Meraner Stadtanzeiger
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jg07_a17 31.08.2015 14:59 Seite 32 Palabirne Palabirne Kulturschutz und wirtschaftlicher Unternehmergeist im Vinschgau Palabirnen mit Zukunft hoch für die Ernte, die Früchte sind nicht haltbar und wenn sie auf den Boden fallen, werden die Wespen zur Plage. Ich vermute, dass dies die Gründe sind, dass die Palabirne in Europa verschwunden ist.“ Süßstoff der Bauern Haushoch stehen sie da, die Palabirnbäume in Schluderns. Lukas Tschenett steht auf der gelben Hebebühne mitten im Dorf, nicht weit vom Bahnhof. Es ist 8 Uhr am Morgen, von der Hauptstraße her rauscht der Verkehr, der Himmel ist tiefblau und hinten sieht man die weiße Spitze des Ortlers. Jetzt fehlt nur noch der Vinschger Wind. Lukas, 27 Jahre alt, Weinfachmann und Jungbauer am Tälerhof in Schluderns, pflückt die Palabirnen, die von unten im Blättermeer der mächtigen Obstbäume kaum zu sehen sind. Er lacht herunter. Herunter fallen kann er nicht mehr so leicht. Das war früher anders, erzählt sein Vater Walter: „Ich weiß von mindestens drei Leuten, die beim Palabirnenklauben von der Loan gefallen und gestorben sind.“ Walter Tschenett ist 54, und Bauer am Tälerhof. Die Hebebühne zu leihen sei teuer, aber zumindest nicht so gefährlich wie die alten Sprossen der Loan, die plötzlich brechen und den Tod bedeuten können. Dafür müssen sich Walter und Lukas bei der Ernte beeilen, damit ihnen die Ernte nicht zu teuer kommt: „Wir klauben die nächsten Tage bis zum Einbruch der Dunkelheit!“ Wir spazieren zum Hof zurück: Der Tälerhof schaut aus wie ein kleines schmu- 32 03. September 2015 | 17 führender Wirkung vorgeschlagen. Da habe ich mir gedacht, ich möchte selbst untersuchen, wie sich die Palabirnen auf die Gesundheit auswirken.“ Tschenett ging ins Altersheim und fragte, ob er in Zusammenarbeit mit dem Arzt ein Palabirn-Projekt starten könnte: Sechzehn Personen, die auf Medikamente mit abführender Wirkung angewiesen waren, nahmen teil und aßen statt der Medikamente regelmäßig das Palabirnenmus. Neun Personen konnten tatsächlich die Medikamente absetzen und dafür der Wirkung der Palabirne vertrauen. „Früher wurde sie bei uns gewärmt, esslöffelweise verabreicht und mit Brombeere, Himbeere, Marillen, Holunder – alles was im Garten gerade da war – gemischt.“ Warum hat sie sich dann aber gerade im Vinschgau erhalten? Vielleicht ist es so wie mit den romanischen Kirchlein, die auch erhalten wurden, weil die Vinschger zu arm waren, sie zu barockisieren. Die wertvollen Palabirnbäume blieben wohl deshalb stehen, weil die Vinschger einen günstigen Süßstoff brauchten: „Der Palabirnenbaum wuchs meist vor dem Haus, die Früchte wurden sofort verarbeitet zu Mus, Mehl, Dörrobst, Kaffeeund Kakaoersatz, Honig, zum Versüßen von Speisen. Jedenfalls muss ckes weißes Einfamilienhaus mit das Mehl etwas Kostbares gewesen Der Bauer als Vorgarten. Stall oder Stadel sind sein, dass es sogar ins Ötztal ge- „Permakulturdesigner“ nicht zu sehen, dafür aber ein schö- schmuggelt wurde. Das Problem ner alter Palabirnbaum. ist, dass es die alten Rezepte großteils nicht mehr gibt.“ Doch Walter Tschenett ist überzeugt von seinem Von der Türkei Weg, die Palabirnen nicht einfach in den Vinschgau Was ist an der Palabirne so Beson- nur den Wespen zu lassen, sondern deres, dass Herr Tschenett sich die zu verarbeiten für die Menschen Arbeit antut, eine teure Hebebühne von heute. Deshalb fragt er nach zu mieten und die dreizehn alten bei Bäuerinnen und Hausfrauen, Palabirnbäume abzuernten, die auf die noch selbst Palabirnen verarSchluderns und Umgebung ver- beitet haben. So konnte er aufWalter Tschenett ist streut sind? Walter Tschenett er- grund von mündlichen Aussagen Permakulturdesigner und Bauer zählt in seiner ruhigen Art zuerst selbst ein Palabirnen-Mehl herstelmit Unternehmergeist. einmal etwas von der Geschichte len und nach dem Rezept der dieser alten Frucht, der Luis Stefan Großmutter ein Palabirnen-Mus. Der eigene Garten war also ReserStecher sogar in einem eigenen Pavoir für Genuss und Gesundheit. labirn-Gedicht ein Denkmal ge- Wer Palabirnen isst, Diesen Weg will Tschenett auch setzt hat und der jährlich im Sep- braucht keinen Arzt tember eigene Palabirntage in Palabirnen sind nicht nur süß, son- heute gehen. „Wir wollen aber Glurns gewidmet sind. Die Pala- dern auch gesund. „Heute noch nicht nur alte Gerichte nachkobirne ist aus Asien über die Türkei heißt es: Wenn die Palabirnen reif chen, sondern auch Neues erfinum 1500 nach Europa gekommen. sind, kann der Arzt in Urlaub ge- den“, sagt er. Pflanzen und Tiere 1755 wird sie in Schluderns auf hen!“, erzählt Tschenett und es ist auf dem Hof sieht er als Lebensder Churburg zum ersten Mal als ihm ernst damit, dass diese raum, der sich gut entwickelt, „Pilli Palli“, 1830 in Kastelbell als Früchte, die von vielen nicht wenn man ihn nur lässt und nicht „Palabir“ erwähnt. Was dieser ge- mehr geschätzt wurden, eine zu viel eingreift. Vor zehn Jahren heimnisvolle Name bedeutet, weiß wahre Medizin sind. Dank ihres hat er eine Ausbildung als „Permaniemand genau. Wahrscheinlich hohen Anteils an Ballaststoffen kulturdesigner“ absolviert und den „Birne“, wahrscheinlich ist es ein und ihrem hohen Fruchtzuckerge- Weg der Natur beschritten. Tschealtes rätisches Wort. Die Palabirne halt wirkt die Palabirne auf natürli- nett will ihn weitergehen und führt gab es früher nicht nur im Vinsch- che Weise reinigend. Sie enthält uns zu seinen kleinen Palabirnbäugau, wie man meinen könnte, sie viel Vitamin C, das sich zu 80% in men hinter dem Haus: „Ich habe war in ganz Europa verbreitet. den äußeren Schichten bis etwa ei- die Golden herausgetan und Pala„Aber die Bäume sind einfach zu nen Zentimeter unter der Schale birnbäume gesetzt.“ Die 500 eheanreichert. Außerdem ist sie reich maligen „Pelzerlen“ tragen nun reian Mineralien wie Kalium, Phos- che Früchte. Dass viele Leute im phat, Calcium und Magnesium. Dorf über die Umstellung den Kopf Gerade der hohe Kaliumgehalt schüttelten, darüber kann Tsche(133 mg pro 100 g) ist besonders nett nur lächeln. Der gelernte gesund, denn Kalium reduziert den Tischler hat die Selbstsicherheit eiBluthochdruck. Ebenso wertvoll nes kreativen Unternehmers: Als er sind die enthaltenen Ballaststoffe den Hof von seinem Vater überwie Zellulose, Lignin und Pektine. nommen hatte, war dieser noch ein Diese fördern den bakteriellen Ab- Viehbetrieb. „Ich habe gleich gesebau im Dickdarm, wirken dort hen, dass ich dabei zu wenig verkrebshemmend und vermindern in diene und vor 30 Jahren auf Gemüder Leber die Bildung von Choles- se, dann auf Obst umgestellt.“ Aber terin. Die Palabirne wurde früher weil der Hof nur eineinhalb Hektar vor allem bei Magenbeschwerden Eigenfläche hat, war es schwierig als Medizin eingenommen. „Schon davon zu leben und Tschenett arHildegard von Bingen hat das Bir- beitete als Erlebnispädagoge mit nenmus als Medikament mit ab- schwer erziehbaren Kindern. Da- Heute fällt man beim Palabirnklauben nicht mehr so leicht runter: Lukas Tschenett bei der Ernte. Handgemacht und natürlich, traditionell und modern sind die Palabirn- und Apfel-Produkte des Tälerhofs. mals schon erkannte er die heilende Kraft der Natur: „Wenn ich mit den Kindern in die Natur bin, wurden sie sofort ruhiger.“ Heute sind für ihn die Palabirnbäume ein Stück Natur, das er schützen will: „Es tut mir Leid, wenn ich sehe, wie immer mehr alte Bäume verschwinden, vor allem, wenn gebaut wird.“ Für ihn ist der Palabirnbaum ein Kulturgut, das ihm auch helfen kann, mit dem Hof zu überleben, der heute mit den Pachtflächen zweieinhalb Hektar Grund umfasst: „Wenn wir vom Hof leben wollen, dann müssen wir erfinderisch sein.“ Dass sich Naturschutz, Kulturliebe und wirtschaftliches Denken nicht ausschließen, zeigt sich hier auf dem Tälerhof immer wieder. An den kleinen Bäumen hängen Töpfchen mit Namen dran: „Das sind die Baummieter. 60 Baumpaten mieten einen Baum für ein bis drei Jahre und dürfen ihn dafür ernten.“ Die Baumpaten kommen aus Österreich, der Schweiz, Trient, Mailand und sogar aus Ägypten. „Für viele weggezogene Vinschger sind die Palabirnen ein Stück Heimat, andere wollen einfach dieses Kulturgut unterstützen.“ Alte Apfelsorten Zwischen den jungen Palabirnbäumen tummeln sich die Hühner und es hängen „Insektenhäuser“ herum, die Bienen und andere Insekten anlocken sollen, um die Bäume zu befruchten. „Alles ist unbehandelt hier.“ Nicht mal Kupfer wird gespritzt. Auch die Golden-Delicious-Wiese, die noch konventionell bewirtschaftet wird, will er in nächster Zeit umstellen: „30 alte Apfelsorten werden wir anpflanzen.“ Mitten in der Palabirnenwiese stellt Tschenett seine handgemachten Produkte auf, schön verpackt: Da gibt es neben getrockneten Palabirnen – die süß und nach Zimt, Muskat, Honig, Karamell schmecken – auch Palabirnen-Mostarda mit Chili und PalabirnenChutney mit Zwiebel. Diese beiden Produkte hat Walter Tschenett neu erfunden. Freilich verarbeiten er und seine Familie die Palabirnen auch zu Marmeladen, gemischt mit Preiselbeeren zum Beispiel. Zukunft haben aber vor allem auch die Apfelprodukte: Beliebt ist schon der Apfelwein, der viel mehr nach Wein schmeckt, als man sich erwarten könnte und „mit dem ich mich bei einer Weißweinverkos- tung einschmuggeln möchte“, sagt Tschenett lachend. Den Apfelwein aus alten Apfelsorten macht sein Sohn Lukas, der nach einem Praktikum in Deutschland begeistert ist von diesem in Südtirol und Italien eher unbekannten Produkt. Anfragen aus Süditalien und Deutschland kamen nach dem „Peppile“, einem Apfelwein mit Zusatz von Früchten vom Hof wie Erdbeeren und Marillen. Dass Tschenett seine Arbeit auch als Kulturarbeit sieht, zeigen die Namen der Weine: So heißt der Wein aus den unbehandelten Galaäpfeln vom Pfarrer „Pfarranger“, der Idered-Wein heißt „Ganglegg“, oder mit dem „Scheanen“ und der „Blumenwiese“ kauft man einen Golden-Delicious-Wein. Aber das ist noch nicht alles: „Im Winter werden wir weitere Produkte herausbringen. Und seit fünf Jahren arbeiten wir an einem Produkt, von dessen Art es nur zwei in ganz Europa gibt. In Italien wird es etwas ganz Neues sein. Dieses „Topprodukt“ bleibe aber noch geheim“, sagt Tschenett. Also keine bloße Palabirnen-Nostalgie, sondern die Suche nach einer Marktlücke mit Zukunft? „Wenn man begeistert ist, dann geht es. Wir sind klein und das ist ein Vorteil, weil wir flexibel sind!“, meint der Bauer, der beim Klauben, Verarbeiten und Vermarkten auf die Mithilfe von Frau, Tochter, Sohn und zwei rumänischen Hel- fern setzen kann. Die Verarbeitungsanlagen stehen im Keller des eher kleinen Hauses. „Ja, es ist alles eher klein, aber wir wollten nicht einfach eine große Halle herbauen. Es soll sich alles langsam entwickeln.“ Und sein Sohn soll einmal vom Hof leben können. Aber vor allem sollen die Palabirnbäume nicht einfach verschwinden. 180 Bäume gibt es in Schluderns, 150 in Glurns. Im Durchschnitt haben die Gemeinden hier zehn Bäume im Dorf, im Durchschnitt verschwinden aber auch jährlich vier bis sechs Palabirnen-Riesen. „Aber so ein 210 Jahre alter Baum ist Kultur und Geschichte. Man kann ihn nicht einfach wegtun!“, sagt Tschenett, während wir die Obstwiese verlassen und zu seinem alten Baum vor dem Haus gehen. Eine Frage noch: Werden die 500 kleinen Palabirnbäume auch einmal so mächtige Riesen sein? „Nein, die bleiben klein“, lächelt Tschenett. Und wir denken uns: Das ist nun doch zu viel verlangt, eine Wiese voll mit großen Palabirnbäumen und dahinter der weiße Ortler. Zuviel der Palabirnen-Romantik, zu teuer und zu gefährlich. Schließlich muss auch ein Palabirnen-Liebhaber mit der Zeit gehen. Paul Bertagnolli Fam. F am. Tschenett Tschenett schenet s Schluderns, Wiesenweg Wiesenweg 4 Mobil: 348 55 41 051 E-Mail: [email protected] [email protected] www w.taelerhof.com . www.taelerhof.com 03. September 2015 | 17 33