rügen, verb. beschuldigen, tadeln. goth. wrohjan, ags. wrźgan, altfr

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rügen, verb. beschuldigen, tadeln. goth. wrohjan, ags. wrźgan, altfr
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Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971. Online-Version vom 20.01.2017.
rügen, verb. beschuldigen, tadeln. goth. wrohjan,
ags. wrêgan, altfr. wrogia, alts. wrôgian, ahd.
ruagen, ruogen, alle in der bedeutung 'anklagen,
vor gericht anzeigen', mnl. wroeghen, mnd. wrogen, wrugen, mhd. rüegen, md. rûgen, wrûgen:
accusare .. bergen .. vrowen (l. wrogen) .. nd.
wrugen, wrogen Diefenb. gloss. 8c. die friesischen und die ihnen benachbarten niederd.
mundarten haben das w bewahrt, vgl. ten
Doornkaat Koolman 3, 577a, der auch zahlreiche beispiele aus den neueren friesischen
mundarten hat. brem. wb. 5, 294. Schambach
306a. in den hd. mundarten erscheint schon in den
ältesten belegen kein w mehr (s. Graff 2, 432 f.),
ebenso im nordischen: altn. rgja, schwed. röja.
die neueren mundarten des binnenlandes haben
das wort meist nicht mehr, nur lusernisch rüge
Zingerle 48a (vgl. auch rügetag und rügezettel).
der grammatische wechsel im stammauslaut,
goth. h gegenüber westgermanischem g beweist,
dasz ihm ein indogermanisches k zu grunde liegt,
doch sind verwandte wörter in andern indogermanischen sprachen nicht bekannt (s. Kluge
251b).
1) als grundbedeutung wird durch die übereinstimmung aller altgermanischen dialekte erwiesen 'etwas vor gericht zur anzeige bringen'. sie
ist auch im älteren nhd. die herrschende. rugen,
denunciare, accusare Schottel 1389. die fügung
ist eine doppelte.
a) ein vergehen rügen, anzeigen: süsgedane
ding sal man aver to den godingen wrgen.
Sachsensp. 3, 91, 1 Homeyer; wat di werlike richter richtet, dat en derf man vor den geistliken
richter nicht wrgen. quelle bei Schiller - Lübben 5, 783a; und swer auch daʒ sihet oder deʒ
inne wirt, daʒ der gebote kaines zerbrochen
wirt, er sei der geswornen oder nicht, der schol
es dem frager rügen. Nürnb. polizeiordn. 59; und
das sollen die meister alle dem pfenter rügen
bei iren aiden, ob es iemant breche. Tucher
baumeisterb. 272, 34; dasz iedermann melde und
rüeg auf sein gewissen, was er wisze, da dem
gotshaus schaden von komen müg. bei Schmeller 2, 77; etwas von einem rügen: ob ein sun
sogetan ding von dem vater rüeget, di dem
vater an den leip gent. rechtb. von 1332 ebenda;
der rüegt des andern missetât,
der selbe hundert grœʒer hât.
Freidank 34, 5;
dâ (am jüngsten gericht) wirt vür wâr vergeʒʒen
niht,
man rüege dâ, swaʒ alhie
des lîbes leben ie begie.
Rud. v. Ems Barl. u. Josaph. 222, 5 Pfeiffer.
b) gewöhnlicher ist einen (um ein vergehen)
rügen: ni curet uuânen, thaʒ ih ruoge iuuih mit
temo fater; ist der iuuih ruogti Moyses. Tatian
88, 13; inti ruogtun inan thiê furiston bisgoffâ
in managên. 198, 4;
'hwar quam thit Judeôno folk', quað he,
'thîne wiðer-sakon,thea thi her wrôgdun te mi?'
Heliand 3886;
worton tho ginuagenbigondon sie nan ruegen,
thingon filu hebigenjoh sunton filu managen.
Otfrid 4, 20, 15;
des mac in rüegen der kinde muter oder base ...
Schwabenspiegel 55, 1; swa man kezzere innen
wirt, die sol man rüegen dem geistlichen
gerihte. 261, 1; an dem urteil (dem jüngsten
gericht) ist der mensche ein materia der schlde
und ist der tvil der in da rgit. Schönbach
altd. pred. 1, 291, 31; de Romere wrogeden do
van hate Narsetem patricium, de was en gt
man. deutsche chron. 2, 136, 1; in den selven
tiden en bischop van Hyspania, geheten Mauricius .. de wart gewroget van nigromancien
unde vorwunnen. 192, 4; do ward oc gewrocht
to Rome bischop Otto van Halverstat umme
symonien. 205, 27; welicher sich aber abstele
und abgieng on erlaubung ee es zeit were, den
sullen die andern rugen. Tucher baumeisterb.
62, 31; dann ob er gern schwig, so schweigen
[Bd. 14, Sp. 1413]
sein gesellen nit, die rugen ie einer den andern.
67, 24; einen dem richter rüegen. Schmeller 2,
77;
die zwêne die Susannen ruogten
ze unreht heten daʒ sie suochten.
Thomasin v. Zirclaria 11993;
dem bischove er gerüeget wart. zeitschr. für d.
alterth. 8, 291, 549;
gleich wie deine genossen gewohnet, arme
leute mit bannzeddeln umbzutreiben, und zu
schinden, auch ehliche weiber unschüldiglich
zu rügen. Luther 1, 219b; Joseph aber jr man
war from, und wolt sie nicht rügen (beim priester anzeigen, s. 4 Mos. 5, griech. παραδειγματίζεν).
Matth. 1, 19; vgl. dazu die anm. bei Frisch 1,
133a und Adelung;
ir pauren, hewt ist rüeg, wist ir wol,
das ainr den andern rüegen sol
umb epruech oder hüererey
und andre laster, was das sey.
H. Sachs fastn. sp. 6, 36, 238 neudruck;
so wais ich auch kainen für mich,
247.
beides verbunden: dar unde in iewelkem vogetdinge sal iewelk burmester wrügen alle de to
dinge nicht enkomet ... unde dat rücht unde
minschen bludende wunden .. anderes ne darf
he nicht wrügen. Sachsensp. 1, 2, 4 Homeyer.
2) von da aus ist der begriff des rügens ausgedehnt auf die weitere gerichtliche verfolgung
eines vergehens. so bedeutet es
a) ein vergehen untersuchen und darüber ein urtheil fällen: up solken bevel des richters so eschet
de ordelsman des heren gesworen gudemanne
to sik und tredt mit en af, wroget mit en de
sake, unde wes se dar to rechte vinden, dat bringet de ordelsman wedder in. quelle bei Schiller-Lübben 5, 783b.
b) ein vergehen strafen, besonders wenn es sich
um leichtere strafen handelt: rugen ... punire,
mettre à l'amende. Schottel 1389; nu ob in
einer stat offenlichen wucherer sint, wer ist da
schuldic an? ... der rihter, ob er si niht rüeget,
als er sol. Schwabensp. 140, 4; man sol niht über
si rihten als umb ander frowen. man sol si niht
offenlichen rüegen, si suln ouch niht offenlichen büezen. 308. so von der thätigkeit einer
polizeibehörde, die die beobachtung der gesetze
zu überwachen und vergehen gegen dieselben mit
geldstrafen zu ahnden hatte (vgl.rüger), s. Schiller - Lübben 5, 783a: twe prestere weren dar
to gesat, dat se alle lude wrogen scholden, de
ouer dat echte treden. ebenda.
3) daneben geht schon mhd. eine allgemeinere
verwendung, indem die ursprüngliche beziehung
auf das gerichtliche verfahren abgeblaszt ist und
das wort den sinn bekommen hat 'einen eines
vergehens beschuldigen, ihm etwas vorwerfen,
ihn tadeln, schmähen' u. s. w.
a) beschuldigen: nieman sol ouch einen andern
der umb ain lastr zu rüegen wer.
rugen binamen umme sine snde in der bicht.
Leyser deutsche pred. 34, 3; sun verlihe dem
tufel dines mutes nichtes nicht; swen er dich
betrubet, so ruge in vor mir, das vertribet in;
wan dem selben tufel tut aller wirst, das man
sine anvechtunge dicke sait. veter buoch 50, 27
Palm; Joseph wrogede sine brodere to sinem
vader umme de allerergesten missedaet (accusavit crimine pessimo. vulg.). 1 Mos. 37, 2 bei
Schiller-Lübben 5, 783a; die alt comoedi weret
so lang, bis ein geben gesetz verbot, niemand
mit namen zu rügen. S. Franck moriae encom.
vorr.
b) ein vergehen bekannt machen:
ich wolde, daʒ den argen hienge ein schelle
vor an der nasen, diu dâ klünge helle,
dâ man sie bî erkente, seht, daʒ wære ir reht.
sît des niht ist, sô wil ich ûf sie singen,
mit irer missetât wil ich sie twingen,
ich rüege ir werk; sus diene ich in unt bin ir kneht.
minnes. 3, 90a Hagen;
doch bald rügten die götter es unter den menschen.
(ἄφαρ
Voss Od. 11, 274
ἀνάπυστα
θεοὶ
θέσαν
δ'
ἀνθρώποισιν).
oft mit unpersönlichem subject, 'offenbar
machen, an den tag bringen': denn es ist ein
eiveropffer und rügeopffer, das missethat rüget.
4 Mos. 5, 15; der warhaftig wein verrät sein
hertz, .. der fuchs msz hinder den orn herfür,
und alle unzucht wirt da geögt und gerügt. S.
Franck laster d. trunkenh. (1531) G 2a.
c) besonders seine sünden bekennen, in der
beichte: wanne ruget der mensche sine snde
von innenclichem herzen in der bicht, und gibt
er sich schuldich, so leget in got ʒ der schult.
Leyser deutsche pred. 33, 14; ein igelich sol sines
selbes snde rgen und sine missetat. 34, 5;
[Bd. 14, Sp. 1414]
unde alle di ir sunde hant gerugit
in der werlde di wile si lebeten.
litanei 1260
Maszmann.
häufig reflexiv sich rügen, beichten, auch sich
seiner sünden rügen: swenne so unser herre
dem menschen sinen heiligen geist gibit, daʒ er
sich bekennet siner snden und der zu bichte
cmet und sich selben rgit. Leyser deutsche
pred. 70, 40; ir ... sult uch rügen vor uwerm
pristere aller uwere snden. Schönbach altd.
pred. 1, 234, 22. im nhd. ist dieser gebrauch ausgestorben.
d) etwas tadeln, schelten, etwas an jemand auszusetzen haben: er (hauptpastor Göze) würde
sich sehr freuen, wenn ich eine solche lumperey
zu rügen im stande wäre. Lessing 11, 527; kein
selbstsüchtiger hypochondrist würde so scharf
und scheelsüchtig den verfall der gebäude, die
vernachlässigung der mauern .. gerügt und
gescholten haben. Göthe 22, 146;
soll ein fremder das nicht rügen? 57, 234;
wer will eine tollheit rügen! 236;
doch soll nicht zagen, welcher schalkheit
rüget, und rein ist, und gott vertrauet!
Stolberg 2, 146;
nicht mir rüge die gaben der goldenen Aphrodite!
Voss Ilias 3, 64;
wenn du denn jetzt Odysseus der Ithaker heimgekehrt bist,
o, dann rügst du mit fug, was alles verübt die
Achaier!
Odyssee 22, 46;
an deiner sprache rüge
du schärfer nichts, denn lüge.
Uhland ged. 75.
das particip rügend ohne object: doch anstatt
hier ernsthafte, ja rügende betrachtungen einzumischen. Göthe 24, 110. so auch einen rügen,
tadeln, und weiterhin schelten, schmähen:
wollt ir all an ainander rügen? fastn. sp. 651, 9.
aber auch 'in wohlmeinender absicht jemand auf
einen fehler aufmerksam machen':
und daʒ er vriuntlîche an mir
rüege, ob ich der kunst enbir.
Rud. v. Ems d. gute Gerhard 6854;
swer mîn unkunst rüeget sô
daʒ sîn rât ist sô vriuntlich
6858;
du hast meine fehler .. lächerlich .. gemacht,
und da es deine freundschaftspflicht gewesen
wäre, mir in liebe und kälte solche zu rügen,
mir verhehlt, hast mir sie nur im zorne vorgeworfen. Schiller 1, 57. sehr beliebt ist in der
älteren sprache die wendung mein gewissen rügt
mich, klagt mich an, macht mir vorwürfe, verdammt mich: mîn conscientie (samwitticheit)
wroget mi, s. Schiller-Lübben 5, 783a;
daʒ er an witzen beʒʒert mich.
werden auch wol meine reimen alle für die jungfern tügen?
die als jungfern mehr verstehen, die wird jhr
gewissen rügen.
Logau 2, 175, 92.
ähnlich auch: die wurme bezeichent die bosen
ingehenede (injehende einflüsterung) die da
kmende ist von den snden, die den sndere
rget unde tmet. Schönbach altd. pred. 1, 37,
4.
e) endlich geht rügen auch hier geradezu in die
bedeutung 'strafen' über, namentlich auch vom
strafgericht gottes:
(gott) der mit rügender flamme die hölle, den tod
mit allmacht
und mit gericht bewaffnet!
Klopstock Mess. 5, 338;
so hatte gott ihr (der hölle) geboten,
ihrer bewohner neue verbrechen, durch wildere
flammen,
durch geschärftere pfeile des ewigen todes, zu
rügen!
9, 743;
durch laster wird die lasterthat gerügt.
Göthe 11, 320.
im nd. heiszt es sogar ganz allgemein quälen,
ängstigen Adelung: dat wröget mi, das quälet
mir das herz. brem. wb. 5, 295, ebenso niederl.
wroeghen urgere, torquere, angere. Kilian.
f) im nd. auch reflexiv 'sich zanken':
dat wy uns dan wrôgden um den kôr (die wahl),
ik hed angst, it en queme nergen vôr.
Theophi-
lus 142 Hoffmann.
4) noch abgeblaszter ist die bedeutung des wortes,
wenn es in dem sinne 'bekannt machen, öffentlich
nennen, erwähnen' steht, ohne dasz dabei der
nebenbegriff des tadelns zur geltung kommt. so
besonders im mhd. und älteren nhd. etwas rügen,
bekannt machen, melden, angeben:
dô wart Lanzelet vil geil
und bat im schiere rüegen,
waʒ wâfens sie trüegen.
Ulr. v. Zatzikhoven Lanzelet 6289;
wie hât sich daʒ gefüeget
daz iuwer nôt gerüeget
mac keinem menschen werden?
Reinfrid v.
Braunschweig 4618;
[Bd. 14, Sp. 1415]
daʒ buch genzelichen ruget
wie Paulus, daʒ erwelte vaʒ,
leides harte vil besaʒ.
pass. 183, 89 Hahn;
als ich mit warheit ruoge.
Hugo v. Langenstein Martina 253, 44
Keller.
öffentlich verlesen: dise ordnung und satzung sol
alle jâr ainst geruegt und verlesen werden. bei
Lexer mhd. wb. 3, 527. anzeigen, beweisen, zu
verstehen geben:
er hat uns mengen sunder rat
in dem waʒʒir gefüeget
daʒ sin milte rüeget.
Hugo v. Langenstein Martina 2, 54 Keller;
sin unbefunden schonheit ruoget
uns allhie der sunnen prehen,
den nieman rehte mac gesehen.
mhd. wb. 2, 786b.
251, 44, vgl.
ähnlich auch:
warzuo sol herren muot, warzuo sol herren name,
wil er sich schamen
der tât, diu herren vüeget,
lop mit prîse rüeget?
Frauenlob 67, 10.
5) andere verwendungen der gerichts- und verwaltungssprache sind auf das ältere deutsch
beschränkt.
a) gemäsze und gewichte auf die richtigkeit ihrer
eichung prüfen, s. Schiller-Lübben 5, 783b:
wanner ein vesting (vestding bezirksgericht) is,
so sal men wrogen scheppel, beker, kannen und
alle gewichte. weisth. 3, 35. vgl. rüger.
b) verordnen, als veraltet bei Adelung und
danach bei Campe. vgl. rüge.

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