidung des Revisionsgerichts keinen Ausspruch zur Aufhebung von
Feststellungen enthält, bleiben diese bestehen (BGH NJW 2007, 1540, m.w.N. auf die
abw.M. in der Lit.) Wegen der innerprozessualen Bindungswirkung ist der neue Tatrichter dann an die aufrechterhaltenen Feststellungen des Ersturteils gebunden. Nach
Aufhebung eines freisprechenden Urteils mit den zugehörigen Feststellungen hat der
Tatrichter hingegen ohne Bindung an die im ersten Rechtsgang auch zum Nachteil
von früheren (rechtskräftig verurteilten) Mitangeklagten getroffene Feststellungen
insgesamt neue Feststellungen zu treffen (BGH NStZ 2013, 612).
Wird der Angeklagte rechtskräftig zu Strafe verurteilt, so treffen ihn auch die Kosten
und eigenen Auslagen der weiteren Hauptverhandlung vor dem Tatrichter (BGH 18,
231). Die Kostenentscheidung des endgültigen Urteils umfasst auch die Kosten des
Rechtsmittelzuges; dies braucht nicht ausdrücklich ausgesprochen zu werden.
b) Bei rechtskräftigem Schuldspruch
Hat der Tatrichter nur noch über die Rechtsfolgen neu zu entscheiden, so ist es 181
zwar nicht erforderlich, jedoch im Interesse der Klarheit zweckmäßig, in den Urteilsspruch nicht nur den Strafausspruch, sondern auch den rechtskräftigen Schuldspruch
aufzunehmen (BGH 24, 276). Der Schuldspruch darf wegen der Bindungswirkung
nach § 358 StPO selbstverständlich inhaltlich nicht geändert werden.
Beispiele: Der Angeklagte ist wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 (zehn) Jahren verurteilt. Er trägt die Kosten
des Verfahrens, jedoch werden ein Drittel der Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der
dem Angeklagten dort entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt. Die Gebühr
für den Rechtszug der Revision wird auf zwei Drittel ermäßigt.
oder:
Der Angeklagte ist auf Grund des Urteils des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Dezember 2013 der
Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung schuldig.
Er wird zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
usw. wie oben.
Falsch wäre es auch, im neuen Urteilspruch auf den früheren Rechtsfolgenausspruch
Bezug zu nehmen. Strafe und Nebenstrafe bzw. Maßregeln der Besserung und Sicherung müssen neu ausgesprochen werden. Es wird also nicht die ausgesprochene Strafe
»aufrechterhalten«,
sondern:
Der Angeklagte ist auf Grund des Urteils des Amtsgerichts Erfurt vom 1. Dezember 2013 der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig.
Er wird zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 50 EUR verurteilt. Dem Angeklagten wird für die
Dauer von zwei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Revision.
Da im neuen Verfahren nur noch die Rechtsfolgen festzusetzen sind, ist es auch un- 182
nötig, dass das Gericht in den Gründen seines neuen Urteils die Feststellungen, die
dem rechtskräftigen Schuldspruch zugrunde liegen, oder solche zum Rechtsfolgenausspruch, die nicht aufgehoben sind, wiederholt (BGH NStZ-RR 2002, 235). Dieses Verfahren führt leicht zu Fehlern. Eine Bezugnahme ist zulässig und ausreichend,
wenn sie überhaupt notwendig sein sollte. Die vom neuen Tatrichter zu treffenden
59
Urteile – 2. Abschnitt. Die Urteilsformel
Feststellungen müssen mit den aufrechterhaltenen Feststellungen aus dem früheren
Urteil ein einheitliches und widerspruchsfreies Ganzes bilden. Dabei bleiben sogenannte doppelrelevante Tatsachen, die für den Schuldspruch ebenso wie für den
Strafausspruch Bedeutung haben, bestehen; mit ihnen dürfen sich die neuen Feststellungen nicht in Widerspruch setzen (BGH 24, 275). Die Bindung erstreckt sich auf
alle Umstände, die das Tatgeschehen im Sinne des geschichtlichen Vorgangs näher
beschreiben (BGH 30, 344). Deshalb darf der Tatrichter auch dann, wenn ein Vorgang erstmals in der erneuten Hauptverhandlung voll geklärt werden konnte, aufgrund der dabei erlangten Erkenntnisse keine neuen Tatsachenfeststellungen treffen,
wenn diese in Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen (vgl. dazu im Einzelnen BGH NJW 2007, 1540).
183 Unzulässig ist es, wenn der Tatrichter nach Zurückverweisung im neuen Urteil auf
Feststellungen Bezug nimmt, die den vom Revisionsgericht mit den Feststellungen
aufgehobenen Strafausspruch betreffen; denn dieser ist einschließlich der ihm
zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Das gilt auch für die Feststellungen
über die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten; denn auch diese gehören zum
Strafausspruch. Auch auf sie darf daher – selbst wenn sich in der neuen Verhandlung
dazu genau dasselbe ergeben hat – nicht Bezug genommen werden (BGH NStZ-RR
2013, 22). Ebenfalls zum Strafausspruch gehören Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 21 StGB (BGH NStZ-RR 2009, 148).
183a Eine etwaige Gesamtstrafenbildung nach Aufhebung und Zurückverweisung hat in
der neuen Verhandlung gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 StGB nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung zu erfolgen, weil einem
Revisionsführer ein erlangter Rechtsvorteil nicht genommen werden darf. Zwischen
der ersten und der neuen Verhandlung vollständig vollstreckte Strafen sind daher bei
der Gesamtstrafenbildung zu berücksichtigen (BGHR StGB § 55 Einbeziehung 9;
NStZ-RR 2012, 106).
183b War gegen ein Urteil des Amtsgerichts Berufung und gegen das daraufhin ergangene
Urteil des Landgerichts Revision eingelegt worden, die zur Zurückverweisung an
eine andere Strafkammer des Landgerichts geführt hatte, so kann die nunmehr ergehende Entscheidung des Landgerichts beispielsweise lauten:
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts X vom … wird mit der Maßgabe
verworfen, dass das angeordnete Fahrverbot entfällt. Die Gebühr für das Berufungsverfahren wird
um die Hälfte ermäßigt, die Hälfte der in diesem Rechtszug entstandenen Auslagen und der notwendigen Auslagen des Angeklagten fällt der Staatskasse zur Last; im Übrigen trägt der Angeklagte
die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten
in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
183 c Nach Aufhebung und Zurückverweisung einer Sache nur aufgrund der Revision des
Angeklagten gilt gem. § 358 Abs. 2 S. 1 StPO das Verschlechterungsverbot (reformatio in peius). Dieses schließt nicht nur eine Erhöhung der Gesamtstrafe aus, sondern steht auch einer Erhöhung der Einzelstrafen entgegen (BGHR § 358 Abs. 2
Nachteil 10).
60
3. Abschnitt. Die Bezeichnung der angewendeten Vorschriften
I. Allgemeines
Im schriftlichen Urteil sind nach der Urteilsformel die angewendeten Vorschriften 184
genau nach Gesetz, Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe oder mit einer sonst vom
Gesetzgeber zur genauen Kennzeichnung verwendeten Bezeichnung (Artikel, Absatz) anzugeben (§ 260 Abs. 5 StPO). Zur Angabe des Gesetzes genügt die übliche
Kurzbezeichnung (StGB, WStG, OWiG usw.). Die Liste folgt nach dem Tenor, ist
also nicht dessen Bestandteil. Die gesonderte Zusammenfassung der angewendeten
Vorschriften in einer Liste soll gerade der Entlastung der Urteilsformel dienen. Die
Liste wird daher weder bei der Urteilsverkündung nach § 268 Abs. 2 StPO verlesen,
noch sonst in der Hauptverhandlung bekanntgegeben (BGH NStZ-RR 1997, 166).
Sie braucht also bei der Verkündung des Urteils noch nicht aufgestellt zu sein. Es
empfiehlt sich aber, sie im Beratungszimmer vor der Urteilsverkündung niederzuschreiben; denn dies dient der Selbstkontrolle des Gerichts, dessen Urteil ja auf den
angewendeten Vorschriften beruht.
Bei mehreren Angeklagten sind für jeden die angewendeten Vorschriften gesondert
anzugeben, um so eine korrekte Erfassung der Verurteilung eines jeden Angeklagten
im Bundeszentralregister und in anderen Registern sicherzustellen (Nr. 141 Abs. 1
S. 4 RiStBV; BGH NStZ-RR [C/Z] 2010, 73). Es heißt dann:
Angewendete Vorschriften:
Angeklagter A: §§ 242, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 68 Abs. 1, 245 StGB;
Angeklagter B: §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 267, 53 StGB.
Von einer gesonderten Liste für jeden Angeklagten kann nur abgesehen werden,
wenn gegen alle Angeklagten ohne Unterschied dieselben Vorschriften angewendet
werden.
§ 260 Abs. 5 StPO gilt auch, wenn im Urteil nur eine Ordnungswidrigkeit angenommen und daher nur auf Geldbuße erkannt wird. Er ist auch im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG anzuwenden (§ 72 Abs. 4 S. 2 OWiG).
II. Einzelheiten
1. Verurteilung
Bei Verurteilung besteht die Liste aus einem Schuldspruch- und einem Rechtsfol- 185
genteil, die beide aber nicht voneinander getrennt werden.
a) Schuldspruch
Zunächst sind die angewandten Straftatbestände, aus denen sich die rechtliche Be- 186
zeichnung der Straftat (oben Rn. 42) ergibt, aufzunehmen, wozu auch die einschlägigen Qualifizierungen und Modalitäten gehören, dann die Art des Verschuldens (also
nicht nur § 315c Abs. 3, sondern § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB, ggf. § 21
StGB), die Beteiligung (z.B. §§ 25 Abs. 2, 26, 27 StGB), besondere Formen der Tatbe-
61
Urteile – 3. Abschnitt. Bezeichnung der angewendeten Vorschriften
standsverwirklichung (§§ 22, 30 StGB) oder der Begehensform (§ 13 StGB). Schließlich darf die Angabe des Konkurrenzverhältnisses (§§ 52 ff. StGB) nicht fehlen.
b) Rechtsfolgenausspruch
187 Die genaue Angabe der die angeordneten Rechtsfolgen bezeichnenden Bestimmungen ist besonders wichtig, weil die Liste auch eine Grundlage für die Mitteilung an
das Bundeszentralregister und andere Register ist und deren Auskünfte damit »aussagekräftig« machen soll. Nicht erforderlich ist es allerdings, bei Freiheitsstrafen die
§§ 38, 39 StGB oder bei Geldstrafen die §§ 40, 43 StGB sowie die allgemeinen Strafbemessungsvorschriften der §§ 46, 47 StGB aufzuführen; denn dass wegen der Straftat Freiheits- oder Geldstrafe verhängt werden darf, ergibt sich bereits aus der angewendeten Strafvorschrift. Wohl aber ist bei Verhängung einer Zusatzgeldstrafe § 41
StGB und bei Anordnung einer Teilzahlungsbefugnis § 42 StGB anzugeben. Ist die
Strafe gem. § 49 StGB gemildert worden, sollte auch diese Vorschrift vermerkt werden.
188 Sind bei der Festsetzung der Strafe Strafmilderungs- oder Strafschärfungsvorschriften angewendet worden, so müssen sie in der Liste (aber nicht im Tenor, vgl.
oben Rn. 49f.) erscheinen; also z.B. §§ 243, 248a, 263 Abs. 3 StGB usw. Wird bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe die besondere Schwere der Schuld bejaht
(vgl. oben Rn. 155), ist § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB anzuführen.
189 Bei Strafaussetzung zur Bewährung sind § 56 StGB bzw. §§ 14 f. WStG anzugeben,
ebenso bei Aussetzung der Unterbringung § 67b StGB oder bei Anordnung von Führungsaufsicht § 68 Abs. 1 StGB und die entsprechende Vorschrift (etwa § 245 StGB).
190 Wurden Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet, sind die angewendeten Vorschriften genau aufzuführen (nicht nur § 61 Nr. 1, sondern § 63 StGB, nicht
§ 61 Nr. 6 sondern § 70 StGB). Das gleiche gilt für Nebenstrafen (§ 44 StGB), Nebenfolgen (§§ 45, 165, 200 StGB), sowie sonstige Maßnahmen (§§ 73 ff. StGB).
191 Bei Verurteilung wegen einer aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangenen Straftat zu einer Freiheitsstrafe (auch Gesamtfreiheitsstrafe) von nicht mehr als
zwei Jahren ist neben den übrigen angewendeten Vorschriften stets auch § 17 Abs. 2
BZRG anzuführen (§ 260 Abs. 5 S. 2 StPO).
c) Annexentscheidungen
192 Die für die Kosten- und Auslagenentscheidung maßgeblichen Bestimmungen (also
§§ 464 ff. StPO) brauchen ebenso wenig aufgenommen zu werden wie die Vorschriften, nach denen sich die Entscheidung über die Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen richtet (§§ 2 ff. StrEG). Auch die Bestimmungen, die die
zugleich mit dem Urteil verkündeten Beschlüsse (§§ 268 a, b StPO) betreffen, sind
nicht aufzuführen.
2. Freispruch
193 Die Vorschriften, auf denen die zugelassene Anklage beruhte, werden im Fall der
Freisprechung gerade nicht angewendet. Eine Liste über diese Vorschriften ist also
nicht zu erstellen. Bei Freispruch hat § 260 Abs. 5 StPO daher nur Bedeutung, wenn
die Nichtverurteilung wegen Schuldunfähigkeit erfolgt – dann ist § 20 StGB anzufüh62
II. Einzelheiten
ren – oder wenn neben dem Freispruch Rechtsfolgen angeordnet werden, also
z.B. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, Entziehung der Fahrerlaubnis oder Berufsverbot. Dann sind §§ 63, 64, 69, 70
StGB anzugeben. Das gleiche gilt bei Anordnung des Verfalls oder der Einziehung
(§§ 73 ff. StGB). Die für die Annexentscheidungen geltenden Vorschriften werden
auch hier nicht angeführt.
3. Einstellung
Bei einem Einstellungsurteil wird in der Liste die Vorschrift angeführt, aus der sich 194
das Verfahrenshindernis ergibt. Wurde der Strafantrag zurückgenommen, so ist § 77d
Abs. 1 StGB anzugeben, bei Verjährung wird § 78 StGB bzw. § 31 OWiG aufgeführt.
Es wird hier allerdings auch Fälle geben, in denen die Angabe einer Vorschrift nicht
möglich ist: Falls z.B. der Eröffnungsbeschluss fehlte, wäre es sinnlos und unverständlich, hier etwa § 207 StPO zu bezeichnen. Für die selbständige Anordnung von
Verfall und Einziehung sowie für die Annexentscheidungen gilt dasselbe wie beim
Freispruch.
4. Rechtsmittelentscheidung
Das Rechtsmittelgericht hat, wenn es in der Sache selbst entscheidet, ebenso wie das 195
Gericht erster Instanz die angewendeten Vorschriften anzugeben. Wird das Rechtsmittel hingegen lediglich (als unzulässig oder unbegründet) verworfen, so entfällt die
Aufstellung einer Liste; es bleibt dann bei der Liste des angefochtenen Urteils. Das
Rechtsmittelgericht ist allerdings befugt, die Liste zu ändern oder zu vervollständigen, wenn sie das Ergebnis des Urteilstenors und der Urteilsgründe unrichtig oder
unvollständig wiedergibt, oder die Liste anzufügen, wenn sie ganz fehlt (BGH NJW
1986, 1116). Das gilt auch, wenn ein Teil des Urteils bereits unanfechtbar geworden
ist.
5. Berichtigung
Das Gericht kann die Liste der angewendeten Vorschriften selbst berichtigen, wenn 196
das Beratungsergebnis in ihr nicht richtig oder nicht vollständig enthalten ist. Eine
solche Berichtigung darf aber nicht dazu dienen, einen Teil des Urteils rechtlich zu
korrigieren; denn es handelt sich dabei um eine »nur formale« Ergänzung, nicht um
eine sachliche Änderung (vgl. BayObLG MDR 1972, 342).
63
4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
I. Allgemeines
1. Bedeutung
197 Während die Urteilsformel der wichtigste Teil des Urteils ist, sind die Urteilsgründe
dessen schwierigster Teil. Ein Urteil so zu begründen, dass alles Wesentliche, aber
auch nichts als dies darin steht, ist nicht leicht.1 Dabei ist zu bedenken, dass die
Gründe einerseits das Rechtsmittelgericht von der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung überzeugen, andererseits aber auch für den Angeklagten und die Öffentlichkeit verständlich sein sollen. Daher ist dringend davon abzuraten, die Urteilsgründe unter Verwendung eines Vordrucks oder vorgefertigter Textbausteine
abzufassen. Ein solches Verfahren wäre auch rechtlich unzulässig und das Urteil auf
die Sachrüge aufzuheben, wenn der Vordruck schon von vornherein so allgemein
gehalten ist, dass er zwar für Fälle gleicher Art passt, damit aber die Darlegung der
Besonderheiten des zur Aburteilung stehenden Tatgeschehens entfällt.
198 Den notwendigen Inhalt der Urteilsgründe umreißt § 267 StPO. Obwohl diese Vorschrift im Laufe der Jahre immer mehr ausgeweitet und nunmehr zur umfangreichsten Vorschrift der gesamten StPO geworden ist, enthält sie keineswegs alles das, was
bei der Abfassung der Urteilsgründe zu beachten ist. Die Wichtigkeit der Urteilsgründe zeigt sich daran, dass der zwingende Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO
gegeben ist, wenn ein Urteil überhaupt keine Gründe enthält; ein solches Urteil würde aber auch auf die allgemeine Sachrüge hin aufgehoben werden müssen. Das letztere gilt auch, wenn ein Urteil irrtümlich in abgekürzter Form gem. § 267 Abs. 4 oder
Abs. 5 S. 2 StPO abgefasst wurde; eine nachträgliche Urteilsergänzung (etwa entsprechend § 267 Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 3) ist in diesem Fall nicht möglich (BayObLG
NStZ 1992, 136 m.w.N.; differenzierend für das Bußgeldverfahren BGH 43, 22). Die
Vorschrift des § 338 Nr. 7 StPO kann jedoch nicht auf solche mangelhaften Entscheidungsgründe ausgedehnt werden.
2. Unterschied zum Zivilurteil
199 Während das Zivilurteil in »Tatbestand« und »Entscheidungsgründe« zerfällt, kennt
das Strafurteil nur »Gründe«. Der Ausdruck des Zivilprozesses »Entscheidungsgründe« wird von der Strafprozessordnung nur ausnahmsweise gebraucht (§ 338
Nr. 7); regelmäßig spricht das Gesetz von »Urteilsgründen« (§§ 267, 268), daneben
von »Gründen« (§ 275).
200 Die Grundlage des Zivilurteils bildet das mündliche Vorbringen der Parteien, dem
eine ganz andere Bedeutung zukommt als im Strafverfahren. Im Zivilprozess wird
nur um Privatrechte gestritten, die der Parteiverfügung unterliegen. Den Parteien
steht im Rahmen der §§ 137ff. ZPO die freie Herrschaft darüber zu, was sie dem Gericht vortragen wollen. Das nicht Vorgetragene gilt als nicht vorhanden. Was die Parteien übereinstimmend erklären, was der Beklagte zugibt, gilt als wahr, mag auch das
1 Ein anschauliches Beispiel, wie sich der Tatrichter durch weitschweifige, nicht auf das Wesentliche
konzentrierte Ausführungen den Unmut des Revisionsgerichts zuziehen kann, bietet die lesenswerte Entscheidung BGH NStZ 2007, 720.
64
I. Allgemeines
Gegenteil bezeugt sein. Da die Schriftsätze nur vorbereitender Natur und, solange
nicht vorgetragen, ohne Bedeutung sind, bestimmt das Gesetz, dass das Urteil den
Parteivortrag in einem besonderen Tatbestand zusammenzufassen hat.
Ganz anders im Strafprozess. Hier handelt es sich um öffentliches, der Verfügung 201
der Prozessbeteiligten entzogenes Recht. Der Richter ermittelt von Amts wegen die
Wahrheit, kein Geständnis des Angeklagten, keine Erklärung der Staatsanwaltschaft
bindet ihn bei der Beweiswürdigung. Die Tat, die seiner Beurteilung unterliegt, ist in
der Anklage genau bezeichnet. Daher bedarf es eines die Anträge und das Vorbringen
der Prozessbeteiligten wiedergebenden Tatbestandes und einer Darstellung der Prozessgeschichte nicht. Vieles von dem, was im Tatbestand des Zivilurteils zusammengefasst wird, gehört in das Straferkenntnis überhaupt nicht, die Gründe haben lediglich darzulegen, ob die in der zugelassenen Anklage gekennzeichnete Tat erwiesen ist
und ob sie eine Straftat bildet.
Mit anderen Worten: Der Urteilsverfasser soll den Diebstahl, den Betrug usw., um
den es sich handelt, erzählen, nicht aber, wie es zur Anklage gekommen und wie das
Verfahren verlaufen ist.
Unrichtig ist es demnach, das Urteil damit zu beginnen, dass gegen den Angeklagten 202
wegen der und der Straftat Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet, dass
die Hauptverhandlung zweimal auf Beweisanträge hin vertagt worden sei, dass Beweis erhoben worden sei durch Vernehmung der Zeugen A. bis F. und durch Verlesung der und der Akten; die Zeugen hätten das und das ausgesagt, auf eine Vernehmung des Zeugen G. sei verzichtet, die Aussagen der auswärts vernommenen Zeugen
H. und J. seien verlesen worden, da die Voraussetzungen der §§ 223, 224 StPO vorgelegen hätten. Ebenso sind Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln von
Rechts wegen nicht geboten. Sie sind regelmäßig sogar tunlichst zu unterlassen, um
die schriftlichen Urteilsgründe nicht zu überfrachten (BGH NStZ-RR 2007, 244; zu
Ausnahmen vgl. BGH NJW 2006, 1361). Überflüssig ist es auch, im Allgemeinen zu
erzählen, die Strafkammer habe den Angeklagten wegen falscher Verdächtigung verurteilt, das Ober-Gericht auf eingelegte Revision das Urteil aus den und den Gründen aufgehoben und in der erneuten Verhandlung sei unter Berücksichtigung der
vom Ober-Gericht aufgestellten Grundsätze Folgendes für erwiesen erachtet. In den
Fällen, in denen Vorgänge des Verfahrens eine sachliche Bedeutung besitzen, sind sie
demgegenüber aber zu erwähnen. Will das Gericht etwa von der rechtlichen Auffassung des Eröffnungsbeschlusses abweichen, oder sind Zweifel an der Identität der Tat
entstanden, so müssen der Eröffnungsbeschluss und die Anklage herangezogen werden; wird eingewendet, es sei Verjährung eingetreten, muss angeführt werden, wodurch die Verjährung unterbrochen wurde (§ 78 c StGB).
3. Frist zur Fertigstellung
§ 275 Abs. 1 S. 1 StPO bestimmt, dass das Urteil unverzüglich schriftlich abzusetzen 203
ist (dazu BVerfG StV 2006, 81). Dass das Urteil bereits vollständig in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen wird, kommt in der Praxis bei einer Verhandlung
im beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff. StPO), sonst kaum vor.
Hat die Hauptverhandlung nicht mehr als drei Tage gedauert, so muss das Urteil spä- 204
testens fünf Wochen danach vollständig (also nicht nur die Gründe, sondern auch
mit Rubrum, Tenor und Unterschriften) zu den Akten – d.h. auf den Weg zur Ge65
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
schäftsstelle (BGH 29, 43) – gebracht sein, wobei § 43 StPO für die Berechnung der
Frist gilt (BGH bei Holtz MDR 1980, 815). Bei mehr als drei Verhandlungstagen verlängert sich die Frist entsprechend der Dauer der Hauptverhandlung (§ 275 Abs. 1
S. 2 und 3); sie beträgt bei 4 bis 10-tägiger Hauptverhandlung 7 Wochen, bei 11 bis
20-tägiger 9 Wochen, bei 21 bis 30-tägiger 11 Wochen usw. (BGH 35, 259). Die gesetzliche Fristverlängerung des § 43 Abs. 2 StPO gilt für Feiertage nur, wenn diese am
Ort des Gerichts, bei dem die Frist gewahrt werden muss, staatlich anerkannt sind
(für Buß- und Bettag vgl. BGH NStZ 2008, 55). Nur ein unvorhersehbarer und unabwendbarer Umstand rechtfertigt im Einzelfall eine Fristüberschreitung (§ 275
Abs. 1 S. 4). Zu den voraussehbaren, vermeidbaren Umständen gehört in erster Linie
alles, was die Organisation der Justiz betrifft, also insbesondere die arbeitsmäßige
Entlastung des Richters von anderen Dienstgeschäften zur Fertigstellung der Urteilsgründe (BGH NStZ 2011,358). Die Revisionsgerichte stellen hier strenge Anforderungen; so sind Urlaub oder Erkrankung des Berichterstatters nicht schlechthin die
Verzögerung rechtfertigende Umstände (vgl. dazu BGH 26, 247; NStZ-RR 2011,118;
OLG Koblenz StV 2009, 11; wohl aber das überraschende Versterben des Berichterstatters, BGH NStZ-RR 2007, 88), nicht die Überlastung des Richters (BGH NStZ
2008, 55) oder der Schreibkanzlei (BayObLG StV 1986, 145), ebenso wenig die Versetzung eines Richters an ein anderes Gericht (BGH NStZ 2011, 358), schon gar
nicht eine fehlerhafte Fristberechnung (BGH NStZ 2008, 55; NStZ-RR 2011, 118).
Nach Ablauf der Frist kann die Unterschrift nicht mehr nachgeholt (BGH bei Holtz
MDR 1978, 988) und auch nicht durch die Unterschrift eines anderen Richters ersetzt
werden, wenn sich herausstellt, dass ein Richter unterschrieben hatte, der an der Verhandlung nicht beteiligt war (OLG Düsseldorf MDR 1981, 424). Die Vorschriften
gelten auch für das Bußgeldverfahren (OLG Frankfurt StraFo 2013, 121). Eine Überschreitung der Höchstfrist ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 338 Nr. 7 StPO); auch
die Staatsanwaltschaft kann sich hierauf berufen (BGH NStZ 1985, 184). Wenn die
Frist nicht eingehalten werden konnte, sollte der Richter daher den Grund der
Nichteinhaltung in den Akten vermerken (Nr. 141 Abs. 3 RiStBV). Durch die Erkrankung des (einzigen) Richters wird der Fristenlauf weder gehemmt noch unterbrochen. Die Urteilsabsetzungsfrist wird also nicht um eventuelle Krankheitszeiten
verlängert. Ist der Hinderungsgrund entfallen – der Richter z.B. wieder gesund –, ist
das Urteil schnellstmöglich, notfalls unter Zurückstellung anderer Arbeiten, zu fertigen (OLG Düsseldorf wistra 2008, 77). Zu weiteren Einzelheiten vgl. Rieß NStZ
1982, 44.
205 Es empfiehlt sich, das Urteil möglichst bald nach seinem Erlass abzufassen; denn je
frischer die Vorgänge der Verhandlung im Gedächtnis haften, um so leichter fällt die
Fertigung der schriftlichen Gründe. Zwar wird der Richter in der Regel abwarten, ob
gegen das Urteil ein Rechtsmittel eingelegt wird; denn die bei Rechtskraft des Urteils
mögliche abgekürzte Fassung (dazu unten Rn. 613, 639) bedeutet eine erhebliche Arbeitsersparnis. Ist aber ein Rechtsmittel eingelegt worden, so sollte der Richter nicht
zögern, das Urteil niederzuschreiben oder zu diktieren, damit sich nicht zu viele neue
Verhandlungen mit neuen Eindrücken zwischen Urteilserlass und Urteilsniederschrift schieben.
206 Nach Zustellung der Urteilsgründe an einen Verfahrensbeteiligten ist eine Ergänzung
der Gründe nicht mehr möglich (OLG Hamburg MDR 1978, 274). Die nachträglich
erklärte Zustimmung eines Richters der Strafkammer zum Text der Urteilsgründe vermag die fehlende Unterschrift bei Fristablauf nicht zu heilen (BGH 27, 334).
66
I. Allgemeines
4. Stil
Ein gelungenes Urteil zeichnet sich auch durch einen guten Stil aus. Der Richter soll 207
nicht nur richtiges Recht sprechen, sondern auch das Recht richtig sprechen (Jasper
MDR 1986, 200; vgl. auch Barfuß DRiZ 1987, 49; Vultejus ZRP 2008, 130; Appl, FS
Rissing-van Saan, 2011, S. 35, 54; Steinberg/Rüping JZ 2012, 182). Dabei ist die Sprache das Werkzeug des Juristen, das es zu pflegen und zu verbessern gilt. Stilfehler
sind ebenso schlimm wie Rechtschreibfehler; deshalb sollte in einem Kollegialgericht
jeder Richter darauf achten, dass sie vermieden werden.
a) Das erste Erfordernis des Stils ist die Klarheit. Klar schreiben kann freilich nur, 208
wer klar denkt, eine Eigenschaft, die man bei jedem Juristen sollte voraussetzen dürfen. Ein guter Stil ist ein Zeichen klaren Denkens; hinter einer weitschweifigen, verwickelten Darstellungsweise verbirgt sich meist Unklarheit der Gedanken.
Klarheit hängt mit Knappheit eng zusammen. Der Richter soll keine endlosen, cice- 209
ronianischen Satzgefüge, keine lateinischen Schachtelsätze, sondern kurze, leicht verständliche Sätze schreiben. Es gibt in der Rechtsprechung berüchtigte Beispiele von
Bandwurmsätzen, so die Erklärung des Begriffs der »Eisenbahn« in RGZ 1, 247 (252)
und das in RG 75, 51 angeführte Urteil des Landgerichts, in dem es heißt:
»Da nach den Bekundungen der Sachverständigen, wenn der Angeklagte von dem Zeitpunkt an, wo
ihn seine Tochter auf das Schmecken des Öhmds aufmerksam gemacht, oder auch zu dem Zeitpunkt, wo er selbst den Öhmdstock untersucht habe, also am 4. und 5. Oktober, die Heustocksonde zwecks Untersuchung des Öhmdstocks angefordert hätte, selbst noch am Vortage des Brandes
die Inbrandsetzung des Gebäudes selbst . . . hätte verhindert werden können, sofern die Untersuchung des Öhmdstockes durch die Sondenmannschaft sachgemäß vorgenommen worden wäre,
was angenommen werden dürfte, da die Feuerwehr überall in der Anwendung der Sondenbekämpfung der Haustockbrände unterrichtet sei, so sei auch diese Unterlassung der Zuziehung der Sonde
eine der Ursachen gewesen, die den Brand des Gebäudes veranlasst hätten.«
Solche Satzungetüme finden sich leider auch in neuerer Zeit immer wieder in gerichtlichen Entscheidungen, und es kommt vor, dass Urteile von den übergeordneten Gerichten aufgehoben werden, weil ihre in solchen Schachtelsätzen gehaltenen Darlegungen unverständlich sind und daher Denkfehler nicht als ausgeschlossen
erscheinen lassen. Aus dem Urteil einer Strafkammer stammt folgender Satz:
»Der Angeklagte wusste, dass seine Vermögenslage so schlecht war, dass er keine Kreditmöglichkeiten von seiten einer Bank mehr hatte, dass er den bereits bestehenden Verpflichtungen nicht mehr
nachkommen kann, und dass er auch bei Berücksichtigung der noch laufenden Geschäfte künftige
Zahlungszusagen nicht mehr erfüllen kann, es sei denn, dass er im Zeitpunkt der Fälligkeit der Verpflichtung rein zufällig und ohne dass er eine solche Möglichkeit in einem vernünftigen Geschäftsplan einbauen könnte, Geldmittel auftreiben wird können, die zur Erfüllung der einen oder anderen
oder Teile einer Verpflichtung Verwendung finden können, wenn sie dem Zugriff anderer Gläubiger
entzogen werden könnten.«
Auch Gutachten sind mitunter wegen ihrer Schachtelsätze berüchtigt; z.B.:
»Es ist nicht angängig, die von der Polizei allgemein auf die Achsen der beiden Fahrzeuge bezogenen
Maßfeststellungen – auch Auslauf des DKW-PKW auf Achse und nicht Stoßstange bezogen! – bei
dem Opel-PKW auf die rechten Enden der Vorder- und Hinter-Stoßstange abzuändern, um zu versuchen, das dem Opel-Fahrer vorgeworfene und selbst bei Abänderung des Bezuges der festgestellten Maße auf die rechten Stoßstangenenden des Opel-PKW nur bei momentanem Steuerungseinschlag ganz nach links möglich erscheinende – Schrägverfahren in die Endstellung mit der Spitze
des PKW um 80 cm über Straßenbreitenmitte hinaus zu erklären, weil keine Querrutsch-Spuren der
67
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Vorderräder des PKW gefunden wurden.«
210 Solche vollgepfropften Bandwurmsätze sind zu vermeiden. Der beste Prüfstein, das
Satzungeheuer zu erkennen, ist, das Geschriebene langsam sich selbst vorzulesen; in
die Sprache des gesprochenen Wortes schleichen sich solche Stilblüten nicht ein, weil
sie dort unmöglich sind. Die Regel muss sein: Nicht (aus Trägheit) Satzteil an Satzteil
flicken und auch nicht im Satz seine Gedanken bunt durcheinander werfen, sondern
kurze Hauptsätze bilden und Nebensätze nur für Nebensächliches verwenden. Mit
Hilfe von Satzzeichen (Doppelpunkt, Strichpunkt, Gedankenstrich) lässt sich leicht
Klarheit in das Satzgefüge bringen.
Falsch ist:
»Der Polizeimeister wiederholte seine Aufforderung nunmehr zum dritten Mal, die vom Angeklagten, der angetrunken war, ebenfalls nicht befolgt wurde.«
Richtig muss es heißen:
»Der Polizeimeister wiederholte seine Aufforderung nunmehr zum dritten Mal. Auch diese befolgte
der angetrunkene Angeklagte nicht.«
211 b) Eine gleichermaßen verbreitete Stilkrankheit ist die Anhäufung von Hauptwörtern auf -heit, -keit, -ung und ihre Verbindung mit einem Zeitwort. Diese Hauptworte sind »die Totengräber unserer Muttersprache« (Schneider JZ 1955, 267; vgl.
auch Pohl S. 162 ff.).
Falsch ist also:
»Der Antrag der Verteidigung auf Protokollierung und Beeidigung der Aussagen des Zeugen Müller
ist von seiten der Strafkammer im Beschlusswege abgelehnt worden.«
vielmehr:
»Der Verteidiger hat beantragt, die Aussagen des Zeugen Müller zu protokollieren und den Zeugen
zu vereidigen. Die Strafkammer hat diesen Antrag durch Beschluss abgelehnt.«
Solche Stilblüten finden sich in allen möglichen Abwandlungen, z.B.:
»Das Schriftstück kommt (oder: gelangt) zur Verlesung, statt: es wird verlesen;
eine Untersuchung anstellen, statt: untersuchen;
in Erwägung ziehen, statt: erwägen;
ein Urteil unterliegt, verfällt der Aufhebung, statt: es wird aufgehoben;
es kommt zur Verkündung, statt: es wird verkündet;
ein Urteil kommt zur Vollstreckung, statt: es wird vollstreckt;
ein derartiger Fall ist vorliegend nicht gegeben, statt: dieser Fall liegt nicht vor.«
212 Hierher gehört auch der Missbrauch des Wortes »erfolgt«: Solche Stilblüten säen und
ernten nicht, sie rufen nicht auf und teilen nicht zu, sie bestrafen und benachrichtigen
nicht. Alles »erfolgt«, Saat und Ernte, Widerruf und Zuteilung, Bestrafung und Benachrichtigung. Es ist farblos, zeugt von geistiger Trägheit und führt zur Häufung
von Hauptwörtern, wo zugunsten einer flüssigen Redeweise die entsprechenden
Zeitwörter stehen müssten.
213 Umgekehrt ist es eine schlechte Angewohnheit, Hauptworte in Tätigkeitsworte umzuwandeln, z.B. »beanzeigt«.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Unsitte, die Leideform (Passiv) gegenüber
der Tätigkeitsform (Aktiv) zu bevorzugen.
68
I. Allgemeines
»Seitens des Angeklagten ist behauptet worden«,
statt richtig:
»Der Angeklagte hat behauptet«,
und falsch:
»Seitens des A. und des B. wurde ein Kaufvertrag geschlossen«,
statt richtig:
»A. und B. schlossen einen Kaufvertrag ab.«
c) Die Ausdrucksweise des Richters soll schlicht und würdig sein, frei von Ziererei, 214
Schwulst, Ironie und tönendem Wortschwall, von niedrigen und mundartlichen Ausdrücken, von scherzhaften Wendungen, von Füll-, Mode- und Blähworten (BGH
NStZ-RR [K] 2000, 293). Denn der Richter übt, wenn er das Urteil erlässt, ein Hoheitsrecht des Staates aus.
Zu vermeiden sind also geschraubte, gesuchte Ausdrücke wie: andersgelagerte Fälle, allenfalsiger
Schaden, getätigter Vertrag, zur Inhaftnahme bringen, die Strafe in Wegfall bringen, eine Strafe auswerfen (statt auf eine Strafe erkennen), eine Strafe »ansiedeln«, unter Zuhilfenahme der Polizei
(statt durch die Polizei).
Der Satz »Die Aussage des Zeugen ist eine glaubwürdige«, ist doppelt fehlerhaft: Die Wortstellung
lautet richtig: »Die Aussage des Zeugen ist glaubwürdig«, und inhaltlich muss es heißen: »Die Aussage des Zeugen ist glaubhaft« (denn der Zeuge ist »glaubwürdig«, die Aussage ist »glaubhaft«).
Die Worte »derselbe« und »dasselbe« sind wenn möglich durch »er«, »sie« und »es« zu ersetzen
(»Der Dieb nahm das Paket an sich und verschwand mit demselben statt: »mit ihm«; »der Vater
desselben« statt: »sein Vater«).
Das Wort »welcher« durch »der« (»Der Beamte, welcher den Angeklagten gestellt hat, war der Polizeimeister Müller« statt: »der Beamte, der den Angeklagten gestellt hat, war der Polizeimeister
Müller«).
Die Worte »bezüglich« und »beziehungsweise« durch »oder« oder »und«, nicht: »nach Maßgabe
dieser Vorschrift«, sondern: »nach dieser Vorschrift«, nicht: »ausweislich der Niederschrift« oder
»ausweislich des Strafregisterauszuges«, sondern: »nach der Niederschrift« und »nach dem Strafregisterauszug«.
Die kurzen Worte »nach«, »aus«, »von« sind besser als »in Ansehung«, »ausweislich«, »im Wege«,
»seitens«.
Vorsicht ist vor dem Wort »zweifellos« oder »zweifelsohne« geboten, mit dem der Verfasser Bequemlichkeit verrät. Superlative sind zumeist unangebracht und wirken oft peinlich, wenn es z.B.
heißt: Diese Strafe ist »unbedingt erforderlich« oder »liegt am untersten Rand des Vertretbaren«.
Übertreibungen wie »durchaus«, »entschieden«, »eindeutig«, »in keiner Weise« (man liest mitunter sogar »in keinster Weise«) sind ebenso entbehrlich wie Ausdrücke wie »selbstverständlich«,
»selbstredend«, »zur vollen oder sicheren Überzeugung des Gerichts«, »bedarf keiner weiteren Begründung«, »ist völlig abwegig«, »ist ganz offensichtlich falsch«, ist »höchst unbillig« usw.
Füll- und Flickwörter wie »letztendlich«, »schlussendlich« (statt schließlich oder endlich), »nun«,
»ja«, »eigentlich«, »übrigens« sind meist Zeichen von Stilschlamperei. Sog. Blähworte sind »dahingehend, dass …« und »weiterhin«; sie können immer vermieden werden.
Der Hinweis auf die »uneingeschränkte Überzeugung« der Strafkammer vermag 215
eine Begründung nicht zu ersetzen (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 495
Nr. 19); gerade, wenn immer wieder betont wird, etwas entspreche der »sicheren«
oder »festen« Überzeugung des Gerichts, erweckt dies eher den Eindruck, dass Unsicherheiten durch starke Ausdrücke überspielt werden sollen (vgl. auch BGH NStZRR 2001, 130). Der Satz, dieses Ergebnis entspreche der »einstimmigen Ansicht der
Strafkammer«, verletzt sogar das Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG).
69
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Folgender Satz aus einem Strafkammerurteil bildet ein Beispiel für die unschöne Aneinanderreihung von Satzteilen mit der Verwendung eines umgangssprachlichen
Wortes, das in den Urteilsgründen nicht gebraucht werden sollte:
Nur um seine Ehefrau, die ihn schon des Öfteren hinausgeschmissen hatte, an sich zu binden, hat er
dieser Wünsche und Bedürfnisse erfüllt, welche erhebliche finanzielle Aufwendungen verursachten,
die weit über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinausgingen.
216 In letzter Zeit wird leider das Füllwort »vorliegend« immer häufiger – zunehmend
auch in Entscheidungen der Obergerichte – verwendet. In einem Beschluss des LG
Frankfurt (StV 1990, 490) wird ausgeführt:
Selbst wenn vorliegend die Voraussetzungen des § 129 StGB (hinreichender Tatverdacht) gegeben
gewesen wären, wäre die 23. große StrK als Hessische Staatsschutzkammer für die Durchführung
des vorliegenden Strafverfahrens ebenfalls funktionell unzuständig (§ 74 a Abs. 1 Ziff. 4 letzter Hs.
GVG). Nach dieser Vorschrift ist die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer trotz einer Zuwiderhandlung gegen das Vereinigungsverbot des § 129 StGB dann nicht gegeben, »… wenn dieselbe
Handlung eine Straftat nach dem BtMG darstellt.« Dieser Fall ist aber vorliegend gegeben. Gemäß
der Anklageschrift vom 30. 6. 1989 sind sowohl der Angekl. G., als auch der Angekl. D., als auch der
Angekl. G., als auch der Angekl. O., als auch der Angekl. S. wegen Verstoßes gegen das BtMG angeklagt. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob allein schon deswegen die funktionelle Zuständigkeit der 23. StrK gemäß § 74 a Abs. 1 Ziff. 4 GVG entfallen würde, da vorliegend gemäß der Anklage den Angekl. vorgeworfen wird, im Rahmen der kriminellen Vereinigung drei Komplexe von
Straftaten begangen zu haben.
Das Wort »vorliegend« kommt also fünfmal vor; es ist in allen Fällen überflüssig.
In einem Beschluss des OLG Frankfurt (StV 1993, 463) heißt es gar: »Vorliegend liegt
ein Verfahrensfehler vor« statt »Hier« oder noch einfacher »Es liegt ein Verfahrensfehler vor«. Ähnlich zwei Entscheidungen des OLG Hamm (StV 1999, 11 und NStZRR 2001, 301): »…weil der Angeklagte vorliegend unfähig war, sich selbst zu verteidigen« und »Vorliegend hat der Strafrichter hinsichtlich der Frage, ob ein Nachschlüsseldiebstahl vorliegt, lückenhafte Feststellungen getroffen. Und das OLG Düsseldorf (NStZ-RR 2001, 304) schreibt: »Vorliegend ist die schriftlich erteilte
Vollmacht in dem vorliegenden Strafverfahren von den Eltern unterzeichnet worden«.
217 Mit dem Erlass eines Urteils übt der Richter ein Hoheitsrecht des Staates aus. Urteilsgründe in Gedichtsform abzufassen (vgl. LG Frankfurt NJW 1982, 650), ist mit
der Würde des Gerichts nicht vereinbar, auch wenn der Inhalt des Gedichts den Anforderungen des Gesetzes entspricht. Die Urteilsgründe sollen sich daher auch nicht
»lustig« oder »satirisch« geben (vgl. LG Köln NJW 1987, 1421 und AG München
NJW 1987, 1425; dagegen mit Recht Putzo NJW 1987, 1426; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1990, 2009 und dazu Beaumont NJW 1989, 372; 1990, 1969; eingehend
Sendler NJW 1995, 847 »über sog. humoristische Urteile«; das Urteil des AG Rheine
NJW 1995, 894 ist zwar amüsant zu lesen, aber gleichwohl in der Form unangemessen). Der BGH betont, dass Strafurteile auch nicht wie Kriminalromane abgefasst
werden dürfen, da dies mit der Würde des Gerichts nicht vereinbar ist und der Tragik
der abgeurteilten Verbrechen nicht gerecht wird (NStZ-RR [K] 1999, 261). Dass das
Urteil seiner äußeren Form und Beschaffenheit nach so aussehen muss, wie es von
einer öffentlichen Urkunde erwartet wird, ist selbstverständlich.
70
I. Allgemeines
d) Das Urteil darf keine Sprachfehler enthalten.
218
Das Urteil darf keine Sprachfehler enthalten. Gutes und richtiges Deutsch sollte selbstverständlich sein. Nachlässigkeiten in diesem Punkt könnten den Verdacht aufkommen
lassen, auch die inhaltliche, vornehmlich die rechtliche Qualität, sei in gleicher Weise
zweifelhaft (Winkler SchlHA 2006, 246). Bekannte Beispiele von Sprachschnitzern der
Gesetzessprache sind § 919 BGB und § 263 StGB. Ein Grenzstein ist »verrückt geworden«, und man kann nicht »etwas Falsches«, sondern nur »etwas Wahres vorspiegeln«
(im Spiegel zeigen); es gibt keine Tatsachen, die falsch sind, sondern nur falsche Behauptungen, eine wahre Tatsache steht auf einer Stufe mit dem weißen Schimmel.
Auch in der Urteilssprache sind Sprachfehler (zu denen auch Verstöße gegen die
Grammatik gehören) leider allzu häufig.
Solche Fehler sind z.B.:
Man spricht nicht von »Ordnungswidrigkeiten gegen § …« auch nicht von »Ordnungswidrigkeiten
nach § …«, sondern richtig von »Ordnungswidrigkeiten des § …«, und von »Vergehen gegen § …«
Häufig ist zu lesen: »Die Berufung wird kostenpflichtig verworfen«, als ob nicht der Angeklagte,
sondern die Berufung kostenpflichtig sei!
Ein Sprachfehler ist es auch, wenn derselbe Gedanke doppelt ausgedrückt wird, z.B.:
»Der Irrtum dürfte vermutlich darauf beruhen, dass …« oder »Der Beamte wiederholte noch einmal
seine Aufforderung …« Häufig liest man auch: »Die Beschwerde ist sachlich begründet« oder »in
der Sache begründet« (bei der Begründetheit eines Rechtsmittels geht es – im Gegensatz zur Zulässigkeit – um die Sache).
Die Worte »sich« und »nicht« sind möglichst früh zu setzen; sonst wird der Sinn mitunter in das
Gegenteil verkehrt.
Die Worte »als« und »wie« müssen richtig gebracht werden (das Wort »als« deutet die Verschiedenheit, das Wort »wie« die Gleichheit an; zur Steigerung ist immer das Wort »als« zu verwenden).
Falsch ist auch: »anders wie«, richtig: »anders als«. Die Worte »scheinbar« und »anscheinend«
dürfen nicht verwechselt werden (»Der Zeuge hat scheinbar die Wahrheit gesagt« bedeutet, dass er
die Wahrheit nicht gesagt hat; soll gesagt werden, dass er wahrscheinlich die Wahrheit gesagt habe,
so muss es »anscheinend« heißen).
e) Häufig wird auch beim Gebrauch der Zeitformen gesündigt.
219
Der Urteilsverfasser muss stets die richtige Zeitform wählen und darf nicht von einer
Zeitform in die andere fallen (z.B. vom Imperfekt ins Perfekt). Ein Beispiel dafür ist:
»A. hat sich eines Betruges schuldig gemacht, indem er vorspiegelte … und dadurch einen Irrtum
erregt hatte.«
Die Möglichkeitsform (Konjunktiv) wird immer mehr von der Wirklichkeitsform
(Indikativ) verdrängt. Es wird vergessen, dass nur Tatsachen in der Wirklichkeitsform
vorgetragen werden, während Meinungen, Behauptungen, wenigstens solche, die als
falsch hingestellt werden, richtig in der Möglichkeitsform wiedergegeben werden:
Es ist unrichtig, zu sagen:
»Das Gericht hat dem Angeklagten nicht geglaubt, dass er die Uhr gefunden hat.«
Der Hauswirt weiß nichts davon, dass der Angeklagte zu jener Zeit zu Hause gewesen ist.
Richtig ist vielmehr zu sagen:
»Das Gericht hat dem Angeklagten nicht geglaubt, dass er die Uhr gefunden habe.«
»Der Hauswirt weiß nichts davon, dass der Angeklagte zu jener Zeit zu Hause gewesen sei.«
Der Sachverhalt ist im Imperfekt zu erzählen, wobei sich der Urteilsverfasser auf den
Standpunkt dessen stellt, der den Vorfall als Augenzeuge schildert.
71
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
»Am … ereignete sich in Stuttgart auf der Steinstraße ein Verkehrsunfall; durch ihn entstand erheblicher Sach- und Personenschaden.«
Was vor dem erwiesenen Vorfall liegt, wird in der Vergangenheit mitgeteilt, z.B.
»Der Angeklagte hatte sein Geschäftsunternehmen im Jahre 1966 gemeinsam mit dem Autohändler X gegründet.«
Über die Aussagen der Zeugen und über sonstige Vorgänge der Hauptverhandlung
wird in der Gegenwarts- oder Vergangenheitsform berichtet, z.B.
Der Augenschein hat ergeben, der Angeklagte leugnet oder hat geleugnet, der Zeuge bekundet oder
hat bekundet.
Die Ausdrücke »bekunden« oder »aussagen« sind nur bei Zeugen zu verwenden; der
Angeklagte »gibt an«, »lässt sich ein«, »macht geltend«, »behauptet«.
Rechtsausführungen werden in der Gegenwartsform gebracht, z.B.
»Das Verhalten des Angeklagten erfüllt den Tatbestand des Betrugs.«
220 f) Eine weit verbreitete – offenbar unausrottbare – Unsitte ist es, in den Urteilsgründen bei der Sachdarstellung das Wort »Zeuge« wie eine Berufsbezeichnung im
Zusammenhang mit dem Namen auch dann zu verwenden, wenn dazu kein sachlicher Anlass besteht. Die Folge davon ist dann, dass es in einzelnen Urteilssätzen von
Zeugen und Zeuginnen nur so wimmelt, ohne dass gesagt wird, welche Aufgabe sie
im Leben oder im Geschehen erfüllen.
Falsch:
»Der Zeuge Meier begab sich daraufhin unverzüglich in das Gasthaus »Zum Hirsch«. Dort traf er
die Zeugen Müller und Vogel an. Diese berichteten ihm über den Vorfall. Inzwischen trat der Zeuge
Jung hinzu.«
Richtig:
»Polizeimeister Meier begab sich daraufhin unverzüglich in das Gasthaus. Dort traf er den Metzgermeister Müller und dessen Gesellen Vogel an … Inzwischen trat der Gastwirt Jung hinzu.«
In einem Strafkammerurteil war zu lesen: »Als diese den blutenden Zeugen sah, erschrak sie.« Als der
Mann blutete, war er aber nicht Zeuge, und als er als Zeuge vernommen wurde, blutete er nicht mehr!
Die Regel, in den Entscheidungen die Bezeichnung Zeuge oder Zeugin zu vermeiden,
die der BGH bewusst und nachdrücklich verfolgt (Willms DRiZ 1962, 58), lässt sich
allerdings nicht ausnahmslos durchführen. Bei der Beweiswürdigung, bei der Erörterung von Verfahrensfragen, in Revisionsurteilen usw. kann die Verwendung des Wortes Zeuge sachgemäß sein. Der Urteilsverfasser muss sich auch davor hüten, mit der
Berufsbezeichnung der Auskunftsperson (»Polizeimeister«) Missbrauch zu treiben;
ihre mehrfache Wiederholung ist zu vermeiden.
221 Mehrere Angeklagte werden nicht mit Ziffern, sondern mit dem Namen bezeichnet.
Zum besseren Verständnis trägt es sehr viel bei, wenn ein Angeklagter nie mit bloßem
Namen, sondern stets als »der Angeklagte« oder »der Angeklagte Müller« bezeichnet
wird. Ist das Verfahren gegen einen von mehreren Angeklagten abgetrennt worden,
so kann einmal im Urteil darauf hingewiesen werden, dass er »anderweitig verfolgt«
ist; er sollte aber nicht stets als »der anderweitig verfolgte X.« bezeichnet werden. In
gleicher Weise kann einmal darauf hingewiesen werden, dass sich jemand als Nebenkläger angeschlossen hat, jedoch sollte er nicht ständig so, sondern mit seinem Namen genannt werden.
72
I. Allgemeines
Der Urteilsverfasser sollte vermeiden, Verfahrensbeteiligte nur mit Artikel und Nachnamen zu bezeichnen (»die Rose« statt »Frau Rose« oder »der Teufel« statt »der Weinhändler Teufel«); das
wirkt sonst leicht herabsetzend. Daher heißt es auch nicht »hierbei kam ein gewisser Kneipp ums
Leben«, sondern »hierbei kam der Handelsvertreter Alfons Kneipp aus Ludwigsburg ums Leben.«
Was eine lebensnahe Ausdrucksweise ist, zeigt anschaulich eine Entscheidung des Schweizerischen
Bundesgerichts in Lausanne (BGE 77, 195; vgl. auch Seibert JZ 1966, 673):
»Am Nachmittag des 5. März ging die Ehefrau des Emil Schnyder mit dessen Chow-Chow-Hündin
auf dem Dietschiberg spazieren. Bei der Dorenbach-Scheune drang das Tier in den Hühnerhof des
Anton Bucheli, Vater, ein, verfolgte die Hühner und biss eines tot. In diesem Zeitpunkt erschien Anton Bucheli, Sohn, mit einem Revolver. Weil er seinen Vater in bedrängter Lage sah, eilte er in die
Stube und schoss von dort aus zweimal auf den Hund. Kurze Zeit nach Abgabe des zweiten Schusses erschien Frau Schnyder und nahm den Hund wieder an sich.«
»Unsere Rechtssprache sei schlicht und erhaben zugleich. Etwas Farbe schadet dabei 222
aber nicht; im Gegenteil« (Seibert MDR 1956, 464). Die »Farbe« darf aber nicht so
weit gehen, dass mundartliche Ausdrücke und technische Bezeichnungen in den Text
aufgenommen werden, die nicht jedermann verständlich oder die mit der Würde des
Gerichts nicht vereinbar oder burschikos sind, z.B. das »Öhmd« und der »Schmecken« in dem oben wiedergegebenen Beispiel, »Schnipfel« als Bezeichnung für kleinere Teile von Edelmetallen, die »Bank« des Goldschmieds als Bezeichnung seines
Arbeitsplatzes, »Schnauze« (dazu noch ohne Anführungszeichen) für den vorderen
Teil eines Kraftfahrzeugs, »Oma« statt Großmutter.
g) Alle nicht notwendigen Fremdworte sind zu vermeiden.
223
Dabei ist aber von einer Verdeutschung um jeden Preis, selbst auf Kosten des Sprachgefühls, abzusehen, wie die Übersetzung des Wortes »Taxe« in BGH MDR 1957, 306.
Viele Fremdworte sind unentbehrlich, manche stören auch das Sprachgefühl gar nicht
(z.B. »Hypothese«, »Zitat« und »zitieren«, »Definition«), zumal Übersetzungen oft
nicht leicht zu finden und meist dann nicht genau genug sind. Dies gilt insbesondere
für medizinische Fachbegriffe (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2010, 348). Entbehrlich
und übersetzbar sind aber folgende in der Rechtssprache immer wieder verwendete
Fachausdrücke:
Dass man dem Angeklagten nicht mit »exceptio rei judicatae« oder nicht mit »ne bis in idem« oder
»argumentum e contrario« oder »reformatio in peius« oder »in dubio pro reo« kommen sollte, ist
selbstverständlich; diese Aussprüche lassen sich nämlich sämtlich übersetzen (z.B. »ne bis in idem«
= Grundsatz der Einmaligkeit der Bestrafung; »reformatio in peius« = Schlechterstellung; »in dubio
pro reo« = im Zweifel zugunsten des Angeklagten).
Leicht ersetzen lassen sich aber auch
Judikatur durch Rechtsprechung,
Instanz durch Rechtszug,
dolus durch Vorsatz,
Kausalität durch Ursächlichkeit oder Ursachenzusammenhang,
Real- und Idealkonkurrenz durch Tatmehrheit und Tateinheit,
Indizien durch Beweistatsachen.
h) Auf die Angabe von Zitaten ist die erforderliche Sorgfalt zu verwenden. Dass sie 224
zutreffend sein müssen, ist selbstverständlich; auch angewendete Vorschriften sollten
stets genau (mit Absatz, Satz, Nummer) zitiert werden (vgl. dazu Bonnet MDR 1989,
594). Der Urteilsverfasser sollte mit Zitaten sparsam umgehen. Es ist eine Unsitte,
massenhaft Entscheidungen und Werke des Schrifttums aufzuzählen. Es genügt
meist, statt die gesamte Rechtsprechung über die einschlägige Rechtsfrage anzufüh73
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
ren, auf die neueste Entscheidung hinzuweisen, und statt mehrere Erläuterungsbücher wiederzugeben, eines zu erwähnen. Das Zitat muss genau sein:
nicht NJW 1957, 721 ist der Auffassung, dass …, sondern das OLG Köln in NJW 1957, 721 …
Mehrere Zitate sind schließlich unter sich in eine angemessene Reihenfolge entsprechend der Bedeutung der angeführten Gerichte oder Verfasser zu bringen; so ist also
eine landgerichtliche Entscheidung nicht vor einer des BGH und nicht eine Einzelabhandlung vor dem Standardwerk zu erwähnen.
225 i) In der Kürze und weisen Beschränkung bei der Abhandlung des Stoffes liegt eine
wichtige Aufgabe des Urteilsverfassers. Leider leiden viele Urteile an dem Missstand,
langatmig und weitschweifig zu sein (vgl. dazu Meyke DRiZ 1990, 58; Winkler
SchlHA 2006, 245; Appl, FS Rissing-van Saan, 2011, S. 35, 38). So merkwürdig es
klingt: Überlastung und Zeitmangel verführen zu Umständlichkeit und Breite in der
Darstellung, denn es ist viel schwieriger, ein kurzes Urteil zu schreiben, das alles Wesentliche enthält, als ein langes zu diktieren. Eine klare, knappe, aber doch erschöpfende Fassung der Urteilsgründe vermeidet, dass sich Widersprüche einschleichen
oder dass das Urteil sonstige Angriffspunkte bietet2. Allzu kurze Urteilsgründe erwecken allerdings, zumal wenn sie noch formelhafte Wendungen enthalten, den Verdacht, dass sie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ungenügend sind. Der Urteilsverfasser muss sich Klarheit darüber verschaffen, welche Gesichtspunkte für die
Entscheidung wesentlich sind und daher eingehender dargestellt werden müssen, und
welche unwesentlich sind und daher in der Darstellung zurücktreten können.
226 Es ist mit Recht als »goldene Regel für die Strafgerichte« bezeichnet worden, niemals mehr zu entscheiden, als nach Lage des Falles entschieden werden muss. Der
junge Richter neigt erfahrungsgemäß dazu, möglichst eingehend und gründlich zu
sein. Er soll aber nicht zu gründlich sein und Fragen nicht entscheiden und schon gar
nicht behandeln, die für die Schuld- oder Straffrage letztlich unerheblich sind3. Er
beschwert sonst das Urteil mit überflüssigem Ballast und erschwert dadurch seine
Verständlichkeit. Im Einzelfall kann durch hypothetische Hilfserwägungen sogar der
Bestand des Urteils in Frage gestellt werden, wenn durch solche Erwägungen Zweifel
an der Eindeutigkeit der Feststellungen entstehen (BGH NStZ-RR 2012, 202). Die
Urteilsgründe sind auch nicht dazu da, Gelehrsamkeit oder Wissenschaftlichkeit zu
erweisen. Der Richter soll praktisch sein und immer das Endergebnis im Auge behalten. Rechtspolitische Ausführungen haben in einem Urteil grundsätzlich nichts zu
suchen (BGH NJW 1990, 1490, 1491).
227 Andererseits darf der Richter natürlich einer Entscheidung, die getroffen werden
muss, nicht aus dem Wege gehen. So wird es im Allgemeinen kaum möglich sein, die
Entscheidung über das Vorliegen des objektiven Tatbestandes dahingestellt sein zu
2 Lichti DRiZ 1963, 220 erwähnt das Beispiel: Auf 4 ½ eng beschriebenen Seiten zu 54 Maschinenzeilen bei nur schmalem Rand wird folgender Verkehrsunfall dargestellt: Ein Pkw durchbricht eine
Bahnschranke; ein größeres Unglück wird nur durch das schnelle Bremsen des herannahenden
Zugs verhindert. – Franzki DRiZ 1976, 113 glossiert ein Urteil des BGH, das über 14 Seiten (!) einen Schadensersatzanspruch wegen einer durch einen Verkehrsunfall zerstörten Kastanie behandelt.
3 Auch Bundesrichter verfallen gelegentlich in diesen Fehler. Sarstedt, Die Revision in Strafsachen
(4. Aufl. S. 306 mit Fn. 9) erklärt selbst, dass das von ihm verfasste Urteil BGH 6, 263 auf den ersten sieben Seiten nichts als obiter dicta enthalte.
74
I. Allgemeines
lassen mit der Begründung, es fehle jedenfalls am subjektiven Tatbestand (BGH 16,
379), z.B. die Frage, ob eine Sache für den Täter »fremd« war, nicht zu entscheiden,
weil der Täter auf alle Fälle nicht in Zueignungsabsicht gehandelt habe. Falls dem
Täter ein Vergehen der üblen Nachrede (§ 186 StGB) zur Last liegt, darf die Wahrheit
der behaupteten Tatsache auch dann nicht als für die Entscheidung bedeutungslos
behandelt werden, wenn der Täter unabhängig vom Gelingen des Wahrheitsbeweises
wegen der Art und Weise der Kundgebung nach §§ 185, 192 StGB (Formalbeleidigung) bestraft werden muss (BGH NJW 1978, 834). Die Unzulässigkeit eines
Rechtsmittels darf nicht dahingestellt bleiben, wenn es im Falle der Zulässigkeit offensichtlich unbegründet wäre.
Insgesamt gilt, dass die Urteilsgründe kurz und bündig, bestimmt und nicht zweifelnd abgefasst sein und nur das enthalten sollen, worauf es ankommt, um den Urteilsspruch zu rechtfertigen.
5. Art der Darstellung
a) Die Gründe müssen nach einem durchdachten Plan in geordneter, klarer Ent- 228
wicklung und Gliederung gearbeitet sein. Ein zusammenhängender »Brei« von der
ersten bis zur letzten Seite der Urteilsgründe – ohne kleinere und größere Absätze
und ohne ziffernmäßige Untergliederung – ist für jeden Leser eine Zumutung; überflüssig sind aber Überschriften, wie z.B. »Die Feststellungen« oder »Die Beweismittel« usw. Die Gründe sollen die zusammenhängende, zeitlich und gedanklich geordnete Darstellung des Sachverhalts zur äußeren und inneren Tatseite enthalten, von
dem der Tatrichter bei der rechtlichen Würdigung ausgeht. Durch einen klaren Plan
beim Urteilsaufbau wird die Gefahr von Wiederholungen und Überschneidungen bei
der Darstellung des Tathergangs und der für die richterliche Überzeugung maßgebenden Erwägungen vermieden; solche Wiederholungen verleiten bei verwickelten
Sachen zu Unklarheiten und Widersprüchen. Ab einem gewissen Umfang kann es
sich durchaus empfehlen, den Gründen ein Inhaltsverzeichnis voranzustellen (BGH
NStZ-RR [C/Z] 2010, 103); dieses Verzeichnis kann auch noch nach Ablauf der in
§ 275 Abs. 1 StPO festgelegten Frist erstellt werden (BGH NStZ-RR 2001, 107).
Schon das Reichsgericht hat in RG 71, 25 einen unübersichtlichen Aufbau als 229
»grundsätzlichen Mangel« eines Urteils bezeichnet, und der BGH sowie die Oberlandesgerichte haben sich dieser Rechtsprechung angeschlossen. Eine unklare und
unübersichtliche Darstellung der Gründe begründet nach dieser Rechtsprechung die
Revision, weil dann in aller Regel die Grundlage des Urteils unvollständig ist und
unsicher bleibt, welchen Sachverhalt der Tatrichter seiner Begründung zugrunde gelegt hat. An den richtigen Aufbau der Gründe sind also strenge Anforderungen zu
stellen.
Auf die Notwendigkeit eines klaren und übersichtlichen Urteilsaufbaus kann daher
nicht eindringlich genug hingewiesen werden. So heißt es auch im Urteil des BGH 5
StR 392/54 vom 23. 11. 1954:
»Wenn die Strafkammer die Angeklagte wiederum verurteilt, wird es erforderlich sein, in dem neuen Urteil deutlicher als bisher hervorzuheben, durch welche bestimmten Tatsachen die einzelnen
gesetzlichen Merkmale des äußeren und des inneren Tatbestandes erfüllt werden. Diese Feststellungen bilden nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO das Kernstück des Strafurteils. Es ist üblich und
zweckmäßig, sie zusammenzufassen, dabei auf unwesentliche Nebendinge zu verzichten und die
geschlossene Darstellung des erwiesenen Sachverhalts, der die strafbare Handlung ausmacht, vor
75
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
die Beweiswürdigung zu setzen. Dadurch wird auch die rechtliche Nachprüfung erleichtert. Jedenfalls ist es ratsam, diese verschiedenartigen Teile des Urteils deutlich voneinander zu trennen. Werden sie vermengt, so beeinträchtigt dies nicht nur die Verständlichkeit des Urteils, sondern birgt
auch die Gefahr in sich, dass Widersprüche entstehen oder – wie im vorliegenden Falle – über ein
Tatbestandsmerkmal keine Feststellungen getroffen werden. Die Beweiswürdigung braucht nicht
mit der inhaltlichen Wiedergabe zahlreicher, zum Teil sogar nebensächlicher Aussagen belastet zu
werden. Dadurch kann der Inhalt des Urteils unübersichtlich oder gar widerspruchsvoll werden (vgl.
RG 71, 25; RG HRR 1937, 541). Es genügt, klar und bestimmt die maßgebenden Gesichtspunkte hervorzuheben, die das Gericht zu seiner Überzeugung geführt haben.«
230 Ein geübter Urteilsverfasser wird sich nur in schwierigen Sachen vorher einen Entwurf zu machen brauchen, der Anfänger sollte es auch in einfacheren tun. Regeln
über die Anordnung des Stoffes lassen sich leichter geben als im Zivilprozess, wenn
auch vielfach die Besonderheit des Falles Abweichungen mit sich bringt.
231 Der Stoff teilt sich folgerichtig in fünf Hauptgruppen: In die Mitteilung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, die Erzählung des erwiesenen Vorfalls (Feststellung des Sachverhalts oder Sachverhaltsschilderung oder kurz Feststellung genannt)4, in die Angabe, worauf die Feststellung beruht (Beweiswürdigung), in die
Darlegung, warum auf diesen Sachverhalt das Strafgesetz anwendbar ist oder nicht
(rechtliche Erörterung), und die Erörterung der Rechtsfolgen. Diese Gruppen
sind scharf auseinander zu halten.
232 Für das verurteilende Erkenntnis ergibt sich danach (vgl. im Einzelnen unten
Rn. 265) folgender Aufbau, der – wie oben dargelegt – auch äußerlich deutlich gemacht werden sollte:
1. Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten,
2. die Feststellung (Sachverhaltsschilderung), und zwar sowohl
a) hinsichtlich des äußeren Tatbestandes als auch
b) hinsichtlich des inneren Tatbestandes und
c) hinsichtlich der in § 267 Abs. 2 StPO genannten Umstände,
3. die Beweiswürdigung, wobei mit der Einlassung des Angeklagten begonnen wird.
4. die rechtliche Erörterung unter Anführung des Strafgesetzes,
5. die Begründung der Rechtsfolgen, insbesondere der Strafzumessung. Hierher gehören auch die Ausführungen zur Strafaussetzung zur Bewährung, zur Anordnung von Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Besserung und Sicherung,
6. die Begründung der Kostenentscheidung, sowie gegebenenfalls der Entscheidung
über die Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen.
233 Bei freisprechenden Urteilen wird es meist zweckmäßig sein, mit dem Inhalt der
Anklage (bzw. des Eröffnungsbeschlusses) zu beginnen. Nur ausnahmsweise sind
auch Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen zu treffen, wenn diese zur
Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (BGH NStZ-RR 2013, 52). Daran schließt sich die Angabe der Tatbestandsmerkmale an, die das Gericht für erwiesen, und derer, die es nicht für erwiesen
ansieht; dem folgt, soweit nötig, die rechtliche Erörterung.
4 Da sich »Feststellungen« nur auf Tatsachen beziehen können, ist die Wendung »tatsächliche Feststellungen« sprachlich falsch und daher nicht angebracht. Auch die Revisionsgerichte heben das
angefochtene Urteil (nur) mit den ihm zugrunde liegenden »Feststellungen« auf.
76
I. Allgemeines
Wenn dem Angeklagten eine größere Reihe von Straftaten zur Last gelegt wird, 234
oder wenn verschiedene Personen mehrerer Straftaten angeklagt sind, ist es ratsam,
die Sache ähnlich den sogenannten Punktensachen des Zivilprozesses zu behandeln,
also unter einzelnen Nummern oder unter Überschriften jeden Straffall bezüglich des
Haupttäters und der Teilnehmer vollständig abzuhandeln, demnach die Beweiswürdigung, die rechtliche Beurteilung und die Strafzumessung sogleich an die geschlossene Schilderung jeder einzelnen Tat oder jeder zusammenhängenden Gruppe von
Taten anzufügen, und am Schluss die Festsetzung der Gesamtstrafe und die Begründung der Kostenentscheidung zu bringen. Es empfiehlt sich nicht, zunächst bezüglich
aller Taten den erwiesenen Sachverhalt darzustellen, dann für alle Einzelfälle gemeinsam die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung zu bringen. Ein solcher
Aufbau erschwert es dem Leser ungemein, das Urteil zu erfassen und zu verarbeiten.
Der Urteilsverfasser verliert leicht den Überblick und es schleichen sich Widersprüche ein. In der Regel wird das Urteil durch die getrennte Darstellung nicht länger,
denn der Urteilsverfasser wird im Allgemeinen an späterer Stelle auf die früheren entsprechenden Ausführungen (z.B. beim inneren Tatbestand und bei der Beweiswürdigung) verweisen können (vgl. dazu BGH NStZ 1982, 79). In Punktesachen empfiehlt
es sich zudem stets, die Einzelfälle mit einer Ordnungsnummer zu versehen, die den
jeweiligen Einzelfall bei den Feststellungen, der Beweiswürdigung, bei der rechtlichen Würdigung und bei der Strafzumessung gleichermaßen kennzeichnet (BGH
NStZ-RR [C/Z] 2013, 103); wenig hilfreich und eher verwirrend ist es hingegen,
wenn auf die – regelmäßig abweichenden – Fallnummern der Anklage Bezug genommen wird. Eine rein tabellarische Auflistung einer Vielzahl von Fällen birgt die
Gefahr, dass es an ausreichenden Feststellungen zum konkreten Sachverhalt mangelt
(vgl. BGHR StPO § 267 I 1, Sachdarstellung 1; OLG Düsseldorf VRS 89, 215); wenn
sie aber vollständig ist, kann sie andererseits die Übersicht erleichtern. So kann es bei
einer Vielzahl von Rauschgiftfällen hilfreich sein, eine Übersicht anzufertigen, etwa
mit folgenden Spalten: Tatzeit, Tatbeteiligung, Art des Rauschgifts, Menge der Drogen und Wirkstoffgehalt. Auch eine Vielzahl von Einzeltaten, die denselben Tatbestand erfüllen, entbindet den Richter aber nicht von der Pflicht zur Darstellung des
konkreten Sachverhalts der Einzelfälle, wenn diese nicht in allen wesentlichen Umständen gleich gelagert sind (BGH NStZ 1992, 602 mit Anm. Molketin). Bei außerordentlich umfangreichen Urteilen kann es sich empfehlen, den Gründen eine Gliederung mit Angabe der jeweiligen Seitenzahlen beizufügen (BGH NStZ-RR 2001, 107).
b) Widersprüche müssen vermieden werden. Sie können den Bestand des Urteils in 235
der Revision gefährden. Gefährlich sind insbesondere Hilfserwägungen im Urteil; sie
sind meist überflüssig. Werden sie aufgenommen, so müssen sie von der Haupterwägung scharf getrennt werden (vgl. Rn. 226).
Widersprüchlich ist es z.B., wenn an einer Stelle des Urteils festgestellt wird, der An- 236
geklagte habe sein Opfer planmäßig aufgesucht, woraus auf den Mordvorsatz geschlossen wird, und an anderer Stelle, der Angeklagte habe an sich zu seiner Dienststelle fahren wollen, und nur, weil gerade keine Bahn kam, sei er zu seinem Opfer
gefahren. Widersprüchlich ist es auch, wenn der Angeklagte einerseits den Auftrag
übernommen und ausgeführt haben soll, sein Auto als Fluchtfahrzeug bereitzuhalten,
er es andererseits aber vorsätzlich so verschlossen haben soll, dass erst eine Scheibe
eingeschlagen werden musste, damit die Täter wirklich fliehen konnten. Widersprüche schleichen sich leicht in Urteile über Verkehrsstrafsachen ein, z.B. wenn festgestellt wird, die mit 12 km/h nahende Radfahrerin habe nur 8 m durchfahren, in dieser
77
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Zeit sei der Angeklagte aber 3m weit in die Fahrbahn hineingegangen, dann zwei
Schritte zurückgetreten, dann wieder zwei Schritte nach vorne gegangen und schließlich wieder zwei Schritte zurückgetreten.5 Widerspruchsvoll ist es auch, wenn das
Gericht nach dem Protokoll der Hauptverhandlung einen Beweisantrag abgelehnt
hat, weil es den behaupteten Tatsachen Glauben geschenkt hat, während die Gründe
diese Tatsachen nicht als festgestellt behandeln (das gilt auch, wenn bei der Strafzumessung von der abweichenden Feststellung ausgegangen wird: BGH 1, 51), oder
wenn ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt wurde, in den Urteilsgründen dann aber das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsachen angenommen
wird (BGH StV 1993, 173).
237 Auch ein Verstoß gegen Denk- und Sprachgesetze, gegen die allgemeine Lebenserfahrung oder eine feststehende Auslegungsregel kann zur Aufhebung des Urteils führen; echte Denkfehler sind aber selten. Ein Beispiel enthält die Entscheidung des
BGH vom 14.2.1985 – 1 StR 43/85: Das Schwurgericht meinte, die Uhr des Zeugen
habe noch Sommerzeit angezeigt; dabei hatte es aber verkannt, dass die Uhr dann
nicht eine Stunde nach-, sondern eine Stunde vorging. Zu den Denkfehlern gehört
auch der sog. Kreisschluss (petitio principii); vgl. hierzu unten Rn. 370.
238 Im Zusammenhang hiermit steht das Erfordernis, dass die Ausdrucksweise bestimmt
sein muss. Zweifelssätze und Wendungen, die eine Unsicherheit verraten, sind zu
vermeiden: »Das Gericht hat geglaubt, dem Angeklagten mildernde Umstände versagen zu müssen«, »Es dürfte anzunehmen sein, dass die Ehefrau unter dem Einfluss
ihres Mannes falsch ausgesagt hat«. Selbst der oft gebrauchte Satz: »Das Gericht hat
die Strafe für angemessen erachtet« ist weniger gut als »die Strafe ist angemessen«.
Die Feststellung »der Angeklagte hat sehen müssen, hat wissen müssen«, ist unzureichend, wenn damit gesagt werden soll, dass er nach Annahme des Gerichts gewusst
hat, gesehen hat; denn sie ließe sich auch so verstehen, dass er bei gehöriger Sorgfalt
habe sehen oder wissen müssen. Daher ist auch die Feststellung, der Angeklagte habe
seine Zahlungsunfähigkeit kennen müssen, nicht genügend, ebenso die Feststellung:
er durfte glauben. Ebenso unrichtig ist die Wendung: »Der Angeklagte konnte kaum
darüber im Zweifel sein«, wenn damit gesagt werden soll, dass er nicht im Zweifel
war. Richtig ist in allen diesen Fällen zu sagen: »Das Gericht ist davon überzeugt,
dass der Angeklagte … gesehen, gewusst, erkannt hat …« Wegen der Unsicherheit
der Bedeutung des Wortes »müssen« empfiehlt es sich, dieses Wort auch bei der Darstellung eines fahrlässigen Verhaltens zu vermeiden und etwa zu sagen: »Der Angeklagte hat die Überladung nicht bemerkt. Er hätte sie aber bei genügender Aufmerksamkeit erkannt.«
239 Gefährlich für den Bestand des Urteils und daher zu vermeiden sind Wendungen wie
selbstverständlich, unzweifelhaft, unmöglich, allein möglich, offenbar u.a.; sie enthalten leicht eine Verletzung der Denkgesetze und begründen damit die Revision, weil
der Richter seine Feststellung als die allein mögliche bezeichnet hat, während denkgesetzlich auch noch andere Möglichkeiten gegeben sind. Es empfiehlt sich also, lediglich zu sagen, dass das Gericht von dem Sachverhalt überzeugt sei und dass etwaige
Zweifel seine Überzeugung nicht erschüttern könnten. Vermutungen dürfen nie als
Grundlage einer Verurteilung dienen (vgl. BGH NStZ 1981, 33; StV 1995, 453).
5 Ein Beispiel für widersprüchliche Feststellungen in einer Verkehrsstrafsache enthält der Beschluss
des OLG Köln VRS 55, 147, in einer allgemeinen Strafsache OLG Köln VRS 58, 23.
78
I. Allgemeines
c) Die Gründe müssen ruhig und sachlich reden. Mag der Urteilsverfasser über die 240
Tat des Angeklagten noch so empört sein, in den Gründen hat er sie schlicht zu schildern und auch den Schein zu vermeiden, als wäre das Urteil nicht aus ruhiger Erwägung, sondern aus einer augenblicklichen Aufwallung hervorgegangen (BGH NStZRR 2009, 103). Die Sprache des Urteils soll sachlich, leidenschaftslos und frei von
Satire, Spott oder Herabsetzung (sine ira et studio) sein.
In den Urteilen ist alles zu vermeiden, was die von ihm Betroffenen verletzen könnte und deshalb
die Vorstellung erzeugt, der Richter habe nicht unparteiisch entschieden. Soll z.B. im Urteil gesagt
werden, eine Behauptung treffe nicht zu, so sind Wendungen wie »Die Behauptung des Angeklagten ist durchaus unzutreffend« fehl am Platze. Ist die Behauptung nicht richtig, so kann sie nicht
noch falscher sein. Jede unnötige Schärfe ist von Übel. Wendungen wie: »Der Einwand ist (völlig)
abwegig«, »verfehlt ist der Versuch …« gehören nicht in ein Urteil. Besonders übel wird zuweilen
mit dem Worte »angeblich« umgegangen, dieses schließt einen Zweifel in die Aufrichtigkeit dessen,
der »angibt«, in sich. Unrichtig also: »Die angebliche Krankheit ist keine Entschuldigung für die
Fristversäumung«, sondern etwa: »Die Krankheit ist …« oder »Die von dem … behauptete Krankheit ist …«. Oft wird das Wort »unbeachtlich« im Sinne des Wortes »unerheblich« angewendet,
wobei übersehen wird, dass es auch »nicht beachtenswert« bedeutet und dann auf den Betroffenen
kränkend wirkt. Der Richter muss jedes Vorbringen »beachten«, er braucht aber nicht alles für »erheblich« zu halten.
In einem Urteil des zweiten Rechtszuges ist alles zu vermeiden, was das untere Ge- 241
richt zu verletzen geeignet ist. Abweichende Ansichten des unteren Gerichts werden
sachlich, nicht in wegwerfender Weise, nicht in hochmütigem Ton besprochen und
widerlegt, mögen sie auch noch so unhaltbar sein; denn der höhere Richter hat nicht
als Vorgesetzter zu Gericht zu sitzen, sondern er hat die Sache von neuem zu prüfen.
Zu vermeiden sind unnötig scharfe Wendungen wie »abwegig«, »gänzlich verfehlt«,
»völlig unverständlich« usw. Dasselbe kann z.B. mit folgender, vornehm zurückhaltender Fassung ausgedrückt werden: »Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht
anschließen, wenn auch der Ausgangspunkt des Landgerichts richtig ist«, oder: »Das
Landgericht hat, ohne dass ihm daraus ein Vorwurf zu machen ist, …«. Erhebliche
Beanstandungen z.B. der Form der Urteilsgründe, sind nicht im Urteil des höheren
Gerichts zu treffen, sondern zur Prüfung, ob im Dienstaufsichtsweg einzuschreiten
ist, der vorgesetzten Behörde zu berichten.
d) Zahlreiche Urteile werden von Kollegialgerichten gefällt. Der Urteilsverfasser hat 242
dann nicht seine Ansicht, sondern diejenige des gesamten Gerichts in den Gründen
zum Ausdruck zu bringen. Das ist oft nicht leicht, da die Beratung bei stark belasteten Gerichten nicht immer sehr eingehend sein kann. Vielfach wird über Einzelfragen
und über die Schuldfrage beraten und abgestimmt, die Glaubwürdigkeit einzelner
Zeugen erörtert, die Frage nach mildernden Umständen erwogen und die Strafe bemessen. In welcher Weise aber der Sachverhalt als erwiesen angenommen wird, darüber wird nur in groben Zügen gesprochen; die Feinheiten bleiben ebenso wie die
rechtlichen Ausführungen dem Urteilsverfasser überlassen. In solchen Fällen obliegt
es ihm, unter Berücksichtigung der mündlichen Begründung des Vorsitzenden (die
der Urteilsverfasser zweckmäßigerweise immer in Stichworten mitschreibt) den
Sachverhalt so darzustellen, wie er ihn für erwiesen hält, und die Entscheidung nach
bestem Wissen zu begründen.
Unzulässig wäre es aber, nachträglich angestellte Erhebungen oder Erwägungen in 243
das Urteil hineinzuarbeiten, z.B. anlässlich der Abfassung der Urteilsgründe einen
Zeugen oder Sachverständigen nachträglich über einen zweifelhaften Punkt schrift79
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
lich oder mündlich zu befragen (das kann einen Verstoß gegen § 261 StPO begründen) oder, um das Urteil vor erfolgreicher Anfechtung zu bewahren, Gründe herzustellen, die von denen abweichen, mit denen sich die obsiegende Mehrheit der Richter
durchgesetzt hat. Das schriftliche Urteil darf nur die Gründe enthalten, die zur Zeit
der Abstimmung ausschlaggebend waren, gleichgültig, ob sie rechtlich haltbar sind
oder nicht; es darf auch keine Gründe übergehen, die tatsächlich maßgebend waren.
Jede Vertuschung oder Verschleierung ist unzulässig. Die Mitglieder des Gerichts, die
das Urteil nicht verfasst haben, müssen ihre Bedenken vor der Unterschrift vorbringen.
244 Ist in der Beratung vergessen worden, über einen Punkt zu beschließen, so darf diese
Lücke selbstverständlich nicht einfach im schriftlichen Urteil ergänzt werden, sondern muss offen bleiben. Können sich die Mitglieder des Gerichts nicht darüber einig
werden, ob über einen Punkt etwas beschlossen wurde oder wie darüber Beschluss
gefasst worden ist, so muss die streitige Frage durch Abstimmung mehrheitlich entschieden werden. Der hierbei etwa überstimmte Richter bleibt zur weiteren Mitwirkung – also zur Urteilsabfassung und Unterschrift – verpflichtet (BGH 26, 93).
245 Kommt der Urteilsverfasser in die Lage, ein Urteil begründen zu müssen, das er für
falsch hält, so muss er sich bemühen, sich den Gedankengang der Mehrheit zu eigen
zu machen. Wenn er Bedenken, die ihn persönlich zu einer anderen Ansicht geführt
haben, zum Ausdruck bringt, so darf er das nicht tun, ohne sie zugleich zu widerlegen. Auch in Schöffengerichtssachen oder bei der Berufungskammer hat das Urteil
nicht die Meinung des Richters, sondern die der Mehrheit wiederzugeben. Der überstimmte Vorsitzende muss sich bemühen, die Gedanken der Schöffen in eine rechtliche Form zu bringen. Stets hat er die Überzeugungsbildung der Laienrichter uneingeschränkt zu akzeptieren. Sind die Gründe der Schöffen unverständlich, so sollte er
auf eine nähere Begründung verzichten. Keinesfalls darf er durch eine bestimmte Fassung der Urteilsgründe einer Urteilsaufhebung im Revisionsrechtszug den Weg bereiten wollen (OLG Oldenburg StraFo 2005, 250).
246 Die Anführung des Stimmverhältnisses, mit dem die Entscheidung getroffen ist,
gehört im Regelfall (Ausnahme unten Rn. 629) weder bei der Verurteilung noch bei
der Freisprechung in das Urteil.
Jedoch hindert die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, die in gleicher Weise für Berufsrichter wie für Laienrichter gilt (§§ 43, 45 Abs. 1 S. 2 DRiG), nicht, unter besonderen Umständen das Ergebnis der Abstimmung (§ 194 Abs. 2 GVG) in den Urteilsgründen anzugeben. Sie hat ihre Grenze an der höheren Pflicht, ein gesetzwidriges
Verfahren zu offenbaren, um dessen Änderung zu ermöglichen. Ebenso wie es geboten sein kann, die Art der Abstimmung und ihre Reihenfolge in den Urteilsgründen
darzulegen, um dem Revisionsgericht eine rechtliche Nachprüfung zu ermöglichen,
kann es auch geboten sein, zu demselben Zweck das Stimmenverhältnis bei der Abstimmung in die Urteilsgründe aufzunehmen. Das Reichsgericht hat in den Fällen, in
denen die Richtigkeit der Abstimmung in Frage kam, die Angabe des Stimmenverhältnisses nicht als unzulässig beanstandet (vgl. RG 60, 296; 61, 219). Der Bundesgerichtshof (bei Holtz MDR 1976, 989) hält es für geboten, Anlass und Art der Abstimmung, deren Reihenfolge und die Stimmverhältnisse in die Urteilsgründe
aufzunehmen, wenn gerade die Art des Abstimmens den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit bildet, damit das Revisionsgericht das Abstimmungsverfahren nachprüfen und erforderlichenfalls ein auf einer fehlerhaften Abstimmung beruhendes
80
I. Allgemeines
Urteil aufheben kann (vgl. auch BayObLG GA 73, 130; Meyer-Goßner § 263 StPO
Rn. 9). Ob solche Vorgänge in die Urteilsgründe aufzunehmen sind, entscheidet das
Gericht mit einfacher Mehrheit.
Nach § 10 Abs. 1 S. 3 der Geschäftsordnung des BGH vom 3.3.1952 (Bundesanzeiger
Nr. 83) ist es dem Richter gestattet, seine abweichende Ansicht mit kurzer Begründung in den Senatsakten niederzulegen; die abweichende Meinung darf jedoch – früher wie jetzt – nicht bekannt gemacht werden.
e) Verweisungen (Bezugnahmen) sind nur bedingt zulässig. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO 247
gestattet eine Verweisung auf bei den Akten befindliche Abbildungen bzw. Lichtbilder, um so eine mitunter nicht einfache textliche Schilderung zu veranschaulichen
(BGH NStZ 2008, 32; eine Verweisung auf elektronische Speichermedien wie z.B.
CD-ROMs ist nicht zulässig, BGH NJW 2012, 244); nach § 267 Abs. 4 S. 1 StPO ist
bei bestimmten rechtskräftigen Urteilen eine Bezugnahme auf den Anklagesatz, die
im beschleunigten Verfahren mündlich erhobene Anklage, den Strafbefehl oder den
Strafbefehlsantrag erlaubt (dazu unten Rn. 617). Im Übrigen sind Verweisungen im
Urteil grundsätzlich unzulässig. Es darf also zur Begründung des Urteils nicht auf
den Text der Anklageschrift, auf das Protokoll der Hauptverhandlung, auf den Inhalt
von Beschlüssen oder beigezogener Akten oder die Gründe eines Zivil- oder eines
anderen Strafurteils (etwa im Urteil gegen den Hehler auf das Urteil gegen den Dieb
oder im Urteil gegen den Anstifter auf das Urteil gegen den Angestifteten; vgl. auch
BGH NStZ-RR 2007, 22) verwiesen werden. Eine solche Bezugnahme widerspräche
dem Grundgedanken des § 267 StPO, dass die Urteilsgründe das Ergebnis der eigenen Feststellungen und Würdigungen in sich geschlossen wiedergeben und aus sich
heraus verständlich sein sollen (BGH 30, 227; 33, 60).
Die Bezugnahme auf ein gegen den Angeklagten in derselben Sache ergangenes, vom 248
Revisionsgericht mit den Feststellungen aufgehobenes Urteil ist unzulässig; denn,
wenn das höhere Gericht die tatrichterlichen Feststellungen aufgehoben hat, ist der
Tatrichter verpflichtet, in der neuen Hauptverhandlung den Sachverhalt selbständig
und unabhängig von den Ergebnissen der ersten Verhandlung zu untersuchen und
festzustellen. Eine Bezugnahme auf die aufgehobenen Feststellungen eines früheren
Urteils ist auch dann unzulässig, wenn sie mit dem Hinweis verbunden wird, die
neue Hauptverhandlung habe zu denselben Feststellungen geführt (BGH NStZ-RR
2009, 148; vgl. auch Rn. 180 ff.); das gilt auch für die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (BGH 24, 274; NStZ-RR 2013, 22) und auch,
wenn zusätzlich ergänzende Feststellungen getroffen worden sind (BGH bei Pfeiffer/
Miebach NStZ 1987, 220; vgl. im Einzelnen BGH NJW 2007, 1540). Eine Verpflichtung zur Darstellung der eigenverantwortlich getroffenen Feststellungen besteht aber
dann nicht, wenn der Tatrichter auf inhaltsgleiche Feststellungen Bezug nehmen
kann, die im Laufe desselben Verfahrens getroffen und durch die Entscheidung des
Revisionsgerichts bindend geworden sind (BGH 30, 225). Zur Bezugnahme in Berufungsurteilen s. unten Rn. 680.
Unzulässig ist es auch, bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) auf die 249
Strafzumessungsgründe des anderen Urteils Bezug zu nehmen; sollen die dort angestellten Erwägungen verwertet werden, sind sie in den Urteilsgründen mitzuteilen.
Urkunden oder andere als Beweismittel dienende Schriftstücke, die im Urteil ver- 250
wertet werden sollen, müssen in zulässiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt
81
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
worden sein. Grundsätzlich sind sie zu verlesen (§ 249 Abs. 1 StPO). Eine Vereinfachung, die zur Beschleunigung der Hauptverhandlung führt, lässt sich mit § 249
Abs. 2 StPO erzielen. Bei Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten können Urkunden auch durch Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts in der Hauptverhandlung
zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, falls nicht die wörtliche Verlesung durch die Aufklärungspflicht des Gerichts geboten ist (BGH NStZ 1981, 231
mit Anm. Kurth).
251 Abbildungen sind in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen. Auch Tatort- oder Unfallskizzen sind – ebenso wie Fotos – Abbildungen (nicht hingegen
elektronische Speichermedien, BGH NJW 2012, 244).
252 Die Urteilsgründe müssen eine Beschreibung der Urkunde oder des Schriftstücks
enthalten, wobei auf Einzelheiten insoweit eingegangen werden muss, wie sie für die
Entscheidung von Bedeutung sein können. Eine wörtliche Wiedergabe des Inhalts ist
also nicht erforderlich. Der Inhalt einer Schrift, an den ein Straftatbestand anknüpft,
muss, soweit er für die Entscheidung bedeutsam ist, auch dann im Urteil wiedergegeben oder wenigstens im Kern dargestellt werden, wenn die Schrift bereits in einem
anderen Strafverfahren eingezogen worden ist (BGH 17, 388).
253 Auf Schriftstücke und Zeichnungen in den Akten darf zur Ergänzung, nicht aber als
Ersatz für die Sachdarstellung verwiesen werden. Infolgedessen genügt auch der Hinweis auf eine Unfallskizze ohne Beschreibung der Unfallstelle im Urteil nicht, oder
die Bemerkung, dass der strafbare Inhalt eines Artikels sich insbesondere aus den mit
Rotstift angestrichenen Stellen ergebe. Es ist aber nicht unzulässig, sich auf Anlagen,
die dem Urteil selbst angeschlossen sind, zu beziehen, wenn diese ersichtlich mit den
Urteilsgründen eine Einheit darstellen sollen, indem wechselseitig vom Urteil auf
bestimmte Anlagen und von diesen auf bestimmte Urteilsstellen verwiesen wird
(BGH NStZ 1987, 375).
254 Die Urteilsgründe müssen auch eine Abbildung, die entscheidungserheblich war,
erörtern. Wenn es etwa darauf ankommt, die Identität einer Person ausschließlich
durch Lichtbilder nachzuweisen, muss sich aus den Gründen in einer für das
Rechtsmittelgericht nachprüfbaren Weise der logische Zusammenhang der Erwägungen in Bezug auf konkret festgestellte Ergebnisse der Augenscheinnahme ergeben.
Die Gründe müssen dann Angaben über die einerseits aus den Bildern und andererseits an der Person erkannten charakteristischen Identifizierungsmerkmale sowie
über die Art und das Maß der Übereinstimmung dieser jeweils festgestellten Merkmale enthalten (BayObLG VRS 61, 41; OLG Hamm VRS 72, 196; bei Janiszewski
NStZ 1988, 121). Im Übrigen ist aber eine genaue Beschreibung der Abbildung in
den Gründen nicht mehr erforderlich; insofern genügt gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO
wegen der Einzelheiten eine Bezugnahme auf die Abbildung, wenn sie sich bei den
Akten befindet (vgl. BGH NJW 2006, 1890; NStZ 2008, 32). Hiermit ist die Schwierigkeit behoben, die Merkmale und den Gesamteindruck der Abbildung sprachlich
treffend zu umschreiben und dadurch dem Revisionsgericht eine genaue Vorstellung
der Abbildung zu vermitteln. Wird im Bußgeldverfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit auf das bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigte Beweisfoto
verwiesen, bedarf es regelmäßig keiner näheren Ausführungen, wenn das Foto zur
Identifizierung generell geeignet ist (BGH 41, 376); noch einfacher ist es, wenn das
Foto selbst oder eine Ablichtung davon in die Urteilsgründe eingefügt wird (BayObLG NStZ-RR 1996, 211), was sich aber bei Lichtbildern pornografischen Inhalts
82
I. Allgemeines
aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes verbietet (BGH NJW 2006, 1890). In diesen Fällen ist auf die bei den Akten befindlichen Abbildungen Bezug zu nehmen und
– wenn es sich um kinderpornografische Aufnahmen handelt – in den Urteilsgründen
die sexuellen Handlungen zumindest der Art nach zu beschreiben (OLG Köln NStZ
2011, 476).
Falls der Inhalt einer CD oder eines sonstigen Tonträgers den Tatbestand einer Straf- 255
tat erfüllt, genügt eine Bezugnahme auf den den Akten beiliegenden Tonträger wiederum nicht. Es muss in den Gründen nicht nur der Text, sondern auch der musikalische Eindruck in sich verständlich sprachlich wiedergegeben werden; dazu muss sich
das Gericht notfalls der Hilfe eines Musikwissenschaftlers als Sachverständigen bedienen (OLG Köln GA 1968, 344 unter Wiedergabe eines diesen Forderungen noch
entsprechenden tatrichterlichen Urteils).
6. Eingangs- und Schlussformel
Manche Richter fangen die Gründe mit den Worten an: »Das Gericht hat nach seiner 256
freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung folgendes für
erwiesen erachtet« oder »Die Hauptverhandlung hat folgendes ergeben« oder mit
ähnlichen Formeln. Das ist nicht falsch, aber zwecklos. Allerdings hat das Gericht
nur auf Grund der mündlichen Verhandlung und nur nach seiner freien Überzeugung
über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu entscheiden (§ 261 StPO), aber wozu hervorheben, dass dieser gesetzlichen Vorschrift genügt ist? Sollte es sich herausstellen,
dass das Gericht seine Überzeugung auf Grund von Dingen gewonnen hat, die nicht
Gegenstand der Hauptverhandlung waren, wie z.B. nicht verlesene Urkunden oder
ein vor der Hauptverhandlung eingenommener Augenschein, so würde das Urteil
trotz der Eingangsformel der Revision nicht standhalten. Also ist ohne Einleitung
gleich mit der Sachdarstellung zu beginnen.
Auch eine Schlussformel »Hiernach war wie geschehen zu erkennen«, »Nach alle- 257
dem war der Berufung der Erfolg zu versagen«, bleibt besser weg. Eine sachliche Bedeutung hat sie nicht und eines Schlusses wie der deutsche Aufsatz bedarf das Urteil
nicht.
Ebenso überflüssig ist es, die Sachdarstellung mit einer Schlussfeststellung zu schließen, z.B.:
Hiernach ist für festgestellt erachtet, dass der Angeklagte in der Absicht, sich einen rechtswidrigen
Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt hat, dass er
durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregte, indem er den A. durch die unwahre
Erzählung, er sei ein wohlhabender vielfacher Haus- und Grundbesitzer, veranlasst hat, ihm ein Darlehen von 500 EUR zu gewähren.
Selbst bei Freispruch fand sich die Schlussfeststellung:
Hiernach konnte nicht für festgestellt erachtet werden, dass der Angeklagte eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen habe, sich diese rechtswidrig anzueignen.
Solche Schlussfeststellungen sind im Gesetz nicht vorgeschrieben und gehören nicht
in ein Urteil.
83
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
7. Änderung der Urteilsgründe
258 Die mündlich verkündeten Urteilsgründe können bis zur Beendigung der Urteilsverkündung, also bis zur vollständigen Bekanntgabe der Urteilsgründe, jederzeit,
auch sachlich, auf Antrag eines Prozessbeteiligten oder von Amts wegen berichtigt
und ergänzt werden. Nach der Beendigung der Urteilsverkündung ist für eine Berichtigung der mündlichen Urteilsgründe kein Raum mehr.
259 Die schriftlichen Urteilsgründe können so lange, wie ihre Feststellung eine innere
Angelegenheit des Gerichts ist, wegen formaler Mängel und auch sachlich berichtigt
und ergänzt werden.
Stimmen die mündlich verkündeten Urteilsgründe mit den schriftlichen nicht überein, so sind allein die schriftlichen Urteilsgründe maßgebend; dabei ist es unerheblich,
ob die Abweichung einen wichtigen oder einen weniger wichtigen Punkt betrifft. Die
Nichtübereinstimmung ist daher auch kein Revisionsgrund (BGH 2, 63, 64; 7, 363).
260 Hat ein Richter einen Urteilsentwurf durch seine Unterschrift vollzogen, so sind
einseitige Streichungen, Einschaltungen und Zusätze sachlicher Art durch den Vorsitzenden oder einen anderen Richter nicht mehr zulässig. Es bedarf dazu vielmehr
eines Beschlusses sämtlicher Mitglieder des Gerichts. Alle Berufsrichter müssen der
Berichtigung oder Änderung zustimmen. Die sachliche Änderung oder Ergänzung
darf aber von den beschlossenen Gründen nicht abweichen, wenn sie auf einem neuen Denkvorgang beruht; es dürfen also z.B. beschlossene Beweistatsachen im Rahmen der Beweiswürdigung nicht sachlich geändert werden, wie natürlich auch die
Feststellungen nicht ergänzt werden dürfen.
261 Der Zeitpunkt, von dem ab die Urteilsgründe nicht mehr eine innere Angelegenheit
des Gerichts sind, tritt mit dem Eingang des Urteils bei der Staatsanwaltschaft zum
Zwecke der Zustellung an sie oder mit der Übergabe des schriftlichen Urteils an die
Geschäftsstelle des Gerichts mit dem Zweck, dass ein Beteiligter Einsicht nehme, ein,
sonst mit der Zustellung des von allen Richtern unterschriebenen Urteils an einen
Prozessbeteiligten (OLG Hamburg MDR 1978, 247). Die Verfügung des Vorsitzenden, der die Übergabe an die Staatsanwaltschaft gemäß § 36 oder § 41 StPO anordnet,
hat nur innerdienstliche Bedeutung. Ist die Frist des § 275 Abs. 1 S. 1 StPO abgelaufen, ist allerdings eine Änderung der Urteilsgründe auch dann nicht mehr möglich,
wenn das Urteil einem Dritten noch nicht zugänglich gemacht wurde (vgl. oben
Rn. 203).
262 Nach dem eben genannten Zeitpunkt dürfen die Urteilsgründe nur noch in unwesentlichen Punkten geändert, mit nebensächlichen Zusätzen versehen und insbesondere in der sprachlichen Fassung verbessert werden. Es gilt für die Berichtigung der
Urteilsgründe derselbe Grundsatz wie für diejenige der Urteilsformel (vgl. oben
Rn. 31): Rein formale Fehler, z.B. Schreibfehler, Rechenfehler, sonstige Fassungsfehler und Unklarheiten, die für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig sind und die mit
Sicherheit den sachlichen Bestand des Urteils nicht berühren, können berichtigt werden (BGH 7, 75; 12, 374; 34, 11 f.); dagegen können sachliche Änderungen und Ergänzungen, die auf einem neuen Denkvorgang beruhen, nicht vorgenommen werden,
ebenso wie eine sachliche Vervollständigung der Gründe unzulässig ist (BGH NStZ
1991, 195). Das gilt insbesondere auch für diejenigen Tatsachen, die der Richter in
den Urteilsgründen als erwiesen festgestellt hat; sie dürfen nicht nachträglich berichtigt werden (BGH 2, 248; 7, 75). Auch unterlassene notwendige Feststellungen dür84
II. Verurteilung
fen nicht nachgeholt werden (BGH NStZ-RR 2007, 236). Solche Berichtigungen wären vom Revisionsgericht nicht zu beachten. Mit anderen Worten: Der Fehler muss
schon ohne Berichtigung aus der Urteilsurkunde selbst offensichtlich sein (BGH
StraFo 2008, 163), und die Berichtigung muss die sachlichen Feststellungen unberührt
lassen.
Die Berichtigung offensichtlicher Fehler in den Urteilsgründen in dem oben genann- 263
ten Umfang ist zulässig, auch wenn dadurch der Revision der Boden entzogen würde
(BGH NJW 1952, 797; 1954, 730). Dies gilt nach BGH NStZ 2007, 661 nunmehr
auch für Protokollberichtigungen (dazu unten Rn. 1033).
8. Wiederherstellung der Urteilsgründe
Eine verloren gegangene Urteilsurkunde kann zu jeder Zeit derart wiederhergestellt 264
werden, dass die beteiligten Richter eine neue Urschrift herstellen und unterschreiben; stimmen die Urteilsgründe der neuen Urschrift nach den dienstlichen Äußerungen der richterlichen Mitglieder im Wesentlichen mit den Gründen der früheren Urschrift überein, so ist die so wiederhergestellte Urschrift verfahrensrechtlich der
früheren Urschrift gleichzustellen. Können die Richter jedoch nicht mit Sicherheit
erklären, dass die neuen Urteilsgründe in allen Punkten inhaltlich der Urschrift entsprechen, so kann die neue Urteilsniederschrift die verloren gegangene nicht ersetzen.
Diese Urteilsfassung an die Stelle der verloren gegangenen zu setzen, scheitert dann
an der mit Sicherheit gegebenen Überschreitung der Frist des § 275 Abs. 1 S. 1 StPO.
Etwas anderes könnte nur gelten, wenn das Urteil bereits vor Ablauf dieser Frist verloren gegangen wäre, da dann der Verlust möglicherweise als ein nicht vorhersehbarer
unabwendbarer Umstand i.S.d. § 275 Abs. 1 S. 4 betrachtet werden könnte (BGH bei
Holtz MDR 1980, 274; StraFo 2012, 271).
II. Verurteilung
1. Übersicht über den Inhalt
Die allgemeine Vorschrift des § 34 StPO, dass die durch Rechtsmittel anfechtbaren 265
Entscheidungen, also auch die Urteile, mit Gründen zu versehen seien, ist für die Urteilsgründe ohne Bedeutung; denn was die Gründe enthalten müssen, steht nicht hier,
sondern in § 267 StPO.
Danach müssen die Gründe enthalten:
1. die erwiesenen Tatsachen,
2. den Ausspruch über die besonderen Umstände des Absatzes 2,
3. das Strafgesetz,
4. die Strafzumessungsgründe,
5. die Entscheidung über das Vorliegen der Umstände eines minder schweren Falles,
wenn
a) diese Umstände angenommen oder
b) ein Antrag auf Zubilligung abgelehnt worden ist,
6. die Entscheidung über das Vorliegen eines besonders schweren Falles, wenn
a) trotz der Regel ein besonders schwerer Fall verneint oder
b) ein besonders schwerer Fall bejaht wird, obwohl ein Regelbeispiel nicht eingreift,
85
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
7. bei einer unter sechs Monaten liegenden Freiheitsstrafe
a) die Gründe, warum eine kurze Freiheitsstrafe verhängt wurde oder
b) warum einem Antrag auf Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht stattgegeben wurde,
8. die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit
Strafvorbehalt oder das Absehen von Strafe, falls
a) eine solche Erleichterung gewährt oder
b) sie entgegen einem gestellten Antrag nicht gewährt worden ist,
9. die Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung, falls
a) eine solche angeordnet oder
b) entgegen einem gestellten Antrag nicht angeordnet worden ist oder
c) ohne Rücksicht auf einen gestellten Antrag von dem Entzug der Fahrerlaubnis
oder der Anordnung einer selbständigen Sperrfrist abgesehen wurde, obwohl
diese Maßregel nach der Art der Straftat in Betracht kam.
Die Gründe sollen ferner enthalten:
10. die Angabe der Beweistatsachen beim Verdachtsbeweis (Indizienbeweis).
266 Da nach dem Sprachgebrauch der Strafprozessordnung mit »müssen« die zwingenden, mit »sollen« die nicht zwingenden Vorschriften bezeichnet werden, begründet
ein Mangel in den Punkten 1 bis 9 in der Regel die Revision, während ein Verstoß
gegen Punkt 10 keine Gesetzesverletzung enthält. Zu einem ordnungsgemäß begründeten Urteil gehören aber sämtliche zu 1 bis 10 angegebenen Erfordernisse und, wie
sich aus dem folgenden ergibt, noch manche andere. Bereits oben (Rn. 231) wurde
erwähnt, dass sich das Urteil auch über die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten aussprechen muss (BGH StraFo 2013, 259). Ferner muss ein Urteil regelmäßig die
Beweisgründe angeben und eine Beweiswürdigung enthalten (dazu unten Rn. 347 ff.).
Erfüllt ein Urteil nicht die Mindestanforderungen des § 267 StPO, so greift meist
bereits die Sachbeschwerde durch, so dass es der Rüge der Verletzung des § 267 gar
nicht bedarf.
2. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten
267 Wird der Angeklagte verurteilt, so muss sich das Urteil mit den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten (Vorleben, Vorstrafen, allgemeine und berufliche Entwicklung, Familienverhältnisse, Krankheiten, Eigenarten usw.) auseinandersetzen.
Bei freisprechenden Urteilen ist das nur ausnahmsweise der Fall, vgl. Rn. 233. Enthält
das Urteil hierzu keine Ausführungen, so liegt darin ein sachlich-rechtlicher Mangel
(§ 46 Abs. 2 StGB), der zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch führt
(BGH NStZ-RR 2007, 236 m.w.N.). Macht der Angeklagte keine Angaben, so muss
das Gericht versuchen, mit anderen Erkenntnisquellen – z.B. durch die Verlesung von
Vorstrafen- oder Ausländerakten oder die Vernehmung von Auskunftspersonen – ein
Bild von der Persönlichkeit des Täters zu gewinnen; denn ohne die Kenntnis der Täterpersönlichkeit lässt sich weder das Maß der persönlichen Schuld eines Täters noch
Maß und Art seiner Resozialisierungsbedürftigkeit, insbesondere nicht seine Strafempfindlichkeit beurteilen (BGH NStZ-RR 1999, 46). Eine feste Regel, an welcher
Stelle sich die Urteilsgründe mit den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten befassen müssen, gibt es nicht. Die meisten Gerichte bringen diese Erörterungen vernünftigerweise am Anfang der Gründe, stellen damit den Angeklagten gleichsam vor
und erleichtern somit dem Leser die Einführung in das Urteil. Diese Handhabung
86
II. Verurteilung
ermöglicht vielfach eine zwanglose Überleitung zur Tat des Angeklagten und hat nur
gelegentlich den Nachteil, dass die Ausführungen teilweise bei der Erörterung der
Rechtsfolgen wiederholt werden müssen. Daher ist es – wenn auch unüblich – nicht
unzulässig, die Darstellung der persönlichen Verhältnisse an die Spitze der Strafzumessungserwägungen zu stellen oder sie – wenn die Lebensführung des Angeklagten
Anlass dazu gibt – bei der Prüfung der Anwendbarkeit des § 20 StGB oder bei Jugendlichen in dem Abschnitt über die Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) zu bringen.
Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten sollen allerdings in die Urteilsgründe 268
nur insoweit aufgenommen werden, wie ihre Kenntnis zur Beurteilung der Schuldund Straffrage erforderlich ist (vgl. auch § 243 Abs. 5 S. 3 StPO; BGHR StPO § 267
Abs. 3 S. 1 Strafzumessung 20). Der Angeklagte sollte nicht unnötig bloßgestellt
werden. Daher brauchen auch nicht schematisch sämtliche Vorstrafen des Angeklagten aufgezählt zu werden; es genügt die Angabe der einschlägigen oder für die Beurteilung der Tat interessierenden Vorstrafen (BGH NStZ-RR 2013, 287). So ist es etwa
überflüssig, bei einem mehrfach einschlägig vorbestraften Bankräuber mitzuteilen,
dass dieser als 14-Jähriger betrunken Mofa gefahren ist oder dass ein Mörder als Jugendlicher wegen eines Ladendiebstahls verwarnt worden war. Andererseits sind –
z.B. wenn die Anordnung von Sicherungsverwahrung erwogen wird oder eine Gesamtstrafenbildung mit der neuerlichen Verurteilung in Betracht kommt – nähere
Feststellungen zu einschlägigen Vorstrafen und deren Vollstreckungsstand erforderlich. Wenn eine zur Bewährung ausgesetzte Strafe in eine zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen wird, sind wegen der Anrechnungspflicht der §§ 58 Abs. 2
S. 2 i.V.m. 56f Abs. 3 StGB zur Erfüllung von Auflagen erbrachte Leistungen im Urteil mitzuteilen (BGH NStZ-RR 2009, 201).6 Ein gutes Urteil zeichnet sich dadurch
aus, dass die Vorstrafen in den Lebenslauf eingearbeitet und nicht nur schematisch
und zusammenhangslos an die Darstellung der persönlichen Verhältnisse »angehängt« werden (vgl. Pohl S. 167). Dies bedeutet für den Urteilsverfasser zwar eine
größere Mühe, beweist aber, dass er sich wirklich mit den Vorstrafen befasst und ihre
Auswirkungen auf den Lebensweg des Angeklagten erkannt hat. Dadurch wird der
Richter auch gezwungen, die Bewährungszeiten und die Zeiten der Strafverbüßungen
festzustellen und mitzuteilen, die bei einem bloßen Abschreiben des Strafregisterauszuges oftmals vergessen werden. Verfehlt ist es aber, den gesamten Wortlaut der Feststellungen längerer Vorstrafenurteile in den Urteilstext einzufügen oder gar den vollständig abgelichteten Urteilstext als Anhang dem neuen Urteil beizufügen. Eine
solche Vorgehensweise kann die Besorgnis begründen, der Richter habe sich mit dem
früheren Urteil inhaltlich nicht auseinandergesetzt und überlasse es dem Revisionsgericht, die bedeutsamen Umstände auszusondern und zu würdigen.
Allgemein gilt für die Darstellung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, 269
dass sie nur insoweit erforderlich ist, als sie Schlüsse auf Anlage, Entwicklung, Persönlichkeit und Umwelt des Angeklagten zulässt, damit einen Einfluss auf das Maß
6 Die gelegentlich zu beobachtende Methode, einfach den Computerausdruck aus dem Bundeszentralregister in Fotokopie in die Urteilsgründe einzufügen, nährt den Verdacht, der Richter habe sich
nicht wirklich ernsthaft mit den Vorstrafen des Angeklagten befasst; sie birgt auch die Gefahr, dass
nach § 51 Abs. 1 BZRG zur Zeit der Hauptverhandlung unverwertbar gewordene Vorstrafen Eingang in die Urteilsgründe finden (BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Sachdarstellung 1) und kann im
Einzelfall den Strafausspruch gefährden (BGH JR 1988, 475 mit Anm. Schäfer; BGH NStZ 1995,
300).
87
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
der Schuld oder die Höhe der Strafe hat oder kriminologisch von Bedeutung ist.7
Verfehlt wäre es deshalb, bei einem wegen Untreue verurteilten 60-jährigen GmbHGeschäftsführer dessen Kindheit und Schulzeit im Einzelnen zu schildern. Der Tag
der vorläufigen Festnahme, die Zeit der Untersuchungshaft und eventuell auch der
Auslieferungshaft sind – weil für die Strafzumessung bedeutsam – mitzuteilen.
3. Sachverhaltsschilderung
a) Wesen und Zweck
270 Als das Wichtigste wird in § 267 StPO vorangestellt die Angaben der für erwiesen
erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden
werden. Man nennt sie die Geschichtserzählung, Darstellung des Sachverhalts oder
kurz Feststellung. Sie bildet die eigentliche Besonderheit des Strafurteils. Nur eine die
Ergebnisse der Hauptverhandlung klar zusammenfassende Sachdarstellung genügt
den Erfordernissen des Verfahrensrechts und des sachlichen Rechts. Die Sachdarstellung enthält die Entscheidung des Gerichts über das Ergebnis der Beweisaufnahme
(§ 261 StPO), d.h. sie schildert den Vorfall, den das Gericht für erwiesen erachtet.
Aber diese Schilderung ist nicht Selbstzweck, sondern sie soll erkennen lassen, ob
sich in dem dargestellten Sachverhalt die Merkmale einer Straftat finden.
270a Gelegentlich kann die Darstellung der Vorgeschichte, aus der sich eine Straftat entwickelt hat, zu deren Verständnis geboten sein; dann sollte in den Urteilsgründen –
etwa durch eigenen Absatz oder entsprechende Überschriften – kenntlich gemacht
werden, was Vorgeschichte und was Tatgeschehen ist (BGH NStZ-RR 2001, 107). Im
Regelfall wird jedoch eine zusammenfassende Darstellung der Umstände, in die die
Tat eingebettet ist, genügen.
Wenn allerdings die Schilderung des eigentlichen Tatgeschehens z.B. auf Seite 50 eines
Urteils beginnt, lässt das nur den Schluss zu, dass der Urteilsverfasser nicht die notwendige gedankliche Vorarbeit angestellt hat, eine wertende Auswahl zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu treffen. Genau darin liegt aber die unverzichtbare geistige Leistung, die von einem Richter erwartet wird.
271 Die Sachverhaltsschilderung (Feststellung) soll ein geschlossenes Ganzes bilden. Sie
soll kurz, klar und bestimmt sein, alles Unwesentliche fortlassen und vor allen Dingen eine geschlossene Darstellung – aus einem Guss – sein. Die fehlende geschlossene Darstellung des erwiesenen Sachverhalts kann nicht durch verstreute Feststellungen tatsächlicher Art, die aus verschiedenen Teilen des Urteils entnommen
werden, ersetzt werden (BGH NStZ 1990, 496). Es ist nämlich nicht Sache des Revisionsgerichts, »den Sachverhalt, den sich der Tatrichter vorgestellt hat, aus verschiedenen Abschnitten der Urteilsgründe, aus verstreuten Feststellungen, z.B. aus der
Beweiswürdigung, sozusagen mosaikartig zusammenzusuchen oder durch Auslegung
zu ermitteln«. Dieser Satz findet sich inhaltlich immer wieder in Urteilen der Revisionsgerichte, und es ist daher ständige Rechtsprechung, dass solche Urteile, die keine
geschlossene Darstellung des erwiesenen Sachverhalts enthalten, infolge der dadurch
7 Findet die Berufungshauptverhandlung lange Zeit nach dem erstinstanzlichen Urteil statt, muss
das Berufungsurteil auch Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen treffen, die sich auf den
Zeitraum nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils beziehen; die Feststellung, das Gericht habe zu
den persönlichen Verhältnissen und den Vorstrafen des Angeklagten die gleichen Feststellungen
wie das Amtsgericht getroffen, reicht dann nicht aus (OLG Stuttgart StV 1991, 340).
88
II. Verurteilung
zwangsläufig gegebenen Unklarheiten nicht nur gegen § 267 StPO, sondern auch gegen das sachliche Recht verstoßen (vgl. z.B. BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Sachdarstellung 2, 3, 11).
Enthält das Urteil eine Sachverhaltsschilderung, ist diese aber lückenhaft, so kann 272
das Revisionsgericht nur ausnahmsweise solche Lücken im Sachverhalt selbst schließen, wenn sich das Fehlende aus einer offenkundigen allgemeinen Erfahrungstatsache
ergibt, wobei diese in einer an Sicherheit grenzenden Weise feststehen muss.
Die Feststellungen zur äußeren und inneren Tatseite dürfen sich natürlich nicht in 273
allgemeinen Formeln und Wendungen erschöpfen. Sie müssen nachprüfbar und derart beschaffen sein, dass sie den Schuldspruch rechtfertigen. Es sind die Tatsachen
vollständig anzuführen, aus denen sich ergibt, dass der Sachverhalt zutreffend unter
die angewendeten Strafvorschriften subsumiert worden ist, d.h. es sind die die einzelnen Tatbestandsmerkmale ausfüllenden Tatsachen wiederzugeben (BGH NStZ-RR
[C/Z] 2013, 104). Es muss dargelegt werden, dass der äußere wie der innere Tatbestand einer Straftat vorliegt. Der erstere umfasst die objektiven Merkmale des Tuns
oder Unterlassens mit dem etwaigen Erfolgssachverhalt einschließlich der sog. normativen Tatbestandsmerkmale (z.B. Beleidigung, sexuelle Handlung, Urkunde) und
die etwaigen objektiven Tätereigenschaften (z.B. Amtsträger). Der letztere betrifft die
jeweilige Schuldform (Vorsatz, Fahrlässigkeit) und die subjektiven Unrechtselemente
(z.B. Absicht). Trotz alledem ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, bei
einer Vielzahl von Taten, die im Wesentlichen gleichgelagert sind und denselben Tatbestand erfüllen, davon abzusehen, die konkreten Sachverhalte der Einzeltaten mitzuteilen und diese in einer Liste zusammenzufassen, in der die jeweiligen Taten nach
Tatzeit, -ort, Geschädigten und Schadenshöhe individualisiert werden. Auch dann
müssen die Urteilsgründe aber so abgefasst werden, dass sie erkennen lassen, welche
der festgestellten Tatsachen den einzelnen objektiven und subjektiven Tatbestandmerkmalen zuzuordnen sind (BGH NStZ 2008, 352; NStZ-RR 2010, 54).
Das Ergebnis der Verhandlung in tatsächlicher Hinsicht, aber zugespitzt auf die
rechtliche Beurteilung, bildet also die Feststellung. Sie beantwortet die Frage: Welchen Sachverhalt nimmt das Gericht als erwiesen an?
b) Urteilsverfasser als Augenzeuge
Zur Beantwortung der Frage, wie der Sachverhalt zu schildern ist, gibt es eine einfa- 274
che Regel:
Die Straftat des Angeklagten ist so zu schildern, als hätte sie der Urteilsverfasser miterlebt und erzählte sie als Augenzeuge. Freilich als ein Augenzeuge, der weiß, worauf
es ankommt, und der nur das mitteilt, was Beziehung auf den Tatbestand und die
Rechtsfolgen hat.
Daraus folgt einerseits, dass sich der Urteilsverfasser nicht durch das Bestreben nach
Gründlichkeit verführen lassen darf, nebensächliche Dinge in das Urteil aufzunehmen, die mit der Entscheidung nichts zu tun haben, sondern dass er bei jeder mitgeteilten Tatsache prüfen muss, ob sie dazu dient, einen Baustein für die Entscheidung
zu liefern. Hält sich der Urteilsverfasser bei jedem Satz, den er schreibt, die Frage vor
Augen, inwiefern dieser zum Nachweis eines Tatbestandsmerkmales oder einer Strafzumessungstatsache beiträgt, so wird er ein von allem Unwesentlichen freies Urteil
schreiben, das die tat- und täterkennzeichnenden Merkmale klar hervortreten lässt.
89
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
275 Auf der anderen Seite genügt es nicht, wenn die Gründe ein bloßes Gerippe bilden
und den Sachverhalt in flüchtigen Umrissen etwa mit den Worten der Anklageschrift
wiedergeben (BGH NStZ-RR 2011, 52) oder nur in einer Aneinanderreihung der
Einlassung des Angeklagten und der Aussagen der Zeugen oder in allgemeinen Formeln und Wendungen bestehen. So darf sich der Richter auch nicht etwa auf die Feststellung beschränken, »der Angeklagte räumt ein, er habe …«; dann kann nämlich
zweifelhaft sein, ob diese Tatsachen auch zur Überzeugung des Gerichts feststehen.
Übernimmt der Richter eine Einlassung des Angeklagten, so muss sich somit aus den
Gründen ergeben, dass er von der Richtigkeit der Angaben des Angeklagten überzeugt ist. Ebenso genügt es nicht zu sagen, die Zeugen hätten bekundet, der Angeklagte habe das und das getan. Hier bleibt zweifelhaft, was das Gericht als erwiesen
angenommen hat. Der Vorfall muss also zusammenhängend und genau mit allen Einzelheiten, die für den gesetzlichen Tatbestand wichtig sind, erzählt werden. Wie genau die Sachverhaltsschilderung sein muss, lässt sich allgemein nicht sagen; es kommt
immer auf den Einzelfall an. Manchmal können wenige Ausführungen genügen,
wenn etwa der Straftatbestand – Entwendung einer Sache – klar auf der Hand liegt,
manchmal ist eine eingehende Darstellung erforderlich, z.B. bei einer schwer durchschaubaren Untreue oder einem raffinierten Betrug.
Beispiele: Der Angeklagte entwendete am 27. Februar 2013 in der Gastwirtschaft »Zum Ochsen«
in Wiesbaden-Biebrich dem neben ihm sitzenden Arbeiter Josef Meier einen Zwanzig-Euro-Schein,
indem er ihn vorsichtig aus dessen Jackentasche zog; anschließend verließ er die Gaststätte und
kaufte sich von dem Geld Alkohol und Zigaretten.
Am frühen Abend des 20. Januar 2013, gegen 19 Uhr, war die 70 Jahre alte Rentnerin Maria Degenfeld in Ansbach auf dem Heimweg von einem Besuch bei ihrer verheirateten Tochter zu ihrer
Wohnung im Grimmigweg 25 in der Neustadtsiedlung. Es war bereits dunkel. Als sie sich auf der
Dürerstraße befand, ungefähr 200 m vor der Abzweigung des Grimmigweges, einer von der Straßenbeleuchtung nicht unmittelbar beleuchteten Stelle, rannte der Angeklagte von hinten links an
ihr vorbei, gab ihr mit der rechten Faust einen heftigen Stoß in die Hüfte und entriss ihr mit kräftigem Ruck die lederne Handtasche, die Frau Degenfeld am linken Unterarm trug. In der Tasche befand sich eine Geldbörse mit ca. 150 EUR Inhalt. Der Angeklagte entnahm auf der Flucht das Geld
aus der Tasche und warf sie weg, während er das Geld in der folgenden Nacht, zusammen mit seiner
Freundin Lotte Leichter, in der Melodie-Bar in Ansbach verbrauchte.
(In beiden Fällen ist der äußere und innere Tatbestand ausreichend festgestellt.)
276 In Urteilen wegen falscher uneidlicher Aussage oder wegen Meineids ist oft die
Vorgeschichte der Aussage nicht eingehend genug wiedergegeben. Notwendig ist in
diesen Fällen, dass das Urteil darüber Auskunft gibt, wie es zur Vernehmung des
Zeugen kam, auf welche Weise er mit dem Gegenstand der Vernehmung vertraut geworden ist, wie der Beweisbeschluss lautete und was der Zeuge zu den Fragen und zu
dem Vernehmungsgegenstand wörtlich ausgesagt hat. Derjenige Teil der Aussage, der
als falsch oder unvollständig angesehen wird, ist genau, möglichst im Wortlaut, wiederzugeben. Unter Umständen ist es auch erforderlich, anzugeben, warum er falsch
oder unvollständig ist. Dabei ist möglicherweise auch auf zivilrechtliche Gesichtspunkte einzugehen. Hat der Zeuge bekundet, er habe ein »Scheingeschäft« vermittelt,
und soll diese Aussage falsch sein, so muss dargelegt werden, warum, zivilrechtlich
gesehen, kein Scheingeschäft vorliegt. Besondere Gründlichkeit ist dann geboten,
wenn der Vorwurf in einer unvollständigen Aussage besteht. Hat der Zeuge einen
Vorgang unrichtig geschildert, so muss das Urteil darlegen, wie der Vorgang in Wirklichkeit abgelaufen ist.
90
II. Verurteilung
In Verkehrsstrafsachen ist besonders darauf zu achten, dass die Sachverhaltsdarstel- 277
lung klar, unmissverständlich, umfassend und ein geschlossenes Ganzes ist; dazu gehört, dass sie Örtlichkeit und Verkehrslage erkennen lässt. Vor allem aber muss die
Sachverhaltsschilderung ein klares Bild darüber geben, wie sich nach der Überzeugung des Gerichts das Unfallgeschehen abgespielt hat; Zweifel dürfen sich nicht in
die Feststellung einschleichen. Es muss der gesamte Verkehrsvorgang dargestellt werden mit den Tatsachen, die das Verhalten des Angeklagten und die daraus entstandenen Folgen kennzeichnen (OLG Koblenz VRS 59, 116). Lassen sich keine zuverlässigen Feststellungen darüber treffen, welche von mehreren, nicht bloß theoretisch
möglichen Unfallursachen vorliegt, muss der Richter bei der Urteilsfindung entweder
Wahlfeststellungen treffen (vgl. unten Rn. 337ff.) oder die für den Angeklagten günstigste Unfallursache zugrunde legen (BGH VRS 29, 116).
Beispiele für einen falschen Urteilsaufbau und für eine nicht den Anforderungen des Gesetzes entsprechende Feststellung in Verkehrsstrafsachen:
1. Die Strafkammer hat zunächst einen kurzen Überblick über das Unfallgeschehen ohne die rechtlich erheblichen Einzelheiten gegeben. Im Anschluss daran hat sie die verschiedenen Einlassungen
des Angeklagten vor der Strafkammer, vor der Polizei und vor dem Amtsgericht im Einzelnen aufgeführt und ausführlich über die Aussagen von vier Zeugen berichtet. Danach sind Einzelheiten aus
der polizeilichen Unfallskizze und aus Lichtbildern angeführt. Es folgt eine kurze Auseinandersetzung mit den Bekundungen der Zeugen und den Einlassungen des Angeklagten. Schließlich heißt es:
»Die Strafkammer hat daher in dieser Hinsicht das als festgestellt angesehen, was der Angeklagte
früher hierzu angegeben hat. Auch die Tatsachen, die der Zeuge D … bekundete und die aus der Unfallskizze und den Lichtbildern zu entnehmen waren, sind als festgestellt anzusehen …«
Das Revisionsgericht hat dieses Urteil mit Recht aufgehoben und zur Begründung ausgeführt:
»Eine solche Begründung gibt kein klares Bild darüber, wie sich der Unfall nach der Ansicht der
Strafkammer in den für die rechtliche Beurteilung wesentlichen Einzelheiten zugetragen hat. Für die
Entscheidung maßgeblich ist nicht das, was der Angeklagte und die Zeugen über den Sachhergang
angeben, sondern das Bild, das sich der Tatrichter mittels selbständiger Würdigung ihrer Aussagen
und der sonstigen Ergebnisse der Beweisaufnahme formt und seinem Urteil zugrunde legt. Die zusammenhängende selbständige Darstellung des Unfallhergangs, wie ihn sich das Gericht auf Grund
seiner Würdigung des Beweisergebnisses vorstellt und die den Angeklagten das »Warum« seiner
Verurteilung verstehen lässt, kann durch ein Aneinanderreihen von erheblichen und unerheblichen,
wahren und unwahren Angaben des Angeklagten und der Zeugen nicht ersetzt werden, auch nicht
in der Weise, dass auf das, »was der Angeklagte früher angegeben hat«, Bezug genommen wird. Es
reicht auch nicht aus und ist falsch, wenn Einzelheiten des Hergangs in der rechtlichen Würdigung,
und zumal noch außerhalb einer zusammenhängenden Darstellung, erwähnt werden.«
2. Das Amtsgericht hat in einer Verkehrsstrafsache gegen einen Angeklagten, der der fahrlässigen
Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung angeklagt war, weil er
mit seinem PKW auf der Autobahn zum Überholen angesetzt habe, obwohl sich auf der Überholbahn ein schnelleres Fahrzeug genähert habe, die Verurteilung wie folgt begründet:
Nach einer Einleitung über die persönlichen Verhältnisse hat es in einzelnen Abschnitten nacheinander den Anklagevorwurf, die Einlassung des Angeklagten sowie den Inhalt der Aussagen der Zeugen und des Sachverständigen inhaltlich wiedergegeben.
Dann fährt das Urteil wörtlich fort:
»Damit hat die Hauptverhandlung den gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf hinsichtlich des
objektiven Tatbestandes bestätigt.«
Dieser Satz ist keine Feststellung des Sachverhaltes, zumal eine Feststellung zur inneren Tatseite
fehlt.
In der Folge würdigt das Amtsgericht nun die Aussagen der Zeugen und Sachverständigen und fährt
dann fort:
»Das Gericht erachtet danach, wobei es, soweit die Zeugenaussagen nicht genau übereinstimmen,
von der dem Angeklagten günstigeren Möglichkeit ausgeht, als festgestellt, dass der BMW mit einer
91
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
nur wenig geringeren Geschwindigkeit als der auf der Überholbahn mit etwa 120 km/h fahrende
VW des Zeugen . . . im Abstand von 5 m vor diesem allmählich in einer als normal zu bezeichnenden Fahrweise auf die Überholbahn herübergezogen ist und dabei mit dem linken Vorderrad bis an
den Mittelstreifen herankam.«
Dieser – stilistisch unschöne – Satz kann schon deshalb nicht als ausreichende Sachverhaltsfeststellung angesehen werden, höchstens als ein Ansatz einer solchen, weil er nur das Verhalten des Angeklagten, für sich allein betrachtet, feststellt, nicht aber dessen Verhalten zu dem Verhalten des Fahrers des überholenden PKW in Beziehung setzt. Der genannte Satz enthält also nicht die
vollständige Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der
Straftat, nämlich einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung bzw. einer fahrlässigen Körperverletzung, gefunden werden.
Im Anschluss an diese sogenannte Feststellung hat das Gericht wiederum eine Beweiswürdigung
vorgenommen, nämlich Ausführungen darüber gemacht, dass nur der Angeklagte und nicht ein anderer Fahrer als Täter in Frage komme.
Solche Urteilsgründe sind zunächst im Aufbau grundsätzlich falsch und halten daher schon aus diesem Grunde der Revision nicht stand. Sie enthalten vor allem keine selbständige, in sich geschlossene Sachdarstellung, aus der sich eindeutig ergibt, welchen Sachverhalt das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.
278 Mitunter ist es zweckmäßig, eine knappe Zusammenfassung – ohne Wiedergabe der
rechtlich erheblichen Einzelheiten – voranzustellen, die erkennen lässt, um was es
geht. Sie macht es einfacher, das Urteil zu verstehen. So empfiehlt es sich etwa in einem Schwurgerichtsverfahren wegen Mordes zu Beginn zu sagen, wer das Opfer ist,
also z.B. »Der Angeklagte hat am 14. Januar 2013 seine schlafende Ehefrau mit einem
Handtuch erdrosselt.« Erst in den dann folgenden Absätzen der Urteilsgründe werden die Vorgeschichte der Tat und die Tat selber in den Einzelheiten erörtert.
In einer umfangreichen Wirtschaftsstrafsache wegen Betruges könnte etwa der Satz
vorangestellt werden: »Der zu Beginn des Jahres 2011 bereits hoch verschuldete Angeklagte bestellte für seine Firma in der Zeit bis zu seiner Verhaftung Anfang Juni
2013 in einer Vielzahl von Fällen Waren, obwohl ihm klar war, dass er diese nicht
würde bezahlen können.« Im Folgenden werden dann die einzelnen Taten dargestellt.
279 Es ist systematisch falsch, Feststellungen zum inneren Tatbestand (vgl. unten
Rn. 302) ganz oder teilweise erst dann zu bringen, wenn erörtert worden ist, wie sich
der Angeklagte zur Tat eingelassen hat. Dies birgt auch die Gefahr in sich, dass die
Feststellungen zum inneren Tatbestand unvollständig oder unklar sind, weil Einlassung und Feststellung wechseln, oder dass sich Widersprüche einschleichen. Es müssen also alle festgestellten Tatsachen, gleichgültig, ob sie den äußeren oder den inneren Tatbestand betreffen, erschöpfend mitgeteilt werden, bevor die Einlassung des
Angeklagten und die Beweise erörtert werden. Es ist deshalb falsch, den inneren Tatbestand erst bei der Beweiswürdigung oder gar erst bei der Strafzumessung zu behandeln.
280 Bei der Tatsachenfeststellung muss der Verfasser darauf achten, dass er die Darstellung des erwiesenen Sachverhalts nicht mit der Beweiswürdigung oder mit
Rechtsausführungen vermengt oder erst bei der rechtlichen Würdigung tatsächliche
Umstände erstmalig feststellt. Manchmal erscheinen sogar noch bei der Strafzumessung Erörterungen, die sich an die Feststellungen anlehnen und dann leicht Widersprüche hervorrufen. Bei einer solchen Vorgehensweise besteht immer die Gefahr,
dass unklar ist, welchen Sachverhalt das Gericht für erwiesen erachtet hat.
92
II. Verurteilung
c) Feststellung aller Tatbestandsmerkmale
Die Feststellung muss alle Tatbestandsmerkmale der Straftat, deretwegen der Ange- 281
klagte verurteilt ist, die äußeren und die inneren, enthalten; wenn auch nur ein einziges nicht vorliegen würde, hätte der Angeklagte nicht verurteilt werden dürfen. Da
eins so wichtig ist wie das andere, müssten an sich alle in gleicher Weise erörtert werden. Wesen und Zweck der Gründe bringen es aber mit sich, dass das Hauptgewicht
auf die Darstellung der Vorgänge zu legen ist, die der Angeklagte oder die Staatsanwaltschaft bestreiten, und dass die übrigen nur kurz erwähnt werden.
Beispiel: A. ist angeklagt, bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens veräußert zu haben (§ 288
StGB). Den Verkauf von Vermögensstücken trotz drohender Zwangsvollsteckung gibt er zu, bestreitet aber den Vorwurf, er habe die Befriedigung des Gläubigers vereiteln wollen. Hier wird das Urteil
die Tatsachen, die für die strafbare Absicht des A. sprechen, einzeln darlegen müssen, während es
genügt, die übrigen Merkmale nur zu erwähnen. Bestreitet er dagegen, zur Zeit des Verkaufs dem
Gläubiger etwas schuldig gewesen zu sein, so ist dieser Gesichtspunkt besonders zu erörtern.
Die Regel, dass die Punkte, die von dem Angeklagten oder der Staatsanwaltschaft 282
bestritten werden, besonders ausführlich behandelt werden müssen, ist ein Hauptgrundsatz für die Urteilsabfassung. Sie gilt nicht nur für die Feststellung des Sachverhalts, sondern auch für die Rechtserörterungen.
Gegen die Vorschrift, dass alle Tatbestandsmerkmale festzustellen sind, wird oft 283
verstoßen, und von den Urteilen, die beim Revisionsgericht Schiffbruch erleiden,
scheitern vielleicht mehr an dieser Klippe als an unrichtiger Gesetzesauslegung. Es ist
auch erklärlich, dass der Urteilsverfasser in dem Bestreben, die vom Angeklagten bestrittenen Umstände gut hervorzuheben, die Feststellung anderer Tatbestandsmerkmale übersieht. Er ist dann sehr erstaunt, wenn die Revision erfolgreich auf mangelnde Feststellung von Tatbestandsmerkmalen gestützt wird, die für selbstverständlich
angesehen wurden und an deren Vorhandensein in der Verhandlung weder der Angeklagte noch der Verteidiger noch sonst jemand gezweifelt hat. Das Gericht ist aber im
Strafverfahren – im Gegensatz zum Zivilprozess, in dem nur die Parteibehauptungen
geprüft werden – verpflichtet, die Tat des Angeklagten nach allen gesetzlichen
Merkmalen von Amts wegen zu prüfen und in den Gründen festzustellen (die Tatsachen, deren Prüfung aus den Gründen nicht hervorgeht, gelten als nicht geprüft; allerdings darf das Rechtsmittelgericht in gewissem Umfang nicht ausdrücklich festgestellte Tatbestandsmerkmale, äußere wie innere, auch aus dem Zusammenhang der
Urteilsgründe als vorhanden annehmen). Ein stillschweigendes Zugeständnis des Angeklagten befreit zwar insoweit von ausführlicher Begründung, es macht die Notwendigkeit allseitiger Prüfung aber deshalb nicht entbehrlich, weil kein Verfügungsrecht der Prozessbeteiligten über den Prozessstoff besteht.
d) Angabe der Gesetzesworte
Die Feststellung mit den Worten des Gesetzes ist einerseits nicht geboten, anderer- 284
seits nicht ausreichend. Die Urteilsgründe stellen also die gesetzlichen Merkmale der
Tat nicht mit den Ausdrücken des Gesetzes fest; es ist z.B. der Ausdruck »Person«
durch den Namen der Person, der Ausdruck »bewegliche Sache« durch die Bezeichnung der Sache zu ersetzen. Dadurch unterscheidet sich die Vorschrift über die Urteilsgründe von derjenigen über die Anklageschrift (§ 200 StPO), in der die »gesetzlichen Merkmale der Straftat« zu bezeichnen sind; demgegenüber schreibt § 267 Abs. 1
93
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
S. 1 StPO vor, dass die für erwiesen erachteten Tatsachen anzugeben sind, in denen
die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Anders ausgedrückt heißt
das, es sollen diejenigen Tatsachen angeführt werden, in denen sich der Tatbestand
des Paragraphen verwirklicht; dass die Ausdrücke des Strafgesetzes gebraucht werden
sollen, ist nicht gesagt.
Auf der anderen Seite ist eine Feststellung, die sich auf die Anführung der Gesetzesworte beschränkt, ebenso wenig ausreichend wie der Gebrauch allgemeiner Redewendungen. Die gesetzlichen Merkmale der Straftat müssen in einzelne konkrete Tatsachen aufgelöst werden.
Dass eine Feststellung, die sich in der Wiederholung der Gesetzesworte erschöpft,
nicht ausreichend ist, leuchtet ohne weiteres für den Fall ein, dass in den Gründen
jede Schilderung des Vorgangs unterlassen und lediglich gemäß dem Wortlaut des
Gesetzes gesagt wird:
Der Angeklagte ist in Heidelberg am 1. Juli 2013 nach Beginn der Sperrzeit in einer Gaststätte
geblieben, obwohl der Gastwirt ihn zum Fortgehen aufgefordert hat; Übertretung des § 28 Abs. 2
Nr. 4 des Gaststättengesetzes.
Richtig müsste es heißen:
Der Angeklagte hat sich am 1. Juli 2013 in der Gaststätte zum »Lamm« in Heidelberg nach Beginn
der Sperrzeit um 24 Uhr, nämlich bis 1 Uhr 30 aufgehalten, obwohl ihn der Gastwirt Fridolin Schäufele mehrfach, nämlich um 0.15, 0.30, 1 Uhr und 1 Uhr 15 aufgefordert hatte, sich aus der Gaststätte zu entfernen.
Die Tat ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 28 Abs. 2 Nr. 4 des Gaststättengesetzes.
Unzureichend sind auch folgende Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB:
Der Angeklagte hat Frau Müller mit der Begehung eines Verbrechens bedroht, indem er am 18. März
2013 gegen 23 Uhr bei ihr anrief und sagte, er würde sie und ihre Tochter zusammenschlagen, wenn
sie sich auf der Straße sehen ließen.
Damit ist der Tatbestand der Bedrohung weder in objektiver noch in subjektiver Beziehung ausreichend dargetan. Eine mehr oder minder allgemein gehaltene, jedenfalls
aber nicht eindeutige Äußerung kann den Tatbestand des § 241 StGB nur erfüllen,
wenn sie im Zusammenhang mit anderen Umständen den Schluss auf die Ankündigung eines bestimmten Verbrechens ermöglicht (BGH 17, 308). Das Gericht hat hier
aber nicht einmal ausgeführt, welcher Art das angedrohte Verbrechen sein soll, etwa
eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) oder ein Tötungsdelikt. In subjektiver
Hinsicht fehlen Feststellungen, dass der Täter sich bewusst war, dass es sich bei dem
angedrohten Verhalten um eine schwere Straftat handelte.
Bei einer Verurteilung wegen Nötigung nach § 240 StGB genügt es nicht, wenn es in
den Urteilsgründen nur heißt:
Der Angeklagte drohte Frau X für den Fall, dass sie nicht »spure«, Schläge an und bedeutet ihr, »er
könne auch andere Saiten aufziehen«.
Das reicht nicht aus; denn daraus wird nicht deutlich, zu welchem konkreten Verhalten der Angeklagte Frau X auf diese Weise bestimmen wollte und ob er dies Ziel dann
auch erreicht hat.
285 Aber es genügt auch nicht, wenn zwar der Vorfall im Allgemeinen erzählt wird, einzelne Tatbestandsmerkmale aber nur mit den Worten des Gesetzes oder ähnlichen
94
II. Verurteilung
gleichbedeutenden Ausdrücken festgestellt werden. Zunächst scheint eine Feststellung, dass der in Konkurs gefallene Angeklagte seine Handelsbücher so unordentlich
geführt habe, dass sie keine Übersicht über seinen Vermögenszustand gewährten, den
Erfordernissen des § 267 Abs. 1 StPO zu entsprechen. Aber in Wirklichkeit ist sie
unzureichend, weil sie ein Urteil enthält und keine Tatsache. Es ist im Einzelnen darzustellen, worin die unordentliche Führung besteht, z.B. dass im Hauptbuch die und
die Guthaben fehlten oder dass im Kassenbuch unter dem und dem Tage Zahlungen
nicht oder falsch eingetragen wurden. In gleicher Weise muss z.B. der Rechtsbegriff
»Überschuldung« im Sinne des § 283 StGB mit Tatsachen belegt werden, um dem
Revisionsgericht die rechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Der Ausspruch, dass
Überschuldung vorgelegen habe, genügt daher nicht; es müssen vielmehr die Vermögensbestandteile und die Schulden einzeln angegeben werden. Eine Feststellung aus
§ 136 Abs. 1 StGB lässt sich nicht dahin treffen, dass Schuhe »ordnungsmäßig gepfändet seien«, sondern es muss auseinandergesetzt werden, dass der Gerichtsvollzieher Besitz von den Schuhen ergriffen und in welcher Weise er die Pfändung kenntlich gemacht hat.
Nur bei ganz einfachen Merkmalen, deren Vorliegen in der Verhandlung nicht 286
bestritten worden ist, kann die bloße Wiedergabe der Gesetzesworte ausreichen. So
wird die Angabe, dass der beim Wildern im Wald betroffene Angeklagte dort fremdes
Jagdrecht verletzt hatte, genügen, wenn er nicht irgendein Jagdrecht geltend gemacht
hat, ebenso die Feststellung, dass der Polizeibeamte, dem Widerstand geleistet worden ist, ein zur Vollstreckung von Gesetzen berufener Amtsträger sei. Ebenso können allgemein bekannte und verständliche Rechtsbegriffe, wie Kauf und Verkauf,
Verlöbnis, bei den Feststellungen verwendet werden, ohne dass es ihrer Auflösung in
die zugrunde liegenden Vorgänge bedarf. Immerhin ist hier Vorsicht geboten. Der
Begriff der »Unübersichtlichkeit« im Sinne der StVO ist z.B. ein Rechtsbegriff, der
Feststellungen darüber erfordert, in welchen Tatsachen die Unübersichtlichkeit erblickt wird; das gleiche gilt von den übrigen Rechtsbegriffen der StVO, z.B. der Beeinträchtigung der Sicht durch Dunkelheit, zu schnelles Fahren usw. Der Vorwurf,
der Angeklagte sei zu schnell gefahren, setzt eine bestimmte und klare Auffassung
darüber, welche Geschwindigkeit den Umständen nach zulässig war, sowie die eindeutige Feststellung voraus, dass der Angeklagte diese Geschwindigkeit wesentlich
überschritten hat. Auch die Tatbestandsmerkmale der »groben Verkehrswidrigkeit«
und »Rücksichtslosigkeit« (§ 315c StGB) sind Rechtsbegriffe, die nähere Feststellungen erfordern. Die sämtlichen genannten Rechtsbegriffe sind revisionsfähig.
Der Zeitpunkt der Tat ist immer so genau festzustellen, dass der Nichtablauf der Verjährungsfrist deutlich wird. Ist nicht feststellbar, wann die Tat begangen ist, so schlägt
der Zweifel, ob sie verjährt ist, zugunsten des Angeklagten aus (BGH 18, 274).
Im Übrigen ist hierzu der Abschnitt Rechtsausführungen (unten Rn. 409) zu vergleichen.
e) Klare Hervorhebung der gesetzlichen Merkmale
aa) Nicht die bloße Wiederholung der Gesetzesworte, sondern geschicktes Hervor- 287
heben der Tatsachen, in denen sich die Tatbestandselemente verwirklichen, ist die
besondere Kunst, die der Urteilsverfasser bei der Niederschrift des Urteils beherrschen muss. Die den gesetzlichen Tatbestand bildenden Begriffe müssen, wie bereits
95
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
ausgeführt, grundsätzlich jeweils in bestimmte Handlungen und Tatsachen aufgelöst
werden. Nur wenn diese gesetzlichen Merkmale der Tat im Urteil eindeutig erscheinen, tragen sie den Schuldspruch. Das erfordert auch das sachliche Recht; denn das
Revisionsgericht ist sonst nicht in der Lage, zu prüfen, ob die Tatsachen rechtlich
richtig gewertet worden sind (vgl. BGH NStZ 2000, 607: Aufhebung einer Verurteilung wegen mehrerer Hehlereitaten wegen fehlender Ausfüllung des gesetzlichen
Tatbestandes mit den erforderlichen Sachverhaltsangaben; BGHR StPO § 267 Abs. 1
S. 1 Sachdarstellung 13: enthält die angewandte Vorschrift mehrere Alternativen, so
müssen die Feststellungen auch insoweit eine Einordnung zulassen; BGH NStZ-RR
2010, 54: Einrücken des Anklagesatzes genügt nicht). Dazu gehört auch, dass technische Fragen in nachprüfbarer Weise dargelegt sind. Wer den Wortlaut des Strafgesetzes zur Hand hat, muss beim Lesen des Urteils sofort merken: Mit diesem Satz soll
dieses, mit jenem jenes gesetzliche Merkmal festgestellt werden (BGHR StPO § 267
Abs. 1 S. 1, Sachdarstellung 7). Wenn der Leser ohne jede Mühe alle gesetzlichen
Merkmale aus der Darstellung herausfinden, gewissermaßen ablesen kann, so ist das
Urteil gelungen. Die bloße Wiedergabe des jeweiligen Anklagesatzes genügt dazu im
Regelfall nicht. Oft findet man auch so verschwommene Sachverhalte, dass man
kaum versteht, wie das Gericht die Strafbestimmung darauf hat anwenden können; es
fehlt jede rechtliche Einordnung des Sachverhalts.
288 Dazu folgende Beispiele, die zugleich deutlich machen, dass unklare oder unübersichtliche und darum unzureichende Feststellungen auch einen Verstoß gegen das
sachliche Recht darstellen:
1. Der Angeklagte kam am Abend des 3. März 2013 in die Müllersche Gastwirtschaft in N. Er bestellte Essen und mehrere Gläser Bier und machte eine Zeche von 20 EUR. Als der Wirt gerade einmal in
den Keller gegangen war, entfernte er sich heimlich aus der Gaststube. Er hat die 20 EUR bis jetzt
nicht bezahlt. Somit liegt vollendeter Betrug nach § 263 StGB vor.
Hier ist auch nicht ein einziges gesetzliches Merkmal genügend festgestellt. Woraus
soll die Absicht des Angeklagten zu schließen sein, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen? Daraus dass er heimlich fortging? Dazu können ihn viele
nicht strafbare Gründe veranlasst haben; es hätte hier einer genaueren Darlegung bedurft. Woraus soll der Vermögensschaden des Wirtes folgen? Daraus, dass der Angeklagte nicht bezahlt hat? Aber als Ersatz für seine Speisen und Getränke hatte er eine
Forderung von 20 EUR gegen den Angeklagten erworben; es wäre also deren Wertlosigkeit darzulegen gewesen. Worin soll endlich die Vorspiegelung oder die Entstellung oder Unterdrückung von Tatsachen liegen, die den Wirt in einen Irrtum versetzt
haben? Dafür fehlt jeder Anhalt. Eine Unterdrückung kann vorliegen, wenn der Angeklagte zahlungsunfähig war und von vornherein die Absicht hatte, nicht zu zahlen,
diese Absicht aber verschwieg. Darüber ist aber nichts festgestellt, die Anwendung
des § 263 StGB also nicht genügend begründet.
2. Der Angeklagte hat als Zeuge in der Privatklagesache A. gegen Z. beschworen, er habe gehört,
wie Z. den A. am 24. Januar 2013 im Gasthof zu Burkheim einen gemeinen Betrüger genannt habe.
Diese Bekundung ist falsch, denn die heutige Verhandlung hat klar ergeben, dass sich der betreffende Vorfall nicht am 24., sondern am 28. ereignet hat. Wenn auch nicht anzunehmen ist, dass der
Angeklagte wissentlich etwas Falsches bezeugt hätte, denn auf den Tag kam es nicht an, so hat er
doch mindestens fahrlässig gehandelt; er war daher aus §§ 154, 163 StGB zu bestrafen.
Auch diese Feststellung genügt nicht, da nicht begründet ist, worin das Verschulden
des Angeklagten liegen soll. Der sorgfältigste Zeuge kann sich im Tage irren, beson96
II. Verurteilung
ders wenn er ein schlechtes Gedächtnis hat; zur Fahrlässigkeit wird sein Irrtum erst,
wenn er etwa bestimmten Anlass hatte, sich an den Tag zu erinnern, und es gleichwohl unterlassen hat, sich diese Umstände ins Gedächtnis zurückzurufen.
3. Am 12. April 2013 nahm der Waldarbeiter Greiner die Wildfütterung im Wurzbacher Forst vor. Als
er an die Futterstelle Viehruh kam, sah er die Angeklagten A. und B. der Länge nach mit dem Gesicht in Richtung Wild im Schnee liegen. A. hatte ein Gewehr in der Hand. Da der Waldhüter nicht
daran zweifelte, dass die Angeklagten dem Wild nachstellten, rief er sie an. Beide erhoben sich und
liefen weg. Als er sie einholte, war kein Gewehr mehr bei ihnen zu finden. Sie leugnen noch jetzt, ein
Gewehr bei sich gehabt zu haben. Greiner hat aber das Gewehr in der Hand des A. deutlich gesehen.
Die Angeklagten sind also wegen gemeinschaftlich begangener Jagdwilderei nach § 292 StGB zu
bestrafen.
Hier fehlt die Feststellung, dass die Angeklagten dem Wild nachgestellt haben. Die
Angabe, dass Greiner hieran nicht gezweifelt hat, kann die Feststellung des Gerichts
nicht ersetzen. Ferner ist nicht gesagt, dass die Angeklagten nicht berechtigt waren,
im Wurzbacher Forst zu jagen. Sodann ist die Gemeinschaftlichkeit nicht begründet:
Von B. weiß man nur, dass er im Schnee gelegen hat und mit weggelaufen ist; dass
aber sein Wille dahin ging, mit dem Angeklagten A. gemeinsame Sache zu machen, ist
nicht gesagt. Die Gemeinschaftlichkeit kann in dem Verhalten des B. liegen, doch
bedarf das der Begründung.
4. Der Angeklagte kam in einer Linkskurve mit seinem PKW von der Fahrbahn ab und fuhr gegen
einen Baum. Er verursachte an dem Baum einen Schaden von ca. 200 EUR. Nachdem er ca. eine
halbe Stunde gewartet hatte, lief er zu Fuß zu einer Telefonzelle und rief seine Mutter an, die ihn
daraufhin abholte. Zu Hause legte sich der Angeklagte schlafen, ohne eine Polizeidienststelle oder
den Geschädigten verständigt zu haben. Am nächsten Morgen konnte er durch die Polizei ermittelt
werden, weil sein Fahrzeug an der Unfallstelle vorgefunden wurde. Der Angeklagte ist daher nach
§ 142 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB schuldig.
Hier lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, ob das Gericht den Angeklagten beider Alternativen des § 142 StGB oder welcher von beiden es ihn für
überführt hielt. Es ist weder klar dargelegt, worin eine Verletzung der Wartepflicht
(§ 142 Abs. 1 Nr. 2) noch worin ein Verstoß gegen die Ermöglichung unverzüglicher
nachträglicher Feststellungen – einschließlich des insofern erforderlichen subjektiven
Tatbestands – (§ 142 Abs. 2 Nr. 1) liegen soll (vgl. OLG Stuttgart NJW 1978, 1445).
Bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung genügt es nicht, nur die Summe 289
der jeweils verkürzten Steuer mitzuteilen; vielmehr müssen die Urteilsgründe für jede
Steuerart und für jeden Steuerabschnitt die Berechnung der jeweils verkürzten Steuer
im Einzelnen angeben (BGH StraFo 2007, 518; Rn. 764a).
In Betäubungsmittel-Sachen müssen konkrete Feststellungen über die Qualität des 290
Betäubungsmittels getroffen werden; ist dies nicht möglich, muss von der für den
Angeklagten günstigsten Qualität ausgegangen werden, die nach den Umständen in
Frage kommt (BGH 33, 8, 15).
bb) Zur Feststellung von Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe ist Folgendes zu
bemerken:
Bei Mittäterschaft genügt es nicht, anzuführen, was jeder der Angeklagten getan hat, 291
sondern es muss festgestellt werden: äußerlich (objektiv) die Mitwirkung eines jeden
bei der Tat (wobei es nicht nötig ist, dass jeder der Täter alle oder überhaupt Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, sondern nur, dass er in irgendeiner Weise, wenn
97
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
auch nur durch Vorbereitungs- oder Beihilfehandlungen oder geistige Mitwirkung
[Rat], die Tat gefördert hat); innerlich (subjektiv)
1. dass sich der Vorsatz jedes Mittäters auf die Begehung der ganzen Tat, also auch
auf die von anderen ausgeführten Tatteile erstreckt hat;
2. dass der Mittäter seinen Tatbeitrag nicht als bloße Förderung fremden Tuns (Gehilfe!), sondern als einen Teil der Tätigkeit aller erscheinen lässt.
Das Zusammenwirken der mehreren Beteiligten muss also auf gegenseitigem Einverständnis beruhen; jede rechtsverletzende Handlung eines Mittäters, die über dieses
Einverständnis hinausgeht, ist diesem allein zuzurechnen. Sukzessive Mittäterschaft
liegt vor, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnenen
tatbestandsmäßigen Handelns in das tatbestandsmäßige Geschehen als Mittäter eingreift.
292 Für die Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme kommt es entscheidend
auf die innere Einstellung zur Tat an; der Wille des Mittäters muss darauf gerichtet
sein, seinen Tatbeitrag nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der
Tätigkeit des anderen mit der Folge erscheinen zu lassen, dass umgekehrt auch die
Tätigkeit des anderen die Ergänzung des eigenen Tatanteils bildet. Ob ein Beteiligter
dieses enge Verhältnis zur Tat haben will, ist nach den gesamten Umständen, die von
seiner Vorstellung umfasst werden, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung können dabei gefunden werden im Grad des
eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder doch wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen (BGH
NStZ 2013, 104).
293 Bei Anstiftung muss festgestellt werden:
1. dass der Haupttäter vorsätzlich eine rechtswidrige Tat begangen hat;
2. dass der Anstifter die von ihm geförderte Tat mit allen ihren äußeren Tatbestandsmerkmalen gekannt hat, wobei indes die Kenntnis der einzelnen Umstände,
wie Ort, Zeit und Art der Ausführung nicht erforderlich ist;
3. dass er ihre volle Verwirklichung durch den Haupttäter vorsätzlich herbeiführen
wollte und zur Vollendung oder doch bis zum Versuch herbeigeführt hat, ohne
selbst mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) zu sein.8
Dagegen gehört zum Vorsatz des Anstifters nicht der Vorsatz der Tat, zu der angestiftet wird; insbesondere braucht der Anstifter nicht die zum Tatbestand dieser Handlung gehörige Absicht zu haben. Seine Absicht kommt lediglich für die Strafzumessung in Betracht.
294 Bei Beihilfe:
1. dass der Haupttäter vorsätzlich eine rechtswidrige Tat begangen hat;
2. dass der Gehilfe, wenn auch nicht alle Nebenumstände und Einzelheiten der Ausführung, so doch die wesentlichen Begriffsmerkmale der Haupttat gekannt hat;
3. dass er dem Täter bis zur tatsächlichen Beendigung der Tat vorsätzlich Hilfe leisten wollte und dass er ihm eine, wenn auch wirkungslose Hilfe tatsächlich geleistet hat; sein Tatbeitrag muss auf eine bloße Förderung fremden Tuns gerichtet
8 Zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung vgl. BGH 35, 347.
98
II. Verurteilung
sein, er muss sich der Tatherrschaft des Täters unterordnen, im Gegensatz zum
Mittäter, der den Willen hat, Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich zu
beeinflussen. Wer den Tatbestand mit eigener Hand erfüllt, ist grundsätzlich auch
dann Täter, wenn er es unter dem Einfluss und in Gegenwart eines anderen nur in
dessen Interesse tut (BGH 8, 393; 38, 315).
Bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte mit Täter- oder mit Gehilfenvorsatz gehandelt
hat, so ist er nur wegen Beihilfe zu verurteilen (BGH 23, 203); dasselbe gilt bei Zweifeln, ob Anstiftung oder Beihilfe vorliegt.
Bei Beihilfe zum Versuch muss außerdem festgestellt werden, dass der Gehilfe nicht
bloß zum Versuch, sondern zur Vollendung der Straftat Beistand leisten wollte.
Ob das pflichtwidrige Untätigbleiben (Unterlassen) als Beihilfe oder als Täterschaft
zu werten ist, hängt von der inneren Haltung des Unterlassenden zu der Begehungstat des anderen und zu dem Taterfolg ab (BGH StV 1986, 59 mit Anm. Arzt StV
1986, 337).
cc) Bei einer Verurteilung wegen Versuchs ist klar herauszustellen, dass der Täter 295
unmittelbar dazu angesetzt hat, vorsätzlich einen oder mehrere Straftatbestände zu
verwirklichen und warum er den oder die Tatbestände nicht vollständig – d.h. welche
Tatbestandsmerkmale er nicht – erfüllt hat.
Stets ist dabei zu bedenken, ob nicht etwa ein strafbefreiender Rücktritt vom Ver- 296
such (§ 24 StGB) gegeben ist. Um das Vorliegen eines Rücktritts vom Versuch prüfen
zu können, muss zunächst geklärt werden, ob der Versuch beendet oder nicht beendet war. Hierzu ist die Vorstellung des Täters, der sein Vorhaben aufgibt, von den
Möglichkeiten zur Vollendung der Tat zu prüfen. Unbeendeter Versuch liegt nur
dann vor, wenn der Täter überzeugt ist, dass ohne weiteres Zutun der Erfolg nicht
eintreten wird; rechnet er mit der Möglichkeit, dass das bereits Getane ausreicht, so
ist ein beendeter Versuch gegeben. Während die Rechtsprechung für die Abgrenzung
vom unbeendeten zum beendeten Versuch früher auf den Tatplan abstellte, kommt es
nunmehr auf die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, also auf den »Rücktrittshorizont« an; beendet ist der Versuch somit, wenn
der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen
Erfolges für möglich hält (BGH 31, 170; 33, 295; 35, 90). Ein beendeter Versuch ist
aber auch schon dann gegeben, wenn sich der Täter nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH 40, 304). Das
Gericht darf nicht offen lassen, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt.
Beide Formen des Versuches schließen einander aus. An sie knüpfen sich im Hinblick
auf die für die Erlangung von Straffreiheit zu erbringende »Rücktrittsleistung« jeweils unterschiedliche Folgen.
Hat der Täter seinem Opfer etwa fünf Messerstiche beigebracht und ist das Opfer nach dem letzten
Stich zur Wohnungstür geflüchtet, ohne dass der Täter ihm folgte, so kann ein unbeendeter Versuch
vorliegen, wenn der Täter noch weiter auf sein Opfer hätte einstechen können, hiervon jedoch freiwillig abgesehen hat, ein beendeter, wenn er dem Opfer nicht zur Tür folgte, weil er meinte, die beigebrachten Stiche würden genügen, um den Tod des Opfers herbeizuführen. Insofern sind eindeutige Feststellungen des Richters im Urteil erforderlich, weil sich danach die Beantwortung der Frage
nach der Beendigung des Versuchs entscheidet.
Die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts vom beendeten Versuch hängt allein da- 297
von ab, dass der Täter die Vollendung der Tat freiwillig verhindert oder sich ernstlich
99
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
um die Verhinderung bemüht. Dazu ist immer erforderlich, dass der Täter eine auf
Verhinderung der Tatvollendung gerichtete Tätigkeit entfaltet; er muss eine ihm bekannte Verhinderungsmöglichkeit ausschöpfen (BGH 31, 46) und darf die Rettung
des Opfers nicht einfach Dritten überlassen (BGH 33, 295). Gelingt es ihm, die
Vollendung der Tat zu verhindern, so kommt es nicht darauf an, wann er sich zur
Rettung des Opfers entschlossen hat.
298 Eine eigenständige Fallgruppe, in denen dem Täter die Möglichkeit strafbefreienden
Rücktritts versagt ist, bildet der fehlgeschlagene Versuch. Fehlgeschlagen ist der
Versuch, wenn dem Täter nach anfänglichem Misslingen ein Weiterhandeln nicht
mehr möglich ist, weil die eingesetzten Tatmittel erschöpft sind oder andere Tatmittel
zur unmittelbaren Fortführung des Versuchs entweder nicht zur Verfügung stehen
oder von ihm nicht Erfolg versprechend eingesetzt werden können; hierher gehören
auch die Fälle, in denen auf Grund der Entwicklung des Geschehensablaufs ein erneutes Ansetzen zur Vollendung der Tat nur so erfolgen könnte, dass kein einheitlicher Lebenssachverhalt, der sich auch für einen Dritten als zusammengehöriges Tun
darstellen würde, mehr vorläge, sondern eine auf neuem Tatentschluss ruhende Versuchstat (BGH GrS 39, 221).
Hat der Täter mit Tötungsabsicht dem Opfer von hinten einen Stich in den Hals versetzt, ist dieses
aber wider Erwarten nicht tödlich getroffen worden, sondern hat das Messer herausgezogen und
auf den Boden geworfen, so ist zu prüfen und im Urteil zu erörtern, ob der Täter seinen Versuch
endgültig als gescheitert angesehen hat (er also fehlgeschlagen ist), oder ob der Täter objektiv und
subjektiv noch in der Lage war, das zur Beendigung des Versuchs Notwendige zu unternehmen.
299 Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts sind zugunsten des Täters zu lösen. Kann
das Gericht nicht eindeutig feststellen, ob der Täter mit direktem oder nur mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, so muss es bei der Prüfung des Rücktritts beide
Möglichkeiten erörtern. Kommt auch nur nach einer von beiden ein Rücktritt vom
unbeendeten Versuch in Betracht, dann muss es nach dem Grundsatz »in dubio pro
reo« Rücktritt annehmen.
Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch ist auch in den Fällen möglich, in denen der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat (BGH GrS 39, 221).
300 dd) Bei zusammengesetzten (ergänzungsbedürftigen) Tatbeständen, d.h. bei solchen, bei denen die die Strafandrohung enthaltende Strafbestimmung nicht alle
Merkmale der Straftat angibt, sondern auf andere Bestimmungen ausdrücklich oder
stillschweigend verweist (z.B. § 160 auf §§ 153 ff., § 244 auf § 242 StGB), muss der
Tatbestand beider Bestimmungen, sowohl derjenigen, die die Strafandrohung ausspricht, als auch derjenigen, auf die das Gesetz verweist, im vollen Umfange festgestellt werden.
301 ee) Eine Sonderstellung nimmt die Hehlerei ein. § 259 StGB erfordert ganz allgemein, dass die Sache durch einen Diebstahl oder sonst durch eine gegen fremdes
Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt ist. Daraus folgt zunächst, dass die
unbestimmte Feststellung, die Sache sei mittels Diebstahls oder Unterschlagung dem
Eigentümer abhanden gekommen, in diesem Falle genügt. Ferner nimmt die Rechtsübung an, dass die vorausgegangene Straftat, z.B. der Diebstahl, nicht nach allen
Merkmalen in der durch § 267 StPO geforderten Weise festgestellt zu werden
braucht, sondern dass die Darlegung ausreicht, die Sache sei unter nicht näher ermit100
II. Verurteilung
telten Umständen, jedenfalls aber durch eine Straftat, von einem Unbekannten dem
Besitz des Eigentümers entzogen worden, und der Angeklagte habe sie in Kenntnis
jener Umstände erworben. Stets aber muss das Vorhandensein der vorausgegangenen
Straftat im Urteil selbst festgestellt werden und darf nicht deshalb als festgestellt angesehen werden, weil gegen den Dieb ein rechtskräftiges Urteil vorliegt; denn die
Wirkung der Rechtskraft besteht bloß darin, dass der Dieb nicht mehr wegen derselben Tat verfolgt werden kann, erstreckt sich dagegen nicht auf das Strafverfahren gegen einen anderen Angeklagten.
Ähnlich ist die Verfahrenslage, wenn es sich um die Bestrafung des Teilnehmers handelt, während der Haupttäter verstorben oder früher abgeurteilt worden ist. Auch
hier muss die Haupttat neu festgestellt werden; der Hinweis auf das vorausgegangene
Urteil genügt nicht.
f) Subjektive Merkmale der Tat
aa) Auch die inneren (subjektiven) Merkmale der Tat – Vorsatz, Fahrlässigkeit, 302
Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, Absicht, Irrtum, Wissentlichkeit, beim Mord
(§ 211 StGB) auch die strafbegründenden Tatbestandsmerkmale des Abs. 2 (Mordlust, Habgier, niedrige Beweggründe, um eine Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken) – muss der Richter innerlich für sich sämtlich feststellen, wenn er zu einer Verurteilung gelangen will, und zwar dadurch, dass er sie in ihre Bestandteile auflöst; er
darf nur verurteilen, wenn die gesamten allgemeinen wie besonderen Voraussetzungen der Straftat vorliegen. So ist bei einer Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen
Beweggründen darzustellen, dass der Täter, soweit bei der Tat gefühlsmäßige oder
triebhafte Regungen eine Rolle spielen, in der Lage war, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (BGH 28, 212); nur in seltenen Ausnahmefällen
braucht der Richter im Urteil nicht ausdrücklich darauf einzugehen, nämlich dann,
wenn es angesichts der gesamten Umstände außerhalb jeden vernünftigen Zweifels
liegt, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Aus der oben dargelegten Regel, dass alle
Tatbestandsmerkmale festzustellen sind, ist weiter zu folgern, dass nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Merkmale im Urteil ausdrücklich festgestellt werden
müssen, und dies erforderlichenfalls auch dann, wenn der Angeklagte dazu nichts
Besonderes vorträgt, z.B. keinen Irrtum behauptet.
Es gibt nun allerdings viele Fälle, in denen sich der innere Tatbestand aus dem äuße- 303
ren Hergang der Tat von selbst ergibt. Dann bedarf es besonderer Ausführungen
zum inneren Tatbestand nicht. Allerdings sind bei weit gefasstem Tatbestandsrahmen
– wie z.B. bei § 266 StGB – strenge Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite zu stellen. Bei einer Verurteilung wegen Erpressung oder wegen Betrugs ist zu
beachten, dass die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils ein Tatbestandsmerkmal ist, auf das sich der Vorsatz des Täters erstrecken muss. Dies muss
grundsätzlich erörtert werden; oftmals nimmt der Täter – aus tatsächlichen oder
rechtlichen Gründen – irrig an, einen Anspruch zu besitzen; dann liegt ein Tatbestandsirrtum vor, der den Vorsatz entfallen lässt (vgl. dazu Meyer-Goßner NStZ
1986, 106).
Das Vorhandensein der inneren Tatbestandsmerkmale ist im Rahmen der Feststel- 304
lung (Sachverhaltsschilderung), nur ausnahmsweise bei den Rechtsausführungen,
darzulegen, und nicht bei der Beweiswürdigung oder gar erst im Rahmen der Strafzumessung. Bei der Prüfung der inneren Tatseite hat sich das Gericht mit allen festge101
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
stellten, für den Tathergang wesentlichen und sich etwa weiter aufdrängenden Umständen auseinanderzusetzen; sonst liegt ein sachlicher Rechtsfehler vor. Die Urteilsgründe müssen klar erkennen lassen, welche Vorstellungen sich der Täter über die
äußeren Tatbestandsmerkmale im Einzelnen gemacht hat und von welchen Erwägungen er bestimmt worden ist.
305 bb) Für die Art und Weise, wie die inneren Merkmale festzustellen sind, gilt auch
hier das zu d) Gesagte: Die Feststellung mit den Worten des Gesetzes genügt nicht
(»Der Angeklagte hat vorsätzlich gehandelt«), wenn nicht die Sachdarstellung ergibt,
worin der Vorsatz oder die Fahrlässigkeit besteht; sie ist andererseits nicht erforderlich, wenn die Sachdarstellung das Vorhandensein des Merkmals von selbst ergibt.
Wird z.B. festgestellt, dass A. und B. in einer Wirtschaft in Streit gerieten, dass A. in
der Erregung ein Bierglas ergriffen und damit den B. mit den Worten »jetzt sollst du
genug kriegen« auf den Kopf geschlagen hat, so dass B. blutend zusammenbrach, so
ist damit der Vorsatz genügend dargetan. Nimmt A. dem B. dessen Geldbeutel aus
der Tasche und verbraucht den Inhalt, so ist damit genügend festgestellt, dass A. einem anderen eine fremde bewegliche Sache in der Absicht weggenommen hat, sie
sich rechtswidrig zuzueignen.
306 cc) Der Vorsatz muss sich auf alle Merkmale des Tatbestandes erstrecken (§ 16 Abs. 1
S. 1 StGB); daher muss er im Urteil hinsichtlich aller in Betracht kommenden Tatbestandsmerkmale festgestellt werden. Unwesentliche Abweichungen des Geschehensablaufs gegenüber dem vorgestellten Verlauf schließen ihn aber nicht aus, wenn sie
sich in den Grenzen der allgemeinen Lebenserfahrung halten (BGH 23, 135). Bei
mehrdeutiger Tatbestandsfeststellung muss der Vorsatz hinsichtlich jeder Möglichkeit
geprüft und festgestellt werden.
307 Schuld bedeutet Vorwerfbarkeit (BGH GrS 2, 194); dass Unrecht und Schuld sich
entsprechen, ist heute in der Schuldlehre herrschender Grundsatz. Infolgedessen
muss sich das Unrechtsbewusstsein des Täters, das mit zum Vorsatz gehört, aber ein
selbständiges Schuldelement ist, auch auf diejenige Tatbestandsverwirklichung beziehen, die ihm zur Last gelegt wird. Die wissentliche und willentliche Verwirklichung
der rechtswidrigen Tat (= Vorsatz) ist dem Täter zur Schuld nur dann zuzurechnen,
wenn er das Unrecht dieser Tatbestandsverwirklichung kannte oder hätte kennen
müssen (vgl. auch BGH 10, 35); demnach ist das Unrechtsbewusstsein tateinheitlicher Verletzung mehrerer Strafgesetze gleichsam teilbar.
308 Wird unbedingter Vorsatz angenommen, so ist in den Gründen darzulegen, dass der
Angeklagte den im Tatbestand des Gesetzes bezeichneten Erfolg der Tat angestrebt
hat. Beim unbedingten Vorsatz will der Täter diesen Erfolg und ist sicher, dass er den
Tatbestand verwirklichen wird.
309 Zur Feststellung des bedingten Vorsatzes genügt nicht die Angabe, dass der Angeklagte auf die Gefahr eines bestimmten Erfolges hin gehandelt habe; denn darin liegt
noch nicht ohne weiteres die Billigung des Erfolges, das Einverständnis mit dem
möglichen Erfolg. Vielmehr muss festgestellt werden, dass der Angeklagte die Tat
auch für den Fall gewollt hat, dass sie diesen Erfolg haben würde, dass er also den als
möglich und nicht ganz fern liegend erkannten Erfolg im voraus gebilligt und in seinem Willen aufgenommen hat, mag ihm auch im Einzelfall nichts daran gelegen haben, mag er den Erfolg auch nur aus Bedenkenlosigkeit in Kauf genommen haben,
oder mag der Erfolg ihm an sich unerwünscht sein oder hätte er ihn lieber vermieden
102
II. Verurteilung
(BGH 36, 1, 9 m.w.N.). Die Annahme liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz
äußerster Gefährlichkeit durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen
zu können, und wenn er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Die Revisionsgerichte verlangen eine eingehende Begründung für die Annahme eines bedingten Vorsatzes, wenn er nicht nach der Lebenserfahrung offensichtlich ist (vgl. dazu BGH NStZ 2012, 443).
Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit grenzen eng aneinander. Sie unter- 310
scheiden sich lediglich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen
Erfolges in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt. Der
Richter muss daher gegebenenfalls im Urteil zu erkennen geben, dass er beide
Schuldformen gesehen und geprüft hat, indem er sich mit ihnen im Einzelnen auseinandersetzt (Meyer-Goßner NStZ 1986, 49 f.).
dd) Der Irrtum eines Angeklagten über Tatumstände, die zum gesetzlichen Tatbe- 311
stand gehören, schließt den Vorsatz aus (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB); es kann aber strafbare Fahrlässigkeit gem. § 16 Abs. 1 S. 2 StGB übrig bleiben. Sowohl beim unechten
(§ 13 StGB) als auch beim echten Unterlassungsdelikt ist die Rechtspflicht zum Handeln kein Tatbestandsmerkmal (BGH 16, 155; 19, 295); der Irrtum hierüber – im Gegensatz zu dem Irrtum über die die Rechtspflicht begründenden Umstände – also
kein Tatbestandsirrtum. Im Urteil sind Ausführungen zum Irrtum nur erforderlich,
wenn der Sachverhalt dazu Anlass gibt oder der Angeklagte einen Irrtum geltend
gemacht hat.
Das gilt ebenso beim Verbotsirrtum (§ 17 StGB). Liegt ein Verbotsirrtum vor oder 312
ist er nicht auszuschließen, so muss das Urteil feststellen, ob der Irrtum vermeidbar
war, und diese Feststellung begründen. Ein Verbotsirrtum ist nur dann unüberwindlich, wenn ein Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit, sowie seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Anspannung seines Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen
vermochte. Das setzt voraus, dass er alle seine geistigen Erkenntniskräfte einsetzt, um
etwa auftauchende Zweifel durch Nachdenken und erforderlichenfalls durch Einholung von Rat zu beseitigen. Bei zweifelhafter Rechtslage darf der Täter nicht auf die
Richtigkeit des ihm günstigen Standpunkts vertrauen. Jedenfalls ist ein Verbotsirrtum
dann nicht unvermeidbar, wenn der Täter seine Augen und Ohren vor allen gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließt.
Bei denjenigen Straftatbeständen, die bei Vorliegen eines »besonders schweren Fal- 313
les« erhöhte Strafe androhen, wobei die Annahme eines besonders schweren Falles
die Feststellung besonderer Tatumstände voraussetzt (z.B. §§ 100a Abs. 4, 125a, 241a
Abs. 4, 243 Abs. 1, 292 Abs. 2 StGB), muss sich der Vorsatz des Täters auch auf diese
Tatumstände erstrecken. Irrt der Täter über das Vorliegen solcher Tatumstände, z.B.
im Falle des § 100a Abs. 4, dass er durch seine Tat einen besonders schweren Nachteil
für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeigeführt hat, oder im Falle des
§ 292 Abs. 2, dass für das Wild Schonzeit bestand, so sind ihm diese Umstände nicht
zuzurechnen.
ee) Auch für die Feststellung des Vorsatzes gilt § 261 StPO. Es dürfen z.B. auch aus 314
der Art der Verteidigung des Angeklagten in der Hauptverhandlung Rückschlüsse
103
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
auf seinen strafrechtlichen Vorsatz bei Begehen der Tat gezogen werden, nicht aber
aus dem Schweigen auf die Anklage; Schweigen ist niemals ein »hartnäckiges« Leugnen. Bei den häufig vorkommenden Fällen der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr
kann davon ausgegangen werden, dass derjenige, der Fahrschule und Fahrerlaubnisprüfung erfolgreich bewältigt hat, regelmäßig auch die geistige Kapazität besitzt, die
leistungsmindernden Auswirkungen des Alkohols auf die Fahrtüchtigkeit zu erkennen,
zumindest die erforderliche Wertung in der Laiensphäre vorzunehmen. Zwar kann
nicht grundsätzlich allein aus dem die Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit weit übersteigenden Blutalkoholgehalt auf (zumindest bedingten) Vorsatz geschlossen werden;
vielmehr ist eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Trinkverhaltens und seines Zusammenhanges mit dem Fahrtantritt sowie der Frage, ob sich
der Täter der Art und Menge des getrunkenen Alkohols auch bewusst gewesen ist, erforderlich (OLG Zweibrücken NZV 1993, 277); jedoch kommt dem hohen Alkoholisierungsgrad insoweit eine starke Indizwirkung zu (OLG Koblenz NZV 2001, 357).
Das Gericht muss sich aber nur in besonders gelagerten Fällen mit der Intelligenz und
der Selbstkritik des Angeklagten auseinandersetzen (vgl. OLG Celle VRS 61, 35).
315 Gehört die Absicht zum subjektiven Tatbestand (z.B. in §§ 274 Abs. 1, 288 StGB), ist
sie also mit dem bestimmten Vorsatz gleichzusetzen, so müssen die Gründe darlegen,
dass es dem Angeklagten darauf angekommen ist, den im Gesetz bezeichneten Erfolg
herbeizuführen (BGH 18, 151).
316 Auch das Tatbestandsmerkmal der Wissentlichkeit (z.B. in §§ 167a, 258 Abs. 1, 323b
StGB) ist in den Urteilsgründen festzustellen und zu belegen.
317 Häufig kommen folgende Fehler bei der Feststellung des inneren Tatbestandes vor:
Der Satz »Der Angeklagte hat auch vorsätzlich gehandelt« stellt den Vorsatz nicht
fest. Auch der Satz »Der Angeklagte hat als Mittäter gehandelt« genügt nicht zur
Darlegung des Willens des Angeklagten, seinen Tatbeitrag als einen Teil der Tätigkeit
aller Täter erscheinen zu lassen und nicht nur Gehilfe zu sein. Bei Vergehen gegen
§ 176 Abs. 1 StGB wird häufig vergessen anzugeben, welche Vorstellungen sich der
Angeklagte von dem Alter des Kindes gemacht hat; das kann bei ganz kleinen Kindern entbehrlich sein, ist aber bei älteren Kindern unbedingt erforderlich. Für den
bedingten Vorsatz genügt es nicht, wenn dem Täter das Alter des Kindes gleichgültig
war; er muss die Möglichkeit eines Alters unter 14 Jahren bedacht und die Tat auch
für diesen Fall gewollt haben. Mit dem Hilfszeitwort »müssen« kann niemals der
Vorsatz des Täters begründet werden. Wer darlegt, der Angeklagte habe bedenken
müssen, dass der Schuss den X hätte treffen können, macht ihm den Vorwurf, dass er
gerade eine Überlegung nicht angestellt habe, die er hätte vornehmen müssen. Mit der
Wendung »… hätte müssen« wird also nur fahrlässiges Handeln begründet.
318 ff) Bei Verurteilung wegen einer fahrlässig begangenen Tat ist im Urteil darzulegen,
ob der Angeklagte bewusst (Täter sieht, dass er einen Straftatbestand verwirklichen
könnte, will dies aber nicht) oder unbewusst (Täter lässt die erforderliche Sorgfalt
außer acht und sieht nicht voraus, dass er einen Straftatbestand verwirklichen werde)
fahrlässig gehandelt hat. Bei allen Fahrlässigkeitsdelikten ist zu prüfen, ob der Angeklagte auf Grund seiner – vielfach beschränkten – Einsicht bei Anwendung der nötigen
Sorgfalt den strafbaren Erfolg hätte voraussehen können, und es bedarf einer genauen
Begründung, worin der Mangel an Sorgfalt bestanden hat. Sodann ist festzustellen,
dass der Erfolg gerade durch die mangelnde Sorgfalt des Angeklagten verursacht oder
mitverursacht worden ist und ohne sie nicht eingetreten wäre.
104
II. Verurteilung
Das Urteil muss sich nach der Rechtsprechung bei Fahrlässigkeitstaten über drei 319
Punkte aussprechen:
1. Zunächst muss die Pflichtwidrigkeit des Angeklagten festgestellt, also dargelegt 320
werden, dass er durch sein Handeln bzw. – wenn für ihn eine Rechtspflicht zum
Handeln bestand – durch sein Unterlassen das gebotene Maß an Vorsicht nicht beachtet hat, obwohl er es nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten gekonnt hätte. Dabei ist darzulegen, worin die Sorgfaltspflichtverletzung bestand.
Dazu gehört, dass gesagt wird, wie der Angeklagte sich hätte verhalten sollen, um den
Erfolg bzw. die im Tatbestand missbilligte Handlungsweise zu vermeiden, und ob
dieses geforderte Verhalten auch möglich, erforderlich und zumutbar war. Denn nur
so kann das Revisionsgericht beurteilen, ob die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht
nicht überspannt sind.
Woraus die Sorgfaltspflichten hergeleitet werden können, die der Täter verletzt hat,
folgt aus konkreten Sondernormen (z.B. StVO, Regeln der ärztlichen Kunst, Unfallverhütungsvorschriften), aus deren Nichtbeachtung allerdings die Sorgfaltspflichtverletzung nicht zwingend geschlossen werden kann, die aber eine starke Indizwirkung
haben (BGH 4, 182, 185; 5, 271, 273), oder aus der Sicht eines einsichtigen und besonnenen Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters (vgl. Fischer § 15 StGB
Rn. 16). Eine pflichtwidrige Unterlassung kann dem Täter nur angelastet werden,
wenn der strafrechtlich relevante Erfolg bei pflichtgemäßem Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (BGH 49, 1, 4).
In Verkehrsstrafsachen setzt der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit in besonderer Weise
voraus, dass festgestellt wird, wie der Angeklagte sich hätte verkehrsgerecht verhalten
können und müssen. Dazu genügt z.B. nicht die Feststellung, die Geschwindigkeit
des Fahrzeugs sei zu hoch gewesen; vielmehr muss dargelegt werden, welche Geschwindigkeit der Angeklagte höchstens hätte einhalten dürfen.
2. Wird ein pflichtwidriges Handeln oder Unterlassen verneint, so ist der Angeklagte 321
freizusprechen, ohne dass es auf weiteres ankommt. Wird es bejaht, so ist in zweiter
Linie die Ursächlichkeit zu prüfen.
Es ist demnach festzustellen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem
Handeln bzw. – wenn eine Pflicht zum Handeln bestand – zwischen dem Unterlassen
des Angeklagten und dem eingetretenen Erfolg besteht. Dabei ist nach der von der
Rechtsprechung angewandten Bedingungstheorie Ursache eines strafrechtlich bedeutsamen Erfolgs jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass
der Erfolg entfiele. Eine Ursache bleibt auch dann Ursache im Rechtssinn, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Der
Ursachenzusammenhang wird insbesondere nicht unterbrochen, wenn durch Handlungen schuldfähiger Dritter Zwischenursachen gesetzt worden sind, ohne die der
rechtswidrige Erfolg nicht eingetreten wäre. Voraussetzung für die Annahme des Ursachenzusammenhangs ist allerdings, dass die ursprünglich für einen bestimmten Erfolg
gesetzte Bedingung auch wirklich bis zum Eintritt des Erfolgs fortgewirkt hat, also
wirklich mitursächlich geworden ist. Der Ursachenzusammenhang muss verneint werden, wenn ein späteres Ereignis diese Fortwirkung beseitigt und seinerseits allein unter
Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Die Ursächlichkeit
wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der gleiche Erfolg auch durch das pflichtwidrige Verhalten eines Dritten herbeigeführt worden wäre (BGH 30, 228).
105
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
322 Die Frage des Ursachenzusammenhangs ist in Verkehrsstrafsachen von besonderer Bedeutung und erfordert in solchen Sachen eine sorgfältige Prüfung. Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg darf ein verkehrswidriges Verhalten nur dann
angenommen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht zu dem Erfolg gekommen wäre, oder wenn sich das auf Grund erheblicher Tatsachen nach der Überzeugung des
Tatrichters nicht ausschließen lässt. Dabei hat die Prüfung der Ursächlichkeit eines
verkehrsgerechten Verhaltens erst mit dem Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage einzusetzen, die unmittelbar zu dem schädlichen Erfolg geführt hat
(BGH 24, 31). Der rechtliche Ursachenzusammenhang (der im Schrifttum allgemein als Pflichtwidrigkeitszusammenhang bezeichnet wird) ist dann zu bejahen,
wenn sich der Unfall nicht ereignet hätte, wäre der Fahrzeugführer bei Eintritt der
»kritischen Verkehrssituation« nicht mit einer höheren als der zugelassenen Geschwindigkeit gefahren (BGH 33, 61). Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs nicht entgegen,
vielmehr muss sich eine solche Möglichkeit auf Grund bestimmter Tatsachen, die
im Urteil mitzuteilen und zu würdigen sind, so verdichten, dass sie die Überzeugung von der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Gegenteils vernünftigerweise ausschließt (BGH 11, 1); auszugehen ist von dem tatsächlichen, nicht
von einem gedachten Ursachenverlauf (BGH 10, 369). Die beiden Ursachenreihen,
nämlich der wirkliche Verlauf und die Vorstellung, wie das Geschehen abgelaufen
wäre, wenn der Angeklagte sich verkehrsgerecht verhalten hätte, müssen dabei auseinander gehalten werden.
Die Frage, welches Verhalten des Fahrens verkehrsgerecht gewesen wäre, ist demnach
im Hinblick auf die Verkehrswidrigkeit zu beantworten, die als unmittelbare Ursache
in Betracht kommt, während im Übrigen von dem tatsächlichen Geschehensablauf
auszugehen ist (BGH NJW 1971, 388 zur Frage der Vermeidbarkeit eines durch einen
alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer herbeigeführten Verkehrsunfalls). Hinwegzudenken und durch das der Pflichtwidrigkeit korrespondierende verkehrsgerechte Verhalten zu ersetzen, ist nur der dem Täter vorgeworfene Tatumstand; darüber hinaus darf von der Verkehrssituation nichts hinweg gelassen, ihr nichts
hinzugedacht und an ihr nichts verändert werden.
323 Die Frage des Ursachenzusammenhangs ist – unabhängig vom Verschulden des Angeklagten – in Verkehrsstrafsachen wegen fahrlässiger Tötung dann besonders gewissenhaft zu prüfen, wenn zweifelhaft ist, ob der Verkehrsunfall oder ein schon
vorher vorhandenes Leiden des Getöteten zum Tode geführt hat. Die Ursächlichkeit
ist zu bejahen, wenn – durch Sachverständigengutachten – mit einer an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit feststeht, dass jedenfalls der Tod durch das Unfallereignis beschleunigt worden ist. Umgekehrt ist die Ursächlichkeit zu verneinen, wenn
die – nicht nur rein theoretische – Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass der fünf
Monate nach dem Verkehrsunfall verstorbene, bei dem Unfall verletzte Verkehrsteilnehmer während dieser Zeit infolge Verschlimmerung seines alten Leidens ebenfalls
verstorben wäre. »Große« oder »überwiegende« Wahrscheinlichkeit reichen für die
Bejahung des Ursachenzusammenhangs nicht aus.
Für die Entscheidung, ob eine Pflichtwidrigkeit deshalb für den Tod ursächlich gewesen ist, weil der Betroffene sonst erst später gestorben wäre, kommt es auf den Zeitpunkt ihrer Begehung und nicht auf den Zeitpunkt an, zu dem sich der Täter nach
106
II. Verurteilung
Herbeiführung vorher fehlender Voraussetzungen, also nunmehr pflichtgemäß, ebenso hätte verhalten können.
Streitig ist, ob die Ursächlichkeit einer Pflichtwidrigkeit für den tatbestandsmäßigen
Erfolg dann fehlt, wenn dieser Erfolg bei pflichtgemäßem Verhalten nur in geringerem Umfange eingetreten wäre, wenn also bei fahrlässiger Körperverletzung nur geringere Verletzungen entstanden wären (so OLG Oldenburg VRS 40, 118; anders
offenbar BayObLG VRS 19, 128).
3. Wenn der ursächliche Zusammenhang bejaht wird, kommt es schließlich für die 324
Schuld des Angeklagten noch auf die Voraussehbarkeit des eingetretenen Erfolges
an.
Der eingetretene Erfolg ist dem Täter nur dann zuzurechnen, wenn er für ihn voraussehbar war; der tatsächliche Verlauf des Ereignisses darf nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und außerhalb der Lebenserfahrung liegen. Der konkrete Erfolg muss
voraussehbar sein; es ist also nicht ein abstrakter Erfolg zugrunde zu legen. Der Erfolg ist voraussehbar, wenn der Angeklagte entweder ihn bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt hätte voraussehen können, oder aber, wenn er den Eintritt des Erfolgs für möglich gehalten, aber darauf vertraut hat, er werde nicht eintreten. Für die
Voraussehbarkeit kommt es nicht auf einen objektiven Maßstab an, sondern darauf,
ob gerade der Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs als möglich hätte vorhersehen
können (BayObLG NJW 1998, 3580). Dass das den rechtswidrigen Erfolg verursachende Verhalten nach irgendeiner Richtung schuldhaft war, genügt für die Voraussehbarkeit nicht. Auf die Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des ursächlichen
Verlaufs kommt es nicht an; es genügt die Voraussehbarkeit des Verlaufs im Allgemeinen.
Für die Beurteilung der Voraussehbarkeit ist es von Bedeutung, wenn der eingetretene rechtswidrige Erfolg durch eine von einem anderen, auch von dem Verletzten
selbst, gesetzte Zwischenursache oder durch äußere Umstände mit herbeigeführt
worden ist, für die der Angeklagte nicht verantwortlich gemacht werden kann. Wäre
der Erfolg ohne diese von einem anderen gesetzte Zwischenursache nicht eingetreten
und lag die Möglichkeit dieses Zutritts, also des Zusammentreffens beider Ursachen,
so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung, dass der Angeklagte dieses Verhalten des
anderen nicht in Rechnung zu stellen brauchte, so ist die Voraussehbarkeit zu verneinen (vgl. hierzu BGH 3, 62; 12, 75). Auf die Voraussehbarkeit des unvernünftigen
Verhaltens des Verletzten kommt es dann nicht an, wenn der schädigende Erfolg ohnehin im Rahmen der möglichen Wirkungen der von dem Angeklagten begangenen
Pflichtwidrigkeit lag (BGH 12, 75).
Die Voraussehbarkeit eines bestimmten Verhaltens oder sonstigen Ereignisses ist eine
Rechtsfrage. Sie kann auch vom Revisionsgericht auf Grund ausreichender Tatsachenfeststellungen des Tatrichters abschließend beurteilt werden (BGH 10, 121 und
VRS 25, 344).
Das Strafgesetz kennt schließlich noch den Begriff der Leichtfertigkeit (z.B. in § 138 325
Abs. 3, § 251, § 308 Abs. 3). Die Leichtfertigkeit entspricht der groben Fahrlässigkeit;
leichtfertig handelt demnach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer acht lässt (BGH 33, 66, 67).
107
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
g) Erschöpfung des Eröffnungsbeschlusses
326 Der Eröffnungsbeschluss (§ 207 StPO: die Anklage, soweit sie zugelassen ist) muss
durch die Feststellung des Sachverhalts erschöpft werden, d.h. die Gründe müssen
sich über die ganze Tat, wegen derer das Hauptverfahren eröffnet worden ist, aussprechen, ebenso wie keine Tat Gegenstand des Eröffnungsbeschlusses sein kann, die
nicht in der Anklage enthalten ist, und keine Tat Gegenstand der Untersuchung und
Entscheidung, auf die sich die zugelassene Anklage nicht erstreckt (§ 264 StPO; vgl.
dazu instruktiv BGH 46, 130).
Es genügt nicht, wenn die Gründe nur die in der Urteilsformel enthaltene Entscheidung rechtfertigen; sie müssen vielmehr, wenn das Gericht von der Auffassung des
Eröffnungsbeschlusses abweicht (§ 264 Abs. 2), ergeben, dass und warum das geschehen ist.
Wenn der Eröffnungsbeschluss dem Angeklagten Betrug und Urkundenfälschung in
Tateinheit zur Last legt und das Gericht die Urkundenfälschung verneint, wird der
Angeklagte von der Urkundenfälschung nicht freigesprochen, sondern nur wegen
Betrugs verurteilt (oben Rn. 60). Aber die Gründe müssen dann ergeben, weshalb
keine Urkundenfälschung vorliegt. Dasselbe gilt, wenn in der Verhandlung behauptet
worden war, die Straftat verletze nicht nur das in der zugelassenen Anklage genannte,
sondern noch ein weiteres Strafgesetz (§ 265 StPO).
Ist das Hauptverfahren unter der Beschuldigung der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) eröffnet, wird der Angeklagte aber nur wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verurteilt, so muss das Urteil den festgestellten Sachverhalt auch unter dem erstgenannten rechtlichen Gesichtspunkt
würdigen, d.h. z.B. darlegen, dass und warum es das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem
Wert nicht als gegeben ansieht. Der Verpflichtung hierzu wird das Gericht nicht
schon dadurch enthoben, dass auch die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung
von der veränderten rechtlichen Würdigung ausgegangen ist.
327 Selbstverständlich muss, wenn Tateinheit angenommen wird, die Sachdarstellung das
Vorliegen aller einzelner Straftaten ebenso erkennen lassen wie bei Tatmehrheit.
328 Wenn der Angeklagte auf Grund eines anderen Strafgesetzes oder auf Grund einer
anderen Begehungsform desselben Strafgesetzes (§ 176 Abs. 1 StGB: Vornahme sexueller Handlungen an einem oder von einem Kind) verurteilt wird, als sie im Anklagesatz genannt oder von der Staatsanwaltschaft in der Verhandlung angeführt worden
sind (Klageänderung), so genügt nicht die Begründung, weshalb diese Vorschrift anwendbar ist; es muss vielmehr auch angeführt werden, warum jene Bestimmung oder
jene Begehungsform nicht für gegeben erachtet wurde. War z.B. der Angeklagte wegen Bandendiebstahls (§ 244 StGB) angeklagt, ist er aber nur wegen einfachen Diebstahls verurteilt worden, so muss der Tatbestand des einfachen Diebstahls festgestellt
und außerdem angegeben werden, welche Merkmale des Bandendiebstahls als nicht
erwiesen angesehen worden sind.9
9 Inwieweit das Gericht verpflichtet ist, die zur Anklage stehende Tat aus anderen als den Strafbestimmungen der zugelassenen Anklage zu prüfen, wird im Abschnitt »Freispruch« (unten III.) im
Zusammenhang besprochen.
108
II. Verurteilung
In diesem Sinn umfasst die Tat nicht nur das einzelne in Anklage und Eröffnungsbe- 329
schluss erwähnte Tun des Angeklagten, sondern den ganzen, nach Auffassung des
Lebens eine Einheit bildenden geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll
(BVerfG 45, 435). Auch mehrere Handlungen im Sinne von § 53 StGB sind demnach
als eine Tat im Sinne von § 264 StPO zu werten, wenn zwischen ihnen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Dieser ist in der Regel gegeben, wenn die mehreren
Handlungen unmittelbar und dergestalt innerlich verknüpft sind, dass keine von ihnen für sich allein verständlich abgehandelt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (BGH NStZ 2009, 705). Der verfahrensrechtliche Tatbegriff
umfasst also den von der zugelassenen Anklage betroffenen einheitlichen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht
haben soll (BGH 32, 216; zur Frage, inwieweit die Verurteilung wegen Hehlerei die
Strafklage wegen des vorangegangenen Diebstahls oder Raubes des Hehlgutes verbraucht – insoweit also von einer Tat im prozessualen Sinn auszugehen ist – vgl.
BGH 35, 60).
Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles. Es genügt nicht allein ein persönlicher Zusammenhang oder das Bestehen eines Gesamtplanes, sondern die notwendige
innere Verknüpfung der mehreren Beschuldigungen muss sich unmittelbar aus den
ihnen zugrunde liegenden Handlungen oder Ereignissen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung ergeben.
Unter diesen Voraussetzungen ist der Tatrichter nicht nur berechtigt, sondern auch
verpflichtet, den Unrechtsgehalt der »Tat« voll auszuschöpfen. Auf den Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft kommt es insoweit nicht an (BGH 16, 200).
h) Vielzahl von Taten
aa) Die in der früheren Rechtsprechung vielfach angenommene Verbindung mehrerer 330
Einzeltaten zu einer fortgesetzten Handlung kommt nicht mehr in Betracht, nachdem der Große Senat für Strafsachen des BGH mit Beschluss vom 3.5.1994 (BGH 40,
138) diese Rechtsfigur in ihrer bisherigen Bedeutung und Ausgestaltung aufgegeben
hat.
bb) Die Rechtsprechung nimmt statt einer fortgesetzten Handlung in zunehmendem 331
Maße eine Bewertungseinheit an, so etwa im Betäubungsmittelrecht und bei Strafvorschriften des Vereinsgesetzes. Eine Bewertungseinheit verbindet mehrere aufeinander folgende Teilakte zu einer Tat, so z.B. die Veräußerung von Teilmengen aus
einer zum Zwecke gewinnbringender Weiterveräußerung bereit gehaltenen Gesamtmenge von Betäubungsmitteln oder Erwerb, Einfuhr und Veräußerung derselben
Menge von Betäubungsmitteln (BGH 30, 28; vgl. auch BGH NStZ 2000, 207), oder
mehrere Zuwiderhandlungen gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot (BGH
46, 6 = JZ 2000, 733 mit Anm. Puppe). Auch bei Annahme einer Bewertungseinheit
müssen die einzelnen Teilakte aber genau dargelegt und es muss nachgewiesen werden, worauf die Überzeugung des Gerichts hiervon beruht (vgl. BGH StV 1997, 20).
cc) Auch das Vorliegen einer Dauerstraftat führt zur Annahme nur einer Tat. Als 332
Dauerdelikt sind solche Straftaten anzusehen, bei denen der Täter den von ihm in
deliktischer Weise geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrechterhält
109
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt, so dass sich der strafrechtliche Vorwurf sowohl auf die Herbeiführung als auch auf die Aufrechterhaltung des
rechtswidrigen Zustandes bezieht (BGH 36, 257; 42, 216 m.w.N.). Das kann z.B. bei
einer Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) oder
beim Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG) anzunehmen sein.
333 dd) Nur eine Tat liegt ferner vor, wenn eine natürliche Handlungseinheit gegeben
ist. Das ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn sich bei natürlicher Betrachtungsweise die mehreren menschlichen, strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen
durch einen solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang auszeichnen, dass das gesamte Tätigwerden an sich (objektiv) auch für einen Dritten als
ein einheitlich zusammengefasstes Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind
(BGH 41, 368 m.w.N.). Das ist etwa der Fall, wenn der Täter unter Ausnutzung der
fortwährenden Bedrohung mit einem Messer nach und nach verschiedene sexuelle
Handlungen am Tatopfer vornimmt. Die Rechtsprechung bejaht es auch für sämtliche bei einer sog. Polizeiflucht, d.h. bei der ununterbrochenen Flucht des Täters mit
dem PKW vor einem verfolgenden Polizeifahrzeug, begangenen Straftaten (BGH 22,
76; NJW 1989, 2551).
334 ee) Im Übrigen ist aber beim Vorliegen von Serienstraftaten von Einzeltaten auszugehen. Diese Einzeltaten müssen im Urteil (ebenso wie schon in der Anklageschrift)
voneinander unterschieden werden; denn ein Schuldspruch wegen einer oder mehrerer Taten, die nach Ort und Zeit oder Anlass der Begehung nicht näher bestimmt und
auch hinsichtlich des Tatherganges nur vage beschrieben sind, ist mit rechtsstaatlichen
Grundsätzen nicht zu vereinbaren (BGH NStZ 1994, 352). Das bedeutet, dass bei
einer Serie von beispielsweise sexuellem Missbrauch eines Kindes zunächst versucht
werden muss, die einzelnen Taten nach konkreten Tatbildern in dem angegebenen
Zeitraum (z.B. einmal im Keller nach dem Abendessen, einmal in der Badewanne vor
der Schule usw.) zu beschreiben (BGH NStZ 1994, 352). Nur wenn das nicht möglich
ist, die einzelnen Taten nach Tatbegehung oder Tatort also nicht individualisierbar
sind, weil sie sich stets in derselben Weise am selben Ort abgespielt haben, muss eine
zeitliche Eingrenzung vorgenommen werden (z.B. von Anfang April bis Ende Oktober jede Woche einmal, also insgesamt 28-mal, oder einmal im Monat, also insgesamt
siebenmal). Lassen sich auch insoweit keine genauen Feststellungen mehr treffen, ist
nach dem Zweifelsgrundsatz von Mindestzahlen auszugehen; das kann dahin führen,
dass letztlich nur drei Taten übrig bleiben, weil das Kind etwa noch so klein ist, dass
ihm jegliche Zahl- und Zeitvorstellungen fehlen (eine Tat zu Beginn, eine Tat am Ende und eine Tat zwischen diesen Zeitpunkten). Zulässig ist aber auch eine Verurteilung, wonach der Angeklagte in einem bestimmten Zeitraum eine – genau zu bestimmende – Zahl gleichartiger Straftaten begangen hat (z.B. 20-mal zwischen Januar
und Mai 2013 in stets genau gleicher Weise einen Betrug gegenüber unbekannt gebliebenen Geschädigten). Notfalls muss von nur einer Tat ausgegangen oder der
Schuldumfang geschätzt werden (BGH 40, 374).
335 Bei der Darstellung von Serienstraftaten in den Urteilsgründen können die Einzelfälle allerdings zu Fallgruppen zusammengefasst werden, z.B. bei einer Mehrzahl
gleichartiger Fälle durch Wiedergabe der gemeinsamen Merkmale aller Taten. Es ist
auch zulässig, im Urteil einen charakteristischen Einzelfall in allen Einzelheiten dar110
II. Verurteilung
zustellen und dann zur genauen Abgrenzung des Schuldumfangs mitzuteilen, in wie
viel weiteren Fällen zu welchen Zeiten sich der Täter in gleicher Weise verhalten hat.
Ebenso kann es bei der Strafzumessung genügen, die Strafzumessungsgründe für einen Fall darzulegen, die Einzelstrafe festzusetzen und dann zu sagen, dass diese
Gründe in gleicher Weise für alle anderen Fälle gelten, so dass in allen Einzelfällen
dieselbe Einzelstrafe verhängt wird. Dass auch bei einer Vielzahl von Einzelstrafen
gegenüber der Strafzumessungspraxis bei fortgesetzten Handlungen nunmehr keine
unangemessenen Gesamtstrafen verhängt werden, ist dadurch sichergestellt, dass es
nach § 54 Abs. 1 S. 2 StGB immer nur um die Verschärfung der Einsatzstrafe, nicht
um Kumulation der Einzelstrafen geht.
ff) Bei einer außerordentlich großen Zahl von Einzelhandlungen – insbesondere, 336
wenn die Zahl in die Hunderte oder gar in die Tausende geht, oder wenn es bei einem
sog. »uneigentlichen Organisationsdelikt« (dazu Fischer vor § 52 Rn. 25) eine Vielzahl von Geschädigten gibt – wird es unerlässlich sein, die Strafverfolgung nach
§§ 154, 154a StPO auf die schwerwiegenden oder die leichter feststellbaren Fälle bzw.
bei stets gleichartigen Taten auf einen bestimmten Tatzeitraum zu beschränken (BGH
NStZ 2013, 422). Ist der Täter z.B. ein ganzes Jahr lang ständig vorsätzlich ohne
Fahrerlaubnis gefahren, so wäre es wenig vernünftig, ihn wegen Verstoßes gegen § 21
Abs. 1 Nr. 1 StVG in 365 Fällen (bzw. bei mehreren Fahrten am Tag in 720 oder noch
mehr Fällen) zu verurteilen. Hier werden einige individualisierbare, besonders weitreichende Fahrten oder bei Gleichartigkeit aller Fahrten (stets von der Wohnung zur
Arbeitsstätte und zurück) ein bestimmter Zeitraum herausgenommen und im Übrigen wird das Verfahren nach § 154 StPO eingestellt. Im Urteil dürfen dann aber auch
beim Strafausspruch natürlich nur die festgestellten Taten berücksichtigt werden; als
zulässige strafschärfende Erwägung dürfte es aber anzusehen sein, dass der Täter bei
seinen Taten jeweils in der Absicht gehandelt hat, auch in Zukunft gleichartige Taten
zu begehen (er also einen »Fortsetzungsvorsatz« hatte).
i) Wahlfeststellungen
Der Ausdruck »Wahlfeststellung« ist zwar gebräuchlich, aber sprachlich schlecht und 337
sachlich missverständlich; man spricht besser von doppel- oder mehrdeutigen Feststellungen. Es ist zwischen mehrdeutigen Tatsachenfeststellungen (sog. Tatsachenalternativität) und mehrdeutigen Schuldfeststellungen (sog. Gesetzesalternativität) zu
unterscheiden.
aa) Mehrdeutige Tatsachenfeststellungen sind zulässig, wenn das Gericht alle Be- 338
weismöglichkeiten erschöpft hat und gleichwohl eine eindeutige Feststellung des
Sachverhalts oder eines Teils des Sachverhalts nicht treffen kann. Zum Beispiel:
Das Gericht kann nicht feststellen, welche von zwei sich widersprechenden eidlichen Aussagen
falsch ist; dann kann wegen Meineids verurteilt werden (BGH 2, 351; NJW 1957, 1886).
Das Gericht kann wegen eines Verkehrsvergehens verurteilen, auch wenn es nicht feststellen kann,
ob der Unfall auf die eine oder andere Möglichkeit zurückzuführen ist (der Lastwagen hat beim
Überholen den Radfahrer entweder von hinten angefahren oder wegen zu geringen Abstandes seitlich gestreift; der Unfall ist entweder auf überhöhte Geschwindigkeit oder auf Unaufmerksamkeit
des Fahrers zurückzuführen).
Es ist nicht festzustellen, ob ein unter Alkoholeinfluss stehender Kraftfahrer selbst den PKW gelenkt
oder als für das Kraftfahrzeug Verantwortlicher einer anderen alkoholbedingt fahruntüchtigen Person die Lenkung überlassen hat (OLG Karlsruhe VRS 59, 248).
111
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Ganz allgemein ist eine solche wahlweise Feststellung möglich, wenn der Täter durch
eine von mehreren in Frage kommenden Handlungen gegen ein Gesetz verstoßen hat
und nicht festgestellt werden kann, durch welche der Handlungen es geschehen ist
(BGH wistra 2007, 458). Voraussetzung ist aber immer, dass eine eindeutige Feststellung, die auf Grund der Pflicht zur Wahrheitsermittlung (§ 244 Abs. 2 StPO) stets
anzustreben ist, nicht möglich ist, dass aber das Entweder-Oder feststeht, dass also
die mehreren möglichen Handlungen objektiv und subjektiv auch ernsthaft in Frage
kommen und andere Möglichkeiten mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. In einem solchen Fall müssen die Gründe an
Stelle der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die Merkmale der strafbaren
Handlung gefunden werden, den äußeren und inneren Sachverhalt der Verhaltensweisen schildern, die nach der Überzeugung des Gerichts allein in Betracht kommen;
andere Möglichkeiten müssen sicher ausgeschlossen sein. An den Ausschluss sind um
so strengere Anforderungen zu stellen, je schwerer der Schuldvorwurf wiegt und je
größer die Zahl der Geschehensabläufe ist, die der Richter für möglich erachtet. Mit
dieser Zahl wächst nämlich auch die Möglichkeit, dass andere Ursachenzusammenhänge zu dem tatbestandsmäßigen Erfolg geführt haben, der dem Beschuldigten angelastet wird (BGH JR 1981, 304 mit Anm. Peters).
Eine solche Wahlfeststellung wirkt sich nicht auf den Schuldspruch aus.
339 Zu dieser Gruppe gehören folgende Fälle:
Erstens, wenn mehrere Tatsachen in gleicher Weise dasselbe gesetzliche Merkmal einer Straftat erfüllen und es nur ungewiss ist, welche von beiden vorliegt.
So z.B. wenn die Beweisaufnahme ergibt, dass eine gefährliche Körperverletzung entweder mit einem Schlagring oder mit einem Hausschlüssel begangen worden ist.
Zweitens, wenn das Strafgesetz in einer Bestimmung nicht verschiedene Tatbestände
zusammenfasst, sondern verwandte und ineinander übergehende Begriffe gebraucht
und mehrere Tatbestände ersichtlich als gleichwertig zusammenfasst.
So in § 33 StGB Verwirrung, Furcht oder Schrecken; § 306 Abs. 1 Nr. 6 StGB landwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse; § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB: Schlüssel oder andere nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmte Werkzeuge; Diebstahl mittels Einbruchs und Diebstahl mittels falschen
Schlüssels; § 263 StGB: sich oder einem Dritten.
Drittens, wenn verschiedene gleichwertige Begehungsformen derselben Straftat in
Frage kommen, z.B. Allein- oder Mittäterschaft (BGH 11, 18), unmittelbare oder
mittelbare Täterschaft, mittelbare Täterschaft oder Mittäterschaft, verschiedene
Mordmerkmale (BGH NStZ 2012, 441).
340 bb) Die Rechtsprechung lässt aber auch mehrdeutige Feststellungen im Schuldspruch zu. Sie sind gemeint, wenn von Wahlfeststellungen im eigentlichen Sinne gesprochen wird. Solche mehrdeutigen Feststellungen sind allerdings nur in begrenztem
Umfang zulässig. Der Richter muss prüfen,
a) ob er wahldeutig verurteilen kann,
b) ob er verneinendenfalls nach dem Grundsatz »im Zweifel für den Angeklagten«
freisprechen muss, oder
c) ob er, falls er nicht mehrdeutig verurteilen kann, eindeutig, und zwar aus dem
minder schweren Tatbestand verurteilen kann.
112
II. Verurteilung
Mehrdeutige Feststellungen im Sinne der Gesetzesalternativität setzen zunächst einmal voraus, dass alle Bemühungen des Gerichts um Aufklärung des Sachverhalts eine
eindeutige Feststellung nicht ermöglichen, die Schuld des Angeklagten in mehrdeutiger Feststellung aber einwandfrei zu erweisen ist. Es steht zwar fest, dass der Angeklagte innerhalb eines einheitlichen Vorgangs eines von mehreren Strafgesetzen verletzt hat, es lässt sich aber nicht klären, welcher der in Frage kommenden Straftaten
er schuldig ist. Ist der Richter nicht überzeugt, dass der eine Tatbestand erfüllt ist,
sofern der andere entfällt, so ist eine mehrdeutige Feststellung nicht zulässig (BGH
NStZ 2010, 698).
Mehrdeutige Feststellungen sind nicht notwendig auf zwei Möglichkeiten des tatsächlichen Hergangs beschränkt; die Wahldeutigkeit kann sich auch auf mehr als zwei
Möglichkeiten erstrecken, so z.B. auf Diebstahl, Hehlerei und Beihilfe zum Diebstahl, oder auf Diebstahl, Hehlerei und Unterschlagung (BGH 15, 63; NJW 1961,
1936).
Mehrdeutige Feststellungen setzen voraus, dass die verschiedenen gesetzlichen Tatbe- 341
stände, die in Frage kommen, »innerlich miteinander verwandt und die möglichen
Verhaltensweisen rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind« (BGH GrS 9,
390). Dabei ist unter rechtsethischer Gleichwertigkeit nicht die gleiche Strafwürdigkeit zu verstehen, vielmehr müssen die möglichen Taten einander vergleichbar in der
Art der sittlichen Bewertung sein, die ihnen im allgemeinen Rechtsempfinden zuteil
wird; das Erfordernis der psychologischen Gleichartigkeit setzt eine einigermaßen
gleichgeartete seelische Beziehung des Täters zu den in Frage stehenden Verhaltensweisen voraus (BGH NJW 1965, 407).
Zur Frage, wann im Einzelfall mehrdeutige Feststellungen im Schuldspruch zulässig
oder unzulässig sind, hat sich eine reiche Kasuistik in der Rechtsprechung entwickelt.
Insofern wird auf die Zusammenstellung bei Schönke/Schröder/Eser/Hecker § 1
StGB Rn. 104 f. verwiesen (vgl. auch BGH StV 1985, 92). Dort finden sich auch
Hinweise auf das sehr umfangreiche Schrifttum zum Problem der Wahlfeststellung.
Hier sei nur noch folgendes besonders hervorgehoben:
Bleibt zweifelhaft, ob eine Körperverletzung vorsätzlich oder fahrlässig begangen 342
worden ist, so ist wegen fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen (BGH 17, 210);
eine wahldeutige Feststellung ist nicht zulässig. Ist ungeklärt, ob der erste fahrlässige
oder der zweite vorsätzliche Schuss zum Tod geführt hat, so ist eine doppeldeutige
Feststellung ebenfalls nicht zulässig, vielmehr (nach dem Grundsatz »Im Zweifel für
den Angeklagten«) wegen versuchter Tötung zu verurteilen (BGH NJW 1957, 1643).
Das Gleiche gilt, wenn es ungewiss bleibt, ob der Täter die erschwerte Form des
Grundtatbestands (Diebstahl mit Waffen) erfüllt hat; steht der Diebstahl fest und ist
nur nicht zu klären, ob der Täter eine Schusswaffe bei sich geführt hat, so wird nicht
wahlweise, vielmehr nur wegen einfachen Diebstahls verurteilt. Hat ein Täter dem
Opfer mehrere Stiche versetzt, wobei er zunächst mit Körperverletzungs-, später mit
Tötungsvorsatz gehandelt hat, und bleibt unklar, mit welchem Vorsatz der Stich, der
den Tod des Opfers herbeigeführt hat, geführt worden ist, so ist nicht wahlweise wegen Totschlags oder wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag, sondern nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu verurteilen (BGH NJW 1990, 130). Bleibt aber
ungeklärt, welche von zwei vorsätzlich begangenen Körperverletzungen zum Tod des
Opfers geführt hat, ist nur wegen einer Tat des § 227 zu verurteilen (BGH NStZ
113
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
1994, 339). Ebenso ist, wenn nicht feststeht, bei welchem ungeschützten Geschlechtsverkehr der HIV-infizierte Täter das Opfer angesteckt hat, er nicht wahldeutig, sondern nur wegen einer (vollendeten) gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB
zu verurteilen (BGH NJW 1990, 129).
Lassen die Feststellungen nur die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte Täter oder
Gehilfe ist, so ist er wegen Beihilfe zu verurteilen; eine Wahlfeststellung ist nicht
möglich (BGH 23, 203; BayObLG NJW 1967, 361).
Widersprechen sich eine eidliche und eine uneidliche Aussage, so ist wegen falscher
uneidlicher Aussage zu verurteilen (BGH NJW 1957, 1886); wegen uneidlicher
Falschaussage und falscher Verdächtigung ist Wahlfeststellung möglich. Eine wahldeutige Verurteilung ist in diesen Fällen aber nur zulässig, wenn wegen beider Alternativtaten Anklage erhoben worden ist (BGH 32, 146). Für die Strafzumessung muss
in diesem Falle die eidliche Aussage als falsch unterstellt werden, wenn dies zu einer
milderen Bestrafung, z.B. wegen Eidesnotstandes, führt (BGH 13, 70; vgl. auch BayObLG JR 1976, 469 m.Anm. Stree bez. § 158 StGB).
343 Eine Wahlfeststellung scheidet aus, wenn eine sog. Postpendenzfeststellung möglich
ist. In Fällen der sog. Postpendenz besteht eine nur einseitige Sachverhaltsungewissheit dergestalt, dass von zwei Sachverhalten der zeitlich frühere möglicherweise, der
zeitlich spätere aber sicher gegeben ist. Das ist z.B. der Fall, wenn nicht aufgeklärt
werden kann, ob der Angeklagte Mittäter einer schwereren Vortat (z.B. Erpressung,
Betrug, Diebstahl) war, aber feststeht, dass er einen Teil der erlangten Beute in
Kenntnis der Vortat von den Tätern dieser schwereren Tat erhalten hat (BGH 35, 86;
NStZ 2011, 510); er ist dann nicht in Wahlfeststellung, sondern nur wegen Hehlerei
zu verurteilen (vgl. auch OLG Hamburg MDR 1994, 712: Nur Verurteilung wegen
Untreue, wenn diese sicher, ein vorausgegangener Betrug aber fraglich ist; BGH
wistra 2007, 458: Computerbetrug). Eine Postpendenzfeststellung kommt aber nicht
in Betracht, wenn zweifelhaft ist, ob sich der Angeklagte eines Diebstahls als Alleintäter oder einer Hehlerei schuldig gemacht hat (BGH NJW 1990, 2476).
344 Bei wahlweiser Feststellung und bei Postpendenz (BGH NStZ 2011, 510) ist der Täter nur aus dem mildesten Gesetz zu bestrafen. Die Frage, welches Gesetz das mildere ist, entscheidet sich in erster Linie durch einen Vergleich der Strafrahmen, sodann nach der konkreten Lage des Falls, d.h. die Strafe wird dem Gesetz entnommen,
das nach der besonderen Lage des Falles die geringste Strafe zulässt. Sind die in Frage
kommenden Gesetze gleich milde, so hat der Richter die Wahl, auf Grund welchen
Gesetzes er bestrafen will.
345 cc) Die Gründe müssen Auskunft darüber geben, welche Strafgesetze als verletzt in
Betracht kommen. Um die mehrdeutige Feststellung nicht zu einer bloßen Verdachtsstrafe werden zu lassen, müssen die Tatsachen angegeben werden, in denen die in
Frage kommenden Verstöße erblickt werden (BGH NStZ 2012, 441). Für die Angabe
dieser Tatsachen in den Gründen gilt das, was oben (unter c) bis f)) gesagt wurde. Es
müssen insbesondere alle Tatbestandsmerkmale der in Betracht kommenden Straftaten, die äußeren wie die inneren, festgestellt werden. Auch für die Überzeugungsbildung des Gerichts gelten bei mehrdeutigen Feststellungen grundsätzlich dieselben
Regeln wie bei eindeutigen Feststellungen. Daraus folgt, dass das Gericht unglaubhafte oder nur nicht widerlegte Angaben des Angeklagten grundsätzlich seiner
Schuldfeststellung nicht zugrunde legen darf, und dass eine mehrdeutige Feststellung
114
II. Verurteilung
ausscheidet, wenn nach dem Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten« nur nach
dem milderen Gesetz zu verurteilen ist. Es genügt aber nicht nur die Feststellung hinsichtlich der in Frage kommenden Verstöße, sondern es ist noch zu begründen, weshalb trotz sorgfältiger Erschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen eine eindeutige Feststellung nicht möglich ist. Dabei darf das Gericht eine eindeutige
Feststellung nicht etwa dahingestellt sein lassen, weil jedenfalls eine doppel- oder
mehrdeutige Feststellung möglich sei. Die Ungewissheit, welche von zwei allein
möglichen Tatbeständen der Angeklagte verwirklicht hat, darf nur darauf beruhen,
dass jeweils die Verwirklichung der anderen Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann.
Diese Regeln gelten nicht nur für die Fälle der echten Wahlfeststellung (Gesetzesalternativität), sondern auch für die mehrdeutigen Feststellungen tatsächlicher Art
(Tatsachenalternativität). Die Urteilsgründe müssen also den äußeren und inneren
Sachverhalt für die (zwei oder mehreren) Tatsachenfeststellungen enthalten. Werden
Tatsachen wahlweise festgestellt, so muss darauf geachtet werden, dass bei Verkehrsstrafsachen auch dem Angeklagten nicht vorwerfbare Ursachen, die sich aufdrängen,
erörtert werden (z.B. ein technischer Mangel des Fahrzeuges als Grund für das Abkommen des Fahrzeugs von der Fahrbahn).
Sieht das Gericht von einer mehrdeutigen Feststellung ab, obwohl in der Hauptverhandlung ein entsprechender Antrag gestellt wurde, so müssen, falls das Gericht
nicht zu einer eindeutigen Verurteilung kommt, die Gründe dafür dargelegt werden.
dd) Die Strafe ist dem mildesten Gesetz zu entnehmen. Die Gründe für die Strafzu- 346
messung dürfen daher nur dieses betreffen. Unzulässig wäre es also, die Strafe deshalb strenger zu bemessen, weil der Verdacht der schwereren Tat besteht. Nach dem
mildesten Gesetz sind auch die zulässigen Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Besserung und Sicherung zu bestimmen; dabei ist jedoch Voraussetzung,
dass sie auch nach dem weiter in Betracht kommenden Gesetz zulässig wären (RG
68, 262).
4. Beweisgründe und Beweiswürdigung
a) Angabe der Beweisgründe
An die Sachverhaltsschilderung schließt sich die Angabe der Beweisgründe mit der 347
Beweiswürdigung an. Nach § 267 Abs. 1 S. 2 StPO sollen zwar nur bei einem Indizienbeweis (das ist mit dieser Vorschrift gemeint) die diesbezüglichen Tatsachen, also
die Beweisanzeichen, angegeben werden; im Übrigen schreibt das Verfahrensrecht die
Darlegung, auf welchem Wege und aufgrund welcher Tatsachen und Beweismittel der
Richter seine Überzeugung vom Tatgeschehen erlangt hat, nicht vor. Diese merkwürdige und verfehlte Regelung10 ist aber praktisch ohne Bedeutung. Die Rechtsprechung verlangt seit langem, dass das Urteil die Angabe der Beweisgründe und eine
10 Die Strafprozessordnung steht mit dieser Vorschrift allein da. Sie steht im Gegensatz zu den
Grundsätzen des Zivilprozesses (§ 286 Abs. 1 S. 2 ZPO) und des Verwaltungsgerichtsverfahrens
(§ 108 Abs. 1 S. 2 VwGO). Grund für diese Bestimmung war nach den Gesetzesmaterialien, dass
nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten bei dem einen Richter auf anderen Gründen beruhen könne als bei dem anderen. Das entspricht nicht mehr der heutigen Auffassung von der Notwendigkeit der Nachprüfbarkeit und
Nachvollziehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen.
115
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Beweiswürdigung enthält; denn das Gericht muss begründen, wieso es zu der Behauptung gekommen ist, der Angeklagte habe sich der im Urteilstenor bezeichneten
Tat schuldig (bzw. bei Freispruch nicht-schuldig) gemacht, und wieso es die in der
Sachverhaltsschilderung festgestellten Tatsachen als erwiesen angesehen hat. Dies ist
unumgänglich, weil das Revisionsgericht sonst nicht prüfen kann, ob das materielle
Recht richtig angewendet und das Ergebnis der Hauptverhandlung erschöpfend und
rechtsfehlerfrei gewürdigt worden ist (BGH StV 1984, 64). Aus dem sachlichen Recht
folgt daher eine Begründungspflicht auch hinsichtlich der Angabe der Beweisgründe. Deswegen haben Urteile, die weder die Einlassung des Angeklagten wiedergeben
noch diese unter Berücksichtigung der sonstigen Beweise würdigen, in der Revisionsinstanz keinen Bestand; dasselbe gilt, wenn das Gericht sich mit den auf genau bezeichnete Tatsachenbehauptungen gestützten und nicht unerheblichen Bedenken des
Angeklagten gegen die Glaubwürdigkeit eines Zeugen nicht im Einzelnen auseinandersetzt (BGH StV 1989, 423). Die Beweisgründe müssen dabei in sich logisch geschlossen, klar und frei von Lücken sein. Insbesondere müssen sie sich mit allen nahe
liegenden Tatsachen und Umständen, die Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des
Angeklagten zulassen, auseinandersetzen (BGH 25, 285).
348 Entgegen dem Wortlaut des § 267 StPO sind im Urteil somit entsprechend der allgemeinen Übung der Gerichte im Anschluss an die (tatsächlichen) Feststellungen –
möglichst in einem eigenen Abschnitt – die Beweisgründe anzuführen, an die sich
sodann die Beweiswürdigung anschließt. Es ist also anzugeben, wie das Gericht seine
Überzeugung von den als erwiesen erachteten Tatsachen gewonnen hat. Es ist nicht
erforderlich (wie es allerdings weit verbreitet ist), zunächst einmal aufzuzählen, welche Zeugen und Sachverständigen das Gericht in der Hauptverhandlung vernommen
hat, welche Urkunden es verlesen, welche Gegenstände es in Augenschein genommen
hat. Das ergibt sich aus dem Protokoll der Hauptverhandlung, wird durch dieses bewiesen (§ 274 StPO) und braucht im Urteil nicht wiedergegeben zu werden. Es ist
sogar gefährlich, da sich in diese Aufzählung leicht ein Fehler einschleichen kann, den
die Revision dann rügen wird, etwa wenn ein Zeuge aufgeführt wird, auf den in der
Hauptverhandlung verzichtet worden ist oder wenn die Verlesung einer Urkunde
behauptet wird, obwohl sie nur vorgehalten worden ist (vgl. BGHR StPO § 52
Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 10; NStZ 2000, 211).
349 Aus der Tatsache, dass eine Zeugenaussage im Urteil nicht wiedergegeben wird
oder das Gericht sich in den Gründen nicht mit allen von der Verteidigung überreichten Fotos und Skizzen auseinandersetzt, kann aber nicht geschlossen werden, dass sie
das Gericht bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt hat. Der Tatrichter ist nämlich nicht verpflichtet, alle Umstände lückenlos in den Urteilsgründen anzuführen,
die seine Überzeugung begründen oder ihr entgegenstehen.
350 Die Forderung nach Angabe der Beweisgründe darf aber nicht dahin missverstanden werden, es müsse der Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise
dokumentiert werden. Es soll vielmehr nur das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergegeben und die Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglicht werden.
Deshalb ist es regelmäßig verfehlt, nach den tatsächlichen Feststellungen (und der
überflüssigen Aufzählung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise, auf denen das Urteil beruhen soll), die Aussagen der Zeugen der Reihe nach und in ihren
Einzelheiten mitzuteilen. In der Regel genügt die Mitteilung, dass die Angaben kontinuierlich gleich waren, oder die Mitteilung der Differenzen zwischen den Aussagen
116
II. Verurteilung
(BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Sachdarstellung 12). Ebenso wenig ist es nötig, für
jede Feststellung in den Urteilsgründen einen Beleg zu erbringen, also jeweils zu sagen: »Diese Feststellung beruht auf …, jene Feststellung beruht auf …« (BGH NStZ
2007, 538; 720). Dies wäre eine Beweisdokumentation, aber keine Beweiswürdigung.
Verfehlt ist es deshalb auch, wenn eine Telefonüberwachung stattgefunden hat, den
Inhalt der abgehörten Gespräche wörtlich in den Urteilsgründen wiederzugeben
(BGH NStZ 2000, 608). Die Angabe der Beweisgründe und die Bewertung der für
die Urteilsfindung maßgebenden Zeugenaussagen, Urkunden und sonstigen Beweismittel verlangt vielmehr eine in sich geschlossene Darstellung (BGH NStZ 1985,
184).
Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass die Feststellung der Tat die Hauptsa- 351
che ist, und dass die Anführung der Beweismittel und der Angaben des Angeklagten
nur die Erklärung dafür bilden, wie das Gericht zu den Feststellungen gekommen ist.
Das Beweisergebnis muss gesichtet und darf nur so weit erörtert werden, wie es für
die Entscheidung von Bedeutung ist. Besonders in größeren Sachen kommen bei der
Beweisaufnahme oft viele Dinge zur Sprache, über die zwischen den Prozessbeteiligten lebhaft gestritten wird, die aber auf die Entscheidung schließlich ohne Einfluss
sind. Werden z.B. von der Staatsanwaltschaft zur Unterstützung des Beweises Umstände aufgeführt, die vor der Tat liegen, das Gericht glaubt aber ohnedies auf Grund
seines persönlichen Eindrucks dem Belastungszeugen, so braucht das Urteil solche
Umstände, deren Aufklärung vielleicht besondere Mühe gemacht hat und zweifelhaft
geblieben ist, nicht zu erwähnen. Der Urteilsverfasser sollte sich darauf beschränken,
in gedrängter und bestimmter Form die wesentlichen Gesichtspunkte hervorzuheben, die das Gericht zu seiner Überzeugung geführt haben; alle nebensächlichen Einzelheiten sind fortzulassen11. Eine bloße Wiedergabe der Zeugenaussagen ohne Bezug
zu den Einzelheiten der Beweiswürdigung ist deshalb verfehlt; sie ersetzt nicht die
Würdigung der Beweise.
b) Beweiswürdigung
aa) Es ist zunächst einmal Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Beweisaufnahme 352
zu würdigen. Er hat ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und
sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht (BGH 10, 209).
Er hat aber den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zugunsten
oder zuungunsten des Angeklagten nahe legt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen; diese erschöpfende Würdigung hat er in
den Urteilsgründen darzulegen (BGH NStZ 2007, 538). Ebenso wenig wie der Tatrichter gehindert werden kann, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folge11 In einem Urteil des BGH – NStZ 2002, 49 – heißt es: »Die Fassung des 292 Seiten (!) umfassenden schriftlichen Urteils gibt Anlass zu dem Hinweis, dass die Urteilsgründe nicht die Aufgabe
haben, den Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung sowie das mit der abgeurteilten
Tat nicht im Zusammenhang stehende Randgeschehen in allen Einzelheiten wiederzugeben …
Haben Zeugen oder Beschuldigte im Laufe des Verfahrens bei mehreren Vernehmungen unterschiedliche Angaben gemacht, so ist deren Darstellung in den Urteilsgründen auf die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte zu beschränken; die Erörterung ist auf sachlich erhebliche
Abweichungen zu konzentrieren. Eine bloße detaillierte Wiedergabe sämtlicher Aussageinhalte … ist regelmäßig nicht veranlasst; sie kann die dem Tatrichter obliegende Darstellung der wesentlichen Entscheidungsgründe nicht ersetzen« (ähnlich BGH NStZ 2007, 720).
117
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
rungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, kann ihm auch nicht vorgeschrieben
werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Folgerung und einer
bestimmten Überzeugung kommen muss (BGH NJW 2005, 2322). Die richterliche
Überzeugungsbildung muss aber eine rational-objektive Grundlage haben, sie muss
rationaler Argumentation standhalten, d.h. sie muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und darf sich nicht nur als Vermutung erweisen, die nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH
NStZ-RR 2012, 381).
353 bb) Die Beweiswürdigung beginnt – unter Einschluss der Angabe der Beweisgründe
– am besten gleich mit dem Satz
Der Angeklagte hat die Tat gestanden. Das Geständnis ist glaubhaft, denn es deckt sich mit der
Schilderung der Tat durch den Geschädigten. Oder
Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Er ist durch die Angaben des Tatopfers und des
Polizeibeamten Müller überführt. Die verletzte Frau Schulze hat bekundet, . . . Oder
Der Angeklagte räumt ein, Alfons Schmidt niedergeschlagen zu haben. Er behauptet jedoch,
Schmidt habe ihn zuerst angegriffen. Diese Einlassung ist durch die glaubhaften Aussagen des Alfons Schmidt und des Bauarbeiters Herz, der den Tathergang beobachtet hat, widerlegt …
Bei einem Geständnis des Angeklagten erübrigt sich in der Regel eine weitere Beweiswürdigung, es
genügt vielmehr, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu überprüfen (BGH 43, 195) und festzustellen. Erklärt aber ein Tatrichter vom Angeklagten eingestandene Tatsachen, die sich widersprechen, ohne nähere Erläuterungen pauschal für glaubhaft, so liegt darin ein sachlich-rechtlicher
Mangel der Beweiswürdigung, der zur Aufhebung führen kann, BGH wistra 2003, 351. Auch ein bloßer »Verurteilungskonsens« im Rahmen einer Urteilsabsprache genügt nicht; das Gericht muss
immer den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch tragende Feststellungen treffen, weshalb ein Geständnis konkret sein und stets auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden muss, ein »inhaltsleeres
Formulargeständnis« reicht nicht aus (BGH GrS 50, 40; NStZ-RR 2007, 20).
Bei einem teilweisen oder völligen Leugnen des Angeklagten ist auszuführen, dass
und wie der Angeklagte im Sinne der getroffenen Feststellungen überführt worden
ist. Ist die Einlassung des Angeklagten umfangreich, kann es sich empfehlen, sie
Punkt für Punkt im Zusammenhang mit den Beweisen zu würdigen. Erforderlich ist
die Würdigung und Bewertung der für die Urteilsfindung maßgebenden Zeugenaussagen in einer geschlossenen Darstellung.
354 cc) In der Beurteilung und Verwertung der Beweismittel ist der Richter frei, wie aus
§ 261 StPO folgt. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung12 bedeutet, dass es
für die Beantwortung der Schuldfrage allein darauf ankommt, ob der Tatrichter die
Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht; diese persönliche Gewissheit ist für die Beurteilung notwendig, aber auch genügend. Dabei ist
der Begriff der Gewissheit nicht mit einer mathematischen oder sonstigen wissenschaftlichen Sicherheit, die jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließt, gleichzusetzen. Die richterliche Überzeugung ist weniger als absolut sicheres Wissen, aber mehr
als bloßes Glauben. Es genügt die Überzeugung des Vorhandenseins einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Voraussetzung dieser Wahrscheinlichkeit und
damit der Überzeugung des Richters von der Schuld des Angeklagten ist aber immer,
dass der Richter keine Zweifel an der Schuld hat (BGH 10, 208); dabei kommt es nur
auf vernünftige Zweifel an (vgl. dazu BGH NStZ 1990, 603). Bloße abstrakte, theore12 Vgl. dazu Albrecht, Überzeugungsbildung und Sachverständigenbeweis in der neueren strafrechtlichen Judikatur zur freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO), NStZ 1983, 486.
118
II. Verurteilung
tische Zweifel stehen der Überzeugung nicht entgegen; die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts schließt also die Überzeugung i.S. des § 261 StPO
nicht aus (BGH NStZ-RR 2012, 72). Es genügt, dass ein nach der Lebenserfahrung
ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht
mehr laut werden können.
Bei der Bildung seiner Überzeugung muss der Richter zwingende Gesetze der Logik, 355
feste Ergebnisse der Wissenschaft und in gewissem Umfange auch die Lebenserfahrung berücksichtigen, soweit diese geeignet ist, etwaige Zweifel entweder zwingend
zu bestätigen oder zwingend auszuräumen. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, denen eine unbedingte Beweiskraft zukommt, muss der Tatrichter als richtig hinnehmen, auch wenn er sie nicht selbst nachprüfen kann; in diesem Falle ist für eine
eigene richterliche Überzeugungsbildung kein Raum mehr (BGH 5, 34; 6, 70; 10,
208).
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Zeugenaussage eines Polizei- 356
beamten, er könne sich an den von ihm angezeigten Verkehrsvorgang nicht mehr
erinnern, er würde aber den Verkehrsteilnehmer unter den von ihm behaupteten Umständen nicht angezeigt haben, der freien Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt
(OLG Köln NStZ 1981, 76). Will der Richter die Aussage des Polizeibeamten zu Lasten des Angeklagten verwerten, so muss er im Urteil feststellen, dass der Zeuge bereit
und in der Lage ist, die Verantwortung für die Richtigkeit des Inhalts der Anzeige zu
übernehmen (OLG Köln VRS 60, 205). Dagegen ist es unzulässig, aus der Haltereigenschaft auf die Fahrereigenschaft zu schließen, wenn der Angeklagte die Täterschaft bestreitet, ohne den tatsächlichen Fahrer anzugeben (OLG Hamburg MDR
1980, 780).
Im Zweifel hat der Tatrichter zugunsten des Angeklagten zu entscheiden (in dubio 357
pro reo). Insoweit handelt es sich um eine Entscheidungsregel, die das Gericht jedoch
erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die
volle Überzeugung zu gewinnen vermag (BGH NStZ-RR 2013, 20). Dieser Rechtssatz findet im Übrigen im gesamten Bereich der Strafrechtspflege Anwendung, also
bei der Entscheidung über die Schuldfrage, über das Vorliegen von Strafausschließungs-, Strafaufhebungs- und Strafmilderungsgründen, beim Tatbestands- und Verbotsirrtum, bei der Strafzumessung (BGH NStZ-RR [C/Z] 2011, 227) und auch im
Strafverfahrensrecht, wenn auch im letzteren nicht »schablonenhaft«, z.B. bei Zweifeln über die Verjährung, bei Zweifeln, ob der Täter bei der Tat noch Jugendlicher
oder schon Heranwachsender war, ob der Heranwachsende zur Zeit der Tat einem
Jugendlichen gleichstand (vgl. Meyer-Goßner § 261 StPO Rn. 26 ff. m.w.N.).
Der Rechtssatz »Im Zweifel zugunsten des Angeklagten« kommt auch zur Anwendung, wenn mehrere Möglichkeiten des tatsächlichen Geschehens vorhanden sind.
Dann ist die dem Angeklagten günstigste, nicht ausschließbare Fallgestaltung
zugrunde zu legen, falls nicht eine wahlweise Tatsachenfeststellung möglich ist.13
13 Ein Beispielsfall (BGH BeckRS 1987, 31104028): Die Strafkammer hat »bezüglich der Frage, wer
auf die Idee zur Ausführung gekommen ist, … keine verläßlichen Feststellungen treffen« können.
Sie ist deshalb »davon ausgegangen, dass die Idee und der Plan zu den Überfällen von den drei
Angeklagten gemeinsam kam«. Damit hat das Gericht gegen den Grundsatz verstoßen, dass im
Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist. Es hätte die Initiative keinem der drei Angeklagten anlasten dürfen.
119
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
358 Dagegen gilt der Rechtssatz nicht, wenn es sich um die Auslegung von Gesetzen wie
überhaupt um Rechtsfragen handelt (BGH 14, 68). Auch beim Alibibeweis ist er nach
der Rechtsprechung nicht anzuwenden (BGH NStZ-RR 2006, 174); denn die nicht
erwiesene (nur mögliche und zweifelhafte) Behauptung der Abwesenheit des Angeklagten vom Tatort kann der Verurteilung nicht entgegenstehen, wenn der Tatrichter
auf Grund der Gesamtheit der erwiesenen Tatsachen von der Schuld des Angeklagten
überzeugt ist (BGH 25, 285; NStZ 2006, 652). Ein Alibi kann daher für sich allein nur
dann zum Freispruch führen, wenn es erwiesen ist (BGH NStZ 1983, 422 mit Anm.
Volk).
359 Bei der Beweiswürdigung muss das Gericht alle ihm bekannten Beweismittel berücksichtigen, soweit sie Gegenstand der Hauptverhandlung waren, insbesondere also
sämtliche Äußerungen des Angeklagten (einschließlich der Art seines Auftretens und
seiner Verteidigung); die Gründe müssen sich mit dem Verteidigungsvorbringen des
Angeklagten auseinandersetzen. Allein aus dem Schweigen des Angeklagten auf die
Anklage darf der Richter keine für ihn nachteiligen Schlüsse ziehen, denn der Angeklagte hat das Recht zu schweigen (§§ 136, 136a, 243 Abs. 4 StPO). Es darf nicht berücksichtigt werden, dass der Angeklagte nicht schon bei seiner polizeilichen, sondern erst bei seiner richterlichen Vernehmung vor oder in der Hauptverhandlung zur
Sache ausgesagt hat (BGH 20, 281; NStZ 1984, 377 mit Anm. Volk). Aus der Weigerung des Angeklagten, bei der Aufklärung eines bestimmten Punktes mitzuwirken,
dürfen aber dann ihm nachteilige Schlüsse gezogen werden, wenn er sich im Übrigen
zum Anklagevorwurf eingelassen hat (BGH 20, 298; eingehend dazu Miebach NStZ
2000, 236). Der Richter ist auch nicht gehindert, frühere Geständnisse oder sonstige
Sachdarstellungen des Angeklagten selbst dann für glaubhaft zu halten, wenn sie in
der Hauptverhandlung widerrufen worden sind. Jedoch ist in diesem Falle eine sorgfältige Prüfung erforderlich, unter welchen Umständen und weshalb er sie widerrufen hat (BGH 21, 285). Wenn der Angeklagte, der keine Angaben zur Sache macht,
sich auf den vermeintlichen Eintritt der Verjährung beruft, liegt darin keine Teileinlassung, die den Schluss gestatten würde, der Angeklagte habe die Tat begangen.
Auch lässt sich nicht auf die Täterschaft des Angeklagten aus dessem Schweigen
schließen, wenn die Tat gegen einen eventuellen anderen Täter verjährt wäre (OLG
Koblenz VRS 59, 434) oder ein Mittäter ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht angefochten hat (BGH NStZ 1986, 325, 326).
359a Auch im Übrigen muss ein Angeklagter nicht zu seiner Überführung beitragen
(»nemo tenetur se ipsum accusare«). Deshalb darf auch die Nichtteilnahme an einem
freiwilligen Speicheltest nicht als belastendes Beweisanzeichen gewertet werden
(BGH 49, 56).
360 Äußerungen des Verteidigers eines Angeklagten, der keine Angaben zur Sache
macht, dürfen nur dann zum Gegenstand der Beweiswürdigung gemacht werden,
wenn der – im Übrigen schweigende – Angeklagte erklärt hat, dass er sie als seine
eigene Einlassung verstanden wissen will (BGH 39, 305; NStZ 2006, 408). Der Einlassung eines Angeklagten, der sich nur durch einen vom Verteidiger verlesenen
Schriftsatz erklärt und Nachfragen nicht zulässt, ist jedoch ein nur erheblich geminderter Beweiswert zuzumessen. Dies deshalb, weil in einem solchen Fall die Einlassung des Angeklagten nur bedingt einer Glaubhaftigkeitsprüfung zugänglich ist, da
mangels Nachfragemöglichkeit nur eingeschränkt nachgeprüft werden kann, ob die
verlesenen Angaben auf einem tatsächlichen Geschehen basieren. Auch kann das Ge120
II. Verurteilung
richt bei einer solchen Einlassung keinen unmittelbaren Eindruck des Aussageverhaltens, insbesondere von Sprachfluss und der begleitenden Körpersprache gewinnen
(BGH StV 2008, 126).
dd) Der Richter hat seine Beweiswürdigung aus dem Inbegriff der Verhandlung zu 361
schöpfen. Das bedeutet, dass er für die Bildung seiner Überzeugung nur das verwerten darf, was Gegenstand der mündlichen Verhandlung war; dies gilt auch für die
Verwertung von gerichtskundigen und offenkundigen Tatsachen.14 Die Benutzung
anderer Beweismittel, z.B. des Inhalts von Akten, die nicht verlesen sind, zum Beweis
für bestimmte, von einem Prozessbeteiligten behauptete Tatsachen, Erklärungen eines Beteiligten vor der Hauptverhandlung oder die Verwertung des Ergebnisses eines
Augenscheins, den das ganze Gericht oder einzelne Mitglieder außerhalb der Hauptverhandlung, insbesondere vor ihrem Beginn, eingenommen haben, ist unzulässig
(zur »privaten« Ortsbesichtigung vgl. OLG Düsseldorf VRS 73, 210). Das Gericht
darf daher auch nicht den Inhalt der Ermittlungsakten des Verfahrens, das Gegenstand der Hauptverhandlung ist, z.B. den sog. Schlussbericht des Polizeibeamten, der
die Ermittlungen geführt hat, verwerten, ohne dass dieser in zulässiger Weise (z.B.
durch geeignete Vorhalte) erörtert oder über ihn in zulässiger Weise Beweis erhoben
worden ist. Beweisergebnisse aus anderen, am gleichen Tage verhandelten gleichliegenden Strafsachen oder erst nach der mündlichen Urteilsverkündung bekannt gewordene Umstände dürfen ebenfalls nicht verwertet werden.
ee) Beweisverbote schränken die freie Beweiswürdigung ein oder heben sie gar auf. 362
Es ist zwischen Beweismittelverboten (z.B. Verbot der Verwertung der Aussage eines
Zeugen, der nicht gem. § 52 Abs. 3 StPO belehrt wurde oder Aussageverweigerung
des Beschuldigten), Beweisthemaverboten (z.B. § 190 StGB oder §§ 51, 63 BZRG)15
und Beweismethodenverboten (z.B. §§ 136a, 69 Abs. 3 StPO) zu unterscheiden.16
Auch die Verwendung eines Beweismittels, das unter Verletzung eines Grundrechts
beschafft worden ist, ist verboten, z.B. die Verwendung eines in einem Pkw mittels
akustischer Überwachung aufgezeichneten Selbstgesprächs (BGH 57, 71) oder die
Verwendung eines heimlich aufgenommenen Tonbands (BGH 14, 358) oder eines
höchstpersönlichen Tagebuchs oder tagebuchartiger Aufzeichnungen gegen den Willen seines Verfassers, es sei denn, das Interesse der Strafverfolgung überwiegt
14 Gerichtskundigkeit erfordert, dass die betreffende Tatsache den zur Entscheidung berufenen
Richtern amtlich bekannt ist. Bei Kollegialgerichten erfordert die Gerichtskundigkeit nicht die
Kenntnis aller Richter (vgl. Meyer-Goßner § 244 StPO Rn. 53 m.w.N.). Die Gerichtskundigkeit
einer Tatsache macht eine Beweiserhebung entbehrlich; die gerichtskundigen Tatsachen müssen
aber zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden. Offenkundige Tatsachen sind solche,
die weiten Kreisen bekannt sind, so dass kein vernünftiger Grund besteht, sie zu bezweifeln. Sie
bedürfen, ebenso wie gerichtskundige Tatsachen, nicht des Beweises, müssen aber ebenfalls wie
die gerichtskundigen Tatsachen in der Hauptverhandlung erörtert worden sein (BVerfG 10, 177),
es sei denn, die Offenkundigkeit steht unerschütterlich fest (BGH 6, 292). Durch die Offenkundigkeit wird der Gegenbeweis nicht ausgeschlossen.
15 Getilgte oder tilgungsreife Vorverurteilungen dürfen nicht als Indiz gegen den Angeklagten verwertet werden (BGH NJW 1990, 2264); dies gilt auch bei der Anordnung von Maßregeln der
Besserung und Sicherung (BGH NStZ-RR 2002, 332); im Erziehungsregister eingetragene Belastungen dürfen gegen einen Angeklagten, der bereits das 24. Lebensjahr vollendet hat, nur dann
verwertet werden, wenn daneben auch Eintragungen im Zentralregister vorhanden sind (§ 63
Abs. 2 BZRG; BGH StV 2004, 652).
16 Vgl. Schäfer S. 365 ff.; eine übersichtliche Zusammenstellung findet sich bei Baumann/Brenner,
Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 1991.
121
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
(BVerfG 80, 367; BGH NStZ 1987, 569 mit Anm. Plagemann). Auch wenn das Gericht eventuelle Beweisverbote natürlich beachten muss, sind Verfahrensvorgänge
grundsätzlich nicht im Urteil zu erörtern. Insbesondere sind Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln von Rechts wegen nicht geboten. Zur Vermeidung der
Überfrachtung der schriftlichen Urteilsgründe sind sie sogar tunlichst zu unterlassen
(BGH NJW 2012, 694).
363 Ein Verstoß gegen § 243 Abs. 5 S. 1 StPO begründet ein Verwertungsverbot, wenn
sich der Angeklagte in Unkenntnis seiner Aussagefreiheit belastet hatte (BGH 25,
331); dasselbe gilt bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1
S. 2 StPO (BGH 38, 214); allerdings verlangt die Rechtsprechung, dass der Angeklagte der Verwertung bis zu dem in § 257 StPO bezeichneten Zeitpunkt widersprochen
hat (BGH a.a.O.; 42, 15; sog. Widerspruchslösung vgl. Meyer-Goßner/Appl StraFo
1998, 258). Tatsachen und Beweisergebnisse dürfen zuungunsten des Angeklagten
nicht verwertet werden, wenn ihm insoweit das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist (BVerfG 13, 145; 17, 356).
364 Ein mittels Überwachung des Fernsprechverkehrs aufgenommenes Tonband darf
nicht als Beweismittel benutzt werden, wenn die dem Angeklagten vorgeworfene
Straftat nicht zu den sog. Katalogtaten des § 100 a StPO gehört (BGH 26, 298; 31,
109; 32, 70), es darf dann auch nicht vorgehalten werden (BGH 27, 355; zur besonderen Situation bei § 129 StGB vgl. BGH 28, 122). Anders ist es, wenn das Tonband
verwertet werden durfte und nun in einem keine Katalogtat betreffenden Strafverfahren vorgehalten wird (BGH 30, 317). Erkenntnisse sind ferner gegen Dritte verwertbar, wenn ein Zusammenhang mit dem Verdacht einer Katalogtat gegeben ist; das ist
auch dann der Fall, wenn die Straftat, die nicht Anlass zur Überwachungsanordnung
war, ihrerseits im Katalog des § 100a StPO aufgeführt ist (BGH 32, 10).
365 Gesetzliche Beweisvermutungen schränken die freie Beweiswürdigung nicht ein und
legen dem Angeklagten auch keine Beweislast auf. Sie stellen vielmehr nur Beweisregeln auf, sollen also in gewissem Umfang die Beweiswürdigung erleichtern (z.B. § 69
Abs. 2 StGB, § 5 WStG). Solche gesetzlichen Beweisvermutungen sind verfassungsrechtlich zulässig (BVerfG NJW 1959, 619).
366 Von den genannten Einschränkungen abgesehen und unter den erwähnten Voraussetzungen ist der Richter bei der Beweiswürdigung frei und ungebunden, allein seinem
Gewissen unterworfen. Er kann den leugnenden Angeklagten – trotz seiner Unbestraftheit – für unglaubwürdig halten, er kann einem unbeeidigten Zeugnis glauben,
einem beeidigten nicht, er kann ein Geständnis für wahr ansehen, ein anderes nicht,
er kann ein sachverständiges Gutachten ablehnen und an dessen Stelle seine Ansicht
maßgebend sein lassen, aber alles das unter dem selbstverständlichen, stillschweigenden Vorbehalt, dass es aus zureichenden Gründen geschieht; diese sind anzugeben.
Der Richter muss sich also mit den Beweismitteln – in der gebotenen Kürze – auseinandersetzen, eine Begründung dafür geben, warum er den Angeklagten für unglaubwürdig hält, warum er dessen Abwesenheitsbeweis als gescheitert ansieht, warum er dessen erstes, später widerrufenes Geständnis für wahr hält, warum er dem
Zeugen X. – trotz der Beeidigung seiner Aussage – nicht oder nur teilweise glaubt,
warum ihn der Sachverständige nicht überzeugt hat, oder warum die Angriffe des
Angeklagten gegen das Gutachten versagt haben. Er muss sich auch mit erheblichen
Tatsachen und mehreren nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen,
die gegen eine getroffene Festsetzung tatsächlicher Art sprechen können.
122
II. Verurteilung
Zur Bildung seiner Überzeugung vom Ergebnis der Beweisaufnahme darf der Richter
nicht Urteile eines Revisionsgerichts, die in derselben Sache ergangen sind, mit verwenden; sie können niemals Ersatz für die notwendigen Feststellungen des Tatrichters sein, allenfalls Anhalt für die Allgemeinkundigkeit einer bestimmten Tatsache
(BGH 7, 6). Das Gericht darf auch nur solche Tatsachen verwerten, die es als erwiesen ansieht, also z.B. eine vom Angeklagten behauptete Tatsache, von deren Richtigkeit es nicht überzeugt ist, nicht berücksichtigen. Will das Gericht eine Behauptung
des leugnenden Angeklagten dem Schuldbeweis zugrunde legen oder gar darauf die
Verurteilung stützen (OLG Köln NJW 1982, 347), so muss es diese Behauptung ausdrücklich als glaubwürdig bezeichnen.
Die für die Überzeugungsbildung des Gerichts verwerteten Beweisanzeichen müssen 367
lückenlos zusammengefügt und unter allen für ihre Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkten vom Tatrichter gewürdigt werden, damit ersichtlich ist, ob der Schuldbeweis schlüssig erbracht ist und alle gleich nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten
für und gegen den Angeklagten geprüft sind (BGH 14, 162).
Bei der Beweiswürdigung sind unnötig allgemein gehaltene Formulierungen, die 368
den Anschein erwecken können, als sei das Gericht irrig von einem allgemeinen und
ausnahmslos gültigen Erfahrungssatz ausgegangen, der in Wahrheit nicht besteht, zu
vermeiden. Fehlerhaft wäre z.B. die folgende Begründung für den Tötungsvorsatz:
»Wer seine Hände so fest um den Hals einer Frau klammert, dass die Schlagader geschlossen wird, will dadurch den Tod dieser Frau herbeiführen.« Hätte das Gericht
nur gesagt, es schließe aus dem festen Umklammern des Halses auf den Tötungsvorsatz, so wäre diese mögliche Folgerung rechtlich nicht angreifbar gewesen. Zu beanstanden sind auch Sätze wie »Wilddiebe und Bettler sagen bekanntlich nie die Wahrheit«, »alle Türken lügen vor Gericht« (vgl. OLG Karlsruhe VRS 56, 359), »alle
Kinder erkennen Menschen besser wieder als Erwachsene«; denn es sind keine ausnahmslos gültigen Erfahrungssätze (vgl. auch BGH MDR 1982, 948).17
ff) Das Revisionsgericht kann die Beweiswürdigung nur in engen Grenzen nachprü- 369
fen. So wird es von ihm beanstandet werden, wenn der Tatrichter gegen zwingende
Regeln der Beweiswürdigung, wie sie oben angeführt sind, verstoßen hat, z.B. seine
Überzeugung auch auf andere Grundlagen als auf den »Inbegriff der Verhandlung«
gestützt, also Tatsachen verwertet hat, die nicht Gegenstand der Verhandlung waren.
Der Tatrichter ist aber andererseits nicht verpflichtet, alle in der Hauptverhandlung
benutzten Beweismittel in den Urteilsgründen aufzuführen und sich über ihren Beweiswert zu äußern; er muss sich jedoch mit mehreren nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen und darf eine für den Angeklagten günstige, nahe liegende Möglichkeit nicht außer acht lassen (BGH StV 1984, 188 mit Anm. Wagner).
Er darf sich nicht über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegsetzen; hierzu gehört jedoch nicht die Parapsychologie (BGH NJW 1978, 1207). Das Revisionsgericht prüft auch, ob bei der Beweiswürdigung gegen zwingende Erfahrungssätze,
Denkgesetze, Sprach- und Auslegungsregeln verstoßen worden ist, ob der Grundsatz
»Im Zweifel für den Angeklagten« beachtet wurde und ob die Ausführungen frei von
Widersprüchen sind (BGH StV 2013, 7; 8); es genügt aber, wenn die Folgerungen des
17 Falsch ist es, bei sich widersprechenden Angaben des Angeklagten und eines Zeugen allein deshalb letzterem zu glauben, weil er – anders als der Angeklagte – der Wahrheitspflicht unterliegt
(OLG Bremen VRS 79, 27).
123
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Tatrichters denkgesetzlich möglich sind und der Lebenserfahrung nicht widersprechen, zwingend brauchen sie nicht zu sein (BGH NStZ-RR [C/Z] 2011, 227). Die
richtige Anwendung dieser Grundsätze setzt jedoch voraus, dass die möglichen Fallgestaltungen klar und deutlich voneinander geschieden sind und dargelegt ist, weshalb jede von ihnen als Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann (BGH 19, 33).
Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz liegt vor, wenn sich aus einzelnen Teilen des
verurteilenden Erkenntnisses oder aus ihrem Zusammenhang ergibt, dass der Tatrichter Zweifel an der Schuld des Angeklagten gehabt hat (BGH 18, 275), oder wenn das
Gericht erkennbar auf Verdacht hin verurteilt hat. Dieser Grundsatz ist aber nicht
verletzt – was häufig in Revisionsbegründungen übersehen wird –, wenn der Richter
seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zweifelsfrei begründet hat, mögen auch aus der Sicht des Verteidigers oder eines Dritten noch so viele Zweifel an
der Schuld bestehen, mag diesen die Beweiswürdigung des Gerichts noch so lebensfremd, wenig überzeugend oder abwegig erscheinen. Das Revisionsgericht ist nicht
befugt, seine eigene Überzeugung an die Stelle der Überzeugung des Tatrichters zu
setzen. Das Revisionsgericht prüft auch nicht, ob die Feststellungen im Urteil mit
dem übereinstimmen, was die Sitzungsniederschrift über den Inhalt der Aussagen
angibt (BGH NJW 1966, 63); bei Widersprüchen sind die Urteilsgründe maßgeblich.
Anders ist es bei wörtlicher Protokollierung nach § 273 Abs. 3 StPO (BGH 38, 14 =
JZ 1992, 106 mit Anm. Fezer) oder wenn die Urteilsfeststellungen auf einer verlesenen Urkunde beruhen (BGH 29, 18, 21; bei Miebach NStZ 1988, 212).
370 In Urteilen finden sich manchmal sog. Kreisschlüsse: Das Gericht stützt die Ablehnung des Beweisantrags auf Einnahme eines Augenscheins auf das Zeugnis, das der
Augenschein gerade entkräften sollte. Das ist unzulässig (BGH 8, 177). Ein Zirkelschluss ist es auch, wenn aus einer Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit geschlossen wird, etwa derart, dass die Angabe des Zeugen, der Angeklagte und nicht ein anderer sei der Täter gewesen, damit begründet wird, der Zeuge selbst habe dies
ausgeschlossen (BGH StV 2005, 487; NStZ 2005, 505).
371 Der Angeklagte darf durch die Beweiswürdigung nicht überrascht werden, wenn das
Gericht einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. So kann es dem Grundsatz des
fairen Verfahrens widersprechen, wenn gem. §§ 154, 154a StPO ausgeschiedener
Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung hinsichtlich des verbliebenen Verfahrensgegenstandes zu seinem Nachteil verwertet wird, ohne dass er zuvor auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen worden ist (BGH 31, 302; NJW 1985, 1479; StV
1988, 191). U.U. liegt sogar ein Erörterungsmangel vor, wenn der Grund für die teilweise Einstellung im Urteil nicht mitgeteilt wird und – wenn nicht ausschließlich
prozessökonomische Erwägungen ausschlaggebend waren – eine etwaige Beweisbedeutung nicht wenigstens angesprochen wird (BGH StV 2009, 116). Wurde ein Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, die unter Beweis gestellte Tatsache sei bedeutungslos, darf die Tatsache bei der Beweiswürdigung nur dann zum Nachteil des
Angeklagten verwertet werden, wenn er zuvor auf einen derartigen Wechsel in der
Bewertung hingewiesen worden ist (BGH NStZ 1985, 38).
c) Einzelheiten
372 aa) Wird im Rahmen der Beweiswürdigung die Einlassung des Angeklagten verwertet, so ist zu beachten, dass dem Angeklagten keine Beweislast obliegt, ihm seine
Schuld vielmehr bewiesen werden muss. Es muss also dargelegt werden, dass und
124
II. Verurteilung
warum die Einlassung des Angeklagten als widerlegt anzusehen ist. Das Gericht ist
aber – auch nicht im Hinblick auf den Zweifelssatz – nicht verpflichtet, entlastende
Angaben, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es hat die
unbewiesenen Behauptungen des Angeklagten vielmehr auf ihren Wahrheitsgehalt zu
überprüfen und mit den übrigen Beweisergebnissen zu vergleichen. Es kann dann die
Behauptungen des Angeklagten auch als unglaubwürdig bezeichnen und sich gegen
sie entscheiden (BGH 34, 29, 34). Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert also
nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt (BGH 51, 324, 325).
Der Angeklagte hat nichts zu beweisen. Es ist daher ungenau, wenn es in den Grün- 373
den etwa heißt: »Es ist dem Angeklagten nicht gelungen, seine Abwesenheit vom
Tatort nachzuweisen«, oder »Der Angeklagte hat den Beweis dafür, dass er sinnlos
betrunken gewesen sei, nicht erbracht«, oder »Der Angeklagte hat für seine Einwendungen keine Zeugen benennen können«, oder »Der Angeklagte hat die ihn begünstigenden Behauptungen mit den von ihm selbst benannten Zeugen nicht beweisen
können«. Der Angeklagte hat nicht darzutun, dass der gesetzliche Tatbestand in irgendeiner Richtung nicht vorliegt, noch dass ihm Schuld- oder Strafausschließungsgründe zur Seite stehen. Das gilt auch zum Wahrheitsbeweis der üblen Nachrede;
dem Angeklagten wird in § 186 StGB keine Beweisführungspflicht aufgebürdet, ihn
belastet nur das Misslingen des Beweises. Eine Beweislast entsteht für den Angeklagten auch nicht dadurch, dass die Lebenserfahrung gegen ihn spricht. An diesen
Grundsätzen wird nichts dadurch geändert, dass der Angeklagte einen Beweis antritt.
Will das Gericht einen Angeklagten auf Grund dessen eigener Einlassung verurtei- 374
len, so muss es von der Richtigkeit dieser Einlassung überzeugt sein (BGH NStZ
1987, 474; Rn. 353). Eine unwiderlegte Einlassung des Angeklagten ist keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung; wird damit ein Tatbestandsmerkmal zu Lasten des Angeklagten unterstellt, so verstößt dies gegen den Zweifelsgrundsatz (BGH
bei Holtz MDR 1979, 637). Auch für widerlegt erachtete Behauptungen eines Angeklagten können nicht Grundlage oder Beweisanzeichen für eine Verurteilung sein
(BGH NStZ 1986, 325).
bb) Der Beweiswert einer Zeugenaussage über ein Erlebnis hängt zunächst davon 375
ab, ob der Erzählende die Wahrheit sagen will oder nicht. Aber selbst wenn er gutwillig ist und die reine Wahrheit zu sprechen glaubt, so ist der Wert seiner Darstellung auch dadurch bedingt, dass er den Vorgang richtig wahrgenommen hat und dass
er imstande ist oder – gegenüber Zeugen vom Hörensagen (dazu BGH NStZ 1988,
144) – gewesen ist, dem Zuhörer seine Vorstellung so deutlich mitzuteilen, dass dieser
die Vorstellung ebenso hat wie er selbst. Besonders Aussagen jugendlicher Zeugen,
die geschlechtliche Erlebnisse schildern, werden Ausführungen darüber erfordern, ob
Anhaltspunkte vorhanden sind, die darauf hindeuten, dass das Kind die Neigung hat,
Vorstellungen, die seiner Phantasie entsprungen sind, als eigene Wahrnehmungen zu
empfinden oder wiederzugeben; deuten Umstände darauf hin, so wird das Gericht
einen psychologischen Sachverständigen hören müssen; dies wird sich in aller Regel
auch dann empfehlen, wenn eine Strafanzeige aus Hass oder Rachsucht erfolgt ist
und die Tat lange zurückliegen soll.
Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung setzt stets voraus, dass sich die Urteilsgründe
mit widersprüchlichen, ungenauen oder aus sonstigen Gründen nicht ohne weiteres
125
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
glaubhaften Zeugenaussagen in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise
auseinandersetzen.
376 Ob die Aussage eines Zeugen glaubhaft ist, hat grundsätzlich der Tatrichter zu entscheiden. Die Beweiswürdigung, namentlich die Bewertung von Zeugenaussagen, ist
vom Gesetz dem Richter zugewiesen (§ 261 StPO). Sich dabei ergebende aussagepsychologische Fragen stellen keine abgelegene, sondern eine für Richter zentrale
Materie dar. Das gilt auch für die Würdigung der Aussage eines kindlichen oder jugendlichen Zeugen, der – nach Anklage – Opfer eines an ihm begangenen Sexualdelikts geworden ist, durch eine erfahrene Jugendschutzkammer (BGH NStZ-RR 2005,
146). Setzt die Beurteilung jedoch besondere Sachkenntnis voraus, so muss sich der
Richter eines Sachverständigen bedienen und darf sich nicht auf seine möglicherweise
nicht ausreichende eigene Sachkunde verlassen; so etwa bei einer hirnorganischen
Schädigung des Zeugen. Ob er einen Psychologen oder einen Psychiater zur Rate
zieht, ist grundsätzlich dem Tatrichter überlassen. Die besondere Sachkunde eines
Psychiaters wird aber dann benötigt, wenn ein Zeuge an einer geistigen Erkrankung
leidet, die sich auf seine Aussagetüchtigkeit auswirken kann (BGH NStZ 2002, 490).
Nimmt der Tatrichter aber eine eigene Sachkunde für sich in Anspruch, die regelmäßig nur durch besondere Ausbildung erworben werden kann, so muss er diese durch
nähere Ausführungen nachweisen (BGH NStZ-RR 1997, 171).
Die Pflicht zur Wahrheitserforschung erfordert es im Regelfall, einen Sachverständigen, der sich über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen äußern soll, auch zu der sonstigen Beweisaufnahme hinzuzuziehen, zumal wenn der Sachverständige seine Anwesenheit für erforderlich hält, um möglicherweise weitere tatsächliche Anhaltspunkte
für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Zu den Anforderungen an
aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) vgl. BGH 45,
164. Über die Pflicht zur Aufklärung durch Hinzuziehung eines Sexualforschers als
weiteren Sachverständigen vgl. BGH 23, 176.
377 In der Regel betreffen Zeugenaussagen Vorgänge in der Außenwelt, die der Zeuge
sinnlich wahrgenommen hat. Jedoch können auch innere Vorgänge, Eindrücke, Gedanken, Überlegungen, Beweggründe, Affekte und andere geistig-seelische Vorgänge
und Zustände des Innenlebens Gegenstand einer Zeugenaussage sein. Auch Bekundungen dieser Art sind vom Richter frei zu würdigen und dürfen von ihm bei der
Bildung seiner Überzeugung verwertet werden (BGH 23, 311).
378 Aus der Tatsache einer befugten Zeugnisverweigerung darf das Gericht keine
nachteiligen Schlüsse für den Angeklagten ziehen (BGH 22, 113); das gilt auch für
den Fall, dass ein Angehöriger nach anfänglicher Zeugnisverweigerung später doch
aussagt und nunmehr zu prüfen ist, ob seine den Angeklagten entlastenden Aussagen
glaubhaft sind (BGH NStZ 2010, 101; vgl. auch BGH 34, 324).
378a Billigt der Tatrichter einem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55
StPO zu und stützt er sich auf solche Aussagen, die dieser in seinen polizeilichen
Vernehmungen oder in einer gegen ihn zuvor durchgeführten Hauptverhandlung
getätigt hat, ist der Beweiswert eingeschränkt, weil eine kritische Hinterfragung von
allen Seiten nicht möglich ist. Insbesondere der Angeklagte kann sein durch Art. 6
Abs. 3 lit. d MRK garantiertes Recht, Fragen an einen Belastungszeugen zu stellen,
nicht ausüben (BGH NStZ-RR 2012, 52).
126
II. Verurteilung
Besondere Sorgfalt muss der Tatrichter walten lassen, wenn es um das »Wiederholte 378b
Wiedererkennen« durch einen Zeugen geht. So muss die Beweiswürdigung mitteilen,
in welcher Weise polizeiliche Lichtbildvorlagen durchgeführt worden sind und anhand welcher Merkmale ein Zeuge den Angeklagten wiedererkannt haben will. Darüber hinaus muss sich das Gericht des nur beschränkten Beweiswertes eines »wiederholten Wiedererkennens« in der Hauptverhandlung bewusst sein. Wegen der
möglichen suggestiven Wirkung der »ersten Wiedererkennung« ist nämlich ohne nähere Begründung nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht wirklich den Angeklagten mit hundertprozentiger Sicherheit als
Täter wiedererkennt, sondern nur dessen Foto, dass ihm bei der Lichtbildvorlage
gezeigt worden ist (BGH NStZ-RR 2012, 381; zur Wahllichtbildvorlage vgl. auch
BGH NStZ 2012, 283).
Eine gesteigerte Darlegungs- und Begründungspflicht besteht auch dann, wenn 378c
»Aussage gegen Aussage« steht und der Tatrichter unter Gesamtabwägung aller relevanten Umstände die Glaubhaftigkeit der einzelnen Aussagen würdigen muss
(BGH StV 2013, 7; 8). Dazu sind zum einen die gängigen Realkennzeichen (logische
Konsistenz, Detailreichtum, Schilderung von Gefühlen und ausgefallenen Einzelheiten) abzuhandeln, zum anderen sind vor allem Entstehungsgeschichte, Aussagekonstanz und Aussagemotivation zu würdigen. Besonders bei Mitangeklagten oder Zeugen, die in den Genuss einer Strafmilderung nach § 31 BtMG kommen wollen, muss
der Tatrichter erwägen, ob der Aufklärungsgehilfe den Nichtgeständigen um seines
eigenen Vorteils willen zu Unrecht belastet (BGH NStZ-RR 2009, 212). Gleiches gilt
bei der Verurteilung eines Angeklagten aufgrund des Geständnisses eines Mitangeklagten, das Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache ist. Hier sind insbesondere Zustandekommen und Inhalt der Absprache darzulegen und zu würdigen
(BGH NStZ 2012, 465).
Bei entsprechend sorgfältiger und umfassender Würdigung aller Erkenntnisse ist es 378d
nicht ausgeschlossen, einem Zeugen teilweise zu glauben und teilweise nicht. Hat
der Zeuge aber in einem zentralen Punkt erkennbar gelogen, müssen gewichtige Gesichtspunkte dafür sprechen, ihm im Übrigen zu glauben.
cc) Glaubt das Gericht in diesen und anderen Fällen, die die Zuziehung eines Sach- 379
verständigen nahe legen, ohne dessen Hilfe auskommen zu können, so muss das Urteil darlegen, warum sich das Gericht die eigene Sachkunde hat zutrauen dürfen, falls
die Urteilsausführungen nicht von sich aus schon die besondere Sachkunde erkennen
lassen. Wo das Gericht nach der Lebenserfahrung die Sachkunde im Allgemeinen
nicht haben kann, so etwa bei der Beurteilung der Auswirkungen einer hirnorganischen Schädigung auf das Einsichts- und Hemmungsvermögen oder bei ungewöhnlicher Tatausführung oder Anzeichen für eine Triebanomalie (BGH NStZ 1989, 190),
erfordert die Pflicht zur Wahrheitsermittlung, einen Sachverständigen zu befragen.
Das gilt auch für die Berechnung der Blutalkoholkonzentration des Angeklagten in
schwierigen Fällen (langer Zeitraum, Nachtrunk), während der erfahrene Richter für
die Rückrechnung im Normalfall über die eigene Sachkunde verfügen kann (dazu
näher unter dd)). Die bloße Drogenabhängigkeit ohne weitere Auffälligkeiten oder
sonstige besondere Umstände (z.B. Selbstmordversuche, stationäre Aufenthalte in
psychiatrischen oder neurologischen Krankenhäusern) ist noch kein Anlass, einen
Sachverständigen heranzuziehen. Will das Gericht jedoch das Vorliegen einer drogenbedingten krankhaften seelischen Störung oder schweren seelischen Abartigkeit
127
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
im Einzelfall positiv feststellen, so reicht die erforderliche Beurteilung regelmäßig
über die richterliche Fachkunde und allgemeine Lebenserfahrung hinaus und macht
die Hinzuziehung eines in Drogensachen erfahrenen ärztlichen Sachverständigen
notwendig.
380 An den Inhalt des Gutachtens ist der Richter allerdings nicht gebunden, denn dieses
ist nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung; er kann dadurch sogar in
einer Weise sachkundig gemacht werden, die es ihm erlaubt, von dessen Schlussfolgerungen abzuweichen (BGH NStZ 2000, 437). Doch wird sich das Urteil damit eingehend auseinandersetzen müssen, wenn es zu einem anderen Ergebnis als der Sachverständige gelangt; der Richter darf sich also nicht ohne Begründung oder mit
Erwägungen laienhafter Art über die Meinung eines Sachverständigen hinwegsetzen,
sondern muss seine eigene gegenteilige Ansicht genau begründen und dabei erkennen
lassen, dass er mit Recht eigene Sachkunde in Anspruch genommen hat (vgl. BGH
NStZ 2013, 180). Dazu muss er die Darlegungen des Sachverständigen im Einzelnen
wiedergeben, insbesondere welche Verfahren der Sachverständige herangezogen hat,
welchen Aussagewert sie haben und welche Vorgehensweise bei ihnen zu beachten ist
(BGH NStZ 2005, 628). Der Stellung des Sachverständigen und des Richters entspricht es nicht, wenn das Gericht umgekehrt sich ohne nähere Begründung einfach
dem Gutachten des Sachverständigen anschließt; auch in diesem Fall sind also nähere
Ausführungen insbesondere darüber erforderlich, dass die Ausführungen des Sachverständigen von richtigen rechtlichen Vorstellungen ausgehen. Geschieht dies mit
eigenen Worten und erfolgt dessen Würdigung gegebenenfalls unter Hinweis auf eigene Prozessbeobachtungen und Überlegungen, ist dies ein Beleg dafür, dass der
Richter hinter dem Gutachten steht, weil er es verstanden hat (Föhrig S. 105).
381 Schließt sich der Richter dem Ergebnis der Beurteilung eines Sachverständigen ohne
Angabe eigener tatsächlicher Erwägungen an, ist er grundsätzlich verpflichtet, wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und
zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Fehlerfreiheit notwendig ist
(BGH NStZ 2012, 650), soweit es sich nicht um allgemein anerkannte, häufig angewandte Untersuchungsweisen (z.B. solche zur Bestimmung von Blutgruppen oder
des Blutalkohols18) oder um ein weithin standardisiertes Verfahren (z.B. Daktyloskopie, vgl. BGH NStZ 1993, 95; anders anthropologische Gutachten, OLG Bamberg
StV 2011, 717 m.w.N.) handelt. Gegen diesen Grundsatz wird immer wieder verstoßen, indem die Gründe z.B. nur ausführen, nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten habe die Anfangsgeschwindigkeit 81 km/h betragen (OLG Koblenz
VRS 55, 46) oder die Blutalkoholkonzentration bei ca. 1,5‰ gelegen (OLG Hamburg
MDR 1979, 693). Es genügt also auch nicht zu sagen, das Gericht schließe sich dem
Gutachten des Sachverständigen an, der die Voraussetzungen des § 20 StGB bejahe
oder verneine. Das Gericht muss vielmehr nach Wiedergabe der Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Gutachtens selbst entscheiden, ob der Angeklagte
zur Zeit der Tat schuldunfähig war, § 20 also anzuwenden ist. Auch die Annahme
einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB ist näher zu begrün18 Die vier oder fünf Einzelanalysenwerte einer Blutalkoholbestimmung brauchen nicht angegeben
zu werden. Es genügt die Angabe des Analysenmittelwertes (BGH 28, 235). Ein Beweisantrag auf
Feststellung der Ergebnisse der Einzelanalysen darf aber nicht als unerheblich oder unzulässig
abgelehnt werden (OLG Düsseldorf NJW 1978, 1207).
128
II. Verurteilung
den. So genügt es nicht, wenn lediglich ausgeführt wird: »Bei sämtlichen Straftaten
kann zugunsten des Angeklagten infolge des zuvor genossenen Alkohols seine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht sicher und verlässlich bejaht werden und ist demgemäß von erheblicher Verminderung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB auszugehen« (BGH VRS 61, 261).
Muss sich das Gericht mit mehreren voneinander abweichenden Sachverständigen- 381a
gutachten auseinandersetzen, ist es gehalten, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen im Urteil so darzulegen, dass
das Revisionsgericht die gedankliche Schlüssigkeit der Schlussfolgerungen nachvollziehen kann (BGH NStZ 2006, 256).
Revidiert ein Sachverständiger in der Hauptverhandlung seine im schriftlichen Gut- 381b
achten abgegebene Beurteilung, muss sich das Gericht mit diesen Widersprüchen
auseinandersetzen und nachvollziehbar darlegen, warum es das eine Ergebnis für zutreffend, das andere – im vorbereitenden Gutachten – für unzutreffend erachtet. Die
Widersprüche müssen eine Erklärung und Lösung finden, die Zweifel an der Richtigkeit des angenommenen Ergebnisses beseitigen (BGH NStZ 2005, 161).
dd) Bei Einholung eines DNA-Gutachtens bedarf die verwendete Untersuchungs- 381c
methode als solche wegen ihrer inzwischen anerkannten Standardisierung keiner näheren Darlegung in den Urteilsgründen mehr (BGH NStZ 2013, 177); jedoch müssen
die Urteilsgründe – um das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden
Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel zu machen – mitteilen, wie viele Systeme
untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die
Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination zu erwarten ist. Sollte der Angeklagte einer fremden
Ethnie angehören, ist zudem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war. Darüber hinaus ist stets darzulegen, inwieweit
zwischen einer DNA-Spur und der Tat ein Zusammenhang besteht.
Zwar macht die durch eine DNA-Analyse ermittelte hohe Wahrscheinlichkeit einer
Spurenverursachung durch den Angeklagten eine Würdigung aller Beweisumstände
gerade mit Blick auf die nur statistische Aussagekraft nicht überflüssig; jedoch hängt
das Maß der gebotenen Darlegung in den Urteilsgründen von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei Auslegung dieses Maßstabes kann sich der Tatrichter auch allein aufgrund einer Merkmalbestimmung, die
mit einer biostatistischen Wahrscheinlichkeit auf den Angeklagten hinweist, von dessen Täterschaft überzeugen (BGH NJW 2013, 2612).
ee) Besondere Sorgfalt muss auf die Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit ver- 382
wendet werden. Nimmt das Gericht auf einem Vollrausch beruhende Schuldunfähigkeit an, so ist § 323a StGB zu prüfen. Gegebenenfalls ist auch zu erörtern, ob ein Fall
der actio libera in causa vorliegt. An dieser umstrittenen Rechtsfigur, nach der der
Täter auch dann für eine in schuldunfähigem Zustand begangene Handlung verantwortlich bleibt, wenn er dafür im schuldfähigen Zustand eine Ursache gesetzt hat,
hält die Rechtsprechung bisher grundsätzlich fest; lediglich für solche Tatbestände,
die die Vornahme einer bestimmten, unmittelbar auszuführenden Tathandlung (z.B.
das Führen eines Kraftfahrzeugs) voraussetzen, hat sie BGH 42, 235 verneint.
129
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
383 Besondere Schwierigkeiten bereitet die Prüfung der erheblich verminderten Schuldfähigkeit. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an die Meinung eines Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat (BGH NStZ 2013, 53). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem
Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die unter eines der Eingangsmerkmale
des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung
und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten zu untersuchen; es ist festzustellen, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang sie sich auf
dessen Tatverhalten ausgewirkt haben (BGH NStZ 2013, 53). Die unrichtige Anwendung oder Nichtanwendung des § 21 StGB ist einer der häufigsten Gründe, aus dem
Urteile auf Revision beim Bundesgerichtshof aufgehoben werden! Hierbei gibt es
eine Vielzahl von Problemen:
384 So wird zu § 21 StGB oftmals formuliert: »Die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, war erheblich
vermindert.« Das ist falsch; denn einmal darf nicht offen bleiben, welche Alternative
des § 21 StGB vorgelegen hat, zum andern ist die gleichzeitige Annahme beider Alternativen ausgeschlossen. Die erste Alternative des § 21 scheidet aus, wenn der Täter
trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall das Unerlaubte
seines Tuns erkennt (BGH 21, 28; NStZ-RR 2012, 366). Denn die Schuld des Täters
wird nicht gemindert, wenn er trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit das
Unrecht tatsächlich eingesehen hat. § 21 regelt ebenso wie § 20 StGB, soweit er auf
die Einsichtsfähigkeit abstellt, einen Fall des Verbotsirrtums. Fehlt dem Täter die
Einsicht wegen einer krankhaften seelischen Störung oder aus einem anderen in § 20
StGB bezeichneten Grund, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann,
so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21, sondern § 20 StGB anwendbar. § 21 StGB kann in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann
angewendet werden, wenn die Einsicht gefehlt hat, dies aber dem Täter vorzuwerfen
ist (BGH NStZ 1985, 309; NStZ-RR 2008, 140). Dass die erhebliche Verminderung
der Einsichtsfähigkeit dazu führt, dass der Täter das Unerlaubte seines Tuns nicht
mehr erkennt, kommt praktisch selten vor; in der Regel wird nur die zweite Alternative des § 21 StGB zur Anwendung gelangen (vgl. Salger, FS Pfeiffer, 1988, S. 379).
385 Häufig wird allein aus dem planmäßigen, zielstrebigen und folgerichtigen Verhalten
des Täters sowie aus seiner ungetrübten Erinnerung an das Tatgeschehen auf seine
uneingeschränkte Schuldfähigkeit geschlossen. Das ist – wie der Bundesgerichtshof
immer wieder betont – unrichtig, da dies nur etwas über die Einsichts-, aber nichts
über die Steuerungsfähigkeit besagen kann. Gerade alkoholgewohnte Täter verhalten sich häufig auch im Rausch noch äußerlich kontrolliert, folgerichtig und planvoll,
obwohl ihr Hemmungsvermögen möglicherweise schon fortgefallen oder erheblich
beeinträchtigt ist (BGH NStZ-RR 1996, 289).
Eine schwere seelische Abartigkeit führt regelmäßig auch zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit; will der Richter dies gleichwohl verneinen, muss er das
näher begründen (BGH NStZ 1996, 380; zum Merkmal der seelischen Abartigkeit
BGH NStZ-RR 2007, 105). Hat der Sachverständige aber eine schwere seelische
Abartigkeit weder bejaht noch ausgeschlossen, darf das Gericht nicht einfach »zu
Gunsten des Angeklagten« von einer erheblichen Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens ausgehen (BGH NStZ 1997, 485); zu Mindeststandards der Schuldfähigkeitsbegutachtung Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57.
130
II. Verurteilung
ff) Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn das Gericht zur Prüfung der 386
Schuldfähigkeit die Blutalkoholkonzentration (BAK) eines Täters zur Tatzeit berechnen muss. Bei einer Blutalkoholkonzentration von 2‰ oder darüber muss in den
Gründen dazu Stellung genommen werden, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB
beim Angeklagten gegeben waren (BGH 43, 66; StraFo 2012, 109). Bei einem Blutalkoholgehalt ab 3‰ ist stets zu prüfen, ob der Täter schuldunfähig war; es gibt jedoch
keinen Erfahrungssatz, dass jeder Mensch bei einer solchen Blutalkoholkonzentration schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig ist (dazu im Einzelnen BGH
NStZ 2012, 560; NStZ-RR 2013, 272). Es gibt auch keinen gesicherten medizinischstatistischen Erfahrungssatz darüber, dass ohne Rücksicht auf psycho-diagnostische
Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur
Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit auszugehen ist (BGH 43, 66). Je länger die Rückrechnungszeit
ist, umso weniger Bedeutung kommt der Höhe der errechneten BAK zu (BGH 35,
308; 36, 286, 289). Zu beachten ist, dass die Hemmschwelle eines Betrunkenen um so
höher ist, je größer der Wert des gefährdeten Rechtsguts ist und je schwerer die Tat
wiegt. Bei Tötungsdelikten wird das Hemmungsvermögen infolge Alkoholmissbrauchs daher höchst selten gänzlich fehlen.
Bei der Berechnung ist, da es für die Beurteilung der alkoholbedingten Beeinträchti- 387
gung des Angeklagten auf die zu seinen Gunsten nicht ausschließbare höchstmögliche Alkoholisierung zur Tatzeit ankommt, unter Beachtung des Grundsatzes »in dubio pro reo« (vgl. dazu BGH NStZ 1989, 17) zu unterscheiden:
Liegt das Ergebnis einer Blutprobenuntersuchung vor, so ist der Berechnung ein maximaler stündlicher Abbauwert von 0,2‰ pro Stunde und ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2‰ zugrunde zulegen (BGH NStZ 1986, 114 Nr. 2).
Konnte dem Täter keine Blutprobe entnommen werden, so muss das Gericht gleichwohl in der Regel versuchen, aufgrund der genossenen Alkoholmengen19 den höchstmöglichen BAK-Wert zu ermitteln. Die Berechnung wird in folgender Weise mit Hilfe der sog. Widmark-Formel vorgenommen: Zunächst ist aus den genossenen
Getränken die zugeführte Alkoholmenge in Gramm zu berechnen. Diese Zahl wird
durch das Produkt aus Körpergewicht in Kilogramm und dem sog. Reduktionsfaktor
– bei Männern in der Regel 0,7, bei Frauen 0,6 – dividiert (der Reduktionsfaktor trägt
dem Umstand Rechnung, dass sich der resorbierte Alkohol im Körper nicht gleichmäßig, sondern abhängig vom Wassergehalt des Gewebes und der Körperflüssigkeiten verteilt). Von diesem errechneten Wert wird das Resorptionsdefizit (nicht der gesamte genossene Alkohol wird resorbiert) in Höhe von 10% abgezogen. Zur
Verdeutlichung ein Beispiel: Hat der 80kg schwere Täter etwa 3 Liter Normalbier
getrunken, so beträgt die genossene Alkoholmenge 120g. Diese geteilt durch 80 mal
0,7 = 56 ergibt 2,14, abzüglich 10% = 0,21, verbleiben 1,93‰. Hiervon ist der erfolgte
Alkoholabbau abzurechnen, der zugunsten des Täters stets mit 0,1‰ pro Stunde anzusetzen ist (BGH NStZ 1986, 114 Nr. 1), denn ein »individueller« Abbauwert lässt
sich aus ärztlicher Sicht nachträglich nicht ermitteln (BGH 34, 32; NStZ 1991, 329).
19 Der Tatrichter muss dabei die Einlassung eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuss vor der
Tat, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne
weiteres als unwiderlegt hinnehmen, vgl. BGH NStZ 2007, 265.
131
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Im Beispielsfall errechnet sich bei einem seit Trinkbeginn über 4 Stunden erfolgten
Abbau somit eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,53‰.
388 Geht es um die Frage, ob der Angeklagte fahrtüchtig war (§§ 315c, 316 StGB), so ist
hingegen zugunsten des Angeklagten bei vorhandener Blutprobe mit 0,1‰ stündlich
zurückzurechnen, wobei bei der Rückrechnung aber in der Regel die ersten zwei
Stunden nach Trinkende wegen der möglicherweise noch nicht abgeschlossenen Resorption außer Betracht zu lassen sind (BGH 25, 250). Bei fehlender Blutprobe ist
hingegen vom größtmöglichen Resorptionsdefizit von 30% und vom höchstmöglichen Abbau von 0,2‰ pro Stunde und einem einmaligen Sicherheitszuschlag von
0,2‰ auszugehen (BGH VRS 71, 363). Zu beachten ist allerdings, dass fahruntüchtig
auch der Kraftfahrer ist, der eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer BAK
von 1,1‰ führt (BGH 25, 246; 37, 89).
389 Will das Gericht bei fehlender Blutprobe die Einlassung des Angeklagten, er habe
eine sehr große Menge Alkohol getrunken, mit der Erwägung widerlegen, eine solche Menge hätte zu schwersten Ausfallerscheinungen oder gar zum Tode führen
müssen, so muss es eine Kontrollberechnung durchführen und unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes von dem höchstmöglichen Resorptionsdefizit von 30%, von
einem stündlichen Abbauwert von 0,2‰ und einem Sicherheitszuschlag von 0,2‰
ausgehen (BGHR StGB § 21 BAK 3 und 7).
d) Streng- und Freibeweis
390 Die vorstehenden Ausführungen betreffen das sog. Strengbeweisverfahren (§§ 244
bis 256 StPO), das für die Hauptverhandlung gilt, soweit es sich um Beweistatsachen
handelt, die für die Entscheidung über Schuld und Strafe maßgeblich sind.
391 Daneben gibt es das sog. Freibeweisverfahren, das für Beweiserhebungen außerhalb
der Hauptverhandlung und für die Klärung von Verfahrenshindernissen und sonstigen prozesserheblichen Tatsachen in der Hauptverhandlung anzuwenden ist (BGH 6,
164). Auch für den Freibeweis gilt die Aufklärungspflicht des Gerichts, ohne dass das
Gericht an die Beweisregeln der §§ 244 ff. StPO gebunden ist. Ferner sind die Ergebnisse des Freibeweises vom Gericht ebenso wie die Ergebnisse des Strengbeweises in
das Verfahren einzuführen. Vor der Entscheidung müssen die Beteiligten Gelegenheit
erhalten, sich über die Ergebnisse zu äußern (rechtliches Gehör!); über das Ergebnis
entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens
gewonnenen Überzeugung; im Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die Überzeugung maßgebend gewesen sind. Sind Tatsachen sowohl materiellrechtlich als auch
prozessual von Bedeutung, so sind sie zunächst, wenn es sich um die Fortführung des
Verfahrens handelt, im Freibeweisverfahren zu klären, sonst im Strengbeweisverfahren. Dabei ist aber immer zu beachten, dass das Strengbeweisverfahren die Regel und
das Freibeweisverfahren die Ausnahme ist. Deshalb haben im Zweifel die im Strengbeweisverfahren gewonnenen Ergebnisse den Vorrang.
e) Verdachts- oder Indizienbeweis
392 Für diese besondere Art des Beweises schreibt § 267 Abs. 1 S. 2 StPO vor, dass die
Beweisgründe angeführt werden sollen: »Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen
gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden.« Die »anderen« Tatsachen sind die Beweistatsachen. Der Schuldbeweis wird hierbei nicht unmittelbar
132
II. Verurteilung
durch Augenzeugen oder ein Geständnis geführt, sondern mittelbar durch eine Kette
von Umständen, die in ihrem Zusammenhang sichere Schlüsse auf die Schuld des
Angeklagten zulassen.
Das Gericht hält z.B. den Angeklagten trotz seines Leugnens der Brandstiftung für überführt. Zeugen haben ihn zwar bei der Tat nicht beobachtet, das Gericht hat jedoch den Beweis »aus anderen
Tatsachen« gefolgert, z.B. daraus, dass er kurz vor dem Brand eine auffällige Menge Benzin gekauft
hat und dass beim Brand eine Benzinspur festgestellt worden ist, dass er in verdächtiger Weise vorher Sachen beiseite geschafft hat, die nicht versichert waren, dass er in der Brandnacht verfängliche
Reden geführt und sich an den Löscharbeiten kaum beteiligt hat usw.
Der Angeklagte leugnet, mit seinem Lastzug beim Überholen einen Radfahrer angefahren zu haben.
Zeugen haben das Anfahren nicht wahrgenommen. Das Gericht schließt dies jedoch aus den Beschädigungen des Fahrrads, den Verletzungen des Radfahrers und dem festgestellten, zu geringen
seitlichen Abstand, in dem der Lastzug den Radfahrer überholt hat.
Die Indiztatsachen müssen nicht notwendig zusammen mit den Feststellungen zur
Tat geschildert werden. Sie können auch noch im Rahmen der Beweiswürdigung
festgestellt und belegt werden, z.B. wenn die Überzeugungsbildung des Tatrichters
auf Zeitpunkt und Inhalt zahlreicher Telefonate beruht. Dies vermeidet eine umfangreiche, das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund drängende Darstellung von
zunächst belanglos erscheinenden Umständen und stellt zudem sicher, dass nur solche Tatsachen Erwähnung im Urteil finden, die in der Beweiswürdigung eine Rolle
spielen.
Auch beim Verdachtsbeweis darf das Gericht die Verurteilung aber nur auf Tatsachen
stützen, die es als bewiesen ansieht, die also zweifelsfrei feststehen, nicht auf bloße
Verdachtsgründe. Gleich nahe liegende Möglichkeiten müssen geprüft und ausgeschlossen werden. Die allgemeine Bemerkung genügt nicht, die einzelnen Beweisanzeichen,
für sich allein betrachtet, würden nicht ausreichen, wohl aber die Gesamtheit. Es
müssen vielmehr die einzelnen Glieder des Anzeichenbeweises zusammengeschlossen
werden. Dann besteht aber auch die Möglichkeit, dass die einzelnen Indiztatsachen,
die für sich allein zum Tatnachweis nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH NStZ-RR 2002, 371).
An den Indizienbeweis sind strenge Anforderungen zu stellen, damit es nicht zu
Fehlurteilen kommt.
Die Strafkammer war von der Täterschaft des Angeklagten u.a. deswegen überzeugt, weil er eine
Metallschachtel mit Falschgeld aus dem Räucherkamin des Hauses, der vom Dachboden aus ohne
weiteres zugänglich war, herausgeholt und das Behältnis auf dem Dachboden unter losen Bohlen
des Fußbodens – wenige Meter vom ersten Versteck entfernt – wieder verborgen habe. Dies sei typisches Männerwerk, so dass die Ehefrau des Angeklagten, die nach den übrigen festgestellten Beweisanzeichen ebenfalls als Täterin in Betracht kam, ausscheiden müsse.
Dies beanstandete der BGH (StV 1982, 60), da nichts in den Feststellungen darauf hindeutete, dass
die Ehefrau des Angeklagten zu dieser Handlung physisch oder psychisch nicht in Lage gewesen wäre. Allein mit der floskelhaften Berufung auf »typisches Männerwerk« könne sie daher nicht als Täterin ausgeschieden werden.
f) Ablehnung von Beweisanträgen
Die Ablehnung von Beweisanträgen gehört nicht ins Urteil, sondern in das Proto- 393
koll, und zwar schon deswegen, weil nur durch das Protokoll, nicht durch die Gründe bewiesen werden kann, dass Beweisanträge in der Hauptverhandlung gestellt
worden sind und weil grundsätzlich die Ablehnung von Beweisanträgen im Urteil
133
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
nicht nachgeholt werden kann. Dagegen ist es nicht unzulässig, im Urteil zu einem
schon in der Hauptverhandlung abgelehnten Beweisantrag nochmals Stellung zu
nehmen; dabei dürfen aber Mängel des Ablehnungsbeschlusses nicht durch Nachschieben von Gründen geheilt werden. Fehlerhafte Ausführungen in den Urteilsgründen zur Ablehnung eines Beweisantrags können allerdings zur Aufhebung des
Urteils führen, auch wenn das Gericht den Antrag in der Verhandlung ohne Rechtsfehler abgelehnt hat (BGH 19, 24). Auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessverschleppung ist es nicht zulässig, Beweisanträge ohne inhaltliche Prüfung als rechtsmissbräuchlich abzulehnen (BGH 29, 149).
394 Hat das Gericht von der Möglichkeit der Wahrunterstellung (§ 244 Abs. 3 S. 2
StPO) Gebrauch gemacht, so müssen die Urteilsgründe sich nur dann mit den als
wahr unterstellten Tatsachen auseinandersetzen, wenn die Beweiswürdigung ohne die
Auseinandersetzung mit ihnen lückenhaft wäre (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ
1983, 211). Niemals dürfen die Urteilsgründe den als wahr unterstellten Tatsachen
widersprechen (OLG Koblenz VRS 61, 127).20 Das Gericht ist jedoch nicht gehindert, diese Tatsachen in den Gründen als bedeutungslos zu behandeln (str.; MeyerGoßner § 244 StPO Rn. 70 m.w.N.). Gegebenenfalls ist jedoch ein Hinweis auf die
geänderte Rechtsauffassung des Gerichts erforderlich (BGH StV 2012, 580).
395 Wird ein vorsorglich gestellter Beweisantrag (Hilfs- oder Eventualbeweisantrag)
abgelehnt (der Angeklagte beantragt Freispruch, hilfsweise die Vernehmung von weiteren Zeugen), wird die Ablehnung im Urteil begründet (BGH StV 1990, 149; NStZ
1991, 47); denn hier erwartet der Angeklagte die Beschlussfassung gleichzeitig mit
dem Urteil, kann also nicht auf nochmalige Worterteilung rechnen. Die Ablehnung
eines Hilfsbeweisantrags wegen Verschleppungsabsicht darf allerdings nicht den
Gründen des Urteils überlassen werden (BGH 22, 124). Wird dagegen ein Beweisantrag als Hauptantrag abgelehnt, so muss der Beschluss in sich selbst eine vollständige
Begründung finden, damit der Angeklagte alsbald dazu Stellung nehmen, u.U. andere
Anträge stellen kann.
396 Ein Beweisermittlungsantrag (auch Beweisanregung genannt) bezweckt, bestimmte
sachdienliche Beweismittel für die Schuld- oder Straffrage ausfindig zu machen; er
unterliegt nicht den strengen Vorschriften des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO; das Gericht
entscheidet über solche Anregungen im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach
§ 244 Abs. 2. Nach der Rechtsprechung ist der in der Hauptverhandlung gestellte
Antrag des Verteidigers, den Angeklagten auf seinen Geisteszustand zu untersuchen,
nur dann als Beweisantrag aufzufassen, wenn ihm nach dem Inbegriff der Erklärungen des Verteidigers eine bestimmte Tatsachenbehauptung zugrunde liegt (BGH GA
1981, 228). Beweisanträge, die in den Schlussausführungen gestellt werden, sind im
Allgemeinen Hilfsanträge, es sei denn, es wird Wiedereröffnung der Beweisaufnahme
verlangt oder kein Antrag zur Schuld- oder Straffrage gestellt. Unklare Anträge sind
auf Grund der richterlichen Fragepflicht klarzustellen.
20 Dasselbe gilt, wenn eine unter Beweis gestellte Tatsache als schon erwiesen erachtet worden ist
(vgl. BGH NStZ 1989, 83).
134
II. Verurteilung
5. Die besondere Vorschrift des § 267 Abs. 2 StPO21
a) Bedeutung
Nach § 264 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete 397
Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Das Gericht ist nicht
nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Tat nach allen in der Verhandlung hervorgetretenen Tatumständen zu prüfen, und zwar von Amts wegen. Da dem Angeklagten das Vorliegen des gesamten äußeren und inneren Tatbestandes bewiesen werden muss und die Gründe darlegen sollen, dass diese Prüfung vorgenommen worden
ist, müsste an sich jedes Urteil feststellen, dass kein Unrechts- oder Schuldausschließungsgrund usw. vorliegt, dass sich der Angeklagte weder in Notwehr noch in einem
Notstand befunden hat, dass er weder bewusstlos noch schwachsinnig gewesen ist
und dergleichen mehr. Das würde meist zwecklos sein und das Urteil unnütz belasten. Deshalb beschränkt das Gesetz die Notwendigkeit der Feststellung von
Schuldausschließungsgründen usw. auf die Fälle, in denen ihr Vorliegen in der Verhandlung behauptet worden war, indem es der Erfahrung entsprechend davon ausgeht, der Angeklagte werde es schon zur Sprache bringen, wenn er sich in Notwehr
befunden oder unter einem unwiderstehlichen Zwang gehandelt habe, und andererseits werde der Staatsanwalt einen die Strafbarkeit erhöhenden Umstand geltend machen.22
§ 267 Abs. 2 StPO will also die Urteilsbegründung erleichtern, nicht die Prüfungs- 398
pflicht des Gerichts beschränken. Legt die Beweisaufnahme die Möglichkeit nahe,
dass der Angeklagte in Notwehr oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen oder
unter dem Druck einer unwiderstehlichen Gewalt gehandelt hat, so muss das Gericht
auch ohne jeden Antrag diese Punkte bei der Beratung erörtern. Findet es aber, dass
keine Notwehr usw. vorliegt, so ist es zwar zweckmäßig, das in den Gründen zu erwähnen, gesetzlich vorgeschrieben und mit der Revision verfolgbar ist es aber nicht,
falls nicht der Angeklagte sich ausdrücklich auf Notwehr berufen hat und das Gericht ihn trotzdem verurteilt.
Die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe der §§ 32 bis 35 StGB regeln die 399
rechtliche Bedeutung gewisser Ausnahmefälle, die den gesetzlichen Tatbestand unberührt lassen. Da sie auch Abweichungen von der Regel des Lebens betreffen, ist für
diese Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe der Grundsatz des § 267 Abs. 2
StPO sinnvoll. Für die inneren Tatsachen jedoch, die den Vorsatz des Täters ausmachen, passt diese Regel nicht. Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit als Schuldausschließungs- oder Strafmilderungsgrund (im Falle des verschuldeten Verbotsirr21 Sie betrifft zwar die (tatsächliche) Feststellung, ist aber wegen der Anordnung des Gesetzes besser getrennt von ihr zu besprechen. Sie bezieht sich nicht nur auf verurteilende, sondern auch auf
freisprechende Erkenntnisse, soll aber hier im Zusammenhang behandelt werden.
22 Was das Verhältnis des Abs. 2 des § 267 zum Abs. 1 anbelangt, so sind die in Abs. 2 behandelten
Schuldumstände von den im Abs. 1 behandelten Merkmalen der Tat dem Wesen nach nicht
verschieden. Sie gehören ebenso zum Schuldbegriff wie jene; der geisteskranke Angeklagte ist
ebensowenig schuldig wie der geistig gesunde, der ohne Vorsatz gehandelt hat. Das Gesetz hat
lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen einen Teil des inneren Tatbestandes einer besonderen Behandlung im Verfahren unterworfen. Man kann also das Verhältnis beider Absätze dahin zusammenfassen: Gemäß Abs. 1 muss der ganze allgemeine und besondere Tatbestand der Straftat festgestellt werden, soweit es sich nicht um Merkmale handelt, die die Strafbarkeit ausschließen,
vermindern oder erhöhen; letztere werden gemäß Abs. 2 festgestellt.
135
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
tums) steht also den Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen der §§ 32 bis 35
StGB nicht gleich; für ihn gilt § 267 Abs. 2 StPO nicht. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, das mit zum Vorsatz gehört, muss daher immer festgestellt (wenn auch
bei Offensichtlichkeit in den Urteilsgründen nicht erörtert) werden, auch wenn Verbotsirrtum nicht behauptet worden ist, und auch dann, wenn der Sachverhalt nicht
ohne weiteres Anlass zur Prüfung in dieser Richtung gibt. Das Urteil muss also ausdrücklich, z.B. die Feststellung enthalten, dass der Angeklagte gewusst hat, dass das
Kind, an dem er sexuelle Handlungen vorgenommen hat, noch nicht 14 Jahre alt gewesen ist (§ 176 Abs. 1 StGB), oder dass die von ihm beschädigten Gegenstände zum
öffentlichen Nutzen gedient haben (§ 304 StGB), oder dass derjenige, dem er Widerstand geleistet hat, ein Amtsträger gewesen ist (§ 113 StGB), auch wenn in der Verhandlung das mangelnde Bewusstsein nicht ausdrücklich behauptet worden ist bzw.
aus einem entsprechenden Beweisantrag hervorgeht.
b) Die besonderen Umstände
400 aa) Die Umstände müssen vom Strafgesetz besonders vorgesehen sein; von einer
Verletzung des Abs. 2 kann also dort keine Rede sein, wo andere Behauptungen rein
tatsächlicher Art im Urteil nicht widerlegt oder überhaupt nicht angeführt werden.
Das Gericht ist nicht gehalten, den Vortrag des Angeklagten erschöpfend darzustellen
und zu jeder seiner Behauptungen Stellung zu nehmen; vielmehr kann es Behauptungen, die es für unerheblich hält, übergehen. Aus dem Schweigen der Urteilsgründe
allein kann nicht geschlossen werden, dass das Gericht solches Vorbringen nicht beachtet hat.
401 bb) Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen, sind die allgemeinen Schuldausschließungsgründe wie tiefgreifende Bewusstseinsstörung (z.B. infolge starker
Trunkenheit), krankhafte seelische Störung, Zwang, Notwehrüberschreitung, Notstand, ferner die Strafausschließungsgründe wie Rücktritt vom Versuch, Erweislichkeit der behaupteten Tatsachen im Falle des § 186 StGB, Erwiderung der Beleidigung
auf der Stelle (§§ 199 StGB) und die besonderen Umstände der §§ 139 Abs. 4, 163
Abs. 2, 173 Abs. 3, 257 Abs. 3, 258 Abs. 5, 6, 306e Abs. 2, 314a Abs. 3 StGB, schließlich auch die Rechtfertigungsgründe wie z.B. Notwehr, Wahrnehmung berechtigter
Interessen. Bejaht das Gericht auf Grund der Prüfung, die es von Amts wegen vorzunehmen hat, das Vorliegen solcher Umstände, so hat es den Angeklagten freizusprechen bzw. für straffrei zu erklären. Dies gilt auch, wenn Zweifel bestehen.
402 Nach den für die Strafreife geltenden Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes liegt
bei Strafunmündigkeit oder bei dem Mangel des Unterscheidungsvermögens im Sinne des § 3 JGG kein persönlicher Strafausschließungsgrund, sondern Schuldunfähigkeit, also ein Schuldausschließungsgrund vor. Das Urteil muss Feststellungen
über die Reife des jugendlichen Täters enthalten, auch wenn die Unreife in der Verhandlung nicht ausdrücklich behauptet worden ist (näher dazu unten Rn. 710). Zu
den Umständen im Sinne des § 267 Abs. 2 StPO gehören auch §§ 20, 21 StGB. Verfahrensrechtlich ist ein Ausspruch in den Urteilsgründen hierzu nur erforderlich, wenn
der Angeklagte seine Schuldunfähigkeit oder seine verminderte Schuldfähigkeit behauptet hat. Sachlich-rechtlich ist jedoch die Prüfung des § 20 StGB und die Wiedergabe des Ergebnisses dieser Prüfung in den Gründen geboten, wenn der Sachverhalt dazu
Anlass gibt, auch ohne dass der Angeklagte sich auf den Schutz des § 20 StGB berufen hat (so etwa bei Analphabetentum und einer typischen Straftat für Oligophrene,
136
II. Verurteilung
vgl. OLG Köln MDR 1980, 245). Sind also aus dem Urteil tatsächliche Umstände
ersichtlich, die nur die Möglichkeit des Ausschlusses oder der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit nahe legen, so sind nähere Erörterungen dazu unerlässlich.
Dies ist etwa bei einem Täter mit langjähriger »Drogenkarriere« der Fall, jedenfalls
wenn diese mit mehrjähriger Abhängigkeit von harten Drogen (Heroin) mit teilweiser Beschaffungskriminalität verbunden ist. Unzulänglich ist auch eine Feststellung,
der Täter weise keine »Intelligenzausfälle« auf und sei deshalb schuldfähig; denn eine
solche Feststellung lässt die Störungen des Willens-, Gefühls- und des Trieblebens
außer Betracht. Auch der häufig verwendete Begriff der »sinnlosen Trunkenheit« ist
nicht aussagekräftig; der Richter, der diesen Begriff verwendet, verkennt nämlich,
dass eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung nicht erst dann vorliegt, wenn der
Rausch bis zur Sinnlosigkeit gesteigert ist, vielmehr schon eine das geistige Leben
beeinträchtigende Trübung mit den Wirkungen genügt, die § 20 StGB für die Einsichtsfähigkeit oder das Willensvermögen voraussetzt.
Dagegen fallen die Prozessvoraussetzungen wie Strafantrag, Zuständigkeit, keine 403
Verjährung und keine rechtskräftige Aburteilung, weder unter den Abs. 1 noch unter
den Abs. 2 des § 267 StPO; denn § 267 Abs. 2 StPO meint nur diejenigen Ausschließungs- und Milderungsgründe, die »mit der strafrechtlichen Bedeutung der Schuld
begrifflich im engsten Zusammenhang stehen« (so die Begründung des Gesetzes).
Es liegt daher im Ermessen des Gerichts, ob es sich über das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen im Urteil aussprechen will. Zweckdienlich ist ein solcher Ausspruch
dann, wenn in der Verhandlung Zweifel in dieser Hinsicht hervorgetreten sind, z.B.
die Notwendigkeit oder Wirksamkeit des Strafantrags bestritten oder die Prüfung
verlangt wurde, ob ein Strafantrag gestellt ist (zur Einstellung wegen Fehlens von
Prozessvoraussetzungen unten Rn. 643 ff.).
Auch dass das Verfahren durch eine Amnestie beendet sei, stellt die Behauptung eines
Prozesshindernisses dar; es liegt also keine Verletzung des § 267 Abs. 2 StPO vor,
wenn ein urteilsmäßiger Ausspruch über die Richtigkeit dieser Behauptung unterblieben ist.
cc) Umstände, welche die Strafbarkeit vermindern, sind nicht die minder schweren 404
Fälle, also die sog. unbenannten Strafmilderungsgründe (z.B. §§ 239a Abs. 2, 250
Abs. 3 StGB), deren Zubilligung im pflichtgemäßen Ermessen des Richters liegt, sondern es sind solche, die »vom Strafgesetz besonders vorgesehen sind«. Dabei ist an
gewisse mildere Fälle gedacht, für die eine mildere Bestrafung gesetzlich vorgeschrieben ist; so die Strafermäßigung in all den Straftatbeständen, die auf § 49 StGB verweisen (z.B. §§ 21, 23 Abs. 2, 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 StGB usw.), ferner §§ 157, 158 StGB
beim Meineid, § 213 StGB (Reizung des Totschlägers), und alle die Fälle, in denen das
StGB leichtere Abarten einer Straftat aufstellt, z.B. § 248c Abs. 4 StGB gegenüber
§ 248c Abs. 1 StGB. § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) ist jedoch kein milderer Fall
der §§ 211, 212 StGB. Kommt die Anwendbarkeit von § 31 BtMG in Betracht, weil
Angaben eines Angeklagten vorliegen, die die Annahme eines Aufklärungserfolges
rechtfertigen könnten, ist der Tatrichter gehalten, diese in nachvollziehbarer Weise
darzulegen. Die bloße Wertung, es habe keine Aufklärungshilfe festgestellt werden
können, genügt nicht.
dd) Ebenso sind unter den Gründen, welche die Strafbarkeit erhöhen, nicht die in 405
der Person des Täters oder der Art der Ausführung der Tat liegenden allgemeinen
137
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Strafschärfungsgründe zu verstehen, sondern die im Gesetz vorgesehenen erschwerenden Umstände: Gewohnheitsmäßigkeit (z.B. §§ 284 Abs. 2, 292 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
StGB), Gewerbsmäßigkeit (z.B. §§ 180a Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB) usw. Dagegen
fallen nicht hierunter unbenannte Strafschärfungsgründe, auch nicht Regelbeispiele
für besonders schwere Fälle (z.B. §§ 125a, 243 Abs. 1 S. 2 StGB); hierfür gilt nicht
§ 267 Abs. 2, sondern Abs. 3 StPO.
c) Behauptung der Umstände
406 Die Umstände müssen in der Verhandlung behauptet werden. Behauptung im Vorverfahren genügt nicht, das Gericht zu einer Erörterung in den Gründen zu zwingen.
Die Umstände brauchen nicht ausdrücklich behauptet zu werden, noch weniger
braucht sich der Angeklagte der gesetzlichen Ausdrücke zu bedienen; es genügt vielmehr jede Erklärung des Angeklagten, die erkennen lässt, dass er einen solchen Umstand für sich in Anspruch nimmt.
Der Angeklagte ist wegen Sachbeschädigung angeklagt, weil er den Bernhardinerhund des A. getötet habe. Er gibt den Sachverhalt zu, wendet aber ein, der Hund sei auf ihn losgesprungen und habe
ihn beißen wollen. Damit beruft er sich auf Notwehr oder Notstand.
Dass ein Strafausschließungs-, Minderungs- oder Erhöhungsgrund behauptet worden
ist, kann, abgesehen von einer Erwähnung in den Gründen, nicht nur durch das Sitzungsprotokoll nachgewiesen werden; die Behauptung kann sich auch aus den gesamten Umständen ergeben, z.B. aus der Zuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen. Selbstverständlich ist die Behauptung von Strafausschließungs- oder
Minderungsgründen nicht nur dann erheblich, wenn sie vom Angeklagten ausgeht,
sondern auch dann, wenn sie die Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten aufstellt.23
d) Art der Feststellung
407 Nach dem Wortlaut des Gesetzes genügt es, wenn die Gründe sich darüber aussprechen, ob die Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden. Eine Begründung dieses Ausspruchs schreibt das Gesetz nicht vor. Aber es liegt auf
der Hand, dass z.B. die Angabe, »der Angeklagte hat sich nicht in Notwehr befunden«, keine ordnungsmäßige Begründung enthält, sondern dass genau darzulegen ist,
inwiefern sich der Angeklagte keinem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff gegenüber gesehen oder die Grenzen der Notwehr überschritten hat. Die Feststellung, die
Hauptverhandlung habe nichts für die Annahme der Schuldunfähigkeit ergeben,
reicht nur aus, wenn es wirklich an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt; sonst müssen die für und gegen sie sprechenden Umstände festgestellt und die daraus gezogenen Schlüsse begründet werden, z.B. dass trotz Vorliegens eines altersbedingten
Hirnabbauprozesses die Schuldfähigkeit nicht aufgehoben oder erheblich vermindert
war.
408 Es ist bereits in Rn. 357 hervorgehoben worden, dass das Nichtvorliegen von
Schuldausschließungsgründen dem Angeklagten bewiesen werden muss und dass er
23 Nach BGH 31, 139 kann das Revisionsgericht nicht durch eigene Beweiserhebung prüfen, ob der
Angeklagte in der tatrichterlichen Hauptverhandlung besondere Umstände i.S.d. § 267 Abs. 2
StPO vorgebracht hat; dagegen die h.M. in der Literatur, vgl. nur Fezer NStZ 1983, 278.
138
II. Verurteilung
freizusprechen ist, wenn Zweifel bleiben, ob z.B. Notstand vorliegt oder nicht. Dem
scheint die Ausdrucksweise des Absatzes 2 zu widersprechen, wonach es zur Verurteilung zu genügen scheint, dass der Schuldausschließungsgrund »für nicht festgestellt« erachtet wird. Im Absatz 2 denkt der Gesetzgeber aber überhaupt nicht an den
Fall, dass es unaufgeklärt ist, ob die Berufung auf Notstand gerechtfertigt ist. Er hat
vielmehr den Fall im Auge, dass der Richter die Überzeugung von dem Nichtvorliegen des fraglichen Schuldausschließungsgrundes gewonnen hat, und gestattet nur,
dieser Überzeugung dadurch Ausdruck zu geben, dass ausgesprochen wird, der fragliche Umstand sei für nicht festgestellt erachtet worden. Er gebraucht also den Ausdruck, was Schuldausschließungsgründe anlangt, in dem Sinne von »widerlegt«.
6. Rechtsausführungen und Strafgesetz
a) Die Rechtsausführungen
Die rechtliche Erörterung soll das bringen, was die Entscheidungsgründe im Zivil- 409
prozess (§ 313 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) neben der Beweiswürdigung enthalten. Nun stehen
die Rechtsausführungen im Strafverfahren an Bedeutung der Feststellung des Sachverhalts sicher nach, da schon die ordnungsgemäße Darstellung der (tatsächlichen)
Feststellungen die vorherige genaue rechtliche Durchdringung der Sache erfordert.
Rechtsausführungen werden daher vom Gesetz mit ausdrücklichen Worten auch nur
bei Freisprechung gefordert. In einfachen Strafsachen erübrigen sie sich ganz. Trotzdem geht das Gesetz ersichtlich davon aus, dass für den Regelfall Rechtsausführungen geboten sind. Denn wenn nach § 267 Abs. 1 StPO in den Gründen erkennbar zu
machen ist, welche festgestellten Tatsachen die gesetzlichen Merkmale der Straftat
erfüllen, so soll damit die rechtliche Nachprüfung ermöglicht werden, ob sich das
Gericht alle Tatbestandsmerkmale vergegenwärtigt hat und ob die Unterstellung der
erwiesenen Tatsachen unter die einzelnen Tatbestandsmerkmale bedenkenfrei ist; dazu können aber besondere Rechtsausführungen geboten sein. Ein gutes Urteil zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass der Leser, der sich nebenbei den gesetzlichen Tatbestand vergegenwärtigt, bereits aus der Sachverhaltsschilderung für sich das Vorliegen
der einzelnen Tatbestandsmerkmale ableiten kann.
Im Einzelnen ist es Sache der Übung, herauszufinden, wann und in welchem Um- 410
fang Rechtsausführungen nötig sind. Der Urteilsverfasser muss die rechtlichen Bedenken des Falles herausfühlen, die bestrittenen oder vom Anklagesatz (Eröffnungsbeschluss) abweichenden Punkte besonders berücksichtigen und danach die
Begründung gestalten. Rechtsausführungen werden z.B. immer erforderlich sein,
wenn rechtlich zweifelhaft ist, ob ein Tatbestandsmerkmal gegeben ist, oder wenn in
subjektiver Hinsicht Zweifel bestehen (statt unbedingter nur bedingter Vorsatz, statt
bedingtem Vorsatz nur bewusste Fahrlässigkeit). Als Grundsatz kann gelten, nicht
mehr Rechtsfragen zu entscheiden, als zur Rechtfertigung des Urteils notwendig ist,
aber auch keine Rechtsfrage, die sich aufdrängt, ungelöst zu lassen.
Meist wird es zweckmäßig sein, die Rechtsausführungen als besonderen Abschnitt 411
der Feststellung und der Beweiswürdigung folgen zu lassen. Falls es sich nicht schon
unmittelbar aus der Sachverhaltsschilderung ergibt, ist darzulegen, in welchem Teil
des Sachverhalts ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal zu erblicken ist. Es ist also
nicht der Tatbestand mit den Worten des Gesetzes zu wiederholen, sondern das Vorliegen der zweifelhaften Tatbestandsmerkmale zu erörtern. Falsch wäre deshalb z.B.
139
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Der Angeklagte ist des Betrugs schuldig, weil er in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen durch Täuschungshandlung und darauf beruhender Irrtumserregung und Vermögensverfügung geschädigt hat.
Vielmehr ist auszuführen:
Der Angeklagte hat damit den Tatbestand des Betruges erfüllt. Durch die Vorspiegelung, hinter ihm
stehe eine kapitalkräftige Gruppe, die zur Sanierung der GmbH in der Lage sei, sowie durch Unterdrückung der Tatsache, dass der von ihm benannte Dr. B. sein Strohmann war, hat er den Komplementär der KG – und über diesen auch deren Kommanditisten, die sämtlich den Angaben des Angeklagten Glauben schenkten – veranlasst, ihm und seinem Strohmann die Gesellschaftsanteile der
GmbH zu übertragen. Dadurch hat er der KG – und damit den Getäuschten – einen Schaden zugefügt, der in dem Verlust der Gesellschaftsanteile liegt. Für deren Übertragung hat die KG zwar Zahlungsansprüche gegen die GmbH erworben. Deren Realisierbarkeit war aber, was auf das Verhalten
des Angeklagten zurückging, von vornherein gefährdet. Der Angeklagte wusste und wollte dies; er
hat somit vorsätzlich und in der Absicht gehandelt, sich einen Vermögensvorteil, nämlich die Gesellschaftsanteile, zu verschaffen.
Handelt es sich um eine im Straßenverkehr begangene fahrlässige Körperverletzung
oder Tötung, so ist insbesondere darzulegen, was im Einzelnen an dem Verhalten des
Angeklagten die Fahrlässigkeit begründet (vgl. hierzu die Ausführungen oben
Rn. 318 ff.). Bei einfacheren Tatbeständen sind wenigstens diejenigen Merkmale zu
erörtern, deren Vorhandensein aus der Sachdarstellung nicht ganz zweifelsfrei hervorgeht.
412 Rechtsausführungen sind insbesondere auch dann erforderlich, wenn es um die Ermittlung des milderen Gesetzes nach § 2 Abs. 3 StGB geht (vgl. z.B. BGH 39, 1, 30).
b) Das Strafgesetz
413 Die Gründe müssen das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen. Dass es
sich aus dem Urteilstenor oder der Liste der angewendeten Vorschriften (oben Rn. 184)
ergibt, genügt nicht; eine Bezugnahme darauf reicht ebenfalls nicht aus. Das Strafgesetz ist nicht nur nach seiner allgemeinen Bezeichnung (Unterschlagung, Diebstahl,
Betrug, Wucher, Straßenverkehrsgefährdung), sondern nach dem Paragraphen des
Gesetzes anzuführen. Es reicht nicht aus, nur das Strafgesetz anzugeben, das die
eigentliche Strafandrohung enthält (§§ 242, 246 StGB), es sind vielmehr sämtliche
Paragraphen anzuführen, die die Begriffsbestimmung der festgestellten Tat einschließlich der Art ihrer Ausführung (Teilnahme, Versuch) und die Strafandrohung enthalten, so neben § 224 StGB stets § 223 StGB, neben § 260 StGB auch § 259 StGB, und
ebenso sind nicht nur bei Tatmehrheit, sondern auch bei Tateinheit alle Paragraphen
aufzuführen, gegen die der Täter verstoßen hat. Bei Tateinheit wird »verurteilt« aus
allen Strafgesetzen, »bestraft« dagegen nur aus dem schwersten.
414 Jedoch enthält bei Tatmehrheit eine im Urteil unterlassene Heranziehung des § 53
StGB keinen Verstoß gegen § 267 Abs. 3 StPO. Unter dem zur Anwendung gebrachten Strafgesetz sind nicht alle strafgesetzlichen Vorschriften, die zur rechtlichen Voraussetzung des Urteils gehören, sondern nur die Vorschriften zu verstehen, die die
Begriffsmerkmale der nach Ansicht des Richters durch die Handlungsweise des Angeklagten verwirklichten Straftat aufstellen; hierzu sind auch die Vorschriften über
die Teilnahme (§§ 26 f. StGB) und beim Versuch die §§ 22 f. StGB zu rechnen. Dagegen bestimmt § 53 StGB nicht, was unter einer selbständigen Handlung zu verstehen
ist und welches die Begriffsmerkmale einer Mehrheit solcher Handlungen sind, son140
II. Verurteilung
dern besagt lediglich, wie die Strafe zu finden ist, wenn eine Mehrheit selbständiger
Handlungen vorliegt; gleichwohl sollte er der Klarheit halber aufgeführt werden.
Werden in demselben Strafgesetz mehrere Begehungsformen mit Strafe belegt (z.B. 415
§ 267 Abs. 1 StGB), so muss ersichtlich sein, in welcher Form der strafbare Tatbestand nach Auffassung des Gerichts erfüllt ist, z.B. Herstellen oder Gebrauchen einer
unechten Urkunde (BGHR StPO § 267 Abs. 3 S. 1 Strafgesetz 1). Auch die Bestimmungen, nach denen auf Nebenstrafen, Nebenfolgen (z.B. Fahrverbot, Verfall, Einziehung) und Maßregeln der Besserung und Sicherung erkannt worden ist, müssen
erwähnt werden.
Die Gesetzesbestimmungen sind in einer bestimmten Reihenfolge zu bringen, näm- 416
lich zunächst die gesetzlichen Tatbestände, dann die Erscheinungs- und Beteiligungsformen und schließlich die Konkurrenzen. In der Regel wird das verletzte Strafgesetz
an den Anfang der Ausführungen gestellt werden. Hieran schließen sich dann die
erforderlichen Rechtsausführungen an; aus Zweckmäßigkeitsgründen kann sich aber
auch einmal die umgekehrte Reihenfolge empfehlen.
7. Die Strafzumessungsgründe24
a) Revisibilität der Strafzumessung
Die Gründe müssen die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe be- 417
stimmend gewesen sind (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO). Die Vorschrift trägt dazu bei, den
Tatrichter an der Verhängung übermäßig hoher oder unverhältnismäßig milder Strafen zu hindern. Dieses Verbot wendet sich aber nicht nur an den Tatrichter, sondern
auch an das Revisionsgericht. Auch dieses darf keine übermäßig hohen oder milden
Strafen bestehen lassen, also solche, die in einem unerträglichen Missverhältnis zu
Schuld und Gefährlichkeit von Täter und Tat stehen (BGH NStZ-RR 1996, 133;
2006, 140), selbst wenn dies nicht ausdrücklich gerügt worden ist. Auch das Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das in Art. 20 GG niedergelegte
Rechtsstaatsprinzip (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) fordern, dass die Strafe in
einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters
steht (BGH NStZ 2006, 500). Der Tatrichter muss daher durch seine Strafzumessungsgründe dem Rechtsmittelgericht die Überzeugung vermitteln, dass die Strafbemessung diesen dem materiellen Strafrecht zugehörigen Rechtssatz nicht verletzt,
d.h., dass die Strafe im rechten Verhältnis zur Rechtsverletzung und Schuld steht. Im
Wege der Revision anfechtbar ist das Strafmaß aber nicht nur dann, wenn die Strafe
evident zu hoch oder zu niedrig erscheint, sondern vor allem, wenn die Zumessung
erkennbar eine für sie geltende Rechtsregel verletzt. Die unterlassene oder mangelhafte Begründung der Strafzumessung rechtfertigt also die Revision, wenn anzunehmen ist, dass die Bemessung der Strafe auf dem Mangel beruht. Das folgt aus dem
prozessualen Begründungszwang des § 267 Abs. 3 StPO und aus der materiellrechtlichen Begründungspflicht, deren Grundgedanke es ist, dass sie dem Revisionsgericht die vollständige Nachprüfung in sachlich-rechtlicher Beziehung ermöglicht.
Enthält das Urteil daher überhaupt keine Strafzumessungsgründe, so ist dieser Mangel auch ohne Rüge des § 267 Abs. 3 StPO auf die allgemeine Sachrüge hin zu berücksichtigen. Sind die Strafzumessungsgründe so knapp oder enthalten sie nur all24 Vgl. hierzu aus dem Schrifttum Schäfer/Sander/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl.
2012; ferner die regelmäßigen BGH-Rechtsprechungsübersichten von Detter in der NStZ.
141
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
gemeine, phrasenhafte Redewendungen, so dass sich nicht nachprüfen lässt, ob der
Tatrichter überall von zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen ist, so
sind sie fehlerhaft. Ein Urteil ist daher aufzuheben, wenn es in den Strafzumessungsgründen lediglich auf ein anderes Urteil verweist oder wenn es sich darauf beschränkt, zu erklären, es habe keinen Anlass gehabt, von der im Strafbefehl festgesetzten Strafe abzugehen, oder wenn es nicht bei jedem Mittäter selbständig die Strafe
nach dem Maß seiner Schuld bemisst, oder wenn es erklärt, es hätte dieselbe Strafe
auch bei anderer Sachverhaltsfeststellung oder Rechtslage verhängt (BGH 7, 359).
Zusammenfassend gilt (BGH NStZ 1987, 405):
Die Urteilsgründe müssen Bedeutung und Gewicht der angeführten Strafzumessungstatsachen für
die Bewertung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat klar und nachvollziehbar erkennen lassen.
Moralisierende Erwägungen, die nicht verdeutlichen, welcher belastend oder entlastend wirkende
Gesichtspunkt angesprochen und in Übereinstimmung mit den anerkannten Grundsätzen der Strafzumessung bewertet wird, sind nicht nur überflüssig, sondern begründen auch die Gefahr einer gefühlsmäßigen, auf unklaren Erwägungen beruhenden Strafzumessung.
417a Auch bloß hypothetische Strafzumessungserwägungen – etwa dass das Gericht
eine Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht vorgenommen hätte,
wenn es zur Feststellung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gelangt wäre –
sollten unterbleiben, weil dadurch der Eindruck erweckt wird, der Tatrichter habe
selbst nur geringes Vertrauen in die Grundlagen seiner Entscheidung (BGH 55, 174,
179).
418 Die Revisionsgerichte betonen allerdings immer wieder, dass die Strafzumessung
grundsätzlich Sache des Tatrichters sei.25 Das Revisionsgericht kann nur dann eingreifen, wenn die Erwägungen, mit denen der Tatrichter Strafart und Strafmaß begründet, in sich rechtlich fehlerhaft sind, oder wenn die Strafe in keinem angemessenen Verhältnis zum Unrechtsgehalt und zur Gefährlichkeit der Tat sowie zum Grad
der persönlichen Schuld des Täters steht und sich daher nach oben oder unten von
ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs inhaltlich löst. Das Urteil kann
ferner fehlerhaft sein, wenn der Tatrichter einen der rechtlich anerkannten Strafzwecke (Sühne, Besserung und Abschreckung) überhaupt nicht in den Kreis seiner Erwägungen einbezogen hat (BGH 17, 36; 27, 2). Das gilt insbesondere, wenn die Gründe
nicht auf die Bedeutung der Tat für die durch sie verletzte Rechtsordnung (Größe des
Unrechts und Folgen der Tat) oder auf den Grad der persönlichen Schuld oder auf
die persönlichen Verhältnisse des Täters eingehen, obwohl dies nach dem Sachverhalt
und der Einlassung des Angeklagten notwendig gewesen wäre, oder wenn das Urteil
die von ihm getroffenen Feststellungen nicht für die Strafzumessung auswertet, wie
es allgemein fehlerhaft ist, wenn die Strafzumessung nicht auf adäquate, festgestellte
Tatsachen gegründet ist. Schließlich darf der Richter bei der Strafzumessung nicht in
den Fehler der Schematisierung verfallen; er muss vielmehr jeden Einzelfall gewissenhaft prüfen und daher schon aus diesen Gründen die Strafzumessungsgründe mit
Sorgfalt behandeln. Je auffälliger das Strafmaß von der relativen Durchschnittsstrafe
nach oben oder unten abweicht, um so strengere Anforderungen sind an die Ausführungen zur Strafzumessung zu stellen. Strafzumessungsgründe, die auf Tat, Täter und
Begleitumstände abgestellt sind, entsprechen dem Gesetz, auch wenn ein anderer
Richter anders urteilen würde.
25 Das hält Grasnick (JZ 1992, 260) für eine überholte Formel und fordert, »solche Fossilien einer
überholten Denktradition nicht fürderhin mitzuschleppen«.
142
II. Verurteilung
Oberster Grundsatz der Strafbemessung ist es, sowohl von der objektiven Bedeu- 419
tung der Tat als auch von dem Grad der persönlichen Schuld des Täters auszugehen.
Fehlerhaft sind daher Strafzumessungsgründe, die sich nur auf die Anführung von
Umständen beschränken, die sich auf die Persönlichkeit des Täters beziehen und die
Tat außer acht lassen (also z.B. weil der Angeklagte ein angesehener Geschäftsinhaber
oder eine ausgeglichene Persönlichkeit sei, eine geringe Strafe verhängen) oder umgekehrt ausschließlich die Umstände der Tat verwerten und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters überhaupt nicht oder nur unzureichend erörtern
(vgl. dazu BGH NStZ 1981, 299). So rechtfertigt auch die Tatsache, dass die Einkommensverhältnisse des Täters günstig sind, für sich allein nicht die Verhängung
einer Freiheits- statt einer Geldstrafe. Neben der Persönlichkeit des Täters müssen
der Unrechtsgehalt der Tat und die Gesichtspunkte der Abschreckung und der Sicherung gewürdigt werden. Der Abschreckungszweck darf aber nicht dazu führen, die
gerechte Strafe zu überschreiten; die nachrangigen Strafzumessungsgründe können
ein Übermaß in diesem Sinne niemals rechtfertigen (BGH 20, 266).
Fehlerhaft und daher im Wege der Revision nachprüfbar ist es, wenn der Tatrichter nur 420
ausführt, die Verhängung dieser Anzahl von Tagessätzen sei »üblich«. Eine Straftaxe
für vergleichbare Fälle ist unzulässig, weil sie in der Regel der Person des Täters und
den Umständen seiner Tat nicht gerecht wird. Vergleichbare Fälle können daher nur als
Orientierung dienen, jedoch nicht einen verbindlichen Maßstab liefern. So ist es nicht
angängig, bei Trunkenheit im Straßenverkehr die Strafe nach bestimmten Straftaxen
entsprechend dem Grad der Alkoholbeeinflussung zu bemessen. Straftaxen wie außerprozessuale Strafabsprachen zwischen Richtern verkennen die »prinzipgerechte Unerreichbarkeit einer einheitlichen Strafe« (Jagusch NJW 1970, 401). Bedenklich ist es
auch, wenn zur Begründung des Strafmaßes auf »in ähnlichen Fällen verhängte Strafen«
oder »die ständige Spruchpraxis des Gerichts in vergleichbaren Fällen« Bezug genommen wird; eine solche Begründung kann der Eigenverantwortlichkeit richterlicher
Überzeugungsbildung widersprechen (BGH JR 1979, 382 und dazu Bruns JR 1979, 353).
Von diesen Einschränkungen abgesehen bleibt jedoch die Strafzumessung als Aufga- 421
be tatrichterlichen Ermessens aus gutem Grunde der Revision unzugänglich; das Revisionsgericht muss die Wertung des Tatrichters bis zur Grenze des Vertretbaren
hinnehmen (BGH NJW 1977, 639). Der Tatrichter erhält auf Grund des persönlichen Eindrucks von dem Angeklagten und den Auskunftspersonen in der Hauptverhandlung ein lebensnaheres Bild als der Revisionsrichter, der nur auf die Akten
angewiesen ist. Es spielen hierbei Einzelheiten und Feinheiten des Einfühlungsvermögens eine Rolle, die vielfach in den schriftlichen Urteilsgründen keinen Niederschlag finden können, weil sie sich einer rationalen Erfassung und Nachprüfung
weithin entziehen (Mösl DRiZ 1979, 165). Das Revisionsgericht kann nicht den Maßstab des eigenen Ermessens an die Entscheidung des Tatrichters legen, dessen Ermessen durch sein eigenes ersetzen. Der Tatrichter soll und darf auch nicht durch schematische Zumessungsgründe geknebelt werden. An diesen Grundsatz hat sich der
Bundesgerichtshof insbesondere auch in seinen Entscheidungen zur Revisibilität der
Festsetzung der Tagessatzhöhe gehalten (dazu unten d)).
Die Bemessung der Strafe ist im Allgemeinen der für den Angeklagten wichtigste Teil
des Urteils; besonders wenn er sich schuldig fühlt, ist ihm die rechtliche Beurteilung
oft gleichgültig. Die Frage des Strafmaßes pflegt auch bei der Beratung besonders
genau erwogen zu werden. Dem müssen die Gründe gerecht werden.
143
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
b) Festsetzung der Strafe
422 Das Finden der gerechten Strafe vollzieht sich in drei Schritten: Zunächst ist der gesetzliche Strafrahmen zu bestimmen, der für die abzuurteilende Tat zur Verfügung
steht. Dies ist einfach bei der Verhängung einer Geldstrafe, da hier der Strafrahmen in
der Regel nach § 40 Abs. 1 S. 2 StGB 5 bis 360 Tagessätze beträgt; lediglich bei Bildung einer Gesamtgeldstrafe dürfen nach § 54 Abs. 2 S. 2 StGB bis zu 720 Tagessätze
verhängt werden. Bei der Freiheitsstrafe stößt das Finden des Strafrahmens dagegen
in der Praxis immer wieder auf Schwierigkeiten. Das wird im Abschnitt über die
Freiheitsstrafe (unter e) näher erläutert.
423 Sodann hat sich das Gericht über den Spielraum klar zu werden, innerhalb dessen es
die konkret zu verhängende Strafe zu finden hat. Der Bundesgerichtshof vertritt in
ständiger Rechtsprechung die sog. »Spielraumtheorie« und lehnt die Theorie der
»Punktstrafe« ab (BGH 27, 2).26 Es kommt demnach für den konkreten Fall nicht nur
eine bestimmte Strafe in Betracht, vielmehr gibt es innerhalb des Strafrahmens der
anzuwendenden Vorschrift einen gewissen Rahmen, innerhalb dessen eine Strafe
schon oder noch schuldangemessen ist (BGH 7, 34; 20, 67; 24, 133). Bei einem
»Durchschnittsfall« darf aber nicht etwa das arithmetische Mittel des angewendeten
Strafrahmens verhängt werden; eine solche »mathematisierende Betrachtungsweise«
wird dem Vorgang der Strafzumessung grundsätzlich nicht gerecht (BGH NStZ-RR
2010, 75). Hier ist zu beachten, dass die Schwere eines Falles sowohl an den denkbaren als auch an den praktisch am häufigsten vorkommenden Fällen gemessen werden
kann; die große Mehrzahl der Straftaten erreicht schon wegen der weiten Fassung der
gesetzlichen Tatbestände nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad (BGH 27,
2); dies gilt allerdings nur für den Normalstrafrahmen, nicht bei Strafrahmenverschiebungen (BGH NStZ 1988, 86 mit Anm. Meyer). Während der Richter im Urteil
den Strafrahmen darzulegen hat, von dem er ausgegangen ist (falls sich dieser nicht
ohne weiteres und unzweideutig aus den angewendeten Vorschriften ergibt), braucht
der ins Auge gefasste Spielraum in den Gründen nicht angegeben zu werden. Ob das
Gericht sich im Bereich der noch nicht oder der nicht mehr schuldangemessenen
Strafe gehalten hat, prüft das Revisionsgericht an Hand der mitgeteilten Strafzumessungserwägungen (dazu unter c)) nach.
424 Nach Feststellung des Strafrahmens und nach Abstecken des Schuldrahmens
(oder auch Spielraums) folgt als dritter Schritt die Berücksichtigung der Präventionszwecke, die neben dem Finden der gerechten Strafe innerhalb des Schuldrahmens
zu beachten sind. Hierauf ist allerdings nur einzugehen, wenn Besonderheiten festgestellt sind, die eine Erörterung der Präventionszwecke (z.B. Verteidigung der Rechtsordnung) notwendig machen.
c) Strafzumessungstatsachen und -erwägungen
425 In den Gründen müssen zunächst die Tatsachen angegeben werden, die für die Strafzumessung von Bedeutung waren. Sodann hat das Gericht auf Grund der festgestellten Tatsachen abzuwägen, welche Umstände für und gegen den Angeklagten spre26 Die beiden Theorien sind praktisch nicht weit voneinander entfernt, da auch die Vertreter der
Punktstrafentheorie – nach deren Ansicht sich die »richtige« Strafe in einer bestimmten Zahl niederschlägt – nicht dahin missverstanden werden wollen, die Strafe lasse sich mathematisch (rechnerisch) fixieren (vgl. Bruns NJW 1979, 289).
144
II. Verurteilung
chen. Dabei reicht es grundsätzlich nicht aus, diese Umstände nur aufzuzählen. Abwägen heißt, die Strafzumessungstatsachen dahin zu prüfen, ob sie schärfend oder
mildernd zu werten sind. Die Gründe müssen also erkennen lassen, dass das Gericht
die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abgewogen hat.
Dabei ist es zwar nicht ausgeschlossen, einen Umstand sowohl zugunsten als auch zu
Lasten des Täters zu werten (BGH NJW 1995, 1038 mit kritischer Anm. Joerden JZ
1995, 907 und im Grundsatz zust. Anm. Streng StV 1995, 411). Es ist jedoch darauf
zu achten, dass daraus nicht Folgerungen gezogen werden, die nicht miteinander in
Einklang gebracht werden können, z.B. einerseits (strafmildernd), dass das Tatopfer
bei dem Täter Hoffnungen auf einen einverständlichen Geschlechtsverkehr geweckt,
andererseits (strafschärfend), dass der Täter das ihm entgegengebrachte Vertrauen
gröblich missachtet habe (BGH StV 1987, 62).
Bei einer Vielzahl von Taten ist es zulässig und in der Regel auch empfehlenswert, 425a
diejenigen Erwägungen, die für alle Fälle in gleicher Weise gelten, »vor die Klammer
zu ziehen« und dann bei den einzelnen Taten nur noch die fallbezogenen besonderen
Zumessungserwägungen anzustellen. Im Regelfall ist es auch zulässig, bei einer mehrfach erforderlichen Gesamtabwägung der Strafzumessungsgründe (Findung des
Strafrahmens/Strafzumessung im engeren Sinne; Einzelstrafen/Gesamtstrafe) auf die
einmal dargestellten Gründe zu verweisen und dann nur noch die in dieser Stufe erforderliche Abwägung zu treffen.
Die Grundsätze für die Strafbemessung enthält § 46 StGB. Danach ist die Schuld die 426
»Grundlage« für die Zumessung der Strafe. Das bedeutet, dass der Sinn der Strafe
nicht allein darin besteht, dass sie die Schuld des Täters ausgleicht. Es kommt ihr nur
das entscheidende Gewicht zu. Die Strafe hat also in ihrem Wesen Schuldstrafe zu
sein. Daneben dient sie aber auch dem Zweck, künftige Straftaten zu verhüten, z.B.
dadurch, dass der Täter und andere davor abgeschreckt werden, derartige Taten zu
begehen (»Einwirkung auf den Täter«, §§ 46 Abs. 1 S. 2, 47 Abs. 1 StGB und »Verteidigung der Rechtsordnung«, §§ 47 Abs. 1, 56 Abs. 3 StGB). Die Berücksichtigung
dieser sonstigen Aufgaben der Strafe (Abschreckung = Generalprävention und Spezialprävention) kann zur Erhöhung, aber auch zur Ermäßigung derjenigen Strafe führen, die der Richter als die der Schuld angemessene Strafe ansehen würde. Eine höhere Strafe darf aus Gründen der Generalprävention aber nur verhängt werden, wenn
bereits eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie
sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist (BGH NStZ-RR 2013, 240); hierzu
müssen in den Urteilsgründen Tatsachen (z.B. statistisches Material) angegeben werden (BayObLG NStZ 1988, 570).
Die Grundsätze des § 46 StGB sind gute Richtlinien für den Inhalt der Strafzumes- 427
sungsgründe. Welche Umstände bei der Zumessung abzuwägen sind, bestimmt § 46
Abs. 2. Der Katalog enthält Umstände innerhalb und außerhalb der Tat. Diese Umstände können strafmildernd oder strafschärfend sein; sie sind insoweit zu werten
und unter sich abzuwägen. Ihre Aufzählung beansprucht keine Vollständigkeit. Der
Richter kann an Hand des Falles auch sonstigen Umständen eine Bedeutung für die
Strafzumessung beimessen.
Grundlagen der Strafzumessung sind damit die Bedeutung der Tat für die verletzte 428
Rechtsordnung und der Grad der in ihr zutage getretenen persönlichen Schuld, nicht
die sonstige Gesinnung und der allgemeine Charakter des Täters. Nur soweit das außerhalb der Tatausführung liegende Verhalten und die Lebensführung des Angeklag145
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
ten mit der Straftat zusammenhängen, wenn sie z.B. Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren, ist ihre Berücksichtigung zulässig. Wo sie aber in der bezeichneten Richtung
nichts auszusagen vermögen, verstößt ihre straferschwerende Verwertung gegen die
Grundsätze rechtsstaatlichen Strafens. Allgemeine Vorwürfe gegen die Lebensführung des Täters dürfen nicht strafschärfend verwertet werden. Insbesondere sind moralisierende und persönliches Engagement vermittelnde Formulierungen zu vermeiden, da sie den Eindruck erwecken können, das Gericht sei nicht unbefangen und
wäge die für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte nicht ruhig
und sachlich gegeneinander ab (BGH NStZ 2006, 96; NStZ-RR 2007, 195)27. Verschuldete Auswirkungen der Tat liegen nur vor, wenn sie vom Täter mindestens vorausgesehen werden konnten und ihm vorzuwerfen sind (BGH NStZ-RR 2006, 372).
429 Die Strafzumessung beruht auf einer Ganzheitsbetrachtung von Tatgeschehen und
Täterpersönlichkeit, einer Gesamtschau der Tatumstände im weitesten Sinne sowie
der Persönlichkeit des Täters. Ohne die Kenntnis der Täterpersönlichkeit lässt sich
weder das Maß der persönlichen Schuld eines Täters noch Maß und Art seiner Resozialisierungsbedürftigkeit beurteilen (BGH 7, 31). Es muss daher in der Regel näher
auf die Persönlichkeit des Täters, seinen Werdegang, seine charakterlichen, beruflichen und sozialen Verhältnisse, aber auch die Umstände und die Beweggründe der
Tat eingegangen werden. § 267 Abs. 3 S. 1 StPO schreibt vor, dass die Umstände angeführt werden sollen, die für die Zumessung der Strafe »bestimmend« gewesen sind.
Eine erschöpfende Aufzählung aller dieser Umstände ist aber nicht erforderlich, auch
kaum möglich. Es muss vielmehr die Angabe der hauptsächlich maßgebenden Gründe genügen. Insbesondere ist es daher auch nicht erforderlich, alle in § 46 StGB aufgeführten Umstände ausdrücklich in den Gründen abzuhandeln (BGH NStZ 2006,
227). Es ist auf die entscheidenden Strafzumessungsgesichtspunkte abzustellen; allzu
große Breite und Weitschweifigkeit kann gefährlich sein und zu unzulässigen Erwägungen (z.B. Tatbestandsmerkmale als Zumessungsgründe) führen. Allerdings müssen nahe liegende Strafmilderungsgründe erörtert werden, z.B. der lange Zeitraum
zwischen Tat und Aburteilung, wenn die Verfahrensverzögerung nicht dem Angeklagten anzulasten ist und er weitere Straftaten in diesem Zeitraum nicht begangen
hat (BGH NStZ 1988, 552; näher dazu unten Rn. 489). Bei der Strafzumessung im
Einzelnen ist es gestattet, auf die Umstände, die schon zur Bestimmung des Strafrahmens gedient haben, zurückzukommen (vgl. Rn. 425a); je eingehender die bestimmenden Strafzumessungserwägungen schon bei der Prüfung eines besonders schweren oder minder schweren Falls erörtert worden sind, desto eher ist eine Bezugnahme
hierauf ausreichend (BGH NStZ 1997, 337).
430 Besondere Sorgfalt ist auf die Darstellung der Strafzumessungsgründe zu verwenden,
wenn das Gericht sich am unteren oder oberen Rand des Strafrahmens bewegt oder
gar die gesetzliche Mindest- oder Höchststrafe verhängt. Extrem hohe oder niedrige
Strafen bedürfen einer Rechtfertigung in den Gründen, die die Abweichung vom Üblichen an den Besonderheiten des Falls verständlich macht (BGH NStZ-RR 2013,
108). Bei Verhängung der Höchststrafe müssen die Gründe im Regelfall ergeben, dass
der Richter das Vorhandensein mildernder Umstände in seine Prüfung einbezogen
hat, mag er deren Vorliegen oder deren Auswirkungen auf die Strafhöhe auch im Er27 Vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Persönlichkeit 1: der Angeklagte sei »ein in jeder Hinsicht gescheiterter Mensch, ein Niemand« und »ein im sozialen Sinne höchst lästiger Mensch«.
146
II. Verurteilung
gebnis verneinen (BGH bei Spiegel DAR 1981, 190). Die Höchststrafe rechtfertigt
nur ein »denkbar schwerer Fall«, bei dem Milderungsgründe schlechterdings nicht
ins Gewicht fallen. Die Höchststrafe ist also nicht nur für den »denkbar schwersten
Fall« vorgesehen – dann könnte sie nämlich praktisch nie verhängt werden, weil
kaum auszuschließen sein wird, dass ein noch schwererer Fall denkbar ist –, sondern
deckt den ganzen Bereich denkbar schwerer Fälle ab, in denen keine Milderungsgründe eingreifen (Mösl DRiZ 1979, 166). Enthält ein Urteil, das auf die Höchststrafe
erkannt hat, keine Milderungsgründe, so kann das Revisionsgericht allerdings in der
Regel davon ausgehen, dass der Richter keine Milderungsgründe gefunden hat. Der
formelhaften Darlegung, Strafmilderungsgründe hätten sich nicht finden lassen, bedarf es nicht (BGH bei Holtz MDR 1978, 623). Entsprechend ist die Mindeststrafe
nur in den denkbar leichtesten Fällen schuldangemessen, d.h. wenn die Schuld an der
unteren Grenze der praktisch vorkommenden Durchschnittsfälle liegt (BGH NStZ
1984, 359 mit Anm. Zipf). Dabei können auch vorliegende strafschärfende Momente
völlig durch die Strafmilderungsgründe ausgeglichen werden (BGH NStZ 1984, 410;
1988, 497).
Bei der Darstellung der Strafzumessungsgründe ist stets darauf zu achten, dass sich 431
keine unauflösbaren Widersprüche ergeben. So ist es z.B. widersprüchlich, wenn
dem Angeklagten einerseits zum Vorwurf gemacht wird, er habe nie ernsthafte Anstrengungen gemacht, gegen seine Drogensucht anzukämpfen, andererseits aber festgestellt wird, er habe vergeblich versucht, aus eigener Kraft von seiner Sucht loszukommen; oder bei einer Verurteilung aus § 176 StGB festzustellen, die betroffenen
Mädchen hätten durch die sexuellen Handlungen des Angeklagten keinen seelischen
Schaden erlitten, den Angeklagten aber härter zu bestrafen, weil er den Mädchen
möglicherweise geschadet haben könnte (Mösl NStZ 1981, 132; 1984, 492 mit weiteren Beispielen).
Besondere Sorgfalt erfordert auch die Frage, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich oder eine 432
Schadenswiedergutmachung im Sinne des § 46a StGB stattgefunden hat. § 46a Nr. 1
StGB bezieht sich vor allem auf den Ausgleich immaterieller Folgen, während Nr. 2
den materiellen Schadensausgleich betrifft (BGH NStZ-RR 2006, 373); beide Alternativen des § 46a StGB können aber auch zusammentreffen (BGH NJW 2001, 2557).
Die Ausgleichsbemühungen nach Nr. 1 setzen einen »kommunikativen Prozess« zwischen geständigem Täter und Opfer voraus; ein einseitiges Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht (BGH 48,
134; NStZ 2006, 275), ebenso wenig ein Entschuldigungsschreiben des Täters (BGH
NStZ 1999, 610). In Nr. 2 reicht die Schadenswiedergutmachung allein nicht aus;
vielmehr muss diese von dem Angeklagten erhebliche persönliche Leistungen oder
persönlichen Verzicht erfordert haben, um eine Privilegierung reicher Täter zu vermeiden; der Täter muss somit einen über die rechnerische Kompensation hinausgehenden Beitrag leisten (BGH NStZ 2000, 206). Dass der Täter die Leistungen erst nach
Aufforderung durch den Geschädigten erbracht hat, steht der Anwendung der Vorschrift aber nicht von vornherein entgegen (BGH NStZ 1995, 284). Liegen Anhaltspunkte zur Anwendung des § 46a StGB vor, muss sich der Richter im Urteil damit auseinandersetzen, warum er eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB
vorgenommen oder warum er davon abgesehen hat (BGH NStZ-RR 2006, 373).
Ebenso müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, ob das Gericht gegebenenfalls 432a
eine Aufklärungshilfe nach § 46b StGB beachtet hat. Danach kommt eine Strafrah147
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
menverschiebung über § 49 Abs. 1 StGB insbesondere dann in Betracht, wenn ein
Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens dazu beiträgt, dass eine Katalogtat
nach § 100a Abs. 2 StPO, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht (zur Rechtslage
für vor dem 1. August 2013 begangene Taten vgl. BGH, Beschl. v. 17.9.2013 – 3 StR
209/13), aufgedeckt oder verhindert wird. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift muss die
Aufklärungshilfe noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 StPO) erfolgen.
d) Geldstrafe
433 Aus den Urteilsgründen muss sich ergeben, worauf die Festsetzung der Zahl der Tagessätze (§ 40 Abs. 1 StGB) und der Höhe eines Tagessatzes (§ 40 Abs. 2 und 3 StGB)
beruht. Die Bemessung der Zahl der Tagessätze ist von der Höhe zu trennen; daher
ist auch die Festsetzung der Höhe allein mit der Revision anfechtbar (BGH 27, 70).
Allerdings kann die Festsetzung der Zahl der Tagessätze insofern Einfluss auf die
Höhe des Tagessatzes haben, als es sachgerechter Strafzumessung entsprechen kann,
einer unverhältnismäßigen Steigerung der Strafwirkung durch eine Verringerung der
Höhe des Tagessatzes zu begegnen (BGH 26, 330). Umgekehrt kann es ausnahmsweise erforderlich sein, bei einer geringen Anzahl von Tagessätzen den Tagessatz zu
erhöhen, damit die Geldstrafe insgesamt nicht in einem völlig unangemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Straftat steht (OLG Hamburg NStZ 2001, 655).
434 Für die Bemessung der Tagessatzzahl sind allein die Gründe des § 46 StGB maßgebend (BGH NStZ 1989, 178); die Anzahl der Tagessätze richtet sich nach dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schuld des Täters; die finanzielle Belastbarkeit des Täters
bleibt hier außer Betracht. Eine – wegen § 43 StGB (ein Tagessatz gleich ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe) zulässige und gebotene – Hilfe ist es hierbei, die Überlegung anzustellen, welche Freiheitsstrafe angemessen wäre, falls gegen den Täter keine Geldstrafe, sondern Freiheitsstrafe zu verhängen wäre (BGH 27, 70). Im Übrigen gelten die
vorstehenden Ausführungen zu c) in gleicher Weise für die Festsetzung der Tagessatzzahl der Geldstrafe wie für die Verhängung einer Freiheitsstrafe.28
435 Bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe gem. § 40 Abs. 2 S. 1 StGB ist in der Regel
vom Nettoeinkommen des Angeklagten auszugehen, das dieser an einem Tag hat
oder haben könnte (Nettoeinkommensprinzip). § 40 Abs. 2 StGB zwingt das Gericht
nicht dazu, das Nettoeinkommen des Angeklagten mathematisch genau zu berechnen
und stellt auch nicht einzelne – vom Revisionsgericht nachzuprüfende – starre Kriterien für die Errechnung des Nettoeinkommens auf, so dass auch bei vollkommen
gleichartiger tatsächlicher Beurteilungsgrundlage das rechtlich einwandfrei ausgeübte
Ermessen des Tatrichters zu unterschiedlicher Bewertung führen kann (BGH 27, 212).
436 Die Festsetzung des Tagessatzes ist also kein bloßer Rechenvorgang mit nach bestimmten Grundsätzen festzustellenden Größen, sondern eine urteilende, alle maßgeblichen Umstände wertende Aufgabe des Tatrichters. Dabei muss der Richter aber
die seiner Berechnung zugrunde liegenden Umstände darlegen und die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters rechtsfehlerfrei berücksichtigen (BGH
NStZ 1989, 178). Der Richter darf die anhand des festgestellten Nettoeinkommens
errechnete Höhe des Tagessatzes nicht nach freiem Ermessen, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen senken: Die Feststellung einer unangemessenen wirt28 Probleme bei der Bemessung der Mindest- und Höchstgeldstrafe behandelt Horn NStZ 1990,
270.
148
II. Verurteilung
schaftlichen Härte ist der einzige von der Rechtsprechung anerkannte Grund, zugunsten des Angeklagten vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen (BGH bei
Spiegel DAR 1981, 191).
Welche Verpflichtungen des Angeklagten zu berücksichtigen sind, hat der Tatrichter 437
nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Er muss nur in den Gründen angeben, ob und in welchem Umfang er Verpflichtungen berücksichtigt hat, damit das
Revisionsgericht prüfen kann, ob alle für die Bemessung des Tagessatzes bedeutsamen Umstände erwogen sind. Die dabei vorgenommene Wertung muss das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinnehmen.29 Der Tatrichter wird also
etwa angemessen berücksichtigen, dass der Angeklagte mit einer nicht-berufstätigen
»Nur-Hausfrau« verheiratet ist, und vor allem, ob Unterhaltsverpflichtungen gegenüber ehelichen oder nichtehelichen Kindern bestehen. Bei der Überlegung, welche
Beträge vom Nettoeinkommen des Angeklagten dabei abzuziehen sind, kann sich der
Richter der von verschiedenen Oberlandesgerichten herausgegebenen (regelmäßig in
der NJW veröffentlichten) unterhaltsrechtlichen Leitlinien bedienen; andererseits
wird er berücksichtigen, ob der Angeklagte Kindergeld erhält. Schuldzinsen und Abzahlungsraten werden normalerweise bei der Bemessung der Tagessatzhöhe außer
Betracht bleiben, während überdurchschnittliche Verpflichtungen auf wirtschaftlich
angemessener Grundlage – wie Aufwendungen für Familieneigenheime – zu berücksichtigen sein werden (vgl. BayObLG StV 1999, 651). Steuerschulden vermindern das
Einkommen nur für den Zeitraum ihrer Fälligkeit (OLG Hamm JR 1978, 165; a.A.
Grebing JR 1978, 142); Steuerrückstände, die durch vorsätzliche Steuerhinterziehung
entstanden sind, bleiben außer Betracht (OLG Stuttgart NJW 1995, 67). Einkünfte
aus Vermögenswerten können berücksichtigt werden, auch wenn sie dem Angeklagten nur mittelbar zufließen (BGH NStZ 1993, 34 mit Anm. Krehl NStZ 1993, 336).
Zur Berücksichtigung von Verbindlichkeiten vgl. im Übrigen Krehl NStZ 1989, 463.
Hat der Täter ein Einkommen, so bestimmt sich die Höhe des Tagessatzes nicht nach 438
der Zahl der Arbeitstage, sondern nach allen in den Einkommenszeitraum fallenden
Tagen; beim Monatseinkommen müssen also 30 Tage berücksichtigt werden (BGH
bei Holtz MDR 1979, 454). Zum Einkommen gehören die klassischen Einkommensarten des Steuerrechts einschließlich der Naturalbezüge (insbesondere freie Kost und
Wohnung) und weitere Vermögenszuflüsse wie Renten, Versorgungsbezüge, Unterhalt und sonstige regelmäßige Zuwendungen Dritter. Nicht zum Nettoeinkommen
gehören dagegen die laufenden Steuern, bei Unselbständigen die Sozialversicherungsbeiträge, bei Selbständigen die Betriebsausgaben, Verluste, Werbungskosten,
Alters- und Krankenversicherungen (D. Meyer MDR 1981, 275 f.). Bei Tätern mit
wechselndem Einkommen ist nicht auf das momentane – zur Zeit der Urteilsfällung
erzielte –, sondern auf das durchschnittliche Einkommen abzustellen. Zur Frage, un29 Der BGH hat aber auf Revision der Staatsanwaltschaft die Festsetzung des Tagessatzes auf
35 DM bei einem Angeklagten beanstandet, der mit Ehefrau und Tochter im elterlichen Schuhgeschäft tätig war und ihm monatlich zusammen mit seiner Ehefrau 2.000 DM entnahm, dabei aber
nebenbei einen Briefmarkenversandhandel betrieb. Der BGH rügte, dass die Strafkammer keine
Feststellungen über die Einkünfte aus dem Briefmarkenhandel getroffen hatte und zudem offenbar der Ansicht war, sie sei bei der Berechnung des Tagessatzes an die angegebene monatliche
Entnahme gebunden: Das Landgericht habe das Einkommen des Angeklagten unabhängig davon
festzustellen, welcher tatsächlichen Verwendung er es zuführe, ob er Mittel teilweise im Betrieb
stehenlasse oder ob er damit Verpflichtungen irgendwelcher Art erfülle (BGH bei Spiegel DAR
1980, 199).
149
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
ter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe ein größeres Vermögen des Täters
neben seinem Nettoeinkommen zur Bemessung des Tagessatzes heranzuziehen ist,
vgl. OLG Celle NStZ 1983, 315 mit Anm. Schöch; BayObLG VRS 73, 39; Krehl
NStZ 1988, 62.
439 Wird das Einkommen geschätzt, so ist die Schätzung im Urteil zu begründen (BGH
NJW 1976, 1275); die Schätzung muss auf einer konkreten Grundlage beruhen (OLG
Celle NJW 1984, 185; Grebing JR 1978, 142), wobei die Erfahrung des Gerichts in
vergleichbaren Fällen zugrunde gelegt werden kann. Aus dem Urteil muss jedenfalls
klar ersichtlich sein, ob das Gericht von der sicheren Feststellung eines bestimmten
Einkommens ausgegangen ist oder das Einkommen geschätzt hat.
Soweit der Täter ein tatsächliches Einkommen hat, ist dies zu ermitteln oder auf der
Grundlage konkreter Berechnung gem. § 40 Abs. 3 StGB zu schätzen. Die Annahme
eines möglichen Einkommens im Sinne der 2. Alternative des § 40 Abs. 2 S. 2 StGB
(»haben könnte«) kommt nur dann in Betracht, wenn der Täter keinen Verdienst hat
oder seine Erwerbskraft bewusst herabsetzt (KG StV 2000, 203).30
440 Schwierigkeiten ergeben sich besonders bei einkommensschwachen oder einkommenslosen Angeklagten, wie Studenten, Wehrpflichtigen, Arbeitslosen, Hausfrauen
und Sozialhilfeempfängern. Bei Studenten stellt der »Monatswechsel« oder das sonstige monatliche Einkommen die Berechnungsgrundlage dar; soweit der Student bei
seinen Eltern wohnt, sind die »Naturalbezüge« in Geld umzurechnen. Eine generelle
gesetzliche Verpflichtung zur Ferienarbeit gibt es nicht (OLG Frankfurt NJW 1976,
635; OLG Köln NJW 1976, 636). Nebeneinkünfte aus Nebentätigkeiten und Ferienarbeit sind nur zu berücksichtigen, wenn sie tatsächlich erzielt werden (zur Berücksichtigung ausbildungsbedingter Kosten vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1988, 500). Bei
Hausfrauen (oder Hausmännern), die nicht berufstätig sind, hat das Strafgericht die
nach § 1360 S. 2 BGB getroffene Entscheidung zu respektieren. Für die Zugrundelegung eines hypothetischen – eventuell durch zumutbare Teilzeitbeschäftigung zu erzielenden – Einkommens ist demnach auch dann kein Raum, wenn keine Kinder zu
versorgen sind (OLG Köln NJW 1979, 277; zust. D. Meyer MDR 1979, 899; 1986,
103; dagegen Baumann JZ 1979, 411; NStZ 1985, 393). Einkommen der Hausfrau ist
der ihr tatsächlich zufließende Anteil am Familieneinkommen unter Einschluss des
Taschengeldes; es ist also vom tatsächlich geleisteten Unterhalt und nicht von einem
als angemessen erscheinenden fiktiven Betrag auszugehen (BayObLG NStZ 1988,
499 mit Anm. Terhorst). Bei Arbeitslosen ist die empfangene Arbeitslosenunterstützung oder Arbeitslosenhilfe die Berechnungsgrundlage. Zu beachten ist stets, ob die
Arbeitslosigkeit nicht nur vorübergehend ist; dann ist nämlich darauf abzustellen,
welches Einkommen der Arbeitslose in seinem erlernten Beruf haben könnte
(BGH bei Dallinger MDR 1975, 541) oder was er demnächst verdienen wird (OLG
Hamburg NJW 1975, 2030). Dabei darf aber nur eine nach den Umständen auch
zumutbare Erwerbsmöglichkeit in Betracht gezogen werden. Bei freiwillig Wehrdienstleistenden ist zu beachten, dass diese neben dem Wehrsold auch Naturalbezüge beziehen. Bei Sozialhilfeempfängern bestimmt sich die Tagessatzhöhe nach
dem für ihn geleisteten Sozialhilfebetrag (OLG Düsseldorf NJW 1994, 744; zur
30 So ist etwa bei einem auf dem elterlichen landwirtschaftlichen Anwesen gegen freie Kost und
Logis und ein Taschengeld mitarbeitenden Angeklagten nicht von § 40 Abs. 2 S. 2. 2. Alt. StGB
auszugehen; ein solcher Angeklagter hat ein Einkommen (OLG Köln VRS 57, 272).
150
II. Verurteilung
Bemessung im Einzelnen vgl. OLG Stuttgart NJW 1994, 745; OLG Hamburg NStZ
2001, 655). Zur Bemessung der Tagessatzhöhe bei einem Strafgefangenen vgl. BayObLG VRS 71, 178.
Die Geldstrafe soll für den Bestraften zwar ein fühlbares Strafübel sein. Würde die 441
einmalige Erbringung für ihn aber eine unzumutbare Belastung darstellen, so muss
das Gericht von § 42 StGB Gebrauch machen und dem Verurteilten die Teilzahlungsbefugnis gewähren. Das wird in der Regel der Fall sein, wenn die festgesetzte
Geldstrafe ein Monats-Nettoeinkommen des Verurteilten übersteigt (OLG Schleswig
JR 1980, 425). Wird ausdrücklich ein Antrag auf Ratenzahlungsbewilligung gestellt,
so wird die Versagung von Teilzahlungen im Urteil zu begründen sein (Zipf JR 1980,
426). Hat der Tatrichter die Anordnung einer Teilzahlungsbefugnis vergessen, so
kann sie das Revisionsgericht gewähren, wenn das Urteil hierfür ausreichende Feststellungen enthält (BGH JR 1979, 73). § 42 StGB sieht außer der Teilzahlungsbefugnis auch die Einräumung einer Zahlungsfrist vor; von dieser Möglichkeit wird in der
Praxis aber nur höchst selten Gebrauch gemacht.
Ob der Richter gemäß § 41 StGB neben einer Freiheitsstrafe Geldstrafe verhängt, 442
steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Wenn er es nicht tut, muss er das in der
Regel nicht ausdrücklich erwähnen oder begründen. Anders ist es, wenn die Anwendung des § 41 naheliegt, weil der Angeklagte durch die Tat z.B. ein beträchtliches
Vermögen erworben hat.
Gemäß § 43a Abs. 1 S. 1 StGB konnte neben lebenslanger oder zeitiger Freiheitsstrafe 443
von mehr als 2 Jahren bei Straftatbeständen, die eine entsprechende Verweisung enthalten (z.B. §§ 244 Abs. 3, 244a Abs. 3 StGB), auf eine Vermögensstrafe erkannt
werden. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch mit Urteil vom 20. März 2002 die
Vorschrift – weil mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar – für verfassungswidrig erklärt (NJW 2002, 1779).
e) Freiheitsstrafe
aa) Strafrahmen. Das Strafgesetz kennt nur wenige bestimmte Strafen, wie etwa die 444
lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord (auch hier kann jedoch nach der Entscheidung
des Großen Senats des BGH für Strafsachen – BGH 30, 105 – bei Vorliegen »außergewöhnlicher Umstände« in Fällen heimtückischer Tötung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheinen und daher der Strafrahmen
des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzuwenden sein31). Sonst stellt es nur Strafrahmen auf
(z.B. § 263 Abs. 1 StGB: 1 Monat bis 5 Jahre). Strafrahmen werden durch die Bestimmungen für besonders schwere Fälle (z.B. § 263 Abs. 3 StGB) oder minder
schwere Fälle (z.B. § 250 Abs. 3 StGB) verändert. Ferner kann sich durch die Anwendung des § 49 StGB (z.B. über §§ 21, 23 Abs. 2, 27 Abs. 2 S. 2, 113 Abs. 4, 157,
158 Abs. 1 StGB) der Strafrahmen verschieben. Da somit für einen Fall verschiedene
Strafrahmen in Frage kommen können, muss der Richter zunächst die Frage entscheiden, von welchem Strafrahmen er ausgehen will; erst danach hat er die Strafzumessung im engeren Sinn vorzunehmen (BGH NStZ 1983, 407; 1984, 357). Es ist
daher ein materiell-rechtlicher Fehler, wenn die Urteilsgründe nicht erkennen lassen,
von welchem Strafrahmen das Gericht ausgegangen ist oder wenn es die Möglichkeit
31 Diese »außerordentliche« Strafmilderungsmöglichkeit ist jedoch nur dann gegeben, wenn andere
gesetzliche Milderungsgründe nicht eingreifen, BGH 48, 255.
151
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
der Anwendung verschiedener Strafrahmen nicht erkennt. Der angewandte Strafrahmen muss sich also klar aus den Urteilsgründen ergeben (OLG Düsseldorf VRS 99,
454; OLG Karlsruhe NJW 1980, 133), so z.B., ob § 49 Abs. 1 i.V.m. § 21 StGB angewendet worden ist oder ob gem. § 49 Abs. 2 StGB gemildert wurde oder warum
nicht. Aus den Gründen muss sich auch ersehen lassen, dass der Tatrichter im Fall
einer gesetzlich vorgeschriebenen Strafmilderung (z.B. nach §§ 27 Abs. 2 S. 2, 30
Abs. 1 S. 2 StGB) von dem geänderten Strafrahmen ausgegangen ist; denn nur dann
kann das Revisionsgericht nachprüfen, ob sich das Tatgericht der Notwendigkeit, die
Strafe zu mildern, bewusst war. Besonders häufig wird übersehen, dass bei unechten
Unterlassungsdelikten gem. § 13 Abs. 2 StGB die Möglichkeit der Strafmilderung
besteht; bei der Verurteilung wegen eines solchen Delikts müssen die Gründe daher
erkennen lassen, ob der Richter die hier erforderliche Gesamtabwägung vorgenommen hat32 und von welchem Strafrahmen er ausgegangen ist. Ein häufiger Fehler ist
ferner, dass die Möglichkeit übersehen wird, einen minder schweren Fall (etwa nach
§ 213 oder § 249 Abs. 2 StGB) allein deswegen anzunehmen, weil beim Täter erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorlag oder die Tat nur versucht (§§ 22,
23 Abs. 2 StGB) worden ist (BGH NStZ 1985, 547).
Beispiel: Bei einer Verurteilung wegen eines Verbrechens des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr unter den erschwerenden Voraussetzungen des § 315 b Abs. 3 StGB kann dem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf dreierlei Weise Rechnung getragen werden:
1. Es kann gem. § 21 StGB der nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB gemilderte Regelstrafrahmen des
§ 315 b Abs. 3 StGB angewendet werden (= 3 Monate bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe);
2. es kann ein minder schwerer Fall im Sinne des § 315 b Abs. 3 StGB angenommen werden
(= 6 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe);
3. es kann vom Regelstrafrahmen des § 315 b Abs. 3 StGB (= 1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe) ausgegangen und innerhalb dieses Rahmens die verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten als allgemeiner Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden.
Angesichts der erheblichen Divergenz der Strafrahmen muss das Urteil daher deutlich machen, von welcher der drei Möglichkeiten das Gericht Gebrauch gemacht hat.
Oder:
Bei einer im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen Beihilfe zum versuchten
Mord können sich folgende Strafrahmen ergeben:
Zwingende Strafmilderung gem. § 27 StGB: Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB 3 bis 15 Jahre.
Wird nun auch noch nach § 21 StGB gemildert, so verschiebt sich der Strafrahmen gem. § 49 Abs. 1
Nr. 2 und 3 2. Alt. StGB auf 6 Monate bis 11 Jahre 3 Monate. Wird auch die Milderungsmöglichkeit
des § 23 Abs. 2 StGB angewendet, so ergibt sich gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 und 3 3. Alt. StGB ein Strafrahmen von 1 Monat bis zu 8 Jahren 5 Monate. Über § 47 Abs. 2 StGB kann dann sogar eine Geldstrafe verhängt werden.
445 Kommt die Anwendung eines sog. »vertypten Strafmilderungsgrundes« – wie z.B.
§§ 21, 23 Abs. 2, 27 Abs. 2 S. 2 StGB – in Betracht und ist zugleich zu prüfen, ob ein
minder schwerer Fall (z.B. nach § 213, 250 Abs. 3 StGB) vorliegt, so empfiehlt es
32 Ob das Unterlassen gem. § 13 Abs. 2 StGB milder zu beurteilen ist, kann nicht allein am Maßstab
durchschnittlichen rechtstreuen Verhaltens ermittelt werden. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtabwägung, bei der auch die näheren Umstände der Tat und die für die Bewertung des Unrechtsgehalts der Unterlassung entscheidenden subjektiven Gesichtspunkte zu berücksichtigen
sind (BGH JR 1982, 464 mit Anm. Bruns), also nicht nur die unterlassensbezogenen Gesichtspunkte (BGH NJW 1998, 3068).
152
II. Verurteilung
sich, zunächst die gesetzlich nicht typisierten Milderungsgründe (z.B. Reue, Geständnis, besondere persönliche Situation des noch jungen, unausgereiften Täters,
Verwendung einer Schreckschusspistole statt einer scharfen Waffe) heranzuziehen
und zu klären, ob bereits sie ausreichen, um einen minder schweren Fall anzunehmen. Reichen sie aus, so ist der gesetzlich besonders benannte Milderungsgrund (z.B.
§ 21 StGB) nicht verbraucht und kann (oder muss, z.B. bei § 27 StGB) über § 49
StGB zu einer weiteren Strafrahmenverschiebung führen (BGH NStZ-RR 2008, 105).
Reichen die allgemeinen Milderungsgründe nicht aus und rechtfertigt erst die zusätzliche Heranziehung des benannten Milderungsgrundes – oder er allein, wobei es
gleichgültig ist, ob es sich um einen fakultativen (z.B. § 23 StGB) oder obligatorischen (z.B. § 30 StGB) Milderungsgrund handelt (BGH NStZ 1987, 72) – den minder
schweren Fall, so entfaltet § 50 StGB seine Sperrwirkung (BGH bei Holtz MDR
1985, 793; NJW 1986, 1699). Allerdings hindert die Einordnung der Tat in einem
milderen Strafrahmen aufgrund eines vertypten Strafmilderungsgrundes nicht, die
den jeweiligen Milderungsgrund konkretisierenden Umstände – wenn auch mit minderem Gewicht – bei der eigentlichen Strafzumessung nochmals zu berücksichtigen;
nur der die Milderung des Strafrahmens bewirkende Grund als solcher scheidet als
Zumessungserwägung aus (BGH NStZ 1984, 548). Der Richter muss also, nachdem
er den Strafrahmen bestimmt hat, bei der Strafzumessung im engeren Sinn erneut eine
Gesamtbewertung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vornehmen (BGH NStZ 1985, 164).
Wegen eines »vertypten« Strafmilderungsgrundes – z.B. weil die Tat im Versuch steckengeblieben ist – kann auch ein minder schwerer Fall angenommen und dann wegen eines anderen »vertypten« Grundes – z.B. wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit – innerhalb des für den minder schweren Fall gegebenen Strafrahmens
gemildert werden (BGH NStZ-RR 2008, 105). Da der Anwendungsbereich des § 50
StGB auf die dort ausdrücklich geregelten Fälle der Doppelverwertung eines gesetzlichen Milderungsgrundes nach § 49 StGB beschränkt ist (BGH 27, 298), ist es zulässig, die Strafe zweimal zu mildern, wenn neben einem gesetzlichen Milderungsgrund
ein weiterer Strafmilderungsgrund gegeben ist (BGH MDR 1980, 241; Bruns JR 1980,
227).
Beispiele: Die Strafkammer hat zulässigerweise wegen des Beweggrundes des Angeklagten zur Tat
einen minder schweren Fall des § 316 a StGB angenommen und die Strafe gem. §§ 21, 49 Abs. 1
StGB gemildert (BGH MDR 1981, 241).
Oder:
Die Strafkammer nimmt wegen der besonderen Umstände der Tat einen minder schweren Fall des
§ 250 StGB an; dann muss sie die Strafe weiter gem. §§ 27 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 StGB mildern (BGH
GA 1980, 255; NStZ 1987, 72).
Oder:
Die Strafkammer bejaht wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten einen minder schweren Fall nach § 213 2. Alt. StGB; dann kann sie die Strafe zwar nicht erneut wegen § 21
StGB, wohl aber deswegen mildern, weil es sich um eine in einer notwehrähnlichen Situation begangene Augenblickstat gehandelt hat.
Will das Gericht bei einem versuchten schweren Raub nach § 250 Abs. 1 StGB den 446
für den erheblich vermindert schuldfähigen Täter günstigsten Strafrahmen anwenden, so hat es folgende Überlegung anzustellen: Die Anwendung des Regelstrafrahmens nach § 250 Abs. 1 StGB mit der Milderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB
führt zu einer Strafrahmenverschiebung von 3 bis 15 Jahre auf 6 Monate bis 11 Jahre
153
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
3 Monate; die weitere Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB würde einen Strafrahmen von 1 Monat bis 8 Jahre 5 Monate ergeben (nach § 39 StGB ist Freiheitsstrafe
von einem Jahr und darüber nach vollen Jahren und Monaten zu bemessen). Wird
demgegenüber wegen des einen gesetzlichen Milderungsgrundes ein minder schwerer
Fall nach § 250 Abs. 3 StGB angenommen (Strafrahmen 1 bis 10 Jahre) und innerhalb
dieses Rahmens wegen des anderen Milderungsgrundes nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert, so ergibt sich ein Strafrahmen von 3 Monaten bis 7 Jahre 6 Monate. Die
zweite Möglichkeit führt daher zu einer niedrigeren Höchststrafe als die erste, bei der
Mindeststrafe ist es gerade umgekehrt. Je nachdem, ob sich das Gericht mehr an der
Höchst- oder mehr an der Mindeststrafe orientieren will, wird es den einen oder den
anderen Strafrahmen wählen. Nicht zulässig ist es, die durch Milderungen gefundenen unterschiedlichen Strafrahmen zu kombinieren, d.h. dem einen die Unter-, dem
anderen die Obergrenze zu entnehmen (BGH NStZ 2001, 532).
446a Unterschiedliche Strafrahmen ergeben sich auch bei der gleichzeitigen Verwirklichung verschiedener Delikte, z.B. bei versuchtem schweren Raub nach § 250
Abs. 1 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit (vollendetem) schweren Bandendiebstahl nach
§ 244a StGB: Nach § 250 Abs. 1 StGB, aus dem gem. § 52 Abs. 2 S. 1 StGB die Strafe
zu entnehmen ist, und der Milderung über §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB würde sich
ein Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 11 Jahren 3 Monaten ergeben; wegen § 244a
Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 52 Abs. 2 S. 2 StGB muss die Mindeststrafe jedoch
ein Jahr betragen. Anders wäre es, wenn das Gericht einen minder schweren Fall nach
§ 244a Abs. 2 StGB annimmt; dann wäre die Mindeststrafe gleich. Dasselbe gilt, wenn
das Gericht wegen des Steckenbleibens im Versuch von einem minder schweren Fall
des Raubes nach § 250 Abs. 3 StGB ausgehen würde; hier deckt sich der Strafrahmen
des § 250 Abs. 3 StGB mit dem des § 244a Abs. 1 StGB.
447 Hieran wird deutlich, dass zuerst die Frage des Strafrahmens zu beantworten und
dann innerhalb dieses Rahmens die konkrete Strafe zu bestimmen ist. Während
nach § 52 Abs. 2 S. 2 StGB bei tateinheitlicher Begehungsweise zwar die Sperrwirkung des milderen Gesetzes zu beachten ist, gibt es eine solche Bindung an die
Höchststrafe des verdrängten Gesetzes nicht. Es ist daher zulässig, bei einem in
gerechtem Zorn und im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen Totschlagsversuch den Strafrahmen des § 213 StGB anzuwenden und diesen
noch wegen verminderter Schuldfähigkeit und überdies wegen Versuchs zu mildern
(Strafrahmen dann 1 Monat bis 5 Jahre 7 Monate), auch wenn der Täter in Tateinheit damit (vgl. BGH NJW 2001, 980) eine vollendete wissentlich schwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB (Strafrahmen mit Milderung nach §§ 21, 49
Abs. 1 StGB 6 Monate bis 11 Jahre 3 Monate oder bei Annahme eines minder
schweren Falls wegen § 21 StGB nach § 226 Abs. 3 StGB 1 bis 10 Jahre oder Bejahung eines minder schweren Falles aus anderen Gründen und dann erfolgte Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB 3 Monate bis 7 Jahre 6 Monate) begangen hat (vgl.
BGH 30, 166 = JR 1982, 166 mit Anm. Bruns). Zum Verhältnis § 177 Abs. 5 zu
§ 177 Abs. 2 StGB vgl. BGH StV 2003, 395; NStZ-RR 2007, 373. Zur Sperrwirkung
der §§ 29a Abs. 1, 30 Abs. 1 BtMG im Verhältnis zu § 30a Abs. 3 BtMG vgl. BGH
NStZ 2003, 440.
Kompliziert ist die Anwendung des § 49 StGB, wenn das anzuwendende Gesetz zwei
Regelstrafrahmen vorsieht: Nach § 306c StGB ist lebenslange oder Freiheitsstrafe von
10 bis 15 Jahren möglich. Bevor hier z.B. wegen §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert
154
II. Verurteilung
werden kann, ist zunächst zu entscheiden, ob – käme eine Milderung nicht in Betracht – lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe verwirkt wäre. Entscheidet sich das
Gericht für lebenslange Freiheitsstrafe, so ergibt sich dann über § 49 Abs. 1 StGB ein
Strafrahmen von 3 bis 15 Jahre, im andern Fall aber nur ein Strafrahmen von 2 Jahren
bis 11 Jahre 3 Monate (BGH bei Holtz MDR 1979, 279).
Wird wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge verurteilt, ist
zunächst zu prüfen, ob eine Strafmilderung nach §§ 211, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1
StGB vorgenommen werden soll; wenn das bejaht wird, ist zu entscheiden, ob nach
dem dann schärferen § 251 StGB Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden soll.
bb) Unerlässlichkeit einer Freiheitsstrafe. Nach § 47 Abs. 1 StGB ist eine Freiheits- 448
strafe unter 6 Monaten nur noch in Ausnahmefällen zu verhängen, nämlich nur, wenn
besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die
Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen (ein »Gebotensein« genügt nicht, BGH
StraFo 2010, 500).
Die Unerlässlichkeit zur Einwirkung auf den Täter ist nur gegeben, wenn eine den
Täter weniger belastende und dennoch kriminalpolitisch Erfolg versprechende Alternative nicht zur Verfügung steht (OLG Düsseldorf VRS 80, 13). Umstände, die
in der Tat liegen, betreffen z.B. die Art der Ausführung der Tat, das Maß der
Pflichtwidrigkeit und die vom Täter verschuldeten Folgen der Tat. Sollen Umstände, die in der Persönlichkeit des Täters liegen, dazu führen, von der Verhängung
einer Geldstrafe abzusehen, so muss seine Persönlichkeit im weitesten Sinne erforscht werden (OLG Köln GA 1980, 267). Bei einem Ersttäter wird im Allgemeinen die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter 6 Monaten zur Einwirkung auf ihn
nicht unerlässlich sein (OLG Köln NJW 1981, 411; 2001, 3491). Bei einem mehrfach rückfälligen Trunkenheitstäter ergibt die Würdigung der Person dagegen regelmäßig, dass eine kurzfristige Freiheitsstrafe unerlässlich ist (OLG Hamm DAR
1971, 10; OLG Koblenz VRS 54, 31), jedoch ist auch bei mehreren einschlägigen
Vorstrafen die Verhängung einer Geldstrafe nicht schlechthin ausgeschlossen (OLG
Karlsruhe StV 2005, 275). Die Befürchtung, eine etwaige Geldstrafe würde durch
die Eltern des Täters bezahlt werden, rechtfertigt die Verhängung einer kurzen
Freiheitsstrafe nicht (BayObLG NJW 1994, 1167).
Die wesentlichen Grundsätze für die Auslegung des Begriffs Verteidigung der 449
Rechtsordnung enthalten die Urteile des BGH 24, 40 und 64. Sie behandeln zwar
diesen Begriff im Rahmen des § 56 (früher: 23) StGB; doch bedeutet der Begriff der
Verteidigung der Rechtsordnung in den §§ 47 und 56 dasselbe.
Danach sind die Gesichtspunkte der Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung 450
und der Abwehr ihrer ernstlichen Beeinträchtigung entscheidende Kriterien. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe, wenn eine Geldstrafe im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des
Einzelfalles für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müsste und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts
dadurch erschüttert werden könnte (OLG Celle StV 1993, 195).
Maßgeblich sind stets die Besonderheiten der konkreten Tat. Daher ist der Ausschluss bestimmter Tatbestände oder Tatbestandsgruppen, z.B. der Sittlichkeits155
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Straftaten oder der Trunkenheitsfahrten mit schweren Unfallfolgen, oder der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 StGB (LG Koblenz MDR 1982, 70), von der
Vergünstigung des § 47 StGB unzulässig. Umgekehrt ist die Verhängung einer kurzen
Freiheitsstrafe nicht von einer Mindestschadenshöhe abhängig. Auch bei Straftaten
mit geringer Schadenshöhe kann eine kurze Freiheitsstrafe jedenfalls dann verhängt
werden, wenn der Täter mehrfach und zudem einschlägig vorbestraft und Bewährungsbrecher ist (BayObLG NJW 2003, 2926). In Zweifelsfällen ist eine Geldstrafe
zu verhängen.
451 Die Entscheidung hängt von der Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter
kennzeichnenden Umstände des Einzelfalles ab. Bei mehreren Taten ist für jede einzelne Tat und jede einzelne Strafe gesondert zu prüfen, ob § 47 StGB anwendbar ist
(BGH 24, 164). Werden zwei Einzelgeldstrafen verhängt, darf gemäß § 54 Abs. 1 S. 2
StGB auch nur auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt werden; § 47 StGB ändert daran
nichts (BGH NStZ 1995, 178).
Wird eine Freiheitsstrafe unter 6 Monaten ausgesprochen, so müssen die Urteilsgründe im Einzelnen erkennen lassen, aus welchen Gründen nicht auf eine Geldstrafe
erkannt worden ist (§ 267 Abs. 3 S. 2 StPO; BGH StV 2003, 485). Enthalten die
Gründe hierzu keinerlei Ausführungen, so muss das Urteil allein deswegen im Strafausspruch aufgehoben werden. Gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB unerlässlich ist, stellen sich
erhöhte Darlegungsanforderungen für eine rechtsfehlerfreie Anwendung des § 56
Abs. 1 StGB, wenn diese Strafe gleichwohl nicht vollstreckt, sondern zur Bewährung
ausgesetzt wird (OLG Dresden NStZ-RR 2013, 41). Wird umgekehrt trotz einer
kurz zurückliegenden einschlägigen Vorstrafe wiederum nur eine Geldstrafe ausgesprochen, so muss in den Gründen angeführt werden, warum Freiheitsstrafe nicht
unerlässlich und nicht zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten war (BayObLG
bei Rüth DAR 1978, 207).
452 Ist im Gesetz Geldstrafe wahlweise nicht angedroht und kommt eine Freiheitsstrafe
von 6 Monaten oder darüber nicht in Betracht, so ist eine Geldstrafe zu verhängen,
wenn eine Freiheitsstrafe nicht nach § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich ist (§ 47 Abs. 2
StGB); dabei ist aber das erhöhte Mindestmaß nach Absatz 2 Satz 2 zu beachten, so
dass z.B. bei Gefangenenmeuterei gem. § 121 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen ausgesprochen werden muss).
f) Gesamtstrafe
453 aa) Ist eine Gesamtstrafe (§§ 53 ff. StGB) ausgesprochen worden,33 so müssen die
Gründe die Einzelstrafen, auf die erkannt worden ist, sowie die Strafzumessungsgründe für die einzelnen Taten enthalten. Die Einsatzstrafe – das ist die nach § 54 zu
erhöhende Einzelstrafe – ist hervorzuheben. Die Bildung der Gesamtstrafe ist ein
gesonderter Strafzumessungsvorgang, der im Urteil gesondert zu begründen ist
(BGH 24, 268; LK/Rissing-van Saan, StGB § 54 Rn. 13); es genügt also nicht die
schlichte Feststellung, »die unter 1 bis 4 erkannten Strafen wurden auf eine Gesamtstrafe von 5 Jahren Freiheitsstrafe zurückgeführt«. Bei der Gesamtstrafenbildung
33 Das Berufungsgericht ist durch § 331 Abs. 1 StPO nicht gehindert, aus der in seinem Verfahren
ausgesprochenen Geldstrafe und einer anderweit rechtskräftig verhängten, dem Erstrichter unbekannt gebliebenen Freiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden (BGH NStZ 1988, 284).
156
II. Verurteilung
werden die Person des Angeklagten und die einzelnen Straftaten zusammenfassend
gewürdigt (§ 54 Abs. 1 S. 3 StGB). Es sind namentlich das Verhältnis der einzelnen
Straftaten zueinander, insbesondere ihr Zusammenhang, ihre größere oder geringere
Selbständigkeit, ferner die Häufigkeit der Begehung, die Gleichheit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, ob die
mehreren Straftaten einem kriminellen Hang entspringen oder ob es sich um Gelegenheitsdelikte ohne inneren Zusammenhang handelt. Der Häufigkeit der Straftaten
sowie ihrem Verhältnis zueinander kommt besondere Bedeutung zu (BGH 24, 271).
Die Gesamtstrafe darf nicht auf Grund einer Rechenformel gebildet werden, etwa
durch Erhöhung der Einsatzstrafe um die Hälfte der Summe der übrigen Einzelstrafen (BGH NStZ 2001, 365) oder in der Weise, dass zunächst die Einzelstrafen zusammengezählt werden und dann deren Summe gemildert wird (BGH NStZ-RR
2013, 108); vielmehr ist die Einsatzstrafe angemessen zu erhöhen (BGH StV 2000,
254). Das ist gerade bei Serienstraftaten (oben Rn. 334) von Bedeutung. Die Gesamtstrafe wird um so höher ausfallen, je weniger die einzelnen Taten miteinander zu tun
haben, in der Regel niedriger, wenn ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht (BGH wistra 2010, 264). An die Begründung der Gesamtstrafe
werden von den Revisionsgerichten normalerweise keine allzu hohen Anforderungen
gestellt; wird die Einsatzstrafe allerdings nur geringfügig überschritten oder extrem
erhöht, so ist eine eingehendere Begründung notwendig (BGH wistra 2010, 264). Die
bei den Einzelstrafen verwerteten Strafzumessungstatsachen dürfen bei Geeignetheit
zur Begründung der Gesamtstrafe noch einmal herangezogen werden; insoweit genügt eine Bezugnahme. Die Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB muss bei der
Bestimmung der Einzelstrafen berücksichtigt werden, nicht erst bei der Bildung der
Gesamtstrafe (BGH VRS 30, 95).
Auch dann, wenn eine Geldstrafe nach § 53 Abs. 2 S. 1 StGB in eine Gesamtfreiheits- 454
strafe einbezogen wird, ist die Höhe der verhängten Tagessätze in den Urteilsgründen
festzusetzen. Wird dies unterlassen, so liegt ein sachlich-rechtlicher Fehler vor, der
das Revisionsgericht in der Regel zur Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht
zur Festsetzung der Tagessatzhöhe zwingt (BGH 30, 93).
bb) Beim Zusammentreffen von Freiheitsstrafe mit Geldstrafe schreibt das Gesetz 455
die Gesamtstrafenbildung nicht zwingend vor, vielmehr kann hier auch gesondert
auf Geldstrafe erkannt werden (§ 53 Abs. 2 S. 2 StGB); eine »Einbeziehung« erfolgt dann also nicht. In der Regel ist eine Gesamtstrafe durch Erhöhung der Freiheitsstrafe zu bilden (BGH 23, 260); die Einbeziehung der Geldstrafe braucht dann
nicht weiter begründet zu werden (OLG Köln NStZ-RR 2005, 169). Sieht umgekehrt aber der Tatrichter bei Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe von
der Bildung einer Gesamtstrafe ab, so muss er die Gründe hierfür im Urteil darlegen. Stellt die Gesamtstrafe jedoch den besonderen Umständen nach das schwerere
Strafübel dar – z.B. wenn aus zwei Freiheitsstrafen zu je 6 Monaten und einer
Geldstrafe von 50 Tagessätzen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 1 Monat
gebildet wird und damit die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr
nach § 56 Abs. 1 StGB, sondern nach § 56 Abs. 2 StGB zu entscheiden ist –, so
muss das Gericht begründen, warum es gleichwohl eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet hat (BGH NStZ-RR 2002, 264; StV 2007, 129). Dasselbe gilt, wenn gerade
durch die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe zwingend die besonders schwerwie-
157
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
gende Folge des Verlusts der Beamtenrechte ausgelöst (BGH NJW 1989, 2900) oder
die Möglichkeit einer Amtsenthebung (BGH NStZ 2008, 283) eröffnet wird.34
456 cc) Werden gem. § 55 StGB Strafen aus einem rechtskräftigen Urteil in eine Verurteilung einbezogen, so müssen in den Urteilsgründen die einbezogenen Einzelstrafen
(und nicht nur die Gesamtstrafe) angegeben werden. Bei einfachen Fällen ist es nicht
notwendig, den Sachverhalt oder die Strafzumessungserwägungen zu den Einzelstrafen aus dem einbezogenen Urteil wiederzugeben. Will das Gericht diese aber bei der
von ihm vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung verwerten, so darf es nicht einfach
darauf Bezug nehmen, sondern muss sie in den Urteilsgründen erörtern (BGH NStZRR 2010, 202). Es besteht keine Bindung an die Gründe einer früheren Gesamtstrafenbildung (BGH NStZ-RR 2003, 9). Die Anwendung des § 55 StGB ist zwingend
(zu Ausnahmen s. Rn. 82); hat der Tatrichter entgegen § 55 StGB keine Gesamtstrafe
gebildet, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, so ist der Strafausspruch rechtlich
fehlerhaft (BGH 12, 1). Von der Bildung einer Gesamtstrafe kann allerdings abgesehen werden, wenn zu erwarten ist, dass diese im Hinblick auf eine alsbald zu erwartende weitere Gesamtstrafenentscheidung keinen Bestand haben wird (BGH NJW
1997, 2892). Hat die Strafe schon zur Bildung einer anderen noch nicht rechtskräftigen Gesamtstrafe gedient, darf sie nicht einbezogen werden (BGH 50, 188; Rn. 83a).
Es darf auch keine Gesamtstrafe gebildet werden, wenn die einzubeziehende Strafe
mit noch früheren Strafen gesamtstrafenfähig ist, die ihrerseits mit der jetzt abzuurteilenden Tat nicht gesamtstrafenfähig sind (BGH 32, 190).
457 Nur die Taten können in die neue Gesamtstrafe einbezogen werden, die vor dem ersten Urteil begangen worden sind; aus etwaigen Einzelstrafen für weitere, nach dem
ersten Urteil begangene Straftaten muss gegebenenfalls eine zweite Gesamtstrafe gebildet werden (sog. Zäsurwirkung).35 Bei einer Vorverurteilung durch Strafbefehl
kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses, nicht den der Zustellung des Strafbefehls
an (BGH 33, 230). Die Zäsurwirkung entfällt, wenn die durch die frühere Vorverurteilung verhängte Strafe i.S.v. § 55 Abs. 1 S. 1 StGB erledigt ist (BGH 32, 193; NStZRR 2010, 202). Die Zäsurwirkung entfällt aber nicht deshalb, weil den Urteilsgründen die Einzelstrafen nicht zu entnehmen sind oder weil nach § 53 Abs. 2 S. 2 StGB
gesondert auf Geldstrafe erkannt werden kann (BGH 44, 179, 184). Maßgebender
Beurteilungszeitpunkt für die nach § 56 StGB zu treffende Prognoseentscheidung ist
der der jetzigen Entscheidung (BGH NStZ 2004, 85). Wird eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe nachträglich in eine Gesamtstrafe einbezogen und letztere
nicht zur Bewährung ausgesetzt, so ist ein Ausgleich für die Nichterstattung erbrachter Leistungen (§ 56f Abs. 3 S. 1 StGB) durch eine die Strafvollstreckung verkürzende
Anrechnung auf die Gesamtstrafe zu bewirken (§ 58 Abs. 2 S. 2 StGB; BGH 36, 378);
dabei ist aber das Tagessatzsystem nicht anzuwenden (OLG Celle NStZ 1992, 336).
34 Der Richter darf von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe
auch absehen, wenn es ihm nur so ermöglicht wird, im Rahmen einer schuldangemessenen Ahndung der Taten die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen (BGH
NStZ 1990, 488).
35 Die Rechtskraft eines Urteils, das unter Missachtung der Zäsurwirkung eines früheren Urteils
fehlerhaft eine Gesamtstrafe gebildet hat, hindert nicht, bei späterer Aburteilung früher begangener Taten die fehlerhaft gebildete Gesamtstrafe aufzulösen und die Gesamtstrafenbildung insgesamt neu vorzunehmen (BGH 35, 243). Bei der Bildung mehrerer Gesamtstrafen gilt die Grenze
des § 38 Abs. 2 StGB nicht; die Summe der Gesamtstrafen kann dann also mehr als 15 Jahre
betragen (BGH 43, 216).
158
II. Verurteilung
Konnte das Gericht keine Gesamtstrafe bilden, weil ihm die Vorstrafenakten trotz 458
ausreichenden Bemühens darum (vgl. Rn. 82) nicht zur Verfügung standen, so ist dies
in den Gründen darzulegen (OLG Hamm NJW 1970, 1200). Der Gesamtstrafenbildung steht es aber nicht entgegen, wenn der frühere Tatrichter es verabsäumt hat, für
eine bestimmte Tat eine Einzelstrafe festzusetzen; bei der jetzigen Gesamtstrafenbildung hat diese Tat dann außer Betracht zu bleiben (BGH 41, 374).
Ist eine Gesamtstrafenbildung nicht mehr möglich, weil der Angeklagte die frühere 459
Strafe bereits voll verbüßt hat (aber nicht, wenn sie ihm erlassen worden ist, BGH
NStZ-RR 1996, 291), so liegt darin eine Härte, die bei der jetzt zu erkennenden Strafe
ausgeglichen werden muss (BGH 31, 102). Das wird oft nicht beachtet und hat dann
Urteilsaufhebungen zur Folge. Der Härteausgleich kann sogar dazu führen, dass die
gesetzliche Mindeststrafe zu unterschreiten ist (BGH bei Holtz MDR 1980, 454);36
auch die Höchstgrenze des § 54 Abs. 2 S. 2 StGB ist dabei zu beachten (BGH 33,
131). Erfolgt aber eine anderweitige Gesamtstrafenbildung, wird dadurch in der Regel der Nachteil ausgeglichen, so dass es in diesem Fall darüber hinaus nicht eines
weiteren Härteausgleichs in Form eines besonderen Strafmilderungsgrundes bedarf
(BayObLG NJW 1993, 2127).37 Andererseits darf aber eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht deswegen unterbleiben, weil bei der Zumessung der Strafe damals wegen nicht möglicher Gesamtstrafenbildung ein Härteausgleich gewährt worden war.
Müssen wegen der Zäsurwirkung einer früheren Strafe mehrere Gesamtstrafen gebil- 460
det werden, so ist das sich ergebende Gesamtstrafübel zu beachten und gegebenenfalls auszugleichen (BGH StV 2007, 632). Damit wird den Zufälligkeiten der Gesamtstrafenbildung vorgebeugt, z.B. wenn durch eine geringfügige Geldstrafe eine
Serienstraftat aufgespaltet wird. Ist der Angeklagte etwa wegen vierer Raubüberfälle
zu Freiheitsstrafen von je 4 Jahren verurteilt worden und wäre hieraus eine Gesamtstrafe von 7 Jahren gebildet worden, so kann es ungerecht sein, ihn zu zwei Gesamtstrafen von je 5 Jahren (also insgesamt zu 10 Jahren) deswegen zu verurteilen, weil
zwischen dem 2. und dem 3. Raub durch eine andere Verurteilung eine Zäsurwirkung
eingetreten ist. Das Gericht muss in diesem Fall darlegen, dass es das Gesamtmaß der
Strafen für schuldangemessen angesehen hat.
Wird nachträglich eine Gesamtstrafe aufgelöst, die nach der sog. Vollstreckungslö- 460a
sung des Großen Senats für Strafsachen (vgl. Rn. 102a, 490b) wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für teilweise vollstreckt erklärt worden ist,
so gilt Folgendes: Das Gericht, das unter Einbeziehung der dieser zugrunde liegenden Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden hat, hat auch festzusetzen, welcher bezifferte Teil dieser neuen Gesamtstrafe aus Kompensationsgründen als vollstreckt anzurechnen ist. Dies gilt entsprechend, wenn die Einzelstrafen des
ursprünglichen Urteils in mehrere neu zu bildende Gesamtstrafen einzubeziehen
sind. Das zur Entscheidung berufene Gericht hat dann festzulegen, in welchem Um36 In Fällen, in denen eine Strafe nicht mehr zur Bildung einer Gesamtstrafe herangezogen werden
kann, weil sie bereits vollstreckt ist, kann der erforderliche Härteausgleich dazu führen, eine Strafe nach Jahren, Monaten und Wochen zu bemessen (Rn. 82 a).
37 Kommt sowohl der Erlass einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der
Bewährungszeit als auch die Einbeziehung der Strafe in eine nachträglich zu bildende, nicht aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht, so hängt es von den Umständen des Einzelfalls
ab, welches Verfahren vorzuziehen ist (BGH NStZ 1991, 330).
159
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
fang die neu auszusprechenden Gesamtstrafen anteilig als vollstreckt gelten. Dabei
hat es sich daran zu orientieren, in welchem Umfang in die jeweilige neue Gesamtstrafe Einzelstrafen einfließen, die ursprünglich nach einem rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahren festgesetzt worden waren. In der Summe dürfen die für vollstreckt
erklärten Teile der neuen Gesamtstrafen nicht hinter der ursprünglich ausgesprochenen Anrechnung zurückbleiben (BGH NJW 2008, 860).
461 dd) Das Gericht kann zusätzlich zu der erkannten Gesamtstrafe auf Nebenstrafen,
Nebenfolgen, Maßregeln der Besserung und Sicherung, auf Einziehung, Unbrauchbarmachung und Verfall erkennen, aber nur, wenn eines der auf die Einzeltaten angewendeten Gesetze sie vorschreibt oder zulässt (§§ 52 Abs. 4, 55 Abs. 2 StGB). Eine
dementsprechende Maßnahme, z.B. die Einziehung eines Pkws, ist, sofern dem Täter
auf diese Weise eine ihm gehörende Sache von nicht unerheblichem Wert entzogen
wird, als bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe im Wege einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (BGH StV 2013, 565).Wird daher neben einer
Gesamtfreiheitsstrafe auf Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts erkannt, so hat der Richter in den Urteilsgründen festzustellen, auf Grund
welcher Einzelstrafen er den Verlust der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit einerseits und den Verlust des Wahl- und Stimmrechts andererseits ausgesprochen hat.
462 War in einem früheren Urteil die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist angeordnet worden, und wird dieses Urteil in eine neue Verurteilung nach § 55 StGB einbezogen, bei der wiederum die Voraussetzungen der §§ 69, 69a StGB gegeben sind, so
ist eine neue, mit der Rechtskraft des früheren Urteils beginnende einheitliche Sperrfrist festzusetzen (BGH NStZ 2001, 245); insgesamt darf dabei aber die zeitliche
Höchstdauer von 5 Jahren nicht überschritten werden (BGH NJW 2003, 1613). Ist
dagegen bezüglich der neuen Tat die Anordnung einer Sperre nach § 69a StGB nicht
möglich, so ist im Tenor lediglich klarzustellen, dass die in dem früheren einbezogenen Urteil angeordnete Sperre aufrechterhalten wird (§ 55 Abs. 2 StGB), und zwar
mit der Wirkung, dass der bisherige Fristablauf berücksichtigt wird; die früher angeordnete und noch nicht verstrichene Sperrfrist läuft also weiter (OLG Karlsruhe
VRS 57, 111). Hat sich die Sperrfrist allerdings infolge Zeitablaufs erledigt, kann sie
nicht mehr neben der Gesamtstrafe aufrechterhalten werden (BGH NStZ 1996, 433;
Rn. 86).
463 Die im früheren Urteil ausgesprochene Anordnung der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist auch dann aufrechtzuerhalten, wenn diese Maßregel aufgrund einer hinzukommenden Straftat ebenfalls anzuordnen wäre; § 55
Abs. 2 StGB hat insoweit Vorrang vor § 67f StGB (BGH NStZ-RR 2011, 243; vgl.
aber auch Rn. 86a zur Verfahrensweise bei der Bildung von zwei Gesamtfreiheitsstrafen). Zur Aufrechterhaltung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn die Voraussetzungen des § 63 StGB nicht (mehr) vorliegen, aber Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB in Betracht kommt, vgl. BGH 42, 306.
g) Strafzumessung im Einzelnen
464 aa) Doppelverwertung. Es ist unzulässig, Tatbestandsmerkmale, die zur Beschreibung des verbotenen Verhaltens selbst dienen oder den Grundgedanken der Vorschrift darstellen und demgemäß bereits bei Aufstellung des gesetzlichen Strafrahmens berücksichtigt sind, bei der Bemessung der Strafe zu verwerten; dies stellt § 46
160
II. Verurteilung
Abs. 3 StGB ausdrücklich klar. Die ein Regelbeispiel bestimmenden Umstände sind
grundsätzlich wie Tatbestandsmerkmale zu behandeln (BGH NStZ-RR 2004, 262).
Das Verbot gilt auch für die sonstigen unrechts- und schuldbegründenden Merkmale
und erstreckt sich insbesondere auf sämtliche strafrahmenbildende Umstände, die
den Gesetzgeber bereits bei der Normierung eines bestimmten Tatbestandes geleitet
haben und daher der Strafvorschrift unausgesprochen zugrunde liegen. So liegt etwa
dem Tatbestand des § 113 StGB unausgesprochen die gesetzgeberische Intention
zugrunde, dass die Diensthandlung, gegen die Widerstand zu leisten durch diese Vorschrift unter Strafe gestellt ist, nicht nur rechtmäßig, sondern in ihrer Ausführung
auch korrekt und insbesondere nicht provozierend vorgenommen wird. Es kann dem
Täter also nicht strafverschärfend zur Last gelegt werden, dass er von dem Amtsträger nicht provoziert worden ist. Es fällt aber nicht unter das Verbot der Doppelverwertung, bei Gesetzes- oder Idealkonkurrenz Tatbestandsmerkmale von Strafbestimmungen strafschärfend zu berücksichtigen, die bei Bildung der Strafe nicht zur
Anwendung kommen (BGH 19, 188). Dem Gericht ist es auch nicht verwehrt, bereits bei der Bemessung jeder Einzelstrafe in Betracht zu ziehen, dass der Täter mehrere Straftaten begangen hat.
Der Richter darf auf die beim Finden des Strafrahmens verwerteten Gesichtspunkte
bei der Strafzumessung im engeren Sinne zurückkommen (BGH 26, 311). So darf
etwa berücksichtigt werden, wie nahe der Versuch der Vollendung war (innerhalb des
wegen Versuchs gemilderten Strafrahmens kann aber allein der Umstand, dass ein
Versuch vorliegt, keine strafmildernde Bedeutung entfalten, BGH NStZ 1990, 30); es
darf in der Regel auch der Umstand, dass durch eine Handlung mehrere Strafgesetze
verletzt worden sind, straferschwerend berücksichtigt werden.
Ein häufig vorkommender Fehler ist es, dass das Fehlen von Strafmilderungsgründen 465
strafschärfend und das Fehlen von Strafschärfungsgründen strafmildernd gewertet
wird. So ist es fehlerhaft, dem Angeklagten anzulasten, dass er sich in keiner finanziellen oder – bei einem Triebtäter – sexuellen Notlage befand (BGH JR 1980, 335
mit Anm. Bruns). Solche Schwierigkeiten würden einen Strafmilderungsgrund abgeben; ihr Fehlen kann aber nicht zur Strafschärfung führen (BGH StV 2011, 224).
Ebenso kann nicht strafschärfend berücksichtigt werden, dass der Angeklagte nicht
vom Versuch zurückgetreten ist (BGH NStZ 1983, 217) oder nicht versucht hatte, seinem Opfer zu helfen. Dies könnte vielmehr strafmildernd wirken, möglicherweise über
§ 24 Abs. 1 StGB sogar zur Straffreiheit führen (BGH bei Holtz MDR 1979, 806).
Umgekehrt darf nicht strafmildernd berücksichtigt werden, dass bei einer versuchten 466
Straftat ein Schaden nicht entstanden ist oder dass eine Person nicht schwer verletzt
worden ist; eine schwere Verletzung wäre vielmehr ein Strafschärfungsgrund (BGH
bei Spiegel DAR 1976, 91). Der Richter sollte daher vermeiden, tatsächlich festgestellte – für die Strafzumessung bedeutsame – Umstände mit negativen Formulierungen
zu umschreiben; wird der verwertete Umstand positiv bezeichnet, so werden solche
Fehler vermieden (Mösl NStZ 1981, 133). Das bedeutet aber nicht, dass stets ein
Rechtsfehler vorliegt, wenn ein Umstand in negativer Formulierung dargestellt wird;
so ist es zulässig, etwa zu verwerten, dass ein verständlicher Anlass zur Tat fehle oder
ein Erregungszustand nicht vorgelegen habe (BGH NStZ 1981, 60 mit Anm. Bruns).
Allgemein kann auch nur nach Lage des Einzelfalls beurteilt werden, ob der Umstand, dass der Angeklagte »nicht in Geldnot« war oder dass er es »nicht nötig hatte
zu stehlen« strafschärfend gewertet werden darf; ein »normativer Normalfall« ist
161
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
dem Gesetz fremd, so dass der Richter davon bei der Strafzumessung auch nicht ausgehen kann (BGH GrS 34, 345).
467 Zulässig ist es, die besonders verwerfliche, rohe, rücksichtslose Art der Ausführung
der Tat strafschärfend zu verwerten; strafmildernd sind der Ersatz des angerichteten
Schadens, eigene Verletzungen und Schäden (z.B. bei Verkehrsstraftaten) sowie die
Tatsache, dass das Opfer oder die Hinterbliebenen dem Täter die Tat verziehen haben. Alle Folgen der Tat wirken grundsätzlich nur insoweit strafschärfend, als sie
verschuldet sind. Straferschwerend kann bei versuchtem Totschlag sein, dass die Tat
an versuchten Mord heranreichte.
468 Unzulässig ist es, bei einer Verurteilung wegen fährlässigen Vollrauschs dem Angeklagten vorzuwerfen, er habe ohne triftigen Grund so viel Alkohol getrunken (BGH
bei Spiegel DAR 1976, 91). Die Vorsatzform ist in der Regel als selbständige Strafzumessungstatsache ungeeignet; direkter Vorsatz wirkt daher nicht ohne weiteres strafschärfend (BGH bei Holtz MDR 1984, 980; GA 1990, 365).
469 Einige Beispiele zur unzulässigen Doppelverwertung bei häufig anwendbaren Vorschriften des StGB: Unzulässig wäre es, strafschärfend heranzuziehen: Bei Handeltreiben nach § 29a BtMG, dass der Angeklagte in Gewinnerzielungsabsicht gehandelt
hat (BGH StV 2011, 224; bei § 142 StGB, dass der Angeklagte sich jeglichen Feststellungen entzogen habe, um nicht als Unfallverursacher haftbar gemacht zu werden,
oder dass dies einer der schwersten Vorwürfe für Verkehrsteilnehmer sei und eine
gemeine Gesinnung verrate (BGH VRS 4, 359); bei § 146 StGB, dass das Vertreiben
von Falschgeld die Bevölkerung beunruhigt, oder dass die Tat sich gegen die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Geldverkehrs richte; bei § 154 StGB, dass dem Täter
eindringlich vor Augen geführt werden müsse, wie verwerflich gerichtliche Falschaussagen und deren Beeidigung seien (BGH 17, 324); bei § 177 StGB, dass die Gesellschaft nicht bereit sei, solch massive Übergriffe auf die Selbstbestimmung der Frau
hinzunehmen, oder dass der Täter nicht das Recht habe, mit Gewalt gegen eine hilfund wehrlose Frau vorzugehen; bei § 211 StGB, dass der Täter bedenkenlos ein Menschenleben ausgelöscht und besonderes Leid über die Familie des Opfers gebracht
hat; bei § 224 StGB (oder bei einem Verstoß gegen das Waffengesetz), dass die benutzte Waffe gefährlich sei; bei § 242 StGB, dass der Täter seinen Wunsch nach Geld
über die Belange der Allgemeinheit gestellt hat; bei § 253 StGB, dass der Täter aus
egoistischen Beweggründen gehandelt hat; bei § 258a StGB, dass der Täter als Beamter, der für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen habe, diese selbst gebrochen habe
(BGH NJW 1989, 1230); bei § 266 StGB das Gewinnstreben des Angeklagten (BGH
NStZ 1981, 343); bei § 267 StGB, dass die Urkunde als Beweismittel besonderen
Schutz verdiene; bei § 315 c StGB, dass für die Fahrt im fahruntüchtigen Zustand
keine Notwendigkeit bestand (BGH VRS 57, 284); wohl aber können der Anlass zum
Alkoholgenuss und zur Fahrt für die Strafzumessung von Bedeutung sein; bei einer
Steuerstraftat, dass sich der Angeklagte sozialschädlich verhalten habe (BGH NStZRR 1996, 316).
470 bb) Gleichheitsgrundsatz. Unzulässig sind bei der Strafzumessung Erwägungen, die
dem Gleichheitsgrundsatz oder der allgemeinen Auffassung von den Menschenrechten zuwiderlaufen, z.B. die Ausländereigenschaft des Angeklagten (BGH NStZ
2006, 35; NStZ-RR 2010, 337). So darf es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und 3 GG
nicht strafschärfend berücksichtigt werden, dass der Angeklagte als Ausländer sich
der gewährten Gastfreundschaft nicht würdig erwiesen, somit das Gastrecht miss162
II. Verurteilung
braucht habe (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 12); wohl aber ist es straferschwerend, wenn der Angeklagte besondere Vorteile missbraucht hat, die ihm mit
Rücksicht auf seine Ausländereigenschaft gewährt worden waren (BGH NStZ 1993,
337; bei Spiegel DAR 1978, 149). Die Annahme, die Strafvollstreckung im Inland
werde den Angeklagten als Ausländer voraussichtlich besonders hart treffen, ist verfehlt, wenn die Strafvollstreckung überwiegend im Heimatland erfolgen kann und
dadurch die besonderen Härten der Strafvollstreckung im Inland entfallen (dazu eingehend BGH 43, 233 mit Anm. Schomburg NStZ 1998, 142 und Anm. Laubenthal
NStZ 1998, 349 sowie Anm. Weider StV 1998, 68). Ausländerrechtliche Folgen einer
Tat sind in der Regel unbeachtlich; das gilt selbst dann, wenn ein zwingender Ausweisungsgrund nach § 47 Abs. 1 AuslG in Betracht kommt (BGH NStZ 2012, 147).
Das Alter des Opfers spielt für die Strafzumessung keine Rolle, da das Leben Wertabstufungen nicht zugänglich ist (Mösl NStZ 1984, 493). Auch die »Prominenteneigenschaft« des Angeklagten ist, jedenfalls bei Verkehrsstrafen, kein Strafzumessungsgrund; denn im Verkehr hat jeder Bürger gleiche Pflichten (OLG Köln NJW
1961, 1953).38 Doch kann es, insbesondere bei vorsätzlichen Taten, straferschwerend
berücksichtigt werden, wenn vom Täter kraft seines Berufes ein besonderes Verantwortungsbewusstsein erwartet werde muss (so bei Verkehrsstraftaten von Verkehrsrichtern, Verkehrsstaatsanwälten, Verkehrspolizeibeamten, Fahrlehrern, vgl.
OLG Hamm NJW 1957, 1449), oder wenn der Täter durch sein Verhalten in grober
Weise gegen die Grundsätze verstoßen hat, zu denen er sich nach außen durch die
von ihm übernommenen Ehrenämter (z.B. Parlamentsangehörige) bekannt hat (BGH
NJW 1961, 1591). Dagegen stellt die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe (Richterstand, Polizei, Bundeswehr, Anwaltschaft) – von den oben genannten
Ausnahmen abgesehen – keinen Strafschärfungsgrund unter dem Gesichtspunkt dar,
von den Angehörigen dieser Gruppe werde eine besonders gewissenhafte Befolgung
der Gesetze erwartet. Nach alledem kann die soziale Stellung des Täters durchaus
einen zulässigen Strafzumessungsgrund bilden. Es muss dabei jedoch ein Mindestmaß
von inneren Beziehungen zwischen dem beruflichen Pflichtenkreis und der Straftat
vorliegen (BGH NStZ 2000, 137; StV 2002, 540).
Zulässig und geboten ist die Berücksichtigung einer zwingend vorgeschriebenen 471
beamtenrechtlichen Konsequenz, etwa das Ende des Beamtenverhältnisses bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (BGH wistra 2013, 192) oder
der Verlust der Rechte als Ruhestandsbeamter (BGH StV 1985, 454); ebenso als ehrengerichtliche Folge der Ausschluss aus der Anwaltschaft (BGH StV 1991, 207).
Eine grundlos unterschiedliche Strafzumessung gegenüber mehreren Mitangeklagten 472
enthält einen Rechtsverstoß (vgl. Basdorf SchlHA 1993, 58). Jedoch unterliegt das
Verhältnis der gegen Mitangeklagte verhängten Strafen zueinander der tatrichterlichen Beurteilung und kann grundsätzlich einen Revisionsangriff nicht rechtfertigen
(BGH bei Holtz MDR 1977, 808). Der Gleichheitssatz gebietet nur die Anwendung
des gesetzlichen Strafrahmens (BGH 1, 184). Innerhalb dieses Rahmens ist die Strafe
für jeden Angeklagten individuell nach den in seiner Person vorliegenden Strafzumessungsgründen zu bemessen (zum Ganzen: BGH 56, 262).
Mittäter, die von verschiedenen Gerichten abgeurteilt werden, müssen auch bei 473
vermeintlich gleicher Beteiligung nicht gleich hoch bestraft werden; denn die eigene
38 Vgl. hierzu Gerkan, Prominentenstrafrecht bei Verkehrsdelikten?, MDR 1963, 269.
163
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Überzeugung eines jeden Gerichts ist maßgeblich. Die Vergleichsmöglichkeiten zwischen den in verschiedenen Verfahren gewonnenen Ergebnissen – insbesondere zum
Maß der Schuld – sind zu gering; daher muss der Tatrichter in jedem Einzelfall die
angemessene Strafe unter Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände aus der
Sache selbst finden, kann allerdings die in anderen Fällen angeführten Strafzumessungsgründe im Rahmen seiner eigenen Erwägungen verwerten, wenn er diese Gründe selbst billigt (BGH bei Holtz MDR 1979, 986). Der Gesichtspunkt, dass gegen
Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollten, kann aber nicht völlig außer Betracht bleiben (BGH 56, 262).39
474 cc) Vorleben und Vorstrafen. Neben den Berufs-, Familien- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten sind sein Vorleben und seine etwaigen Vorstrafen zu berücksichtigen. Die Gesinnung und der allgemeine Charakter des Täters dürfen bei der
Strafzumessung nur soweit berücksichtigt werden, wie ein Zusammenhang mit der
Straftat besteht, sie also Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in
die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren (BGH NJW 1971, 1758).
Nur mit dieser Einschränkung darf die sog. Lebensführungsschuld und das sog. außertatbestandsmäßige Verhalten des Täters zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden (BGH NStZ-RR 2007, 195). Eine Verwertung von Umständen, die nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem konkreten Schuldvorwurf stehen, ist also nicht
zulässig; denn nicht die allgemeine Gesinnung, sondern die Gesinnung, »die aus der
Tat spricht«, ist nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB maßgebend. So kann z.B. die allgemein zu
beanstandende, nicht ordnungsgemäße Praxisführung eines Rechtsanwalts keinen
Strafschärfungsgrund abgeben (BGH NJW 1979, 1835), ebenso wenig bei einer Verurteilung wegen Diebstahls, dass der Angeklagte »seine Familie längere Zeit im Stich
gelassen hat« (weitere Beispiele bei Mösl DRiZ 1979, 167 f.).
475 Die achtenswerte Gesinnung oder Überzeugung des Täters, z.B. religiöser oder politischer Art, verringert seine Schuld und wirkt daher strafmildernd (BGH 8, 162),
wenn die Überzeugung nicht in grober Weise gegen das staatliche oder das Sittengesetz verstößt (Angriffe gegen die staatliche Ordnung). Die Bedeutung der Tat für die
Rechtsordnung muss gegenüber der Stärke des Gewissensdrucks und der dadurch
geschaffenen Zwangslage abgewogen werden (BayObLG JR 1981, 172 mit Anm. Peters).
476 Die bisherige Straflosigkeit ist in aller Regel strafmildernd zu berücksichtigen (BGH
NStZ 1982, 376; 1988, 70); Straffreiheit ist nicht selbstverständlich und kann nicht
von jedem Mitbürger erwartet werden, da es viele vorbestrafte Mitbürger gibt (BGH
GA 1965, 155). Frühere Verurteilungen wirken nur dann strafschärfend, wenn sie
einschlägig sind oder erkennen lassen, dass der Täter sich über derartige Warnungen
hinwegsetzt. Verurteilungen, die für die Tat schon aus zeitlichen Gründen bedeutungslos sind, zu ihr in keiner Beziehung stehen und auch keine Rückschlüsse auf
Rechtsfeindlichkeit oder Strafunempfindlichkeit des Täters zulassen, scheiden für die
39 So hat der BGH (StV 1981, 122 f.) ein Urteil im Strafausspruch aufgehoben, in dem der Angeklagte zu 8 Jahren, sein früher verurteilter Mittäter hingegen nur zu 3 Jahren und 6 Monaten
Freiheitsstrafe verurteilt worden war und nach den Feststellungen die mittäterschaftlichen Tatbeiträge sich nicht wesentlich voneinander unterschieden. Ebenso wurde die Verurteilung eines erwachsenen Angeklagten zu 4 Jahren Freiheitsstrafe aufgehoben, dessen heranwachsender – aber
nur ein Jahr jüngerer – Mittäter zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war (BGH StV 1991, 557).
164
II. Verurteilung
Strafzumessung aus (BGH 24, 199). Daher können auch Vorstrafen wegen Fahrlässigkeitsdelikten nur unter besonderen Umständen strafschärfende Beachtung finden.
Zwischen Verkehrsstraftaten als Vorstrafen und einem nunmehr abzuurteilenden Betrug kann eine Verbindung nicht etwa mit der Begründung hergestellt werden, der
Angeklagte »stelle in rechtswidriger und riskanter Weise« seine eigenen Interessen
denen anderer stets voran; denn das trifft auf jede Straftat zu. Ausländische Verurteilungen dürfen zur Strafschärfung herangezogen werden, wenn sie auch nach deutschem Recht – zu beachten ist insbesondere § 51 Abs. 1 BZRG – verwertet werden
dürften (BayObLG VRS 55, 180). Voraussetzung sind ausreichende Feststellungen,
die eine Prüfung der Verwertbarkeit ermöglichen (BGH NStZ-RR 2007, 368).
Werden frühere Verurteilungen berücksichtigt, so muss das Urteil Angaben über den 477
Zeitpunkt der Verurteilungen, die Tatzeiten, die Straftaten sowie über Art und Höhe
der ausgesprochenen Strafen und den Stand der Strafvollstreckung enthalten, sowie
die Aktenzeichen der früheren Verfahren mitteilen (BGH bei Dallinger MDR 1976,
13). Die zugrunde liegenden Sachverhalte müssen nur mitgeteilt werden, wenn hierauf bei der Strafzumessung – über die Tatsache der Vorbestraftheit hinaus – Bezug
genommen wird (BGHR StPO § 267 Abs. 3 S. 1 Strafzumessung 6 und 16; OLG
Frankfurt StV 1989, 155; OLG Koblenz VRS 76, 436). Im Bundeszentralregister
getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen dürfen bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden (§§ 51, 65, 66 BZRG; BGH 24, 378; 25, 85). Eintragungen im Erziehungsregister dürfen nicht mehr verwertet werden, wenn der Betroffene das
24. Lebensjahr vollendet hat, es sei denn, es ist im Zentralregister eine Verurteilung
zu Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung eingetragen (§ 63 BZRG). Wird die Eintragung
einer Verwarnung mit Strafvorbehalt gem. § 12 Abs. 2 BZRG aus dem Register entfernt, so entsteht dadurch ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG (BGH 28,
338). Es ist stets der Zeitpunkt der Verkündung, nicht derjenige der Rechtskraft der
Verurteilung maßgebend (BGH 25, 19; 29, 252).
Dass Fälle, in denen der Angeklagte trotz bestehenden Verdachts freigesprochen 478
worden ist, nicht straferhöhend berücksichtigt werden dürfen, ist selbstverständlich.
Nicht generell ausgeschlossen ist es jedoch einem früheren Strafverfahren, selbst
wenn es mit einer Einstellung oder einem Freispruch geendet hat, eine bei der Strafzumessung berücksichtigungstaugliche Warnfunktion beizumessen (BGH NStZ-RR
2005, 72; NStZ 2006, 620, str.). Stets aber dürfen genau darzulegende Tatsachen, die
ein früheres Verfahren zutage gefördert hat, strafschärfend verwertet werden, z.B. die
besondere Anfälligkeit des Täters für Straftaten der abgeurteilten Art. Grundsätzlich
ist es dem Strafrichter nicht verwehrt, Tatsachen, die der Straftat vorangegangen oder
ihr nachgefolgt sind (z.B. bei Fahren unter Alkohol den zur Verschleierung unternommenen Nachtrunk, vgl. BGH 17, 143), bei der Bildung der Strafe mit zu berücksichtigen. Der Verdacht weiterer Straftaten darf nicht zur Strafverschärfung dienen.
Daher ist es unzulässig, straferschwerend zu berücksichtigen, dass der Angeklagte als
rücksichtsloser Fahrer (BayObLG NJW 1952, 314) oder als »Schläger« (Mösl DRiZ
1979, 168) gelte. Dagegen können wirklich festgestellte, nicht angeklagte Straftaten
herangezogen werden, aber nur, wenn sie nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit
des Täters auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lassen (BGH NStZ 1998, 404); es darf dabei aber nicht die Möglichkeit
gegeben sein, dass der Angeklagte wegen derselben Straftat doppelt bestraft wird
(Mösl DRiZ 1979, 168; BGH bei Theune NStZ 1986, 158). Ähnliches gilt, wenn die
165
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Strafverfolgung z.B. wegen eines Prozesshindernisses nicht mehr möglich ist (BGH
NStZ 1987, 127 mit abl. Anm. Vogler); denn auch ein Verfahren, das nicht mit einer
Bestrafung endet, kann dem Täter die Folgen strafbaren Verhaltens vor Augen führen. Begeht er danach trotz dieser Warnung eine Straftat, wiegt sein Handlungsunrecht schwerer als ohne sie (BGH bei Spiegel DAR 1980, 200). Zu beachten ist aber,
dass verjährte Taten nicht mit ihrem vollen Gewicht, sondern nur in eingeschränktem
Maße strafschärfend verwertet werden dürfen, weil sonst das Rechtsinstitut der Verjährung praktisch unterlaufen würde (BGH StV 1994, 423; vgl. auch Jähnke, FS Salger,
1995, S. 47 und Tepperwien, ebenda, S. 189). Auch bei der Strafzumessung (wie beim
Schuldbeweis, vgl. oben Rn. 357) können aber nur erwiesene Tatsachen, die Gegenstand der Verhandlung waren, zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden;
auch insoweit gilt der Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten« (BGH 1, 51;
StV 1986, 5).
479 Strafschärfend ist es zu werten, wenn der Täter während eines Hafturlaubs oder
während des Laufes einer Bewährungsfrist straffällig geworden ist. Dabei fällt der
Umstand des Bewährungsbruchs stärker ins Gewicht, wenn die Tat auf einem zuvor
gefassten Plan beruht, der Täter also Zeit hat, neben anderen Gesichtspunkten auch
den der laufenden Bewährungsfrist zu bedenken. Doch ist eine strafschärfende Berücksichtigung auch bei »Augenblickstaten« zulässig. Die Verbüßung von Untersuchungshaft stellt grundsätzlich nur bei solchen Angeklagten einen Strafmilderungsgrund dar, gegen die keine ohnehin zu verbüßende Freiheitsstrafe verhängt wird; im
Übrigen wird die Untersuchungshaft nach § 51 StGB angerechnet (vgl. BGH NStZ
2012, 100 sowie Rn. 99, 518). Mildernd wirken allenfalls solche Umstände, die über
die mit dem Vollzug von Untersuchungshaft üblicherweise verbundenen Beschwernisse deutlich hinausgehen (besonders belastende persönliche Umstände, Haftpsychose, vgl. BGH NJW 2006, 2645); auch die Tatsache der Erstverbüßung einer Freiheitsstrafe bekommt in der Regel erst dann das Gewicht eines bestimmenden
Strafzumessungsgrundes, wenn besondere Gründe wie Alter oder Krankheit hinzukommen (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18 und § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 19).
480 dd) Trunkenheit und § 21 StGB. Trunkenheit wird – auch wenn die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht gegeben sind – im Allgemeinen als Milderungsgrund in Frage
kommen, da sie die Tathemmungen auszuschalten pflegt. Das gilt besonders, wenn
der Täter von seiner Neigung zur Begehung von Straftaten nach vorangegangenem
Alkoholgenuss nicht wusste (BGH bei Holtz MDR 1977, 982); kannte der Täter hingegen diese Neigung, so kann Strafminderung versagt werden (BGH MDR 1960, 938;
OLG Köln NStZ 1981, 63).
481 Beim Führen von Kraftfahrzeugen im Zustand der durch Alkoholgenuss herbeigeführten Fahruntüchtigkeit (§§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, 316 StGB) wird die Trunkenheit
um so schärfer zu beurteilen sein, je größer sie ist; soll von dieser Regel abgewichen
werden, so müssen die Umstände, die die Abweichung rechtfertigen sollen, besonders sorgfältig erörtert werden. Besonderheiten der konkreten Tat, z.B. der Beweggrund des Fahrens, die Höhe des Blutalkoholgehalts, das vorsätzliche Fahren in
Kenntnis der Fahruntüchtigkeit, die Tatsache, dass der Angeklagte Wiederholungstäter ist, wenn er auch nur wegen anderer, nicht geringfügiger Verkehrsstraftaten
vorbestraft ist, sind zu berücksichtigen. Die Größe der Rechtsverletzung kann also
verschieden sein, so dass eine »Einheitsstrafe« für alle Trunkenheitsdelikte – etwa
166
II. Verurteilung
30 Tagessätze bei fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr – verfehlt wäre (Leonhard
DAR 1979, 89). Bei einer Trunkenheitsfahrt wird die Strafmilderung nach § 21 StGB
nur selten in Betracht kommen (Janiszewski NStZ 1985, 112), sie ist aber auch hier
nicht ausgeschlossen (OLG Karlsruhe VRS 81, 19), etwa bei einem alkoholkranken
Angeklagten.
Der Schuldvorwurf nach § 323a StGB beschränkt sich auf die Vorwerfbarkeit des 482
Rausches. Dass der Täter im Vollrausch eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen
hat, ist nur Bedingung der Strafbarkeit (BGH 16, 124). Bei der Strafzumessung dürfen daher nur die Umstände des Sichberauschens und die schuldhaft vom Täter herbeigeführte Gefahr, er könne wegen des hierdurch bedingten Verlustes der Selbstkontrolle rechtswidrige Handlungen irgendwelcher Art begehen, berücksichtigt werden
(BGH bei Spiegel DAR 1979, 180). Täterbezogene Merkmale dürfen nicht strafschärfend verwertet werden (BGH bei Holtz MDR 1982, 812), wohl aber tatbezogene
Merkmale, so Art, Umfang, Schwere, Gefährlichkeit und Folgen der im Vollrausch
begangenen Tat, da sich hieraus die konkrete Gefährlichkeit des mit Strafe bedrohten
Sichbetrinkens im Einzelfall ergibt (BGH NStZ-RR 2001, 15).
Die Strafmilderung nach § 21 StGB ist fakultativ und liegt im pflichtgemäßen Ermes- 483
sen des Tatrichters (vgl. Rn. 382 ff.). Grundsätzlich setzt die erheblich verminderte
Schuldfähigkeit den Schuldgehalt und damit auch die Strafwürdigkeit der Tat herab.
Die vom Gesetz vorgesehene Regelstrafe kann aber dann schuldangemessen sein,
wenn die geringere Schuld des Täters infolge verminderter Schuldfähigkeit durch
anderweite schulderhöhende Elemente aufgewogen wird (BVerfG 50, 5; BGH 49,
239). Solche Umstände können z.B. in der besonderen Verwerflichkeit der Tat und
ihrer Ausführung liegen. Strafmilderung kann versagt werden, wenn der Täter die
Neigung hat, nach Alkoholgenuss Straftaten zu begehen und wenn ihm diese Neigung bewusst ist oder bewusst hätte sein können, wobei aber die Straftaten in etwa
vergleichbar sein müssen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 43); dies jedoch nur dann, wenn
dem Täter der Alkoholkonsum uneingeschränkt vorwerfbar ist, was u. U. nicht der
Fall ist, wenn der Täter alkoholkrank ist und aufgrund eines unwiderstehlichen, ihn
weitgehend beherrschenden Hangs trinkt (vgl. BGH 49, 239 auch zu Ausnahmen).
Der Gesichtspunkt der Spezialprävention ist hingegen kein schulderhöhender Umstand, der es erlauben würde, von einer Strafmilderung abzusehen. Die Feststellung
erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit einerseits, erheblicher krimineller Energie
andererseits braucht nicht widersprüchlich zu sein. Das Gericht darf nicht die Anwendbarkeit des § 21 StGB verneinen und zugleich erklären, auch im Falle verminderter Schuldfähigkeit hätte es aber keine Strafmilderung gewährt (Rn. 417a). Auch
wenn die erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht erwiesen, sondern nur nach
dem Grundsatz »in dubio pro reo« unterstellt ist, darf ihr deswegen kein geringeres
Gewicht beigemessen werden (BGH StV 1984, 69; 464). Soweit einzelne Umstände
der Tatausführung gerade durch den psychischen Zustand des Täters, der die erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit begründete, bedingt sind, dürfen sie nicht strafschärfend bewertet werden (BGH 16, 364; NStZ-RR 2012, 169); jedoch ist auch der gem.
§ 21 StGB vermindert Schuldfähige für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten
Ausgestaltung strafrechtlich verantwortlich, so dass für eine Verwertung der Handlungsintensität Raum bleibt (BGH NStZ 1987, 321 f.; 1988, 310; StV 2001, 615).
ee) Prozessverhalten und Verhalten nach der Tat. Das Geständnis war nach frühe- 484
rer Rechtsprechung nur dann strafmildernd zu berücksichtigen, wenn es aus einem
167
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
echten Reue- und Schuldgefühl heraus abgegeben worden war, nicht wenn es auf
»erdrückenden Beweisen« beruhte (BGH bei Detter NStZ 1990, 221). Jedoch erscheint es fraglich, ob es überhaupt möglich ist, aus dem Prozessverhalten des Angeklagten für ihn nachteilige sichere Schlüsse auf seine Einstellung zur Tat ziehen zu
können. Deswegen, ferner auch mit Rücksicht auf die vielfach geübte Praxis der Absprachen im Strafverfahren, bei denen gegen ein Geständnis Strafmilderung zugesagt
wird, und schließlich wegen der forensischen Erfahrung, dass viele Angeklagte auch
trotz »erdrückender Beweise« die Tat leugnen, erscheint es richtig, einem Geständnis
in der Regel strafmindernde Bedeutung zuzumessen. Die strafmindernde Bedeutung
kann – abhängig davon in welchem Verfahrensstadium und bei welcher Beweislage
das Geständnis abgelegt wird – unterschiedlich zu bewerten sein.
485 Beim Leugnen sollte der Richter den Beweggründen für dieses Verhalten nachspüren; es kann auf begreiflicher Angst vor den wirtschaftlichen Folgen seiner Verurteilung, auf Scham oder auf der Besorgnis beruhen, er könne andere, die ihm nahestehen, dadurch belasten. Die Tatsache, dass ein Angeklagter schweigt, leugnet oder
Ausflüchte macht, darf grundsätzlich nicht zu seinen Lasten gewertet werden; nur
wenn es bei der Art der Tat und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, auf seine Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen
lässt, kann ein solches Verhalten ausnahmsweise strafschärfend gewürdigt werden
(BGH NStZ 1981, 257; 1983, 453). Fehlerhaft ist es, wenn dem Angeklagten, der die
gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden bestreitet, das Fehlen von Einsicht und
Reue strafschärfend angerechnet wird: Von einem leugnenden Angeklagten kann
Reue und Einsicht nicht erwartet werden, da er sonst seine Verteidigungsposition
gefährden würde oder aufgeben müsste (BGH NStZ 2006, 96). Dasselbe gilt, wenn er
versucht, seine Tat als Notwehrhandlung darzustellen. Ebenso wenig kann von ihm
die Wiedergutmachung des Schadens erwartet werden, denn darin läge ein Eingeständnis der Schuld (BGH NStZ 2003, 199). Auch das Leugnen »trotz eindeutiger
Beweislage« und eine gleichwohl im letzten Wort abgegebene Unschuldsbeteuerung
dürfen nicht strafschärfend gewertet werden (OLG Köln MDR 1980, 510; VRS 56,
147). Unzulässig ist es auch strafschärfend zu werten, dass der Angeklagte nicht nur
seine unrichtige Einlassung aufrechterhalten, sondern sie mit wechselndem, jeweils
wahrheitswidrigem Vorbringen an die Beweislage anzupassen versucht hat (BGH
NStZ 1996, 80). Ebenfalls darf das Beseitigen von Tatspuren, um nicht mit ihrer Hilfe
überführt zu werden, nicht ohne weiteres strafschärfend berücksichtigt werden,
selbst wenn es »kaltblütig« geschieht (BGH NStZ-RR 2004, 105). Ebenso wenig wie
aus dem Schweigen des Angeklagten zur Anklage nachteilige Schlüsse für seine
Schuld gezogen werden dürfen (vgl. oben Rn. 359), ist dies bei der Strafzumessung
gestattet; so darf ihm z.B. auch nicht strafschärfend angelastet werden, dass er seine
Hintermänner nicht benannt hat (BGH StV 1996, 88).
486 Allgemein sollte dem Prozessverhalten des Angeklagten bei der Strafzumessung keine
zu große Bedeutung zuerkannt werden. Selbstverständlich ist es kein Strafschärfungsgrund, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung ungebührlich aufgeführt hat
(BGH NJW 2004, 239; anders bei demütigendem Verhalten gegenüber dem Opfer).
Eine rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten, die zur Strafschärfung berechtigt,
kann nicht darin gefunden werden, dass er einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt (BGH NStZ-RR 1999, 328), wohl aber darin, dass er sich in einer für die Verteidigung nicht erforderlichen Weise gegen die Glaubwürdigkeit eines Zeugen wendet
(BGH NStZ 2004, 616) oder dass er in prozessordnungswidriger Weise einen Zeugen
168
II. Verurteilung
einzuschüchtern versucht und damit das Prozessergebnis in unzulässiger Weise beeinflussen will oder in sonstiger Weise versucht, einen Zeugen zu einer Falschaussage zu
bestimmen (BGH NStZ-RR 2004, 106). Das reine »Dulden« einer Falschaussage ist
kein Strafschärfungsgrund. Unmutsäußerungen des Angeklagten während der Urteilsverkündung dürfen natürlich auch nicht berücksichtigt werden, da sie nicht im Verfahren nach § 261 StPO gewonnen worden sind (BGH NStZ 2001, 595).
Erschwerend kann nicht sein, dass infolge des Leugnens des Angeklagten die Ver- 487
nehmung jugendlicher Zeugen erforderlich wurde (BGH 1, 342; GA 1962, 339; NJW
1966, 894), strafmildernd allerdings, dass er Kindern (oder sonstigen Geschädigten)
durch sein Geständnis eine erneute Vernehmung erspart hat. Es darf nicht schärfend
gewertet werden, dass sich der Angeklagte eines ihm zustehenden Rechtsmittels bediente oder dass er die ihm angebotene Einstellung nach § 153 StPO abgelehnt hat
(OLG Köln MDR 1981, 954). Als straferschwerend darf aber der Umstand verwertet
werden, dass der Angeklagte im Strafverfahren keine Aufklärung über den Verbleib
der durch die Straftat erlangten Güter gegeben hat. Wenn er jedoch die Aufklärung
erschwert, um nicht namhaft gemachte Teilnehmer zu schützen, so liegt darin keine
verwerfliche Gesinnung, die strafschärfend zu berücksichtigen ist.
Ebenso wie das Leugnen kann ein Verhalten des Täters nach der Tat nur strafschär- 488
fend wirken, falls es trotz der ihm zustehenden Verteidigungsfreiheit auf Rechtsfeindschaft, seine Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche hinweist oder
andere mit der Tat zusammenhängende ungünstige Schlüsse auf seine Persönlichkeit
zulässt (BGH NStZ 2004, 616). Das ist etwa der Fall, wenn der Täter aus Wut oder
wider besseres Wissen einen Zeugen belastet. Eine nach der zur Aburteilung stehenden Tat begangene Straftat, die Gegenstand eines selbständigen, noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens ist, darf nur unter Beachtung dieser Gesichtspunkte strafschärfend verwertet werden (BGH 34, 210; zur Problematik vgl. Haberstroh NStZ
1984, 291). Voraussetzung der Verwertung ist aber, dass sich das Gericht selbst von
der Begehung dieser neuen Tat durch den Angeklagten überzeugt hat (OLG Schleswig MDR 1976, 1036).
ff) Verfahrensverzögerung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesge- 489
richtshofs erfordert zunächst der lange Zeitraum, der zwischen Tat und Urteil bei
einwandfreier Führung des Angeklagten verstrichen ist, strafmildernde Berücksichtigung und eine entsprechende Erörterung im Urteil.
Unabhängig hiervon ist es weiterhin strafmildernd zu berücksichtigen, wenn das Ver- 490
fahren in vermeidbarer, den Strafverfolgungsbehörden zurechenbarer Weise verzögert
und damit das in Art. 6 Abs. 1 MRK garantierte Recht des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden ist. Eine derart
rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist ein selbständiger Strafmilderungsgrund. Es muss sich aber um eine erhebliche Verzögerung handeln; die angemessene
Frist hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BVerfG NJW 1992, 2472); dabei
sind die Schwere des Tatvorwurfs, Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens, Art
und Weise der Ermittlungen sowie die Belastung durch das Verfahren für den Beschuldigten und sein eigenes Verhalten zu berücksichtigen (BGH NStZ 1999, 313).
Eine gewisse Untätigkeit führt noch nicht zur Strafmilderung, wenn die angemessene
Zeit insgesamt nicht überschritten wird (BGH 49, 342). Allein die Verfahrensverzögerung durch Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache begründet
regelmäßig keine Strafminderung (BGH wistra 2000, 462).
169
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
490a Im Urteil hat der Tatrichter zunächst stets Art und Ausmaß der Verzögerung sowie
ihre Ursache konkret festzustellen. Nach früherer Rechtsprechung musste der Tatrichter dann in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der
an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret
bestimmen. Das galt sowohl für die Bildung der Gesamtstrafe wie auch für alle
zugrunde liegenden Einzelstrafen. Dem folgend musste der Tatrichter in den Urteilsgründen für jede Einzeltat und für die Gesamtstrafe jeweils zwei Strafen ausweisen.
In die Urteilsformel war nicht die der Schuld angemessene, sondern allein die gemilderte Strafe aufzunehmen (sog. Strafzumessungslösung, zusammenfassend BGH
NJW 2007, 3294).
490b Nach geänderter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Beschl. v. 17.1.2008
– GSSt 1/07, NJW 2008, 860) hat der Tatrichter nunmehr schuldangemessene, die
Verfahrensverzögerung außer Betracht lassende Einzelstrafen festzusetzen, aus ihnen
eine Gesamtstrafe zu bilden und sodann die Kompensation dadurch vorzunehmen,
dass er in der Urteilsformel ausspricht, dass ein bezifferter Teil der verhängten Strafe
als vollstreckt gilt (sog. Vollstreckungslösung, Rn. 102a, 460a). Maßgebliche Kriterien sind dabei vor allem der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerungen, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen
all dessen auf den Angeklagten. Demgegenüber spielen das Gewicht der Tat und das
Maß der Schuld weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert
worden ist noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle
(BGH NStZ 2012, 316). Bei nur geringfügigen Verzögerungen kann zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung
in den Urteilsgründen genügen. Die Vollstreckungslösung findet auch bei der Verhängung von Jugendstrafe Anwendung (BGH NStZ 2012, 152).
491 gg) Fahrlässigkeitstaten. Auch hier ist mangelnde Einsicht des Angeklagten kein
Strafschärfungsgrund, wenn sie auf seiner Überzeugung, unschuldig zu sein, beruht.
Schwere Eigenverletzungen des Täters, der fahrlässig gehandelt hat, sind strafmildernd, auch wenn es sich nicht um solche mit schicksalhaften Dauerschäden handelt.
492 Bei Fahrlässigkeitstaten ist es nicht stets ein Rechtsfehler, wenn das Mitverschulden
des Verletzten nicht erörtert wird. Der Strafausspruch ist nur dann fehlerhaft, wenn
entweder das Verhalten des Verletzten falsch gewürdigt, insbesondere das Mitverschulden rechtsirrig bejaht oder verneint wird, oder wenn nach den Urteilsgründen
ein (nicht nur geringes) Mitverschulden nahe liegt, dessen sich der Richter offensichtlich nicht bewusst war (BGH bei Spiegel DAR 1980, 198). Wenn sich ein erhebliches
Mitverschulden des Verletzten nicht ausschließen lässt, muss es zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden. So wirkt es strafmildernd, wenn der Verletzte entgegen dem Gebot des § 21a Abs. 1 S. 1 StVO den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, es
sei denn, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass gleichschwere Verletzungen
auch bei angelegtem Gurt eingetreten wären (BayObLG VRS 55, 269), oder wenn der
Motorradfahrer oder -beifahrer entgegen § 21a Abs. 2 StVO keinen Sturzhelm trug.
493 Bei fahrlässig begangenen Verkehrsstraftaten dürfen Vorstrafen, die auf anderen Gebieten liegen, nur dann erschwerend berücksichtigt werden, wenn sie geeignet sind,
die Persönlichkeit des Täters in Beziehung auf die zur Aburteilung stehende Tat zu
kennzeichnen (KG VRS 30, 200). Da Fahrlässigkeitstaten meist nicht die Folge
rechtsfeindlicher Gesinnung sind, dürfen Vorstrafen grundsätzlich nur mit Vorsicht
zur Strafschärfung verwertet werden; es kann aber sein, dass die den Vorbelastungen
170
II. Verurteilung
zugrunde liegenden Taten Ausdruck derselben Gesinnung sind (z.B. frühere Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, nunmehr Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung auf Grund grobfahrlässigen Umgangs mit einer geladenen und entsicherten Pistole; BGH bei Dallinger MDR 1976, 13).
hh) Versuch und Beihilfe. Das Gericht hat die Prüfung, ob eine Strafmilderung ein- 494
treten soll, nicht darauf zu beschränken, ob die versuchte Tat in ihrem Schuld- und
Unrechtsgehalt so weit hinter der geplanten vollendeten Tat zurückbleibt, dass sie
deshalb eine mildere Verurteilung verdient. Der Richter hat vielmehr auf Grund
einer Gesamtbetrachtung aller Tatumstände und der Täterpersönlichkeit zu entscheiden (BGH 16, 351; 17, 266). Von Bedeutung sind die Nähe zur Tatvollendung,
die Gefährlichkeit des Versuchs und das Maß der in ihm zutage getretenen kriminellen Energie. Falsch ist die oft zu lesende Erwägung, eine Milderung komme
nicht in Frage, weil die Nichtvollendung der Tat »kein Verdienst« des Täters gewesen, er vielmehr durch äußere Umstände an der Vollendung gehindert worden sei;
wäre die Nichtvollendung sein Verdienst, läge nämlich ein strafbefreiender Rücktritt vor.
Es ist nicht unzulässig, bei der Bildung der Versuchsstrafe zunächst von dem Straf- 495
maß auszugehen, das bei Vollendung der Tat angemessen wäre. So kann es bei beendetem Versuch vielfach sachgemäß oder sogar geboten sein, bei der Strafzumessung
den Versuch nach dem gewollten Erfolg zu würdigen, sich hierbei ein Bild über die
der vollendeten Tat gerecht werdende Strafe zu machen und dann unter Beachtung
des § 23 StGB die Versuchsstrafe zu bemessen. Die Urteilsgründe müssen zweifelsfrei
ergeben, dass die Möglichkeit erwogen ist, die versuchte Tat nach § 23 StGB milder
zu bestrafen, und welchem Strafrahmen das Gericht die Strafe hiernach entnommen
hat. Nicht nur, wenn das Gericht keine Milderung vornimmt, sondern auch, wenn es
sich für die Milderungsmöglichkeit entscheidet, muss es dafür eine Begründung geben; das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Versuchshandlung in ihrem Unrechtsgehalt der Vollendung sehr stark nähert (BGH bei Holtz MDR 1981, 979).
Nach einem Rücktritt vom Versuch dürfen die weggefallenen Delikte bei der Straf- 496
zumessung für die übrig gebliebenen Taten nicht mehr berücksichtigt werden. War
der Angeklagte vom Versuch der Vergewaltigung strafbefreiend zurückgetreten und
wegen Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt, so kann ihm also ein
Vergewaltigungsvorsatz nicht schärfend angerechnet werden (BGH bei Holtz MDR
1980, 813), ebenso nicht der ursprüngliche Tötungsvorsatz bei einer Verurteilung
wegen gefährlicher Körperverletzung (BGH 41, 10; NStZ 2003, 143).
Schwierigkeiten bereitet die Behandlung des Versuchs im Zusammenhang mit der 497
Prüfung, ob ein besonders schwerer Fall gegeben ist; das ist bei der Anwendung des
§ 243 StGB von großer praktischer Bedeutung: Den Versuch eines Diebstahls in einem besonders schweren Fall gibt es an sich begrifflich nicht. Vielmehr kann es sich
nur um einen versuchten Diebstahl handeln, bei dem zu prüfen bleibt, ob er als solcher als besonders schwerer Fall im Sinne des § 243 StGB anzusehen ist. Nur wenn
dies zu bejahen ist, bestimmt sich der Strafrahmen nach § 243 Abs. 1 S. 1 StGB. Andernfalls muss er § 242 StGB entnommen und kann die Strafe gegebenenfalls nach
§§ 23, 49 StGB gemildert werden. Ein Fall des § 243 StGB kommt aber auch in Betracht, wenn das Regelbeispiel nur versucht, etwa der begonnene Einbruch nicht gelungen ist (BGH 33, 370 mit Anm. Küper JZ 1986, 518 und Anm. Schäfer JR 1986,
522).
171
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
498 Ist für den Gehilfen einer Tat zu entscheiden, ob ein besonders schwerer oder minder
schwerer Fall vorliegt, so ist zu beachten, dass die Frage für den Haupttäter und den
Gehilfen unterschiedlich beantwortet werden muss. Es kommt darauf an, ob unter
Berücksichtigung des Gewichts der Haupttat die Unterstützung selbst einen besonders schweren oder minder schweren Fall darstellt; das wird sehr häufig verkannt
(BGH NStZ 1983, 217; StV 1984, 254). Falls der Beteiligte nur wegen Fehlens eines
besonderen persönlichen Merkmals als Gehilfe verurteilt wird, so kann ihm die in
§§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 StGB vorgeschriebene Strafmilderung nur einmal zugute
kommen (Mösl NStZ 1981, 134).
499 ii) Falschaussage. Bei Verurteilungen nach §§ 153, 154 StGB wird zweckmäßigerweise § 157 StGB (Aussagenotstand) immer erörtert, mag er zutreffen oder nicht, und
mag sich der Angeklagte darauf berufen haben oder nicht. Dabei kommt eigennütziger (um von sich selbst die Gefahr einer Bestrafung abzuwenden) und fremdnütziger
(zugunsten eines Angehörigen) Aussagenotstand in Betracht. § 157 StGB ist schon
dann einschlägig, wenn der uneidlichen Falschaussage oder der Eidesverletzung jeweils die Absicht des Täters zugrunde lag, die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung
von sich abzuwenden; es genügt, dass dieser Beweggrund nicht auszuschließen ist
(BGH NStZ 2005, 33). Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, ist hierfür, unabhängig von der objektiven Sachlage, ausschließlich die Vorstellung des Täters maßgebend. § 157 StGB ist selbst dann anwendbar, wenn sich – insbesondere in Verbindung
mit der sonstigen Sachlage – die Gefahr einer Strafverfolgung nur aus dem Bestehen
eines falschen Verdachts ergibt, auch wenn der Zeuge überhaupt keine strafbare
Handlung begangen hat.
500 In einem solchen Fall scheitert die Anwendung des § 157 StGB auch nicht daran, dass
die Zwangslage vom Zeugen selbst verschuldet worden ist, weil er trotz der vorausgegangenen Belehrung von dem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO
keinen Gebrauch gemacht und (oder) die Zwangslage durch die erste Falschaussage
selbst herbeigeführt hat. Vielmehr kann bei zwei in Tatmehrheit zueinander stehenden Aussagedelikten für das weitere ein Aussagenotstand in Betracht kommen, wenn
der Täter hierbei auch aus der Befürchtung gehandelt hat, er könnte bei wahrheitsgemäßer Aussage wegen seiner früheren unrichtigen Aussage bestraft werden. Die
Voraussetzungen des Aussagenotstands sind auch dann gegeben, wenn die Abwendung der vorangestellten Gefahr für den Zeugen nicht der alleinige oder der Endzweck war. Der Gedanke an die Gefahr braucht nur mitbestimmend gewesen zu sein
(BGH NStZ-RR 2007, 40). § 157 StGB findet auch dann Anwendung, wenn der Täter zwar nicht die Bestrafung als solche abwenden, wohl aber auf die Höhe der Bestrafung Einfluss nehmen will (BGH 29, 298).
Die Annahme des Aussagenotstands eröffnet eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 2
StGB. Sie kann auch zur Annahme eines minderschweren Falls nach § 154 Abs. 2
StGB führen (s. oben Rn. 444).
501 Während der Angeklagte einen Anspruch auf Strafmilderung nach § 157 Abs. 1 StGB
nicht hat (BGH JR 1991, 520 mit Anm. Heusel), ist es stets ein Milderungsgrund,
dass es bei richtigem Verfahren zu einer Vereidigung gar nicht hätte kommen dürfen,
oder wenn der Täter, wäre er belehrt worden, die Aussage verweigert hätte (BGH
NStZ 2005, 33). Dem Anstifter zum Meineid kann es nicht strafmildernd zugute
kommen, dass der Vereidigung des Angestifteten § 60 Nr. 2 StPO entgegenstand
(BGH 19, 113). Dass sich der Angeklagte vor seiner Vernehmung als Zeuge nach
172
II. Verurteilung
§§ 30 Abs. 1, 154 StGB strafbar gemacht hatte, steht einer Vereidigung nach § 60
Nr. 2 StPO nicht entgegen und kann daher auch nicht zur Annahme eines minder
schweren Falls nach § 154 Abs. 2 StGB führen (BGH MDR 1982, 336). Zu den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines auf Fahrlässigkeit beruhenden
Falscheids vgl. OLG Koblenz NStZ 1984, 551.
kk) Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.40 Für den Schuldumfang sind ne- 502
ben der Art der Betäubungsmittel auch Menge und Wirkstoffgehalt der gehandelten
Rauschmittel maßgeblich; auf deren Feststellung kann daher regelmäßig nicht verzichtet werden. Auch wenn die Betäubungsmittel nicht sichergestellt sind und eine
Untersuchung daher nicht möglich ist, sind alle Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen, notfalls ist der Wirkstoffgehalt anhand des Preises, der Herkunftsquelle
oder der berichteten Qualität zu schätzen (BGH NStZ 2012, 339). Es ist rechtsfehlerhaft, wenn straferschwerend angeführt wird, dass der Täter beim unerlaubten
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach Gewinn gestrebt habe; denn das Handeltreiben ist seinem Wesen nach eigennütziges Verhalten. Es darf dem Angeklagten
nicht schärfend angerechnet werden, dass er Angaben zu bestimmten Punkten verweigert, z.B. die Identität eines Rauschgiftlieferanten nicht preisgibt, und es dadurch
unterlässt, die Verursachung weiteren Schadens durch den Dealer zu verhindern. Die
Abhängigkeit von Betäubungsmitteln begründet für sich allein noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit; das ist vielmehr nur anzunehmen, wenn
langjähriger Betäubungsmittelgenuss zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen
geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und dadurch
dazu veranlasst wurde, sich durch eine Straftat Drogen zu verschaffen, schließlich,
wenn das Delikt im Zustand eines starken Rauschs verübt wurde (vgl. BGH NStZ
2013, 53).
Straferschwerend dürfen jedoch verwerfliche Verkaufsmethoden, die große Menge 503
(BGH NStZ 1990, 84) oder die erhöhte Gefährlichkeit des abgesetzten Betäubungsmittels sowie die Dauer des betriebenen Handels gewertet werden; dasselbe gilt für
ein besonders verwerfliches, den Rahmen des Tatbestandsmäßigen deutlich übersteigendes Gewinnstreben, das als »Profitgier« bezeichnet werden kann (BGH NJW
1980, 1345).
Bei der fakultativen Strafrahmenmilderung nach § 31 BtMG müssen die Urteilsgrün- 504
de erkennen lassen, welcher Strafrahmen der Strafzumessung zugrunde liegt. Eine
Milderung nach § 31 BtMG kommt nur in Frage, wenn die Angaben des Täters vor
der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgen, einer Überprüfung durch die Strafverfolgungsbehörden standhalten und wesentlich dazu beitragen, dass eine Straftat nach
den §§ 29 bis 30a Abs. 1 BtMG, die mit seiner Straftat im Zusammenhang steht, aufgedeckt bzw. verhindert wird (zur Rechtslage für vor dem 1. August 2013 begangene
Taten vgl. BGH NStZ 2013, 665). Das ist im Urteil darzulegen. Das Vorliegen der
Voraussetzungen des § 31 BtMG kann schon für sich allein oder im Zusammenhang
mit weiteren Milderungsgründen einen minder schweren Fall nach §§ 29a Abs. 2,
30 Abs. 2 BtMG begründen oder zur Ablehnung eines besonders schweren Falls nach
§ 29 Abs. 3 BtMG führen (BGH 31, 170).
40 Vgl. hierzu die regelmäßig erscheinenden Rechtsprechungsübersichten von Winkler in der NStZ.
173
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
504a Wird eine nicht tatgeneigte Person durch einen »agent provocateur« in einer dem
Staat zuzurechnenden Weise zu einer Betäubungsmittelstraftat verleitet, liegt darin
ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 S. 1
MRK. Dieser Verstoß ist in den Urteilsgründen festzustellen und bei der Festsetzung
der Rechtsfolgen zu kompensieren. Die Kompensation erfolgt – auch nach der neuen
Rechtsprechung zur Anrechnung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung
(BGH Beschl. v. 17.1.2008 – GSSt 1/07, NJW 2008, 860) – weiterhin nach der sog.
Strafzumessungslösung, d. h. durch eine bezifferte Herabsetzung der an sich verwirkten Strafe (vgl. BGH 45, 321; Rn. 490a).
505 ll) Unwesentliche Nebendelikte. Stellt das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft
die Strafverfolgung wegen einer Tat nach § 154 Abs. 2 StPO ein, so darf aus dieser
Tat auch kein Strafschärfungsgrund für die anderen, zur Verurteilung führenden Taten hergeleitet werden; denn der Angeklagte rechnet nicht mehr mit einer Bestrafung
für die eingestellte Tat. Eine gleichwohl erfolgte Bewertung bei der Strafzumessung
verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens (BGH NStZ 1981, 100; dazu
Bruns NStZ 1981, 81; vgl. auch BGH NStZ 1987, 134 mit Anm. Rieß). Das gilt auch,
falls ein anderes Gericht den Einstellungsbeschluss gefasst hatte (BGH 30, 197).
Ebenso ist es unzulässig, einzelne abtrennbare Teile der Tat oder einzelne Gesetzesverletzungen, die nach § 154a StPO ausgeschieden wurden, bei der Strafzumessung
zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen (BGH GA 1980, 311 mit Anm. Rieß).
Dieser Grundsatz ist auch anzuwenden, wenn schon die Staatsanwaltschaft die Beschränkung vorgenommen und das Gericht die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen hatte (BGH 30, 147).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Umstände der unter die Einstellung fallenden
Tatkomplexe prozessordnungsgemäß festgestellt sind und außerdem der Angeklagte
ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass trotz der Einstellung sein Verhalten
hinsichtlich der anderen Taten strafschärfend berücksichtigt werden kann (BGH
NStZ 1981, 100; 31, 302). Ob dies auch anzunehmen ist, wenn die Staatsanwaltschaft
insoweit nach § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen hatte, ist umstritten
(bejahend BGH NStZ 1983, 20, verneinend BGH 30, 165).
506 mm) Unzulässige Strafzwecke. Jede Verknüpfung von Überlegungen zur Strafaussetzung mit der Frage der Festlegung der Strafhöhe ist zu unterlassen. Das Bestreben, einem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, darf nicht
dazu führen, dass die schuldangemessene Strafe unterschritten wird (BGHSt 57, 123,
134). Die an sich angemessene Strafe darf auch nicht deshalb geringer bemessen werden, weil der Angeklagte keine Strafaussetzung zur Bewährung verdient, sondern
seine Strafe verbüßen soll. Ebenso wäre es umgekehrt unzulässig, die Strafe zum
Ausgleich dafür zu erhöhen, dass dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung
bewilligt worden ist. Erst ist die schuldangemessene Strafe zu finden und dann zu
prüfen, ob diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (vgl. BGH NStZ
2008, 693). Desgleichen darf die Anordnung einer Maßregel nicht zur Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen (BGHSt 57, 123, 134).
174
II. Verurteilung
8. Minder und besonders schwere Fälle
a) Anwendungsbereich
Während § 267 Abs. 2 StPO die tatbestandsmäßig festgelegten, benannten Strafände- 507
rungen erfasst (dazu siehe oben Rn. 404), betrifft § 267 Abs. 3 S. 2 und 3 die unbenannten Strafänderungen, bei denen also die Milderungs- und Erschwerungsgründe
nicht abschließend tatbestandsmäßig ausgestaltet sind.
Minder schwere Fälle sieht das StGB z.B. in §§ 81 Abs. 2, 82 Abs. 2, 177 Abs. 5, 213, 221 Abs. 4, 224
Abs. 1, 225 Abs. 4, 226 Abs. 3, 227 Abs. 2, 239 Abs. 5, 249 Abs. 2, 250 Abs. 3, 306 Abs. 2, 306 a
Abs. 3, 308 Abs. 4, 315 Abs. 4, 315 b Abs. 3, 316 a Abs. 2; besonders schwere Fälle z.B. in §§ 94
Abs. 2, 95 Abs. 3, 125 a, 177 Abs. 2, 212 Abs. 2, 240 Abs. 4, 243 Abs. 1, 253 Abs. 4, 263 Abs. 3, 264
Abs. 2, 267 Abs. 3, 292 Abs. 2, 300 vor.
Das StGB lässt bei den besonders und minder schweren Fällen eine Systematik hin- 508
sichtlich der Strafrahmenbestimmung vermissen: So gibt es Fälle, in denen sich der
Normalstrafrahmen an den Ausnahmestrafrahmen anschließt (z.B. § 81 Abs. 1: nicht
unter 10 Jahre, § 81 Abs. 2: bis zu 10 Jahre) oder nur die Höchst- oder die Mindeststrafe heraufgesetzt wird (z.B. § 212 Abs. 2: lebenslang statt 15 Jahre; § 177 Abs. 2:
Mindeststrafe 2 Jahre statt einem Jahr), regelmäßig überschneiden sich aber Ausnahme- und Normalstrafrahmen, indem die Mindest- und die Höchststrafe erhöht (§ 243
Abs. 1 gegenüber § 242; § 250 Abs. 3 gegenüber § 250 Abs. 1 und 2) oder die Mindest- und die Höchststrafe ermäßigt werden (z.B. § 224 Abs. 1: drei Monate bis zu
5 Jahren gegenüber 6 Monate bis zu 10 Jahren; § 249 Abs. 2: 6 Monate bis zu 5 Jahren
gegenüber 1 Jahr bis zu 15 Jahren). Schon diese Unterschiede zeigen, dass der Richter
den besonders und minder schweren Fällen besondere Aufmerksamkeit widmen
muss (vgl. »zur Problematik der besonders schweren Fälle im Strafrecht« Maiwald
NStZ 1984, 433 und »zur Aufgabe der besonders schweren Fälle« Montenbruck
NStZ 1987, 311).
Entscheidend für das Vorliegen eines besonders schweren oder eines minder schwe- 509
ren Falles ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom
Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so
erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung dieser Frage ist deshalb eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst
innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGH NStZ 1982, 246;
1983, 119). So ist z.B. die Nebenfolge des Verlustes der Beamtenrechte (s.o. Rn. 471)
bereits bei der Strafrahmenwahl zu berücksichtigen (BGH 35, 148; abl. Streng NStZ
1988, 485).
Ein minder schwerer Fall ist anzunehmen, wenn Umstände objektiver oder subjek- 510
tiver Art vorliegen, welche die Anwendung des Regelstrafrahmens nicht angebracht
erscheinen lassen, weil sie die Strafwürdigkeit im Vergleich zu den erfahrungsgemäß
gewöhnlich vorkommenden und bei der Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens
schon bedachten Fällen verringern. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Fall als minder
schwer einzustufen ist, muss eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, die für die
Wertung von Tat und Täter bedeutsam sein können, angestellt werden. Es genügt
nicht, dass einzelne Strafmilderungsgründe vorliegen. Die wesentlichen entlastenden
175
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
und belastenden Tatsachen sind gegeneinander abzuwägen. Der auf der Grundlage
einer solchen Abwägung sich ergebende Gesamteindruck ist entscheidend dafür, ob
der vom Gesetz vorgesehene außerordentliche Strafrahmen anwendbar ist (BGH GA
1980, 143). Sehr häufig wird übersehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei Vorliegen eines sog. »vertypten Milderungsgrundes« (z.B. §§ 21, 23
Abs. 2, 27 Abs. 2 StGB) grundsätzlich zu prüfen ist, ob wegen eines solchen Milderungsgrundes ein minder schwerer Fall gegeben oder ob der Regelstrafrahmen gem.
§ 49 Abs. 1 StGB zu mildern ist (BGH NStZ-RR 2013, 7; vgl. Rn. 444 ff.). Eine solche Prüfung ist unerlässlich, wenn zwei gesetzlich vertypte Milderungsgründe (z.B.
§ 21 StGB und § 31 BtMG) zusammentreffen (Mösl NStZ 1984, 494). Eine Straftat,
die die Merkmale des Regelbeispiels eines besonders schweren Falles erfüllt, kann
trotz Strafmilderungsgründen in aller Regel nicht als »minder schwer« eingeordnet
werden (BayObLG JZ 1992, 259 mit krit. Anm. Grasnick).
511 Ein besonders schwerer Fall liegt nur dann vor, wenn die Tat bei Berücksichtigung
aller Umstände die erfahrungsgemäß vorkommenden und vom Gesetz für den Spielraum des ordentlichen Strafrahmens schon bedachten Fälle an Strafbarkeit derart
übertrifft, dass der ordentliche Strafrahmen nicht ausreicht (BGH 28, 319; NStZ
1983, 408). Der Richter kann auf die Strafzumessungstatsachen, auf Grund derer er
einen besonders schweren oder minder schweren Fall bejaht hatte, in späteren Zumessungserwägungen nochmals zurückkommen (BGH bei Spiegel DAR 1977, 148;
vgl. dazu näher oben Rn. 445).
512 Für Haupttäter und Gehilfen ist das Vorliegen eines minder schweren oder eines
besonders schweren Falles gesondert zu prüfen. Wenn die Haupttat nicht als minder
schwerer Fall einzuordnen ist, folgt daraus noch nicht dasselbe für die Beihilfe. So
kann ein minder schwerer Fall bei der Beihilfe dann verneint werden, wenn gerade
diese Handlung so schwer wiegt, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens
nicht gerechtfertigt erscheint (Mösl NStZ 1984, 495). Umgekehrt wird oftmals die
Beihilfehandlung im Gegensatz zur Haupttat als minder schwer eingestuft werden
können.
513 In diesem Zusammenhang ist auch auf die im StGB vorgesehenen Fälle hinzuweisen
(z.B. §§ 83a, 84 Abs. 4, 5, 98 Abs. 2, 158), in denen das Gericht die Strafe nach seinem
Ermessen gem. § 49 Abs. 2 StGB mildern, d.h. bis zum gesetzlichen Mindestmaß der
angedrohten Strafe herab gehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen
kann. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen der Milderung gegeben, macht das Gericht von ihr aber keinen Gebrauch, so hat das Gericht dies in den Strafzumessungsgründen näher darzulegen; sonst liegt ein sachlich-rechtlicher Fehler vor, auf den die
Revision gestützt werden kann41.
b) Erörterung in den Gründen
514 Der Richter muss stets von Amts wegen prüfen, ob ein minder schwerer oder ein
besonders schwerer Fall gegeben ist. Dabei hat er zunächst zu entscheiden, von welchem Strafrahmen er ausgehen will; erst danach hat er die Strafzumessung im engeren
Sinn vorzunehmen. Die Frage des minder schweren Falles ist also von ihm vor den
sonstigen Milderungsgründen zu erwägen. In den Urteilsgründen – und zwar im Zu41 Vgl. auch Kalf, Der Umfang revisionsrechtlicher Prüfung bei minder schweren und besonders
schweren Fällen, NJW 1996, 1447.
176
II. Verurteilung
sammenhang mit den Strafzumessungsgründen – muss er das Ergebnis seiner Überlegungen aber nur in folgenden Fällen erörtern:
Hat er einen minder schweren Fall angenommen, so muss er in den Gründen die 515
Umstände darlegen, die ihn zu dieser Annahme gebracht haben. In der Regel hat er
dabei die Tatsachen zu bezeichnen, in denen er diese Umstände erblickt.
Verneint er hingegen einen minder schweren Fall, so ist er verfahrensrechtlich zur 516
Darstellung der dafür maßgeblichen Gründe nur genötigt, wenn die Annahme eines
solchen Falls beantragt worden war. Die Behauptung genügt – im Gegensatz zu den
Fällen des § 267 Abs. 2 StPO – hier noch nicht. Ein Antrag liegt aber in diesem Sinne
schon dann vor, wenn die Prozessbeteiligten eine Strafe beantragen, die nur bei Annahme eines minder schweren Falls zulässig ist; dagegen ist der Antrag, »eine mildere« oder »eine ganz milde« Freiheitsstrafe zu verhängen, dem Antrag auf Annahme
eines minder schweren Falls nicht gleichzusetzen, wieder anders aber, wenn »die mildest mögliche Strafe« beantragt wird. Liegt demnach ein Antrag auf Annahme eines
minder schweren Falles vor, so müssen die Gründe Ausführungen dazu enthalten; es
genügt dann nicht, dass sich aus der festgesetzten Strafe die Entscheidung darüber
mittelbar ergibt. Aus sachlich-rechtlichen Gründen sind aber auch ohne einen Antrag
über das Nichtvorliegen eines minder schweren Falls Ausführungen zu machen,
wenn der Sachverhalt dazu Anlass gibt; das ist immer der Fall, wenn eine Reihe von
gewichtigen Strafmilderungsgründen Unrecht und Schuld des Täters oder die Schuld
allein gemindert erscheinen lassen (BGH NStZ-RR 2012, 153). Nur wenn die Verneinung des minder schweren Falls »auf der Hand« liegt, bedarf es der Erörterung im
Urteil nicht (BGH GA 1987, 226; NStZ 1991, 529).
Zur Annahme eines besonders schweren Falls ist zu unterscheiden, ob das Gesetz 517
Regelbeispiele (wie z.B. in §§ 125a, 177 Abs. 2, 240 Abs. 4, 243 Abs. 1 StGB) aufstellt
oder nicht (wie z.B. in §§ 212 Abs. 2 StGB). Sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben und nimmt der Richter dementsprechend einen
besonders schweren Fall an, so genügt es, wenn er zur Begründung auf die entsprechende gesetzliche Vorschrift (z.B. § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB, beachte aber § 243
Abs. 2 StGB!) verweist. Beim Vorliegen eines Regelbeispiels besteht nämlich eine –
allerdings widerlegbare – Vermutung dafür, dass der Fall insgesamt als besonders
schwer anzusehen ist. Zwar ist auch hier stets zu bedenken, ob der Normalstrafrahmen wegen außergewöhnlicher Umstände genügt; diese Überlegungen brauchen aber
nicht ins Urteil aufgenommen zu werden, wenn nach Lage des Falles die Anwendung
des Normalstrafverfahrens fern liegt (BGH NStZ 1988, 367). Will der Richter trotz
Vorliegens eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall verneinen, so muss er
dazu in den Gründen nähere Ausführungen machen. Eine Verneinung ist denkbar,
wenn in der Tat oder in der Person des Täters außergewöhnliche Umstände vorliegen, die sein Unrecht oder seine Schuld deutlich vom Regelfall abheben (BGH NStZ
1984, 27). Das wird etwa bei einem gescheiterten Einbruch in Betracht zu ziehen und
im Urteil zu begründen sein (BGH 33, 375). Will der Richter einen besonders schweren Fall annehmen, obwohl die Voraussetzungen eines Regelbeispiels nicht gegeben
sind, so bedarf auch dies einer eingehenden Erörterung in den Gründen, wobei alle
wesentlichen tat- und täterbezogenen Umstände abzuwägen sind (BGH GA 1978,
242). Kennt das Gesetz keine Regelbeispiele, so ist die Annahme eines besonders
schweren Falls ebenso wie beim minder schweren Fall zu begründen. Lehnt der
Richter die Annahme eines besonders schweren Falls trotz eines hierauf gerichteten
177
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Antrags ab, so hat er die hierfür maßgeblichen Gründe darzulegen. War ein Antrag
nicht gestellt worden, so bedarf es – ebenso wie beim minder schweren Fall – keiner
Begründung, warum das Vorliegen eines besonders schweren Falls verneint wurde.
9. Anrechnung der Untersuchungshaft
518 Die Untersuchungshaft oder jede andere Freiheitsentziehung, die der Verurteilte
aus Anlass der Tat erlitten hat, ist grundsätzlich auf zeitige Freiheitsstrafe und auf
Geldstrafe anzurechnen (§ 51 Abs. 1 S. 1 StGB). Als Freiheitsentziehung gilt u.a. die
vorläufige Festnahme, die Anstaltunterbringung nach § 81 StPO, die Unterbringung
nach §§ 72 Abs. 4, 73 JGG, die Auslieferungs-, Durchlieferungs- und Abschiebungshaft. Anzurechnen ist auch eine im Ausland wegen der Tat erlittene Freiheitsentziehung (§ 51 Abs. 3 StGB). Rechnet das Gericht eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung auf die erkannte Strafe an, so muss es gem. § 51 Abs. 4 S. 2 StGB den
Umrechnungsmaßstab bestimmen; waren etwa die Haftbedingungen im Ausland erheblich schwerer, so kommt ein günstigerer Maßstab als 1 : 1 in Betracht. Die Freiheitsentziehung wird angerechnet auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe, dagegen nicht auf Nebenstrafen und Nebenfolgen; für das Fahrverbot gilt die
Sonderregelung in § 51 Abs. 5 StGB. Einer ausdrücklichen Entscheidung in der Urteilsformel bedarf es nur in den oben Rn. 99 f. genannten Fällen. Insbesondere ist die
519 – volle oder teilweise – Ablehnung der Anrechnung in der Formel auszusprechen
und in den Gründen zu rechtfertigen; eine spätere Nachholung der Ablehnung ist
nicht zulässig. Unter »Verhalten des Verurteilten nach der Tat«, das zur Ablehnung
der Anrechnung führen kann, ist nur das Verhalten im Verfahren zu verstehen, z.B.
böswillige Verschleppung, nicht aber zulässiges Prozessverhalten (BGH NStZ 1999,
347) oder ein Verhalten, das die Schuld erhöht, z.B. die böswillige Unterlassung der
Wiedergutmachung des Schadens oder eine neue Straftat. Fluchtvorbereitungen oder
ein Fluchtversuch können eine Versagung der Anrechnung nur rechtfertigen, wenn
und insoweit sie zu einer Verschleppung des Verfahrens geführt haben (BGH 23,
307). Eine Nichtanrechnung darf nur dann erfolgen, wenn der Angeklagte eine Prozessverschleppung beabsichtigt hat; Nichtbefolgen von Auflagen eines Außervollzugsetzungsbeschlusses nach § 116 StPO genügt allein nicht (BGH bei Holtz MDR
1979, 454).
520 Der Anrechnung erlittener Untersuchungshaft steht es nicht entgegen, dass sie bereits beendet war, bevor der Täter die zur Verurteilung führende Tat begangen hat
(wenn er also z.B. von einem weiteren Tatvorwurf, der zur Anordnung der Untersuchungshaft geführt hatte, freigesprochen worden ist, BGH 28, 29). Bei mehreren
Gesamtstrafen (vgl. oben Rn. 457) ist im Urteil eine Bestimmung darüber, auf welche
von ihnen die Untersuchungshaft angerechnet werden soll, nicht erforderlich; dies ist
Aufgabe der Vollstreckungsbehörde (BGHR StPO § 260 Urteilsgründe 3).
521 Inwieweit bei sog. verfahrensfremder Untersuchungshaft – z.B. wurde die Untersuchungshaft in einem Verfahren verbüßt, das dann nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde – eine Anrechnung zulässig ist, war unter den Oberlandesgerichten stark
umstritten. BGH 43, 112 (mit krit. Anm. Stree NStZ 1998, 136) hat diese Frage nun
dahin beantwortet, dass die Anrechnung zulässig ist, wenn zwischen den Verfahren
eine funktionale Verfahrenseinheit bestand. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass
zwischen den Strafverfolgungen hinsichtlich der die Untersuchungshaft auslösenden
Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt, ein Zusammenhang bestand
178
II. Verurteilung
oder zwischen ihnen ein irgendwie gearteter sachlicher Bezug vorhanden war. Dann
ist es auch unschädlich, wenn die Verfahren getrennt geführt wurden; es kommt nur
darauf an, dass die vorläufige Freiheitsentziehung sich auf den Gang oder den Abschluss des anderen Verfahrens konkret ausgewirkt hat (im Ergebnis aus verfassungsrechtlicher Sicht ebenso BVerfG NStZ 1999, 24 und 125).
10. Nebenstrafen und Nebenfolgen
Die Urteilsgründe müssen auch Ausführungen über die Notwendigkeit und Ange- 522
messenheit der ausgesprochenen Nebenstrafen und Nebenfolgen (Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, § 45 StGB, öffentliche Bekanntmachung, §§ 165, 200 StGB, Fahrverbot, § 44 StGB, Einziehung, §§ 74 ff. StGB, und
Verfall, §§ 73 ff. StGB) enthalten.
Erkennt das Gericht nicht auf Nebenstrafen und Nebenfolgen, obwohl diese zuläs- 523
sig wären, spricht es z.B. den Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des
Stimmrechts nicht aus oder verhängt es kein Fahrverbot, so braucht es in den Urteilsgründen nicht zu erörtern, warum es die Nebenstrafe nicht verhängt hat. Ein sachlich-rechtlicher Verstoß liegt, falls sich die Urteilsgründe hierüber nicht aussprechen,
nur vor, wenn sich aus ihnen ein sicherer Anhalt dafür ergibt, dass sich das Gericht
der ihm durch das Strafgesetz eingeräumten Möglichkeit, auf die Nebenstrafe zu erkennen, nicht bewusst war.
Das Fahrverbot nach § 44 StGB (zum Fahrverbot nach 25 StVG s. Rn. 793) ist Ne- 524
benstrafe, und zwar seiner Zweckbestimmung nach in erster Linie Denkzettel- und
Besinnungsstrafe für nachlässige oder leichtsinnige Kraftfahrer mit leicht unfallträchtigem Verhalten (Spezialprävention!); es ist in der Regel zu verhängen, wenn in den
Fällen einer Verurteilung nach §§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3, 316 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleibt. Auch beim Fahrverbot ist der allgemeine Strafzweck der Abschreckung anderer mit zu berücksichtigen (BayObLG VRS 32, 347).
Ein Fahrverbot ist grundsätzlich auch dann auszusprechen, wenn die endgültige
Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB wegen der Dauer der vorläufigen
Entziehung nicht mehr in Betracht kommt und das Fahrverbot gem. § 51 Abs. 5
StGB deshalb nicht vollstreckbar ist (BGH 29, 58). Grundlage für das Fahrverbot
können nur Pflichtverletzungen von einigem Gewicht sein; zur Begründung der
Anordnung eines Fahrverbots bei einer Tat, die sich im unteren Bereich der Schwereskala der Tatverwirklichung bewegt, reicht daher allein die Wiedergabe der Tatbestandsmerkmale nicht aus (OLG Köln VRS 59, 104). Zu prüfen und gegebenenfalls im Urteil darzulegen, ist auch, ob der Zweck des an sich verwirkten
Fahrverbots durch eine empfindliche Erhöhung der Strafe erreicht werden kann
(OLG Düsseldorf VRS 84, 337) und ob ein eingeschränktes Fahrverbot (z.B. bei
einem Berufskraftfahrer) genügt (OLG Köln DAR 1991, 113). Das Verbot wird mit
Rechtskraft wirksam, die Verbotsfrist beginnt allerdings erst an dem Tag zu laufen,
an dem der Führerschein in amtlichen Gewahrsam gelangt. Mehrere Anordnungen
des Fahrverbots werden nebeneinander, nicht nacheinander vollstreckt (OLG Celle
NZV 1993, 157; str.).
Sehr sorgfältig muss der Richter bei der Anordnung der Einziehung und des Verfalls 525
arbeiten. Die gesetzliche Regelung (§§ 73 ff. StGB) ist recht kompliziert; dies hat zur
Folge, dass es in der Praxis immer wieder zu Fehlentscheidungen kommt, weil die
179
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
gesetzlich richtige und gebotene Maßnahme nicht getroffen wird.42 Es ist zu unterscheiden:
526 Die Maßnahme des Verfalls (§ 73 StGB) dient der Abschöpfung unrechtmäßig erlangten Vermögenszuwachses. Durch Gesetz vom 7.3.1992 (BGBl. I S. 372) sind die
Vorschriften über den Verfall dahin geändert worden, dass vom Netto- zum Bruttoprinzip übergegangen worden ist. Während früher der Verfall auf die Abschöpfung
des Gewinns beschränkt war, kann jetzt alles, was der Täter für die Straftat oder aus
ihr erlangt hat, ohne Abzug Gewinn mindernder Kosten für verfallen erklärt werden
(BGH 56, 191, 195). Bei mehreren Tatbeteiligten genügt die Erlangung einer wirtschaftlichen Mitverfügungsgewalt (BGH NJW 2012, 92). Mehrere Angeklagte haften
dann als Gesamtschuldner, was im Tenor im Hinblick auf die Vollstreckungsmöglichkeit gem. § 459g Abs. 2 StPO zum Ausdruck zu bringen ist (BGH StraFo 2013,
77). Auf nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellte Taten kann der Verfall nicht gestützt
werden (BGH wistra 2012, 69). Eine Verfallsanordnung scheidet aber gem. § 73
Abs. 1 S. 2 StGB aus, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist,
dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten
entziehen würde43. Dabei ist allein die rechtliche Existenz des Anspruchs entscheidend, nicht ob er voraussichtlich geltend gemacht wird (BGH NStZ-RR 2006, 138)44.
Bei Anwendung des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB ist nach § 111i Abs. 2 StPO, neugefasst
durch Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24.12.2006 (BGBl. I 2350 ff.), der Umfang des aus der Straftat
Erlangten zu bezeichnen und festzustellen, dass nur deshalb nicht auf (Wertersatz-)
Verfall erkannt wird, weil Ansprüche des Verletzten einer solchen Anordnung entgegenstehen. So wird die Basis für einen späteren Auffangrechtserwerb des Staates nach
§ 111i Abs. 5 StPO geschaffen (BGH NJW 2008, 1093; StV 2008, 226). Während im
Tenor der Geldbetrag zu benennen ist, den der Staat unter den Voraussetzungen der
§ 111i Abs. 5 als Zahlungsanspruch erwirbt, ist in den Gründen das aus der Tat Erlangte zu bezeichnen. Die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Angeklagter für
den Zahlungsanspruch muss nicht zwingend im Tenor zum Ausdruck gebracht werden; ein entsprechender Hinweis in den Gründen genügt (BGH NStZ-RR 2013,
254). Ist das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Betroffenen, kommt der Verfall
des Wertersatzes nach § 73a StGB in Betracht. Dabei – wie auch sonst – ist aber
§ 73c StGB zu berücksichtigen (BGH StV 2013, 610). Regelmäßig sind zunächst die
Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 S. 2 StGB zu prüfen. Danach kann eine Verfallsanordnung unterbleiben, soweit das Erlangte oder dessen Wert im Vermögen des
Betroffenen nicht mehr vorhanden ist. Wird nach dieser Regel nicht von der Verfallsanordnung abgesehen, ist die Erörterung einer »unbilligen Härte« gemäß S. 1
42 Um den Lohn eines gedungenen Mörders einzubehalten, hatte die Strafkammer gegen den
Anstifter zum Mord »die Einziehung des asservierten Geldes« angeordnet. Das war falsch; es
wäre eine Verfallsanordnung gegen den Angestifteten zu erlassen gewesen (BGH Beschl. v.
6.11.1984 – 4 StR 579/84).
43 Zur Bedeutung von § 73 Abs. 1 S. 2 StGB für den Verfall bei bestehenden Steuerforderungen vgl.
BGH 47, 260; NStZ 2001, 155; § 111i StPO kommt aber nicht zum Tragen hinsichtlich für die
Tat Erlangtes. Dieses unterliegt dem Verfall ohne Rücksicht auf Ansprüche Verletzter (BGH
wistra 2013, 347).
44 Um die Rechte noch unbekannter Anspruchssteller zu sichern, sieht § 111i StPO die Möglichkeit
vor, eine angeordnete Beschlagnahme zugunsten der Verletzten zu verlängern; falls die dort vorgesehen Frist abläuft, ohne dass ein Berechtigter Ansprüche geltend gemacht hat, sind die Sachen
nach § 983 BGB zu behandeln (BGH StV 1995, 301).
180
II. Verurteilung
geboten. Anders als bei der Einziehung (dazu sogleich unten) braucht die Anordnung des Verfalls bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt zu werden (BGH
NStZ 2001, 312).
Scheidet die Anordnung des Verfalls nach § 73 StGB aus, sind die Voraussetzungen 527
eines erweiterten Verfalls nach § 73d StGB zu prüfen. Er darf aber nur in den Fällen angeordnet werden, in denen das Gesetz auf diese Vorschrift verweist, z.B. in
§§ 150 Abs. 1, 181c, 244 Abs. 4, 244a Abs. 3 StGB. Hiernach ist die Anordnung des
erweiterten Verfalls schon zulässig, wenn die Umstände die Annahme rechtfertigen,
dass die Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind;
dies ist aber verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Anordnung die uneingeschränkte tatrichterliche Überzeugung von der deliktischen Herkunft der Gegenstände voraussetzt (BGH 40, 371). Die mit dem erweiterten Verfall einhergehende Vermögenseinbuße ist in der Regel kein Strafmilderungsgrund (BGH NStZ
1995, 491).
Bei der Einziehung, die nur zulässig ist, wenn der einzuziehende Gegenstand die in 528
§ 74 Abs. 1 StGB beschriebene Beziehung zur abgeurteilten Straftat hat, muss sich
aus den Gründen ergeben, ob sie auf § 74 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB (oder auf einer Vorschrift des Nebenstrafrechts wie § 33 BtMG, § 54 WaffG) beruht. Die Einziehung ist eine Nebenstrafe und damit Teil der Strafzumessung. Aus dem Urteil muss
sich deshalb ergeben, aus welchen Gründen sie neben der Hauptstrafe angebracht
und erforderlich ist und ob und in welchem Umfang sie bei der Festsetzung dieser
Strafe mitberücksichtigt worden ist (BGH StV 2013, 565). Hierbei muss vor allem der
Wert des eingezogenen Gegenstandes beachtet werden. Nähere Darlegungen in den
Urteilsgründen sind nur dann entbehrlich, wenn der Wert des Gegenstandes gering
ist und dieser zu einer Vielzahl von Straftaten benutzt wurde (z.B. ein altes Auto, das
ständig zum Abtransport der Diebesbeute diente; vgl. BGH NStZ 1985, 362). Auch
bei gesetzlich gebotenen Maßnahmen – wie der obligatorischen Einziehung einer
Schusswaffe nach § 54 Abs. 1 WaffG – ist das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot zu beachten (BGH NStZ 1981, 104).
Eine Einziehung des Wertersatzes nach § 74c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass dem 529
Täter der ursprünglich einziehungsbetroffene Gegenstand zur Zeit der Tat gehörte
oder zustand (BGH 33, 233).
Einer förmlichen Einziehungsanordnung bedarf es nicht, wenn der Angeklagte sich 530
mit der formlosen Einziehung einverstanden erklärt. Diese Erklärung enthält einen
unwiderruflichen Verzicht auf etwa bestehende Herausgabeansprüche und macht
damit einen förmlichen Einziehungsausspruch überflüssig (BayObLG wistra 1997,
109; vgl. dazu Ströber/Guckenbiehl Rpfleger 1999, 115).
11. Strafaussetzung zur Bewährung, Verwarnung mit Strafvorbehalt und Absehen von Strafe
a) Erörterung im Urteil
Für die Behandlung dieser drei Rechtsinstitute in den Urteilsgründen gelten die glei- 531
chen Grundsätze (§ 267 Abs. 3 S. 4 StPO). Ebenso wie bei den minder schweren Fällen (dazu oben Rn. 510) ist in den Gründen zu §§ 56, 59, 60 StGB (sowie zu den
übrigen Fällen des Absehens von Strafe, dazu unter d) nur Stellung zu nehmen, wenn
181
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
1. eine entsprechende Anordnung getroffen, also die Vollstreckung der Strafe zur
Bewährung ausgesetzt, eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen oder
von Strafe abgesehen wird, oder
2. ein dahingehender Antrag abgelehnt worden ist, die erkannte Freiheitsstrafe also
verbüßt, die Geldstrafe bezahlt werden soll oder von Strafe nicht abgesehen wird
(BGH NStZ-RR 2012, 201).
532 Ein Antrag liegt in diesem Sinne nicht schon dann vor, wenn eine »milde Strafe« beantragt wird. Es muss sich vielmehr bei der Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich aus dem Antrag ergeben, wobei auch ein hilfsweise gestellter Antrag genügt,
dass der Angeklagte von der Strafverbüßung verschont werden soll, bei Verwarnung
mit Strafvorbehalt und Absehen von Strafe, dass die Verurteilung zu Strafe vorbehalten bleiben oder von einem Strafausspruch gegen den Angeklagten Abstand genommen werden soll. Auch ohne Antrag kann das Gericht aber verpflichtet sein, in den
Gründen hierzu Ausführungen zu machen, wenn es nämlich diese Rechtsfolgen aus
sachlich-rechtlichen Erwägungen von Amts wegen zu prüfen hatte. Dies gilt einmal,
wenn der festgestellte Sachverhalt dazu Anlass bietet: Im Schweigen der Urteilsgründe kann dann ein Rechtsfehler liegen, wenn anzunehmen ist, dass das Gericht die
Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt
(dazu OLG Zweibrücken StV 1986, 387) oder des Absehens von Strafe übersehen
hatte (BGH 6, 68, 168). Zum anderen sind Ausführungen in solchen Fällen auch ohne Antrag erforderlich, wenn sich der Angeklagte mit der Antragstellung in Widerspruch zu seinem sonstigen Prozessverhalten setzen würde und deshalb von einem
Antrag abgesehen hat (Janiszewski NStZ 1984, 255); das kann insbesondere der Fall
sein, wenn der Angeklagte seinen Freispruch erreichen will. Die Urteilsgründe müssen also zumindest erkennen lassen, dass dem Gericht die Möglichkeit der Anordnung dieser Rechtsfolgen bewusst war. Dasselbe gilt umgekehrt, wenn das Gericht
etwa die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aussetzt, ohne auf nahe liegende Gründe
für die Ablehnung der Aussetzung einzugehen, z.B. nicht erörtert, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung erfordert, obwohl dies nach dem
Sachverhalt nahe liegt (BGH NStZ 1989, 527).
533 Die Ausführungen in den Gründen müssen deutlich machen, weswegen dem Antrag nicht stattgegeben wurde. Es genügt dafür nicht, einfach den Gesetzeswortlaut
zu wiederholen (»es ist nicht anzunehmen, dass sich der Verurteilte bereits die Verurteilung wird zur Warnung dienen lassen …«) oder nur zu sagen, die Verteidigung der
Rechtsordnung gebiete die Vollstreckung der Strafe oder verbiete das Absehen von
Strafe. Formelhafte Wendungen reichen nicht aus. Wird die Strafaussetzung zur Bewährung wegen einschlägiger Vorstrafen abgelehnt, so sind im Urteil die Vortaten
und die Umstände, unter denen sie begangen wurden, darzulegen, so auch, wenn die
Tat während des Laufs einer Bewährungsfrist begangen wurde. Wird dem Antrag
stattgegeben, so ist auszuführen, worin die Voraussetzungen für die bewilligte Entscheidung gefunden worden sind. Eine Eventualbegründung, dass das Gericht ebenso
entschieden hätte, wenn der erwähnte Grund keinen Bestand haben sollte, ist unzulässig und hat zu unterbleiben (BGH 7, 359).
b) Strafaussetzung zur Bewährung
534 Immer ist zunächst die schuldangemessene Strafe zu finden und erst dann über die
Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung zu befinden
182
II. Verurteilung
(BGH NStZ 2008, 693). Das Bestreben, dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, darf nicht dazu führen, dass die schuldangemessene Strafe
unterschritten wird (BGHSt 57, 123, 134).
Es sind folgende Fälle zu unterscheiden:
Bei Freiheitsstrafe unter 6 Monaten (zur Zulässigkeit solcher kurzzeitigen Frei- 534a
heitsstrafen und ihrer Begründung im Urteil oben Rn. 448) ist die Strafaussetzung bei
günstiger Prognose zwingend vorgeschrieben (§ 56 Abs. 1, 3 StGB). Auch wenn die
Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich
war, muss dann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Verteidigung der
Rechtsordnung darf nicht zur Versagung der Strafaussetzung führen (BGH 24, 164).
Bei Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 1 Jahr ist hingegen neben der günstigen 535
Sozialprognose zusätzlich erforderlich, dass die Verteidigung der Rechtsordnung
nicht die Vollstreckung der Strafe gebietet (§ 56 Abs. 1, 3 StGB; zum Begriff oben
Rn. 450). Mit dieser Frage müssen sich die Gründe in der Regel auseinandersetzen
(OLG Celle MDR 1985, 248). Die Strafaussetzung zur Bewährung ist damit ausgeschlossen, wenn der bloße Strafausspruch angesichts der außergewöhnlichen Fallgestaltung als ungerechtfertigte Nachgiebigkeit oder unsicheres Zurückweichen vor
kriminellen Angriffen verstanden werden könnte und wenn die Strafaussetzung im
Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Falles für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müsste (BGH 24, 40). Andererseits
rechtfertigen selbst erhebliche Vorstrafen dann nicht die Annahme, die Verteidigung
der Rechtsordnung gebiete die Vollstreckung der Strafe, wenn der Angeklagte nach
Begehung der Tat eine längere Freiheitsstrafe verbüßt hat und gerade die Einwirkungen dieser Strafverbüßung jetzt eine günstige Täterprognose ermöglichen (BayObLG
JR 1974, 519 mit zust. Anm. Zipf).
Bei Freiheitsstrafe von 1 Jahr bis zu 2 Jahren ist die Aussetzung möglich, wenn – 536
außer der günstigen Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 und Fehlen der Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 – nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des
Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Das ist der Fall, wenn Umstände gegeben sind, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen
oder einfachen Milderungsgründen von besonderem Gewicht sind und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe
widerspiegelt, als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen. Im Rahmen dieser Gesamtbewertung
können Umstände, die für sich betrachtet nur durchschnittliche oder einfache Milderungsgründe wären, durch ihr Zusammentreffen ein solches Gewicht gewinnen,
dass ihnen die Bedeutung besonderer Umstände im Sinn von § 56 Abs. 2 StGB zukommt (BGH NStZ-RR 2013, 40). Auch Umstände, die nach der Tat eingetreten
sind, dürfen berücksichtigt werden (BGH NStZ 1982, 286). Die besonderen Umstände müssen umso gewichtiger sein, je mehr die ausgesprochene Strafe an der
Obergrenze von zwei Jahren liegt (BGH NStZ 1987, 21). Eine Freiheitsstrafe von
zwei Jahren kann aber auch dann noch zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn
daneben gem. § 41 StGB eine Geldstrafe festgesetzt worden ist (BGH NJW 1985,
1719).
Bei Freiheitsstrafe über 2 Jahre ist Strafaussetzung zur Bewährung stets ausgeschlos- 536a
sen.
183
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
537 Die Strafaussetzung erfordert eine gewissenhafte Prüfung des Einzelfalls. Sie darf
keinesfalls für bestimmte Deliktgruppen generell ausgeschlossen werden. Die Entscheidung liegt letztlich im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (BGH 24, 3).
Ähnlich wie bei der Entscheidung über die Strafzumessung hat dabei der Tatrichter
innerhalb der allgemeinen rechtlichen Grenzen die Macht und die Verantwortung,
das richtige Maß zu finden; das Revisionsgericht hat die Entscheidung des Tatrichters
bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen und in Zweifelsfällen die Wertung des
Tatrichters zu respektieren (OLG Dresden NStZ-RR 2013, 41). Das Gericht hat die
Voraussetzungen des § 56 sorgfältig zu prüfen und im Rahmen der Prüfung bei der
Ausübung seines Ermessens insbesondere eine allseitige Würdigung von Tat und Täter vorzunehmen, bei Anwendung des § 56 Abs. 3 aber auch die Bedeutung des
Schutzes der Rechtsordnung zu erwägen. Eine Bezugnahme auf die Strafzumessungsgründe ist auch in einfachen Fällen nicht ausreichend; die für die Strafzumessung verwendeten Gesichtspunkte sind hier aber erneut zu berücksichtigen (BGH
NStZ 1985, 261).
Im Einzelnen ist zu beachten:
538 Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB hat der Richter sich ein umfassendes Bild von der Persönlichkeit und dem Charakter des Täters zu machen. Dabei kommt es maßgeblich auf das Vorleben des Täters, die Umstände seiner Tat, seine
jetzigen und künftigen Lebensverhältnisse und auf sein Verhalten nach der Tat an.
Leugnen der Tat, fehlende Reue, schlechter Eindruck in der Hauptverhandlung berechtigen für sich allein nicht dazu, die Erwartung der künftigen Straflosigkeit zu
verneinen. Erwartung bedeutet nicht Gewissheit oder sichere Gewähr; der Richter
muss aber von der Wahrscheinlichkeit eines künftigen Lebens des Täters ohne Straftat überzeugt sein, wobei Zweifel zu Lasten des Angeklagten gehen (OLG Oldenburg NStZ-RR 2007, 197). Bei der Prüfung des Vorlebens spielen einschlägige oder
erhebliche Vorstrafen eine Rolle; sie können die günstige Prognose ausschließen.
Doch ist bei früheren Fahrlässigkeitstaten Vorsicht geboten. Umstände, die eine Versagung der Strafaussetzung rechtfertigen, sind z.B. eine aus der Art der Tatausführung sich ergebende erhebliche verbrecherische Intensität, rasche Wiederholungstaten, Rückfall in der Bewährungszeit usw. Bei einem rückfälligen oder mehrfach
bewährungsbrüchig gewordenen Täter wird die Strafvollstreckung erneut nur dann
ausgesetzt werden können, wenn trotz der schlechten Erfahrungen mit dem Täter auf
Grund besonderer Umstände eine günstige Prognose gestellt werden kann. Das muss
besonders eingehend geprüft und dargelegt werden (BGH NStZ 1983, 454).
Bei der Ausübung seines Ermessens im Rahmen der Vorschrift ist der Richter frei,
muss aber aussetzen, wenn er eine günstige Sozialprognose für den Täter stellt. Dies
gilt insbesondere für Freiheitsstrafen unter 6 Monaten. Verhängt er aber eine solche
kurze Freiheitsstrafe nach § 47 StGB, weil er sie zur Einwirkung auf den Täter für
unerlässlich hält, so kann er gleichwohl die Aussetzung gewähren (BGH VRS 41,
181).45
539 Bei Entscheidung der Frage, ob in diesen Fällen die Verteidigung der Rechtsordnung
die Vollstreckung der Strafe gebietet (§ 56 Abs. 3 StGB), sind die Gesichtspunkte
maßgeblich, die auch für die Strafzumessung von Bedeutung sind, wie die Mitschuld
des Verletzten, eigene Verletzungen und Schäden des Täters, offene Reue usw. Die
45 Zu den erhöhten Darlegungsvoraussetzungen vgl. oben Rn. 451.
184
II. Verurteilung
Art der Tatausführung ist ebenso zu beachten wie Gesichtspunkte der Spezialprävention und der »Nachahmungseffekt« für potentielle Täter (BGH NStZ 1985, 165 f).
Der Richter darf nicht in den Fehler verfallen, die Strafaussetzung mit der allgemeinen Begründung abzulehnen, bei Straftaten der in Frage stehenden Art – bei bestimmten Deliktsgruppen oder Deliktstypen (z.B. bei Sittlichkeitsverbrechen oder
schweren Verkehrsstraftaten, vgl. BGH NStZ-RR 2013, 40) oder bei Straftaten von
Personen einer bestimmten Berufsgruppe (Polizei, Richter, Staatsanwälte) erfordere
die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung. Unerheblich ist es, ob die
Geschädigten oder bestimmte Einzelpersonen Verständnis für eine Strafaussetzung
hätten (BayObLG JR 1978, 513 mit krit. Anm. Horn; OLG Koblenz VRS 75, 39).
Sind in einem Urteil mehrere selbständige (Gesamt-)Freiheitsstrafen zu verhängen, so
kann die Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung ihre Vollstreckung gebietet,
nur einheitlich beantwortet werden (BayObLG NStZ-RR 2002, 297).
Die Strafaussetzung nach § 56 Abs. 2 StGB bei Freiheitsstrafen von 1 bis 2 Jahren 540
setzt zunächst voraus, dass eine günstige Sozialprognose gegeben ist. Der Richter
sollte daher auch bei Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr zuerst § 56 Abs. 1 StGB
erörtern (BGH StV 2013, 85); ist die Sozialprognose ungünstig, entfallen Ausführungen zu § 56 Abs. 2 StGB. Es kann sich empfehlen, sodann § 56 Abs. 3 StGB zu prüfen; gerade bei Aussetzung nach § 56 Abs. 2 StGB wird dies sonst häufig vergessen.
Gebietet die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe, ist die
Prüfung des § 56 Abs. 2 StGB ebenfalls entbehrlich. Erst wenn die günstige Sozialprognose bejaht ist und feststeht, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe nicht verlangt, sollte sich der Urteilsverfasser mit § 56 Abs. 2 StGB
auseinandersetzen.
Der Richter darf sich bei Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung im Urteil 541
nicht nur auf die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts des § 56 Abs. 2 StGB beschränken, wenn besondere Umstände – etwa bisherige Unbescholtenheit und lang
zurückliegende Tatzeiten – erkennbar sind oder wenn sich eine über ein Jahr liegende
Gesamtfreiheitsstrafe aus mehreren geringen Einzelstrafen ergibt (BGH 29, 370). Eine nur formelhafte Begründung ohne Eingehen auf die Besonderheiten des Falles
genügt dann nicht (BGH NJW 1983, 1624).
Strafaussetzung kann für Freiheitsstrafen bewilligt werden, gleichgültig, ob sie we- 542
gen eines Verbrechens oder eines Vergehens verhängt worden sind, dagegen nicht für
Geldstrafen (hierzu unten c). Strafaussetzung für einen Teil der erkannten Strafe ist
unzulässig; die Strafaussetzung wird durch die Anrechnung von Untersuchungshaft
oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen (§ 56 Abs. 4 StGB),
wohl aber, wenn die Strafe dadurch voll verbüßt ist (BGH 31, 25; Rn. 99). Soweit es
für die Aussetzung auf die Höhe der Strafe ankommt, ist immer die tatsächlich erkannte Strafe maßgeblich, nicht die Reststrafe nach Anrechnung der Untersuchungshaft.
Hat der Täter mehrere Straftaten begangen, so ist für die Strafaussetzung die Höhe 543
der Gesamtstrafe maßgebend (§ 58 Abs. 1 StGB). Ergibt sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr, so kommt es für die Frage der Strafaussetzung nach § 58
Abs. 1 mit § 56 Abs. 2 StGB auf eine Gesamtwürdigung aller in Betracht kommender
Taten an; es müssen nicht bei jeder einzelnen Tat besondere Umstände vorliegen
(BGH NJW 1980, 649). Wie zu verfahren ist, wenn eine zur Bewährung ausgesetzte
Strafe nachträglich in eine Gesamtstrafe einbezogen wird, regelt § 58 Abs. 2 StGB.
185
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Die Gesamtstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden, auch wenn die Strafaussetzung für eine Einzelstrafe widerrufen worden war.
544 Die Bewährungsanordnungen (Bewährungszeit, Auflagen, Weisungen, Bewährungshilfe, §§ 56a bis 56d StGB) gehören nicht in die Urteilsgründe, sondern in einen
besonderen Beschluss (§ 268a StPO), der nur ausnahmsweise einer Begründung bedarf (vgl. dazu BGH NStZ 1987, 519). Dabei ist zu vermeiden, Auflagen zu erteilen,
die unzulässig sind, z.B. das Verbot, ein Kraftfahrzeug zu führen oder einen bestimmten Beruf auszuüben; solche Auflagen würden eine unzulässige Umgehung des
Gesetzes (§§ 69, 70 StGB) darstellen. Unzulässig ist ferner die Weisung, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und deren Gebiet während der Bewährungszeit
nicht zu betreten (OLG Koblenz NStZ 1987, 24 mit Anm. M.-K. Meyer). Zur Bemessung der Geldauflage vgl. Horn StV 1992, 537.
c) Verwarnung mit Strafvorbehalt
545 Die Anordnung der Verwarnung mit Strafvorbehalt setzt voraus, dass eine Geldstrafe
von höchstens 180 Tagessätzen verwirkt ist (§ 59 Abs. 1 StGB). Auch hier muss – wie
bei der Strafaussetzung zur Bewährung bei einer Freiheitsstrafe – eine günstige Sozialprognose gegeben sein (§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 mit S. 2 und § 56 Abs. 1 S. 2 StGB),
eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters muss besondere
Umstände ergeben, nach denen es angezeigt ist, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu
verschonen (§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB; ähnlich wie bei § 56 Abs. 2 StGB), und die
Verteidigung der Rechtsordnung darf die Verurteilung zu Strafe nicht gebieten
(§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB). Schon daraus folgt, dass die Anordnung der Verwarnung mit Strafvorbehalt Ausnahmecharakter hat (BayObLG JR 1976, 511 mit zust.
Anm. Zipf; OLG Koblenz GA 1978, 207). Der Richter muss daher, wenn er eine
Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen hat, in den Urteilsgründen eingehend
darlegen, dass sich die Verfehlung »durch besondere tatbezogene Umstände in mindestens einer Beziehung aus dem Kreis vergleichbarer, gewöhnlich vorkommender
Durchschnittsfälle so deutlich heraushebt, dass Verschonung von Strafe angezeigt ist«
(BayObLG JR 1976, 511 mit zust. Anm. Zipf).
546 Wegen dieses Ausnahmecharakters kommt bei durchschnittlichen Verkehrsverstößen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt eher selten in Betracht (OLG Düsseldorf
NZV 1991, 435; OLG Stuttgart NZV 1994, 405), weshalb in diesen Fällen § 59 StGB
in den Urteilsgründen auch nicht ausdrücklich erörtert werden muss. Hat der Täter
durch seine Tat selbst erhebliche Nachteile, etwa in seiner Familie, an seiner Gesundheit oder im Beruf erlitten, so kann die Anwendung des § 59 StGB gerechtfertigt sein
(BGH bei Dallinger MDR 1976, 14).
547 Neben der Verwarnung mit Strafvorbehalt kann auf Verfall, Einziehung oder Unbrauchbarmachung erkannt werden; wird eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, so ist die Verwarnung jedoch unzulässig (§ 59 Abs. 2 StGB). Erlittene Untersuchungshaft steht der Anordnung einer Verwarnung mit Strafvorbehalt
nicht entgegen. Ob neben ihr ein Fahrverbot, das Verurteilung zu Strafe voraussetzt,
angeordnet werden darf, ist umstritten, die h.M. verneint es (BayObLG NStZ 1982,
258 mit Anm. Meyer-Goßner; OLG Stuttgart NZV 1994, 405), jedenfalls darf ein
Fahrverbot selbst nicht vorbehalten werden (BayObLG NJW 1976, 301). Zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der Verwarnung mit Strafvorbehalt vgl. § 59c
StGB, der §§ 53 bis 55 und 58 StGB für entsprechend anwendbar erklärt.
186
II. Verurteilung
Ebenso wie bei der Strafaussetzung zur Bewährung werden die Entscheidungen über
Bewährungszeit und Auflagen in einem gesonderten Beschluss getroffen (§ 268a
StPO).
d) Absehen von Strafe
Von Strafe kann das Gericht z.B. nach §§ 83a, 87 Abs. 3, 98 Abs. 2, 113 Abs. 4, 129 548
Abs. 5, 6, 157, 158 Abs. 1, 320 Abs. 2 StGB, § 29 Abs. 5 BtMG, vor allem auch nach
§ 60 StGB absehen. Das Absehen von Strafe setzt voraus, dass der Angeklagte schuldig ist. Die Gründe müssen sich also über die Schuld des Angeklagten ebenso aussprechen, wie wenn er zur Strafe verurteilt wird. An die Stelle des Strafausspruchs
tritt jedoch der Ausspruch, dass von Strafe abgesehen wird.
Das Gericht muss also etwa im Fall des § 129 Abs. 5 StGB darlegen, dass die Schuld 549
des Angeklagten gering und seine Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, im
Fall des § 157 Abs. 2 StGB, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der uneidlichen
falschen Aussage noch nicht eidesmündig war, im Fall des § 320 Abs. 2 i.V.m.
§ 315 StGB, dass der Angeklagte freiwillig die Gefahr abgewendet hat, bevor ein erheblicher Schaden entstanden war. Dabei genügt es auch hier nicht, zur Darlegung
der Voraussetzungen einfach die Gesetzesworte zu verwenden.
Nach § 60 StGB kann das Gericht von Strafe absehen, wenn
550
1. der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat,
2. die Tat für den Täter schwere Folgen gehabt hat und
3. die Verhängung einer Freiheitsstrafe offensichtlich verfehlt wäre, also eine Einwirkung der Strafe auf den Täter angesichts der Tatfolgen nicht zu erwarten ist.46
Die Bestimmung ist im Grundsatz eine Ausnahmevorschrift. Sie ist aber auch bei 551
vorsätzlichen Delikten anwendbar (BGH 27, 298). Schwere Folgen für den Täter sind
z.B. der Verlust von Angehörigen, schwere körperliche Schäden (OLG Köln
VRS 100, 117) oder schwere seelische Störungen. Die Vorschrift ist nicht schon dann
unanwendbar, wenn durch den vom Angeklagten verschuldeten Verkehrsunfall nicht
nur nahe Angehörige, sondern auch dritte Personen getötet oder erheblich verletzt
worden sind (OLG Frankfurt NJW 1971, 767). Es ist immer eine Gesamtwürdigung
unter Berücksichtigung aller Strafzwecke vorzunehmen; vor allem kann ein geringes
Verschulden das Absehen von Strafe rechtfertigen (OLG Celle NJW 1971, 575). In
erster Linie kommen Folgen für Leib und Leben in Betracht; so ist bei einem »tragischen Konfliktfall«, der zur fahrlässigen Tötung des Ehepartners führte (Tod wegen
krankhaft bedingter Unterernährung), § 60 StGB zu erörtern (BGH NStZ 1997, 121
mit Anm. Stree, wo der BGH auch darauf hinweist, dass § 50 StGB bei der Prüfung,
ob von Strafe abzusehen ist, einer erneuten Heranziehung von Milderungsgründen
nicht entgegensteht). Daneben können aber auch schwere seelische Schädigungen und
schwere wirtschaftliche Folgen zur Anwendung der Vorschrift führen (BayObLG
NJW 1971, 766). Für die Beantwortung der Frage, ob die Verhängung einer Strafe
offensichtlich verfehlt ist, hat der Tatrichter einen Beurteilungsspielraum; das Revisionsgericht darf nicht seine Beurteilung an die Stelle der des Tatrichters setzen
46 § 60 StGB ist auch im Jugendstrafrecht anwendbar (BayObLG NStZ 1991, 584 mit Anm. Scheffler NStZ 1992, 491).
187
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
(OLG Karlsruhe NJW 1974, 1007). Zweifel daran, ob die Verhängung einer Strafe
verfehlt ist, gehen zu Lasten des Angeklagten (BGH MDR 1978, 238).
552 Nach § 199 StGB kann der Richter einen oder beide Beleidiger »für straffrei erklären«. Die Begründung eines solchen Urteils unterscheidet sich von sonstigen Verurteilungen nur durch die Angabe, dass die Beleidigung auf der Stelle erwidert und aus
welchen Gründen von der Befugnis des § 199 Gebrauch gemacht worden ist.
12. Maßregeln der Besserung und Sicherung
a) Erörterung in den Gründen
553 Wird eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, so ist diese im Urteil
zu begründen (§ 267 Abs. 6 S. 1 StPO). Die Revisionsgerichte stellen an die Begründung der Anordnung einer – regelmäßig mit einem einschneidenden Eingriff in die
Handlungsfreiheit verbundenen – Maßregel der Besserung und Sicherung hohe Anforderungen. Sieht das Gericht von einer solchen Anordnung ab, so bedarf es nach
§ 267 Abs. 6 S. 1 StPO einer Begründung nur, wenn in der Verhandlung der Antrag
gestellt worden ist, eine Maßregel der Besserung und Sicherung anzuordnen; eine Ausnahmestellung nimmt die Entziehung der Fahrerlaubnis ein (dazu unten Rn. 585).
554 Der Antrag muss von einem zum Antrag befugten Prozessbeteiligten, also der
Staatsanwaltschaft oder dem Nebenkläger, ausgehen. Wird ein solcher Antrag nicht
gestellt, kann sich gleichwohl aus der Anwendung des materiellen Rechts eine Begründungspflicht dafür ergeben, warum das Gericht eine solche Maßregel nicht verhängt hat. So muss das Absehen von Maßregeln der Besserung und Sicherung begründet werden, wenn die Umstände des Einzelfalls zur Erörterung drängen,
insbesondere, wenn die Anordnung einer Maßregel erwogen wurde (BGH NJW
1999, 2606). Wenn der Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen oder als
vermindert Schuldfähiger verurteilt wurde, muss das Urteil erkennen lassen, ob das
Gericht die Frage einer Unterbringung nach § 63 StGB geprüft hat.
555 Bei der Begründung muss der Richter das Vorliegen der etwa erforderlichen formellen Voraussetzung darlegen, also z.B. bei Anordnung der Sicherungsverwahrung mitteilen, durch welche Urteile der Angeklagte früher zu Einzelstrafen von mindestens
einem Jahr verurteilt worden ist (s. unten Rn. 566). Er muss im Übrigen bei Prüfung
der materiellen Voraussetzungen besonders gewissenhaft und verantwortungsbewusst
verfahren. Hierzu verpflichtet auch die Vorschrift des § 62 StGB den Richter (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit), denn eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf
nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu
erwartenden Taten sowie zu dem Grade der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht. Es sind also mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, nämlich
1. die Bedeutung der begangenen Taten im weitesten Sinne, also Schwere, Art, Häufigkeit, auch im Hinblick auf künftige Taten,
2. die Bedeutung der zu erwartenden Taten; auch sie müssen ihrer Art und ihrer
Schwere nach von gewisser Bedeutung sein,
3. der Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr, d.h. die Wahrscheinlichkeit neuer
Taten und die Rückfallgeschwindigkeit.
Fehlt eine dieser Voraussetzungen, so fehlt es an der Verhältnismäßigkeit zwischen
Tat und Maßregel; eine Maßregel darf dann nicht verhängt werden. Kommt eine
188
II. Verurteilung
Maßregel nach §§ 63–66b StGB in Betracht, ist gem. §§ 246a, 275a StPO in der
Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die
Behandlungsaussichten zu vernehmen (zu den Mindestanforderungen an ein Prognosegutachten Boetticher u.a. NStZ 2006, 537).
Neben lebenslanger Freiheitsstrafe ist die Anordnung einer Maßregel nach §§ 63, 64 556
StGB zulässig, wobei ein Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel (§ 67 Abs. 2
StGB) grundsätzlich ausscheidet (BGH 37, 160 = StV 1991, 560 mit Anm. SchülerSpringorum). Die Einschränkung, dass Sicherungsverwahrung neben lebenslanger
Freiheitsstrafe nicht in Betracht kam, wenn ausschließlich auf diese Strafe erkannt
war, ist durch das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
vom 21.8.2002, das den § 66 StGB entsprechend geändert hat, entfallen. Gleichwohl
scheidet die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe aus praktischen Erwägungen in der Regel aus (BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; dagegen BGH NJW 2013, 3735).
b) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Hier ist zunächst erforderlich, dass die Schuldunfähigkeit bzw. verminderte Schuld- 557
fähigkeit des Täters bei Tatbegehung positiv festgestellt wird, also nicht etwa nur
nicht auszuschließen ist (BGH NJW 2013, 246). Die bloße Möglichkeit genügt nicht,
wohl aber die wahlweise Feststellung des § 20 oder § 21 StGB (BGH 18, 167). Das
Gericht muss klären, ob dem Täter die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit fehlt
bzw. ob sie erheblich vermindert ist und wie sich die Erkrankung des Täters bei der
Ausführung der Anlasstaten konkret ausgewirkt hat (BGH NStZ-RR 2013, 303).
Soweit die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der Einsicht bei
Tatbegehung ausgelöst hat, kommt eine Unterbringung nicht in Betracht (BGH
NStZ-RR 2007, 73). Die Gefährlichkeit des Täters muss dahingehend gegeben sein,
dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten
sind (§ 63 Abs. 1 StGB). Dazu ist darzulegen, dass der Täter mit Wahrscheinlichkeit
(nicht bloß möglicherweise) erhebliche weitere rechtswidrige Taten begehen und damit die Allgemeinheit gefährden würde. Die rechtswidrige Tat muss also in Zusammenhang mit der geistigen Erkrankung des Täters stehen, die die Begehung künftiger
erheblicher Rechtsverletzungen begründet. Die Unterbringung scheidet aus, wenn
der Täter nur vorübergehend schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gewesen ist,
etwa wenn er sich nur vorübergehend in einem Rausch befunden hat oder wenn er
aufgrund eines hochgradigen Affektes gehandelt hat (BGH NStZ-RR 2013, 141).
Zwischen dem seelischen Zustand des Täters und seiner Gefährlichkeit muss ein
symptomatischer Zusammenhang bestehen, so dass Gelegenheits- und Konflikttaten
ausscheiden (BGH 34, 27). In Fällen, in denen letztlich der Alkoholgenuss die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bewirkt hat, kann § 63 StGB lediglich ausnahmsweise angewendet werden, wenn nämlich der Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (BGH NStZRR 2007, 138). Auch eine kumulative Anordnung von Maßregeln z.B. nach § 64 und
§ 63 StGB ist möglich, wenn Unsicherheiten über das Ausreichen allein der milderen
Maßregel des § 64 StGB bestehen (BGH NStZ-RR 2012, 106). Ebenso ist die nochmalige Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neben einer bereits bestehenden Anordnung möglich, jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie zur Erreichung
des Maßregelziels erforderlich ist, weil von ihr Wirkungen ausgehen, die nicht bereits
189
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
der erste Maßregelausspruch zeitigt (BGH StraFo 2013, 250). Im Falle einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist hingegen allein die Aufrechterhaltung der Maßregel geboten, eine neue Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB wäre unzulässig
(BGH NStZ 2009, 565). Die rechtswidrige Tat muss in einem angemessenen Verhältnis zu der Unterbringung stehen. Gelegenheitstaten, kleinere Diebstähle und Betrügereien, bloße Belästigungen, zumal einzelner Personen, scheiden daher aus (BGH
NStZ-RR 1997, 230; 2006, 338). Da jedoch eine Gesamtwürdigung aller in § 63 StGB
genannten Merkmale erforderlich ist, schließt die Tatsache, dass die den Anlass des
Verfahrens bildende Tat nur von geringer Bedeutung ist, die Unterbringung nicht
schlechthin aus (BGH 24, 134). Im Gegensatz zur Sicherungsverwahrung nach
§ 66 StGB wird die mittlere Kriminalität von § 63 StGB mit erfasst.
558 Es ist eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten vorzunehmen. Diese erforderliche Gesamtwürdigung muss sich auch auf die früheren Straftaten des Angeklagten erstrecken; der Richter muss diese deshalb darlegen und sorgfältig bewerten
(BGH 27, 248). Die Anordnung der Unterbringung verlangt eine genaue, im Urteil
eingehend zu begründende Auseinandersetzung mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit neuerlicher schwerer Störungen des Rechtsfriedens unter Berücksichtigung des
früheren Verhaltens des Angeklagten, vor allem auch der Gründe für seine bisherigen
Straftaten. Getilgte Vorstrafen dürfen gem. § 51 Abs. 1 BZRG für die Gefährlichkeitsprognose nicht herangezogen werden (BGH NStZ-RR 2013, 84); ein allgemeiner
Hinweis auf frühere Straftaten oder gar nur die Mitteilung, dass frühere Verfahren
von der Staatsanwaltschaft wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt
worden seien, genügt nicht. Die isolierte Unterbringung ist nur zulässig, wenn eine
Bestrafung allein an der mangelnden Schuldfähigkeit des Täters scheitert, nicht aber,
wenn z.B. der erforderliche Strafantrag fehlt oder der Täter mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurückgetreten ist (BGH 31, 132).
559 Es ist auf die Gefährlichkeitsprognose zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen;
es kommt nicht darauf an, ob die Gefahr durch andere Mittel abwendbar ist, auch
nicht darauf, ob sich der Täter bereits aufgrund eines früheren Urteils im Vollzug
dieser Maßregel befindet (BGH 50, 199). Die Gefährlichkeitsprognose ist vielmehr so
vorzunehmen, als ob sich der Täter in Freiheit befinde und sonstige Maßnahmen gegen seine Gefährlichkeit weder liefen noch zu erwarten seien (Fischer § 63 Rn. 15).
Lässt sich die Gefahr für die Allgemeinheit durch Überwachung in der eigenen Familie, eine ambulante psychotherapeutische Behandlung, eine Unterbringung nach Landesgesetzen (z.B. PsychKG, vgl. BGH 34, 313; NStZ 2007, 465), die Entziehung der
Fahrerlaubnis, Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) oder auf andere Weise ausräumen, so
setzt das Gericht gem. § 67b StGB die Vollstreckung zur Bewährung aus, was zur
Folge hat, dass kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintritt. Liegen die Voraussetzungen
der Unterbringung vor, so muss der Richter sie anordnen, Ermessensfreiheit ist nicht
gegeben.
560 Bei schuldunfähigen Tätern ist nur die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus möglich, und zwar auch im objektiven Sicherungsverfahren (dazu unten Rn. 749). Bei vermindert schuldfähigen Tätern ist auf Strafe und auf Unterbringung zu erkennen, wobei die Maßregel grundsätzlich vor der Strafe vollzogen wird
(§ 67 Abs. 1 StGB). Nach § 67 Abs. 2 S. 1 StGB kann das Gericht allerdings bestimmen, dass die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn
der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Das richtet sich nach den
190
II. Verurteilung
Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Persönlichkeit des Täters, der
Länge der Freiheitsstrafe und der Art der notwendigen Behandlung. Es kommt in
Betracht, wenn der vorgezogene Strafvollzug als Vorstufe der Behandlung für deren
Zweck erforderlich ist, insoweit müssen im Urteil konkrete Anhaltspunkte dargelegt
werden (BGH 33, 285; NStZ-RR 2003, 295).
Die Auswahl des einzelnen psychiatrischen Krankenhauses ist nicht Sache des Gerichts, sondern Sache der Vollstreckungsbehörde.
c) Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Voraussetzung einer solchen Unterbringung ist nach § 64 S. 1 StGB,
561
1. dass der Täter den Hang hat, alkoholische oder andere berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen,
2. dass er eine rechtswidrige Tat im Rausch begangen hat oder eine solche begangene
Tat auf seinen Hang zurückgeht,
3. dass die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten infolge
dieses Hangs besteht.
Gelegentliches oder häufiges Sichbetrinken belegt noch nicht den Hang; dieser liegt
in der Regel vielmehr erst vor, wenn das Verlangen nach übermäßigem Alkoholgenuss den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht hat (BGH NStZ 2004, 384).
§ 64 StGB setzt aber nicht voraus, dass bei der rechtswidrigen Tat die Voraussetzungen des § 21 StGB vorlagen (BGH StraFo 2006, 505).
Ferner verlangt § 64 S. 2 StGB, dass eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den 562
Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die
akute Sucht zu bewahren.47 Das ist dann nicht der Fall, wenn die voraussichtlich notwendige Therapiedauer die Höchstfrist von zwei Jahren (§ 67d Abs. 1 S. 1 StGB)
überschreitet (BGH NStZ-RR 2013, 7).
Bejaht das Gericht diese Voraussetzungen, so soll die Unterbringung angeordnet 563
werden. Die Maßregel muss also entgegen der früheren Rechtslage nicht mehr zwingend angeordnet werden. Allerdings kann nur in besonderen Ausnahmefällen von
einer Anordnung abgesehen werden (BGH NStZ-RR 2008, 73), z.B. wenn der Verur47 Maßstab ist also die fehlende Erfolgsaussicht, nicht – wie früher – eine etwaige Aussichtslosigkeit.
Das wird immer noch falsch gemacht und führt beim Bundesgerichtshof zu großem Unmut: Das
ist rechtsfehlerhaft. Bereits im Jahr 1994 hat das Bundesverfassungsgericht die damalige Regelung
des § 64 Abs. 1 a.F. StGB für verfassungswidrig erklärt (BVerfG 91, 1). In einer großen Vielzahl
von Entscheidungen haben danach alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs immer wieder Urteile
aufgehoben, die auf einer Anwendung des verfassungswidrigen Kriteriums der »Aussichtslosigkeit« beruhten. Bei der ab 20. Juli 2007 geltenden Neufassung des § 64 StGB hat der Gesetzgeber
auch den Wortlaut des § 64 S. 2 StGB angepasst und klargestellt, dass es einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht« bedarf; dies ist mit dem Fehlen von »Aussichtslosigkeit« ersichtlich nicht
gleichbedeutend. Wenn Tatgerichte beinahe 20 Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und mehr als fünf Jahre nach der Gesetzesänderung immer noch auf das vom Bundesgerichtshof vielfach bemängelte verfassungswidrige Kriterium abstellen, mag das auch darauf
beruhen, dass fehlerhafte, ihrerseits uninformierte Sachverständigengutachten kritiklos übernommen werden. Dies zeigt zunächst – jedenfalls hier – eine die Sachkunde in Frage stellende
Unkenntnis des Sachverständigen von den normativen Grundlagen seines Gutachtensauftrages.
Verantwortlich ist aber in jedem Fall das Gericht, das den Sachverständigen anzuleiten und Fehler
seines Gutachtens kritisch zu hinterfragen hat (BGH BeckRS 2013, 08219).
191
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
teilte die deutsche Sprache nicht beherrscht (BGH StraFo 2008, 170) oder seine baldige Ausweisung bevorsteht. Der Tatrichter muss sein Ermessen tatsächlich ausüben
und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar machen. Bei
der Prüfung der Erfolgsaussichten nach § 64 S. 2 StGB liegt es nahe, besondere nicht
unmittelbar suchtbezogene Umstände in der Person des Täters jedenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn es bereits im Zeitpunkt der Aburteilung für das Gericht ohne
weiteres auf der Hand liegt, dass gerade wegen dieser Umstände eine Erfolg versprechende Suchtbehandlung nicht möglich sein wird (BGH 36, 199 = NStZ 1990, 78 mit
Anm. Lorbacher). Mangelnde Therapiemotivation ist aber lediglich ein Indiz dafür,
dass eine Entwöhnungsbehandlung eines Süchtigen keine Erfolgschancen hat; sie
steht der Unterbringung nur dann entgegen, wenn auch mit therapeutischen Bemühungen eine positive Beeinflussung nicht zu erreichen ist (BGH NStZ-RR 2007, 171).
Von der Unterbringung darf auch nicht deshalb abgesehen werden, weil es im Gerichtsbezirk keine geeignete Anstalt – z.B. für eine Erfolg versprechende Drogensuchtbehandlung – gibt (BGH 28, 327). § 64 StGB hat Vorrang vor der Sonderregelung der §§ 35, 36 BtMG, da letztere erst im Vollstreckungsverfahren Platz greifen
und nicht auf das Erkenntnisverfahren Einfluss haben können (BGH NStZ-RR 2003,
12). Daran hat sich auch durch die Neufassung des § 64 StGB nichts geändert (BGH
NStZ-RR 2012, 314).
Zur Gefahrprognose, zur Abwendung der Gefahr durch andere Maßnahmen und zur
Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 S. 1 StGB gelten die Ausführungen zu b) entsprechend.48 Nach § 67 Abs. 2 S. 2 u. 3 StGB n.F. soll das Gericht
bei der Anordnung einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen,
dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist; dabei ist dieser Teil der
Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach
§ 67 Abs. 5 S. 1 StGB (Halbstrafe) möglich ist (BGH NStZ-RR 2008, 182). Gegebenenfalls erlittene Untersuchungshaft hat bei der Bestimmung des teilweisen Vorwegvollzugs außer Betracht zu bleiben (BGH NStZ-RR 2010, 171; vgl. oben Rn. 105).
Um diese Berechnung transparent zu machen, muss das – sachverständig beratende –
Gericht in den Urteilsgründen darlegen, von welcher voraussichtlichen Therapiedauer auszugehen ist. Bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit kann es das Gericht
jedoch auch beim Vorwegvollzug der Maßregel nach § 67 Abs. 1 StGB belassen
(BGH NStZ-RR 2007, 371). Eine entsprechende Entscheidung ist auch dann veranlasst, wenn nach § 55 Abs. 2 S. 1 StGB eine bereits bestehende Unterbringungsanordnung aus einer früheren Entscheidung lediglich aufrechterhalten wird und die
daneben gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe drei
Jahre übersteigt (BGH NStZ-RR 2011, 105). Für ausländische Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus gilt § 67 Abs. 2 S. 4 StGB (Vorwegvollzug der Strafe).
Bei Spielsucht kommt eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht in Betracht (BGH 49, 365).
48 Ob von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin überprüft werden, auch wenn nur der
Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. § 358 Abs. 2 S. 2; BGH 37, 5); dieser kann jedoch die Frage der Unterbringung von seinem Revisionsangriff ausnehmen.
192
II. Verurteilung
d) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Für die Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält § 66 StGB vier Alternativen 564
– nämlich nach Abs. 1 oder nach Abs. 2 oder nach Abs. 3 S. 1 oder nach Abs. 3 S. 2 –,
wobei jeweils unterschiedliche formelle und materielle Voraussetzungen aufgestellt
sind.
aa) Die Unterbringung nach § 66 Abs. 1
565
Formelle Voraussetzungen sind hier:
566
1. Der Täter muss wegen einer vorsätzlichen Straftat, die dem Katalog der Buchstaben a)–c) unterfällt, zu Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt werden; dies
muss eine Einzelstrafe sein und nicht etwa nur eine aus mehreren geringfügigen Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe (BGH 30, 220).
2. Der Täter ist vor dieser neuen Tat wegen solcher vorsätzlich begangener Katalogtaten schon zweimal jeweils zu Einzelfreiheitsstrafen von mindestens 1 Jahr verurteilt
worden (Abs. 1 S. 1 Nr. 2). Gesamtstrafen genügen auch hier nicht (BGH 34, 321):
Zwar gilt nach Abs. 4 S. 1 die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe als eine einzige Verurteilung im Sinne des Abs. 1 S. 1 Nr. 2; sie erfüllt die Voraussetzungen dieser
Vorschrift aber nur, wenn sie eine Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe enthält,
so dass die der Gesamtstrafe zugrunde liegenden Einzelstrafen festgestellt werden
müssen. Auch Jugendstrafen reichen daher nur aus, wenn der Richter in dem früheren Verfahren wenigstens bei einer der Taten eine Jugendstrafe von mindestens einem
Jahr verhängt hätte, wenn er diese Tat gesondert abgeurteilt hätte (BGH NStZ-RR
2007, 171).49 Es ist gleichgültig, ob die Vortaten Verbrechen oder Vergehen oder
Haupttaten oder nur Teilnahmehandlungen waren. Die zur zweiten Vorverurteilung
führende Tat muss nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen worden
sein (BGH 35, 6), wobei Rechtskraft nur hinsichtlich des Schuldspruchs nicht genügt
(BGH 38, 258). Die Fristen des Abs. 4 S. 3, 4 sind zu beachten.
3. Der Täter muss vor der neuen Tat wegen einer oder mehrerer der unter 2. genannten Vortaten mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer
freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden haben (Abs. 1
S. 1 Nr. 3).
Auch eine außerhalb des Geltungsbereichs des StGB abgeurteilte Straftat erfüllt die 567
genannten Voraussetzungen, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine vorsätzliche
Straftat wäre (§ 66 Abs. 4 S. 5).
Die Vorverurteilungen, nach denen die formellen Voraussetzungen erfüllt sein sol- 568
len, sind in den Urteilsgründen sorgfältig unter Angabe der erfolgten Verwahrungszeiten im Zusammenhang anzugeben; es genügt nicht, insoweit auf den (bei den persönlichen Verhältnissen mitgeteilten) Strafregisterauszug zu verweisen (BGH NStZ
1995, 284). So müssen die Vorstrafen herausgesucht und nach Urteilszeitpunkt, Tatzeiten, Einzelstrafen und Verbüßungszeiten dargestellt werden, die für die Erfüllung
der formellen Voraussetzungen erforderlich sind (BGH NStZ-RR 2001, 103). Dabei
muss das Urteil aus sich heraus verständlich sein. Die Bezugnahme auf »angesiegelte
49 Die Verurteilung zu mindestens einem Jahr wegen einer – seinerzeit noch möglichen (vgl. oben
Rn. 330) – fortgesetzten Handlung genügt (BGH 41, 97).
193
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Urteilsabschriften«, die Vortaten des Angeklagten zum Gegenstand haben, ist unzulässig (BGH NStZ 2007, 478).
569 Materielle Voraussetzung:
Der Täter muss ein für die Allgemeinheit gefährlicher Hangtäter sein. Hangtäter ist,
wer auf Grund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist,
immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet. Sein Hang muss sich
auf erhebliche Straftaten richten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich
schwer beschädigt werden (Abs. 1 S. 1 Nr. 4). Um das Vorhandensein dieser Voraussetzung zu prüfen, ist eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten erforderlich. Das Gericht muss also im Einzelnen darlegen, welche Tatsachen für seine Überzeugung von dem Vorhandensein des kriminellen Hangs und von der Gefährlichkeit
des Täters für die Allgemeinheit maßgebend waren; an diese Darlegung werden
strenge Anforderungen gestellt. Auch die Erwägungen, die etwa gegen die Anordnung sprechen, sind im Urteil zu würdigen.
570 Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, bieten insbesondere seine Vorstrafen, vor
allem ihre Zahl und Rückfallgeschwindigkeit, ihre Art und Schwere (die Rückfallhäufigkeit allein kann die Sicherungsverwahrung nicht begründen) sowie das jeweilige
Alter des Täters (Frühkriminalität); sein Verhalten und sein Umgang während der
straffreien Zeit; die Abart seiner Persönlichkeit nach der Willensseite oder dem Gefühlsleben, also Willensschwäche, starke Verbrecherenergie, Einsichtslosigkeit, gemeinschaftswidrige Gesinnung u.a. Er ist nur dann als gefährlicher Hangtäter anzusprechen, wenn ein eingewurzelter, zur Charaktereigenschaft gewordener Hang zu
strafbaren Handlungen festgestellt worden ist, der mit Wahrscheinlichkeit weitere
Straftaten erwarten lässt. Diese Wahrscheinlichkeit ist regelmäßig schon gegeben,
wenn die Eigenschaft als Hangtäter festgestellt ist (BGH NStZ 1990, 334). Die Wiederholungsgefahr ergibt sich z.B. aus der Wirkungslosigkeit längerer Vorstrafen und
den gleich bleibend schlechten äußeren Lebensbedingungen nach der Strafverbüßung.
571 Die Möglichkeit künftiger Besserung räumt die Gefahr nicht aus; wohl aber, wenn
seit der Straftat bis zur Verurteilung in der Person des Täters oder in seinen Verhältnissen wesentliche Änderungen eingetreten sind (Heirat, fester Wohnsitz und feste
Arbeitsstelle, feste Bindung an eine Familie). Künftige Änderungen sind dagegen
nicht zu berücksichtigen, da es auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung ankommt
(BGH NStZ-RR 2004, 202).
572 Die Gesamtwürdigung hat sich auf den Täter und seine Taten zu erstrecken, d.h. auf
die abzuurteilenden und die Vortaten. Aus diesen Taten muss eine innere Beziehung
zum Wesen des Täters nachgewiesen werden, die diese Taten als Ausfluss seines
verbrecherischen Hanges erscheinen lässt (sog. Symptomtaten).50 Damit das deutlich
wird, bedarf es einer Darstellung des Sachverhalts der Taten, der äußeren Umstände
und inneren Beweggründe, unter denen sie geschahen, um die Tatwurzeln sichtbar zu
machen. Die einfache Bezugnahme auf den Inhalt der Vorakten oder auf angesiegelte
Urteilsabschriften (BGH NStZ 2007, 478) ist also unzulässig. In den Urteilsgründen
müssen die früheren Taten vielmehr regelmäßig kurz geschildert werden; denn die
50 Auch Gelegenheitstaten können Symptomtaten sein, BGH NStZ-RR 2007, 107.
194
II. Verurteilung
der Prognose zugrunde liegende Gesamtwürdigung kann nicht allein auf die neu zur
Aburteilung stehenden Taten gestützt werden.
Dass es sich sowohl bei den begangenen als auch bei den zu erwartenden Straftaten 573
um solche von erheblicher Schwere handeln muss, folgt bereits aus Abs. 1 S. 1 Nr. 4
und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach § 62 StGB. Die Gefährlichkeit
des verbrecherischen Hanges des Täters ist in erster Linie am Wert der bedrohten
Rechtsgüter zu messen. Die Sicherungsverwahrung ist eine »letzte Notmaßnahme der
Kriminalpolitik«. Deshalb können jedenfalls Straftaten von geringer und mittlerer
Schwere keinen Anlass zur Sicherungsverwahrung geben. Das Bundesverfassungsgericht fordert deshalb eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung dahin, dass sowohl
hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten als auch hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung ein strenger Maßstab anzuwenden ist (NJW 2011,
1931).51
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 vor, so muss der Richter die Sicherungsver- 574, 575
wahrung anordnen; einen Ermessensspielraum (»letzte Chance«) gibt es nicht.
bb) Die Unterbringung nach § 66 Abs. 2. Formelle Voraussetzungen sind hier nur,
dass der Täter drei vorsätzliche Straftaten i.S.d. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 begangen hat, durch
die er jeweils Freiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und dass er
wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu zeitiger Freiheitsstrafe von mindestens
drei Jahren verurteilt wird. In diesem Falle kommt es auf Vorverurteilungen und Vorverbüßungen nicht an; die Sicherungsverwahrung kann schon im Zusammenhang mit
einer ersten Verurteilung angeordnet werden (sog. unentdeckt gebliebene gefährliche
Hangtäter, vgl. dazu BGH NStZ 1985, 261).
Hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen gilt dasselbe wie bei Abs. 1. Soll die 576
Sicherungsverwahrung auf Grund des Abs. 2 angeordnet werden, ohne dass frühere
Verurteilung oder Freiheitsentziehungen erfolgt sind, so ist an die Gefährlichkeitsprognose des Täters aber ein besonders strenger Maßstab anzulegen (BGH NStZ
1989, 67).
Anders als im Fall des Abs. 1 liegt die Anordnung hier im Ermessen des Gerichts 577
(Kann-Vorschrift!). Das Urteil muss erkennen lassen, dass sich das Gericht dessen
bewusst war (BGH NStZ-RR 2004, 12). Maßgeblich für die Ablehnung der Unterbringung kann die Höhe der Strafe verbunden mit den zu erwartenden Wirkungen
eines langjährigen Strafvollzugs sein, wenn sie allein schon eine Besserung des Täters
erwarten lässt (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 172).
cc) Die Unterbringung nach § 66 Abs. 3. Formelle Voraussetzung ist bei beiden 578, 579
Alternativen (S. 1 und S. 2), dass der Täter wegen eines Verbrechens i.S.d. Abs. 1 oder
wegen in Abs. 3 bezeichneter (vor allem Sexual-)Straftaten verurteilt wird. Bei Satz 1
muss er wegen einer solchen Tat zur Freiheitsstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt werden, bei Satz 2 hingegen wegen zweier solcher Taten, wobei er wegen jeder
mindestens 2 Jahre verwirkt haben muss und wegen einer von ihnen zu mindestens
3 Jahren verurteilt wird. Was die Vorverurteilungen angeht, so muss er bei Satz 1 we51 Ein zulässiges Verteidigungsverhalten darf bei der Prognoseentscheidung gem. § 66 Abs. 1 S. 1
Nr. 4 StGB nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden (BGH NJW 1992, 3247; StV
2008, 301).
195
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
gen solcher Taten schon mindestens einmal zur Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt
worden sein; bei Satz 2 bedarf es keiner früheren Verurteilung oder Freiheitsentziehung. Bei Satz 1 wird darüber hinaus verlangt, dass die Voraussetzung des Abs. 1 S. 1
Nr. 3 und 4 (oben Rn. 566) erfüllt sind.
580 Bezüglich der materiellen Voraussetzungen und der Ermessensentscheidung gilt
dasselbe wie zu Abs. 2. Beim tateinheitlichen Zusammentreffen von Katalog- mit
Nichtkatalogtaten muss im Urteil dargelegt werden, dass es sich bei der Katalogtat
um eine symptomatische Tat handelt, die den Hang des Täters zur Begehung erheblicher Taten, namentlich der in Abs. 3 S. 1 genannten Art, belegt (BGH NJW 1999,
3723 mit Anm. Schöch NStZ 2000, 138; einschränkend BGH NStZ 2005, 88 für Vorverurteilungen).
581 dd) Die Anordnung einer weiteren Sicherungsverwahrung, wenn die erste Sicherungsverwahrung noch nicht vollstreckt ist, ist zulässig, wie der Umkehrschluss aus
§ 67 f. StGB ergibt. Dabei ist jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten
(BGH NStZ-RR 1988, 135).
581a ee) Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dazu s. Rn. 752a,
581b ff) Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
dazu s. Rn. 752 c.
e) Führungsaufsicht
582 Im Urteil kann Führungsaufsicht gem. § 68 Abs. 1 StGB in den im Gesetz (z.B. in
§§ 181b, 239c, 245, 256, 262, 263, 321 StGB) vorgesehenen Fällen angeordnet werden, falls der Täter zu mindestens 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird, wobei es
nicht darauf ankommt, ob die Strafe wegen strafbarer Vorbereitung (§ 310 mit § 321
StGB), Versuch oder Teilnahme verwirkt ist. Es muss aber die Gefahr bestehen, dass
der Angeklagte weitere Straftaten begehen wird; hiervon muss der Richter überzeugt
sein, der Nichtausschluss der Gefahr genügt nicht. Davon abgesehen tritt Führungsaufsicht nach §§ 67b, 67c, 67d Abs. 2 bis 6, 68 f StGB kraft Gesetzes ein.52
583 Ob im Urteil Führungsaufsicht anzuordnen ist, liegt im pflichtgemäßen tatrichterlichen Ermessen. Soweit die zu erwartenden Straftaten nicht allzu erheblich sein werden oder weniger einschneidende Maßnahmen genügen, kann der Richter von der
Anordnung absehen; bei Bagatelldelikten wird die Anordnung kaum in Betracht
kommen. Bei der Verhängung mehrjähriger Freiheitsstrafen ist die Anordnung von
Führungsaufsicht entbehrlich, da in derartigen Fällen bei der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft entweder § 57 StGB (bei Aussetzung des Strafrests) oder
§ 68 f. StGB (bei Vollverbüßung) eingreifen.
584 Weisungen und die Dauer der Führungsaufsicht bestimmt das Gericht in einem gesondert zu fassenden Beschluss (§ 268a Abs. 2 StPO). Den Bewährungshelfer (§ 68a
Abs. 1 StGB) sucht das erkennende Gericht aus und bestellt ihn im Beschluss.
Werden Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB erteilt, so muss der Angeklagte über die
Möglichkeit einer Bestrafung nach § 145a StGB (Verstoß gegen die Weisung und da-
52 Bei Verhängung mehrjähriger Freiheitsstrafen ist die Anordnung daher in der Regel entbehrlich
(BGH bei Detter NStZ 2000, 582).
196
II. Verurteilung
durch bewirkte Gefährdung des Zwecks des Maßregel) belehrt werden (§ 268a
Abs. 3 S. 2 StPO).
f) Entziehung der Fahrerlaubnis
Für diese Maßregel gelten – wie schon in Rn. 553 erwähnt – hinsichtlich des Begrün- 585
dungszwangs Besonderheiten. Zu begründen ist, wie bei den anderen Maßregeln
auch, immer die Anordnung der Maßregel. Wenn aber die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 S. 3 StGB nicht festgesetzt worden ist, müssen
die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist,
wenn sie nach der Art der Straftat in Betracht kommt (§ 267 Abs. 6 S. 2 StPO). Dazu
gehören nicht nur die Fälle, in denen ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft gestellt war, sondern – darüber hinausgehend – auch diejenigen, in denen, trotz
Absehens von einem Antrag, die Umstände der Straftat eine Entziehung nahe legen.
Dieser weitergehende Begründungszwang verfolgt den Zweck, dem Strafverfahren
gegenüber einem entsprechenden Verfahren der Verwaltungsbehörde, die an den Inhalt des Urteils insoweit gebunden ist, als sie nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers von dem Inhalt des Urteils abweichen kann (§ 4 Abs. 3 StVG), den Vorrang
zu geben.
Die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis, deren wichtigste Voraus- 586
setzung ist, dass sich aus der Tat die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von
Kraftfahrzeugen ergibt, erfordert eine sorgfältige Abwägung der gesamten Umstände.
Es ist von der zur Aburteilung stehenden Tat auszugehen, aus der sich der Eignungsmangel in erster Linie ergeben muss; es genügt nicht, wenn der Eignungsmangel anlässlich der Tat hervortritt (BGH 50, 93). Daneben müssen aber die Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten, seine bisherige einwandfreie Fahrweise oder seine
einschlägigen Vorstrafen (BGH 6, 185) und sonstige Umstände, die einen Schluss auf
mangelndes Verantwortungsbewusstsein zulassen (u.a. Beweggrund zum Fahren),
zur Beurteilung herangezogen werden. Der Richter darf jedoch nur solche geistigen,
charakterlichen oder körperlichen Mängel des Täters berücksichtigen, die die Tat
selbst beeinflusst haben; Mängel, die der Täter erst durch die Tat oder noch später
erlitten hat, müssen außer Betracht bleiben (BGH 15, 393, 396). Ein einmaliges Versagen im Verkehr, das für sich allein noch keinen sicheren Schluss auf fahrtechnische
oder charakterliche Unzuverlässigkeit des Fahrers zulässt, rechtfertigt nicht die Feststellung der mangelnden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen; auch wenn die
Tat diesen Schluss nahe legt, kann der Richter auf Grund des vom Angeklagten zuverlässig gewonnenen Persönlichkeitsbildes im Einzelfall den Eignungsmangel verneinen (BGH 7, 165; 10, 382); auch eine erfolgreich absolvierte »Nachschulung«, d.h.
die Teilnahme an einem Kurs zur Behandlung alkoholauffälliger Kraftfahrer, kann in
Verbindung mit einem längeren vorläufigen Entzug der Fahrerlaubnis zum Absehen
von derem endgültigen Entzug führen. Wenn der Angeklagte lange Zeit gefahren ist,
ohne einen Unfall verursacht zu haben und wegen Verkehrsvergehen oder schwerer
Verkehrsordnungswidrigkeiten bestraft worden zu sein, so spricht dies bei einem
einmaligen, nicht zu schweren Versagen gegen die Notwendigkeit einer Entziehung
der Fahrerlaubnis; umgekehrt kann bei einem Wiederholungstäter schon eine geringfügige Tat die Ungeeignetheit erkennen lassen.
Die Entziehung setzt Wiederholungsgefahr nicht voraus; der Eignungsmangel muss 587
aber zur Zeit der Hauptverhandlung noch fortbestehen (BGH 7, 165). Durch § 69
197
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Abs. 1 StGB ist klargestellt, dass es für die Frage der Eignung auf den Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung ankommt. Eine längere vorläufige Entziehung kann also
dazu führen, dass das Gericht die Entziehung zur Zeit des Urteils nicht mehr für
notwendig hält. Allerdings genügt ein Hinweis auf den Zeitablauf allein zur Begründung des Absehens von der Entziehung nicht. Andererseits sind auch Vorgänge der
Zwischenzeit mitverwertbar. Ist der Täter ungeeignet, so ist damit auch die künftige
Gefährdung der Allgemeinheit gegeben; der Feststellung einer besonderen Gefährlichkeitsprognose bedarf es dann nicht mehr.
588 In den Fällen des § 69 Abs. 2 StGB stellt das Gesetz eine Vermutung für das Vorliegen eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmales auf. Der Gesetzgeber ist dabei von der
Überlegung ausgegangen, dass die dort aufgeführten Taten im Regelfall einen solchen
Grad des Versagens und der Verantwortungslosigkeit des Täters offenbaren, dass damit zugleich auch dessen Eignungsmangel feststeht, ohne dass es einer weiteren
Prognose bedarf. Auf Grund dieser gesetzlichen Vermutung braucht der Ausspruch,
die Fahrerlaubnis werde entzogen, nicht mehr näher begründet zu werden; denn
wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tat ausnahmsweise von der Regel abweicht, kann aus der Indiztat ohne weiteres auf die Ungeeignetheit des Täters
geschlossen werden. Wird jedoch, obwohl einer dieser vier Tatbestände gegeben ist,
von der Entziehung abgesehen, so ist dies – weil Ausnahme – eingehend zu begründen (OLG Koblenz VRS 71, 280; Janiszewski DAR 1989, 136). Es muss dargetan
werden, dass die Tat Ausnahmecharakter hat. Es müssen vor oder nach der Tat liegende, besondere Umstände objektiver oder subjektiver Art dargelegt werden, aus
denen sich dieser Ausnahmecharakter der Tat und damit die Eignung des Täters zum
Führen von Kraftfahrzeugen trotz der Straftat ergibt. Auf die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters kommt es in diesem Falle weniger an.
589 Der Katalog der Straftatbestände ist keiner erweiterten Auslegung fähig. Immerhin
gibt er aber dem Richter Anhaltspunkte für die Entscheidung der Frage der Ungeeignetheit nach § 69 Abs. 1 an die Hand. Bei schwerwiegenden Taten muss die charakterliche Zuverlässigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen in aller Regel verneint
werden (BGH NStZ 1992, 586).
590 Sorgfältige Erwägungen sind immer, also in den Fällen des Abs. 1 und des Abs. 2 des
§ 69 StGB, dann geboten, wenn der Angeklagte durch die Entziehung der Fahrerlaubnis in seiner beruflichen Tätigkeit empfindlich getroffen würde, und wenn eine
Sperre nach § 69a Abs. 1 StGB für längere Zeit (fünf Jahre!) oder für immer angeordnet wird (BGH 5, 169, 177; NStZ 1991, 183). Die Sperre auf Lebenszeit ist nicht auf
die Fälle schwerster Verkehrskriminalität beschränkt (BGH 15, 398), sondern kommt
auch dann in Frage, wenn der Täter ein unverbesserlicher Verkehrssünder ist, also
insbesondere in Fällen chronischer Trunkenheitsdelinquenz, die eine Besserung nicht
mehr erwarten lässt (OLG Hamm DAR 1971, 20).
591 Die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung schließt die gleichzeitige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht aus (BGH 15, 316); daher können in der Regel auch
beide getrennt voneinander mit Rechtsmitteln angefochten werden (vgl. BGH NJW
2001, 3134).
592 Die Entziehung ist nicht nur bei Verkehrsverstößen im engeren Sinne, sondern auch
bei sonstigen Straftaten möglich, wenn sie im Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeugs begangen worden sind; jedoch hat der Große Senat für Strafsa198
II. Verurteilung
chen (BGH 50, 93) den Anwendungsbereich des § 69 StGB eingeschränkt. Danach
müssen sich aus der Anlasstat tragfähige Rückschlüsse darauf ergeben, dass der Täter
bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen kriminellen Interessen unterzuordnen; dies deshalb, weil § 69 StGB nicht der Verhinderung allgemeiner Kriminalität, sondern der Verkehrssicherheit dient. Nicht ausreichend für die Annahme verkehrsspezifischer Ungeeignetheit ist z.B. die Benutzung eines Kfz zum Transport von
Rauschgift (BGH StV 2006, 186); anders hingegen, wenn ein verkehrsgefährdender
Einsatz des Pkw geplant oder vom Täter in Kauf genommen wird (Polizeiflucht).
Werden von der Sperre gem. § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeu- 593
gen ausgenommen, so erlischt zwar die Fahrerlaubnis in vollem Umfange. Die Verwaltungsbehörde darf aber für diese bestimmten Fahrzeugarten eine neue Fahrerlaubnis erteilen. Diese Ausnahme ist im Urteil besonders zu begründen. Es müssen
ganz besondere Umstände, die sowohl in der Tat wie in der Persönlichkeit des Täters
(z.B. Berufskraftfahrer, vgl. BayObLG DAR 1991, 110) liegen können, dargetan
werden, aus denen sich ergibt, dass der Zweck der Maßregel der Entziehung der
Fahrerlaubnis, nämlich der Schutz der Allgemeinheit, durch diese Ausnahmeanordnung nicht beeinträchtigt wird (OLG Hamm VRS 62, 124). Bei einem festgestellten
schwerwiegenden Charaktermangel des Angeklagten wird § 69a Abs. 2 StGB in der
Regel allerdings unanwendbar sein (OLG Karlsruhe VRS 55, 122; LG Köln NJW
1982, 396). Es ist unzulässig, auch andere Ausnahmen zu machen, z.B. die Sperre auf
bestimmte Zeiten oder Räume, Fahrzeuge oder Fahrten zu beschränken (BayObLG
NZV 2005, 592).
Besitzt der Täter keine Fahrerlaubnis, so ordnet das Gericht nur die selbständige 594
Sperre an; die Entziehung ist dann nicht möglich (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB). Das gilt
nicht nur, wenn der Täter noch keine Fahrerlaubnis besessen hat, sondern auch, wenn
ihm die Fahrerlaubnis durch eine frühere gerichtliche Entscheidung entzogen worden
ist und selbst dann, wenn die in dieser Entscheidung angeordnete Sperrfrist noch
läuft. Die Sperre muss sogar angeordnet werden, wenn sie noch vor der früher angeordneten Sperrfrist ablaufen würde; denn auch eine die frühere Zeitspanne nicht
überschreitende Sperrfrist ist nicht bedeutungslos, weil sie bei einer im Gnadenwege
angestrebten Verkürzung der Frist ins Gewicht fallen müsste (BGH bei Spiegel DAR
1979, 185).
Wird einem Angeklagten in verschiedenen Strafverfahren mehrfach die Fahrerlaub- 595
nis entzogen und sind die Voraussetzungen einer Gesamtstrafenbildung nach § 55
StGB gegeben, so ist bei Bildung der Gesamtstrafe die Sperrfrist neu festzusetzen
(BGH 24, 205; vgl. oben Rn. 86 ff.; 462), die insgesamt die gesetzliche Höchstdauer
von 5 Jahren nicht übersteigen darf; die Verhängung einer »Anschlusssperre« ist unzulässig. Bei der Entscheidung über die neue einheitliche Sperrfrist ist klarzustellen,
dass sie mit der Rechtskraft des einbezogenen früheren Urteils zu laufen beginnt
(BGH NStZ 2001, 245). Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung bedarf es der
Aufrechterhaltung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Einziehung des Führerscheins nicht, weil diese Maßnahmen unmittelbar mit Rechtskraft des einzubeziehenden Urteils »erledigt« waren, ohne dass es einer weiteren Vollstreckung bedurfte
(BGH NStZ-RR 2010, 58).
Der Richter hat aus dem Zusammenspiel von § 69a Abs. 4 mit Abs. 1 und 3 StGB 596
zunächst den Rahmen für die Sperrfrist zu ermitteln, um dann in diesem Rahmen die
Sperre festzusetzen. Dabei kann die Dauer der vorläufigen Entziehung ein wertvolles
199
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Kriterium für die Prognose sein. Soll die vorläufige Entziehung nach § 111a StPO
nicht sperrfristverkürzend berücksichtigt werden – weil sie z.B. durch Krankheit
oder Haft nicht fühlbar geworden ist –, so muss dies im Urteil begründet werden
(Geppert ZRP 1981, 87). Bei der Bemessung der Sperrfrist darf dem groben Verschulden und den besonders schweren Folgen der Tat kein entscheidendes Gewicht beigelegt werden, so dass es fehlerhaft ist, zur Begründung auf die Strafzumessungserwägungen zu verweisen; es kommt allein auf die Dauer der voraussichtlichen
Ungeeignetheit des Täters an (BGH NZV 2003, 46). Das Schwergewicht liegt – jedenfalls bei der charakterlichen Ungeeignetheit – auf der Würdigung der Persönlichkeit des Täters einschließlich seiner sonstigen Lebensführung. Die lebenslange Sperre
bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung (vgl. dazu OLG Köln NJW 2001,
3491).
597 Die Anrechnung der vorläufigen Entziehung nach § 111a StPO auf die endgültige
nach § 69 StGB erfolgt nach § 69a Abs. 4 StGB; die Verwahrung, Sicherstellung
oder Beschlagnahme des Führerscheins steht insofern dem vorläufigen Entzug gleich
(§ 69a Abs. 6 StGB). § 69a Abs. 4 StGB gilt auch im Berufungsverfahren. Da die
Sperre nach § 69a Abs. 5 S. 1 StGB erst mit der Rechtskraft des Urteils beginnt, wird
die durch den Erstrichter festgesetzte Sperrfrist bei einer erfolglos eingelegten Berufung faktisch verlängert. Nur im Revisionsverfahren und bei der Rücknahme eines
Rechtsmittels wird gem. § 69a Abs. 5 S. 2 StGB die nach Urteilsverkündung verstrichene Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung in die Frist eingerechnet.
598 Die Regelung des § 69a Abs. 4 StGB ist nach h.M. nicht entsprechend auf Fälle anwendbar, in denen es mangels einer Fahrerlaubnis nicht zu einer vorläufigen Entziehung gekommen ist (BayObLG VRS 81, 183; Zweibrücken NZV 1997, 279 m.w.N.);
Gleiches soll für § 69a Abs. 5 S. 2 StGB gelten (Fischer § 69a Rn. 14 m.w.N.).
599 Häufig wird nicht beachtet: Will das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entziehen, so hat es ihn in der Hauptverhandlung auf diese Möglichkeit hinzuweisen,
wenn die Anklage die ihm zur Last gelegte Tat nicht als Voraussetzung für die Entziehung gekennzeichnet hat (BGH 2, 85; VRS 24, 394).
600 Die Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis hat nach § 69b StGB die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu
machen. Ist der ausländische Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedsstaates
der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über
den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden und hat der Inhaber seinen
ordentlichen Wohnsitz im Inland, wird der Führerschein – wie bei einer deutschen
Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 3 S. 2 StGB – im Urteil eingezogen; sonst wird die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperre im ausländischen Führerschein vermerkt.
§ 69b StGB betrifft – trotz des missverständlichen Wortlauts – auch den Fall, dass der
Täter eine ausländische Fahrerlaubnis hat, mit der er am innerdeutschen Kraftfahrzeugverkehr nicht teilnehmen darf (BGH 44, 194).
g) Berufsverbot
601 Die Anordnung des Berufsverbots nach § 70 StGB ist ein schwerwiegender Eingriff;
deshalb sind besondere Anforderungen an die Begründung zu stellen. Das Berufsverbot setzt voraus, dass der Täter bei Begehung der rechtswidrigen Tat seinen Beruf
200
II. Verurteilung
oder sein Gewerbe ausübt (BGH 22, 144), also ein Missbrauch des Berufs oder Gewerbes vorliegt. Von einem solchen Missbrauch kann z.B. keine Rede sein, wenn Beruf oder Gewerbe dem Täter nur rein äußerlich die Möglichkeit geben, bestimmte
rechtswidrige Taten zu begehen, etwa Umsatz- und Gewerbesteuer zu hinterziehen,
oder als Arzt Betrügereien zu begehen oder wenn er eine Berufstätigkeit nur vorschwindelt (BGH bei Detter NStZ 1999, 499). Es genügt also nicht, dass die vom
Täter begangenen Taten nur im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder vorgetäuschten Berufs- oder Gewerbetätigkeit stehen (BGH wistra 1999, 222). Es
kommt vielmehr darauf an, dass der Täter seine Berufsmöglichkeiten bewusst und
planmäßig zur Begehung rechtswidriger Taten nutzt. Es muss ein berufstypischer
Zusammenhang erkennbar sein (BGH wistra 2003, 423); das kann aber auch bei der
Hinterziehung betrieblicher Steuern mit gleichzeitigen schwerwiegenden Verletzungen der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten gegeben sein (BGH NStZ
1995, 124).
Der untersagte Beruf oder das untersagte Gewerbe sind – schon im Hinblick auf 602
§ 145c StGB – (im Tenor!) genau zu bezeichnen. Die Tätigkeit darf nicht zu allgemein oder zu unbestimmt umrissen werden (z.B. »jede selbständige Geschäftstätigkeit«, »ein selbständiges Gewerbe«, »das Kaufmannsgewerbe«, »Betätigung als Manager«). Auch gegen Journalisten ist ein Berufsverbot zulässig (BGH 17, 38);
jedenfalls widerspricht es dann nicht Art. 18 GG, wenn die Maßregel neben einer
Strafe nach Bestimmungen zum Schutz des Staates vor verfassungswidrigen Parteien
angeordnet wird (BVerfG 25, 88). Die Vorschrift ist überhaupt auf alle Gewerbe und
Berufe anwendbar, freie Berufe und solche, zu deren Ausübung eine besondere Erlaubnis erforderlich ist, nicht aber für Notare und Beamte, da insoweit § 45 StGB
Spezialgesetz ist (BGH wistra 1987, 60).
Zweck des Verbots ist, die Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung zu schützen. Da- 603
her muss in den Urteilsgründen näher dargelegt werden, dass die Wahrscheinlichkeit
ähnlicher rechtswidriger Taten besteht, und andere schwächere Mittel (Disziplinarstrafen, ehrengerichtliche Maßnahmen) nicht ausreichen. Es ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich, wobei auf den Zeitpunkt der Entscheidung,
nicht einer eventuellen Strafverbüßung abzustellen ist (BGH bei Dallinger MDR
1976, 15). Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen, tatrichterlichen Ermessen (zu
der dabei anzustellenden Prüfung und Erörterung im Urteil vgl. BGH NStZ 1981,
392). Das Revisionsgericht kann ein zu weitgehendes Verbot einschränken (§ 354
Abs. 1 StPO).
Aussetzung zur Bewährung kommt erst später in Frage (§ 70a Abs. 2 StGB). Die 604
Dauer des Verbots ist im Urteil zu bestimmen. Das Mindestmaß von einem Jahr
(§ 70 Abs. 1 S. 1 StGB) verkürzt sich um die Zeit, in der ein vorläufiges Berufsverbot
gem. § 132a StPO wirksam war, darf aber 3 Monate nicht unterschreiten. Die Berechnung der Frist nach § 70 Abs. 4 StGB ist der Regelung in § 69a StGB angeglichen. Bei der Anordnung eines Berufsverbots »für immer« (§ 70 Abs. 1 S. 2 StGB)
sind an die Annahme der weiteren Gefährlichkeit besonders strenge Anforderungen
zu stellen (vgl. BGH NStZ 1995, 124).
Der Verstoß gegen ein strafgerichtliches Berufsverbot ist nach § 145c StGB strafbar
(vgl. dazu OLG Karlsruhe NStZ 1995, 446 mit Anm. Stree dort und Anm. Cramer
NStZ 1996, 136).
201
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
h) Verbindung von Maßregeln
605 Wie zu verfahren ist, wenn die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt sind,
bestimmt § 72 StGB. Danach ist nur eine oder eine einzelne von mehreren Maßregeln
anzuordnen, wenn der erstrebte Zweck durch sie erreicht werden kann. Sind mehrere
Maßregeln geeignet, so ist diejenige auszuwählen, die den Täter am wenigsten beschwert. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist »ultima ratio« (BGH
NStZ 2002, 533). Wird die Sicherungsverwahrung eines erheblich vermindert steuerungsfähigen Täters angeordnet, so müssen sich die Urteilsgründe deshalb damit auseinandersetzen, warum von der Möglichkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen wurde (BGH NStZ 2004, 384).
606 Im Übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wobei das Gericht bei
mehreren freiheitsentziehenden Maßregeln im Urteil die Reihenfolge der Vollstreckung bestimmt (vgl. BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6 zur gleichzeitigen Anordnung von Maßnahmen nach § 63 und § 66 StGB; BGH StV 2007, 639 zum Nebeneinander von §§ 64 und 66 StGB). Welche Reihenfolge das Gericht wählt, richtet
sich nach dem Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters; das Gericht muss entscheiden, welche Behandlung am vordringlichsten ist.
13. Kosten und notwendige Auslagen
607 Dass das Urteil über die Kosten und – gegebenenfalls (vgl. oben Rn. 120) – notwendigen Auslagen zu entscheiden hat, ist in § 464 Abs. 1 und 2 StPO vorgeschrieben.
Zur Begründung der im Tenor getroffenen Kostenentscheidung genügt in der Regel
die Angabe der Paragraphen, also bei voller Verurteilung §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1
StPO, bei Teilfreispruch sind §§ 464 Abs. 2, 467 Abs. 1 StPO mitzuzitieren. Bei der
Verurteilung mehrerer Angeklagter ist § 466 StPO zu erwähnen. Nur in Fällen nicht
ganz selbstverständlicher Art – wie bei Anwendung der §§ 465 Abs. 2, 467 Abs. 2
und 3, 468, 472, 472a StPO – kann eine nähere Begründung neben der Anführung der
Paragraphen zweckmäßig sein. Dies ist notwendig, wenn die Kostenentscheidung
Gegenstand ausdrücklicher Anträge gewesen ist; so, wenn der Angeklagte vergeblich
beantragt hat, die ihm entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Eine Begründung ist hier deswegen erforderlich, weil die Kostenentscheidung
für sich allein mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar ist, es sei denn eine Anfechtung der Entscheidung in der Hauptsache wäre nicht statthaft (§ 464 Abs. 3 StPO;
BVerfG NJW 2002, 1867).
608 Selbständige Kosten- und Auslagenbeschlüsse ergehen nach §§ 467a und 469 StPO.
Über die Kosten, die durch eine vorsätzlich oder leichtfertig erstattete unwahre Anzeige veranlasst worden sind, ist nach § 469 weder in der Urteilsformel noch in den
Gründen, sondern im Nachverfahren durch besonderen Beschluss nach vorheriger
Anhörung des Anzeigeerstatters zu entscheiden. Die Entscheidung im gerichtlichen
Verfahren selbst zusammen mit der Kosten- und Auslagenentscheidung wird die
Ausnahme sein und nur in Frage kommen, wenn der Anzeigeerstatter bei der Urteilsverkündung anwesend ist; auch in diesem Fall ergeht sie durch Beschluss.
14. Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
609 Soweit die Entscheidung über die Entschädigung im Urteil ergangen ist (§ 8 Abs. 1
S. 1 StrEG), muss sie in den Urteilsgründen begründet werden (§ 34 StPO).
202
II. Verurteilung
Wird eine Entschädigung nach Billigkeit im Fall des § 4 StrEG gewährt, so sind die 610
Umstände darzulegen, die die Annahme der Billigkeit rechtfertigen. Wird umgekehrt
eine Entschädigung aus Billigkeitsgründen versagt, so ist auch diese Entscheidung zu
begründen. Meistens handelt es sich bei den sog. überschießenden Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG darum, dass die Dauer der Untersuchungshaft die Höhe der im Urteil verhängten Freiheitsstrafe überschritten hat. Eine Entschädigung nach § 4 StrEG entfällt, soweit ein Ausschließungsgrund nach § 5 StrEG
oder ein Versagungsgrund nach § 6 StrEG vorliegt (OLG Düsseldorf NStZ 1989, 232
mit Anm. Schätzler).
Hält das Gericht eine Entschädigung nach § 5 StrEG für ausgeschlossen, so ist die 611
angewendete gesetzliche Bestimmung im Falle des Abs. 1 anzuführen und gegebenenfalls näher zu erörtern. Im Falle des Abs. 2 ist zu begründen, worin die vorsätzliche
oder grob fahrlässige Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahme gesehen wird.
Grob fahrlässig handelt, wer in ungewöhnlich großem Maße die Sorgfalt außer acht
lässt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufwenden würde, um sich vor
Schaden durch eine Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen (OLG Frankfurt NJW
1978, 1017). Das ist etwa bei einem Kraftfahrer der Fall, der durch seine Fahrweise
oder sein sonstiges Verhalten im Straßenverkehr oder trunkenheitsverdächtiges Benehmen auf der Polizeiwache oder der Straße Grund für die Annahme einer relativen
Fahruntüchtigkeit gegeben hat. Bei Abs. 3 ist die nicht eingehaltene Ladung oder die
Zuwiderhandlung gegen eine Anweisung anzugeben.
Begründungen sind in diesen Fällen auch deswegen erforderlich, weil die Entschädi- 612
gungsentscheidung allein mit sofortiger Beschwerde anfechtbar ist (§ 8 Abs. 3 StrEG).
Obwohl das Beschwerdegericht an die tatsächlichen Feststellungen, die der Entscheidung des Gerichts über die Entschädigung zugrunde liegen, gebunden ist (§ 8 Abs. 3
S. 2 StrEG mit § 464 Abs. 3 S. 2 StPO), ist es notwendig, die tatsächliche Grundlage der
Entscheidung soweit darzulegen, dass das Beschwerdegericht prüfen kann, ob eine
Rechtsverletzung vorliegt oder nicht. Bindend sind nur diejenigen Feststellungen, die
die Entscheidung tragen (OLG Frankfurt NJW 1978, 1392). Ist dies nicht der Fall, so
kann das Beschwerdegericht neue Feststellungen treffen, es kann dann auch im Freibeweisverfahren neue Beweise erheben oder auf den Akteninhalt zurückgreifen, wenn er
zweifelsfrei Entscheidungsgrundlage war (OLG Schleswig NJW 1976, 1467).
15. Abgekürztes Urteil
Nach § 267 Abs. 4 StPO ist es zulässig, die Urteilsgründe in abgekürzter Form zu 613
verfassen, falls alle zur Anfechtung Berechtigten (Staatsanwaltschaft, Angeklagter,
Nebenkläger, Nebenbeteiligte, gesetzliche Vertreter) auf Rechtsmittel verzichtet haben oder innerhalb der Rechtsmittelfrist kein Rechtsmittel einlegen. Auch wenn ein
Rechtsmittel eingelegt, dann aber wieder zurückgenommen wurde, können die
Gründe abgekürzt abgefasst werden. Entscheidend ist nur, dass die Rechtskraft des
Urteils im Zeitpunkt der Absetzung feststeht. Dabei ist es unerheblich, ob die Kosten- oder die Entschädigungsentscheidung nach §§ 464 Abs. 3 StPO, 8 Abs. 3 StrEG
mit sofortiger Beschwerde angefochten sind. Auch bei Teilrechtskraft ist hinsichtlich
der rechtskräftigen Teile eine abgekürzte Fassung möglich, so, wenn nur einer oder
einige von mehreren Angeklagten das Urteil angefochten haben oder sich der Angeklagte nur gegen seine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort,
nicht aber wegen Beleidigung (begangen nach dem der Entfernung vorausgehenden
203
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Unfall) wendet. Über den Gründen ist zu vermerken, ob das Urteil in abgekürzter
Form verfasst ist (z.B. »abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO« oder »Hinsichtlich des
Angeklagten X abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO« oder »Bezüglich der Verurteilung
wegen … abgekürzt …« oder – bei rechtskräftiger Verurteilung mit rechtskräftigem
Teilfreispruch – »abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 und Abs. 5 S. 2 StPO«).
614 Die Abkürzung besteht zunächst darin, dass jegliche Erörterung zur Beweislage entfallen kann; es brauchen also weder die Beweistatsachen angegeben, noch die Beweise
gewürdigt zu werden. § 267 Abs. 1 S. 2 StPO gilt nicht. Ferner kommt § 267 Abs. 2
StPO nicht zum Zuge. Wenn z.B. Trunkenheit, die zur Bewusstseinsstörung geführt
habe, oder Notwehr behauptet war, so brauchen sich die Gründe nicht darüber auszusprechen, ob und aus welchen Erwägungen diese Umstände für festgestellt oder nicht
festgestellt erachtet werden. Es entfallen weiterhin die Muss-Vorschriften in § 267
Abs. 3 S. 2 bis 4 und Abs. 6 S. 1 StPO, also Erörterungen über die Annahme oder
Nichtannahme eines minder schweren oder eines besonders schweren Falles, die Notwendigkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe, Ausführungen zur Frage der
Strafaussetzung zur Bewährung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt oder des Absehens
von Strafe und der Anordnung oder Nichtanordnung von Maßregeln der Besserung
und Sicherung; vor allem aber sind Ausführungen gem. § 267 Abs. 3 S. 1 StPO über die
Strafzumessungsgründe nicht erforderlich. Hingegen gilt § 267 Abs. 6 S. 2 StPO auch
beim abgekürzten Urteil, denn diese Begründung ist wegen der Bindungswirkung des
Strafurteils für das Verwaltungsverfahren nach § 4 Abs. 3 S. 2 StVG immer notwendig.
615 Es genügt daher bei einem abgekürzten Strafurteil die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat (nach der äußeren und inneren Tatseite) gefunden werden, und des zur Anwendung gebrachten
Strafgesetzes (§ 267 Abs. 4 S. 1; vgl. zu den Mindestanforderungen BGH wistra 2003,
351). Zu letzterem gehört aber auch – was sich aus dem Gesetz nicht klar ergibt – die
Angabe der Rechtsfolgen und der sie tragenden Bestimmungen. Gleichwohl wird
sich der Richter in der Regel nicht mit einem solchen (zulässigen) Mindestinhalt
(z.B. »Der Angeklagte entwendete am 1.2.2013 dem Bäcker Heinz Müller in der
Gastwirtschaft »Wilder Mann« in Weilburg eine Geldbörse mit 100 EUR Inhalt
und verbrauchte das Geld für sich. § 242 StGB. 4 Monate Freiheitsstrafe.«) begnügen.
616 § 267 Abs. 4 S. 2 betont deshalb auch ausdrücklich, dass der weitere Inhalt des Urteils im Ermessen des Gerichts liegt. Der Richter wird daher bei der Abfassung des
abgekürzten Urteils überlegen, inwiefern das Urteil weitere Angaben enthalten muss.
Nähere Ausführungen zur Strafzumessung können für später zu treffende Entscheidungen (§ 57 StGB) während der Strafvollstreckung, Erörterungen zur Strafaussetzung zur Bewährung in Anbetracht eines etwa notwendigen Widerrufs von
Interesse sein. Auch im Hinblick auf etwa zu erwartende weitere Straftaten können
sich Ausführungen zur Strafzumessung empfehlen, um dem künftigen Richter Anhaltspunkte für die von ihm zu treffende Entscheidung zu geben. Für das Berufungsgericht ist es ein nobile officium gegenüber dem Amtsgericht, die dem Urteilsspruch
zugrunde liegenden Erwägungen näher darzulegen, wenn es das Ersturteil ganz oder
teilweise aufhebt.53 Nur bei ganz einfachen Sachen, insbesondere bei Verurteilung zu
53 Revisionsurteile werden mit der Verkündung rechtskräftig; für sie gilt daher § 267 Abs. 4 StPO
nicht. In Jugendsachen ist ein abgekürztes Urteil nur beschränkt zulässig, weil dort § 54 Abs. 1
JGG den Urteilsinhalt zwingend vorschreibt.
204
III. Freispruch
geringfügigen Strafen, wird sich das Gericht daher auf die Mindesterfordernisse beschränken; bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe
oder bei Anordnung von tief eingreifenden Maßregeln der Besserung und Sicherung
wird sich das Gericht hingegen eingehender äußern.
Eine weitere Vereinfachung ist für Urteile, die lediglich auf Geldstrafe lauten oder 617
neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 44,
69 StGB) anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt vorgesehen: In diesen
Fällen ist – abweichend von der sonstigen Regelung der StPO – sogar eine Verweisung auf den zugelassenen Anklagesatz (§§ 200 Abs. 1 S. 1, 207 StPO), die im beschleunigten Verfahren mündlich erhobene und protokollierte Anklage (§ 418 Abs. 3
S. 2 StPO) oder den Strafbefehl bzw. (falls der Richter gem. § 408 Abs. 3 StPO
Hauptverhandlung anberaumt hatte) den Strafbefehlsantrag gestattet (§ 267 Abs. 4
S. 1 StPO). Die Urteilsgründe können sich dann beispielsweise auf den Satz beschränken:
Der Angeklagte ist der im Strafbefehl vom 8.1.2013 bezeichneten Tat schuldig.
Die erwiesenen Tatsachen und das angewendete Strafgesetz ergeben sich aus der zu Protokoll des
Gerichts am 14.1.2013 mündlich erhobenen Anklage; hierauf wird Bezug genommen.
Bedenklich an dieser Regelung ist, dass das Urteil nicht mehr aus sich selbst heraus,
sondern nur im Zusammenhang mit dem Anklagesatz usw. verständlich ist. Die Regelung erscheint daher wenig glücklich, zumal der ersparte Arbeitsaufwand nicht
sehr erheblich ist. Der Richter sollte deshalb von dieser Möglichkeit nur zurückhaltend Gebrauch machen.
Ist das Urteil abgekürzt abgefasst worden und wird gegen die Versäumung der Frist 618
zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, so
können die Urteilsgründe innerhalb der in § 275 Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehenen Frist
ergänzt werden (§ 267 Abs. 4 S. 3 StPO). Die Frist zur Ergänzung der Urteilsgründe
beginnt nicht schon mit Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
laufen (so BayObLG MDR 1977, 778), sondern erst, wenn die Akten bei dem für die
Urteilsergänzung zuständigen Gericht eingehen (BGH 52, 349; NStZ-RR 2012, 118).
Ist das Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt und durfte der Richter bei Abfassung des
abgekürzten Urteils bei der ihm vorliegenden Aktenlage ohne weiteres von der Anwendbarkeit des § 267 Abs. 4 S. 1 StPO ausgehen, können in entsprechender Anwendung des § 267 Abs. 4 S. 4 StPO die Urteilsgründe ergänzt werden (BGH NStZ-RR
2013, 53; für das Bußgeldverfahren vgl. BGH 43, 22). Die nach § 275 Abs. 1 S. 2 StPO
sich bestimmende Frist beginnt in diesem Fall mit Kenntnis des Richters von der
Wahrung der Rechtsmitteleinlegungsfrist.
III. Freispruch
1. Allgemeines
Die Freisprechung kann auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruhen. 619
Deswegen bestimmt § 267 Abs. 5 S. 1 StPO, dass die Urteilsgründe ergeben müssen,
ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob sein Verhalten für nicht strafbar erachtet worden ist. Es darf nicht offen bleiben, ob der Angeklagte aus tatsächlichen oder
aus rechtlichen Erwägungen freigesprochen wurde; Hilfsbegründungen sind unzulässig (der Angeklagte konnte nicht überführt werden, aber selbst bei Nachweis der Tat
205
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
wäre darin ein strafbares Verhalten nicht zu sehen, oder umgekehrt, das Verhalten des
Angeklagten ist nicht strafbar, im Übrigen kann ihm die Tat auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden). Lässt sich ohne Schwierigkeiten feststellen, dass die dem Angeklagten vorgeworfene Handlung mit Sicherheit straflos ist, so
wird das Gericht ihn aus Rechtsgründen freisprechen und dahingestellt sein lassen,
ob ihm dies Verhalten überhaupt nachzuweisen ist. Kann dem Angeklagten »die Tat«
nicht nachgewiesen werden, so ist er aus tatsächlichen Gründen freizusprechen; eine
– möglicherweise schwierig zu beantwortende – Rechtsfrage kann dann dahingestellt
bleiben. Stets muss aber erkennbar sein, ob das Gericht den Beweis für die Tat oder
für ein gesetzliches Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes oder für die Täterschaft
oder für die Schuld des Angeklagten nicht für erbracht hält.
620 Ob der Angeklagte freigesprochen wird, weil das Gericht von seiner Unschuld
bzw. davon überzeugt ist, dass gegen ihn ein begründeter Tatverdacht nicht mehr
besteht, oder weil es sich von seiner Schuld nicht hat überzeugen können, ist eine
Frage der Beweiswürdigung. Die Frage ist nicht mehr von praktischer Bedeutung,
nachdem § 467 StPO grundsätzlich bei jedem Freispruch die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last fallen lässt. Gleichwohl empfiehlt es
sich, darüber in den Urteilsgründen eindeutige Ausführungen zu machen: Jeder
Angeklagte hat einen Anspruch darauf, dass im Urteil seine Unschuld festgestellt
bzw. dargelegt wird, dass ein begründeter Verdacht gegen ihn nicht besteht, wenn
das Gericht diese Überzeugung erlangt hat (vgl. auch Nr. 88 S. 2 RiStBV); sonst
kann unter Umständen ein Grundrecht verletzt sein (Art. 1, 2 Abs. 1 GG; vgl.
BVerfG 6, 7; 28, 151).
Ebenso wie bei einer Verurteilung ist auch bei Rechtskraft des freisprechenden Erkenntnisses die Urteilsbegründung in abgekürzter Form möglich (§ 267 Abs. 5 S. 2
StPO; dazu unten Rn. 639).
2. Nicht-abgekürzte Urteilsbegründung
a) Freispruch aus tatsächlichen Gründen
621 Die Beweise können nicht ausgereicht haben, um das Gericht von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Das Gericht hält es z.B. für erwiesen, dass ein Diebstahl
begangen wurde, nicht aber, dass der Angeklagte der Täter ist.
622 Hier wird zunächst kurz der Anklagevorwurf aufgezeigt (BGH 37, 22; zu den persönlichen Verhältnissen sind nur ausnahmsweise Feststellungen erforderlich, vgl.
Rn. 233). Sodann muss in einer geschlossenen Darstellung dargelegt werden, welchen
Sachverhalt das Gericht als festgestellt erachtet. Erst danach ist zu erörtern, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen, zusätzlichen Feststellungen
nicht getroffen werden können (BGH NJW 2013, 1106). Es darf also nicht gleich mit
der Beweiswürdigung begonnen werden, sondern zunächst sind die getroffenen Feststellungen mitzuteilen und erst dann ist – beweiswürdigend – auszuführen, warum
diese Feststellungen für eine Verurteilung des Angeklagten nicht ausreichen. Dies hat
nach der Aufgabe, welche die Urteilsgründe erfüllen sollen, so vollständig und genau
zu geschehen, dass das Revisionsgericht in der Lage ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH wistra 2007, 108).
Zum notwendigen Urteilsinhalt gehört in der Regel auch eine eingehende Mitteilung
der Einlassung des Angeklagten (BGH NJW 2013, 1688). Die Beweiswürdigung
206
III. Freispruch
(dazu grundlegend Brause NStZ-RR 2010, 329) muss sich nicht mit allen als beweiserheblich in Betracht kommenden Umständen auseinandersetzen, sich nicht unbedingt mit allen gegen den Angeklagten sprechenden Verdachtsgründen befassen. Der
Richter ist also nicht gehalten, alle Umstände, die zu seiner Überzeugung geführt
haben, lückenlos in den Gründen anzuführen, zumal es vielfach unmöglich ist, im
Einzelnen darzutun, warum sich das Gericht nicht von einem bestimmten Sachverhalt hat überzeugen können (BGH StraFo 2010, 386). Entfernt liegende Möglichkeiten von Geschehensabläufen, für die es an Anhaltspunkten fehlt, brauchen nicht ausdrücklich erörtert zu werden. Es genügt, wenn die wirklich entscheidenden
Bedenken gegen die Täterschaft des Angeklagten herausgestellt werden. Der Richter
muss sich aber mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzen, die den Angeklagten be- oder entlasten (BGH NStZ 2012, 110; 227).
Schließt sich der Richter dem Gutachten eines Sachverständigen an, so sind in den 623
Gründen die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens und die daraus
vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen aufzuführen, soweit dies zum
Verständnis des Gutachtens – und damit des Freispruchs – notwendig ist (vgl.
Rn. 379 ff.).
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft 624
nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der
Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei
der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die
Beweiswürdigung unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit
überspannte Anforderungen gestellt werden (BGH NJW 2012, 110). Es genügt also
zum Freispruch, wenn der Tatrichter »letzte Zweifel« an der Täterschaft des Angeklagten nicht überwinden kann. Allerdings müssen solche Zweifel außer Betracht
bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich nur auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Auch im Hinblick auf den Zweifelssatz ist es nicht geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht
sind (BGH NStZ-RR 2013, 117). Insbesondere ist das Gericht nicht verpflichtet, entlastende Angaben, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren
Wahrheitsgehalt fraglich ist, ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde zu legen
(vgl. Rn. 372). Der Tatrichter muss versuchen, den Sachverhalt so erschöpfend wie
möglich zu klären, etwaige Lücken der Feststellungen zu schließen und bei Widersprüchen deren mögliche Ursachen aufzuspüren. An die richterliche Überzeugungsbildung dürfen aber keine überspannten Anforderungen gestellt werden: Ein nach
der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige
Zweifel nicht mehr laut werden können, genügt (BGH NStZ-RR 2013, 117). Insbesondere kann eine Mehrzahl von Belastungsindizien, von denen keines für sich allein
zum Täterschaftsnachweis ausreicht, in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln (BGH NStZ 2013, 3). Zu beachten ist stets, dass der
Grundsatz »in dubio pro reo« keine Beweisregel, sondern eine Entscheidungsregel
ist; auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anwendbar.
Er besagt nichts darüber, wie der Richter die Beweise zu würdigen hat, sondern
kommt erst bei der abschließenden Gesamtwürdigung zum Tragen (BGH NStZ-RR
2013, 20).
207
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Der BGH (bei Holtz MDR 1978, 806) hat beispielsweise einen Freispruch aufgehoben, der darauf beruhte, dass die Strafkammer »Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten insbesondere deshalb nicht ausräumen konnte, weil keiner der Tatzeugen ihn
als Täter identifizieren konnte«. Dabei war dem Urteil aber zu entnehmen, dass die
Täter bei dem Banküberfall Masken trugen und dass am Tatort Fingerspuren des Angeklagten sowie dessen Aktentasche und Brille gefunden wurden. Diese und weitere
Verdachtsgründe hatte die Strafkammer mit dem Hinweis auf die fehlende Identifizierung des Angeklagten durch Tatzeugen abgetan.
b) Freispruch aus rechtlichen Gründen
625 Die Täterschaft des Angeklagten steht zwar fest, es fehlt aber entweder ein Tatbestandsmerkmal der Straftat oder es stehen dem Angeklagten Schuld- oder Strafausschließungsgründe zur Seite.
In diesem Falle muss das Urteil ergeben, »aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist«.
626 Mit den Worten: »Die für erwiesen angenommene Tat« schreibt das Gesetz nicht vor,
dass der äußere Sachverhalt genau und nach den für die Verurteilung geltenden Vorschriften festgestellt und gewürdigt werden muss. Jedoch ist grundsätzlich auch bei
einem aus rechtlichen Gründen freisprechenden Urteil ein Mindestmaß an tatsächlichen Feststellungen – jedenfalls in objektiver Beziehung – erforderlich, weil nur solche rechtlichen Erwägungen, die sich auf Tatsachen gründen, sinnvoll erscheinen.
Wenn allerdings nur ein einzelnes Tatbestandsmerkmal verneint wird, z.B. beim Betrug die Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, so
brauchen die übrigen Merkmale nicht festgestellt zu werden. Es genügt also unter
Umständen schon die Verneinung des subjektiven Tatbestandes, ohne dass auf den
objektiven Tatbestand eingegangen wird (BGH GA 1974, 61). Doch werden dies seltene Ausnahmefälle sein. In der Regel kann sich der Richter eine zuverlässige Überzeugung über die Verantwortlichkeit des Angeklagten nur bilden, wenn er sich darüber klar geworden ist, was dieser getan hat, weil häufig erst daraus Schlüsse auf die
Richtung seines Willens und den Inhalt seines Bewusstseins gezogen werden können;
erst dann kann in der Regel festgestellt werden, was der Angeklagte mit seinem Tun
gewollt und bezweckt hat. So hat der BGH (bei Dallinger MDR 1956, 272) es für
unzulässig gehalten, im Falle des Freispruchs wegen Schuldunfähigkeit nur den äußeren Geschehensablauf der Tat wiederzugeben und nicht die für erwiesen angenommene Tat festzustellen. Nach BGH 1, 342 ist es unzulässig, einen 15-Jährigen schon
wegen mangelnder Einsicht freizusprechen, ohne den Versuch gemacht zu haben,
sein Sittlichkeitsverbrechen festzustellen. Nach BGH 11, 273 darf bei Freispruch wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) die Frage nicht offen gelassen werden, ob die behauptete oder verbreitete Tatsache im Sinne des § 186 StGB
erweislich wahr ist (eingehend zur Prüfungsreihenfolge bei den einzelnen Beleidigungstatbeständen Graul NStZ 1991, 457). Nach BGH NStZ 1991, 400 darf von der
Annahme des Einverständnisses des Tatopfers mit sexuellen Handlungen in der Regel
erst dann ausgegangen werden, wenn der äußere Tathergang erschöpfend aufgeklärt
worden ist.
627 Es empfiehlt sich daher, auch im Falle der Freisprechung aus subjektiven Gründen
die für erwiesen angenommene Tat wenigstens kurz festzustellen. Jedenfalls muss
aber der Sachverhalt soweit geschildert werden, dass der die Freisprechung tragende
208
III. Freispruch
Grund wie Notwehr, Fehlen des inneren Tatbestandes oder äußerer Tatbestandsmerkmale, verständlich wird und vom Revisionsgericht nachgeprüft werden kann.
Dieser Grund der Freisprechung muss in tatsächlicher und, soweit nötig, in rechtlicher Hinsicht genau erörtert, z.B. das Vorliegen der Notwehr genau begründet werden.
Die Begründung des freisprechenden Urteils muss so gehalten sein, dass die Grund- 628
regeln der Beweiswürdigung beachtet sind. Wie weit dabei ins einzelne zu gehen ist,
bestimmt die Lage des Falls. Wenn z.B. der Angeklagte wegen einer krankhaften seelischen Störung freigesprochen wird, so genügt es, den Sachverhalt der Anklage festzustellen und dann auszuführen, dass das Gericht nach dem – nach den unter Rn. 381
erörterten Grundsätzen wiederzugebenden – überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Zweifel daran gehabt habe, ob der Angeklagte zur Zeit der Tat schuldfähig
gewesen ist. Ebenso ist bei einem Irrtum des Angeklagten über Umstände des gesetzlichen Tatbestandes (§ 16 StGB) zu verfahren.
c) Unterschiedliche Auffassungen der Richter
Die Begründung der StPO erwähnt den Fall, dass ein Teil der Richter den Angeklag- 629
ten für nicht überführt, der andere Teil einen Strafausschließungsgrund für gegeben
erachtet hat und dass eine Einigung über die Gründe des Freispruchs nicht erzielt
werden kann. Von fünf Richtern der Strafkammer hält z.B. einer die Täterschaft des
Angeklagten für nicht dargetan, einer nimmt Notwehr an, drei wollen verurteilen. In
diesem Falle muss freigesprochen werden. Die Gründe können sich hier nicht, wie
die Gesetzesbegründung annimmt, auf die Angabe beschränken, dass das Gericht
nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt worden ist, sondern das Ergebnis
der Abstimmung ist unter kurzer Darstellung des Sachverhalts darzulegen und auszuführen, dass der Angeklagte freigesprochen werden musste, da die nötige Zweidrittelmehrheit des § 263 StPO nicht erzielt worden sei. Dies ist nicht nur empfehlenswert, sondern geboten, da sonst die Gründe des Freispruchs im dunklen bleiben
würden (vgl. dazu ferner oben Rn. 246).
d) Erschöpfung des Eröffnungsbeschlusses
Auch bei einem Freispruch muss der Eröffnungsbeschluss (die zugelassene Anklage) 630
erschöpft werden. Die Gründe müssen also erkennen lassen, dass der ganze Vorfall,
der Gegenstand der Verhandlung war, nach allen rechtlich erheblichen Seiten geprüft
worden ist. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn das Gericht einen Angeklagten von dem
Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort freispricht, weil er sich erst nach
Ablauf der Wartefrist entfernt habe (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB), jedoch nicht erörtert,
ob der Angeklagte unverzüglich nachträglich die Feststellungen ermöglicht hat (§ 142
Abs. 2 Nr. 1 StGB). Ebenso würde ein Freispruch von der Anklage der Förderung
sexueller Handlungen Minderjähriger (§ 180 Abs. 1 StGB) die Revision begründen,
wenn nur das Merkmal der Vermittlung, nicht auch das des Gewährens oder Verschaffens von Gelegenheit geprüft worden wäre. Enthält der Anklagesatz mehrere in
Tateinheit stehende Straftaten, so muss das Urteil sämtliche in Frage kommenden
Gesichtspunkte erörtern.
Häufig wird bei einem Freispruch die Prüfung vergessen, ob ein – möglicherweise 631
untauglicher – Versuch der Straftat vorliegt, etwa, wenn ein Angeklagter vom Vorwurf freigesprochen wird, eine Frau durch Drohung mit einem empfindlichen Übel
209
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
dazu gebracht zu haben, der Prostitution nachzugehen, weil diese auch ohne die
Drohung dazu bereit war (vgl. auch den Fall BGH 33, 247 f.).
e) Klageänderung
632 Nach § 264 StPO hat das Gericht die Verpflichtung, die Tat nicht nur aus den Strafbestimmungen der Anklage, sondern aus allen rechtlichen Gesichtspunkten, die in
Betracht kommen könnten, zu prüfen. Man könnte annehmen, dass sich demgemäß
die Gründe des freisprechenden Urteils über alle diese Gesichtspunkte äußern müssten. Eine derartige offenbar zu weitgehende Forderung hat die Rechtsübung jedoch
abgelehnt und die Verpflichtung des Gerichts, andere als die in der Anklageschrift
erwähnten Strafbestimmungen für die schriftliche Begründung heranzuziehen, auf
drei Fälle beschränkt:
633 1. Wenn die im Urteil festgestellten Tatsachen ohne weiteres die Anwendbarkeit einer
Strafbestimmung ergeben, die in der vom Eröffnungsbeschluss zugelassenen Anklage
nicht angeführt ist:
Dem Angeklagten ist Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last gelegt, weil er dem ihn verhaftenden Polizeibeamten mit einem Stock auf den Kopf geschlagen hat. Das Gericht spricht ihn
frei, weil sich der Beamte nicht in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes befunden habe. Hier
hätte das Gericht den Angeklagten von Amts wegen auf die Anwendbarkeit des § 224 StGB hinweisen und ihn, falls nicht Notwehr vorlag, verurteilen müssen.
2. Wenn der freigesprochene Angeklagte vom Gericht nach § 265 StPO auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen worden war. Dann müssen
die Gründe ergeben, weshalb weder die Strafbestimmung der Anklageschrift noch
diejenige, auf die hingewiesen worden war, vorliegt.
3. Wenn der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung, etwa im Schlussvortrag, auch nur
hilfsweise, den Antrag gestellt hatte, die Tat in veränderter Richtung zu prüfen, z.B.
ob Fahrlässigkeit statt Vorsatz anzunehmen sei.
f) Freispruch und Maßregel
634 Es ist möglich, neben einem Freispruch Maßregeln der Besserung und Sicherung
anzuordnen, nämlich bei Schuldunfähigkeit des Täters die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt, ebenso die Entziehung der Fahrerlaubnis oder die Verhängung eines Berufsverbots (§§ 63, 64, 69,
70 StGB). Für die Begründung des Freispruchs ergeben sich dabei keine Besonderheiten. Die angeordnete Maßregel muss aber in gleicher Weise wie bei einer Verurteilung begründet werden (dazu vgl. Rn. 553). Es muss daher der Sachverhalt – wie
sonst auch – geschildert werden, wobei die Tatsachen, an die die Anordnung der
Maßregel anknüpft, besonders hervorzuheben sind. Daran schließt sich die Beweiswürdigung und die Angabe der Rechtsgrundlage, auf die sich die Anordnung
der Maßregel stützt, an. Wie stets bei dem Ausspruch einer Maßregel der Besserung
und Sicherung kann sich eine über § 267 Abs. 6 StPO hinausgehende Begründungspflicht aus den Anforderungen des materiellen Rechts ergeben (dazu oben
Rn. 554).
210
III. Freispruch
g) Kosten und Auslagen
Zum Umfang der Begründung des Kosten- und Auslagenausspruchs gilt dasselbe wie 635
bei einem verurteilenden Erkenntnis (oben Rn. 607). Auch hier wird es in der Regel
genügen, die einschlägige Vorschrift (also § 467 Abs. 1 StPO) zu zitieren. Nur soweit
notwendige Auslagen nicht erstattet werden (§ 467 Abs. 2, 3 StPO), ist eine nähere
Begründung erforderlich.
h) Entschädigungsentscheidung
Auch für den Anspruch auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen kommt 636
es auf die Art des Freispruchs (aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen, wegen
erwiesener Unschuld oder mangels hinreichenden Tatverdachts) nicht an.
Soweit der Anspruch auf Grund des § 2 StrEG zuerkannt wird, genügt im Allgemei- 637
nen der Hinweis auf diese gesetzliche Bestimmung. Einer eingehenderen Begründung
bedarf es hingegen, wenn die Entschädigung wegen eines der in § 5 StrEG aufgezählten Ausschlussgründe oder nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StrEG (wahrheitswidrige
Selbstbelastung oder bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit) versagt wird (vgl. im
Übrigen oben Rn. 609 ff.). Der Versagungsgrund des § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG setzt
voraus, dass das Verschweigen wesentlicher entlastender Umstände ohne vernünftigen und billigenswerten Grund erfolgte, ein Nichtschweigen also zumutbar gewesen
wäre (OLG Nürnberg MDR 1975, 780). Das wird regelmäßig nicht der Fall sein,
wenn der Beschuldigte einen Angehörigen als Täter bezeichnen müsste; das OLG
Hamm (MDR 1977, 1042) hat es auch beim Verschweigen des Namens eines Freundes verneint. Die Entschädigung wird aber zu versagen sein, wenn der Beschuldigte
den Umstand verschwiegen hat, dass überhaupt ein anderer (Angehöriger oder
Freund) als Täter in Betracht kommt (Götz MDR 1977, 1042; D. Meyer MDR 1973,
468). Nach h.M. geht die Generalklausel des § 5 Abs. 2 der Fakultativbestimmung des
§ 6 Abs. 1 StrEG vor (so für § 6 Abs. 1 Nr. 1: KG GA 1987, 405; für § 6 Abs. 1 Nr. 2:
BGH 29, 168).54
Auch bei Verzicht des Betroffenen auf Entschädigung sollte wegen § 8 Abs. 1 StrEG 638
eine Entscheidung ergehen. Eine die Entschädigungspflicht allein mit der Begründung verneinende Entscheidung, der Betroffene habe wirksam auf Entschädigung
verzichtet, ist wegen § 11 StrEG nur zulässig, wenn ersichtlich Unterhaltsberechtigte
nicht vorhanden sind (Seebode NStZ 1982, 146).
3. Abgekürztes Urteil
Falls das freisprechende Urteil in der Hauptsache rechtskräftig ist, d.h. wenn alle An- 639
fechtungsberechtigten auf Rechtsmittel verzichtet oder kein Rechtsmittel eingelegt
oder ihr Rechtsmittel zurückgenommen haben (vgl. dazu Rn. 613), können auch hier
54 D. Meyer hat einige praktisch bedeutsame Probleme der Entschädigungsentscheidung behandelt,
auf die hier verwiesen werden kann: Die Entschädigung bei Wegfall der Strafbarkeit der Tat im
Laufe des Verfahrens (Folge: § 206b StPO) in MDR 1978, 367; das Verhältnis des Ausschlussgrundes des § 5 Abs. 1 Nr. 2 zur Versagungsmöglichkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 in MDR 1979, 192,
und die Frage einer analogen Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 beim Vorliegen von Schuldausschließungsgründen in MDR 1981, 725.
211
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
die Urteilsgründe in abgekürzter Form abgefasst werden.55 § 267 Abs. 5 S. 2 StPO
verlangt dann nur die Angabe, »ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus
tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist«. Es bedarf hier
also nicht einmal der Wiedergabe der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat
(diese kann aus der zugelassenen Anklage entnommen werden). Dass ein solches Urteil absolut nichtssagend ist, liegt damit auf der Hand. Dies ist jedoch an sich vertretbar, da sich der gegen den Angeklagten erhobene Vorwurf als ungerechtfertigt herausgestellt hat und ein weiteres Eingehen auf diesen Vorwurf nicht erforderlich ist,
nachdem alle Beteiligten den Freispruch akzeptiert haben. Gleichwohl wird in der
Regel der Anklagesatz – zumindest kurz zusammengefasst – wiedergegeben werden;
oftmals wird es erwünscht und zweckmäßig sein, genauer auf die Freisprechungsgründe einzugehen. Das gilt insbesondere für das Berufungsgericht, wenn das Amtsgericht den Angeklagten verurteilt hatte. Das Gericht ist auch bei einem rechtskräftigen Freispruch an solchen längeren Ausführungen nicht gehindert. § 267 Abs. 4 S. 2
StPO wird zwar in Abs. 5 S. 2 nicht ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt; da aber Abs. 4 und 5 nur eine Berechtigung und nicht etwa eine Verpflichtung
für das Gericht enthalten, steht einer weiteren Begründung auch hier nichts im Wege.
640 So wird das Gericht bei einem Freispruch aus Rechtsgründen den für seine
Rechtsauffassung maßgebenden Gesichtspunkt anführen. Wenn ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit erfolgte, ist dies wegen § 11 BZRG (Eintragung in das Bundeszentralregister) in den Urteilsgründen festzustellen (Rieß NJW 1975, 87). Ist mit
dem Freispruch eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden, so
gelten die Ausführungen zu 2 f auch hier.56
641 Wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist gewährt, ist § 267 Abs. 4 S. 4 StPO entsprechend anzuwenden (§ 267 Abs. 5
S. 3 StPO; vgl. dazu oben Rn. 618).
4. Teilfreispruch
642 Wird ein Angeklagter teilweise verurteilt und teilweise freigesprochen oder werden
von mehreren Angeklagten einige verurteilt und einige freigesprochen, so werden in
den Gründen zunächst die Sachverhaltsfeststellungen, Beweis- und rechtliche Würdigung, das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz, die Strafzumessungsgründe und die
Begründung zu sonstigen Rechtsfolgenaussprüchen hinsichtlich der Verurteilung
gebracht. Erst dann kommen die Ausführungen zum Freispruch. Nach diesen folgen
gemeinsame Erörterungen zur Kostenentscheidung (dazu oben Rn. 126) und gegebenenfalls zur Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
(dazu oben Rn. 131).
55 Gegen ein freisprechendes Urteil hat der Angeklagte kein Rechtsmittel; er ist durch den Freispruch nicht beschwert, auch wenn er wegen Schuldunfähigkeit oder trotz starker im Urteil festgestellter Verdachtsgründe freigesprochen wurde (BGH 16, 374; vgl. auch BVerfG 6, 7; 28, 151).
56 Hatte der Tatrichter den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und das Revisionsgericht auf die Revision der Staatsanwaltschaft insoweit, als nicht eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist, unter Verwerfung der weitergehenden Revision dieses Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, so hat der Tatrichter in der neuen Verhandlung
ohne Bindung an die der Freisprechung zugrunde liegenden Feststellungen des früheren Urteils
selbständig zu prüfen, ob der Angeklagte eine rechtswidrige Tat begangen hat (BGH NStZ 1989,
84; BayObLG NStZ 1985, 90).
212
IV. Einstellung
IV. Einstellung
1. Allgemeines
Über die Begründung der Urteile, die auf Einstellung des Verfahrens lauten (§ 260 643
Abs. 3 StPO), schweigt das Gesetz. § 267 StPO, der nur die verurteilenden und die
freisprechenden Urteile behandelt, ist weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar; denn die Einstellungsurteile unterscheiden sich von den übrigen dadurch,
dass sie lediglich eine Prozessvoraussetzung verneinen, also das vorliegende Verfahren für unzulässig erklären, sich hingegen damit, ob der Angeklagte überführt ist
(§ 267 Abs. 5 S. 1 StPO), nicht befassen. Daraus darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, die Gründe dürften sich auf den Satz beschränken: »Das Verfahren wird
eingestellt«. Vielmehr ergibt sich aus dem Wesen des Einstellungsurteils Inhalt und
Umfang der Begründung.
Die Gründe haben die Sachlage kurz darzustellen, von einer (Sachverhalts-)Fest- 644
stellung jedoch abzusehen und sich anschließend nur über die betreffende Prozessvoraussetzung zu äußern (OLG Hamm MDR 1986, 778). Es ist also darzulegen, an
welcher Prozessvoraussetzung es fehlt oder welches Verfahrenshindernis besteht; die
Gründe hierfür sind zu erörtern. Der für die Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen
notwendige Tatsachenstoff ist anzugeben. Der Umfang der Darlegung richtet sich
nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere nach der Eigenart
des Verfahrenshindernisses (BGH NStZ-RR 2011, 347); die Angabe der Beweisergebnisse ist nicht erforderlich. Der Richter wird sodann seine Rechtsauffassung erörtern. So sind bei Anwendung eines Straffreiheitsgesetzes etwa Zeitpunkt und Umstände der angeblich begangenen Tat anzugeben und sodann ist auszuführen, warum
diese Tat nach Ansicht des Gerichts unter das Amnestiegesetz fällt. Oder es ist anzugeben, warum es hinsichtlich einer Straftat an der Anklageerhebung oder am Eröffnungsbeschluss fehlt.
2. Fehlender Strafantrag
Nachdem der Eintritt der Verjährung wegen §§ 78b Abs. 3 StGB, 32 Abs. 2 OWiG 645
nach Erlass eines Urteils des ersten Rechtszugs nicht mehr erfolgen kann und bei einer Handlung, die gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit ist, für die Ordnungswidrigkeit die sich aus der Strafdrohung ergebende Verjährungsfrist gem. § 33
Abs. 3 S. 3 OWiG maßgeblich ist, ist der praktisch wichtigste Fall, in dem eine Einstellung erfolgen muss, nicht mehr die Verjährung, sondern der fehlende Strafantrag.
Hierunter fällt nicht nur das Fehlen des Strafantrags, sondern auch dessen Rücknahme. Dies hat eine große Bedeutung erlangt, weil der Strafantrag bei allen Straftaten
und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens zurückgenommen werden
kann (§ 77d Abs. 1 S. 1, 2 StGB).
Hier ist auch dann, wenn eine Beweisaufnahme stattgefunden hatte und z.B. der Tatbestand einer Körperverletzung als gegeben angesehen worden war, dann aber der
Mangel des Strafantrags bemerkt wurde, die Straftat nicht festzustellen, sondern einfach zu sagen:
Dem Angeklagten liegt zur Last, dass er … den dreizehnjährigen Schüler Siegfried Bock durch Faustschläge auf den Kopf misshandelt habe. Den nach § 230 StGB erforderlichen Strafantrag hat die
Stiefmutter des Verletzten rechtzeitig gestellt. Berechtigt zur Stellung des Antrags war aber nur der
Vater, weil usw.
213
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Für die Kosten- und Auslagenentscheidung ist § 470 StPO zu beachten.
3. Fehlende Zuständigkeit
646 Die örtliche Zuständigkeit ist eine kurzlebige Prozessvoraussetzung. Falls das Fehlen der örtlichen Zuständigkeit in der Hauptverhandlung gem. § 16 StPO noch zu
beachten ist, hat das Gericht das Verfahren durch Urteil einzustellen; eine Verweisung an das örtlich zuständige Gericht ist unzulässig (BGH 23, 79).
647 Bei sachlicher Unzuständigkeit ist zu unterscheiden: Wäre ein niedrigeres Gericht
zuständig, so ist dies im Hauptverfahren ohne Bedeutung. Das Gericht kann in der
Sache entscheiden (§ 269 StPO). Ist ein höheres Gericht zuständig, so erlässt das Gericht in der Hauptverhandlung einen Verweisungsbeschluss, kein Einstellungs- oder
Verweisungsurteil (§ 270 Abs. 1 StPO).57 Etwas anderes gilt nur für das Berufungsgericht; hier ist § 270 durch § 328 Abs. 2 StPO ersetzt. § 25 Nr. 2 GVG schließt nicht
aus, dass der Strafrichter eine über zwei bis zu vier Jahren liegende Freiheitsstrafe
verhängt, wenn sich erst in der Hauptverhandlung neue, strafschärfende Umstände
ergeben haben, die nicht schon bei Anklageerhebung und Erlass des Eröffnungsbeschlusses bekannt waren.
648 Bei funktioneller Unzuständigkeit (das Gericht hält einen anderen Spruchkörper
desselben Gerichts für zuständig, also etwa eine große Strafkammer für ein Verfahren
im ersten Rechtszug eine andere, eine allgemeine Strafkammer die Schwurgerichtskammer) ist zu unterscheiden, ob die funktionelle Unzuständigkeit auf den Bestimmungen des Geschäftsverteilungsplanes des Gerichts oder auf einer gesetzlichen Regelung beruht: Soweit eine unterschiedliche Auslegung des Geschäftsverteilungsplans
in Frage steht, entscheidet das Präsidium des Gerichts, wenn sich die Spruchkörper
über die Zuständigkeit nicht einigen können; ein Einstellungsurteil darf hier nicht
ergehen (BGH 25, 242).
649 Hält hingegen eine Strafkammer die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer
– also des Schwurgerichts (§ 74 Abs. 2 GVG), der Staatsschutzkammer (§ 74a GVG)
oder der Wirtschaftsstrafkammer (§ 74c GVG) – für gegeben und hat der Angeklagte
dies rechtzeitig nach § 6a S. 3 StPO geltend gemacht, so erlässt die Strafkammer einen
Verweisungsbeschluss wie bei sachlicher Unzuständigkeit (§ 270 Abs. 1 S. 2 StPO);
auch hier darf nicht etwa ein Einstellungsurteil ergehen. Die Schwurgerichtskammer
ist gegenüber der Wirtschaftsstrafkammer, diese gegenüber der Staatsschutzkammer
vorrangig (§ 74e GVG).
650 Die Jugendgerichte gelten gegenüber den Erwachsenengerichten als Gerichte höherer Ordnung; dies ist auch noch in der Hauptverhandlung von Amts wegen zu beachten (§§ 270 Abs. 1 S. 1, 209a Nr. 2 lit. a StPO). Die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer und der Staatsschutzkammer geht allerdings wiederum derjenigen der
Jugendgerichte vor (§ 103 Abs. 2 S. 2 JGG); hier muss der Angeklagte aber die Unzuständigkeit der Jugendkammer wieder bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache
in der Hauptverhandlung geltend machen. Dass die Sache als Jugendschutzsache vor
das Jugendgericht gehört hätte (§§ 26 Abs. 1 S. 1, 74b S. 1 GVG, 209a Nr. 2 lit. b
57 Der Verweisungsbeschluss nach § 270 StPO ist bindend, auch wenn er fehlerhaft ist; die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (BGH 29, 216; 45, 26;
58).
214
IV. Einstellung
StPO), ist nach Zulassung der Anklage vor dem Erwachsenengericht nicht mehr zu
beachten.
Auch wenn der besondere Spruchkörper bei einem anderen Landgericht besteht, 651
weil von der Konzentrationsmöglichkeit der §§ 74c Abs. 3, 74d GVG Gebrauch gemacht worden ist oder weil die Strafkammer nach § 74a GVG bei einem anderen
Landgericht errichtet ist, verweist die Strafkammer des einen Landgerichts die Sache
durch Beschluss an die Strafkammer des anderen Landgerichts mit der besonderen
Zuständigkeit (vgl. §§ 74a Abs. 5, 74c Abs. 4 GVG).
4. Sonstige Prozessvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse
Außer der Zuständigkeit gibt es noch eine Vielzahl anderer – praktisch jedoch weni- 652
ger wichtige – Prozessvoraussetzungen: So die andere Rechtshängigkeit oder entgegenstehende Rechtskraft, das Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit, der Anklage
oder des Eröffnungsbeschlusses. Als Verfahrenshindernisse sind neben dem Fehlen
oder der nicht rechtzeitigen Stellung des Strafantrags die schon erwähnte Verjährung,
ferner die fehlende Bewilligung des ausliefernden Staates (Grundsatz der Spezialität,
z.B. nach Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens) oder die mangelnde Genehmigung oder Ermächtigung des Parlaments zur Strafverfolgung zu
nennen. Nach der Fassung des § 260 Abs. 3 StPO ist in allen Fällen auf Einstellung
des Verfahrens zu erkennen; der Ausspruch, die Strafverfolgung sei unzulässig, ist
falsch.
Überlange Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des BGH (46, 159) nur in 653
außergewöhnlichen Einzelfällen ein Verfahrenshindernis, nämlich nur dann, wenn
eine angemessene Berücksichtigung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes
(Art. 6 Abs. 1 MRK) bei der Festsetzung der Rechtsfolgen nicht mehr in Betracht
kommt (vgl. auch BVerfG NJW 1984, 967). BGH 35, 137 hatte in einem solchen Fall
(jahrelang unterbliebene Zuleitung der Akten nach § 347 StPO) das Verfahren »abgebrochen« und eingestellt. Die Überschreitung der durch das Rechtsstaatsprinzip
gezogenen Grenzen tatprovozierenden Verhaltens (»Lockspitzel«, BGH 32, 345; 654
33, 283; 362) soll nach der Rechtsprechung des BGH (45, 321) stets nur bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, jedoch nicht zur Einstellung führen können (sehr
streitig).
Bei Tod des Angeklagten wird das Verfahren eingestellt (BGH 45, 108).
655
Bestehen Zweifel, ob eine Prozessvoraussetzung gegeben ist oder ein Prozesshinder- 656
nis besteht, so ist das Verfahren ebenfalls einzustellen; denn die Prozessvoraussetzungen müssen zweifelsfrei festgestellt sein (im Einzelnen streitig, vgl. LR/Rieß § 206a
Rn. 28 ff.).
5. Kosten, notwendige Auslagen und Entschädigung
Die Kosten des Verfahrens trägt gem. § 467 Abs. 1 StPO immer die Staatskasse. Die 657
übrigen Entscheidungen werden aber stets einer näheren Begründung bedürfen, da
nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO sowohl der Angeklagte als auch die Staatskasse mit
den notwendigen Auslagen des Angeklagten belastet werden können (BGH wistra
2008, 421). Wenn das Verfahrenshindernis schon bei Anklageerhebung bestand, werden die notwendigen Auslagen in der Regel der Staatskasse aufzuerlegen sein; hat sich
215
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
das Verfahrenshindernis erst im Laufe der Hauptverhandlung ergeben, so darf nicht
darauf abgestellt werden, ob der Angeklagte wahrscheinlich verurteilt worden wäre,
falls das Verfahrenshindernis nicht bestünde (vgl. BVerfG NJW 1987, 2427). Eine
Entscheidung, die mit dieser Begründung dem Angeklagten die Erstattung seiner
notwendigen Auslagen versagt, würde gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6
Abs. 2 MRK verstoßen, es sei denn, die Schuld des Angeklagten ist in der Hauptverhandlung – z.B. in erster Instanz – ordnungsgemäß festgestellt worden (BVerfG
NStZ 1988, 84; 1992, 238). Um hier keinen Fehler zu machen, empfiehlt es sich, statt
auf den Tatverdacht (oder die Schuld des Angeklagten) darauf abzustellen, ob der
Angeklagte die Auslagen selbst veranlasst hat oder nicht (ähnlich wie bei §§ 5, 6
StrEG). Es ist also nicht auf die Beziehung zwischen Straftat und Täter, sondern zwischen Verfahren und Täter abzustellen (vgl. Rn. 140).
658 Gleiches gilt für die Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen. Hier
kann dem Angeklagten eine Entschädigung ganz oder teilweise versagt werden (§ 6
Abs. 1 Nr. 2 StrEG). Dafür werden ähnliche Erwägungen wie bei der Kostenentscheidung maßgeblich sein. Zu beachten ist, dass § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG nur dann
anzuwenden ist, wenn § 5 Abs. 2 StrEG nicht eingreift, also nur bei einem leicht fahrlässig begangenen Delikt (BGH 29, 168; OLG Düsseldorf MDR 1988, 887). Der
Richter hat die Gründe für die getroffene Entscheidung im Urteil darzulegen.
6. Einstellung und Freispruch
659 Ist der Sachverhalt in der Hauptverhandlung schon so weit geklärt, dass der Angeklagte freizusprechen wäre, wenn das Verfahrenshindernis nicht bestehen würde, so
ist das Verfahren nicht einzustellen, sondern der Angeklagte ist freizusprechen (BGH
44, 218; NStZ-RR 1996, 299). Das gilt aber nur, wenn das Gericht überhaupt in der
Sache entscheiden darf; der Freispruch kommt also vor allem dann in Betracht, wenn
die Tat nicht erwiesen ist oder der Angeklagte als Täter ausscheidet, gleichzeitig aber
auch wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses, wie fehlender Strafantrag, Verjährung oder Amnestie, eine Verurteilung ausscheiden müsste. Fehlt es aber an einer
unabdingbaren Voraussetzung dafür, dass das Gericht überhaupt in der Sache tätig
werden darf, wie z.B. bei fehlender Anklage oder fehlendem Eröffnungsbeschluss
oder mangelnder deutscher Gerichtsbarkeit, geht die Einstellung dem Freispruch
vor (BGH 46, 130 = JR 2001, 421 mit zust. Anm. Krack, der für solche Fälle vom
Fehlen des »unentbehrlichen prozessualen Mindeststandards« spricht; eingehend dazu Meyer-Goßner, FS Rieß, 2002, S. 336 ff.).
660 Das Gericht kann nicht gleichzeitig einstellen und freisprechen (vgl. Rn. 61 ff.).
Steht bei Tateinheit der Verurteilung wegen eines rechtlichen Gesichtspunkts ein (unbehebbares) Verfahrenshindernis entgegen und wäre wegen des anderen rechtlichen
Gesichtspunkts freizusprechen, so richtet sich die Entscheidung danach, welches der
rechtlich schwerer wiegende Vorwurf ist. Je nach dem ist einzustellen oder freizusprechen (BGH NJW 2005, 1287; Rn. 62). Treffen ein Vergehen und ein Verbrechen
tateinheitlich zusammen und liegt lediglich hinsichtlich des Vergehens ein (nicht behebbares) Verfahrenshindernis vor, während bezüglich des Verbrechens Freispruch
geboten ist, so hat der Freispruch von dem Vorwurf des Verbrechens und damit für
das Urteil insgesamt den Vorrang. Innerhalb der gleichen Deliktskategorie (z.B. bei
zwei tateinheitlich oder in Gesetzeskonkurrenz begangenen Vergehen) sind die unterschiedlichen Strafandrohungen das entscheidende Kriterium (OLG Frankfurt
216
IV. Einstellung
VRS 58, 259). Lautet die Anklage auf gefährliche Körperverletzung, nimmt das Gericht aber einfache Körperverletzung an, so darf, wenn der Strafantrag fehlt und auch
nicht mehr nachgeholt werden kann (und die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneint), nicht auf Einstellung, sondern es
muss auf Freispruch (von der gefährlichen Körperverletzung) erkannt werden. Das
gleiche gilt, wenn der Vorwurf einer vorsätzlichen Straftat nicht erwiesen, die Tat unter dem rechtlichen Gesichtspunkt fahrlässigen Handelns aber verjährt ist (BGH 36,
340), oder wenn die dem Angeklagten vorgeworfene Straftat nicht nachzuweisen,
hinsichtlich einer damit rechtlich zusammentreffenden Ordnungswidrigkeit aber
schon vor der gerichtlichen Anhängigkeit Verjährung eingetreten ist. Sind die Vorwürfe gleich schwer, so hat die Einstellung vor dem Freispruch den Vorrang (MeyerGoßner § 260 StPO Rn. 46).
Ist das Verfahrenshindernis noch behebbar oder kann der Richter nicht sicher fest- 661
stellen, dass es unbehebbar ist, so ist die Einstellung des Verfahrens auszusprechen,
auch wenn der schwerwiegendere, der Anklage zugrunde liegende Vorwurf nicht aufrechtzuerhalten ist (z.B. Vergewaltigung nach § 177 StGB nicht nachweisbar, bezüglich § 185 StGB fehlt der noch nachholbare Strafantrag). Ein Freispruch darf hier
nicht erfolgen, weil dadurch auch die Strafklage für das – wegen eines Verfahrenshindernisses zum Zeitpunkt des Urteils nicht verfolgbare – andere Delikt mit verbraucht
werden würde (vgl. Rn. 64). Das Einstellungsurteil hat aber bezüglich des vom Verfahrenshindernis nicht betroffenen rechtlichen Gesichtspunktes die Wirkungen eines
Sachurteils, auch wenn es nur in den Gründen ausspricht, dass dem Angeklagten dieser Tatbestand (im Beispielsfall die Vergewaltigung) nicht vorgeworfen werden kann
(BGH 18, 382; GA 1959, 18).
7. Abgekürztes Urteil
Ein abgekürztes Urteil ist vom Gesetz im Fall der Einstellung des Verfahrens nicht 662
vorgesehen. Auch wenn das Einstellungsurteil infolge Rechtsmittelverzichts oder
Nicht-Einlegung von Rechtsmitteln rechtskräftig ist, gelten daher die unter 1. aufgestellten Regeln für die Begründung. Das Gericht wird sich hier aber hinsichtlich der
Rechtsausführungen besonders kurz fassen können, da die Staatsanwaltschaft nur
dann auf Rechtsmittel gegen ein Einstellungsurteil verzichten wird, wenn das Fehlen
der Prozessvoraussetzung offensichtlich ist. Der Angeklagte kann kein Rechtsmittel
einlegen, da er durch die Einstellung in der Regel nicht beschwert ist (BGH 16, 374;
BayObLG JR 1955, 28).
8. Einstellung im Privatklageverfahren
Auch im Privatklageverfahren muss ein Einstellungsurteil nach § 260 Abs. 3 StPO 663
ergehen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. Daneben kennt das Privatklageverfahren aber einen hiervon verschiedenen weiteren Fall eines Einstellungsurteils: Ergibt sich im Privatklageverfahren nämlich ein hinreichender Tatverdacht dafür, dass
die festgestellten Tatsachen ein Offizialdelikt darstellen, so ist gem. § 389 Abs. 1
StPO die Einstellung des Verfahrens auszusprechen. Das Gesetz schreibt in § 389
Abs. 1 StPO vor, welche Begründung ein solches Urteil haben muss. Dazu gilt alles
oben (Rn. 270 ff.) Gesagte.
217
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
1. Das Berufungsurteil
a) Zulässigkeit der Berufung und der Berufungsbeschränkung
664 aa) Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels braucht sich das Urteil nur dann auszusprechen, wenn in dieser Hinsicht Zweifel aufgetreten sind. Ist das Rechtsmittel als
unzulässig verworfen worden (was in der Regel durch Beschluss des Amtsgerichts
nach § 319 StPO oder des Landgerichts nach § 322 StPO geschieht, aber auch noch
durch Urteil möglich ist), so wird in den Gründen nur ausgeführt, warum die Berufung als unzulässig angesehen wurde, z.B. weil sie zu spät oder nicht in der gehörigen
Form eingelegt worden ist; ein Eingehen auf die Sache selbst ist ausgeschlossen.
665 Wenn die Berufung nach § 313 StPO der Annahme durch das Berufungsgericht bedarf, ist hierüber nach § 322a StPO durch Beschluss zu entscheiden, der nur bei Ablehnung der Annahme begründet werden muss. Ist die Berufung angenommen worden, bestehen für das weitere Verfahren gegenüber anderen Berufungsverfahren keine
Besonderheiten mehr; auf die Annahme wird in den Gründen des Berufungsurteils
nicht mehr eingegangen.
666 bb) Wird die Berufung beschränkt, so hat das Berufungsgericht zunächst die Zulässigkeit der Beschränkung zu prüfen. Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden (§ 318 StPO), doch setzt die Rechtsprechung in weitgehender Übereinstimmung mit dem Schrifttum der Beschränkung Grenzen. Soweit die
Beschränkung unwirksam ist, unterliegt das angefochtene Urteil auch in demjenigen
Teil, auf den sich die Beschränkung nicht erstreckt, der Nachprüfung durch das Berufungsgericht.
667 Allgemein ist Voraussetzung, dass sich die Beschwerdepunkte von dem anderen Teil
des Urteils trennen lassen und einer selbständigen Prüfung und Beurteilung zugänglich sind, ohne dass auf die nicht angefochtenen Punkte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eingegangen werden muss (BGH 5, 252; 10, 100; 19, 46; 21, 256). Eine
Beschränkung ist daher unwirksam, wenn eine Beurteilung der angegriffenen Punkte
einer Entscheidung nicht möglich ist, ohne dass auch nicht angefochtene Teile dadurch beeinflusst werden, da sonst widersprüchliche Entscheidungen getroffen werden könnten. Ist dagegen eine erschöpfende Nachprüfung des angefochtenen Teils
möglich, ohne dass dabei die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Ausführungen zum nicht angefochtenen Teil berührt werden, so ist gegen die Zulässigkeit der Beschränkung nichts einzuwenden.
668 (1) Innerhalb des Schuldspruchs ist die Beschränkung bei Tateinheit (§ 52 StGB) auf
eine von mehreren Gesetzesverletzungen oder auf einzelne Tatbestandsmerkmale
unzulässig. Die Berufung kann jedoch auf eine von mehreren, in Tatmehrheit
(§ 53 StGB) stehenden Handlungen beschränkt werden. Streitig ist aber die Zulässigkeit der Rechtsmittelbeschränkung im Falle von mehreren Straftaten, die im Sinne
von § 53 StGB in Tatmehrheit stehen, gleichwohl aber eine einheitliche Tat im Sinne
von § 264 StPO bilden. Der BGH (19, 46) geht davon aus, dass der Begriff der Beschränkbarkeit des Rechtsmittels »ein solcher des praktischen Rechtsdenkens ist, der
an die Denkfolge anknüpft, die der Richter bei der Entscheidung des Falles zu beo218
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
bachten hat«. Danach ist Teilrechtskraft trotz Vorliegen einer Handlungsmehrheit im
Sinne des § 53 StGB dann ausgeschlossen, wenn die Beurteilung des angegriffenen
Teils der Entscheidung auch die nicht angegriffenen Teile beeinflussen kann, unter
Umständen also eine widersprüchliche Entscheidung ergehen müsste, die die Einheit
des Schuldspruchs in Frage stellt (vgl. auch BGH 21, 256; 23, 141; 23, 270; 24, 185).
Weil sich bei Verurteilung wegen einer Gesetzesverletzung im Straßenverkehr in 669
Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort der Sachhergang beim Unfall
in aller Regel nicht von der nachfolgenden unerlaubten Entfernung vom Unfallort
trennen lässt, ist trotz Vorliegens von Tatmehrheit von einem einheitlichen Lebensvorgang und damit von einer Tat im verfahrensrechtlichen Sinn (§ 264 StPO) auszugehen. Diese verfahrensrechtliche Verbindung steht für sich allein allerdings der Beschränkung auf das Unfallgeschehen oder das unerlaubte Entfernen vom Unfallort
nicht entgegen; denn die beiden Straftaten lassen sich zumeist rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilen, ohne dass dadurch der Grundsatz der Unteilbarkeit des
Schuldspruchs verletzt würde. Bei einer Trunkenheitsfahrt kann jedoch das Rechtsmittel nicht auf die Verurteilung wegen § 142 StGB in Tateinheit mit § 316 StGB beschränkt und die vor dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort liegende Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) ausgeklammert werden; denn bei einer
Verneinung des unerlaubten Entfernens vom Unfallort durch das Berufungsgericht
könnte der Unrechtsgehalt der gesamten Tat nicht mehr voll ausgeschöpft werden,
weil dann auch die Strafklage hinsichtlich der dem Unfall folgenden Trunkenheitsfahrt verbraucht wäre (BGH 25, 72; OLG Karlsruhe VRS 58, 140; vgl. auch Grünwald JR 1979, 302).
(2) Die Berufung kann grundsätzlich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt 670
werden (BGH 33, 59). Die alleinige Anfechtung des »Strafausspruchs« (statt des
Rechtsfolgenausspruchs) erfasst in aller Regel auch die angeordnete Maßregel der
Besserung und Sicherung; durch die »Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß«
wird also beispielsweise die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht rechtskräftig (OLG
Koblenz VRS 57, 107). In der Erklärung des Berufungsführers, er strebe die Annahme eines minder schweren Falls an, liegt nicht notwendig eine Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch (OLG Köln MDR 1980, 780).
Wird das Urteil nur im Rechtsfolgenausspruch angefochten, so ist der Schuldspruch 671
grundsätzlich rechtskräftig. Das bedeutet, dass das Gericht bei der Entscheidung
über das Rechtsmittel an die (tatsächlichen) Feststellungen des unteren Gerichts gebunden ist, diese also seiner Nachprüfung nicht mehr unterliegen. Gleichwohl ist das
Rechtsmittelgericht unter gewissen Voraussetzungen nicht gehindert, trotz formeller
Teilrechtskraft den Schuldspruch nachzuprüfen. Die Berufung kann nämlich dann
nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden, wenn die Schuldfeststellungen keine hinreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben. Sind
diese Feststellungen so dürftig, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht
einmal in groben Zügen erkennen lassen, ist die Beschränkung auf den Strafausspruch
unwirksam, da dann eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung fehlt und
ohne ergänzende Feststellungen zum Schuldspruch auch nicht geschaffen werden
kann. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Sachverhalt zur äußeren oder inneren Tatseite
nicht festgestellt ist, oder den knappen Feststellungen nicht entnommen werden
kann, ob der Angeklagte überhaupt ein Strafgesetz verletzt hat (OLG Köln VRS 73,
385), oder offen bleibt, ob Schuldunfähigkeit (BGH 46, 257) oder eine vorsätzliche
219
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
oder fahrlässige Verkehrsstraftat vorliegt (OLG Hamm NJW 1962, 1074; OLG
Karlsruhe MDR 1978, 691), oder wenn der Schuldspruch auf keinem gültigen Strafgesetz beruht (OLG Stuttgart NStZ-RR 2002, 47), oder wenn die im Urteil angegebenen Strafmilderungsgründe in Wahrheit das Verhalten des Angeklagten rechtfertigen, der Angeklagte also nicht rechtswidrig gehandelt hat, oder wenn das
Amtsgericht das Fehlen einer Prozessvoraussetzung oder das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses übersehen hat. In diesen Fällen hat das Berufungsgericht auch über
den Schuldspruch neu zu entscheiden, somit gegebenenfalls den Angeklagten freizusprechen oder das Verfahren einzustellen.
672 Die Beschränkung ist aber wirksam, wenn das Amtsgericht das geltende Recht nur
falsch angewendet hat (BGH NStZ 1996, 352 m.w.N.). Ergibt die wirksam auf den
Strafausspruch beschränkte Berufung, dass dem Angeklagten in Wahrheit ein Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- oder persönlicher Strafausschließungsgrund zusteht, wird etwa durch ein Sachverständigengutachten festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit infolge genossenen Alkohols schuldunfähig war (§ 20 StGB), so bleibt
die Beschränkung gleichwohl wirksam; die angebliche Schuldunfähigkeit ist dann in
einem Wiederaufnahmeverfahren nach § 359 Nr. 5 StPO geltend zu machen (BGH
44, 119, 121; a.A. OLG Köln NStZ 1984, 379; 1989, 24).
673 (3) Eine Beschränkung ist ferner sogar innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs
grundsätzlich noch möglich. Auch bei der Beschränkung der Berufung innerhalb des
Rechtsfolgenausspruchs gilt aber der Grundsatz, dass die Beschränkung nicht zulässig ist, vielmehr den gesamten Ausspruch erfasst, wenn die Nachprüfung des Beschwerdepunkts es notwendig macht, auch auf den übrigen Teil des Rechtsfolgenausspruchs überzugreifen.
674 So kann die Berufung im Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden auf die Höhe
des Tagessatzes (BGH 27, 70; 34, 90, 92) und auf die Zahl der Tagessätze (MeyerGoßner § 318 StPO Rn. 19). Die Beschränkung auf die Nichtanrechnung der Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 S. 2 StGB, sowie auf den Ausspruch von Nebenfolgen
wird als zulässig erachtet; allein auf das Fahrverbot kann die Anfechtung nach h.M.
nicht beschränkt werden (OLG Jena NZV 2006, 167 m.w.N.).
675 (4) In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob das Rechtsmittel auf die Frage der
Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden kann. Diese Möglichkeit wird
in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Dabei wird allerdings gefordert, dass
die Wirksamkeit der Beschränkung die Unabhängigkeit dieses Teils des Urteils von
solchen tatsächlichen Umständen und rechtlichen Erwägungen voraussetzt, die für
die Bemessung der Strafe maßgebend waren, und dass sich demnach Tatsachen und
Erwägungen zur Strafzumessung im engeren Sinne nicht mit solchen zur Strafaussetzung überschneiden dürften (OLG Hamburg NStZ-RR 2006, 18 m.w.N.). Danach
wird eine isolierte Anfechtung der Gewährung oder Versagung der Strafaussetzung
dann ausscheiden, wenn im konkreten Fall mögliche Auswirkungen auf die Strafzumessung im engeren Sinn von vornherein erkennbar sind. Das ist der Fall, wenn die
Strafzumessung im engeren Sinn auf einer fehlerhaften Würdigung der früheren
Straffälligkeit, Erwägungen über die Beweggründe des Angeklagten oder auf einer
wertenden Beurteilung seiner Persönlichkeit beruht. Auch im Verhältnis zur Sperre
für die Erteilung einer Fahrerlaubnis kann die Berufung nach diesen Grundsätzen auf
die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden (BGH NJW 2001,
3134).
220
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
(5) Die Berufung kann auf die Frage der Anordnung einer Maßregel der Besserung 676
und Sicherung beschränkt werden, z.B. auf die Verhängung eines Berufsverbots,
wenn sich die Nachprüfung vom übrigen Rechtsfolgenausspruch trennen lässt. Praktisch besonders bedeutsam ist das Problem, ob eine Beschränkung auf die Entziehung
der Fahrerlaubnis möglich ist. Das ist ausgeschlossen, wenn die der Strafzumessung
zugrunde liegenden Tatsachen zugleich auch eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung nach § 69 StGB bilden (BGH 10, 379; OLG Schleswig MDR 1977, 1039).
Das ist häufig der Fall und gilt jedenfalls immer dann, wenn die Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69a StGB auf einer charakterlichen Ungeeignetheit des Täters zum
Führen von Kraftfahrzeugen beruht, die sich aus seiner Person ergibt. Dann besteht
zwischen Strafe und Maßregel ein enger innerer Zusammenhang, weil beide in einem
solchen Grade aufeinander bezogen und voneinander abhängig sind, dass sie nicht
getrennt behandelt werden können (OLG Frankfurt NZV 1996, 414 m.w.N.).
(6) Nach wirksamer Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch dürfen 677
die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Schuldumfang zu den diesbezüglichen
Feststellungen des Amtsgerichts nicht im Widerspruch stehen, auch nicht wenn das
Berufungsgericht diese für unrichtig hält (OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 341; Düsseldorf NStZ-RR 2000, 307). Zu den Besonderheiten, wenn bei einem freisprechenden Urteil eine gleichzeitig verhängte Maßregel angefochten wird, vgl. BGH NStZ
1989, 84.
b) Inhalt des Berufungsurteils
Seinem Wesen nach ist das Berufungsurteil nur dadurch von dem Urteil des ersten 678
Rechtszuges verschieden, dass es nicht lediglich die Entscheidungen über die dem
Angeklagten zur Last gelegte Tat, sondern zugleich eine erneute Entscheidung über
die bereits vom Erstgericht geprüfte Tat enthält. Bei der Verwerfung der Berufung
würde eine bloß zustimmende Bezugnahme der Stellung des Berufungsgerichts nicht
entsprechen, da das Berufungsgericht seine Entscheidung auf Grund der vor ihm
durchgeführten Hauptverhandlung getroffen hat. Es genügt also nicht, wenn das Berufungsgericht etwa ausführt, die vom Amtsgericht angeordneten Rechtsfolgen seien
rechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat vielmehr – anders als das
Revisionsgericht – ohne Bindung an die Auffassung des Erstgerichts (unter Berücksichtigung des § 331 Abs. 1 StPO) diejenigen Rechtsfolgen auszusprechen, die es auf
Grund seiner eigenen rechtlichen und tatsächlichen Würdigung für richtig hält. Bei
Aufhebung des angefochtenen Urteils sollte das Berufungsgericht allerdings deutlich
machen, warum es zu einer anderen Entscheidung als das Amtsgericht gekommen ist
und bedeutsame Abweichungen von den Feststellungen des ersten Urteils hervorheben. Soweit das Berufungsurteil dabei den Spruch eines unteren Gerichts kritisieren
muss, sollte sich die Kritik, besonders in der Form, in maßvollen Grenzen halten;
auch ein tüchtiger Richter kann sich irren.
aa) Im Einzelnen gilt bezüglich der Feststellung des erwiesenen Sachverhalts, der 679
Angabe des Strafgesetzes und der sonstigen Erfordernisse des § 267 StPO dasselbe
wie für die Urteile des ersten Rechtszugs (§ 332 StPO). Besondere Erfordernisse stellt
die Strafprozessordnung nicht auf. Zum leichteren Verständnis ist aber zu Beginn der
Gründe anzugeben, wie im ersten Rechtszug erkannt worden ist und in welchem
Umfang der Angeklagte oder der Staatsanwalt das Urteil angefochten haben. Daran
schließt sich die Feststellung des Sachverhalts an, und zwar ist lediglich darzulegen,
221
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
was das Berufungsgericht für erwiesen hält, während eine Wiederholung der erstrichterlichen Feststellungen zwecklos ist. Überflüssig ist auch die Angabe, dass die Aussagen der Zeugen A. und B. verlesen, die Zeugen C. und D. neu vernommen seien,
ebenso überflüssig eine Wiedergabe des Inhalts der Berufungsrechtfertigungsschrift
(§ 317 StPO). Hat das Berufungsgericht von der Möglichkeit des § 325 StPO
Gebrauch gemacht, so darf es die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht anders beurteilen als das Erstgericht.
680 bb) Nicht selten wird in Berufungsurteilen auf die Feststellungen des ersten Urteils
dann Bezug genommen, wenn der Vorfall genau in derselben Weise für erwiesen
erachtet wird; es werden dann nur die rechtlichen Gesichtspunkte und die Gründe
erörtert, auf Grund deren dem Vorbringen des Angeklagten nicht geglaubt worden
ist. Das ist nicht zu beanstanden. Die Sache liegt hier insofern etwas verschieden von
den oben Rn. 247 besprochenen Fällen, als das Rechtsmittelgericht und der Angeklagte das erste Urteil zur Hand haben. Die doppelte Schreibarbeit kann also erspart
werden, ohne dass daraus für die Prozessbeteiligten Schwierigkeiten entstehen. Notwendige Voraussetzung ist aber, dass die Feststellungen des ersten und des zweiten
Rechtszuges genau übereinstimmen, oder dass die Abweichungen klar und bestimmt
angegeben werden, oder dass die Ergänzungen oder Abänderungen nur unwesentliche Punkte betreffen; die gesamten Feststellungen dürfen in keiner wesentlichen Einzelheit unsicher sein (BVerfG NJW 2004, 209; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 83). In
diesen Fällen muss aus den Urteilsgründen genau ersichtlich sein, in welchem Umfang das Berufungsgericht die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Vorinstanz für zutreffend erachtet und seiner eigenen Entscheidung zugrunde legt, oder
inwieweit darauf Bezug genommen wird (z.B. von Seite 3 erster Absatz bis einschließlich Seite 5 dritter Absatz). Die Gesamtdarstellung darf durch die Bezugnahme
in keinem Punkt unsicher, unklar oder gar in sich widerspruchsvoll werden. Ob und
inwieweit das Berufungsurteil das Ersturteil ergänzt oder von ihm abweicht, darf
nicht der Beurteilung des Lesers überlassen bleiben.
681 Der Ausspruch, die tatsächlichen Vorgänge hätten sich »in der Hauptsache«, »im Wesentlichen«, »in allen für die Entscheidung wesentlichen Punkten« so zugetragen, wie
sie das Amtsgericht festgestellt habe, oder die Feststellungen des angefochtenen Urteils seien aufrechtzuerhalten, »soweit im Folgenden nichts Abweichendes angegeben
ist«, ist also unzulässig. Von einer teilweisen Bezugnahme sollte daher abgesehen
werden. Eine weitgehende Bezugnahme auf die Gründe des ersten Urteils führt leicht
zu Widersprüchen und Unklarheiten und damit zur Aufhebung des Berufungsurteils
(vgl. OLG Oldenburg StV 1989, 55); deshalb ist zu empfehlen, mit Bezugnahmen
zurückhaltend zu sein. Das Berufungsgericht muss sich immer eine eigene Überzeugung von dem Sachverhalt bilden. Deswegen ist eine Bezugnahme auf die Feststellungen des Amtsgerichts ohne eigene Prüfung mit dem Hinweis, der Verteidiger habe
die Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht angegriffen, unzulässig. Nicht zulässig ist es daher auch, dass das Berufungsgericht nur die rechtliche Begründung des
Schuldspruchs des angefochtenen Urteils übernimmt, eigene Feststellungen tatsächlicher Art aber nicht trifft. Ebenso ist, falls das gesamte Urteil angefochten ist, die
Verweisung auf die Strafzumessungsgründe unzulässig (OLG München wistra 2006,
160); solche Erwägungen stellen einen Akt der Bewertung und Gewichtung oft sehr
zahlreicher und vielgestaltiger Umstände dar. Dieser Bewertungsvorgang – den
durchzuführen der Tatrichter selbständig, in eigener Verantwortung und auf der
Grundlage der jeweiligen Hauptverhandlung verpflichtet ist – kann in seinen Einzel222
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
heiten nicht von verschiedenen Gerichten in gleicher Weise vorgenommen werden.
Das gilt insbesondere, wenn das Berufungsgericht den Schuldspruch geändert hat
(OLG Köln MDR 1979, 865; OLG Düsseldorf NJW 1989, 2408).
cc) Ist die Berufung nur wegen des Strafmaßes eingelegt, so ist – unbeschadet der 682
eingangs genannten Ausnahmen hinsichtlich der Wirkung der Teilrechtskraft – die
Höhe der Strafe der einzige Gegenstand der Nachprüfung (§ 327 StPO) und folglich
der Begründung. Die Begründung darf sich aber nicht darin erschöpfen, dass auf die
Strafzumessungsgründe des ersten Richters verwiesen wird; das Strafmaß ist selbständig zu begründen. Da der Ausspruch des ersten Richters über die Schuldfrage
rechtskräftig geworden ist, wäre es nicht nur überflüssig, sondern falsch, Feststellungen zum äußeren und inneren Sachverhalt zu treffen. Es ist auch nicht erforderlich,
die rechtskräftigen Teile des erstinstanzlichen Urteils im Berufungsurteil wiederzugeben oder zu bezeichnen oder auch nur darauf Bezug zu nehmen (BGH NStZRR 2001, 202). Dabei ist es gleichgültig, ob die Berufung von vornherein oder erst im
Laufe der Verhandlung mit Zustimmung des Gegners (§ 303 StPO) auf den Strafausspruch beschränkt worden ist. Der Sachverhalt aus dem ersten Urteil wird nur soweit
mitgeteilt, dass die Sachlage dem Leser verständlich wird. Zum Beispiel:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu
10 EUR verurteilt. Es hat festgestellt, dass er den A., den Vermieter seiner Wohnung, auf der Postkarte vom 2. November 2013 einen üblen Halsabschneider und Blutsauger genannt hat. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt, soweit es das Strafmaß betrifft. Die Berufung ist
begründet. Der Angeklagte ist bisher noch nicht bestraft. Er hat die Karte im Zustand höchster Erregung und völliger Verzweiflung an dem Tag geschrieben, an dem A. ihm eröffnet hatte, der Mietzins für seine Wohnung erhöhe sich um 20%. Es ist daher eine Ermäßigung der Geldstrafe auf 20
Tagessätze gerechtfertigt. Die Höhe eines Tagessatzes ist zu Recht auf 10 EUR festgesetzt worden,
denn …
Das Berufungsgericht, das über eine auf den Strafausspruch beschränkte Berufung zu 683
entscheiden hat, darf bei der Feststellung der Strafzumessungstatsachen nicht von
den Feststellungen abweichen, die dem Schuldspruch des Erstrichters zugrunde liegen oder den Schuldumfang betreffen (BGH NJW 1982, 1295; vgl. Rn. 677). Es darf
also nicht durch neue Feststellungen zur Straffrage Art und Umfang des rechtskräftig
festgestellten strafrechtlichen Verschuldens wesentlich verändern. Nur in den durch
die Rechtskraft der Schuldfeststellungen gezogenen Grenzen kann das Gericht nach
den Umständen des Falles die Strafe ändern. Das Berufungsgericht kann daher z.B.
nicht bedingten Vorsatz statt unbedingten Vorsatzes (BGH 10, 71), bedingten Vorsatz
statt Fahrlässigkeit (OLG Hamm VRS 43, 275) oder absolute statt relative Fahruntüchtigkeit (OLG Saarbrücken NJW 1958, 1740) annehmen. Zur Straffrage kann das
Gericht jedoch Feststellungen treffen, die von den vom Erstrichter insofern getroffenen Feststellungen abweichen. Nicht zur Schuldfeststellung, sondern zur Straffrage
gehören einzelne Umstände, die, ohne Teil des gesetzlichen Tatbestandes zu sein,
zum Sachverhalt äußerlich hinzutreten, z.B. das Vorliegen eines besonders schweren
Falls nach § 243 Abs. 1 StGB (BayObLG NStZ-RR 2003, 209; OLG Karlsruhe
NStZ-RR 2004, 271; str.); auch bei einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung hat
das Berufungsgericht also unabhängig von der Wertung durch das Erstgericht zu beurteilen, ob ein besonders schwerer Fall des Diebstahls gegeben ist.
Hierbei ist allerdings die Bindungswirkung der »doppelrelevanten Tatsachen«, die 684
für den Schuld-, aber auch für den Strafausspruch von Bedeutung sind, zu beachten
223
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
(BGH 24, 274; 29, 359). Dazu gehören etwa bei der Untreue das Maß der Pflichtwidrigkeit und die Höhe des Schadens (BGH NStZ 1981, 448) oder bei einem Regelbeispiel (z.B. §§ 243 Abs. 1 S. 2 StGB, 29 Abs. 3 S. 2 BtMG) dessen tatsächliche Voraussetzungen (BGH NJW 1981, 589; OLG Frankfurt NJW 1980, 654). Auch die
Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 21 StGB gehört zur Straffrage, ist also
bei einer auf den Strafausspruch beschränkten Berufung vom Berufungsgericht nachzuprüfen (OLG Köln NStZ 1981, 63). Die Bindungswirkung besteht auch hinsichtlich solcher Tatsachen, von denen das Erstgericht nur nach dem Grundsatz »in dubio
pro reo« ausgegangen war (BGH NStZ 1988, 88).
685 dd) Für die Kostenentscheidung kommt es darauf an, ob das Rechtsmittel Erfolg
hatte oder nicht. War die Berufung ganz erfolglos, so genügt in den Gründen zur Begründung der Kostenentscheidung die Zitierung des § 473 Abs. 1 StPO. Hatte das
Rechtsmittel teilweisen Erfolg, so legt das Berufungsgericht dem Rechtsmittelführer
gleichwohl die Kosten seines Rechtsmittels auf, wenn der Erfolg minimal ist; in anderen Fällen ist eine Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO zu treffen und zu begründen. Hatte eine (von vornherein oder später) beschränkte Berufung Erfolg, so
gilt § 473 Abs. 3 StPO (vgl. dazu oben Rn. 160 ff.).
c) Freispruch, Verweisung und Verwerfung ohne Verhandlung zur Sache
686 Für freisprechende Urteile des zweiten gilt dasselbe wie für die des ersten Rechtszuges, nur dass ein kurzer Hinweis auf die Feststellung des ersten Urteils hinzutritt.
Zum Beispiel:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu
15 EUR verurteilt, weil er dem Ingenieur Böttcher aus Friesenheim am 3. November 2013 ein Radio
aus dessen Wohnung entwendet habe. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Berufung eingelegt.
Seine Berufung ist begründet. Denn aus dem glaubwürdigen Zeugnis der Frau Baum ergibt sich,
dass diese den Angeklagten gebeten hatte, ihr Radio von Böttcher, der es reparieren sollte, abzuholen und ihr zu bringen. Der Angeklagte hat dann, als er in Böttchers Wohnung niemanden antraf, irrigerweise ein anderes Radio mitgenommen und Frau Baum gebracht. Die Absicht einer rechtswidrigen
Zueignung liegt unter diesen Umständen nicht vor. Der Angeklagte ist daher freizusprechen.
687 Hatte das Erstgericht wegen eines Sachverhalts verurteilt, der nicht Gegenstand der
Anklage war und ist der in der Anklage enthaltene Vorwurf auch in der Berufung
nicht erwiesen, so ist unter Aufhebung des Ersturteils freizusprechen; daneben ist das
gerichtliche Verfahren, für das es an einer Anklage fehlte, einzustellen (BGH 46, 130.
135).
688 Wird das erste Urteil aufgehoben, weil das untere Gericht zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen hat (§ 328 Abs. 2 StPO), so muss die (tatsächliche) Feststellung
des angefochtenen Urteils kurz wiedergegeben werden, da nur so die Erörterung der
Unzuständigkeit verständlich wird. § 328 Abs. 2 schreibt zwar ausdrücklich vor, dass
zugleich mit der Verweisung das Urteil des ersten Rechtszuges aufzuheben ist; das
Urteil erster Instanz gilt aber durch die Verweisung auch dann als aufgehoben, wenn
das verweisende Gericht dies nicht ausdrücklich ausspricht (BGH 21, 245). Zum Inhalt eines Verweisungsurteils nach § 328 Abs. 2 (damals Abs. 3) StPO vgl. BayObLG
JR 1978, 474 mit Anm. Gollwitzer.
689 Bei Urteilen nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO (unentschuldigtes Ausbleiben des Angeklagten) müssen die Urteilsgründe das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Be224
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
stimmung nachweisen. Der Angeklagte muss ordnungsgemäß geladen sein, wobei
öffentliche Zustellung der Ladung nach § 40 Abs. 2, 3 StPO genügt; die Ladungsfrist
(§ 217 Abs. 1 StPO) braucht nicht eingehalten zu sein (BGH 24, 143; zur Verwerfung
nach Ablehnung eines Aussetzungsantrags vgl. BayObLG NStZ 1982, 172). Sind für
den Angeklagten Entschuldigungsgründe vorgebracht worden, so sind ihr Inhalt und
die Erwägungen, aus denen sie das Gericht für nicht genügend erachtet hat, in das
Urteil aufzunehmen (KG StV 1987, 11). Die bloße Ausfüllung eines nur die Worte
des Gesetzes wiedergebenden Vordrucks reicht dann ebenso wenig aus wie die Angabe, der Angeklagte habe keine Gründe vorgetragen, die eine Verlegung des Termins
rechtfertigen würden; die tatsächlich vorgetragenen Gründe müssen vielmehr dargelegt und gewürdigt werden. Entscheidend ist nicht, ob sich der Angeklagte genügend
entschuldigt hat, sondern ob er (objektiv) genügend entschuldigt war; Zweifel an der
genügenden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen (vgl.
OLG Hamm NStZ-RR 1997, 240).
2. Das Revisionsurteil
a) Entscheidung des Revisionsgerichts
Das Revisionsgericht entscheidet in der Regel nicht in der Sache selbst, sondern ver- 690
weist, wenn es die Revision für ganz oder teilweise begründet erachtet, zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts oder
eine andere Abteilung des Amtsgerichts oder an ein anderes Gericht desselben Landes zurück (§ 354 Abs. 2 StPO).58 Neuerdings liest man in oberlandesgerichtlichen
Entscheidungen bei Zurückverweisungen häufiger, das Rechtsmittel habe »zumindest vorläufig« Erfolg (und bei OLG Hamm VRS 101, 120 dann gleich noch einmal, der Rechtsfolgenausspruch könne »zumindest vorläufig« keinen Bestand haben). Das ist unrichtig: Das Rechtsmittel hat Erfolg, der Rechtsfolgenausspruch hat
keinen Bestand. Fraglich ist nur, ob die Rechtsfolge auch nach Durchführung der
neuen Verhandlung ebenso wie oder anders ausfällt als zuvor; mit dem Erfolg des
Rechtsmittels hat das aber nichts zu tun, sondern nur mit dem endgültigen Verfahrensergebnis.
Nur in Ausnahmefällen trifft das Revisionsgericht eine abschließende Entscheidung, 691
wenn es nämlich nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut
bestimmte Strafe erkennt oder in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet (§ 354 Abs. 1 StPO). § 354 Abs. 1a StPO ermöglicht es dem Revisionsgericht nunmehr, bei einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen
von der Aufhebung des Urteils abzusehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Sehr häufig wird in der Praxis allerdings der Schuldspruch berichtigt und
die Revision dann im Übrigen verworfen oder das Urteil lediglich im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben. In ähnlicher Weise kann das Revisionsgericht entsprechend
§ 354 Abs. 1 StPO auf Strafaussetzung zur Bewährung erkennen (BGH StV 1996,
265, 266) oder die Bewährung entfallen lassen (BGH NStZ 1985, 165), eine vom Tat-
58 Hat das untere Gericht keine andere Abteilung oder Strafkammer (z.B. nur eine Jugendkammer),
so muss eine andere Strafkammer unter Beachtung der Bestimmungen des GVG und der Geschäftsordnung des Gerichts gebildet werden, vgl. dazu OLG Oldenburg NStZ 1985, 473 mit
Anm. Rieß.
225
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
richter zu Unrecht nicht angerechnete Untersuchungshaft anrechnen, ein zu weit
gehendes Berufsverbot einschränken (BGH wistra 2003, 423) und auf Veröffentlichungsbefugnis erkennen. Dagegen kann das Revisionsgericht, wenn es ein freisprechendes Urteil aufhebt, in aller Regel einen Schuldspruch nicht selbst fällen, sondern
es muss vielmehr die Sache zurückverweisen.
692 Dass eine Revisionsentscheidung durch Urteil (§ 356 StPO) ergeht, ist die Ausnahme.
Über 90% aller Revisionsentscheidungen werden heute durch Beschluss nach § 349
StPO getroffen, wobei (selten) die Revision nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig
oder (sehr häufig) nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen bzw. gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO das angefochtene Urteil bei begründeter Revision aufgehoben
wird. Sehr oft werden in der Praxis Entscheidungen nach § 349 Abs. 2 und 4 StPO
kombiniert, also etwa die Revision, soweit sie den Schuldspruch betrifft, gemäß
Abs. 2 verworfen, soweit sie den Rechtsfolgenausspruch betrifft, wird das Urteil gemäß Abs. 4 aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die Entwicklung im Revisionsrecht ist über den Gesetzeswortlaut längst hinweggegangen: Es werden nicht nur
»offensichtlich« unbegründete Revisionen nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen, sondern schlechthin die unbegründeten Revisionen ohne Rücksicht darauf, in welchem
Umfange sie »offensichtlich« unbegründet sind. Die Revisionsgerichte verwenden
das Wort »offensichtlich« deswegen nicht mehr, sondern verwerfen die Revisionen
nur »gem. § 349 Abs. 2 StPO«. Dagegen ist nichts einzuwenden (BGH NJW 2001,
85); einen Anspruch darauf, dass das Wort »offensichtlich« in den Beschluss aufgenommen wird, hat der Angeklagte nicht, da die Fassung des Beschlusses im Ermessen
des Gerichts liegt (BGH NStZ 1994, 353). Auch bei einer Revision des Nebenklägers
und im Privatklageverfahren ist das Beschlussverfahren zulässig; jedoch entfallen im
letzteren Verfahren der Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO und die Anhörung nach
Abs. 3. Die Revision des Nebenklägers kann nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft
verworfen werden. Über Revisionen der Staatsanwaltschaft wird in der Regel durch
Urteil entschieden; es ist allerdings möglich und üblich, dann, wenn in einer Sache
sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Revision eingelegt haben, über
die Revision des Angeklagten durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 oder 4 StPO zu befinden.
693 Hat das Gericht des vorangehenden Rechtszuges sich mit Unrecht als zuständig
erachtet, so verweist das Revisionsgericht die Sache unter Aufhebung des Urteils an
das zuständige Gericht (§ 355 StPO). Dies gilt sowohl bei sachlicher als auch bei
funktioneller Unzuständigkeit und auch bei örtlicher Unzuständigkeit, soweit sie
vom Revisionsgericht noch zu beachten ist (§ 16 StPO; vgl. dazu oben Rn. 646).
b) Inhalt des Revisionsurteils
694 Die StPO gibt für die Revisionsurteile keine besonderen Vorschriften. Dass sie mit
Gründen versehen werden müssen, folgt aus § 356 StPO. Die Regeln des § 267 StPO
sind auf sie nicht anwendbar, da das Revisionsgericht nicht in die Lage kommen
kann, eine Feststellung tatsächlicher Art zu treffen.
695 Das Revisionsgericht muss die vom Tatrichter auf Grund der von ihm durchgeführten Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen hinnehmen und kann sie nicht durch
eigene Feststellungen ersetzen. Hat der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Geschehensablauf nicht gewinnen können, so kann das Revisionsgericht
dies nicht deshalb beanstanden, weil nach seiner Ansicht dieser Geschehensablauf mit
226
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt ist (BGH 10, 208). Es
ist auch kein Freibeweis darüber zulässig, dass ein Zeuge in der Hauptverhandlung
anders ausgesagt habe, als es im Urteil festgestellt ist (BGH 21, 149). So beschränkt
sich der Inhalt der Revisionsentscheidung in der Regel auf die Erörterung der Verfahrensrügen und/oder der Sachbeschwerde (vgl. § 352 StPO). Einer Wiederholung des
vom Tatrichter festgestellten Sachverhalts bedarf es an sich nicht. In geeigneten Fällen
– insbesondere, wenn durch Urteil entschieden wird – stellen die Revisionsgerichte
jedoch nach der Feststellung, wozu der Angeklagte verurteilt (bzw. dass er freigesprochen) worden ist, wer Revision eingelegt hat und welche Rügen erhoben worden
sind (Verletzung formellen und/oder materiellen Rechts), eine knappe Zusammenfassung des Sachverhalts an den Anfang der Entscheidung, um dem Leser das Verständnis der Entscheidung und ihrer Tragweite zu erleichtern; daran anschließend werden
dann die einzelnen Rügen erörtert.
Im Einzelnen:
aa) Wird die Revision als unzulässig verworfen, so braucht auf den Inhalt des ange- 696
fochtenen Urteils nicht eingegangen zu werden; es wird nur die Unzulässigkeit des
Rechtsmittels dargelegt.
Ist die Revision nicht rechtzeitig eingelegt oder nicht ordnungsgemäß begründet 697
worden, so ist sie auch dann als unzulässig zu verwerfen, wenn der Tatrichter ein
Verfahrenshindernis übersehen hatte (BGH 16, 115). Hingegen führt ein erst nach
Erlass des tatrichterlichen Urteils entstehendes Prozesshindernis auch dann zur Einstellung des Verfahrens, wenn die Revision nicht oder verspätet oder nicht in rechter
Form begründet worden ist (BGH 22, 213).
bb) Auch das Revisionsgericht hat die Zulässigkeit der Beschränkung des Rechts- 698
mittels auf Teile der Verurteilung zu prüfen. Insoweit gilt das oben Rn. 666 über die
Zulässigkeit der Beschränkung der Berufung Gesagte sinngemäß.
Das Revisionsgericht hat auch zu prüfen, ob die Beschränkung der Berufung wirk- 699
sam vorgenommen werden konnte. Ist z.B. die Strafkammer zu Unrecht von der
Wirksamkeit der Beschränkung des Rechtsmittels ausgegangen, so beruht das Urteil
des Berufungsgericht auf einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel.
Ein den gesamten Prozessstoff erschöpfend behandelndes Berufungsurteil liegt dann
nämlich nicht vor, so dass auch das Revisionsgericht zu einer abschließenden Beurteilung nicht in der Lage ist.
Ist ein Angeklagter unter irriger Annahme von Tatmehrheit teilweise freigespro- 700
chen worden, so tritt keine »Teilrechtskraft« ein, da es an einer trennbaren Tat fehlt;
eine Beschränkung auf den den Angeklagten beschwerenden Teil des Urteils ist daher
nicht wirksam (BGH NStZ 1984, 566).
cc) Bei einer Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO erfolgt in der Regel keine weitere 701
Begründung. Der BGH beschränkt sich im Allgemeinen auf den Satz, dass »die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat«. Warum dies so ist, kann der Angeklagte
aus der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nach § 349 Abs. 3 StPO entnehmen. Nur wenn der Senat die Begründung des Generalbundesanwalts nicht teilt, wird
vielfach ein kurzer Satz angefügt, aus dem sich die Erfolglosigkeit der erhobenen Rüge ergibt, z.B.:
227
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
Rechtlich nicht bedenkenfrei ist es, dass die Strafkammer zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten auch sein Aussageverhalten im Verfahren herangezogen hat. Dieser Fehler hat sich aber im
Ergebnis nicht ausgewirkt, weil die Strafkammer ihre Überzeugung, der Angeklagte sei der Täter gewesen, im Wesentlichen aus anderen Umständen herleitet; sie ist nämlich auf Grund der angeführten Zeugenaussagen von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt (vgl. BGH 34, 326).
702 dd) Wird das angefochtene Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben oder durch
Urteil entschieden, so wird im Allgemeinen einleitend etwas zum Verfahrensgang
ausgeführt, z.B.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von
2 Jahren verurteilt und diese zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
Dass das Rechtsmittel zulässig und frist- und formgerecht begründet worden ist,
wird nicht erwähnt.
Auf den einleitenden Satz folgt kurz die Wiedergabe des Sachverhalts, wobei durch
die Worte »nach den Feststellungen« zum Ausdruck gebracht wird, dass dieser Sachverhalt auf den Erkenntnissen des Tatrichters und nicht des Revisionsgerichts beruht;
z.B.
Nach den Feststellungen beabsichtigten die beiden Angeklagten Mitte Oktober 2012 einen Lkw der
Firma R. mit einer Zigarettenladung im Wert von 1 Million EUR zu überfallen, den Fahrer notfalls
mit Waffengewalt zu überwältigen und das Fahrzeug zu dem anderweitig verfolgten G. nach Mannheim zu verbringen. Sie fuhren zu diesem Zweck nach Hannover, wobei der Angeklagte P. eine Pistole mit sich führte. Die Angeklagten warteten eine Nacht lang vor dem Firmengelände der Firma R.
in Hannover und fuhren am frühen Morgen wieder nach Hause, nachdem kein Lkw die Firma verlassen hatte.
703 Auch das Revisionsgericht prüft von Amts wegen die Verfahrensvoraussetzungen,
erörtert diese aber nur, wenn insoweit in irgendeiner Hinsicht Bedenken bestehen
oder geltend gemacht worden sind. Bei der Prüfung der Sache beschränkt sich das
Revisionsgericht darauf, was im Einzelfall nach dem festgestellten Sachverhalt entschieden werden muss. Es nimmt zu Streitfragen also nur insoweit Stellung, wie es
nach dem Sachverhalt unerlässlich ist.
704 Das Revisionsgericht ist in der Reihenfolge der Behandlung der Beschwerden grundsätzlich frei. Es kann die Verfahrensrügen vor der Sachrüge oder umgekehrt prüfen.
Feste Regeln gibt es darüber nicht; es kommt immer auf den Einzelfall an. Führt eine
Verfahrens- oder Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, so wird nur diese behandelt
und gesagt, dass es deswegen einer Erörterung der weiteren Rügen nicht bedürfe.
Rechtfertigt der vom Tatrichter angenommene Sachverhalt die Verurteilung nicht und
sind weitere Feststellungen zu Ungunsten des Angeklagten nicht zu erwarten, so ist
dieser auf die Sachrüge vom Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 StPO freizusprechen,
auch wenn eine Verfahrensrüge durchgreifen würde; in diesem Falle kann die Verfahrensrüge auf sich beruhen (BGH 17, 253). Wird die Revision verworfen, so brauchen nicht sämtliche Rügen im Einzelnen erörtert zu werden; es werden nur die
erwähnenswerten Rügen näher behandelt. Das Revisionsgericht kann sich im Übrigen auf die Erklärung beschränken, dass die weiteren Rügen offensichtlich unbegründet sind.
228
V. Urteile der Rechtsmittelgerichte
Bei einer Verfahrensrüge wird etwa ausgeführt:
705
Die Strafkammer hält den die Tat bestreitenden Angeklagten, dem zur Last liegt, die von ihm gepachtete Gaststätte in der Absicht in Brand gesetzt zu haben, Ansprüche aus der Brandversicherung
gegen die Württembergische Versicherung geltend zu machen, u.a. deswegen für überführt, weil die
Türen der Gaststätte verschlossen waren und sich keinerlei Einbruchspuren finden ließen, so dass
ein Dritter als Täter ausscheide.
Der Angeklagte rügt die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO). Die Strafkammer
habe H.-D. F., der zur Hauptverhandlung geladen, jedoch ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen war, nicht als Zeugen vernommen. F. habe bei seiner polizeilichen Vernehmung erklärt,
dass er möglicherweise die »Bierluke« am Tatabend nicht geschlossen habe.
Mit diesem aus den Akten zu entnehmenden Sachverhalt hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Wenn aber die Luke offen gestanden haben sollte, so wäre es denkbar gewesen, dass ein
Dritter die Öffnung zum Einsteigen in das Gebäude genutzt hatte.
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer dann, wenn H.-D. F., als Zeuge in der
Hauptverhandlung das Offenstehenlassen der Luke bestätigt hätte, zu einer anderen Würdigung
hinsichtlich der Möglichkeit der Tatbegehung durch einen Dritten und damit zu einer anderen, dem
Angeklagten günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Die sachliche Rüge bedarf keiner Einzelausführung bei der Begründung durch den 706
Beschwerdeführer. Sie verpflichtet das Revisionsgericht stets, die sachlichen Voraussetzungen des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs auf Rechtsfehler nachzuprüfen.
Hier wird etwa ausgeführt:
Die Verurteilung wegen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist rechtsfehlerhaft, da der Angeklagte nicht Bestandteile »seines« Vermögens beiseite geschafft, sondern das Vermögen der GmbH
geschädigt hat. Insoweit kommt nur eine Verurteilung als Geschäftsführer der GmbH wegen Untreue in Betracht (BGH 28, 373; 30, 128).
Wird ein Urteil aufgehoben, so sind gemäß § 353 Abs. 2 StPO zugleich die zugrunde 707
liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird (vgl. Rn. 178). Es ist demnach möglich, die Feststellungen nur teilweise aufzuheben, soweit die mit Mängeln
behafteten Feststellungen abtrennbar sind. Die von der Gesetzesverletzung nicht betroffenen Feststellungen sollen möglichst aufrecht erhalten werden (BGH 14, 31). So
werden häufig die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten, wenn
die Zurückverweisung nur zur Prüfung der Frage erfolgt, ob der Angeklagte schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war.
ee) Wird ein Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, so gibt das Revisi- 708
onsgericht dem Tatrichter oftmals Hinweise für die neue Hauptverhandlung, um
neuen Rechtsfehlern vorzubeugen. Diese Hinweise haben allerdings keine Bindungswirkung nach § 358 Abs. 1 StPO. Es heißt dann etwa:
In der neuen Hauptverhandlung wird die Frage des Rücktritts nach § 31 StGB näher geprüft werden
müssen. Auch dann, wenn der Täter »sich nicht traut«, kann ein strafbefreiender Rücktritt gegeben
sein (vgl. BGH 7, 299). Oder:
Für die neue Hauptverhandlung könnte sich die Zuziehung eines Sachverständigen, der über besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der … verfügt, empfehlen.
ff) Wird das Urteil wegen eines sachlich-rechtlichen Fehlers oder wegen der fehler- 709
haften Beurteilung einer von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzung,
nicht jedoch wegen eines Verstoßes gegen sonstiges Verfahrensrecht, aufgehoben, so
ist die Entscheidung auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, ge229
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
mäß § 357 StPO zu erstrecken so, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten (Revisionserstreckung). Sind etwa zwei Angeklagte wegen gemeinschaftlich begangener
versuchter Erpressung verurteilt worden, hat aber nur einer Revision eingelegt und
ist das Revisionsgericht der Ansicht, es liege lediglich eine Nötigung vor, weil die
Angeklagten nur eine bestehende Forderung mit Gewalt durchsetzen wollten (vgl.
BGH NJW 1982, 2265), so wird die Änderung des Schuldspruchs auf den Nichtrevidenten erstreckt und der Strafausspruch bezüglich beider Angeklagter aufgehoben.
VI. Besonderheiten
1. Urteile in Jugendsachen
710 a) Handelt es sich um die Straftat eines Jugendlichen, d.h. einer Person, die zur Zeit
der Tat 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, oder um die Straftat eines Heranwachsenden, d.h. einer Person, die zur Zeit der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist
(§ 1 Abs. 2 JGG), so hat das Jugendgericht zunächst zu prüfen, ob der objektive und
– von der Reife des Jugendlichen (§ 3 JGG) und der Reife des Heranwachsenden
(§ 105 JGG) abgesehen – subjektive Tatbestand einer Straftat vorliegt. Dieser erste
Teil der Urteilsgründe ist entsprechend den oben unter II bis IV aufgestellten Regeln
abzufassen, ohne dass vorerst auf die Einsichts- und Willensfähigkeit des Täters eingegangen wird. Das Urteil beginnt also ebenso wie in Erwachsenenstrafsachen mit
der Darstellung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, ihr folgt die Darstellung des Tathergangs (Feststellung des Sachverhalts) und daran schließt sich die Einlassung des Angeklagten, die Beweiswürdigung und die Rechtsanwendung an. Es ist
demnach unzulässig, den Jugendlichen wegen mangelnder Verantwortung freizusprechen, ohne dass zuvor der objektive und subjektive Tatbestand der ihm zur Last gelegten Tat festgestellt worden ist (BGH 1, 342). Verneint das Gericht den objektiven
oder den subjektiven Tatbestand, so ist der Angeklagte schlechthin freizusprechen,
ohne dass sich die Urteilsgründe mit den weiteren, nachstehend behandelten Fragen
zu befassen brauchen.
711 b) Es ist sodann festzustellen, dass der Angeklagte zur Zeit der Tat Jugendlicher oder
Heranwachsender im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG war. Diese Feststellung kann in der
Regel mit einem Satz getroffen werden. Lässt sich nicht klären, ob der Angeklagte die
Straftat vor oder nach dem Zeitpunkt begangen hat, von dem ab er dem Erwachsenenstrafrecht untersteht, so ist das JGG anzuwenden.
712 c) Nunmehr ist bei Jugendlichen zu erörtern, ob die erforderliche Reife im Sinne des
§ 3 vorliegt, bei Heranwachsenden, ob die Voraussetzungen für die Anwendung
des Jugendstrafrechts (§ 105 JGG) gegeben sind, und zwar ist diese Prüfung von
Amts wegen auch dann geboten, wenn die Unreife in der Verhandlung nicht ausdrücklich behauptet worden ist.
713 Zur Verantwortlichkeit des Jugendlichen im Sinne des § 3 JGG gehören drei Voraussetzungen. Er muss nach seiner geistigen, verstandesmäßigen Entwicklung reif
genug sein, das Unrecht der Tat einzusehen, d.h. zu erkennen, dass seine Handlungsweise unrecht ist. Neben der Verstandesreife muss der Jugendliche ferner die erforderliche sittliche Reife besitzen, also einsehen, dass sein Handeln sittlich verwerflich
ist und von der Gemeinschaft abgelehnt wird. Schließlich muss zur Verstandesreife
230
VI. Besonderheiten
und zur sittlichen Reife noch die Handlungsfähigkeit treten; der Jugendliche muss
auf Grund seiner Einsichtsfähigkeit auch in der Lage sein, seinen Willen zum Handeln entsprechend seiner Einsicht zu bestimmen. Die Einsichts- und Handlungsfähigkeit darf nicht abstrakt oder theoretisch beurteilt werden, es muss vielmehr geprüft werden, ob der Jugendliche die Einsichts- und Handlungsfähigkeit hinsichtlich
der ihm zur Last gelegten Straftat besessen hat (BGH NStZ 2013, 286).
Daraus folgt, dass bei Tateinheit oder Tatmehrheit für jede Straftat zu würdigen ist, 714
ob der Jugendliche sein Verhalten als der Rechtsordnung und den Sittengesetzen widersprechend zu erkennen vermochte. Beim Zusammentreffen mehrerer Straftaten
kann also die Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen bei einem Teil der Straftaten gegeben, beim anderen Teil aber nicht vorhanden sein.
Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, der Jugendliche habe zur Zeit der Tat die Ein- 715
sichts- und Willensfähigkeit besessen, wobei es die persönlichen Verhältnisse des
Jugendlichen, seine Entwicklung, seine charakterliche Veranlagung usw. erörtern
muss, so ist dies in den Urteilsgründen festzustellen. Der Schuldspruch setzt die Feststellung voraus. Einer eingehenden Begründung dieser Feststellung bedarf es jedoch
im Falle der Bejahung der Einsichts- und Willensfähigkeit nicht. Es wird in diesen
Fällen im Allgemeinen genügen, nach einer kurzen Schilderung der persönlichen
Verhältnisse des Angeklagten festzustellen, das Gericht habe nach der Entwicklung
des Jugendlichen, auch nach seinem Auftreten in der Hauptverhandlung, der Art seiner Einlassung und Verteidigung, die Überzeugung gewonnen, dass er zur Zeit der
Tat das Unterscheidungsvermögen und die Handlungsfähigkeit besessen habe und
daher für seine Tat verantwortlich sei. Verneint das Gericht jedoch die Einsichtsoder die Handlungsfähigkeit, so muss es auf die Entwicklung des Jugendlichen und
deren Stand zur Zeit der Tat wie auf seine persönlichen Verhältnisse überhaupt näher
eingehen und darlegen, weshalb es an der einen oder anderen Fähigkeit fehlt. Der
Jugendliche ist nicht verantwortlich, sowohl wenn allein die Einsichtsfähigkeit als
auch wenn allein die Willensfähigkeit fehlt. Auch das Bestehen von Zweifeln muss
nach dem Grundsatz »in dubio pro reo« zur Verneinung der Verantwortlichkeit im
Sinne des § 3 JGG führen.
Bestehen keine entwicklungsbedingten, wohl aber pathologisch begründete Zweifel 716
an der Schuldfähigkeit des Jugendlichen, so kommt § 20 StGB zur Anwendung,
und der Angeklagte ist freizusprechen, ohne dass die Urteilsgründe auf die Jugendverantwortlichkeit nach § 3 JGG einzugehen brauchen; allerdings ist dann die Frage der Unterbringung des Jugendlichen in einem psychiatrischen Krankenhaus zu
erörtern (BGH 26, 67; kritisch dazu Eisenberg NJW 1986, 2409). Die Prüfung der
allgemeinen Schuldfähigkeit nach § 20 StGB braucht jedoch nicht in jedem Falle zu
erfolgen, sondern nur, wenn besondere Gründe dazu Veranlassung geben, aus denen auf eine krankhafte seelische Störung, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung,
auf Schwachsinn oder eine schwere andere seelische Abartigkeit geschlossen werden muss. Die Verantwortlichkeit des Jugendlichen nach § 3 JGG, die die normale
Entwicklung des Jugendlichen berücksichtigt, muss aber in jedem Falle geprüft
werden.
Danach muss bei Jugendlichen und Heranwachsenden zwischen ihrer Verstandesreife 717
und sittlichen Reife oder Unreife als entwicklungsbedingtem Zustand einerseits und
ihrer Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit als pathologisch bedingtem Zustand andererseits scharf unterschieden werden. Ein Heranwachsender kann
231
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
also bei Tatausführung wegen Schwachsinns vermindert schuldfähig gewesen sein,
gleichwohl kann aber seine geistige und sittliche Entwicklung abgeschlossen sein, so
dass Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist (BGH 22, 42; NJW 1959, 1500).
718 Wird bei dem Jugendlichen die Einsichts- oder die Handlungsfähigkeit verneint, so
kann nach durchgeführter Hauptverhandlung das Gericht mit Zustimmung der
Staatsanwaltschaft das Verfahren durch Beschluss einstellen (§ 47 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2
JGG). Die Einstellung wird mit dem erzieherischen Zweck zu begründen sein. Der
Beschluss ist nicht anfechtbar. Kommt die Einstellung nicht in Frage, etwa weil die
Staatsanwaltschaft nicht zustimmt, so ist der Angeklagte, weil er nicht schuldig ist,
freizusprechen. Gleichzeitig mit der Freisprechung kann der Richter vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen anordnen (§ 3 S. 2 JGG), die in der Urteilsformel im
Einzelnen zu bezeichnen sind, falls ihre Auswahl schon in der Hauptverhandlung
getroffen werden kann.
719 Für die Heranwachsenden gelten die Bestimmungen über die Verantwortlichkeit
und die relative Strafmündigkeit des Jugendlichen (§ 3 JGG) nicht. Der Heranwachsende ist daher regelmäßig strafmündig. Seine Verantwortlichkeit kann nur nach § 20
StGB aufgehoben oder gem. § 21 StGB vermindert sein. Dagegen hat das Gericht bei
Heranwachsenden allgemein zu prüfen und in den Gründen zu erörtern, ob der Angeklagte bei der Gesamtwürdigkeit seiner Persönlichkeit zur Zeit der Tat, nicht nach
dem Eindruck in der Hauptverhandlung, einem Jugendlichen gleichzustellen ist, oder
ob es sich bei der Tat nach ihrer Art, ihren Umständen oder ihren Beweggründen um
eine Jugendverfehlung handelt (§ 105 JGG). Beides bedingt eine umfassende Erörterung der Straftat in objektiver und in subjektiver Hinsicht und ein gründliches Eingehen auf die Persönlichkeit des Heranwachsenden (vgl. dazu Böhm NStZ 1984,
447). Dabei steht Jugend- und Erwachsenenstrafrecht aber nicht derart im Verhältnis
von Regel und Ausnahme, dass grundsätzlich Jugendstrafrecht anzuwenden wäre
(BGH 36, 37). Lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob der Heranwachsende zur
Zeit der Tat noch einem Jugendlichen gleichstand, so ist jedoch Jugendstrafrecht anzuwenden (BGH NStZ 2004, 294).
720 Die Entscheidung nach § 105 JGG betrifft nicht die Schuldfrage; § 105 JGG kann
daher nicht zu einer Freisprechung führen. Wird das Vorliegen einer Jugendverfehlung (zum Begriff BGH StV 2001, 181) bejaht, so braucht auf den Reifezustand des
Heranwachsenden nicht eingegangen zu werden, da das Vorliegen der Jugendverfehlung allein schon die Anwendung des Jugendstrafrechts zur Folge hat (§ 105 Abs. 1
Nr. 2 JGG). Das Gericht prüft also zweckmäßigerweise zunächst, ob die Tat eine
Jugendverfehlung darstellt, und nur im Falle der Verneinung den sittlichen Reifezustand des Täters (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG; vgl. auch Molketin DAR 1981, 237 und
Janiszewski NStZ 1988, 122 zu Verkehrsstraftaten Heranwachsender). Zu letzterem
ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit zu entscheiden, ob
eine verzögerte Entwicklung vorliegt, es sich also um einen noch in der Entwicklung befindlichen Menschen handelt (BGH NStZ 2013, 289; eingehend zu einem
heranwachsenden Gewalttäter BGH NJW 2002, 73). Jugendstrafrecht ist dann unanwendbar, wenn der Heranwachsende zwar noch einem Jugendlichen gleichsteht,
er seine Entwicklung aber bereits abgeschlossen hat (BGH NStZ-RR 2003, 186). Es
kommt auf die Reife im Ganzen an; der Bezug auf die konkrete Tat allein reicht
nicht aus. Ob eine Nachreife im Sinne eines echten Reifungsprozesses möglich erscheint und eintreten kann, ist eine Tatfrage, die das Gericht im Einzelfall grund232
VI. Besonderheiten
sätzlich mit Hilfe eines jugendpsychiatrischen Sachverständigen zu klären hat (BGH
22, 43; OLG Karlsruhe GA 1980, 151). Wird das Vorliegen einer der beiden Voraussetzungen des § 105 bejaht, so ist auf die Tat das Jugendstrafrecht anzuwenden, und
für den weiteren Inhalt der Urteilsgründe gelten die folgenden Ausführungen. Werden dagegen beide Voraussetzungen des § 105 JGG verneint, so genügt die Feststellung, dass demgemäß auf die Tat das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist (zur Milderungsmöglichkeit bei Heranwachsenden nach § 106 Abs. 1 JGG vgl. BGH NStZ
2005, 166).
Bei der Rauschtat eines Heranwachsenden ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die 721
Berauschung ein jugendliches Verhalten darstellt, ob das Trinken etwa auf Wetteifer,
Geltungstrieb oder Großtuerei beruht, wobei der Grund des Trinkens um so mehr
auf jugendliches Verhalten hindeutet, je weniger dadurch ein erwachsener Mensch
zum Trinken motiviert werden könnte (OLG Zweibrücken VRS 54, 116).
d) Wird die Reife bejaht und der Angeklagte für schuldig befunden, so ist in den Ur- 722
teilsgründen auszuführen, welche Umstände für seine Bestrafung, für die angeordneten Maßnahmen, für die Überlassung ihrer Auswahl und Anordnung an den Vormundschaftsrichter oder für das Absehen von Zuchtmitteln und Strafe bestimmend
waren; dabei soll namentlich die seelische, geistige und körperliche Eigenart des Angeklagten berücksichtigt werden (§ 54 JGG).
Auf Grund der Systematik der Maßnahmen des JGG ist zunächst zu prüfen und in 723
den Urteilsgründen darzulegen, ob Erziehungsmaßregeln (§ 9 JGG) die Ahndung
mit Jugendstrafe oder die Anordnung von Zuchtmitteln entbehrlich machen. Der
Umstand, dass das Gericht auf Zuchtmittel oder Jugendstrafe erkannt hat, genügt
allein zum Nachweis nicht, dass das Gericht die Frage geprüft hat, ob Erziehungsmaßregeln ausreichen. Das Gericht muss also, wenn es Erziehungsmaßregeln nicht
für ausreichend hält, in den Urteilsgründen ausdrücklich erörtern, weshalb dies nicht
der Fall ist. Die Frage, ob Erziehungsmaßregeln ausreichend sind, darf deshalb nicht
dahingestellt bleiben. Werden Erziehungsmaßregeln für ausreichend erachtet, so sind
weitere Ausführungen über die Zuchtmittel und die Jugendstrafe nicht erforderlich;
es bedarf nicht einmal einer Feststellung, dass Zuchtmittel und Jugendstrafe nicht
notwendig seien. In diesem Fall darf nämlich weder auf Jugendstrafe noch auf
Zuchtmittel erkannt werden. Die Erziehungsmaßregeln werden »angeordnet«, der
Ausdruck »verurteilen« ist zu vermeiden.
Zu der Frage, wann Erziehungsmaßregeln ausreichen, äußert sich das JGG nicht. 724
Regeln dafür lassen sich auch kaum aufstellen. Bei ihrer Anordnung wird die Straftat
als ein Beweisanzeichen dafür gewertet, dass der Jugendliche erziehungsbedürftig ist;
sein Verschulden spielt daher keine entscheidende Rolle. Das Gericht wird die Tatwurzeln in der Persönlichkeit des Täters aufzuspüren, die Stärke des Tatreizes, dem
er erlag, zu ermitteln und weiter zu erwägen haben, ob und mit welchem Erfolg er
nach seiner Veranlagung und nach seinem Alter überhaupt noch einer erzieherischen
Einwirkung durch die zur Wahl stehenden Maßregeln zugänglich ist. Das Gericht
wird seine Entscheidung auf Grund des Eindrucks von dem Jugendlichen in der
Hauptverhandlung, auf Grund der Berichte des Jugendamtes, der Anhörung der Erziehungsberechtigten, gegebenenfalls auch mit Hilfe eines Sachverständigen, zu treffen haben. Die Erwägungen des Gerichts sind in den Urteilsgründen eingehend darzulegen. Die Art der angeordneten Erziehungsmaßregeln (Weisungen oder Hilfe zur
233
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Erziehung) ist ebenfalls zu begründen; § 10 enthält einen umfangreichen – gleichwohl
nicht abschließenden – Katalog der möglichen Weisungen59.
725 e) Erst nachdem festgestellt ist, dass Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen, dass dem
Jugendlichen vielmehr angesichts seiner Persönlichkeit, seiner Entwicklung und nach
den Umständen der Tat nur durch Zuchtmittel zum Bewusstsein gebracht werden
kann, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen habe (§ 13 Abs. 1
JGG), ist die Anwendung der Zuchtmittel zu erörtern. Erscheinen Zuchtmittel als
ausreichend, so braucht auf die Jugendstrafe nicht weiter eingegangen zu werden;
außerdem dürfen neben Jugendstrafe in der Regel nur Weisungen und Auflagen erteilt oder die Erziehungsbeistandschaft angeordnet werden (§ 8 Abs. 2 S. 1 JGG).
Nach den im Jahre 2013 eingeführten § 8 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 16a JGG kann neben
Jugendstrafe ein sog. »Warnschussarrest« verhängt werden. Im Einzelfall kann es geboten sein (§ 8 Abs. 1 S. 1 JGG), neben Zuchtmitteln auch Erziehungsmaßregeln anzuordnen, wenn Zuchtmittel allein nicht ausreichen. Das Gericht muss sich in den
Urteilsgründen ausdrücklich mit der Frage befassen, ob Zuchtmittel ausreichend sind;
es kann diese Frage ebenso wenig dahingestellt sein lassen wie die Frage (oben d)), ob
Erziehungsmaßregeln ausreichen. Das Gericht muss also in den Gründen auch feststellen, dass Jugendstrafe weder durch die Größe der Tatschuld noch durch die Täterpersönlichkeit geboten ist.
726 Die Zuchtmittel haben zwar nicht die Rechtswirkungen einer Strafe (§ 13 Abs. 3
JGG). Gleichwohl sind sie strafbezogen. Sie sind stärker auf die Persönlichkeit des
Jugendlichen ausgerichtet und betonen mehr als eine Strafe den Erziehungsgedanken. Das Zuchtmittel ist die naturgemäß sich anbietende Rechtsfolge für die große
Breite der leichteren Kriminalität, die durch die Entwicklungszeit bedingt ist: für Taten aus jugendlichem Kraftüberschwang, aus Trotz oder aus typischen Jugendinteressen, für Augenblickstaten, auch für sexuelle Verirrungen aus Neugier, für Taten aus
jugendlicher Abenteuerlust, wegen ihres geringen Schuldgehalts auch für Fahrlässigkeitstaten. Vor allem ist der Jugendarrest das geeignete Zuchtmittel bei kleineren und
mittleren Verfehlungen gut gearteter oder undurchschaubarer Jugendlicher, die durch
eine kurze Haft, durch den Zwang der Selbstbesinnung darin und durch die damit
verbundene Betreuung noch erzieherisch beeinflusst werden können. Dagegen eignet
sich der Jugendarrest nicht zur Sühne von Straftaten schwer gefährdeter oder verwahrloster Jugendlicher.
727 Die Urteilsgründe haben sich auch damit zu befassen, weshalb gerade das ausgesprochene Zuchtmittel, bei Jugendarrest auch dessen Höhe, notwendig und angemessen
ist. Auch in diesem Zusammenhang wird die Persönlichkeit des Jugendlichen zu
würdigen sein.
728 f) Kann der Jugendliche weder durch Erziehungsmaßregeln noch durch Zuchtmittel
noch durch beide zusammen wieder auf den rechten Weg gebracht werden, so ist auf
Jugendstrafe zu erkennen. Dies ist der Fall, wenn wegen der schädlichen Neigungen
des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, oder wegen der Schwere der
Schuld des Täters (§ 17 Abs. 2 JGG) dieser einer längeren Erziehung durch die Jugendstrafe bedarf. Für die Frage, ob und in welcher Höhe Jugendstrafe verhängt
59 Zur Frage der Rechtmäßigkeit von Weisungen, sich des Umgangs mit Betäubungsmitteln zu enthalten und zum Nachweis der Drogenfreiheit für eine bestimmte Zeit Urinproben abzugeben,
äußert sich Hoferer in NStZ 1997, 172.
234
VI. Besonderheiten
werden soll, ist in erster Linie das Wohl des Jugendlichen maßgebend, wobei die charakterliche Haltung und das gesamte Persönlichkeitsbild des Täters von entscheidender Bedeutung sind, während der äußere Unrechtsgehalt der Tat demgegenüber keine
selbständige Bedeutung hat (ständige Rechtsprechung des BGH), d.h. vorrangig, jedoch nicht ausschließlich, ist der Erziehungsgedanke zu berücksichtigen (BGH
NStZ 2013, 287; 289). Die Grenze schuldangemessenen Strafens darf aber nicht aus
erzieherischen Gründen überschritten werden (BGH NStZ 1989, 389). Gesichtspunkte des Schutzes der Allgemeinheit haben demgegenüber zurückzutreten (BGH
15, 224; 16, 261). Der Strafzweck der Abschreckung anderer darf keine Rolle spielen,
wohl aber kann für die Höhe der Jugendstrafe die Schwere der Schuld eigenständige
Bedeutung haben (BGH MDR 1982, 339). Das Strafbedürfnis kann sich entweder aus
der Größe der Tatschuld, d.h. den seelischen Hintergründen der Tat, oder aus der
Täterpersönlichkeit ergeben.
Jugendstrafe ist z.B. geboten, wenn der Jugendliche schwer gefährdet, verdorben 729
oder vorbestraft ist, wenn die Tat nicht zur Konfliktkriminalität, sondern zur
schwersten Kriminalität zu rechnen ist, z.B. bei Tötungsdelikten (BGH NStZ 2002,
89). Gerade bei einer solchen Tat fällt das Sühnebedürfnis gegenüber dem Erziehungsgedanken stark ins Gewicht (BGH bei Holtz MDR 1978, 280). Die Tatsache
allein, dass eine Tat Verbrechen ist, rechtfertigt die Verurteilung zu Jugendstrafe noch
nicht. Bei schädlichen Neigungen des Jugendlichen wird es in aller Regel geboten
sein, mit Strafen einzuschreiten, weil das Zuchtmittel des Jugendarrests solche Neigungen meist nicht wirksam zu bekämpfen vermag. Schädliche Neigungen sind anlagebedingte oder durch unzulängliche Erziehung oder ungünstige Umwelteinflüsse
bedingte Mängel der Charakterbildung, die den Täter in seiner Entwicklung zu einem
brauchbaren Glied der sozialen Gemeinschaft gefährdet erscheinen und befürchten
lassen, dass er durch weitere Straftaten deren Ordnung stören werde (BGH 16, 262).
Die schädlichen Neigungen müssen auf die Tat Einfluss gehabt haben. Sie müssen
nicht unbedingt auf einer schon vor der Tat bestehenden Anlage beruhen; sie können
auch im Verlauf der zur Aburteilung stehenden Straftaten durch Verführung oder
Gewöhnung geweckt worden sein (BGH 11, 169). Wirken sie sich bereits in der ersten Straftat des Jugendlichen aus, dann ist regelmäßig nötig, dass Persönlichkeitsmängel festgestellt werden, die schon vor der Tat vorhanden waren und die auf die Tat
Einfluss genommen haben (BGH NStZ 2013, 287). Bei einem jugendlichen Ersttäter,
der der Beeinflussung oder Verführung durch andere erlegen ist, wird regelmäßig
nicht von schädlichen Neigungen gesprochen werden können (BGH bei Böhm NStZ
1981, 250).
Die Urteilsgründe müssen bei der Verurteilung zu Jugendstrafe erkennen lassen, 730
dass das Gericht diese Gesichtspunkte im Einzelnen abgewogen hat. Insbesondere
müssen sich die Gründe auch eingehend über die Höhe der erkannten Strafe aussprechen; auch hier steht der Erziehungszweck im Vordergrund, wobei eine lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens nicht genügt (BGH StV
2013, 38). Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts haben keine Gültigkeit,
sondern sind nur Anhaltspunkte (BGH NStZ 1984, 508). Das bedeutet aber nicht,
dass sie für die Bemessung der Jugendstrafe bedeutungslos wären. So ist zu erörtern, ob nach Erwachsenenstrafrecht ein »besonders schwerer« oder ein »minder
schwerer« Fall gegeben wäre; dass die Tat im Zustand erheblich verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen wurde, ist ebenso zu beachten, wie wenn nur
Versuch oder nur Beihilfe vorliegt usw. Der Richter kann und muss bei der Straf235
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
zumessung berücksichtigen, dass und aus welchen Gründen das Gesetz für den
Bereich des allgemeinen Strafrechts für die abzuurteilende Tat einen erhöhten Strafrahmen normiert hat. Der BGH (bei Holtz MDR 1980, 814) hat daraus den Schluss
gezogen, dass – anders als im Allgemeinen Strafrecht (§ 46 Abs. 3 StGB) – auch
Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sind, berücksichtigt
werden dürfen. Er führt dort weiter aus, dass der Richter – insbesondere bei einer
Mordtat – nicht gehindert sei, die Gesichtspunkte der Sühne der Schuld und der
Vergeltung für begangenes Unrecht bei der Bemessung der Jugendstrafe angemessen zu werten. Immer ist aber zu bedenken, dass die Strafzumessungserwägungen
des allgemeinen Strafrechts, und zwar sowohl die in § 46 StGB formulierten als
auch die bei den einzelnen Tatbeständen bestehenden »besonders schweren Fälle«
oder »minder schweren Fälle«, gegenüber der Vorschrift des § 18 Abs. 2 JGG, wonach die Jugendstrafe so zu bemessen ist, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist, zurücktreten müssen. Die Schwere der Schuld, die neben dem
Erziehungsgedanken berücksichtigt werden darf, kann eine Strafe im oberen Bereich des Strafrahmens des § 18 Abs. 1 S. 2 JGG bzw. sogar die Höchststrafe rechtfertigen (BGH NStZ 1996, 496). Verhängt das Gericht eine Jugendstrafe, die die
Höchststrafe des allgemeinen Strafrechts erreicht oder gar übersteigt, so müssen die
Gründe hierfür eingehend dargelegt werden (BGH bei Holtz MDR 1982, 104). Bei
Fahrlässigkeitstaten kann allein wegen der schweren Tatfolgen nicht auf die Schwere der Schuld i.S. des § 17 Abs. 2 JGG geschlossen werden (OLG Karlsruhe NStZ
1997, 241 mit zust. Anm. Böhm).
731 Wird die Verhängung der Jugendstrafe gemäß § 27 JGG ausgesetzt, so haben die
Urteilsgründe denselben Inhalt, wie wenn auf eine Jugendstrafe erkannt worden wäre. In den Strafzumessungsgründen ist aber auszuführen und zu begründen, in der
Straftat des Jugendlichen seien schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten, dass eine Jugendstrafe erforderlich sei, dass jedoch aus näher darzulegenden
Gründen eine abschließende Entscheidung über die Strafe noch nicht getroffen werden könne.
732 Wird die Vollstreckung der Jugendstrafe gemäß § 21 JGG zur Bewährung ausgesetzt, so ist insbesondere auszuführen, dass die Erwartung begründet ist, der Jugendliche werde in Zukunft nicht mehr straffällig werden. Dabei kommt es neben den
Umständen der Tat vor allem auf die Persönlichkeit, das Vorleben und die Lebensverhältnisse des Jugendlichen an. Auch muss sich das Gericht darüber aussprechen,
dass die Strafaussetzung zur Bewährung mit dem Zweck der Jugendstrafe zu vereinbaren ist. Auch wenn das Rechtsgefühl der Allgemeinheit Sühne durch Vollstreckung
der Jugendstrafe verlangt, muss der Jugendrichter prüfen, ob die Erziehung des Jugendlichen zu einem ordentlichen Lebenswandel besser durch die Strafvollstreckung
oder durch ihre Aussetzung erreicht wird (BGH 10, 233). Auch bei § 21 Abs. 2 JGG
ist der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke zu berücksichtigen; er
kann zu anderen Entscheidungen führen als bei Erwachsenen (BGH 24, 363; GA
1979, 190). So ist z.B. die »typisch jugendtümliche falsch verstandene Freundschaft
zum Mittäter« zu erwägen, oder »es sei aus Gründen einer günstigeren erzieherischen
Beeinflussung wesentlich besser, wenn der Angeklagte seine Schulausbildung fortsetzen und zu Ende bringen könne« (BGH bei Spiegel DAR 1981, 192; bei Böhm NStZ
1981, 251). Die Vollstreckung einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr, die 2 Jahre
nicht übersteigt, muss zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn nicht die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Täters geboten ist (BGH StV 1991, 423).
236
VI. Besonderheiten
In den Fällen der §§ 21, 27 JGG ordnet das Gericht – in einem besonderen Beschluss 733
– Bewährungsaufsicht an und unterstellt den Jugendlichen einem Bewährungshelfer
(§§ 24, 25, 29 JGG).
Die Ablehnung eines Antrags, die Verhängung einer Jugendstrafe oder die Vollstre- 734
ckung einer verhängten Jugendstrafe auszusetzen, ist im Urteil zu begründen. Wird
die Entscheidung über die Aussetzung einer nachträglichen Beschlussfassung vorbehalten, so ist auch diese Entschließung in den Urteilsgründen zu behandeln.
Bei Bildung einer Einheitsjugendstrafe nach § 31 Abs. 2 JGG muss in den Urteils- 735
gründen auch der Sachverhalt der den früheren (einbezogenen) Urteilen zugrunde
liegenden Straftaten dargestellt werden (BGH NStZ-RR 2013, 309); das wird oftmals
versäumt und führt dann zu Urteilsaufhebungen. Mit der Einbeziehung entfallen alle
früher angeordneten Rechtsfolgen; es ist also auch über die im früheren Urteil angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung neu zu entscheiden. Bei Bestimmung der neuen einheitlichen Jugendstrafe sind alle Straftaten zusammenfassend zu
würdigen (BGH 16, 337; bei Böhm NStZ 1983, 449); die Höhe der Einheitsjugendstrafe ist unabhängig vom Strafausspruch der einbezogenen Entscheidung zu
bestimmen (BGH 37, 34). Auch bei Verurteilung zu Jugendstrafe von 10 Jahren kann
von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung nach § 31 Abs. 3 S. 1 JGG abgesehen werden, wenn hierfür unter dem Gesichtspunkt des Erziehungszwecks Gründe
von ganz besonderem Gewicht vorliegen (BGH 36, 37 = NStZ 1989, 574 mit Anm.
Walter/Pieplow; BGH NStZ 1995, 595). Die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe
unter Einbeziehung eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils ist auch dann zulässig,
wenn das einzubeziehende Urteil nur wegen einer Straftat ergangen ist, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat (§ 105 Abs. 2 JGG; BGH 37, 34); Art und
Höhe der jugendrechtlichen Sanktion ist dann unabhängig von der bisher verhängten
Freiheitsstrafe zu bestimmen (BGH StV 1998, 345). Bei einer an sich nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat eines Heranwachsenden, der bereits wegen einer Erwachsenentat verurteilt worden ist, findet auf alle Taten das allgemeine Strafrecht
Anwendung, sofern das Schwergewicht nicht bei der nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat liegt (BGH 40, 1). Die Bildung einer Gesamtstrafe aus einer Jugendstrafe und einer Freiheitsstrafe ist hingegen bei getrennter Aburteilung unzulässig; die
sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebende Härte ist auszugleichen
(BGH 36, 270).
g) Als Maßregeln der Besserung und Sicherung können gegen einen Jugendlichen 736
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht, die Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die vorbehaltene und die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden (§ 7 JGG). Die
Anordnung dieser Maßregeln erfolgt im Urteil.
Die Frage, ob der Täter für die Allgemeinheit gefährlich und deshalb in einem psy- 737
chiatrischen Krankenhaus unterzubringen ist (§ 63 Abs. 1 StGB), bedarf bei Jugendlichen einer besonders sorgfältigen Prüfung (BGH NStZ 1991, 384), da sich diese für die Entwicklung des Jugendlichen besonders nachteilig auswirken kann. Es ist
genau zu erwägen, ob nicht andere Maßnahmen ausreichen. Die fehlende Reife des
Jugendlichen (§ 3 JGG) berechtigt allein noch nicht, die Unterbringung anzuordnen.
Die Möglichkeit der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist 738
insbesondere in Betäubungsmittelstrafsachen von Bedeutung. Nach § 64 StGB reicht
237
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
allerdings die Gefahr der Selbstgefährdung des Drogenabhängigen zur Unterbringung nicht aus. § 67 Abs. 2 S. 2 u. 3 StGB gilt auch bei Verhängung von Jugendstrafe
(BGH NStZ 2010, 93). Wenn die Unterbringung angeordnet wird, so wird von der
Ahndung durch Zuchtmittel abzusehen sein, bei Jugendstrafe kommt es auf den Einzelfall an (§ 5 Abs. 3 JGG; vgl. Brunner/Dölling § 7 Rn. 6). Stets ist eine entsprechende Prüfung des § 5 Abs. 3 JGG in den Urteilsgründen zu dokumentieren, da anderenfalls die Aufhebung des Urteils im Strafausspruch droht (BGH NStZ 2010, 93).
738a In Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann das Gericht – allerdings
unter strengeren Voraussetzungen als im Erwachsenenstrafrecht – die Anordnung der
Sicherungsverwahrung vorbehalten oder diese später nachträglich anordnen, §§ 7
Abs. 2–5, 106 Abs. 3–7 JGG. Sicherungsverwahrung entsprechend § 66 StGB kann
nicht verhängt werden.
739 Die Anordnung von Führungsaufsicht (§ 68 Abs. 1 StGB) wird gegen Jugendliche
und Heranwachsende nur selten in Betracht kommen.
740 Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist nicht nur bei Verhängung von Jugendstrafe,
sondern auch schon neben Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln zulässig; § 69
Abs. 2 StGB gilt auch bei Verurteilung nach Jugendstrafrecht (Janiszewski NStZ
1985, 112). Umstritten ist, ob der Jugendrichter dem Jugendlichen gem. § 10 JGG die
Weisung erteilen darf, ein Kraftfahrzeug nicht zu führen. Das wird zu verneinen sein,
wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden kann. Steht die Straftat
des Jugendlichen hingegen nicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges, so kann eine solche Weisung erteilt werden, wenn durch den Gebrauch des
Verkehrsmittels die Lebensführung des Jugendlichen ungünstig beeinflusst wird (vgl.
OLG Düsseldorf NJW 1968, 2156 mit Anm. van Els). Verkehrsordnungswidrigkeiten Jugendlicher können nur mit Geldbuße geahndet werden; die Verhängung von
Zuchtmitteln oder selbständigen Weisungen ist unzulässig (OLG Köln VRS 60, 454).
740a Maßregeln eines früheren Urteils können nicht i.S.d. § 55 StGB aufrechterhalten
werden, wenn ein früheres Urteil gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 JGG einbezogen wird. Damit entfallen nämlich die in dem einbezogenen Urteil verhängten Rechtsfolgen, die
Anordnung der Maßregel ist neu zu prüfen und gegebenenfalls neu festzusetzen
(BGH StraFo 2011, 240).
741 h) Neben Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe kann der Richter
auch auf die Nebenstrafen und Nebenfolgen erkennen, die nach dem JGG zulässig
sind. So darf gegenüber Jugendlichen § 45 StGB nicht angewendet werden (§ 6 JGG);
bei Heranwachsenden kann der Richter selbst bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht aussprechen, dass der Verlust der in § 45 Abs. 1 StGB bezeichneten Rechte
nicht eintritt (§ 106 Abs. 2 JGG). Zulässig sind aber die Anordnung des Verfalls
(§§ 73 ff. StGB; BGH 55, 174), der Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 74 ff.
StGB) und des Fahrverbots (§ 44 StGB).60
742 i) Im Gegensatz zum Strafverfahren gegen Erwachsene, in dem grundsätzlich Untersuchungshaft auf zeitige Freiheits- und auf Geldstrafe anzurechnen ist (§ 51 StGB),
so dass es eines Ausspruchs hierüber in der Formel nicht bedarf (BGH 41, 315: auch
nicht bei Einbeziehung eines früheren Urteils nach § 31 Abs. 2 JGG), hat der Jugend60 Zur Zulässigkeit der Nebenklage vgl. § 80 Abs. 3 JGG.
238
VI. Besonderheiten
richter im Urteil auszusprechen, ob und inwieweit der Jugendarrest mit Rücksicht
auf Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung nicht vollstreckt wird
(§ 52 JGG). Auf Jugendstrafe wird Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung grundsätzlich angerechnet. Im Gegensatz zu § 51 StGB kann der Jugendrichter aber die Nichtanrechnung anordnen, wenn dies im Hinblick auf das Verhalten des
Angeklagten nach der Tat oder aus erzieherischen Gründen gerechtfertigt ist; letzteres ist namentlich der Fall, wenn bei Anrechnung der Freiheitsentziehung die noch
erforderliche erzieherische Einwirkung nicht gewährleistet wäre (§ 52a Abs. 1 JGG;
vgl. dazu BGH 37, 75 mit Anm. Walter/Pieplow NStZ 1991, 332).
j) Allgemein ist über den Inhalt der Urteilsgründe in Strafsachen gegen Jugendliche 743
noch zu sagen:
Da die Persönlichkeit des Jugendlichen im Mittelpunkt der staatsanwaltschaftlichen
(vgl. §§ 45, 76 ff. JGG) und richterlichen Erwägungen steht, erweitert bei einem
Schuldspruch § 54 die Anforderungen an die Urteilsgründe (BGH NStZ 2013, 291);
er gilt entsprechend für Heranwachsende, auf die der Richter Jugendstrafrecht anwendet (§ 109 Abs. 2 JGG).
Die Gründe müssen ebenso wie in Erwachsenenstrafsachen (§ 267 Abs. 3 StPO) 744
ausführen, welche Umstände für die Bestrafung des Jugendlichen, für die angeordneten Maßnahmen, für die Überlassung ihrer Auswahl und Anordnung an den Vormundschaftsrichter oder für das Absehen von Zuchtmitteln und Strafe bestimmend
waren. Dabei soll namentlich die seelische, geistige und körperliche Eigenart des Angeklagten berücksichtigt werden. Diesen Erfordernissen genügt eine bloße Wiedergabe des Lebenslaufs nicht. Dies gilt besonders für Urteile, die Jugendstrafe verhängen.
Die Lebensverhältnisse des Jugendlichen müssen vielmehr kritisch-wertend behandelt werden. Dabei darf das Gericht allerdings nicht in den Fehler verfallen, für die
Strafzumessung nur erzieherische Gesichtspunkte und Zweckmäßigkeitserwägungen
maßgeblich sein zu lassen und nur die Umstände anzuführen, die auf eine geringe
Schuld des Angeklagten hindeuten. Die Strafzumessungsgründe müssen sich vielmehr auch mit dem Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Bedeutung für die Rechtsordnung auseinandersetzen und die positiven und negativen Elemente abwägen. Urteile
in Jugendsachen wie in Strafsachen gegen Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht
angewendet wird, bedürfen also eingehender tatsächlicher Ausführungen, während
die rechtliche Würdigung im Allgemeinen in knapper Form gehalten werden kann.
Die Abfassung der Urteilsgründe setzt besondere Erfahrung, aber auch besondere 745
Sorgfalt voraus, nicht nur wegen der erzieherischen Wirkung auf den Angeklagten,
sondern vor allem deshalb, weil sie eine wertvolle Grundlage für die Erziehungsarbeit
im Vollzug und für etwaige spätere Maßnahmen sind.
k) Bei Jugendlichen ist ein abgekürztes Urteil nach § 267 Abs. 4 StPO nur be- 746
schränkt zulässig; denn die Erwägungen, von denen sich das Gericht bei der Auswahl
der Strafe oder der Anordnung der Erziehungsmaßregeln hat leiten lassen, sind von
großem Wert für die richtige Durchführung der angeordneten Maßregeln. Nach
BVerfG NJW 2004, 209 verstößt es sogar gegen das Willkürverbot, wenn in einem
landgerichtlichen Berufungsurteil, welches nach dem JGG nicht mehr angefochten
werden kann, unter Hinweis auf § 267 Abs. 4 StPO pauschal auf die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts Bezug genommen wird, ohne den Umfang der
Bezugnahme zweifelsfrei zu dokumentieren. Ein abgekürztes Urteil muss daher auf
239
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
jeden Fall den zwingenden Erfordernissen des § 54 JGG Rechnung tragen. Dagegen
ist ein abgekürztes Urteil nach § 267 Abs. 5 S. 2 und 3 StPO bei einem Freispruch
auch im jugendgerichtlichen Verfahren zulässig.
747 l) Nach § 54 Abs. 2 JGG werden die – mündlichen oder schriftlichen – Urteilsgründe dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu
befürchten sind. Die mündliche Eröffnung der Urteilsgründe ist dem Wesen und dem
Verständnis des Jugendlichen anzupassen. Beantragt der Jugendliche die Erteilung
einer vollständigen Urteilsabschrift gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 StPO oder muss das vollständige Urteil dem Angeklagten, weil er Berufung eingelegt hat oder weil es in seiner
Abwesenheit ergangen ist, zugestellt werden, so kann der Vorsitzende des Gerichts
anordnen, dass dem Angeklagten nur derjenige Teil der Urteilsgründe mitzuteilen ist,
der keinerlei nachteiligen erzieherischen Einfluss auf ihn befürchten lässt.
2. Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe
748 Wie oben (Rn. 155) dargelegt ist in Befolgung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 86, 288) bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe bereits im Urteil zu entscheiden, ob die Schuld des Angeklagten im Sinne des § 57a
Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB besonders schwer wiegt. Am Ende der Urteilsgründe, nachdem festgestellt worden ist, dass gegen den Angeklagten auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt werden musste, ist demnach stets auszuführen, warum das Gericht die
besondere Schuldschwere bejaht hat oder warum es diese nicht als gegeben ansieht.
Die Feststellung der besonderen Schuldschwere verlangt Umstände von Gewicht;
dabei ist eine Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit vorzunehmen
(BGH 40, 360). Ist auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt worden,
so spricht ein enger zeitlicher, örtlicher und situativer Zusammenhang der einzelnen
Straftaten bei der nach § 57b StGB vorzunehmenden Gesamtwürdigung in der Regel
gegen die Annahme einer besonders schweren Schuld (BGH 39, 121). Sämtliche Gesichtspunkte, die für oder gegen eine Schuldsteigerung sprechen, sind gegeneinander
abzuwägen (Stree NStZ 1992, 464). Besondere Schuldschwere kann z.B. anzunehmen
sein, wenn der Täter mehrere Mordmerkmale verwirklicht oder durch eine Handlung
mehrere Menschen ermordet hat oder sich die Tatausführung durch besonders verwerfliche Umstände auszeichnet (BGH 39, 125). Das Gericht darf im Urteil keine
Mindestvollstreckungsdauer festlegen, denn hierfür ist nach §§ 462a, 454 StPO ausschließlich die Strafvollstreckungskammer zuständig (BGH StraFo 2003, 208).
3. Sicherungsverfahren
749 Im Sicherungsverfahren (§§ 413 bis 416 StPO), das gem. § 71 StGB bei Schuldunfähigkeit61 oder Verhandlungsunfähigkeit eines Schuldfähigen zwecks Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, zur Entziehung der Fahrerlaubnis oder zur Anordnung eines Berufsverbots durchgeführt werden kann62, müssen die Urteilsgründe – mit den sich aus der Sache ergebenden Ein61 Das Sicherungsverfahren ist auch gegen einen erheblich vermindert schuldfähigen Täter zulässig,
wenn seine Schuldunfähigkeit nicht ausgeschlossen und daher ein Strafverfahren gegen ihn nicht
eingeleitet werden kann (BGH 22, 1, im Anschluss an BGH 18, 167).
62 Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann im Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft noch im Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens
gestellt werden (BGH NJW 2001, 3560).
240
VI. Besonderheiten
schränkungen – den Bestimmungen des § 267 StPO entsprechen. Infolgedessen gilt
für sie grundsätzlich das oben unter II. bis IV. Gesagte entsprechend.
Im Urteil wird die Maßregel angeordnet (nicht der Beschuldigte »verurteilt«). Die 750
Urteilsgründe haben dabei den Anforderungen eines verurteilenden Erkenntnisses
(oben Rn. 553) zu entsprechen und zu erläutern, dass eine Verurteilung zu Strafe wegen Schuld- oder Verhandlungsunfähigkeit nicht erfolgen konnte.
Bei ablehnenden Erkenntnissen wird der Beschuldigte nicht freigesprochen, das Ver- 751
fahren auch nicht eingestellt, sondern der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Maßregel abgelehnt. Dabei müssen die Gründe erkennen lassen, ob der Beschuldigte für nicht überführt erachtet worden ist, die ihm zur Last gelegte Tat
begangen zu haben oder ob ihm ein Rechtfertigungsgrund, ein anderer Schuldausschließungsgrund als Schuldunfähigkeit oder ein Strafaufhebungsgrund zur Seite
steht (BGH 13, 94), ob eine Prozessvoraussetzung fehlt (BGH 31, 132) oder ob die
Voraussetzungen für die Anordnung der beantragten Maßregeln als nicht gegeben
angesehen wurden.
Stellt sich in der Hauptverhandlung die Schuld- bzw. Verhandlungsfähigkeit des 752
Beschuldigten heraus, so leitet das Gericht, wenn es auch für das Strafverfahren zuständig ist, in dieses über, anderenfalls verweist es die Sache entsprechend § 270 StPO
an das zuständige Gericht (§ 416 StPO). Ergibt sich umgekehrt im Strafverfahren die
Schuldunfähigkeit des Angeklagten, ist er freizusprechen und die erforderlichen
Maßregeln sind anzuordnen. Wird der Beschuldigte dort dauernd verhandlungsunfähig, muss das Strafverfahren eingestellt werden; ein Übergang ins Sicherungsverfahren ist nicht zulässig (BGH 46, 345; NStZ 2010, 228).
4. Vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung
Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung, § 66a StGB, ist 2002 eingeführt und neu- 752a
gefasst worden durch Gesetz vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300. Ihre Anordnung ist –
unter strengeren Voraussetzungen – auch gegen Jugendliche und Heranwachsende
möglich (§§ 7 Abs. 2, 106 Abs. 3 JGG). Sie kann nur wegen einer Katalogtat nach
§ 66 Abs. 3 S. 1 StGB und nur zusammen mit der Aburteilung der Anlasstat angeordnet werden. Auch die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen des
§ 66 Abs. 3 StGB müssen erfüllt sein. In den Urteilsgründen muss der Tatrichter einen Hang mit Sicherheit feststellen (BGH 50, 188), während die von § 66 Abs. 1 S. 1
Nr. 4 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeit noch ungewiss ist (ansonsten wäre § 66
StGB vorrangig, BGH StV 2006, 63); es muss aber eine erhebliche, nahe liegende
Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist
und dies auch zum Zeitpunkt einer möglichen Entlassung aus dem Strafvollzug sein
wird.
Über die nachträgliche Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung 752b
entscheidet das Gericht des 1. Rechtszuges vor vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Maßgabe des § 275 a Abs. 2–4 StPO (möglichst sechs Monate vorher)
von Amts wegen durch Urteil, wobei ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist (nach
§ 74f Abs. 1 GVG dieselbe Strafkammer, die den Vorbehalt angeordnet hat). An Feststellungen des ersten Urteils – soweit diese nicht die Frage der Gefährlichkeit betreffen – ist das Gericht gebunden. Im Urteil ist darzulegen, dass von dem Verurteilten
erhebliche Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer ge241
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
schädigt werden, zu erwarten sind (BGH NStZ 2007, 267). Anknüpfungstatsache ist
vor allem die Entwicklung während des Strafvollzugs, z.B. weitere Straftaten, Drohungen, aggressives oder gewalttätiges Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten
oder Mitgefangenen. Dazu sind entsprechende Tatsachen festzustellen, bloße Mutmaßungen genügen nicht. Die Urteilsgründe müssen klar, geschlossen und aus sich
heraus verständlich sein. Eine Bezugnahme auf das Ausgangsurteil ist zulässig. Stets
ist darzulegen, ob und inwieweit im Ausgangsurteil Ausführungen zur vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung enthalten sind (BGH 50, 121).
752c Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, § 66b StGB, ist 2004
mit wesentlich weiterem Anwendungsbereich eingeführt und durch Gesetz vom
22.12.2010 (BGBl. I S. 2300) stark eingeschränkt worden. Sie kommt nur noch nach
sog. »Fehleinweisungen« in Betracht, d.h. nachdem eine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) – weil der »Zustand«, auf dem die Unterbringung beruhte, nicht oder nicht mehr gegeben ist – von der Strafvollstreckungskammer nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt erklärt worden ist. War der Betroffene
unter den Voraussetzungen des § 66b S. 1 Nr. 1 StGB untergebracht und wird er mit
hoher Wahrscheinlichkeit schwere Straftaten i.S.d. § 66b S. 1 Nr. 2 StGB begehen, hat
die Staatsanwaltschaft unverzüglich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bei dem Gericht des 1. Rechtszugs zu beantragen. Dieses entscheidet
nach Einholung zweier Sachverständigengutachten durch Urteil (§ 275 Abs. 4
S. StPO; BGH 50, 180). Zwischenzeitlich kann es einen Unterbringungsbefehl erlassen (§ 275 Abs. 6 S. 1 StPO). Die nachträgliche Sicherungsverwahrung kann auch –
unter strengeren Voraussetzungen – gegen Jugendliche und Heranwachsende angeordnet werden (§§ 7Abs. 4, 106 Abs. 7 JGG).
5. Das beschleunigte Verfahren
752d Das beschleunigte Verfahren (§§ 417– 420 StPO) weist gegenüber dem Normalverfahren einige Vereinfachungen bei Anklageerhebung und bei Ladung des Beschuldigten
sowie Erleichterungen in der Hauptverhandlung auf (vgl. Meyer-Goßner vor § 417
StPO Rn. 2), die jedoch keinen Einfluss auf die Urteilsabfassung haben.
6. Die Einziehung
753 Die Einziehungsurteile (§§ 74 ff., 92b, 101a, 109k, 132a Abs. 4, 150 Abs. 2, 201
Abs. 5, 219b Abs. 3, 264 Abs. 6, 282 Abs. 2, 286 Abs. 2, 295, 322, 330c StGB; § 33
Abs. 2 BtMG; § 54 Abs. 1, 2 WaffG; §§ 430 ff. StPO) stehen ihrer Natur nach den
verurteilenden und, falls die Einziehung aus strafrechtlichen Gründen abgelehnt
wird, den freisprechenden Erkenntnissen gleich und bedürfen ebenso einer Sachdarstellung wie diese; § 267 StPO ist also auf sie anwendbar. Meist liegen die Fälle so
einfach, dass die Begründung kurz sein kann. Die Begründung, dieser oder jener
Gegenstand »ist« oder »war« einzuziehen, genügt aber in den Fällen, in denen die
Einziehung im Ermessen des Gerichts steht, nicht; sie lässt nicht erkennen, dass sich
der Richter des Ermessenscharakters dieser Maßnahme bewusst war (zur Ermessensausübung bei Einziehung als selbständige Sicherungsmaßnahme vgl. BGH 20,
253). Auch bei gesetzlich gebotenen Maßnahmen wie der obligatorischen Einziehung
ist der Richter gehalten, in jedem Einzelfall das in der Verfassung verankerte Übermaßverbot zu beachten, wenngleich es in diesem Rahmen nur ganz ausnahmsweise
wird verletzt werden können (BGH NStZ 1981, 104).
242
VI. Besonderheiten
Wie bereits oben Rn. 97 erwähnt wurde, muss die Einziehung in der Urteilsformel 754
ausgesprochen werden, und zwar unter genauer Bezeichnung der Gegenstände, die
eingezogen werden. Ist diese genaue Bezeichnung im Urteilsspruch unterblieben, so
muss sie jedenfalls in den Urteilsgründen stehen. Die genaue Bezeichnung ist erforderlich, um den Angeklagten vor einer uferlosen Zwangsvollstreckung zu schützen;
sind die Gegenstände nicht genau bezeichnet worden, werden z.B. nur »die zum
Schwangerschaftsabbruch gebrauchten und bestimmten Gegenstände des Angeklagten« eingezogen, so ist die Revision begründet. Die Gründe müssen, wenn z.B. eine
Einziehung auf Grund des § 74 StGB ausgesprochen wird, darlegen, inwieweit die
näher zu bezeichnenden Gegenstände durch eine vorsätzliche Straftat hervorgebracht
worden oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt
gewesen sind und welchem Täter oder Teilnehmer sie gehören bzw. warum sie die
Allgemeinheit gefährden oder die Gefahr besteht, dass sie der Begehung rechtswidriger Taten dienen werden.
Sieht das Gesetz eine Entschädigung für den unbeteiligten Eigentümer vor (§ 74f 755
StGB), so wird die Gewährung der Entschädigung in der Urteilsformel nicht erwähnt, weil der Anspruch des Dritten auf Entschädigung diesem kraft Gesetzes zusteht (§ 74f Abs. 1 StGB); in diesem Falle wird über die Höhe der Entschädigung
vom Justizfiskus bzw. vom Zivilgericht entschieden.
Wird die Entschädigung auf Grund des § 74f Abs. 2 StGB abgelehnt, so spricht das 756
Gericht in der Urteilsformel aus, dass dem Einziehungsbeteiligten eine Entschädigung
nicht zusteht (§ 436 Abs. 3 StPO), und rechtfertigt seine Entscheidung in den Gründen.
Hält das Gericht eine Entschädigung für geboten, weil es eine unbillige Härte wäre, 757
sie zu versagen (§ 74f Abs. 3 StGB), so spricht es die Entschädigung, auch der Höhe
nach, in der Urteilsformel zu; auch diese Entscheidung ist zu begründen.
Das Verfahren bei nachträglicher Einziehung (§ 439 StPO) und bei selbständiger 758
Einziehung (§ 440 StPO) regelt § 441 StPO. Danach kann das Gericht auch durch
Beschluss entscheiden (§ 441 Abs. 2 StPO).
7. Das Verfahren zur Entschädigung des Verletzten
Dieses in §§ 403 bis 406c StPO geregelte Verfahren (vgl. Rn. 157 ff.) findet in letzter 759
Zeit häufiger Anwendung. Allerdings werden Anträge der Verletzten in der Praxis
häufig gem. § 406 Abs. 1 S. 4 u. 5 StPO (mangelnde Eignung zur Erledigung im Strafverfahren) abgelehnt. Eine Besonderheit besteht hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs nach § 253 Abs. 2 BGB; hier darf ein Absehen von der Entscheidung nicht
wegen Ungeeignetheit, sondern nur wegen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit
erfolgen (§ 406 Abs. 1 S. 6 StPO).
Die Vorschriften, die das Gesetz über die Urteilsentscheidung im Verfahren zur Ent- 760
schädigung des Verletzten gibt, regeln unmittelbar nur den Inhalt der Entscheidung.
In den Gründen des Urteils (§ 406 Abs. 4 StPO) ist zu dem geltend gemachten vermögensrechtlichen Anspruch63 nur Stellung zu nehmen, wenn das Gericht ihm statt63 Die – rechtzeitige (vgl. BGH StV 1988, 515) – Stellung eines Entschädigungsantrages ist eine vom
Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (BGH NStZ 1988, 470).
Der Angeklagte muss Gelegenheit haben, sich in der Hauptverhandlung zu einem geltend gemachten Entschädigungsanspruch zu äußern (BGH 37, 260).
243
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
gibt (§ 406 Abs. 1 StPO). Die Begründung muss sich ebenso wie die Urteilsformel
auch über die Höhe des Anspruchs aussprechen. Ein Teil- und ein Grundurteil sind
zulässig, ebenso ein Anerkenntnisurteil (§ 406 Abs. 2 StPO).
761 Bei der Abfassung des Strafurteils, in dem zugleich einem Anspruch auf Entschädigung stattgegeben wird, ist eine Begründung der bürgerlich-rechtlichen Entscheidung in demselben Umfange erforderlich wie im Zivilprozess. Das ist schon deshalb
notwendig, weil die Entscheidung einem im Zivilprozess ergangenen Endurteil
gleichsteht (§ 406 Abs. 3 StPO). Jedoch ist hier nicht eine von dem Inhalt der Strafentscheidung getrennte Darstellung des Sach- und Streitstandes und eine besondere
Anführung der Entscheidungsgründe erforderlich. Vielmehr sind diese unter Berücksichtigung der Erfordernisse des § 313 Abs. 1 Nr. 5 und 6 ZPO in die Gründe des
Strafurteils einzuarbeiten (vgl. im Einzelnen Meier/Dürre JZ 2006, 18). An Stelle der
Tatbestandsdarstellung wird auch hier, wie nach § 313 Abs. 2 ZPO, eine Bezugnahme
auf etwaige Schriftsätze (z.B. wenn der Antragsteller an der Hauptverhandlung nicht
teilgenommen hat) oder auf die Feststellungen des Schlussprotokolls zuzulassen sein;
dabei ist darauf zu achten, dass die erhobenen Ansprüche genügend gekennzeichnet
und die vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorgehoben werden. Fehlt im Urteil die Anführung der zivilrechtlichen Gesetzesbestimmungen, ergibt sich aber die rechtliche Urteilsgrundlage genügend aus dem Gesamtinhalt des Urteils, so liegt noch eine ausreichende Begründung vor. Sofern der
Angeklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt wird, müssen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten erkennbar berücksichtigt
werden. Wird die Verpflichtung zur Erstattung künftiger materieller oder immaterieller Schäden ausgesprochen, müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, inwieweit
ein Dauer- oder Zukunftsschaden wahrscheinlich ist (BGH NStZ-RR 2010, 344).
762 Wird dem Anspruch nur teilweise stattgegeben, so erstreckt sich die Begründung
auch nur auf den zugesprochenen Teil, da im Übrigen von der Entscheidung durch
den Strafrichter abgesehen wird.
763 Am Schluss der Begründung ist bei der Kostenentscheidung auf etwaige durch das
Entschädigungsverfahren entstandene besondere Kosten Rücksicht zu nehmen. Dem
Angeklagten sind auch diese Kosten und die notwendigen Auslagen des Verletzten
aufzuerlegen (§ 472a Abs. 1 StPO). Wird von einer Entscheidung über den Entschädigungsantrag abgesehen oder ihm nur teilweise stattgegeben, so entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen über die Kostenverteilung (§ 472a Abs. 2
StPO); sie ist nicht besonders zu begründen. Im übrigen gilt hier dasselbe wie für die
sonstige Kostenentscheidung im Strafverfahren (vgl. oben Rn. 607).
764 Außer der Kostenentscheidung ist auch die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit
(§ 406 Abs. 3 S. 2 StPO) kurz zu rechtfertigen.
8. Urteile in Steuerstrafsachen
764a Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht. § 370 der Abgabenordnung, die materielle
Grundnorm des Steuerstrafrechts, ist ein Blanketttatbestand, der nicht alle Tatbestandsmerkmale selbst enthält, sondern erst zusammen mit den blankettausfüllenden
Normen aus der Abgabenordnung oder den Einzelsteuergesetzen (EStG, GewStG,
KStG, UStG) die maßgebliche Strafvorschrift bildet. Deshalb muss sich der im Steuerstrafverfahren tätige Richter mit Normen des materiellen Steuerrechts befassen und
244
VI. Besonderheiten
diese auf den Einzelfall anwenden, was naturgemäß steuerrechtliche Kenntnisse voraussetzt.
Besonderheiten der Sachdarstellung im steuerstrafrechtlichen Urteil ergeben sich 764b
daraus, dass die Steuerhinterziehung von der Struktur her ein Erklärungsdelikt ist,
wobei die Tathandlung im »Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben«
(§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) liegt, während die bloße Nichtzahlung einer Steuer den Tatbestand des § 370 AO nicht erfüllt. Die Urteilsgründe müssen deshalb darlegen,
wann der Angeklagte welche Steuererklärung mit welchem Inhalt abgegeben hat und
welche er hätte abgeben müssen.
Da die Steuerhinterziehung auch ein Erfolgsdelikt ist, muss der Tatrichter unter Dar- 764c
legung der Berechnungsgrundlagen Feststellungen zur Soll- und zur Iststeuer treffen
und so den Verkürzungsbetrag ermitteln. Im Übrigen hängt die gebotene Sachdarstellung ganz wesentlich von den blankettausfüllenden Normen des materiellen Steuerrechts ab; zu Einzelheiten vgl. Jäger StraFo 2006, 477 ff.; NStZ 2008, 21, 25 ff.; BGH
NStZ 2009, 639.
9. Urteile nach »Verständigung«
Ist einem Urteil eine Verständigung gem. § 257c StGB (eingeführt durch Gesetz zur 764d
Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009, BGBl. I S. 2353) vorausgegangen, ist dies in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 3 S. 5 StPO mitzuteilen
(zum möglichen Gegenstand und Inhalt von Verfahrensabsprachen vgl. BVerfG NJW
2013, 1055). Die Angabe des Inhalts der Verständigung ist nicht erforderlich, insoweit
findet die notwendige Dokumentation in der Sitzungsniederschrift statt (BGH 57,
273; NStZ-RR [C/Z] 2013, 134). Das Nichtzustandekommen einer Verständigung
braucht in den Urteilsgründen nicht erwähnt zu werden (BGH NStZ 2013, 415).
Im Übrigen müssen die Urteilsgründe den allgemeinen Anforderungen genügen. 764e
Auch in solchen Fällen bedarf es eines Mindestmaßes an Sorgfalt bei deren Abfassung. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts
eine Strafe hinzunehmen, die das zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet
das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts
(BGH NStZ-RR 2012, 52). Zu den unerlässlichen Mindestvoraussetzungen des Urteils gehört, dass es eine geschlossene und eine nachvollziehbare Darstellung des verwirklichten strafbaren Verhaltens enthält (BGH NStZ-RR 2011, 213). Auch darf eine
Verständigung nicht dazu führen, dass ein so zustande gekommenes Geständnis dem
Schuldspruch zu Grunde gelegt wird, ohne dass sich der Tatrichter von dessen Richtigkeit überzeugt (BGH NStZ-RR 2013, 52).
10. Das Bußgeldverfahren
a) Bedeutung und Inhalt des Bußgeldbescheids
Den Inhalt des Bußgeldbescheids legt § 66 OWiG fest. Der Bußgeldbescheid erfüllt 765
für das Bußgeldverfahren dieselben Aufgaben wie die Anklageschrift oder der Strafbefehl für das Strafverfahren. Er enthält die Beschuldigung, die den Gegenstand des
Verwaltungsverfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgrenzt
und somit auch den Umfang der Rechtskraft (§ 84 OWiG) bestimmt (BGH 23, 280).
Da der Bußgeldbescheid dem Betroffenen ein Bild von der Berechtigung des gegen
ihn erhobenen Vorwurfs verschaffen soll, genügt zur Bezeichnung der »Tat« in § 66
245
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Abs. 1 Nr. 3 OWiG die Angabe der abstrakten Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr
muss der Sachverhalt, der den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit darstellen soll,
unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als
geschichtlicher Vorgang so geschildert werden, dass dem Betroffenen erkennbar wird,
welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll (BGH 23, 339).
766 Der Bußgeldbescheid ist Prozessvoraussetzung. Bestehen nach seinem Inhalt Zweifel über die Identität der Tat, ergibt sich aus ihm insbesondere nicht zweifelsfrei, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll, so kann er seine Aufgabe als
Prozessvoraussetzung nicht erfüllen. Solche Mängel des Bußgeldbescheids lassen sich
weder durch eine Ergänzung aus dem Akteninhalt noch durch einen Hinweis in der
Hauptverhandlung heilen (BGH 23, 340, str.; a.A. Göhler § 66 Rn. 39a m.w.N.); ein
auf einem derartig mangelhaften Bußgeldbescheid beruhendes gerichtliches Verfahren
muss daher eingestellt werden (§§ 206a, 260 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Dagegen beeinträchtigen Mängel, die die Abgrenzung der Tat von anderen Taten nicht in
Frage stellen – auch z.B. das Fehlen näherer Angaben über den Tathergang – die
Rechtswirksamkeit des Bußgeldbescheids nicht. Entscheidend ist immer, ob der Bußgeldbescheid seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen, noch erfüllt.64
767 Bei der Prüfung, welche konkrete Handlung Gegenstand der Beschuldigung ist,
muss der gesamte Inhalt des Bußgeldbescheids berücksichtigt werden. Er ergibt, welcher Lebensvorgang Gegenstand des Verfahrens ist. Der Beschreibung des Vorgangs
und seiner rechtlichen Würdigung kommt keine allein entscheidende Bedeutung zu.
Dies folgt schon daraus, dass sich im Laufe des Verfahrens der Sachverhalt anders
darstellen kann, als ursprünglich angenommen wurde und dass sich auch die rechtliche Würdigung ändern kann (§ 265 StPO mit § 71 OWiG).
768 Es kommt bei Bußgeldbescheiden leider häufig vor, dass die Tatzeit nicht richtig angegeben ist. Dies braucht nach dem Ausgeführten der Wirksamkeit des Bußgeldbescheids als Prozessvoraussetzung nicht entgegenzustehen, wenn für den Betroffenen
trotz der falschen Tatzeit genau feststellbar ist, welcher konkrete Lebensvorgang ihm
zum Vorwurf gemacht wurde und die Tat durch die übrigen Umstände so hinreichend konkretisiert bleibt, dass ihre Unterscheidbarkeit von anderen möglichen Taten des Betroffenen gewahrt ist (OLG Hamm NStZ 1987, 515).
769 Die versehentliche Verwechselung der Tatbeiträge der Unfallbeteiligten in der Bezeichnung der Tat im Bußgeldbescheid führt nicht zu dessen Unwirksamkeit (OLG
Frankfurt NStZ 1992, 89); etwas anderes kann nur gelten, wenn aus dem Bescheid für
den Betroffenen nicht zweifelsfrei erkennbar ist, dass die Behörde auch gegen ihn
eine Beschuldigung erheben will und welches von ihr als ordnungswidrig angesehene
Verhalten ihm vorgeworfen werden soll (OLG Düsseldorf VRS 80, 219).
b) Förmlichkeiten
770 Über die Form des Bußgeldbescheides enthält das Gesetz keine Vorschriften. Es versteht sich jedoch von selbst, dass er – auch wenn er durch Computer gefertigt ist –,
64 Dass der Bußgeldbescheid von einer örtlich unzuständigen Verwaltungsbehörde erlassen worden
ist, hat weder die Nichtigkeit des Bußgeldbescheides noch ein von Amts wegen zu beachtendes
Verfahrenshindernis zur Folge (BayObLG DAR 2004, 709).
246
VI. Besonderheiten
den Anforderungen an eine klare und verständliche Sprache genügen muss. Seine
Wirksamkeit wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Tatvorwürfe in einer dem
Bußgeldbescheid beigefügten Anlage konkretisiert werden, auf die in dem Bußgeldbescheid ausdrücklich verwiesen wird (OLG Düsseldorf NStZ 1992, 39).
Er muss nicht unterzeichnet sein, insbesondere ist eine eigenhändige Unterschrift 771
nicht erforderlich; in jedem Fall genügt das Namenszeichen des Sachbearbeiters oder
ein Faksimilestempel (OLG Düsseldorf NJW 1989, 600). Bei im EDV-Verfahren hergestellten Bußgeldbescheiden reicht es sogar aus, wenn zweifelsfrei ersichtlich ist, von
welcher Behörde das Schriftstück stammt und dass es auf einem Willensakt der Verwaltungsbehörde beruht (BGH 42, 380).
Der Bußgeldbescheid muss dem Betroffenen zugestellt werden. Die Wirksamkeit 772
eines Bußgeldbescheids als Verfahrensgrundlage wird nicht dadurch berührt, dass er
dem Betroffenen in einer unvollständigen Ausfertigung zugestellt worden oder die
Mitteilung nach § 51 Abs. 2 OWiG unterblieben ist; darin liegt lediglich ein Zustellungsmangel mit der Folge, dass die Einspruchsfrist nicht zu laufen beginnt (OLG
Düsseldorf VRS 61, 274; NJW 1982, 2833).
Die förmliche Zuleitung der Akten an das Gericht nach Einspruchseinlegung (§ 69 773
Abs. 4 S. 2 OWiG) ist eine Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren.
Die entsprechende Verfügung des Staatsanwalts muss zwar i.d.R. unterschrieben sein,
die fehlende Unterschrift stellt jedoch kein Verfahrenshindernis dar, wenn sich aus
anderen Umständen ergibt, dass der Staatsanwalt die Akten vorlegen wollte (BayObLG NStZ 1981, 399).
Ist die Urschrift des Bußgeldbescheids abhanden gekommen, so ist damit nicht 774
etwa eine Prozessvoraussetzung entfallen. Der Inhalt des Bußgeldbescheids kann
vielmehr im Wege des Freibeweises festgestellt werden (BGH 42, 385).
c) Urteilsgründe
aa) Sachverhaltsfeststellungen. Da die §§ 71 ff. OWiG keine ausdrückliche Rege- 775
lung über die Abfassung der Urteilsgründe enthalten, muss § 267 StPO sinngemäß
Anwendung finden. Nach allgemeiner Ansicht sind allerdings an die Gründe des Urteils in Bußgeldsachen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen (BGH 39, 300).
Eine Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid oder sonstige Aktenteile ist aber nicht
zulässig (OLG Hamm NZV 2003, 295; OLG Bamberg NJW 2013, 3653; anders im
Beschlussverfahren, vgl. unten Rn. 798). Der mitgeteilte Sachverhalt muss alle Tatsachen enthalten, in denen die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der
angewandten Vorschriften gesehen worden sind, damit das Rechtsbeschwerdegericht
die richtige Rechtsanwendung nachprüfen kann (BGH 41, 381). So ist im Urteil etwa
das Unfallgeschehen, das die Ordnungswidrigkeit begründen soll, so darzustellen,
dass es für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar ist. Dabei müssen in der
Regel auch nähere Ausführungen zur Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens gemacht
und die Verkehrssituation muss ausreichend beschrieben werden (OLG Koblenz
VRS 58, 379; VRS 71, 146).
bb) Die Beweisgründe, auf denen die Feststellungen beruhen, sind im Urteil auf- 776
zuführen. Hier haben die Oberlandesgerichte jedoch vielfach die Anforderungen
überspannt. Der Bundesgerichtshof (BGH 39, 291) hat klargelegt, dass bei einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung entweder ein glaubhaftes Geständnis des
247
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
Betroffenen oder die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit genügt, jedoch nicht in jedem Fall Angaben zur
Funktionstüchtigkeit und zur sachgerechten Handhabung des Geschwindigkeitsmessgerätes verlangt werden müssen (das gilt ebenso für das Laser-Messverfahren,
BGH 43, 277; zur Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren OLG Köln NZV
1994, 77; zur Auswertung eines Fahrtenschreibers OLG Bamberg StraFo 2008, 2).
Auch bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration im Sinne von § 24a Abs. 1
StVG muss sich der Richter bei der Anwendung standardisierter Messverfahren mit
Fragen der Messgenauigkeit in den Urteilsgründen nicht näher auseinandersetzen,
wenn keine konkreten Zweifel an der ordnungsgemäßen Messung nahe liegen; vielmehr kann er den gewonnenen Messwert ohne weitere Begründung – und ohne Sicherheitsabschlag – seiner Entscheidung zugrundelegen (BGH 46, 358; OLG Hamburg NJW 2004, 1813).
777 Soweit der für erwiesen erachtete Sachverhalt nicht auf einem umfassenden Geständnis des Betroffenen beruht, muss die Einlassung des Betroffenen wiedergegeben
und eine Beweiswürdigung vorgenommen werden, aus der sich ergibt, auf Grund
welcher Erwägungen das Gericht die Darstellung des Betroffenen für widerlegt hält.
Fehlt in diesen Fällen die Einlassung des Betroffenen in den Gründen, so ist das ein
die Rechtsbeschwerde rechtfertigender sachlich-rechtlicher Mangel (BayObLG 1972,
103). Es genügt auch nicht, wenn die Einlassung des Betroffenen nur schlechthin als
unglaubhaft bezeichnet, aber nicht dargelegt wird, wie das Gericht zu dieser Ansicht
gelangt ist, oder lediglich der Inhalt des angefochtenen Bußgeldbescheides mitgeteilt
und erklärt wird, dass das Gericht dieselben Feststellungen getroffen habe (OLG
Oldenburg StV 1984, 374).
778 Hat das Gericht in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag nach § 77 Abs. 3
OWiG mit der formelhaften Begründung abgelehnt, die Beweiserhebung sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich, so ist es nicht notwendig, im Urteil die
Begründung der Ablehnung des Beweisantrages in einer Weise nachzuholen, die den
Anforderungen der §§ 244 Abs. 6, 34 StPO entspricht (OLG Zweibrücken MDR
1991, 1192); in diesem Fall ist jedoch in den Gründen darzulegen, worauf sich die
sichere Überzeugung des Gerichts stützt und aus welchen Gründen die dagegen vorgebrachten Beweismittel keinen weiteren Aufklärungswert haben (BayObLG DAR
1997, 318; OLG Jena VRS 106, 302).
779 Gerade in Bußgeldsachen, die Verkehrsordnungswidrigkeiten betreffen, kommt es
häufig vor, dass der Betroffene zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf schweigt. Aus
der Haltereigenschaft des Betroffenen allein darf nicht auf seine Täterschaft als Fahrer geschlossen werden (BVerfG bei Janiszewski NStZ 1994, 272; BGH 25, 365). Aus
Zeit und Tatort der Ordnungswidrigkeit, dem Beruf, den Familienverhältnissen und
den Lebensumständen des Fahrzeughalters können sich jedoch Anhaltspunkte ergeben, die als Beweisanzeichen für die Täterschaft des Halters verwertbar sind
(BGH 25, 365). Stützt der Richter seine Überzeugung, der Halter sei auch gefahren,
auf solche Zusatzumstände, muss er sie im Urteil darlegen, da andernfalls zu befürchten ist, dass der Schuldspruch unter Verletzung des § 261 StPO auf einer bloßen
Mutmaßung beruht (OLG Köln VRS 61, 361). Es darf auch nicht daraus, dass der als
Täter in Anspruch genommene Halter des Tatfahrzeugs, der sich nicht zur Sache äußert, keine Angaben über bestimmte persönliche Verhältnisse macht, in denen
zugleich ein Indiz für die Tatbegehung gesehen wird, auf seine Täterschaft geschlos248
VI. Besonderheiten
sen werden (BayObLG NJW 1981, 1385). Dass der Betroffene den polizeilichen Anhörungsbogen zur Person ausgefüllt und unterschrieben zurückgeschickt hat, darf –
wenn er sich nicht zur Sache geäußert hat – nicht als Indiz für seine Täterschaft angesehen werden (OLG Koblenz VRS 58, 424). Es ist auch nicht zulässig, aus dem sonstigen Verhalten des Betroffenen (vgl. OLG Düsseldorf VRS 75, 112) oder daraus, dass
er im Anhörungsbogen Rechtsausführungen gemacht hat (vgl. BayObLG VRS 75,
214), auf seine Täterschaft zu schließen.
Hält ein Gericht die Einlassung des Betroffenen durch ein Sachverständigengutach- 780
ten für widerlegt oder ihn auf Grund eines solchen Gutachtens für überführt, so
müssen in den Gründen – ebenso wie im Strafverfahren (s. oben Rn. 380 f.) – die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens sowie die daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen insoweit angegeben werden, als sie zum
Verständnis des Gutachtens und dessen gedanklicher Schlüssigkeit notwendig sind
(BGH 39, 296).
Die fehlende Erinnerung eines Polizeibeamten als Zeugen hindert den Richter nicht, 781
die Richtigkeit der in der Anzeige enthaltenen Angaben festzustellen, falls der Zeuge
bereit und in der Lage ist, die Verantwortung für die Richtigkeit des Inhalts der Anzeige zu übernehmen (BGH 23, 213). Das kann der Zeuge allerdings nur dann, wenn
er den Vorgang selbst beobachtet oder wenn er die Angaben des beobachtenden Beamten richtig entgegengenommen und eingetragen hat (OLG Hamm VRS 57, 291).
Wenn die Identität des Fahrzeugführers mit dem Betroffenen auf Grund eines Licht- 782
bildes nachgewiesen werden soll, kann im Urteil nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf ein
zur Identifizierung geeignetes Foto prozessordnungsgemäß verwiesen oder dieses
auch mittels Ablichtung in die Urteilsgründe eingefügt werden (BayObLG NStZ-RR
1996, 211). Bei einem »generell geeigneten« Foto bedarf es dann im Regelfall keiner
näheren Ausführungen zur Identitätsfeststellung (OLG Jena VRS 107, 296). Bestehen
nach Inhalt oder Qualität des Fotos jedoch Zweifel an seiner Eignung als Grundlage
für eine Identifizierung des Fahrers, so müssen die Urteilsgründe erkennen lassen,
aufgrund welcher – auf dem Foto erkennbarer – Identifizierungsmerkmale das Gericht die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat (OLG Hamm VRS 108, 435). Unterbleibt eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf das Beweisfoto, so muss das Urteil Ausführungen zur
Bildqualität enthalten und die abgebildete Person anhand charakteristischer Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht die Prüfung
ermöglicht wird, ob das Lichtbild zur Identifizierung generell geeignet ist (BGH 41,
376).
cc) Bemessung der Geldbuße. 1. Rechtsgrundlage für die Bemessung der Geldbuße 783
ist § 17 OWiG. Nach § 17 Abs. 3 OWiG sind Grundlage für die Zumessung der
Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter
trifft. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen in Betracht; bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben sie jedoch in der Regel unberücksichtigt.
Gem. § 17 Abs. 4 OWiG soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche
Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden. Soweit nichts anderes
bestimmt ist, beträgt das Mindestmaß der Geldbuße 5 EUR, das Höchstmaß bei vorsätzlichem Handeln 1.000 EUR, bei fahrlässigem Handeln 500 EUR (§ 17 Abs. 1 und
2 OWiG).
249
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
784 Entscheidend für die Bemessung der Geldbuße innerhalb des vorgegebenen Rahmens
ist somit zunächst einmal die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit. Hierbei sind
namentlich der Grad der Gefährdung oder Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter oder Interessen sowie das Ausmaß der Gefährdung oder Beeinträchtigung zu
berücksichtigen (Göhler § 17 Rn. 16). Während unter dem Begriff »Bedeutung der
Ordnungswidrigkeit« die objektiven Merkmale der Tat zu verstehen sind, will der
Gesetzgeber hinsichtlich des den Täter treffenden Vorwurfs mit etwa gleichem Gewicht die subjektiven Eigentümlichkeiten der Tat berücksichtigt wissen, nämlich die
besonderen Umstände in der Person des Täters, die den Grad seines vorwerfbaren
Verhaltens bestimmen (Göhler § 17 Rn. 18). Hierbei geht es nicht um die Frage, ob
der Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat; denn hiervon hängt bereits der
Bußgeldrahmen ab, so dass diese Umstände nicht innerhalb des Rahmens noch einmal schärfend oder mildernd berücksichtigt werden dürfen. Vielmehr ist hier vor allem auf bereits früher begangene, einschlägige Ordnungswidrigkeiten abzustellen.
Eine Bußgeldfestsetzung nach bestimmten mathematischen Regeln ist unzulässig
(vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1989, 437; VRS 86, 188).
Das Gericht ist nicht an die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße gebunden, es
sei denn es entscheidet gemäß § 72 Abs. 3 S. 2 OWiG durch Beschluss; dann gilt das
Verschlechterungsgebot (vgl. unten Rn. 796). Ein Hinweis nach § 46 Abs. 1 OWiG
i.V.m. § 265 Abs. 2 StPO ist rechtlich nicht geboten, wenn das Gericht eine höhere als
die im Bußgeldbescheid festgesetzte Buße verhängen will (OLG Hamm NJW 1980,
1587).
785 2. Für im Straßenverkehr begangene Ordnungswidrigkeiten nach §§ 24 und 24a StVG
sowie für die Anordnung des Fahrverbots nach § 25 StVG gilt die nach § 26a StVG
erlassene Bußgeldkatalog-Verordnung. Sie hat Rechtssatzqualität und enthält für
die Gerichte verbindliche Regelsätze über die Höhe der Geldbuße und die Anordnung eines Fahrverbots (BGH 38, 132). Minder schwere Fälle von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten sind nach § 1 Abs. 1 S. 2 BKatV mit einem Verwarnungsgeld
bis zu 35 EUR zu ahnden.
786 Die BKatV geht für den Regelfall von gewöhnlichen Tatumständen und in Abschnitt I des Kataloges von fahrlässiger, in Abschnitt II von vorsätzlicher Begehungsweise aus (§ 1 Abs. 2 BKatV). Von den Sätzen der BKatV darf das Gericht
somit nur abweichen, wenn besondere Umstände gegeben sind, z.B. die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen außergewöhnlich günstig oder ungünstig sind.
787 Der Regelsatz darf nicht pauschal verdoppelt werden, wenn der Täter vorsätzlich
gehandelt hat (OLG Düsseldorf NZV 1994, 205),65 Entspricht die Höhe der Geldbuße dem Bußgeldkatalog, so sind nähere Darlegungen jedenfalls im Geldbußenbereich
unter 250 EUR (vgl. OLG Hamburg NJW 2004, 1813; OLG Jena VRS 107, 474) dazu in den Urteilsgründen nicht erforderlich. Will der Richter bei seiner Entscheidung
aber zugunsten oder zuungunsten des Betroffenen von den Regelsätzen des Bußgeldkatalogs abweichen, so hat er die dafür maßgeblichen Gründe im Urteil ausreichend
darzulegen (Göhler § 17 Rn. 34).
65 Die Geldbuße für das Führen eines Kraftfahrzeugs mit mehreren abgefahrenen Reifen kann auch
nicht in der Weise bemessen werden, dass derjenige Betrag, der bei Führen eines Kraftfahrzeugs
mit nur einem abgefahrenen Reifen nach dem Bußgeldkatalog angemessen wäre, mit der Zahl der
abgefahrenen Reifen vervielfacht wird (BayObLG NJW 1981, 2135).
250
VI. Besonderheiten
3. Eine geringfügige Ordnungswidrigkeit liegt sicher immer dann vor, wenn ein 788
Verwarnungsgeld bis zu 35 EUR die angemessene Ahndung darstellt (§ 56 Abs. 1
OWiG). In diesem Rahmen ist eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gem. § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG grundsätzlich rechtsfehlerhaft. Während früher die »Geringfügigkeitsgrenze« bei 100 EUR lag (vgl. OLG Düsseldorf
VRS 97, 256), geht die Rechtsprechung heute überwiegend mit Blick auf § 79 Abs. 1
Nr. 1 OWiG von 250 EUR aus (OLG Bamberg NZV 2011, 44; OLG Jena VRS 113,
351).
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters sind auch im Rahmen des § 17 Abs. 4 789
OWiG zu beachten. Die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils darf nicht dazu
führen, dass weitere, ebenso wichtige Zumessungsgesichtspunkte zurückgedrängt
werden. Eine Abschöpfung des Vorteils durch die Besteuerung (z.B. Einkommensoder Gewerbesteuer) ist bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen
(BVerfG NStZ 1990, 393).
4. Der Richter kann frühere gerichtliche und verwaltungsbehördliche Entscheidun- 790
gen bußgeldschärfend heranziehen. Er muss dann aber in den Gründen darlegen,
wann diese Entscheidungen erlassen wurden und seit wann sie rechtskräftig oder unanfechtbar sind. Zu beachten ist, dass tilgungsreife (§ 29 StVG) Eintragungen nach
§ 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden dürfen. Werden frühere Verkehrsverstöße zum Nachteil des Betroffenen verwertet, ohne
dass der Richter im Urteil dazu nähere Feststellungen trifft, so ist die Entscheidung
rechtsfehlerhaft (BGH NJW 1993, 3084).
Ein Verhalten des Betroffenen nach der Tat kann auch bei fahrlässig begangenen 791
Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des § 17 Abs. 3 OWiG berücksichtigt werden,
wenn es eine sich in wahrheitswidrigen Behauptungen dokumentierende Uneinsichtigkeit zeigt, die den Schluss auf eine die Rechtsordnung missachtende Einstellung
des Betroffenen zulässt; so z.B., wenn der Betroffene gegen den anzeigenden Polizeibeamten eine Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben und sie auf erwiesen unwahre
Behauptungen über den Tathergang bei der Ordnungswidrigkeit gestützt hatte
(BayObLG, 24.7.1979 – 1 ObOWi 247/79). Dagegen darf nicht zum Nachteil des
Betroffenen gewertet werden, dass er eine gebührenpflichtige Verwarnung wegen der
Tat abgelehnt und sich in der Hauptverhandlung »unbelehrbar« gezeigt habe (OLG
Koblenz VRS 62, 202).
5. Nach § 20 OWiG werden, auch wenn mehrere Rechtsverstöße gleichzeitig ge- 792
ahndet werden, die einzelnen Geldbußen im Gegensatz zur Regelung des § 53 StGB
gesondert festgesetzt. Die Bildung einer »Gesamtgeldbuße« ist also im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht vorgesehen. Werden wegen verschiedener Verstöße mehrere
nicht unerhebliche Geldbußen oder wird wegen einer Tat eine hohe Geldbuße festgesetzt, so kann gem. § 18 OWiG eine Zahlungsfrist bewilligt oder Ratenzahlung gestattet werden. Auch Verkehrsordnungswidrigkeiten Jugendlicher können nur mit
Geldbuße geahndet werden (BayObLG 1972, 837).
dd) Fahrverbot. Nach § 25 Abs. 1 StVG kann gegen den Betroffenen neben einer 793
Geldbuße nach § 24 StVG ein Fahrverbot von einem Monat bis zu drei Monaten
festgesetzt werden, wenn er die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers grob oder beharrlich verletzt hat; wird gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit
nach § 24a StVG eine Geldbuße festgesetzt, so ist in der Regel auch ein Fahrverbot
251
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
anzuordnen. Handelt es sich bei dem Betroffenen um einen »Ersttäter« i.S.d. § 25
Abs. 2a StVG (dazu BGH NJW 2000, 2685), so ist bei der Anordnung zugleich zu
bestimmen, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, jedoch spätestens 4 Monate nach Eintritt der Rechtskraft
(vgl. oben Rn. 94). Die Verhängung eines Fahrverbots und die Auferlegung einer
Geldbuße stehen regelmäßig in einer Wechselwirkung und bedürfen deshalb einer
Gesamtbetrachtung (BayObLG NStZ-RR 2000, 19). Für den Begründungsaufwand
bei Verhängung eines Fahrverbots nach § 25 StVG gilt nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung folgendes:
Eine erstmalige grobe Pflichtverletzung durch vorsätzliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann die Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigen,
ohne dass es der ausdrücklichen Feststellung bedarf, der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg könne auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht erreicht werden (BGH
38, 106). Auch in den Fällen des § 4 Abs. 1 S. 1 (grobe Verletzung der Pflichten eines
Kraftfahrzeugführers) und Abs. 2 S. 2 (wiederholte Geschwindigkeitsüberschreitung)
BKatV ist die Anordnung eines Fahrverbots zulässig, ohne dass es näherer Feststellung bedarf, der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg könne auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht erreicht werden; der Richter muss sich dessen aber ausweislich der Gründe seiner Entscheidung bewusst gewesen sein (BGH 38, 125 und 231).
Trotz eines die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 BKatV erfüllenden Verkehrsverstoßes kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen grober Verletzung der
Pflichten eines Kraftfahrzeugführers aber ausnahmsweise dann nicht in Betracht,
wenn der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit (Stichwort »Augenblicksversagen«) ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat. Mit
dieser Problematik muss sich das Gericht aber nur bei einer entsprechenden Einlassung des Betroffenen auseinandersetzen (BGH 43, 241).
Ist im Bußgeldbescheid kein Fahrverbot ausgesprochen worden, so darf das Gericht
im Einspruchsverfahren darauf nur erkennen, wenn es den Betroffenen in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO auf diese Möglichkeit hingewiesen hat
(BGH 29, 274).
794 ee) Ein abgekürztes Urteil – wie in § 267 Abs. 4 StPO vorgesehen – gibt es im Bußgeldverfahren nicht. Wird gegen das Urteil keine Rechtsbeschwerde eingelegt, so
kann gem. § 77b OWiG von einer schriftlichen Begründung des Urteils ganz abgesehen werden; es bedarf also nicht einmal einer Bezugnahme auf den Bußgeldbescheid.
Besonderheiten ergeben sich nur, wenn die Staatsanwaltschaft – wie zumeist – an der
Hauptverhandlung nicht teilnimmt. Dann ist eine Urteilsbegründung erforderlich,
wenn die Staatsanwaltschaft dies vor der Hauptverhandlung beantragt hat. Hat sie
keinen entsprechenden Antrag gestellt, bedarf es nicht ihres Rechtsmittelverzichts,
um von einer Urteilsbegründung abzusehen (§ 77b Abs. 1 S. 2 OWiG). Legt sie dann
aber Rechtsbeschwerde ein, so müssen die Urteilsgründe innerhalb der Frist des
§ 275 Abs. 1 S. 2 StPO (oben Rn. 203 f.) zu den Akten gebracht werden (§ 77b Abs. 2
OWiG). Eine Ergänzung der Urteilsgründe ist auch zulässig, wenn der Richter den
Antrag der Staatsanwaltschaft auf schriftliche Begründung des Urteils übersehen hatte (BGH 43, 22); ob dasselbe gilt, falls der Richter wegen irrtümlicher Annahme der
Rechtskraft des Urteils von der schriftlichen Begründung abgesehen hatte, ist streitig
(KK-OWiG/Senge § 77b Rn. 13). Werden der Staatsanwaltschaft auf Veranlassung
des Richters die Akten und ein unterzeichnetes Hauptverhandlungsprotokoll, das
252
VI. Besonderheiten
bereits alle nach § 275 Abs. 3 StPO erforderlichen Angaben enthält, zur Prüfung eines Rechtsmittelverzichts übersandt, liegt darin noch keine Zustellung eines nach
§ 77b OWiG »abgekürzten« Urteils. Deshalb dürfen – z.B. wenn der Betroffene
Rechtsbeschwerde einlegt – die Urteilsgründe innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1
S. 2 StPO ergänzt werden (BGH NJW 2013, 2837). Die Frist zur Einlegung der
Rechtsbeschwerde beginnt für den bei der Urteilsverkündung abwesenden Betroffenen auch dann mit der Zustellung des Urteils, wenn dieses nicht mit Gründen versehen ist und die Voraussetzungen des § 77b Abs. 1 S. 3 OWiG nicht vorlagen (BGH
49, 230).
d) Schriftliches Verfahren
§ 72 OWiG sieht die Möglichkeit vor, in Bußgeldsachen ohne Hauptverhandlung 795
durch Beschluss statt durch Urteil zu entscheiden.66 § 72 Abs. 1 OWiG stellt die
Voraussetzungen für das schriftliche Verfahren auf: Es ist nur zulässig, wenn Betroffener und Staatsanwaltschaft nicht widersprechen und nur sinnvoll, wenn der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (Göhler § 72 Rn. 2 ff.). Trotz des Einverständnisses
von Betroffenem und Verteidiger darf nicht ohne erneute Anhörung des Betroffenen
im schriftlichen Verfahren entschieden werden, wenn sich die Verfahrenslage ändert –
z.B. weitere Beweise erhoben oder verwertet werden – oder der Schuldspruch auf
andere rechtliche Gesichtspunkte als im Bußgeldbescheid gestützt werden soll (BayObLG VRS 61, 220).
§ 72 Abs. 3 S. 1 OWiG führt die Entscheidungsmöglichkeiten auf (Freispruch, 796
Geldbuße, Anordnung einer Nebenfolge, Einstellung) und stellt damit klar, dass auch
bei dieser Verfahrensart das Gericht nicht den Bußgeldbescheid nachprüft, sondern
selbst über die Beschuldigung entscheidet. Absatz 3 Satz 2 legt – anders als im Urteilsverfahren – fest, dass die im Bußgeldbescheid getroffene Entscheidung nicht verschlechtert werden darf. Bei Wegfall eines Fahrverbots kann allerdings die im Bußgeldbescheid verhängte Geldbuße erhöht werden, falls die Gesamtschau der
angeordneten Rechtsnachteile keine Veränderungen zum Nachteil des Betroffenen
erkennen lässt (BGH 24, 11).
§ 72 Abs. 4 S. 1 OWiG befasst sich mit dem Tenor des Beschlusses (hier gilt dasselbe 797
wie beim Urteil, s. oben Rn. 42 ff.); an den Tenor schließt sich auch hier die Liste der
angewendeten Vorschriften an (§ 72 Abs. 4 S. 2 OWiG mit § 260 Abs. 5 S. 1 StPO, s.
oben Rn. 184 ff.). Sätze 3 bis 5 umschreiben die notwendige Beschlussbegründung bei
Verurteilung, Abs. 5 S. 1 diejenige bei Freispruch. Die Bestimmungen in Abs. 4 S. 3
bis 5 und Abs. 5 sind § 267 Abs. 1, 3 S. 1 und Abs. 5 StPO nachgebildet.
Die Gründe des Beschlusses müssen also denen eines Urteils entsprechen. Auch hier 798
müssen bei Festsetzung einer Geldbuße die zugrundegelegten Tatsachen in einer Weise dargetan sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung ermöglicht ist, ob
das Recht richtig angewendet wurde. Nach § 72 Abs. 6 OWiG kann das Gericht je66 Der Hinweis auf die Absicht, über den Einspruch durch Beschluss zu entscheiden, ist dem Betroffenen oder seinem Verteidiger förmlich zuzustellen. Zum Widerspruch unter Bedingungen
(z.B. »dass die Geldbuße angemessen ermäßigt wird«) vgl. Göhler § 72 Rn. 21 f. Stimmt der
Betroffene nur für den Fall einer bestimmten Kostenentscheidung zu, darf das Gericht nicht
im Beschlusswege entscheiden, wenn es die erstrebte Kostenentscheidung nicht treffen will
(OLG Düsseldorf MDR 1993, 379).
253
Urteile – 4. Abschnitt. Die Urteilsgründe
doch von einer Begründung absehen und auf den Inhalt des Bußgeldbescheides Bezug nehmen, wenn alle Verfahrensbeteiligten auf eine solche verzichten und wenn
gegen den Beschluss keine Rechtsbeschwerde eingelegt wird.
Der Beschluss muss ebenso wie das Urteil eine Kosten- und Auslagenentscheidung
enthalten (§ 464 StPO mit § 46 Abs. 1 OWiG).
e) Verwerfungsurteil
799 aa) Nach § 73 Abs. 1 OWiG ist der Betroffene zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet; das Gericht kann ihn jedoch unter den Voraussetzungen des
§ 73 Abs. 2 OWiG – wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in
der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur
Aufklärung nicht erforderlich ist – auf seinen Antrag von der Erscheinenspflicht
entbinden. Für diesen Fall kann sich der Betroffene durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen (§ 73 Abs. 3 OWiG). Für das dann ergehende
Urteil gelten keine Besonderheiten; nur für das Verfahren ist zu beachten, dass es hier
eine Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz gibt: Die Einlassung des Betroffenen
darf aus den Akten festgestellt werden.
800 bb) Bei unerlaubter Abwesenheit des Betroffenen hat das Gericht, ohne Rücksicht
darauf ob ein Verteidiger auftritt, zwingend den Einspruch ohne Verhandlung zur
Sache durch Urteil zu verwerfen. Aus dem Verwerfungsurteil muss sich ergeben:
앫 dass der Angeklagte rechtsfehlerfrei nicht vom Erscheinen entpflichtet worden ist,
§ 73 Abs. 1 und 2 OWiG,
앫 dass er ordnungsgemäß unter Belehrung über die Folgen des Ausbleibens geladen
worden ist, § 74 Abs. 3 OWiG und
앫 dass er unentschuldigt nicht erschienen ist, § 74 Abs. 2 OWiG.
Fehlt eine dieser Voraussetzungen, so darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen.
801 Zur Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Ladung ist zu bemerken, dass hierzu
die Einhaltung der Ladungsfrist (§ 217 Abs. 1 StPO mit § 71 OWiG) nicht gehört
(BGH 24, 149).
802 Die Belehrung über die Folgen des Ausbleibens muss wiederholt werden, wenn die
zunächst anberaumte Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist (OLG Düsseldorf
NZV 1992, 377). Es reicht dann nicht einmal die Verweisung auf die in einer früheren
Ladung enthaltene Belehrung aus (OLG Köln StV 1996, 12). Einer erneuten Belehrung bedarf es jedoch dann nicht, wenn die Hauptverhandlung nur unterbrochen und
der Betroffenen mündlich zu einem Fortsetzungstermin geladen worden ist; die einmal erteilte Belehrung bezieht sich auf die gesamte Hauptverhandlung und nicht nur
auf einzelne Termine (BayObLG NStZ 1999, 140).
803 Besonders sorgfältig ist zu prüfen, ob das Ausbleiben des Betroffenen nicht entschuldigt ist. Ebenso wie bei §§ 329, 412 StPO kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er entschuldigt ist (OLG Köln
NStZ-RR 1999, 338). Das Gericht muss also einem konkreten Hinweis auf einen
Entschuldigungsgrund nachgehen und, wenn es Zweifel hat, seine Stichhaltigkeit im
Freibeweisverfahren überprüfen (OLG Köln NStZ-RR 1999, 338). Das Urteil darf
sich nicht auf die Darstellung und Erörterung von Entschuldigungsgründen beschränken, die der Verteidiger im Termin vorgetragen hat. Es sind vielmehr auch sol254
VI. Besonderheiten
che für die Frage einer Entschuldigung möglicherweise bedeutsamen Umstände abzuhandeln, die aus den Akten ersichtlich oder dem Gericht auf andere Weise bekannt
geworden sind.67 Bleibt zweifelhaft, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist, so
darf der Einspruch nicht verworfen werden (OLG Düsseldorf StV 1994, 364). Entschuldigt sich der Betroffene rechtzeitig vor dem Termin, hat er Anspruch auf einen
Bescheid. Geht ihm ein solcher nicht zu, gilt sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung als entschuldigt (OLG Düsseldorf VRS 88, 137).
67 Nach BayObLG JR 1982, 215 darf der Einspruch nicht verworfen werden, wenn sich der Betroffene, dessen persönliches Erscheinen angeordnet ist, nach Beginn der Hauptverhandlung unbefugt entfernt; dagegen Göhler § 74 Rn. 28 m.w.N.
255
5. Abschnitt. Die Unterschriften
804 Das Urteil ist von den Berufsrichtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
zu unterschreiben; der Unterschrift der Laienrichter bedarf es nicht (§ 275 Abs. 2
S. 1, 3 StPO), sie dürfen aber mitunterschreiben (BGH 39, 285). Ohne die erforderlichen Unterschriften liegt kein vollständiges schriftliches Urteil vor1. Durch die Unterschriften wird bezeugt, dass die Urteilsgründe dem Ergebnis der Hauptverhandlung und beim Kollegialgericht dem Ergebnis der Beratung des Spruchkörpers nach
der Meinung der Mehrheit der Mitglieder entsprechen (BGH 26, 93). Durch die Unterschriften wird auch die Liste der angewendeten Vorschriften (oben Rn. 184 ff.)
gedeckt.
Die Unterschriften sind auch nötig bei Aufnahme des ganzen Urteils in das Protokoll
nach § 275 Abs. 1 S. 1 StPO. Sie müssen sich dann unter den Gründen befinden, die
Unterschriften nur unter der Urteilsformel genügen nicht (OLG Frankfurt StraFo
2013, 121). Str. ist, ob bei einem allein entscheidenden Richter (z.B. in Straf- und
Bußgeldsachen am Amtsgericht) die Unterschrift unter dem Protokoll der Hauptverhandlung genügt (so OLG Hamm NStZ 2013, 304 m.w.N.). Die Unterschrift unter
einer Zustellungsverfügung kann die Unterschrift auf der Urteilsurkunde nicht ersetzen (BGH NStZ-RR [C/Z] 2013, 136). Hat irrig ein Richter unterschrieben, der bei
der Urteilsverkündung nicht beteiligt war oder fehlt eine Unterschrift, so ist die richtige oder fehlende Unterschrift nachholbar. Die Nachholung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die in § 275 Abs. 1 S. 2 StPO bezeichnete Frist verstrichen ist. Der Mangel
kann auch nicht dadurch geheilt werden, dass der Richter der Fassung der Urteilsgründe nachträglich zustimmt und die fehlende Unterschrift nach Fristablauf nachholt (BGH 28, 195).
805 Ist ein Richter, z.B. durch Urlaub oder Krankheit aus tatsächlichen Gründen verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter Angabe des Verhinderungsgrundes, der allgemein gehalten werden kann (Urlaub, Krankheit usw.) von
dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten, d.h. nach h.M.
dem dienst- nicht dem lebensältesten, beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt (§ 275 Abs. 2 S. 2 StPO). Bei Ausscheiden aus dem Spruchkörper liegt keine
Verhinderung aus rechtlichen Gründen (dazu unten Rn. 808) vor, ebenso wenig bei
Abordnungen an ein anderes Gericht, zur Justizverwaltung oder zur Staatsanwaltschaft (BGH NStZ 2006, 586; StraFo 2007, 66) sowie bei Versetzungen an ein anderes
Gericht (BGH NStZ 1993, 96). Jedoch kann eine Abordnung oder Versetzung im
Einzelfall der Unterzeichnung aus tatsächlichen Gründen entgegenstehen (BGH
NJW 2003, 836; StraFo 2006, 334). Da es sich bei der Unterzeichnung eines Strafurteils um ein dringliches, unaufschiebbares Dienstgeschäft handelt, ist der Vorsitzende
verpflichtet, rechtzeitig organisatorische Vorsorge für die Erfüllung dieser Pflicht zu
treffen (BGH NStZ 2011, 358). Der Vermerk bezeugt nur die Tatsache der Verhinderung; die Richtigkeit der Urteilsgründe bestätigt der Richter, der zugleich für einen
verhinderten Richter innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO (BGH StV 2000,
184) unterschreibt, nur für sich selbst. Für die Bezeichnung des Verhinderungsgrun-
1 Gleichwohl macht das Fehlen einer Unterschrift oder eines Verhinderungsvermerks im Urteil –
obwohl ein absoluter Revisionsgrund – dessen Zustellung nicht unwirksam, wenn das zugestellte
Schriftstück der Urschrift entspricht, BGH NJW 2001, 838.
256
Urteile – 5. Abschnitt. Die Unterschriften
des ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben; es ist jedoch falsch, nur zu vermerken »Für den verhinderten Richter«. Derjenige, der für den verhinderten Richter
unterschreibt, hat vielmehr zunächst den Hinderungsgrund anzugeben – z.B. Richter
X ist wegen Urlaubs ortsabwesend und dadurch an der Unterschrift verhindert – und
diesen Vermerk zu unterzeichnen; er unterschreibt also zweimal: Urteil und Vermerk.2 Ein unvollständiger Verhinderungsvermerk kann nachträglich nicht wirksam
ergänzt werden (BGH StV 2000, 184). Es genügt die Unterschrift eines einzelnen
Richters, wenn die übrigen alle verhindert sind. Die Unterschrift des Vorsitzenden
beim (nicht erweiterten) Schöffengericht und bei der kleinen Strafkammer kann nicht
durch einen Schöffen ersetzt werden. Beim erweiterten Schöffengericht müssen beide
Berufsrichter unterschreiben (OLG Düsseldorf VRS 72, 117). Stirbt der einzige Berufsrichter vor der Unterschriftsleistung, so liegt ein Urteil ohne Entscheidungsgründe vor, das zwar wirksam, aber auf ein zulässiges Rechtsmittel aufzuheben ist (vgl.
§ 338 Nr. 7 StPO). Stirbt er nach der Verlesung der Urteilsformel, so liegt ebenfalls
ein rechtswirksames Urteil vor, das angefochten und erst durch ein Rechtsmittel beseitigt werden kann; in der unvollständigen Eröffnung der Urteilsgründe liegt darüber hinaus ein Verstoß gegen § 268 Abs. 1 S. 1 StPO, der aber nicht die Revision
begründet (BGH 8, 41).
Bestehen unter den Berufsrichtern Meinungsverschiedenheiten über die Abfassung 806
der Urteilsgründe, so müssen diese in einer Beratung geklärt und durch Abstimmung
mehrheitlich entschieden werden; auch der überstimmte Richter muss das Urteil unterschreiben, denn mit seiner Unterschrift bezeugt er nur, dass die Fassung der
Gründe der Mehrheitsmeinung entspricht (BGH 26, 93). Verweigert ein überstimmter Richter gleichwohl die Unterschrift, so ist umstritten, ob dies dem Fall einer
»Verhinderung« nach § 275 Abs. 2 S. 2 StPO gleichzusetzen ist (offengelassen von
BGH 26, 93). Dagegen spricht, dass durch die Angabe des Verhinderungsgrundes die
Uneinigkeit unter den Richtern offenbar würde, das Urteil nach außen aber als eine
in allen seinen Teilen einstimmig gefasste Entscheidung in Erscheinung treten soll.
Änderungen und Ergänzungen der Urteilsfassung müssen von den Unterschriften 807
gedeckt sein, bevor die Höchstfristen des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO abgelaufen sind. Der
Vorsitzende, der die Urteilsgründe ändert oder ergänzt, muss daher die Zustimmung
der übrigen Richter vor Fristablauf herbeiführen; eine vorher erklärte allgemeine Ermächtigung der anderen Richter ist wirkungslos (BGH 27, 334). Nur Urteilsänderungen oder -ergänzungen ohne sachlichen Gehalt brauchen von den Unterschriften
der übrigen Richter nicht gedeckt zu sein (BGH bei Holtz MDR 1984, 93).
Die Unterzeichnung der Urteilsgründe ist ein richterlicher Akt und damit Aus- 808
übung der rechtsprechenden Gewalt. Die Urteilsgründe kann deshalb nur wirksam
unterschreiben, wer im Zeitpunkt der Unterzeichnung Richter ist, also nicht wer aus
dem Justizdienst ausgeschieden oder nunmehr bei der Staatsanwaltschaft oder bei der
Justizverwaltung als Beamter beschäftigt ist (BGH bei Kusch NStZ 1995, 20). Bei
einem mit mehreren Berufsrichtern besetzten Spruchkörper ist folglich zu vermerken, dass der aus dem Justizdienst ausgeschiedene Richter (aus rechtlichen Gründen)
an der Unterschriftsleistung gehindert ist. Hat an der Entscheidung hingegen nur ein
Berufsrichter mitgewirkt (Strafrichter, Schöffengericht, kleine Strafkammer), liegt ein
2 Zur Nachprüfbarkeit des Verhinderungsgrundes durch das Revisionsgericht vgl. BGH 31, 212.
257
Urteile – 5. Abschnitt. Die Unterschriften
Urteil ohne Urteilsgründe vor, das der Revision unterfällt, aber rechtswirksam ist,
wenn es nicht angefochten wird.3
809 Wie sich aus § 275 Abs. 1 StPO ergibt, ist die Urteilsurschrift zu den Hauptakten zu
nehmen und dort zu belassen. Fehlt die Urteilsurschrift in den Akten, so begründet
dies dann nicht die Revision nach § 338 Nr. 7 StPO, wenn bereits eine Ausfertigung
vorliegt; im Übrigen kann bei Verlust der Urschrift eine neue vollwertige Urschrift
von den mitwirkenden Richtern hergestellt werden, wenn sie deren Übereinstimmung mit der Verlorengegangenen bescheinigen (BGH NJW 1980, 1007).
Ausfertigungen und Auszüge des Urteils sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des betreffenden Gerichts zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel
zu versehen (§ 275 Abs. 4 StPO).
3 Das Fehlen einer von mehreren erforderlichen Unterschriften ist mit einer Verfahrensrüge zu beanstanden; hingegen enthält ein Urteil, das überhaupt nicht unterschrieben ist, keine – endgültig
fertiggestellten – Entscheidungsgründe und ist deshalb bereits auf die Sachrüge hin aufzuheben,
vgl. BGH NJW 2001, 839.
258
6. Abschnitt. Beispiele
Im Folgenden werden insgesamt elf Beispiele gebracht; dabei handelt es sich um sieben Urteile erster Instanz (Nr. 1 bis 7) und vier Rechtsmittelentscheidungen (Nr. 8
bis 11). Die Beispiele enthalten sieben verurteilende Erkenntnisse (Nr. 1 bis 5, 8, 9)
zwei Freisprüche (Nr. 6 und 11), einen Teilfreispruch (Nr. 10) und eine Einstellung
(Nr. 7). Vier Beispiele sind Urteile des Strafrichters (Nr. 1, 2, 6 und 7), je ein Beispiel
betrifft ein Urteil des Schöffengerichts (Nr. 3), des Jugendschöffengerichts (Nr. 4)
und des Schwurgerichts (Nr. 5), von den Rechtsmittelentscheidungen sind drei Berufungsurteile der Strafkammer (Nr. 8 bis 10) und eine ein Revisionsurteil des BGH
(Nr. 11). Im ersten und im letzten Beispiel wird jeweils ein vollständiges Urteil gebracht; bei den übrigen Beispielen wird von der Wiedergabe des Rubrums und der
Unterschriften abgesehen.
810
1. Urteil des Strafrichters
(Verurteilung mit Bekanntmachungsbefugnis und Entschädigung des Verletzten)
Aktenzeichen 4 Ds 28 Js 247/12
IM NAMEN DES VOLKES!
URTEIL
In der Strafsache
gegen
Wilhelm Müller, geb. am 17.9.1970 in Pforzheim, verheirateter Kaufmann, Deutscher, wohnhaft in Heilbronn, Stuttgarter Straße 156,
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
hat das Amtsgericht Heilbronn – Strafrichter –
in der öffentlichen Sitzung vom 18. April 2013, an der teilgenommen haben,
1. Richter am Amtsgericht Vollmar als Strafrichter,
2. Staatsanwalt Forst als Vertreter der Staatsanwaltschaft,
3. Rechtsanwalt Frisch als Verteidiger,
4. Rechtsanwalt Koch als Nebenklägervertreter,
5. Justizangestellte Echinger als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
I. Der Angeklagte ist schuldig des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und mit gefährlicher Körperverletzung.
II. Er wird zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 50 EUR verurteilt.
III. Der Angeklagte wird weiter verurteilt, an den Polizeikommissar Alfred Riesterer in Heilbronn ein
Schmerzensgeld von 400 EUR (vierhundert Euro) zu bezahlen.
IV. Dem beleidigten Polizeibeamten Alfred Riesterer wird die Befugnis zuerkannt, die Verurteilung des
Angeklagten wegen Beleidigung einmal auf dessen Kosten in den »Stuttgarter Nachrichten« bekanntzumachen.
V. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers.
VI. Das Urteil ist, soweit es auf Zahlung an den Verletzten lautet, vorläufig vollstreckbar.
Angewendete Vorschriften: §§ 113, 185, 194 Abs. 1, 200, 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 52 StGB.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist selbständiger Kaufmann. Er verdient nach seinen Angaben monatlich ca. 2.000 EUR
netto. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 13 und 10 Jahren. Seine Ehefrau ist nicht berufstätig.
259
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
Der Angeklagte ist vorbestraft durch
a) Urteil des AG Stuttgart vom 12.4.2004 (Az. 22 Ds 31 Js 1867/04) wegen Körperverletzung zu einer
Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 30 EUR,
b) Strafbefehl des AG Mannheim vom 23.3.2008 (Az. 30 Cs 24 Js 6/08) wegen Beleidigung zu einer
Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 75 EUR.
II.
Am späten Abend des 5.1.2012 führten die Polizeibeamten des Verkehrsdienstes der Polizeidirektion
Heilbronn, nämlich der PK Alfred Riesterer und die POM Richard Weirich und Georg Blitz, auf der Autobahnzufahrt Heilbronn – Autobahn Heilbronn-Stuttgart – eine nächtliche Verkehrsstreife durch.
Etwa gegen 22.15 Uhr wurde der Angeklagte, der im Begriff war, mit seinem Fahrzeug Pkw Mercedes,
HN-CD 301, von Heilbronn nach Stuttgart zu fahren, zum Zwecke der Kontrolle angehalten.
PK Riesterer forderte den Angeklagten auf, seine Fahrzeugpapiere vorzuzeigen. Dieser lehnte es zunächst ab, der Aufforderung nachzukommen, zeigte dann aber nach gütlichem Zureden Kfz-Schein und
Führerschein vor. Während der Unterhaltung mit dem Angeklagten stellte der Polizeikommissar fest,
dass der Angeklagte leicht nach Alkohol roch. Er bat diesen daher, sich dem Alco-Test zu unterziehen.
Darauf geriet der Angeklagte in große Erregung, stieg aus dem Fahrzeug aus und ging auf den Polizeikommissar mit den Worten zu: »Kommt gar nicht in Frage, das ist ja alles nur Schikane!« Auf Grund der
Ablehnung forderten dann sämtliche drei Polizeibeamte nach Rücksprache mit dem zuständigen Bereitschaftsstaatsanwalt – der richterliche Eildienst war nicht mehr erreichbar – ihrer Dienstanweisung
entsprechend, den Angeklagten auf, in ihrem Streifenwagen zum Zweck einer Blutprobe in das Städt.
Krankenhaus in Heilbronn mitzufahren.
Diese Aufforderung war für den Angeklagten das Signal zu wüsten Ausschreitungen gegen die Beamten.
Er sprang zunächst zu seinem Fahrzeug zurück, um weiterzufahren. Als er von PK Riesterer zurückgehalten wurde, schlug er ihm mit der Faust mehrmals ins Gesicht und trat ihm mit dem schweren Stiefel
seines rechten Fußes in den Unterleib. Nachdem die Polizeibeamten Weirich und Blitz ihm daraufhin
die vorläufige Festnahme erklärten, schlug der Angeklagte wild um sich, ohne allerdings einen der Polizeibeamten zu treffen. Als diese nun versuchten, den Angeklagten mit Gewalt in den Streifenwagen zu
verbringen und ihn zu diesem Zweck an den Händen und am Oberkörper anfassten, versuchte er, sich
dem dadurch zu entziehen, dass er sich auf den Boden warf. Auch in dieser Lage schlug und trat er minutenlang um sich. Während des ganzen Vorgangs schrie er die Beamten mit den Worten an: »Ihr
könnt ja nur auf wehrlose Bürger losgehen; ich schlage Euch noch alle tot, Ihr Faulenzer, Ihr Tagediebe,
Ihr Faschistenhunde!«
Mit Hilfe von weiteren Kfz-Fahrern, die inzwischen hinzugekommen waren, insbesondere den Zeugen
Günther und Wunsch, die den Vorfall, vor allem die Schimpfworte, mit angehört hatten, gelang es
schließlich den Polizeibeamten, den Angeklagten zu fassen, ihn in den Streifenwagen zu legen und in
das Krankenhaus zu verbringen. Dort ließ er sich ohne Widerstand eine Blutprobe entnehmen. Diese
ergab einen Blutalkoholgehalt von 0,47‰.
PK Riesterer erlitt durch die tätlichen Angriffe des Angeklagten eine Platzwunde am Kopf und starke
Prellungen am Kopf und am Unterleib, so dass er sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Er war
drei Wochen dienstunfähig. Er hat gegen den Angeklagten wegen Beleidigung und Körperverletzung
form- und fristgerecht Strafantrag gestellt (§ 194 Abs. 1 StGB).
III.
Der Angeklagte räumt den Sachverhalt ein, behauptet aber, die Polizeibeamten hätten zunächst ihn,
und zwar grundlos, geschlagen, und er habe sich nur zur Wehr gesetzt, also in Notwehr gehandelt.
Diese Einlassung ist durch die Beweisaufnahme widerlegt. Einmal haben alle Polizeibeamten diese
Einlassung – unabhängig voneinander – glaubhaft bestritten. Es kommt aber vor allem hinzu, dass die
an dem Verfahren unbeteiligten Zeugen Günther und Wunsch die Darstellung der Polizeibeamten in
vollem Umfange bestätigt haben.
IV.
Der Angeklagte hat sich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB, der Beleidigung nach § 185 StGB und der gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB
schuldig gemacht:
260
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
Die Beamten befanden sich, was dem Angeklagten, wie er einräumt, bekannt war, in der rechtmäßigen
Ausübung ihres Amtes. Sie waren auch berechtigt, den Angeklagten vorläufig festzunehmen, nachdem
er sich geweigert hatte, sich der Entnahme einer Blutprobe zu unterziehen (§ 127 Abs. 2, § 112 Abs. 2
Nr. 3a, § 81a Abs. 1 S. 2 StPO). Der Angeklagte hat den Polizeibeamten bei der Vornahme einer Diensthandlung Widerstand geleistet, und zwar einmal durch Gewalt (indem er um sich schlug und, nachdem
er an den Händen und am Oberkörper festgehalten war, sich auf den Boden warf, um der gewaltsamen
Verbringung in das Krankenhaus zu entgehen), durch Drohung mit Gewalt (Drohung mit Totschlag)
und dadurch, dass er den Polizeikommissar tätlich angriff.
Ferner hat der Angeklagte die Polizeibeamten beleidigt, indem er sie mit ehrkränkenden Schimpfworten belegte. Die Beleidigung geschah öffentlich; eine unbestimmte Zahl von anderen Fahrern konnte
die Beleidigungen wahrnehmen. Der Angeklagte ist jedoch nur eines Vergehens der Beleidigung schuldig zu sprechen, da nur PK Riesterer einen Strafantrag gestellt hat.
Schließlich hat der Angeklagte sich einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Polizeikommissars schuldig gemacht. Durch seine Faustschläge und seinen Tritt in den Unterleib des Beamten hat
er diesen an seiner Gesundheit geschädigt. Der schwere Stiefel ist ein gefährliches Werkzeug (BGH
NStZ 1984, 329).
Sämtliche Straftaten sind im Rahmen eines einheitlichen Vorganges begangen, stehen also in Tateinheit (§ 52 StGB).
Die Bedrohung mit Totschlag ist zwar ein Vergehen nach § 241 StGB, doch tritt dies gegenüber dem
Widerstand nach § 113 StGB zurück (Gesetzeskonkurrenz).
Ein Vergehen nach § 316 StGB (fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung) liegt nicht vor. Der Angeklagte war nicht absolut fahruntüchtig, weil seine Blutalkoholkonzentration unter 1,1‰ lag (vgl.
BGH St 37, 89). Er war aber auch nicht relativ fahruntüchtig: Fahrfehler des Angeklagten sind nicht
festgestellt; im Übrigen stimmt das Gericht dem Sachverständigen Med.-Rat Dr. Höfer zu. Dieser
hat dargelegt, dass die außerordentliche Erregung des Angeklagten nicht auf den genossenen Alkohol, sondern darauf zurückzuführen war, dass er kurz zuvor mit seiner Ehefrau eine heftige Auseinandersetzung hatte, weil ihm bekannt geworden war, dass diese ihn betrogen hatte. In diesem
Erregungszustand hatte er sich entschlossen, in eine Bar nach Stuttgart zu fahren, um dort seine
Aufregung zu vergessen.
V.
Die zu verhängende Strafe ist dem Strafrahmen des § 224 StGB als dem Gesetz, das die schwerste
Strafe androht, zu entnehmen, wobei von einem minder schweren Fall auszugehen ist. Das Gericht hat
in der Hauptverhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Angeklagte unbeherrscht und leicht erregbar ist. Dies beweisen auch die vorliegende Tat und die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten wegen Körperverletzung und Beleidigung. Dieser Umstand und die Tatsache, dass PK Riesterer nicht unerheblich verletzt wurde, sowie die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Straftatbestände wurden
straferschwerend berücksichtigt.
Demgegenüber wirkte strafmildernd, dass sich der Angeklagte in einem von seiner Ehefrau verursachten und insoweit verständlichen Erregungszustand befunden hat, der eine Kurzschlussreaktion in ihm
hervorgerufen hat. Darüber hinaus war er durch den zuvor genossenen Alkohol enthemmt.
Eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen erschien dem Gericht daher angemessen. Bei der Festsetzung der
Höhe des Tagessatzes ist das Gericht vom Nettoeinkommen des Angeklagten ausgegangen. Unter
Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung für die zwei minderjährigen Kinder und der Tatsache,
dass die Ehefrau des Angeklagten kein eigenes Einkommen hat, wurde ein Tagessatz jedoch nur auf
50 EUR festgesetzt.
VI.
Dem Antrag der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen und seinen
Führerschein einzubehalten, ist nicht zu entsprechen. Die Straftaten des Angeklagten sind nicht im
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen worden (§ 69 StGB), sondern nur
aus Anlass des Führens eines Kraftfahrzeuges. Davon abgesehen ergibt sich bei der Art der Straftat
aus dieser allein noch nicht die mangelnde Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen.
261
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
VII.
Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des PK Riesterer stellt eine unerlaubte
Handlung nach § 823 Abs. 1 und 2 BGB dar. Der Angeklagte ist daher diesem gegenüber zu Schadensersatz verpflichtet. Der von diesem geltend gemachte Anspruch auf Schmerzensgeld ist nach § 253
Abs. 2 BGB dem Grunde nach gerechtfertigt.
Der Anspruch ist auch der Höhe nach begründet. Dabei wurden die Schwere der Verletzungen des Zeugen und die nicht unerheblichen Folgen einerseits, die Schwere des Verschuldens des Angeklagten andererseits gegeneinander abgewogen sowie die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse bedacht.
Der Angeklagte ist daher, dem Antrage des Verletzten entsprechend, zu verurteilen, diesem einen Betrag von 400 EUR zu bezahlen.
VIII.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 465, 472 Abs. 1 S. 1, 472a Abs. 1 StPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11 ZPO, die Befugnis zur öffentlichen Bekanntmachung des Urteils auf Antrag des Verletzten, PK Riesterer, aus § 200 StGB.
Vollmar
Richter am Amtsgericht
811 2. Urteil des Strafrichters
(Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit)
Der Betroffene wird wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Vorschriften
über die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 150 EUR und zu den Kosten des Verfahrens verurteilt.
Angewendete Vorschriften: §§ 3 Abs. 3, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, 24 StVG.
Gründe:
Der Betroffene fuhr am 11.2.2013 um 9.00 Uhr mit seinem Personenkraftwagen, Marke Porsche, amtl.
Kennzeichen M–WR 180, auf dem Georg-Brauchle-Ring in München in östlicher Richtung. Auf dieser
Straße beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h. Der Betroffene fiel dem Polizeibeamten
Bader, der in Zivilkleidung auf einem Kraftrad unterwegs war, durch überhöhte Geschwindigkeit und
ständige Überholvorgänge auf, so dass der Polizeibeamte dem Betroffenen nachfuhr. Der Polizeibeamte fuhr rechts versetzt hinter dem Porsche ganz rechts am Fahrbahnrand mit einem Abstand von 30 m
eine Strecke von 1000 m nach. Hierbei zeigte der bis zum 31.12.2013 geeichte Fahrtschreiber am Kraftrad des Polizeibeamten eine gefahrene Geschwindigkeit von 100 km/h an. Nach Abzug einer Messtoleranz von 10% ergab sich damit eine von dem Betroffenen mindestens gefahrene Geschwindigkeit von
90 km/h. Bei der erforderlichen und dem Betroffenen zumutbaren Sorgfalt hätte dieser seine Geschwindigkeitsüberschreitung bemerken und unterlassen können.
Der Betroffene gibt zu, dass er möglicherweise schneller als erlaubt gefahren sei. Er meint jedoch, er sei
maximal 80 km/h gefahren. Er sei erschrocken, als er den Motorradfahrer hinter sich bemerkt habe. Er
habe ihn für einen »Rocker« gehalten, der ihn bedrängen und bedrohen wolle. Aus dem Grunde habe
er, als dieser ihm bereits folgte, die Geschwindigkeit möglicherweise auf 100 km/h erhöht. Demgegenüber hat der Zeuge Bader glaubhaft bekundet, dass er nicht etwa nach »Rockerart« eine schwarze
Lederbekleidung angehabt habe; er sei vielmehr mit einer weißen Lederjacke bekleidet gewesen und
habe einen roten Sturzhelm getragen. Er habe zudem stets einen Abstand von ca. 30 m gehalten, so
dass er den Betroffenen weder bedrängt noch bedroht habe. Im Übrigen sei ihm der Betroffene von Anfang an dadurch aufgefallen, dass er eine Geschwindigkeit von etwa 100 km/h gefahren sei. Beim Anhalten habe der Betroffene ihm Geld angeboten und geäußert, ob man die Sache nicht an Ort und Stelle
begleichen könne, da er es als Flugkapitän sehr eilig habe und zum Flughafen München fahren müsse.
Der Betroffene hat sich damit einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die zulässige
Höchstgeschwindigkeit gem. § 3 Abs. 3 StVO schuldig gemacht. Wie sich aus der glaubhaften Aussage
des Zeugen Bader in Verbindung mit dem Diagramm des Fahrtschreibers ergibt, hat der Betroffene die
zulässige Höchstgeschwindigkeit – zumindest fahrlässig – um 30 km/h überschritten.
262
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
Nach der BKatV – Nr. 11.5 i.V.m. Tabelle 1 c – ist für Geschwindigkeitsüberschreitungen von 26–
30 km/h eine Geldbuße von 100 EUR vorgesehen. Der Betroffene lebt als unverheirateter Flugkapitän
in überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Höhe der Geldbuße wurde daher auf
150 EUR festgesetzt.
Kosten: §§ 46 Abs. 1 OWiG, 465 Abs. 1 StPO.
3. Urteil des Schöffengerichts
812
(Verurteilung zu Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung)
Der Angeklagte wird wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu
einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Angewendete Vorschriften: §§ 29a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 31 Nr. 1 BtMG, 27, 52
StGB.
Gründe:
I.
Der 24-jährige Angeklagte wurde in der Türkei geboren und ist dort mit seinen drei Geschwistern bei
den Eltern aufgewachsen. 1995 siedelte die Familie nach Deutschland über. Der Angeklagte besuchte
die Hauptschule und absolvierte anschließend erfolgreich eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. In
diesem Beruf war er auch bis zum Jahr 2011 tätig; seitdem ist er arbeitslos. Seine Bemühungen, eine
neue Arbeitsstelle zu finden, waren bislang erfolglos. Der Angeklagte, der weder Arbeitslosengeld noch
andere soziale Leistungen bezog und bezieht, wohnte stets bei seinen Eltern, die ihn auch finanziell
unterstützten. Er ist nicht vorbestraft.
II.
Nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes stellten sich beim Angeklagten bald finanzielle Schwierigkeiten
ein, die darauf beruhten, dass er nicht bereit war, den gewohnten Lebensstandard seinen nunmehr
beschränkten Mitteln anzupassen. Deshalb kam es ihm gelegen, als ihn Mitte August 2012 Ali Hasan
fragte, ob er sich als Kurierfahrer nicht »schnell ein paar Euro verdienen« wolle; für den Transport von
drei Kilogramm Haschisch aus der Türkei nach Deutschland könne er 1.000 EUR verdienen. Der Angeklagte, der bis dahin keinerlei Kontakt zu Betäubungsmitteln hatte, lehnte dieses Angebot entrüstet ab,
erkundigte sich aber in seinem Freundeskreis über Ali Hasan und erfuhr dabei, dass dieser als Drogenhändler bekannt war.
Da sich beim Angeklagten in den nächsten Wochen die finanziellen Schwierigkeiten vergrößerten und
keine Aussicht auf Besserung bestand, trat er Anfang Oktober 2012 an Hasan heran und erklärte sich
bereit, eine solche Fahrt durchzuführen. Dabei ging er zutreffend davon aus, dass das von ihm zu transportierende Haschisch zum Weiterverkauf bestimmt war. Ali Hasan erläuterte ihm nunmehr in allen
Einzelheiten, wie der Transport abgewickelt werden sollte: Dem Angeklagten würde ein Flugticket nach
Istanbul zugesandt. Am dortigen Flughafen würde er abgeholt und ihm ein Pkw übergeben werden, in
dem das Haschisch versteckt sei. Mit diesem Pkw solle der Angeklagte auf einem näher beschriebenen
Weg nach Deutschland fahren und ihn nach Passieren der Grenze anrufen. Dann würde er weitere Anweisungen bekommen. Den Lohn in Höhe von 1.000 EUR erhalte er bei Übergabe des Fahrzeugs.
Entsprechend diesem Plan flog der Angeklagte am 21. Oktober 2012 nach Istanbul, übernahm dort
einen Pkw und fuhr mit diesem nach Deutschland. Bei einer aufgrund eines anonymen Hinweises kurz
nach dem Grenzübergang Kiefersfelden/Kufstein vorgenommenen Kontrolle wurde von der Polizei im
Tank des Fahrzeugs versteckt 3125g Haschisch mit einem THC-Anteil von 10% aufgefunden. Bei seiner
anschließenden Vernehmung legte der Angeklagte ein umfassendes Geständnis ab. Im Zuge der aufgrund dieser Angaben eingeleiteten Ermittlungen gegen Ali Hasan wurde dessen Wohnung durchsucht;
dabei konnten größere Mengen von Betäubungsmitteln verschiedener Art sichergestellt und Hasan
festgenommen werden. Das gegen diesen eingeleitete Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
263
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
III.
Diese Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf dem umfassenden, auch in der Hauptverhandlung
wiederholten Geständnis des Angeklagten, an dessen Richtigkeit keine Zweifel bestehen. Zum Gewicht
und Wirkstoffgehalt des sichergestellten Haschisch folgt das Gericht dem Gutachten des Landesuntersuchungsamtes Südbayern vom 7.12.2012. Über die weiteren Ermittlungen gegen Ali Hasan und die
dabei erzielten Ergebnisse hat der Polizeibeamte Karl berichtet; auch an der Richtigkeit von dessen
Angaben hat das Gericht keine Zweifel.
IV.
Der Angeklagte hat sich somit der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
(§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 27 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht.
Die Einfuhr des Haschisch, das die Grenze zur nicht geringen Menge (7,5g THC) um mehr als das
40fache überstieg, hat der Angeklagte eigenhändig vorgenommen; insoweit ist er daher Täter. Ein täterschaftliches Handeltreiben liegt dagegen nicht vor. Zwar kann grundsätzlich auch die Tätigkeit eines
Kuriers ein Handeltreiben darstellen, wenn dieser die Tatherrschaft und einen entsprechenden Willen
hatte. Daran fehlte es hier jedoch; denn der Angeklagte hatte weder Einfluss auf die Art und Menge der
beförderten Betäubungsmittel noch auf die Durchführung und Gestaltung des Transports und des Weiterverkaufs. Er war vielmehr nur fördernd im Rahmen eines fremden Umsatzgeschäftes tätig, wobei er
jedoch wusste, dass das Haschisch zum Handel bestimmt war (vgl. BGH NJW 2007, 1220).
V.
Das Gericht hat jeweils minder schwere Fälle der Einfuhr bzw. des Handeltreibens bejaht (§§ 29a
Abs. 2, 30 Abs. 2 BtMG). Täterpersönlichkeit und Tatbild weichen – trotz der erheblichen Menge des
Haschisch – von den erfahrungsgemäß vorkommenden Fällen so sehr ab, dass eine Gesamtabwägung
aller Umstände die Annahme minder schwerer Fälle rechtfertigt. Hierbei war zu berücksichtigen, dass
der nicht vorbestrafte Angeklagte in vollem Umfang geständig ist und Einsicht in sein Fehlverhalten
zeigte, das sich durch seine finanziellen Schwierigkeiten zwar nicht rechtfertigt, aber erklärt. Für ihn
sprach ferner, dass das Betäubungsmittel sichergestellt werden konnte und somit nicht in den Handel
gelangte. Entscheidend für die Annahme minder schwerer Fälle war jedoch der vom Angeklagten durch
seine Angaben erzielte Aufklärungserfolg (§ 31 Nr. 1 BtMG), nämlich die Aufdeckung der bis dahin nicht
bekannten Tätigkeit des Ali Hasan als Drogenhändler. Die Berücksichtigung des Aufklärungsbeitrages
des Angeklagten bereits bei der Prüfung des minder schweren Falles beruht auf folgenden Erwägungen:
Die allgemein zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände hätten für sich die Bejahung minder
schwerer Fälle nicht gerechtfertigt; erforderlich war vielmehr das Hinzutreten eines »vertypten Milderungsgrundes«. Da die Beihilfe nur das Handeltreiben betrifft, hätte demgemäß auch nur bezüglich der
Straftat nach § 29a BtMG ein minder schwerer Fall bejaht werden können. Dies wäre für den Angeklagten ungünstiger gewesen.
Den Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG hat das Gericht nochmals gem. §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB
gemindert. Maßgeblich ist damit gemäß § 52 Abs. 2 StGB der Strafrahmen des § 30 Abs. 2 BtMG, der
Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren vorsieht. Eine weitere Milderung nach §§ 31 BtMG, 49
Abs. 2 StGB war dagegen wegen des Doppelverwertungsverbotes (§ 50 StGB) ausgeschlossen.
Bei der konkreten Strafzumessung war zu Lasten des Angeklagten insbesondere die Menge und Qualität des Betäubungsmittels zu berücksichtigen. Für den Angeklagten sprachen dagegen sein Geständnis,
die Einsicht in sein Fehlverhalten sowie die Tatsache, dass er nicht vorbestraft ist. Ferner war zu seinen
Gunsten zu berücksichtigen, dass er insgesamt nur einen untergeordneten und ersetzbaren Tatbeitrag
leistete, dass das Haschisch sichergestellt werden konnte und Beweggrund für das Handeln des Angeklagten seine finanziell problematische Lage war. Schließlich hat das Gericht auch im Rahmen der
Strafzumessung nochmals berücksichtigt, dass der Angeklagte ganz wesentlich zur Überführung eines
nicht unbedeutenden Drogenhändlers beigetragen hat. Unter Abwägung dieser Umstände erachtete
das Gericht eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren als tat- und schuldangemessen.
Die Vollstreckung dieser Strafe konnte gem. § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, weil weitere
Straftaten des von diesem Verfahren sichtlich beeindruckten Angeklagten nicht zu erwarten sind. Aus
den oben dargestellten Gründen liegen auch besondere Gründe in der Tat und der Täterpersönlichkeit
264
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
vor, die die Strafaussetzung trotz des in der verhängten Strafe zum Ausdruck kommenden Unrechtsgehalts der Tat rechtfertigen.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 465 Abs. 1 StPO.
4. Urteil des Jugendschöffengerichts
813
(Verurteilung mit Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe)
Der Angeklagte ist des Diebstahls in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren
ohne Fahrerlaubnis, schuldig.
Die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe wird auf die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt.1
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
Soweit der Angeklagte freigesprochen wird, fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last; im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten
vorbehalten.
Angewendete Vorschriften: §§ 242, 243 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 StGB, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, 52, 53 StGB,
27 JGG.
Gründe:
1. (Schilderung des Lebenslaufs des Angeklagten)
2. a) Der Angeklagte entwendete am 5. Februar 2013 ein vor dem Lichtspieltheater »Rex« in Rosenheim abgestelltes, dem Kaufmann Erwin Freund gehöriges Fahrrad Marke »Triumph« im Werte von
200 EUR und verkaufte es am Tage darauf dem Fahrradhändler Essig in Rosenheim zum Preise von
50 EUR. Für das Geld kaufte er sich Bücher und Briefmarken. Das Fahrrad konnte bei dem Käufer Essig
sichergestellt und dem Bestohlenen wieder zurückgegeben werden.
b) Am 18. Februar 2013 gegen 22 Uhr entwendete der Angeklagte den Pkw Mercedes mit dem polizeilichen Kennzeichen RO-DB 402 des Kaufmanns Laubscher. Das Fahrzeug war in Rosenheim vor dem
Hause Münchner Straße 15 abgestellt, war unverschlossen, der Zündschlüssel lag im unverschlossenen
Handschuhfach. Der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, fuhr mit dem Fahrzeug
nach München, wo er ziellos umherfuhr; er ließ das Fahrzeug dann, seiner vorgefassten Absicht zufolge,
am 19. Februar gegen 2 Uhr früh in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen. Er fuhr mit dem ersten Frühzug nach Rosenheim zurück.
Dieser Sachverhalt (a und b) steht auf Grund des Geständnisses des Angeklagten in Verbindung mit
den Aussagen der Zeugen Essig, Laubscher und Polizeiwachtmeister Schulz fest.
c) Der Angeklagte stieg ferner am 20. Februar 2013 gegen 20 Uhr über den Zaun des Hofraumes der
Volksschule in Rosenheim und nahm ein an der Rückwand der Schule abgestelltes Fahrrad Marke »Luxor«, das dem Lehrer Münz gehört, an sich. Das Fahrrad versteckte er in einem Schuppen in der Nähe
seiner elterlichen Wohnung, wo es aufgefunden wurde. Er beabsichtigte, auch dieses Rad zu verkaufen.
Der Angeklagte leugnet diese Tat, ist aber auf Grund der Aussagen des Lehrers Münz und der Frau Ehrlich überführt. Münz kennt den Angeklagten vom früheren Besuch der Volksschule her. Er hat sich zur
Tatzeit dem Eingang der Schule genähert und dabei aus naher Entfernung wahrgenommen, wie der
Angeklagte vor der Schule auf ein Fahrrad aufstieg und wegfuhr. Der Lehrer hat erklärt, dass er den
Angeklagten eindeutig erkannt habe. Frau Ehrlich hat vom Balkon ihrer Wohnung aus gesehen, wie der
Angeklagte am 21. Februar früh gegen 8 Uhr ein Fahrrad in den oben genannten Schuppen stellte. Der
Angeklagte sagt also die Unwahrheit, wenn er behauptet, er habe das Rad nicht in den Schuppen verbracht.
1 Die Festsetzung der Bewährungszeit erfolgt hier im Urteilstenor und nicht – wie sonst (s. Rn. 114)
– in einem gesonderten Beschluss. Sie ist integrierender Bestandteil der Entscheidung; § 28 JGG
enthält nämlich insofern eine Sonderregelung, während hinsichtlich der Bewährungshilfe und der
Auflagen und Weisungen in § 29 S. 2 JGG lediglich auf §§ 23 bis 25 JGG verwiesen wird.
265
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
d) Dagegen konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden, dass er auch den Fahrraddiebstahl
vom 22. Februar 2013 zum Nachteil des Bäckermeisters Kaufmann begangen hat. Dieser konnte in der
Hauptverhandlung nicht mehr mit Sicherheit in dem Angeklagten diejenige Person erkennen, die an
dem genannten Tage gegen 19.30 Uhr den Hauseingang des Hauses Waldstr. 50 in Rosenheim mit
seinem Fahrrad verlassen hat. Ein weiteres Fahrrad konnte bei dem Angeklagten nicht vorgefunden
werden.
3. Der Angeklagte hat damit drei Diebstähle, darunter einen Diebstahl in einem besonders schweren
Fall (Entwendung des Fahrrades Marke »Luxor« mittels Einsteigens), begangen. Der Angeklagte ist
daher dreier in Tatmehrheit begangener Diebstähle gem. §§ 242, 53 StGB schuldig. Soweit der Angeklagte, der keine Fahrerlaubnis besitzt und dem bewusst war, dass er zum Führen eines Kraftfahrzeugs
eine Fahrerlaubnis benötigt, mit dem gestohlenen Mercedes des Kaufmanns Laubscher gefahren ist, ist
er zugleich eines vorsätzlichen Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StGB
schuldig; § 242 StGB und § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG stehen in Tateinheit.
4. Der Angeklagte ist am 15. Mai 1996 in München geboren, also jugendlich im Sinne des § 1 JGG. Er
besitzt nach der Überzeugung des Gerichts die erforderliche Reife nach § 3 JGG und ist daher für seine
Taten verantwortlich. Nach dem Zeugnis seines Meisters, des Zeugen Hummel, ist der Angeklagte
geistig aufgeweckt. Aus der Erklärung des Vaters des Angeklagten entnimmt das Gericht, dass der Jugendliche in der Lage war, das Verwerfliche seines Tuns zu erkennen und danach zu handeln. Der Vater
hat den Jugendlichen kurze Zeit zuvor verwarnt, weil er einem Bekannten heimlich ein Buch in Diebstahlsabsicht weggenommen hatte.
Erziehungsmaßregeln scheinen nicht ausreichend, um den Angeklagten wieder auf den rechten Weg zu
bringen. Der Angeklagte neigt – wie die Diebstähle zeigen – stark zu Vergehen gegen das Eigentum. Aus
dem Bericht des Jugendamts und den Erklärungen des Vaters und des Meisters ergibt sich, dass er vielfach grundlos der Arbeit fernbleibt, viel Alkohol trinkt und öfters nachts spät nach Hause kommt. Er ist
dem schlechten Einfluss von Freunden erlegen. Seine Eltern sind gut beleumundet; über seine drei
Geschwister ist nichts Nachteiliges bekannt geworden. Der Angeklagte ist also sicher noch einer erzieherischen Einwirkung zugänglich. Doch reichen dazu angesichts der Stärke der kriminellen Neigungen
des Jugendlichen offensichtlich weder Erziehungsmaßregeln noch Zuchtmittel aus. Immerhin kann die
Entscheidung darüber, ob es unter allen Umständen der Verurteilung zur Jugendstrafe bedarf, zur Zeit
noch nicht mit Sicherheit getroffen werden. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die kurze Zeit hintereinander begangenen Straftaten Ausfluss einer Augenblicksstimmung waren und nicht schädlichen
Neigungen entspringen.
Das Gericht hat daher in Anwendung der §§ 27, 28 JGG die Entscheidung über die Verhängung der
Jugendstrafe auf die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, zu
beweisen, dass er keine schädliche Neigung zum Stehlen besitzt, und so die Tilgung des Schuldspruchs
zu erlangen. Führt sich der Angeklagte während der Bewährungsfrist schlecht, so muss er damit rechnen, dass die für seine Taten angemessene Jugendstrafe festgesetzt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO. Soweit die Entscheidung über die Verhängung der
Jugendstrafe ausgesetzt wurde, war die Kostenentscheidung vorzubehalten.
Beschluss:
Der Angeklagte wird für die Dauer der Bewährungszeit unter Bewährungsaufsicht gestellt. Bewährungshelfer ist Helmut Winter in Rosenheim.
Der Jugendliche erhält die Weisung, während der Bewährungszeit ohne Genehmigung seines Vaters
keine Gastwirtschaften zu besuchen, und die Auflage, sich binnen zwei Wochen nach Rechtskraft des
Urteils bei den Herren Münz, Freund und Laubscher, die er bestohlen hat, zu entschuldigen.
266
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
5. Urteil des Schwurgerichts
814
(Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe)
Der Angeklagte wird wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Seine Schuld wiegt besonders schwer.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Angewendete Vorschriften: §§ 211, 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB.
Gründe:
I.
1. (Schilderung des Lebenslaufs des Angeklagten)
2. Der Angeklagte ist bereits mehrfach vorbestraft:
2004 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je
40 EUR verurteilt; der Verurteilung lag zugrunde, dass er als »Aufseher« in einer Bar einen Gast, der
nichts mehr trinken wollte, unter Einsatz eines Schlagstockes ins Freie brachte.
Im Jahr 2005 wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von
acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte einen Streit
mit dem Geschäftsführer einer anderen Bar begonnen und im Verlaufe der Auseinandersetzung diesem
mit einer Gaspistole ins Gesicht geschossen. Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde später widerrufen; der Angeklagte hat die Strafe im Jahr 2006 vollständig verbüßt.
Bereits 14 Tage nach dieser Verurteilung wurde der Angeklagte erneut straffällig. Am Abend des 10. Juni
2005 hatte der Angeklagte wiederum Streit mit dem Besucher einer Bar, in der er damals angestellt
war. Dabei schlug er mit einem Schlagstock auf den Kunden ein, wodurch dieser erhebliche Kopfverletzungen erlitt, an deren Folgen er zwei Wochen später verstarb. Wegen dieser Tat wurde der Angeklagte
am 14. März 2007 wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und
sechs Monaten verurteilt. Diese Strafe verbüßte er bis zum 30. Mai 2011; der verbleibende Rest wurde
zur Bewährung ausgesetzt.
II.
Unmittelbar nach seiner Entlassung fand der Angeklagte eine Anstellung als Geschäftsführer einer
»Sauna«; Inhaber dieses Betriebes war Karl Adam, für den der Angeklagte bereits vor seiner Inhaftierung als »Aufseher« gearbeitet hatte. Bereits während der Angeklagte die Freiheitsstrafe verbüßte, war
Adam von seinem Konkurrenten Detlev Brücker, dem späteren Tatopfer, bedrängt worden, seine
Nachtbar und die Sauna aufzugeben. Hierbei war es zwischen diesen auch verschiedentlich – zuletzt
Anfang Dezember 2011 – zu körperlichen Auseinandersetzungen gekommen.
Nachdem Adam dem Angeklagten hiervon Anfang Januar 2012 erzählt hatte, nahm dieser die Idee des
Brücker auf und entschloss sich, selbst die Konkurrenz »auszuschalten«. Der Angeklagte überlegte
nunmehr, auf welchem Weg er dieses Ziel am besten erreichen könnte. Da Brücker über eine größere
»Organisation« verfügte und der Angeklagte deshalb Drohungen oder Einschüchterungen keine Erfolgsaussichten gab, kam er schließlich zu dem Ergebnis, dass allein der Tod des Brücker die Probleme
lösen würde; er entschloss sich, Brücker zu erschießen.
Am Abend des 16. Januar 2012 nahm er eine geladene Pistole und fuhr zum Haus des Brücker. Dort
versteckte er sich hinter der Garage und wartete. Brücker verließ gegen 22 Uhr gemeinsam mit seiner
Angestellten Korz das Haus. Als Brücker die Fahrzeugtüre geöffnet hatte, trat der Angeklagte aus dem
Schatten der Garage hervor. Erst jetzt bemerkte er, dass Brücker in Begleitung war. Gleichwohl verfolgte er seinen Plan weiter und gab hinter Brücker stehend aus einer Entfernung von ca. eineinhalb Meter
zwei Schüsse auf diesen ab, um ihn zu töten. Dabei nutzte der Angeklagte aus, dass Brücker mit keinem
Angriff rechnete und deshalb keine Verteidigungsmöglichkeit hatte. Die Schüsse trafen Brücker in den
Hinterkopf; an den dabei erlittenen Verletzungen verstarb er noch am Tatort.
Anschließend flüchtete der Angeklagte, konnte aber etwa zehn Minuten später festgenommen werden.
In seinem Fahrzeug wurde die Tatwaffe sichergestellt. Eine um 22.20 Uhr entnommenen Blutprobe
ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,0‰; die Untersuchung einer vom Angeklagten um
22.25 Uhr freiwillig abgegebenen Urinprobe ergab keine Hinweise auf die Einnahme von Medikamen-
267
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
ten oder Drogen. Das Steuerungs- oder Einsichtsvermögen des Angeklagten war zur Tatzeit nicht beeinträchtigt.
III.
Der Angeklagte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Die Feststellungen zur Vorgeschichte der Tat ergeben sich aus der Aussage des Zeugen Adam, der den Sachverhalt insoweit wie festgestellt wiedergegeben hat. Adam hat ferner bekundet, dass er dem Angeklagten kurz nach dessen Einstellung als Geschäftsführer von den Auseinandersetzungen mit Brücker berichtet habe. Einige Zeit später habe ihn
der Angeklagte gefragt, ob man nicht »den Spieß umdrehen« und selbst die Konkurrenz beseitigen
solle, um besser ins Geschäft zu kommen. Er habe dem aber keine weitere Bedeutung beigemessen. Für
das Gericht ergibt sich aus dieser Äußerung des Angeklagten jedoch der Beweggrund für die später von
diesem vorgenommene Tötung.
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, der mit dem Angeklagten seit Jahren gut bekannt und ihm
freundschaftlich verbunden ist, bestehen nicht. Auch wurden seine Angaben teilweise von unbeteiligten Zeugen bestätigt. So haben Helga Fricke, eine frühere Angestellte des Adam, sowie Gerhard Frost,
ein Kunde der Bar, bestätigt, dass sie Anfang Dezember 2011 bei einer Auseinandersetzung zwischen
Adam und Brücker anwesend waren. Zum Grund dieses Streits konnten sie jedoch keine Angaben machen.
Die Feststellungen zum unmittelbaren Tatgeschehen ergeben sich im Wesentlichen aus der Aussage
der Zeugin Korz. Diese hat glaubhaft bekundet, dass sie gesehen habe, wie der Angeklagte aus dem
Schatten der Garage hervorgetreten sei und von hinten aus kurzer Entfernung – etwa eineinhalb Meter
– zwei Schüsse auf Brücker abgegeben habe. Diese Aussage steht mit den Bekundungen des Polizeibeamten Gerhardt und den Ausführungen des Sachverständigen Sieber in Einklang, wonach der Fundort
der Geschoßhülsen mit einer Schussabgabe aus einer solchen Entfernung zum späteren Tatopfer vereinbar sei. Sie stimmt ferner mit den anlässlich der Obduktion des Brücker getroffenen Feststellungen
des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Laue überein, wonach todesursächlich zwei Schüsse in
den Hinterkopf waren. Weiterhin steht nach der Aussage des Polizeibeamten Schnell, der den vom
Angeklagten geführten Pkw durchsuchte, und den Ausführungen des Sachverständigen Sieber fest, dass
die dort sichergestellte Pistole diejenige war, aus der die tödlichen Schüsse abgegeben worden waren.
Auf dieser Grundlage hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte den Brücker getötet
und dabei dessen Arg- und Wehrlosigkeit erkannt und ausgenutzt hat.
Das Schwurgericht ist aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Erz
und Prof. Dr. Stein und der von ihm selbst in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen zur Tat
und zum Werdegang des Angeklagten sowie aufgrund des in der Hauptverhandlung vom Angeklagten
gewonnenen Eindrucks davon überzeugt, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
zur Tatzeit nicht vermindert war. Prof. Dr. Erz hat über die negativ verlaufenden Untersuchungen der
Blut- und Urinprobe berichtet; der Sachverständige Prof. Dr. Stein hat den Angeklagten umfassend
psychologisch und psychiatrisch untersucht. Hierbei ergaben sich keine Hinweise auf eine zur Tatzeit
beim Angeklagten bestehende Einschränkung der Schuldfähigkeit.
IV.
Der Angeklagte hat sich des Mordes (§ 211 StGB) schuldig gemacht; er hat Brücker heimtückisch und
aus niedrigen Beweggründen getötet. Heimtücke liegt vor, weil der Angeklagte sich der tatsächlich
bestehenden Arg- und Wehrlosigkeit des Brücker bewusst war und diese ausnutzte. Darüber hinaus
handelte er auch aus niedrigen Beweggründen; denn das Motiv des Angeklagten, die Konkurrenz »auszuschalten«, ist ein Beweggrund, der in seiner Nähe zur Habgier auf sittlich tiefster Stufe steht.
V.
Die Strafe für Mord ist lebenslange Freiheitsstrafe.
Außergewöhnliche Umstände, die die Verhängung dieser Strafe hier unvertretbar erscheinen lassen
könnten (vgl. BGH 30, 105), sind nicht ersichtlich.
Die Schuld des Angeklagten wiegt besonders schwer (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB): Zwar spricht insoweit zugunsten des Angeklagten, dass die Tat in einem entfernten Zusammenhang mit der von Brücker
versuchten Nötigung des Adam zum Verlassen der Stadt steht. Jedoch überwiegen die erschwerenden
Umstände die entlastenden bei weitem. Denn es handelte sich um eine sorgfältig geplante und nicht
268
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
etwa um eine in spontaner Erregung begangene Tat. Darüber hinaus hat der Angeklagte zwei Mordmerkmale erfüllt und sich bei der Tatausführung auch durch die von ihm unvorhergesehene Anwesenheit einer Zeugin nicht von seinem Vorhaben abbringen lassen. Entscheidend für die Bejahung der besonderen Schuldschwere ist jedoch die Persönlichkeit des Angeklagten, die deutliche Züge einer
kriminellen und das Leben und die körperliche Integrität anderer nicht beachtenden Einstellung zeigt.
Diese ergibt sich nicht nur aus der hier abgeurteilten Tat, sondern auch und in besonderem Maße aus
den Taten, die den Vorstrafen des Angeklagten zugrunde liegen. Die dort erkennbare ansteigende Tendenz der Bereitschaft des Angeklagten, andere körperlich zu schädigen, die nur kurze Zeit nach den
jeweiligen Vorverurteilungen begangenen neuen Taten und auch die fehlende Beeindruckung durch
eine längere Strafverbüßung und offene Bewährung, weisen auf eine kriminell verfestigte Persönlichkeit hin, die sich von der »normaler« Täter des § 211 StGB deutlich abhebt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.
6. Urteil des Strafrichters2
815
(Freispruch)
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
Gründe:
In der zugelassenen Anklage wurde dem Angeklagten eine Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug nach §§ 267, 263, 22, 52 StGB zur Last gelegt. Das Gericht hat ihn aus Rechtsgründen
freigesprochen.
1. Die Hauptverhandlung hat folgende Feststellungen ergeben:
Der Angeklagte stellte am 10. Mai 2012 ein Arbeitszeugnis über seine Tätigkeit bei der Firma Klein in
Dresden her, indem er auf die Rückseite eines mit seinem Namen versehenen Briefbogens den von ihm
selbst erstellten Text des Zeugnisses klebte und darunter eine von einem anderen Schreiben ausgeschnittene Unterschrift seines früheren Arbeitgebers Klein. An die rechte Längsseite des Briefbogens
klebte er den ebenfalls ausgeschnittenen Firmenaufdruck der Firma Klein. Von dem so erstellten für ihn
günstigen Zeugnis fertigte er Kopien, von denen er eine am 4. Juni 2012 seinen Bewerbungsunterlagen
bei der Firma Groß in Leipzig beigab, um bei dieser Firma eine Anstellung zu erhalten. Ein Angestellter
dieser Firma erkannte jedoch die Fälschung; der Angeklagte wurde nicht angestellt.
2. Die festgestellte Handlung des Angeklagten erfüllt nicht den Tatbestand der Urkundenfälschung.
Weder die Fotokopie, die der Angeklagte der Fa. Groß zu seiner Bewerbung vorgelegt hat, noch die
Vorlage, von der die Fotokopie gefertigt worden ist, sind Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB.
a) Eine Fotokopie, die nur als Fotokopie und nicht als Urschrift verwendet wird, ist keine Urkunde. Fotokopien fallen regelmäßig nicht in den Schutzbereich des § 267 StGB (BGH 24, 140). Einer Fotokopie
kommt nicht die Beweiskraft einer Urschrift zu. Sie vermittelt zwar das einigermaßen getreue Abbild
einer Urschrift, enthält jedoch lediglich die bildliche Wiedergabe der in einem anderen Schriftstück
verkörperten Erklärung (BGH 24, 140, 141). Nur die Prüfung der Urschrift erlaubt es, die Urkunde in
allen Einzelheiten und Besonderheiten vollständig wahrzunehmen und kritisch zu beurteilen; bloße
Fotokopien erfüllen diesen Zweck nicht (BGH 20, 17, 18).
Ausnahmsweise kann eine Fotokopie dann als Urkunde bewertet werden, wenn sie den Anschein einer
Urschrift erweckt und erwecken soll (BayObLGSt 1988, 30, 31 f.). Die subjektive Voraussetzung dieses
Ausnahmefalls ist jedoch nicht gegeben, denn der Angeklagte legt der Fa. Groß von dem von ihm manipulierten Schriftstück lediglich eine Kopie vor, ohne dass festgestellt werden konnte, dass er mit der
Fotokopie den Anschein einer Urschrift erwecken wollte.
2 Der Fall ist der Entscheidung des BayObLG wistra 1992, 279 = JR 1993, 299 mit Anm. Keller =
NStZ 1994, 88 mit Anm. Mitsch nachgebildet.
269
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
b) Auch die vom Angeklagten gefertigte Vorlage für die Kopie stellt keine Urkunde dar, weil sie nur zum
Fotokopieren geschaffen wurde. Die zum Zwecke des Fotokopierens zusammengeklebten Bestandteile
sind keine Urkunden (BGH bei Holtz MDR 1976, 813 bei gleich gelagertem Sachverhalt). Der auf die
Rückseite eines mit dem Namen des Angeklagten versehenen Briefbogens geklebte Text des »Zeugnisses« trägt keine Unterschrift, lässt also den Aussteller nicht erkennen. Der Streifen mit dem Firmenaufdruck der Fa. Klein und die ausgeschnittene Unterschrift von Klein enthalten für sich genommen
keine gedankliche Erklärung und haben deshalb nicht die Eigenschaft einer Urkunde.
Durch das Zusammenkleben der verschiedenen Teile entstand keine zusammengesetzte Urkunde, weil
es an der Eignung und Bestimmung fehlte, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. Dieses zusammengeklebte »Zeugnis« konnte nicht als Urschrift vorgelegt werden, weil es zu offensichtlich unecht war.
Der Angeklagte wollte es lediglich als Vorlage für Fotokopien nutzen. Wie grundsätzlich einem Entwurf
kommt auch der Fotokopiervorlage des Angeklagten mangels Beweisbestimmung keine Urkundenqualität zu. Damit entfällt auch die Erfüllung des Tatbestandes der Urkundenfälschung durch Gebrauchmachen einer Urkunde mittels Verwendens der Fotokopie.
3. Der Angeklagte hat sich durch die Vorlage der Fotokopie auch nicht des (versuchten) Anstellungsbetruges oder der versuchten Urkundenfälschung nach §§ 263 Abs. 1 und 2, 267, 22, 23 Abs. 1 StGB
schuldig gemacht, weil nicht erkennbar ist, dass er bei Abschluss eines Anstellungsvertrages mit der Fa.
Groß einen Schaden bewirkt hätte und weil er selbst nicht die Vorstellung hatte, die Kopie habe die
Bedeutung einer Urkunde.
4. Der Angeklagte war daher freizusprechen. Seine notwendigen Auslagen und die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO).
816 7. Urteil des Strafrichters
(Einstellung)
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Angeklagte, seine notwendigen Auslagen werden ihm nicht erstattet.
Für die erlittene Polizeihaft wird dem Angeklagten eine Entschädigung nicht gewährt.
Angewendete Vorschrift: § 77d StGB.
Gründe:
Der Angeklagte wurde in der zugelassenen Anklage vom 26.3.2013 des Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Körperverletzung gem. §§ 123, 223, 52 StGB beschuldigt, da er am 8.1.2013 widerrechtlich im
Grundstück des Gärtners Keim verweilt und diesem eine Ohrfeige versetzt habe, als er zum Verlassen
des Grundstücks aufgefordert wurde. Keim hatte am 9.1.2013 ordnungsgemäß Strafantrag gegen den
Angeklagten gestellt. Im Hauptverhandlungstermin hat Keim seinen Strafantrag zurückgenommen. Die
Staatsanwaltschaft hat ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (§ 232 StGB) nicht
bejaht. Gem. § 260 Abs. 3 StPO war das Verfahren daher mangels Vorliegen des zur Strafverfolgung
erforderlichen Strafantrags durch Urteil einzustellen.
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung bereit erklärt, die Kosten des Verfahrens zu tragen; er
hat auf Erstattung seiner notwendigen Auslagen verzichtet. Gem. § 470 S. 2 StPO wurden ihm daher
die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Der Angeklagte war am 8.1.2013 von der durch Keim herbeigerufenen Polizei vorläufig festgenommen
worden; er wurde erst am 9.1.2013 auf Weisung des Staatsanwalts wieder entlassen. Die vorläufige
Festnahme erfolgte, weil sich der Angeklagte nicht ausweisen konnte und sich zunächst geweigert
hatte, seine Personalien anzugeben. Das Gericht hat ihm daher eine Entschädigung für die erlittene
Polizeihaft gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG versagt.
270
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
8. Berufungsurteil der Strafkammer
817
(Verwerfung der Berufung)
Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 18.5.2012 wird auf
seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe:
a) Das Amtsgericht Augsburg hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen Widerstands
gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 113,
223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 22 StGB zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und die beantragte Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt. Es hat festgestellt, der Angeklagte habe am 30. Januar 2012 in
Augsburg den Gerichtsvollzieher Arndt und den zu seiner Unterstützung zugezogenen Schlosser Krause
tätlich angegriffen. Gegen die Verurteilung hat der Angeklagte Berufung eingelegt und seine Freisprechung beantragt. Die erneute Hauptverhandlung hat folgenden Sachverhalt ergeben:
(Schilderung des Lebenslaufs des Angeklagten)
Am 11. Januar 2012 pfändete Gerichtsvollzieher Arndt im Auftrag der Firma Fleck bei dem Töpfermeister Körner in Augsburg, Fuggerstr. 180, einen Schreibtisch und eine Sitzgarnitur. Er ließ die Pfandsachen
in der Wohnung des Schuldners zurück, nachdem er sie mit Siegelmarken versehen und seine Pfandanzeige an der Zimmertür befestigt hatte. Die Pfandsachen wurden indes – von wem, steht nicht fest –
etwa am 20. Januar aus dem Zimmer geschafft; in das nunmehr leere Zimmer stellte der in demselben
Hause wohnende Angeklagte einige seiner Sachen, wie eine Stereoanlage und einen Schrank. Am
29. Januar kam der Gerichtsvollzieher mit zwei Arbeitern, um die Pfandsachen zur Versteigerung abzuholen. Da er das Zimmer verschlossen fand, zog er zu seiner Unterstützung den Schlosser Krause zu
und ließ von ihm die Tür öffnen. Als er die Pfandsachen in dem Zimmer nicht vorfand, ließ er Krause
und die beiden Arbeiter, darunter Andreas Herzberg, mit der Weisung zurück, niemand hineinzulassen,
während er selbst sich daran machte, die übrigen Räume des Schuldners nach den Pfandstücken zu
durchsuchen. Alles dies hatte der Angeklagte vom Flur aus mit angesehen; es war ihm bekannt, dass
der Gerichtsvollzieher mit dem Schlosser und den beiden Arbeitern erschienen war, um die Pfandgegenstände bei Körner abzuholen. Kaum hatte sich der Gerichtsvollzieher entfernt, als der Angeklagte
mit einem Gummischlauch auf den Schlosser Krause losstürzte und ihn mit den Worten: »Ihr Bande,
was wollt ihr, die Sachen gehören mir« an der Schulter packte und aus dem Zimmer zu schieben versuchte. Wegen des Lärms erschien Gerichtsvollzieher Arndt wieder und ermahnte den Angeklagten zur
Ruhe. Dieser ließ von Krause ab und stürzte mit dem hocherhobenen Gummischlauch auf Arndt zu,
wurde aber sofort von den beiden Arbeitern gepackt und hinausgebracht.
b) Der Angeklagte räumt ein, er habe mit dem Gerichtsvollzieher einen Wortwechsel gehabt, bestreitet
jedoch, Krause angefasst und Arndt angegriffen zu haben. Er wird aber durch die glaubhaften Aussagen
des Gerichtsvollziehers Arndt, des Schlossers Krause und des Arbeiters Herzberg im Sinne der getroffenen Feststellungen überführt. Deren Aussagen werden dadurch nicht erschüttert, dass die Entlastungszeugen Brosche und Maschek die Angriffe nicht wahrgenommen haben wollen; denn beide standen
nicht im Zimmer, sondern auf dem Flur.
c) Der Gerichtsvollzieher Arndt ist ein zur Vollstreckung von Urteilen der Gerichte berufener Amtsträger. Er hat eine rechtmäßige Diensthandlung vorgenommen, als er die Pfandsachen zur Versteigerung
abholen wollte. Er hatte Krause zu seiner Unterstützung zugezogen. Alles dies war dem Angeklagten
bekannt. Er hat Krause und Arndt tätlich angegriffen, auch wenn er den beabsichtigten Schlag auf den
Gerichtsvollzieher nicht mehr ausführen konnte. Wenn er einwendet, er habe befürchtet, die Arbeiter
würden seine Sachen wegschaffen, und er habe sich gegen diesen rechtswidrigen Angriff. verteidigen
wollen, so steht dem entgegen, dass keiner seine Sachen angerührt und dass der Angeklagte vom Flur
aus die ganze Verhandlung verfolgt hatte, also genau wusste, dass niemand an die Wegnahme seiner
Möbel dachte. Der Angeklagte ist daher mit Recht vom Amtsgericht auf Grund der §§ 113 Abs. 1, 114
Abs. 2 StGB verurteilt worden.
Der Angeklagte hat sich ferner der versuchten gefährlichen Körperverletzung nach §§ 22, 223, 224
Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht. Er wollte den Gerichtsvollzieher mit dem Gummischlauch schlagen; der Gummischlauch ist als gefährliches Werkzeug anzusehen, denn er war nach seiner Beschaffen-
271
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
heit und der Art, wie ihn der Angeklagte benutzen wollte, geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Der Angeklagte ist von dem (unbeendeten) Versuch nicht strafbefreiend gemäß § 24 Abs. 1
StGB zurückgetreten, weil er die weitere Ausführung der Tat nicht freiwillig aufgegeben hat, sondern
hieran durch die beiden Arbeiter gehindert wurde.
d) Die zu verhängende Strafe ist dem gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des
§ 224 StGB zu entnehmen. Die Annahme eines minder schweren Falls kam nicht in Betracht. Der Angeklagte ist schon häufig, darunter zweimal wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (wird
näher ausgeführt), bestraft. Die bisherigen milden Strafen haben seinen offenbaren Hang zu Widersetzlichkeiten nicht zu brechen vermocht. Sein Hinweis auf die nachteiligen Folgen, die sich aus einer längeren Freiheitsentziehung für seine Familie ergeben würden, ist nur vorgeschoben. Denn er kümmert
sich überhaupt nicht um seine Familie, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich aus der Arbeitskraft
der Ehefrau bestreitet; sie bezeichnet ihn glaubhaft als einen dem Alkohol zuneigenden Müßiggänger.
Die Strafkammer hält deshalb auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Angeklagte zwei
Delikte tateinheitlich verwirklicht hat, ebenso wie das Amtsgericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe
von 5 Monaten für erforderlich. Die erwähnten besonderen Umstände, die in der Persönlichkeit des
Angeklagten liegen, machen die Verhängung der erkannten Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich (§ 47 Abs. 1 StGB).
Dem Angeklagten kann Strafaussetzung zur Bewährung nicht gewährt werden. Die Persönlichkeit des
Angeklagten, sein Vorleben und seine Einstellung zu seiner Tat lassen nicht erwarten, dass er sich schon
die Verurteilung zur Warnung dienen lassen werde (§ 56 Abs. 1 StGB).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
818 9. Berufungsurteil der Strafkammer
(Aufhebung des Ersturteils und Verurteilung)
Auf die Berufung des Nebenklägers wird das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 5. Juni 2012 aufgehoben.
Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu
40 EUR verurteilt.
Er hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen.
Angewendete Vorschriften: §§ 229, 230 StPO.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 5. Juni 2012 von der Anklage der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers Rudolf Baumann freigesprochen worden.
Gegen dieses Urteil hat der Nebenkläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Ziel, die
Verurteilung des Angeklagten herbeizuführen. Die Berufung ist zulässig und begründet.
II.
Die Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht zu folgenden Feststellungen geführt:
(Es folgen Schilderungen zum Lebenslauf des Angeklagten).
Der Angeklagte fuhr am 6. Februar 2012 mit seinem Kraftfahrzeug (Opel) von Pforzheim nach Birkenfeld. Kurz vor Birkenfeld kam ihm der Landwirt Baumann (Nebenkläger) auf dem Fahrrad entgegen:
Baumann fuhr verkehrswidrig auf der linken Straßenseite und hatte seinen Kopf gesenkt, achtete also
nicht auf den Verkehr. Der Angeklagte fuhr, ohne ein Warnzeichen zu geben, mit einer Geschwindigkeit
von 35 km weiter und wich nach links aus, um an dem Radfahrer links vorbeizufahren. Kurz bevor beide
Fahrzeuge in gleicher Höhe waren, bemerkte der Radfahrer das Fahrzeug des Angeklagten und versuchte, noch vor ihm die rechte Straßenseite zu gewinnen. Dabei wurde er am hinteren Teil des Fahrrads
vom linken vorderen Kotflügel des Opel erfasst; er stürzte zu Boden. Dabei erlitt er eine schwere Gehirnerschütterung, einen Rippenserienbruch und einen Bruch des rechten Oberschenkels; er war drei
272
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
Wochen in stationärer Behandlung und anschließend noch vier Wochen arbeitsunfähig. Das Fahrrad
wurde stark beschädigt.
III.
Wenn somit das Berufungsgericht hinsichtlich des Sachverhalts zum gleichen Ergebnis gelangt wie das
Amtsgericht, so konnte es doch dessen rechtliche Würdigung nicht teilen.
Das Verhalten des Angeklagten kurz vor und im Augenblick des Zusammenstoßes kann ihm allerdings
nicht vorgeworfen werden. Seine Schuld liegt aber in seinem früheren Verhalten. Es ist ein Grundsatz
der Straßenverkehrsordnung, dass ein Verkehrsteilnehmer sich auf der rechten Seite der Fahrbahn zu
halten hat (§ 2 Abs. 1 S. 1 StVO). Dies hat der Angeklagte zunächst auch getan. Da aber der Radfahrer
ihm auf der falschen Seite entgegenkam, ergab sich daraus eine Gefährdung des Radfahrers, die den
Angeklagten, auch wenn er mit seiner Fahrweise im Recht und der andere im Unrecht war, verpflichtete, diesen durch Warnzeichen aufmerksam zu machen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 StVO). Diese Verpflichtung
wäre allenfalls entfallen, wenn der Angeklagte sichere Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass der Radfahrer ihn bereits bemerkt hatte. Dies war aber nicht der Fall. Der Radfahrer fuhr nach der Angabe des
Angeklagten mit gesenktem Kopf, hatte offensichtlich wegen des herannahenden Gewitters große Eile
und beobachtete den herankommenden PKW des Angeklagten gar nicht. Die Annahme des Angeklagten, der Radfahrer Baumann habe ihn gesehen oder mindestens gehört, war daher ein Trugschluss.
Hätte der Angeklagte rechtzeitig Warnzeichen gegeben, so wäre der Unfall vermieden worden.
Der Angeklagte wollte aber nicht der Straßenverkehrsordnung entsprechend auf der rechten Seite
weiterfahren und notfalls anhalten, sondern steuerte seinen Wagen, um dem Radfahrer auf der linken
Seite auszuweichen, nach links, wo er mit einer Geschwindigkeit von etwa 35 km/h weiterfuhr. Auch
dieses Verhalten verstieß gegen die Straßenverkehrsordnung. Grundsätzlich hat jeder Verkehrsteilnehmer die rechte Straßenseite einzuhalten und rechts auszuweichen; ist dies nicht möglich, hat er anzuhalten. Wenn er aber glaubt, dem Rechtsfahren stünden besondere Gründe entgegen, wie hier das
vorschriftswidrige Fahren des entgegenkommenden Radfahrers, so muss er besondere Vorsicht walten
lassen, wenn er von der Verkehrsregel abweicht. Insbesondere folgt aus dieser besonderen Verkehrslage
die Pflicht, so langsam zu fahren, dass er notfalls sofort anhalten kann, um einen Zusammenstoß zu
vermeiden (§ 3 Abs. 1 StVO). Denn wenn auch grundsätzlich nicht ohne weiteres mit unrichtigem Verhalten anderer gerechnet werden muss, so doch dann, wenn ein besonderer Anlass dazu besteht. Dies
war hier der Fall, da sich nach allgemeiner Erfahrung aus dem bisherigen verkehrswidrigen Verhalten
des Radfahrers die Befürchtung ergab, er werde sich auch weiterhin mindestens unzweckmäßig verhalten, und nicht auszuschließen war, er werde weiter auf der linken Seite bleiben, wie es dann auch tatsächlich geschah.
Hätte der Angeklagte diese Regeln beachtet, wäre der Unfall vermieden worden; der Umstand, dass sie
nicht beachtet wurden, war daher für den Zusammenstoß ursächlich. Diese Regeln musste der Angeklagte als erfahrener Kraftfahrer auch kennen; ihre Beachtung wäre ihm nach Sachlage leicht möglich
gewesen. Sein Verhalten war daher fahrlässig; denn fahrlässig handelt, wer eine Handlung aus Mangel
an Sorgfalt begeht, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen Verhältnissen fähig ist.
Der Angeklagte ist daher der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 229 StGB schuldig. Strafantrag ist
form- und fristgerecht gestellt.
IV.
Beim Strafmaß war zu berücksichtigen, dass nach der mangels Tatzeugen zugrunde zu legenden Darstellung des Angeklagten – Baumann hat an das Unfallgeschehen keine Erinnerung – den Verletzten
eine sehr erhebliche Mitschuld an dem Unfall trifft und dass dauernde nachteilige Folgen für ihn nicht
zu erwarten sind. Gegenüber dem nicht vorbestraften Angeklagten konnte daher eine nicht zu hohe
Geldstrafe verhängt werden, die in Höhe von 30 Tagessätzen angemessen erschien. Der ledige Angeklagte, der von Beruf kaufmännischer Angestellter ist, hat zu seinen persönlichen Verhältnissen keine
Angaben gemacht. Nach der Erfahrung des Gerichts verdienen kaufmännische Angestellte aber mindestens 1.200 EUR netto monatlich, so dass die Höhe des Tagessatzes auf 40 EUR festgesetzt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 472 Abs. 1 S. 1 StPO.
273
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
819 10. Berufungsurteil der Strafkammer
(Teilfreispruch)
I. Auf die Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 15.1.2013 aufgehoben, soweit die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist.
II. Insofern wird die Angeklagte freigesprochen.
III. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen der Angeklagten im ersten Rechtszug zu tragen, soweit die Angeklagte freigesprochen worden ist; ferner fallen ihr die Kosten
des Berufungsverfahrens einschließlich der der Angeklagten dort entstandenen notwendigen Auslagen
zur Last.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht München verurteilte die Angeklagte mit Urteil vom 15.1.2013 wegen zweier fahrlässig
begangener Ordnungswidrigkeiten nach §§ 41 Abs. 2, 1 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG in Tatmehrheit mit
einem Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu Geldbußen von 20 und 40 EUR und zu
einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen, wobei ein Tagessatz auf 30 EUR festgesetzt wurde, und legte der
Angeklagten die Kosten des Verfahrens auf. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte mit einem am
16.1.2013 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und die Berufung auf die Verurteilung wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort beschränkt; sie hat beantragt, sie insoweit freizusprechen.
Die Berufungsbeschränkung ist zulässig. Die auf das Vergehen nach § 142 StGB beschränkte Berufung
ist zulässig und begründet.
II.
Durch die wirksame Berufungsbeschränkung steht rechtskräftig fest, dass die Angeklagte am
18.10.2012 gegen 17.45 Uhr infolge Unachtsamkeit mit ihrem Pkw in die nördliche Fahrbahn der Blumenstraße in München in westlicher Richtung einfuhr, obwohl diese Fahrbahn für Fahrzeuge aller Art
gesperrt ist. Infolge Unachtsamkeit stieß die Angeklagte, als sie aus der Straße wieder herausfahren
wollte, gegen den dort verkehrswidrig geparkten Pkw des Herbert Höcher; sie entfernte sich dann von
der Unfallstelle.
Der Angeklagten lag ein Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 StGB zur
Last, weil sie nach dem Unfall weder Feststellungen zu ihrer Person noch zu ihrem Fahrzeug ermöglicht
und sich unberechtigt vom Unfallort entfernt habe. Die Angeklagte war von diesem Vorwurf aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
Die Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, sie habe nicht bemerkt, dass sie an dem Pkw des
Herbert Höcher einen Schaden verursacht habe. Diese Einlassung war der Angeklagten nicht zu widerlegen:
Sämtliche vernommenen Zeugen haben übereinstimmend erklärt, dass der Schaden nur bei näherem
Hinsehen feststellbar gewesen sei. Aus einer Entfernung von nur wenigen Metern habe man die Eindellung an dem dunklen Fahrzeug nicht feststellen können. Der Zeuge Wied, der in der ersten Instanz
nicht vernommen worden war, hat bekundet, dass während des ganzen Vorfalles der Motor seines
lauten Feuerwehrfahrzeuges gelaufen sei. Er selbst habe deswegen von einem Anstoß nichts gehört.
Damit kann auch der Angeklagten nicht nachgewiesen werden, dass sie den Anstoß hätte hören müssen und gehört hat. Die Zeugen Harr und Wied haben zwar ausgesagt, dass das angefahrene Fahrzeug
gewackelt habe. Dies konnte die Angeklagte aber nur bemerken, wenn sie sich in dem Augenblick umgedreht oder in den Rückspiegel geschaut hätte. Auch das ließ sich der Angeklagten nicht nachweisen.
Die Angeklagte war nach den übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen deswegen, weil sie in die
falsche Straße gefahren war, sehr aufgeregt und verstört. Auch dies spricht dafür, dass die Angeklagte
den Schaden in der Tat nicht bemerkt hat, zumal es merkwürdig wäre, wenn sich die Angeklagte in
Anwesenheit von mehreren Tatzeugen entfernen und glauben würde, man könne ihre Identität nicht
feststellen.
Soweit das Amtsgericht im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, die Angeklagte habe aus ihrem Fahrzeug aussteigen und sich überzeugen müssen, ob sie an dem anderen Fahrzeug nicht doch einen Scha-
274
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
den verursacht habe, kann das Landgericht aus rechtlichen Gründen dieser Auffassung nicht folgen. Ein
Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 StGB begeht nur derjenige, der sich
einen nicht ganz belanglosen Schaden mindestens als möglich vorstellt (vgl. Fischer, StGB 60. Aufl.,
§ 142 Rn. 38); wer aber – wie die Angeklagte – mit einem solchen Schaden gar nicht rechnet, hat auch
nicht den für § 142 StGB erforderlichen Vorsatz.
Die Angeklagte ist daher insoweit unter Überbürdung der Kosten des Verfahrens und der ihr entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse (§§ 464 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO) freizusprechen.
11. Urteil des Bundesgerichtshofs
820
(Aufhebung und Freispruch)
2 StR 226/13
IM NAMEN DES VOLKES!
Urteil
vom
20. Februar 2013
in der Strafsache gegen
Karl-Wilhelm Freiherr von und zu Worms aus Frankfurt, geb. am 6.Februar 1957 in Fritzlar,
wegen des Verdachts mittelbarer Falschbeurkundung.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 20. Februar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am BGH Dr. A als Vorsitzender,
Richter am BGH B, C, D und E als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim BGH F als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Z aus Frankfurt am Main als Verteidiger,
Justizangestellter H als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juni
2013 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen mittelbarer Falschbeurkundung zu einer Geldstrafe von
180 Tagessätzen zu je 80 EUR verurteilt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision
des Angeklagten hat in vollem Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der ehemalige Mitangeklagte Helmut Schmitt, der
sich aus Geltungssucht bereits unberechtigterweise einen Ehrendoktortitel verschafft hatte, den einen
Adelstitel enthaltenden Namen des Angeklagten erwerben und sich zu diesem Zweck vom Angeklagten und seiner Ehefrau adoptieren lassen. Gemeinsam betrieb man das Verfahren zur Volljährigenadoption. In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Amtsgericht, welches Bedenken an einem
Eltern-Kind-Verhältnis im Hinblick auf den geringen Altersunterschied zwischen dem Angeklagten und
Schmitt geäußert hatte, machte der Angeklagte wahrheitswidrige Angaben (u.a.) über den Zeitpunkt
des gegenseitigen Kennenlernens und das Verhältnis zu Schmitt. Das Amtsgericht erließ daraufhin
einen Adoptionsbeschluss, in dem Schmitt von dem Angeklagten und dessen Ehefrau als Kind angenommen wurde und den Namen des Angeklagten erhielt. Nachfolgend wurden die Änderungen des
Personenstandes in den Personenstandsbüchern des Standesamtes, in Einwohnermelderegistern und
im Personalausweis des Schmitt veranlasst.
2. Die Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge hin in vollem Umfang Erfolg.
275
Urteile – 6. Abschnitt. Beispiele
a) Die Verurteilung wegen mittelbarer Falschbeurkundung gemäß § 271 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Eine falsche Beurkundung i.S.d. § 271 StGB hat der Angeklagte nicht bewirkt. Zwar waren seine Angaben zum Zeitpunkt des Kennenlernens des Schmitt und zum gegenseitigen Verhältnis in der gegenüber
dem Vormundschaftsgericht abgegebenen Stellungnahme falsch. Diese Angaben wurden jedoch nicht
in einer öffentlichen Urkunde, die mit Beweiskraft für und gegen jedermann ausgestattet ist, öffentlichen Büchern, Dateien oder Registern beurkundet.
In den Personenstandsbüchern, die grundsätzlich öffentliche Bücher sind (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl.,
2013, § 271 Rn. 7), werden der Umstand der Annahme an Kindes statt und die Namensänderung unter
Hinweis auf den Adoptionsbeschluss und die mitgeteilten Gesetzesvorschriften eingetragen (vgl.
§§ 15 Abs. 1 Nr. 2; 30 PStG), nicht jedoch die tatsächlichen Hintergründe der Adoption. Im Personalausweis und im Melderegister – dessen Eigenschaft als öffentliches Register fraglich ist (vgl. AG Bremen
NStZ-RR 2005, 341, 342; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013 Rn. 8) – kam ohnehin nur die Namensänderung
zum Tragen. Die darin beurkundeten Tatsachen sind aber zutreffend, da ein wirksamer Adoptions- und
Namensänderungsbeschluss vorliegt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser etwa nichtig ist.
Soweit möglicherweise falsche Angaben über das Eltern-Kind-Verhältnis in den Entscheidungsgründen
des Adoptionsbeschlusses erwirkt wurden, scheidet eine Strafbarkeit nach § 271 StGB ebenfalls aus.
Dabei kann hier dahinstehen, ob der Adoptionsbeschluss – was das Urteil nicht mitteilt – überhaupt
Gründe enthielt (vgl. § 38 Abs. 3 u. 4 FamFG; dazu: MünchKomm-BGB/Maurer 6. Aufl., 2012, § 1752
Rn. 32). Jedenfalls nehmen eventuelle Entscheidungsgründe nicht an dem besonderen öffentlichen
Glauben teil. Sie sind nicht mit Beweiskraft für und gegen jedermann ausgestattet. § 271 StGB bezieht
sich nicht auf die Richtigkeit der Angaben zur Sache in einer gerichtlichen Entscheidung (vgl. MünchKomm-StGB/Freund 2. Aufl., 2014, § 271 Rn. 29 f.; Schönke/Schröder/Cramer/Heine, StGB, 28. Aufl.
2010, § 271 Rn. 23). Richterliche Entscheidungen verfolgen nicht den Zweck, Tatsachen festzustellen
sondern Recht zu sprechen. Die Feststellung von Tatsachen ist nur Mittel zu diesem Zweck (RG 24,
308, 312).
b) Da eine Verwirklichung anderer Straftatbestände nicht ersichtlich ist, mithin lediglich ein Rechtsfehler bei der Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen gegeben ist
und weitere, den Angeklagten belastende Feststellungen auszuschließen sind, spricht der Senat den
Angeklagten gemäß § 354 Abs. 1 StPO frei.
276
2. Teil. Die Abfassung von Beschlüssen
I. Entscheidung durch Beschluss
1. Urteil und Beschluss
Die Hauptverhandlung schließt grundsätzlich mit der Verkündung eines Urteils, 821
das auf Verurteilung, Freisprechung oder Einstellung lauten kann. Eine Hauptverhandlung kann jedoch auch durch Beschluss beendet werden. Beschlüsse, die in der
Hauptverhandlung erlassen werden können und das Verfahren endgültig abschließen,
sind Einstellungen durch jedes erkennende Gericht nach § 153 Abs. 2 StPO wegen
Geringfügigkeit und nach § 153e Abs. 2 StPO durch das Oberlandesgericht bei tätiger Reue in Staatsschutzsachen. Hierher müssen ferner die Einstellungen nach §§ 154
Abs. 2 und 154b Abs. 4 StPO gerechnet werden; denn obwohl das Gesetz diese Einstellungen als »vorläufig« bezeichnet, handelt es sich in Wahrheit um endgültige Einstellungen, da das Verfahren durch den Einstellungsbeschluss beendet ist und lediglich eine Wiederaufnahme – wie auch bei rechtskräftigen Urteilen – auf Grund eines
Gerichtsbeschlusses gem. § 154 Abs. 5 StPO möglich ist (BGH NStZ-RR 2012, 159).
Demgegenüber sind die Einstellungen, die in der Hauptverhandlung durch Be- 822
schluss nach §§ 153a Abs. 2, 154e Abs. 2, 205 StPO erfolgen, nur vorläufig. Im Fall
des § 153a StPO ist nach Erfüllung der angeordneten Auflagen und Weisungen eine
endgültige Einstellung durch einen außerhalb einer Hauptverhandlung ergehenden
Beschluss (der eine Kosten- und Auslagenentscheidung gem. § 467 Abs. 1, 5 StPO
enthält), bei Nichterfüllung eine Fortsetzung des Verfahrens durch Anberaumung
einer neuen Hauptverhandlung notwendig. Auch die Aussetzung einer Hauptverhandlung nach § 228 Abs. 1 S. 1 1. Alt. StPO oder nach § 262 Abs. 2 StPO erfolgt
durch Beschluss und macht eine neue Hauptverhandlung zu einem späteren Zeitpunkt erforderlich.
Hält sich das Gericht nach Beginn der Hauptverhandlung für sachlich unzuständig, 823
weil ein höheres Gericht zuständig sei, so ergeht in der Hauptverhandlung ein Verweisungsbeschluss nach § 270 StPO; lediglich in der Berufungsverhandlung wird ein
Verweisungsurteil gem. § 328 Abs. 2 StPO erlassen, das zugleich das angefochtene
Urteil aufzuheben hat. Kommt der erkennende Spruchkörper in der Hauptverhandlung auf den Einwand des Angeklagten zu dem Ergebnis, ein höherrangiger (§§ 74e
GVG, 103 Abs. 2 S. 2 JGG) Spruchkörper des gleichen Gerichts sei zuständig, so
verweist er die Sache durch Beschluss nach §§ 270 Abs. 1 S. 2, 6a StPO an diesen. Das
Gleiche gilt, wenn das Erwachsenengericht die Zuständigkeit des Jugendgerichts für
gegeben erachtet (näher dazu oben Rn. 650).
Durch Rücknahme der öffentlichen Klage kann eine Hauptverhandlung in der Re- 824
gel wegen § 156 StPO nicht beendet werden. Eine Ausnahme besteht nur in den Fällen der §§ 153c Abs. 3, 4 und 153d Abs. 2 StPO; hier hat das Gericht dann nur noch
außerhalb der Hauptverhandlung auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten eine Auslagenentscheidung zu treffen (§ 467a StPO).
Zwischenentscheidungen des Gerichts ergehen in der Hauptverhandlung stets durch 825
Beschluss; Grund- oder Teilurteile wie im Zivilprozess sind dem Strafverfahren
277
Beschlüsse
fremd. Als solche in der Hauptverhandlung ergehende Beschlüsse kommen insbesondere in Betracht: Beschlüsse über Ablehnungsanträge (§§ 26a, 27 StPO), Ordnungsmittelbeschlüsse (§§ 51, 70, 77 StPO, 177, 178 GVG), Entscheidungen über die
Zulässigkeit einer Frage (§ 242 StPO), Ablehnung von Beweisanträgen (§ 244 Abs. 6
StPO), Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer (§§ 231b, 231c, 247
StPO), Verlesung von Protokollen (§ 251 StPO).
826 Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, dürfen niemals als
Urteil erlassen werden, auch wenn sie urteilsähnliche Wirkungen haben. Das gilt vor
allem für die an Stelle eines Einstellungsurteils nach § 260 Abs. 3 StPO beschlossene
Einstellung nach § 206a StPO, für die an die Stelle eines Freispruchs tretenden Entscheidungen nach §§ 206b, 371 StPO (zu letzteren vgl. BGH 8, 383; 14, 66) und für
den ein Urteil ersetzenden und den gleichen Anforderungen wie ein Urteil unterliegenden Beschluss nach § 72 OWiG (dazu oben Rn. 795 ff.).
Nicht urteilsähnliche Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung erlassen
werden, sind beispielsweise folgende Beschlüsse: Anordnung der Unterbringung des
Beschuldigten (§ 81 StPO), der körperlichen Untersuchung des Beschuldigten (§ 81a
StPO) oder anderer Personen (§ 81c StPO), Durchsuchung (§ 105 StPO) und Beschlagnahme (§§ 100, 111e StPO), vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und vorläufiges Berufsverbot (§§ 111a, 132a StPO), Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
(§ 46 StPO), Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung oder nachträgliche Änderung von Bewährungsbeschlüssen (§§ 56e, f StGB), Eröffnungsbeschluss (§ 207
StPO) und Nichteröffnung des Hauptverfahrens (§ 204 StPO), Entscheidungen nach
§§ 153 ff. StPO.
827 Sonderformen gerichtlicher Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung sind
der Erlass eines Haft- oder Unterbringungsbefehls (§§ 114, 126a StPO) und der Strafbefehl (§§ 407 ff. StPO). Die Ablehnung eines beantragten Strafbefehls (§ 408 Abs. 2
StPO) erfolgt wie die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch Beschluss. Damit nicht zu verwechseln ist die Anberaumung einer Hauptverhandlung
durch den Strafrichter, wenn dieser Bedenken hat, ohne Hauptverhandlung zu entscheiden (§ 408 Abs. 3 StPO): In diesem Fall darf der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nicht abgelehnt werden; es ist auch kein Beschluss des Gerichts erforderlich.
Vielmehr wird der Hauptverhandlungstermin angesetzt und dem Angeschuldigten
zugleich mit der Ladung der Strafbefehlsantrag ohne die beantragten Rechtsfolgen
mitgeteilt (§ 408 Abs. 3 S. 3 StPO).
828 In der Rechtsmittelinstanz wird die zulässige Berufung grundsätzlich durch Urteil
nach § 328 StPO erledigt (zu den Besonderheiten bei einer Annahmeberufung vgl.
§ 322a StPO). Demgegenüber entscheiden die Revisionsgerichte überwiegend durch
Beschluss nach § 349 StPO, seltener durch Urteil nach § 353 StPO. Beschlüsse, die
ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfen, sind in §§ 319, 322, 346, 349 Abs. 1 StPO
vorgesehen. Für die außerhalb der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidungen
der Rechtsmittelgerichte gelten im Übrigen keine Besonderheiten.
2. Beschluss und Verfügung
829 Die Kollegialentscheidungen – also diejenigen des gesamten Spruchkörpers – in und
außerhalb der Hauptverhandlung ergehen (mit Ausnahme des Urteils) stets durch
Beschluss. Die vom Vorsitzenden des Kollegialgerichts, dem Strafrichter, dem Richter
278
II. Inhalt des Beschlusses
im Vorverfahren, dem beauftragten oder dem ersuchten Richter erlassenen Entscheidungen und Anordnungen können Beschlüsse oder Verfügungen sein. Die Strafprozessordnung gibt hier keine Definitionen, die Unterscheidung kann im Einzelfall
schwierig sein. Der Strafrichter hat alle die Entscheidungen als Beschlüsse zu bezeichnen, die – wenn ein Kollegialgericht zuständig wäre – vom Kollegium erlassen
werden müssten. Die Übrigen vom Vorsitzenden oder dem allein entscheidenden
Richter getroffenen Entscheidungen sind Verfügungen. Hierzu zählen Terminbestimmung und Ladungsanordnung (§§ 213 f. StPO), sitzungspolizeiliche Maßnahmen
nach § 176 GVG, die Bestellung von Pflichtverteidigern bzw. deren Abberufung nach
§§ 141, 143 StPO, Belehrungen und Hinweise an Prozessbeteiligte, sowie die im
Rahmen der Prozessleitung nach § 238 Abs. 1 StPO getroffenen Anordnungen.
Die Unterscheidung zwischen Beschluss und Verfügung ist ohne praktische Bedeutung, da sowohl Beschlüsse als auch Verfügungen nach § 304 Abs. 1 StPO der Anfechtung durch die Beschwerde unterliegen, soweit diese nicht nach §§ 304 Abs. 3, 4,
305 StPO ausgeschlossen ist. Verfügungen des Vorsitzenden, die nur die formelle Leitung der Hauptverhandlung betreffen (etwa die Reihenfolge der Vernehmung der
geladenen Zeugen oder die Entlassung von Zeugen nach § 248 StPO), sind grundsätzlich unanfechtbar, es sei denn, die Maßnahme ist im konkreten Einzelfall rechtlich
unzulässig oder kann auf die zu treffende Entscheidung Einfluss haben; dann kann –
wie gegen Maßnahmen der Sachleitung – nach § 238 Abs. 2 StPO die Entscheidung
des Gerichts angerufen werden. § 238 Abs. 2 StPO gilt auch für den Strafrichter
(Meyer-Goßner § 238 Rn. 18); dieser entscheidet dann über die beanstandete Maßnahme durch einen in das Protokoll aufzunehmenden Beschluss, der in der Revision
unter dem Gesichtspunkt des § 338 Nr. 8 StPO gerügt werden kann.
II. Inhalt des Beschlusses
Der Beschluss besteht – ähnlich wie das Urteil – aus Rubrum, Tenor, Gründen und 830
Unterschriften. Allerdings gelten hier nicht die gleichen strengen Regeln wie beim
Urteil. Die Strafprozessordnung beschränkt sich auf die Forderung, dass die Entscheidung mit Gründen zu versehen sei, wenn sie mit Rechtsmitteln anfechtbar ist
oder durch sie ein Antrag abgelehnt wird (§ 34). Vorschriften über die Abfassung von
Beschlüssen gibt es im Übrigen nicht. Die Gestaltung der Beschlüsse hat sich aus der
Praxis der Gerichte durch die sachliche Notwendigkeit des Erlasses verständlicher
und überzeugender Entscheidungen entwickelt. Im Einzelnen gilt dazu folgendes:
1. Rubrum
Der Beschluss enthält einen Eingang, in dem das Aktenzeichen, das entscheidende 831
Gericht unter Angabe des Spruchkörpers, die Bezeichnung desjenigen, gegen den das
Strafverfahren anhängig ist, eine kurze Bezeichnung des Verfahrensgegenstandes, sowie der Tag der Entscheidung mitgeteilt wird. Es lautet also etwa:
In der Strafsache gegen . . ., wegen . . ., hat die 5. Strafkammer des Landgerichts Erfurt am . . . beschlossen:
Als Datum der Entscheidung ist der Tag der Beschlussfassung durch die mitwirkenden Richter anzugeben. Im Gegensatz zum Urteilseingang werden die Namen der an
der Entscheidung beteiligten Richter im Rubrum nicht aufgeführt.
279
Beschlüsse
2. Tenor
832 Der Beschluss muss in jedem Fall einen Entscheidungssatz enthalten. Aus ihm muss
sich klar und eindeutig die getroffene Entscheidung ergeben. Eine Begründung der
Entscheidung ist hier fehl am Platz (zum Zusammenzug von Tenor und Gründen
siehe aber unten Rn. 836). In Betracht kommen die Anordnung einer Maßnahme
oder die Ablehnung eines Antrages. Es ist möglichst mit den Worten des Gesetzes zu
formulieren, also beispielsweise bei der Richterablehnung (§§ 27 f. StPO):
Die Ablehnung des Richters X wird als unbegründet verworfen.
oder
Die Ablehnung des Richters X wird für begründet erklärt.
oder bei § 111a StPO:
Dem Beschuldigten wird die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.
oder bei Ablehnung eines Beweisantrages (§ 244 Abs. 6 StPO):
Der Antrag auf Vernehmung der Zeugen Y und Z wird abgelehnt, da die zu beweisende Tatsache für
die Entscheidung ohne Bedeutung ist.
oder im Fall des § 56f StGB:
Die für die im Urteil des Amtsgerichts München vom 7.2.2013 verhängte Freiheitsstrafe von
7 Monaten bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung wird widerrufen.
Soweit eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO erfolgt, ist es üblich, die angewendete
Vorschrift im Beschluss zu bezeichnen, da hier wegen der Unanfechtbarkeit der Entscheidung eine nähere Begründung nicht gegeben wird. So heißt es:
Das Verfahren wird gem. § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
Aber bei einer Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO muss formuliert werden:
Das Verfahren wird gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, da die hier zu erwartende Strafe neben der
im Verfahren 241 Js 12 789/12 der Staatsanwaltschaft München I zu erwartenden Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würde.
Zur Fassung des Tenors im Eröffnungsbeschluss oder bei Ablehnung der Eröffnung
siehe unten Rn. 853 ff.
833 Soweit erforderlich, muss in den Tenor auch eine Kosten- und Auslagenentscheidung, sowie gegebenenfalls eine Entscheidung über die Entschädigung für erlittene
Strafverfolgungsmaßnahmen (§§ 2 Abs. 1, 3, 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG) aufgenommen
werden. Das ist bei den »eine Untersuchung einstellenden« (§ 464 Abs. 1 StPO), also
den verfahrensbeendenden Beschlüssen, notwendig, z.B. bei einstellenden Beschlüssen nach §§ 153 Abs. 2, 153b Abs. 2, 153e Abs. 2, 154 Abs. 2 (BGH NStZ-RR 2012,
159), § 154b Abs. 4, 206a, 206b, 383 Abs. 2 StPO, sowie bei der endgültigen Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO. Hatte sich dem Verfahren ein Nebenkläger angeschlossen, so ist im Falle der Einstellung des Verfahrens auch gem. § 472 StPO zu
entscheiden, ob der Angeschuldigte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers
ganz oder teilweise zu tragen hat; der Staatskasse dürfen die Kosten der Nebenklage
nie auferlegt werden.
280
II. Inhalt des Beschlusses
Bei Tod des Angeklagten vor Rechtskraft wird das Verfahren nach § 206a StPO ein- 834
gestellt. Der Beschluss ist mit einer Kosten- und Auslagenentscheidung zu versehen;
die Kosten des Verfahrens trägt gemäß § 467 Abs. 1 StPO die Staatskasse, für die
Auslagenentscheidung gilt § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO (BGH 45, 108; Rn. 140, 657).
Zur Kostenentscheidung bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens siehe unten Rn. 856, bei der Beschwerdeentscheidung siehe unten Rn. 874.
Wird einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben, so ist 835
eine Kostenentscheidung nur hinsichtlich der Auslagen von Bedeutung, da eine besondere Gerichtsgebühr für das Wiedereinsetzungsverfahren nicht erhoben wird. Es
sind somit dem Antragsteller die durch das Wiedereinsetzungsverfahren entstandenen Auslagen in dem die Wiedereinsetzung gewährenden Beschluss aufzuerlegen,
soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden
sind (§ 473 Abs. 7 StPO); sonst muss sie der Gegner tragen. Dieser Fall kommt aber
praktisch fast nie vor. Der Antragsteller muss die Auslagen tragen, auch wenn er später freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Soweit das Gericht
den Wiedereinsetzungsantrag verwirft, ist eine Kosten- und Auslagenentscheidung
nicht erforderlich, da die hierdurch verursachten Kosten zu den dem Antragsteller
bereits durch die vorangegangene Entscheidung gem. § 465 Abs. 1 StPO auferlegten
Kosten gehören, also von dieser Entscheidung mitumfasst werden (KG JR 1983, 214).
3. Gründe
Da der Beschluss nach dem Akteninhalt ergeht, auf diesem beruht und ihn als be- 836
kannt voraussetzen darf, ist es im Gegensatz zum Urteil nicht erforderlich, dass die
Beschlussgründe aus sich heraus verständlich sind. So wird bei erstinstanzlichen Beschlüssen (anders bei Beschwerdeentscheidungen, dazu unten Rn. 875) auf die Wiedergabe des Sachverhalts verzichtet; es werden nur die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen angegeben. In den obigen Beispielsfällen wäre also etwa sogleich
auszuführen:
Die Ablehnung ist zulässig, jedoch unbegründet, da allein die Tatsache, dass der Richter X in einem
ähnlichen Verfahren zu einer Verurteilung des dortigen Angeklagten gekommen ist, nicht ausreicht,
um die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen.
oder
Die Bemerkung des Richters X vor der Hauptverhandlung zu Rechtsanwalt Y, »solche Typen wie der
Angeklagte kämen ihm gerade recht«, ist geeignet, Misstrauen des Angeklagten gegen die Unparteilichkeit des Richters X zu begründen.
oder
Auf Grund des in der Anklage geschilderten Sachverhalts besteht der dringende Verdacht, dass dem
Angeschuldigten die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden wird.
Soweit die Sachlage einfach ist, ist es möglich, Tenor und Gründe des Beschlusses
zusammenzuziehen. So kann beispielsweise formuliert werden:
Die Aussetzung der Vollstreckung der mit Urteil vom 7.2.2013 verhängten Freiheitsstrafe von
7 Monaten zur Bewährung wird widerrufen, da der Verurteilte gegen die ihm erteilte Auflage, zugunsten des … Vereins 1.000 EUR zu zahlen, beharrlich verstoßen hat (§ 56f Abs. 1 Nr. 3 StGB). Er
281
Beschlüsse
hat bis heute trotz mehrerer Mahnungen keinen Cent bezahlt, obwohl er seit seiner Verurteilung
monatlich durchschnittlich 1.500 EUR netto verdient und für niemand außer für sich selbst zu sorgen hat und ihm die Möglichkeit zu monatlichen Teilzahlungen eingeräumt worden war.
837 Die Gründe müssen so ausführlich abgefasst sein, dass sie dem Beschwerdeberechtigten die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen deutlich machen und ihm
die Möglichkeit geben, die Erfolgsaussichten einer Beschwerde abzuwägen. Sie müssen ferner so eingehend sein, dass das Beschwerdegericht die dem Beschluss zugrundeliegenden Überlegungen des Erstgerichts nachprüfen kann. Bei der Ablehnung
eines Antrages muss sich vor allem eindeutig ergeben, ob dem Antrag aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht stattgegeben wurde.
Grundsätzlich genügt es daher nicht, lediglich den Gesetzeswortlaut zu wiederholen
oder nur formelhafte Wendungen zu bringen; denn das ist für den Antragsteller wie
für das Beschwerdegericht nichtssagend. Es ist also nicht zu formulieren: »Die Strafaussetzung zur Bewährung wird widerrufen, weil der Verurteilte gegen Auflagen
gröblich und beharrlich verstoßen hat.« Vielmehr sind die den gesetzlichen Tatbestand des § 56f Abs. 1 Nr. 3 StGB bildenden Begriffe in bestimmte Handlungen und
Tatsachen aufzulösen.
838 Bei einer Ermessensentscheidung muss aus den Gründen klar hervorgehen, dass sich
das Gericht seines Ermessens bewusst war und dass es das ihm eingeräumte Ermessen
nicht missbräuchlich ausgeübt hat. Daher sind die Erwägungen aufzuzeigen, die für
die Ausübung des Ermessens in der vorgenommenen Weise maßgebend waren.
Diese Erörterungen gelten jedoch nicht, wenn ein Beschluss unanfechtbar ist. Hier ist
eine Begründung nicht erforderlich. So heißt es nur:
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung
der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl vom … gewährt.
839 Falls durch einen unanfechtbaren Beschluss hingegen ein Antrag abgelehnt wird, ist
nach § 34 StPO eine Begründung notwendig. Zu diesen Beschlüssen zählen aber nur
solche, die einen Antrag voraussetzen, also nicht die von Amts wegen zu erlassenden
(BGH 15, 253). Falls ein Prozessbeteiligter dem Antrag eines anderen Prozessbeteiligten lediglich widerspricht, ist ein solcher Widerspruch noch nicht selbst ein Antrag
in diesem Sinne.
840 Eine besondere Begründungspflicht ist bei der Verwerfung einer Ablehnung wegen
Prozessverschleppung oder wegen der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke als unzulässig in § 26a Abs. 2 S. 2 StPO sowie für den Haftbefehl in § 114 Abs. 2 und 3
StPO vorgesehen. Oft wird nicht beachtet, dass bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Beschlusswege gem. §§ 460, 462 StPO die neu gebildete Gesamtstrafe
zu begründen ist (OLG Düsseldorf MDR 1993, 375); die Begründung muss dabei um
so ausführlicher sein, je mehr sich die Gesamtstrafe am unteren oder oberen Rand des
Möglichen bewegt (BGH 24, 268). § 267 Abs. 3 S. 1 StPO ist hier entsprechend anzuwenden (OLG Düsseldorf MDR 1993, 375 vgl. Rn. 453).
841 Falls der Beschluss eine Kostenentscheidung enthält (dazu oben Rn. 833 ff.), ist auch
diese zu begründen; hier genügt jedoch vielfach die Angabe der gesetzlichen Bestimmung. Werden aber etwa die Auslagen des Angeklagten oder des Nebenklägers unter
diesen beiden Personen verteilt, so ist, falls die Kosten- und Auslagenentscheidung
der Anfechtung unterliegt (was gem. § 464 Abs. 3 StPO regelmäßig der Fall ist, an282
III. Begleitverfügungen
ders nur bei Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung), anzugeben, warum die
Verteilung in diesem Verhältnis vorgenommen wurde. Schwierig kann die Kostenentscheidung sein, wenn das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt hat,
die dies nach seinem Ermessen zulässt (§ 467 Abs. 4 StPO), also etwa nach § 153
StPO. Als maßgebliches Kriterium für die Auslagenverteilung kann auf die Stärke des
Tatverdachts abgestellt werden.1
Fehlen bei einem Beschluss die gem. § 34 StPO erforderlichen Gründe, so ist er nicht 842
schon allein deshalb auf die Beschwerde hin aufzuheben (str. vgl. Meyer-Goßner
§ 309 Rn. 7 ff. m.w.N.); der Gesichtspunkt, dass dem Beschwerdeführer sonst eine
Instanz genommen würde, rechtfertigt eine Aufhebung und Zurückverweisung nicht.
Vielmehr entscheidet das Beschwerdegericht in der Regel selbst (§ 309 Abs. 2 StPO).
Eine Zurückverweisung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, z.B. bei Unterlassen
einer zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung (KG NStZ 1999, 320) oder
wenn eine sachliche Entscheidung völlig unterblieben ist (OLG Stuttgart NStZ 1991,
291; vgl. unten Rn. 871).
Fehlt die notwendige Kostenentscheidung in einem Beschluss, so ist eine sachliche 843
Ergänzung des Beschlusses nur durch Einlegung eines Rechtsmittels, nicht aber
durch das Gericht selbst, das den unvollständigen Beschluss erlassen hat, möglich.
Voraussetzung ist aber, dass die Hauptsacheentscheidung anfechtbar ist (OLG Düsseldorf VRS 73, 457). In manchen Fällen – insbesondere bei Unanfechtbarkeit des
Beschlusses – kann eine Ergänzung gem. § 33a StPO in Betracht kommen (vgl. OLG
Düsseldorf MDR 1993, 786).
4. Unterschrift
Die Gründe des Beschlusses müssen beraten und von allen mitwirkenden Richtern 844
(zur Mitwirkung der Schöffen vgl. §§ 30 Abs. 1, 77 Abs. 1 GVG) gebilligt werden.
Während sich beim Urteil diese Billigung in der Unterschrift ausdrückt (§ 275 Abs. 2
StPO, wobei die Gründe lediglich die Meinung der Mehrheit dokumentieren – vgl.
Rn. 806), braucht der Beschluss nicht notwendig von allen beteiligten Richtern unterzeichnet zu werden, da sich § 275 Abs. 2 StPO nur auf Urteile bezieht. Die Unterzeichung von Beschlüssen schreibt das Gesetz nicht vor. Es genügt somit z.B. die
Unterzeichnung durch den Vorsitzenden, wenn sich die Mitwirkung der erforderlichen Anzahl von Richtern ohne jeden Zweifel aus den Umständen ergibt (OLG Düsseldorf MDR 1984, 164). Gleichwohl ist es üblich und dringend zu empfehlen, dass
alle mitwirkenden Richter den Beschluss unterschreiben. Hierdurch werden Unklarheiten darüber, wann der Beschluss erlassen ist (dazu näher unter Rn. 877 ff.), und ob
es sich gar nur um einen Entwurf handelt (dazu BVerfG NJW 1985, 788), vermieden.
III. Begleitverfügungen
1. Anhörung
Wenn der Beschluss in der Hauptverhandlung ergeht, werden die Beteiligten zuvor 845
angehört (§ 33 Abs. 1 StPO). Bevor außerhalb der Hauptverhandlung ein Beschluss
erlassen wird, muss der Staatsanwaltschaft zunächst Gelegenheit zur Erklärung
1 Vgl. EGMR NJW 1988, 3257; BVerfG NStZ 1990, 598; BGH NStZ 2000, 330.
283
Beschlüsse
(in der Regel schriftlich, möglich ist aber auch eine mündliche – etwa telefonische –
Anhörung, über die dann ein Aktenvermerk anzufertigen ist) gegeben werden
(§ 33 Abs. 2 StPO). Andere Beteiligte – insbesondere der Beschuldigte, Nebenkläger
und Nebenbeteiligte – sind zu hören, falls der Beschluss zu ihrem Nachteil ergeht
(§ 33 Abs. 3 StPO). Hat sich für den Beschuldigten ein Verteidiger bestellt, so ist dieser allein oder zumindest neben dem Beschuldigten zur Stellungnahme aufzufordern;
die Anhörung allein des Beschuldigten unter Übergehung des Verteidigers ist unstatthaft (vgl. BGH 25, 254). Eine Anhörung des Betroffenen erfolgt nur dann nicht,
wenn durch die vorherige Anhörung der Zweck der Anordnung gefährdet werden
würde (§ 33 Abs. 4 S. 1 StPO); das ist etwa bei Anordnung der Untersuchungshaft
(§ 114 StPO), der Durchsuchung (§ 105 StPO), der Beschlagnahme (§§ 98, 111e StPO),
der Überwachung des Fernmeldeverkehrs oder des Einsatzes technischer Mittel
(§§ 100b, 100c StPO; vgl. aber § 101 Abs. 1 StPO zur nachträglichen Benachrichtigung) oder bei der körperlichen Untersuchung des Beschuldigten nach § 81a StPO
der Fall.
Die Gelegenheit zur Äußerung vor Erlass des Beschlusses gibt in der Regel der Vorsitzende. In welcher Form die Anhörung erfolgt, bleibt seinem Ermessen überlassen.
Den Beteiligten sind die Tatsachen und Beweisergebnisse, auf die sich der Beschluss
stützen wird, mitzuteilen. Der Staatsanwaltschaft werden im Allgemeinen die Akten
übersandt, falls sie nicht ohnehin von dieser mit dem Antrag und einer Stellungnahme dem Gericht vorgelegt werden. Auch dem Verteidiger können zu diesem Zweck
auf Anforderung die Akten übergeben werden.
Falls die Anhörung vergessen und zum Nachteil des Beteiligten entschieden wurde,
ist das rechtliche Gehör auf Antrag oder von Amts wegen nachzuholen, wenn der
Nachteil noch besteht und gegen den Beschluss ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist
(§ 33a StPO). Das Gericht hat dann in einem neuen, zu begründenden Beschluss den
ursprünglichen Beschluss zu bestätigen, abzuändern oder aufzuheben (für das Revisionsverfahren vgl. § 356a StPO). Diese neue Entscheidung ist unanfechtbar
(BbgVerfG NStZ-RR 2000, 172).
2. Bekanntmachung
846 Der erlassene Beschluss muss den Beteiligten bekanntgemacht werden. Geschieht
dies nicht in Anwesenheit des Betroffenen durch Verkündung gemäß § 35 Abs. 1
StPO, muss der Richter überlegen, ob der Beschluss überhaupt und wenn ja, in welcher Weise er der Anfechtung unterliegt; denn danach richtet sich die Form der Bekanntmachung. Ist gegen den Beschluss ein befristetes Rechtsmittel (also in der Regel
die sofortige Beschwerde gem. § 311 StPO) gegeben, so ist er dem Anfechtungsberechtigten förmlich bekanntzumachen, d.h. nach den entsprechend anwendbaren
(§ 37 StPO) Vorschriften der ZPO (§§ 166 ff.) zuzustellen (§ 35 Abs. 2 S. 1 StPO).
847 Die Zustellung des Beschlusses bedarf nach § 36 Abs. 1 S. 1 StPO einer Anordnung
des Vorsitzenden oder eines sonstigen richterlichen Mitglieds des Kollegialgerichts
(OLG Düsseldorf NStZ 1988, 150). Eine ohne solche Anordnung ausgeführte Zustellung ist unwirksam und kann eine Rechtsmittelfrist nicht in Lauf setzen (BGH NStZ
1986, 230). Aus der Zustellungsverfügung des Vorsitzenden muss hervorgehen, an
wen die Zustellung zu bewirken ist (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 332). Eine für
einen Einzelfall getroffene, wenn auch allgemein gehaltene Anordnung (»Zustellung
wie üblich«) reicht aus (BGH NStZ 1983, 325). Fehlt die Angabe, an wen zuzustellen
284
III. Begleitverfügungen
ist, so ist die Zustellung wegen der unvollständigen richterlichen Anordnung selbst
dann unwirksam, wenn die Zustellung von der Geschäftsstelle formell korrekt
durchgeführt worden ist (BGH NStZ 1986, 230). Unwirksam ist die Zustellung auch,
wenn sie entgegen der Anordnung des Vorsitzenden an den Betroffenen statt an seinen Verteidiger erfolgt (OLG Hamm VRS 94, 345) oder umgekehrt (BayObLG
MDR 1989, 665).
Falls der Beschuldigte einen Verteidiger und dieser eine Vollmacht vorgelegt hat, ist 848
diesem zuzustellen und dem Beschuldigten formlos eine Abschrift mit dem Hinweis
mitzuteilen, dass die Zustellung an den Verteidiger erfolgt (§ 145a Abs. 1, 3 StPO;
Nr. 154 Abs. 1 RiStBV).2 Bei Mehrfachverteidigung genügt die Zustellung an einen
der Verteidiger (BGH 34, 372).
Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft wird dadurch bewirkt, dass der Staatsan- 849
waltschaft die Urschrift des zuzustellenden Beschlusses vorgelegt wird (§ 41 S. 1
StPO). Dies geschieht in der Praxis durch (die nicht erforderliche) Übersendung der
gesamten Akten einschließlich des Originals des Beschlusses. Die Übersendung einer
Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des Beschlusses gilt nicht als Zustellung
nach § 41 StPO (RG 61, 352). Die Vorlage der Urschrift des Beschlusses muss ferner
in einer der Staatsanwaltschaft erkennbaren Weise zum Zwecke der Zustellung geschehen; allein die Aktenzusendung mit der Urschrift des Beschlusses genügt daher
nicht, vielmehr ist anzufügen »gem. § 41 StPO« oder zumindest »zur Kenntnisnahme« oder »zur weiteren Veranlassung«.
Unanfechtbare Beschlüsse oder Beschlüsse, die nur der einfachen – nicht befristeten 850
– Beschwerde nach § 304 StPO unterliegen, werden formlos mitgeteilt (§ 35 Abs. 2
S. 2 StPO). Mit Rücksicht auf bedeutsame Wirkungen des Beschlusses oder um einen
sicheren Nachweis für das Zugangsdatum wegen weiterer zu erwartender Anträge zu
erhalten, kann sich aber auch hier eine Zustellung empfehlen. Das gilt etwa bei der
Verwerfung eines Antrags wegen Fristversäumnis als unzulässig, wenn mit der Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung
der Frist zu rechnen ist, um später prüfen zu können, ob für den Wiedereinsetzungsantrag die Frist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO gewahrt wurde.
Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen – mit Ausnahme der die Ordnung 851
in den Sitzungen nach §§ 169 ff. GVG betreffenden Entscheidungen –, sind gem. § 36
Abs. 2 StPO der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlasst,
wozu auch die Zustellung gehört. Hierzu zählen beispielsweise Haftbefehle, Anordnungen der Durchsuchung und Beschlagnahme oder der körperlichen Untersuchung,
sowie Ordnungsmittelbeschlüsse gegen Zeugen und Sachverständige gem. §§ 51, 70, 77
StPO (Ausnahme Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO, die vom Gericht vollstreckt wird).
3. Rechtsmittelbelehrung
Immer dann, wenn der Beschluss der Anfechtung durch ein befristetes Rechtsmittel 852
unterliegt, muss zugleich mit der Bekanntmachung derjenige, der durch den Beschluss betroffen ist, über die Möglichkeit der Anfechtung, sowie über Frist und
Form belehrt werden (§ 35a StPO). Die Staatsanwaltschaft wird über die Anfech2 Die Zustellung an den Beschuldigten ist aber gleichwohl wirksam (OLG Düsseldorf NStZ 1989,
88).
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Beschlüsse
tungsmöglichkeit nicht belehrt. Der nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte ist
auf die Möglichkeit der Abgabe von Rechtsmittelerklärungen in der Form des § 299
StPO hinzuweisen (OLG Bremen MDR 1979, 517).
Über das Recht, die einfache (nicht fristgebundene) Beschwerde nach § 304 StPO
einzulegen, wird nicht belehrt. Auch über die Möglichkeit der weiteren Beschwerde
im Fall des § 310 StPO erfolgt in der Beschwerdeentscheidung keine Belehrung; hier
gilt die Sondervorschrift in § 115 Abs. 4 StPO.
Über die Möglichkeit, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung
der Rechtsmittelfrist zu beantragen, wird grundsätzlich nicht belehrt. Nur bei Versäumung der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen den Strafbefehl oder der Berufungshauptverhandlung muss der Angeklagte zugleich mit der Zustellung des Verwerfungsurteils über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gem. §§ 412, 329 Abs. 3 StPO wegen § 35a StPO belehrt werden.
Bei Versäumung einer Rechtsmittelfrist wegen unterbliebener oder fehlerhafter
Rechtsmittelbelehrung ist gem. § 44 S. 2 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand zu gewähren.
IV. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens
1. Mögliche Entscheidungen
853 Nach Mitteilung der Anklageschrift an den Angeschuldigten durch den Vorsitzenden
des Gerichts und nach Ablauf der dem Angeschuldigten zur Erklärung gesetzten
Frist (§ 201 Abs. 1 StPO) beschließt das Gericht (nicht der Vorsitzende) über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Es sind hier mehr Entscheidungen möglich, als nach
§ 199 Abs. 1 StPO zu vermuten ist. Folgende Beschlüsse kommen in Betracht:
854 a) Das Gericht ordnet auf Antrag des Angeschuldigten (§ 201 Abs. 2 S. 1 StPO) oder
von Amts wegen (§ 202 StPO) durch unanfechtbaren Beschluss die Vornahme einzelner Beweiserhebungen an. In der Praxis bittet allerdings vielfach der Vorsitzende
die Staatsanwaltschaft um weitere Aufklärung bestimmter Punkte; dies ist kein Fall
eines Rechtshilfeersuchens. Die Staatsanwaltschaft braucht diesem Ersuchen nicht zu
entsprechen (anders bei Anordnungen des Vorsitzenden nach § 221 StPO). Tut sie es,
so kommt sie damit ihrer – auch durch Erhebung der Anklage nicht endenden –
Pflicht nach § 160 StPO zur Erforschung des Sachverhalts nach.
855 b) Das Verfahren wird eingestellt nach § 153 Abs. 2 StPO (wegen Geringfügigkeit)
oder nach § 153b Abs. 2 StPO (weil von Strafe abgesehen werden kann) – in beiden
Fällen nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten – oder
nach § 154 Abs. 2 StPO (weil wegen einer nur unwesentlichen Nebenstraftat Anklage
erhoben worden ist) oder nach § 154b Abs. 4 StPO (wegen Auslieferung oder Ausweisung des Angeschuldigten). Eine vorläufige Einstellung des Verfahrens kommt
nach § 153a Abs. 2 StPO (Einstellung gegen Auflagen oder Weisungen), nach § 154e
Abs. 2 StPO (Anhängigkeit eines Straf- oder Disziplinarverfahrens wegen einer angezeigten oder behaupteten Handlung) oder nach § 205 StPO (wegen eines vorübergehenden Hindernisses tatsächlicher oder rechtlicher Art) in Frage. Einer vorläufigen
Einstellung des Verfahrens kommt auch die Aussetzung zur Klärung einer zivil- oder
öffentlich-rechtlichen Vorfrage nach § 262 StPO gleich.
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IV. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens
c) Das Hauptverfahren wird nicht eröffnet. Das Gericht lehnt die Eröffnung des 856
Hauptverfahrens ab (lässt die Anklage zur Hauptverhandlung nicht zu), wenn ein
– nicht behebbares – Verfahrenshindernis besteht (eine Einstellung nach § 206a StPO
erfolgt hier nicht, da diese Vorschrift erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt),
die Handlungsweise des Angeschuldigten nicht strafbar ist – sei es, dass sie keinen
Straftatbestand erfüllt, sei es, dass dem Angeschuldigten Rechtfertigungs-, Schuldoder Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe zugute kommen, oder wenn
der

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