Rasmus, bläh` die Backen!

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Rasmus, bläh` die Backen!
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B AUERN Z EITUNG
D
en weißen Rock, der Volkes Stimme zufolge zu einem Müller gehört, ihn
gleichwohl noch lange nicht
ausmacht, den trägt er. Nun ja,
in Schürzenfasson. Und einen
langen Zopf trägt er auch. Unsere Vermutung: Das Anfangsstadium dieser haarigen Zierde
liegt wohl in jenem Abschnitt
Lebenszeit, in dem Detlef Preuß
auf der Suche nach seiner individuellen Wagenspur ein wenig
umhergeirrt sein dürfte. Mag sie
nach wie vor als Zeichen ausgeprägter Persönlichkeit dienen
oder schlicht Schmuck geblieben sein – von diesem Thema,
liebe Leute, soll hier weniger die
Rede sein, mehr jedoch von
dem, was der Windmüller im
Laufe der Jahre fand. Nennen
wir es die Lust, auszutesten, wie
weit eigene Stärken gehen und
was sich eigentlich jenseits dieser Grenzen befindet. Schluß,
handfeste Tatsachen sollen her:
REPORTAGE
Rasmus, bläh’
die Backen!
Nirgendwo außer in Altkalen wird in MecklenburgVorpommern Mehl mit reiner Windkraft produziert. Die
Holländermühle nahe Teterow ist seit 1896 in
Familienbesitz und DETLEF PREUSS ihr Müller in der
vierten Generation. Er versucht sich an dem
schwierigen Spagat zwischen traditionellem Handwerk
und neuzeitlicher touristischer Vermarktung.
Ein Handwerk ist nicht
von Schaden
Detlef Preuß hat – Schmied gelernt. Erst mal. Die Tatsache, daß
die Windmühle in Altkalen, wo
er aufwuchs, bereits seit 1896 im
Besitz der Familie ist, seine Vorfahren sämtlich Müller waren,
fiel zunächst noch nicht mal ein
(Mehl-)Stäubchen schwer ins
Gewicht. Ein Handwerk ist nie
von Schaden, nicht mehr sei
ihm damals durch den Kopf gegangen, ein geflügeltes Wort, das
sich später in einem ganz besonderen Sinne bewahrheiten sollte. Zunächst aber arbeitet er fünf
Jahre lang in dem Beruf, für den
Amboß und Hammer als Insignien stehen. 1987 stirbt sein Vater. Ein Einschnitt im Leben der
Familie, nicht nur der mentalen
Art. Was sollte aus der Mühle
werden, in der Preuß senior bis
dato das Mischfutter für die örtliche LPG geschrotet hatte? Verkaufen? Zu eng, so spürt man
vielleicht erst jetzt, ist die Geschichte von Generationen, sind
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volle, mit persönlichem Freud
und Leid, Erfolgen und Niederlagen, Mißgunst und Anerkennung verbundene Historie fortzusetzen, aus der wir nur ein
paar dürftige Tatsachen nennen:
Alles begann damit, daß der
Sohn des Mühlenbauers Andreas Preuß den „Erdholländer“
1896 für 15 000 Reichsmark vom
Hofbesitzer Holz erwarb. 1913
brannte sie ab, worauf eine nur
drei Jahre zuvor in Wittenförde
bei Schwerin errichtete „Schwester“ auf Abbruch gekauft und in
Altkalen wiederaufgebaut wurde. Bejahrt also und recht rar in
ihrer Art, hatte man sie bereits
zu DDR-Zeiten unter Denkmalschutz gestellt. Was, wie wir wissen, nicht allzuviel heißen mußte. Ihr Zustand war, wir reden
nun vom Jahr 1990, alles anderes
als glänzend. Beide Flügel ließen
sich mit Fug und Recht Ruinen
nennen, während die Windrose
gar nicht mehr vorhanden war.
Allein die Technik, obwohl die
jüngsten Stücke von 1956 datieren, war gut in Schuß, weil nie
lange zu Müßiggang verurteilt.
Detlef Preuß ist damals überzeugt, sein Vorhaben, die Mühle
zu sanieren, rasch über die Bühne zu bekommen. „Ich war
jung“, beschreibt er schlicht seinen Unternehmungsgeist. Ohnehin herrschte Aufbruchstimmung im Land. Auch seine beiden Berufe – zur Erinnerung:
Schmied und Müller – sollten
doch eine gute Plattform sein,
oder? Und Fördermittel gab es
seinerzeit gleich dem süßen Brei
im Märchen, der nie versiegt,
fließt und fließt und …
Sachkundige
Verbündete
Zweiter Anlauf: Im Müllerberuf hat Detlef Preuß ganz offensichtlich seine
FOTO: SABINE RÜBENSAAT
Berufung gefunden.
die Geschicke der Heutigen mit
der „Geflügelten“ verbandelt.
Während ein Kollege des Vaters
zunächst die Geschäfte weiter-
Rundumvergnügen: In der Nähe der Mühle läßt sich die weite Landschaft
FOTO: ANNEKATRIN PISCHELT
vielfältig genießen.
führt, erlernt Detlef Preuß in der
Erwachsenenqualifizierung das
Müllerhandwerk. Die Wende
wirft da noch nicht mal ansatzweise Schatten. Doch schon ein
Jahr später beginnen die Zeitläufte zu galoppieren. Die Genossenschaft findet einen günstigeren Anbieter, der Mischfutter sogar in Silodimensionen liefern kann. Da ist der Müller mit
seiner Sackware im Hintertreffen und – aus dem Spiel. Es läßt
sich nur noch mutmaßen, wie
lange Detlef Preuß Für und Wider erwog, Risiken durchrechnete, Unwägbarkeiten abzuschätzen versuchte – aus heutiger Sicht war der Entschluß, die
Mühle nicht ihrem Schicksal zu
überlassen, sondern als funktionierendes technisches Denkmal
zu erhalten, schnell gefaßt. Klar,
viel sprach dafür, die wechsel-
Auf also zur ersten Sitzung der
Deutschen Gesellschaft für
Mühlenkunde in den neuen
Bundesländern, die 1990 auf
Usedom stattfand. Hier ist versammelt, was in der Branche
Rang und Namen hat. Es
brauchte kaum einen Mühlenflügelschlag, da ist ein erfahrenes Ingenieurbüro gefunden,
mit dem Preuß ein Restaurierungskonzept und einen Finanzierungsplan entwickelt. Die
Strategien überzeugen das Landesamt für Denkmalpflege
Mecklenburg-Vorpommern.
1991 macht man sich an die
Mühlenaußenhaut: 148 000
Mark reichen – um die Wellbalken, auf denen die Flügel montiert sind, ebenso zu erneuern
wie die Fußböden und den
Mühlenkopf. Freilich war auch
in jenen seligen Zeiten ein Eigenanteil von 30 Prozent zu erbringen. Dafür deckt Detlef
Preuß das Dach komplett neu –
mit eigener und der Hand von
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REPORTAGE
etlichen guten Freunden. Danach ist erst mal Ebbe in der
Kasse. Dabei fehlte damals der
Mühle, gemessen an allem, was
zuvor investiert wurde, nur wenig, um sich wieder zu drehen.
Aber ohne Flügel ist so ein Gebäude doch nichts als ein Torso.
Wenn man Detlef Preuß etwas zu allererst bescheinigen
müßte, dann sind es Hartnäkkigkeit und so eine Art Beseeltheit von seiner Aufgabe, die
nichts mit unrealistischem
Überfliegertum gemein hat:
Zwei Jahre braucht es dennoch,
um die Deutsche Stiftung Denkmalschutz dazu zu bewegen,
sich in Altkalen einzuklinken,
worauf zwei hochmoderne Jalousieklappenflügel (aus dem
mühlenkundigen Land der Holländer) montiert werden. Zwar
ist die Mühle nun voll funktionsfähig, für einen kontinuierlichen
Betrieb müssen aber noch
Mühlstein und Mahlgang erneuert werden. Ein Geldgeber
ist erst mal wieder nicht in Sicht.
In allen Stürmen
erprobt
Daß das Metier heutzutage
selbst den fleißigsten, in allen
Stürmen erprobten Jünger des
Windgottes Rasmus nicht nähren kann (eine kleine Familie
mit zwei Kindern, darunter der
Müller der 5. Generation wie in
unserem Fall, schon gar nicht),
war dem 39jährigen von Anfang
an klar. Aber den interessanten
Standort und seine Geschichte
inklusive gut erhaltener Mühlentechnik touristisch zu vermarkten, das müßte sich rechnen. Führungen, Schaumahlen,
dazu attraktive kulinarische Verlockungen,
selbstgebackenes
Brot und Kuchen etwa, Musik
und Kleinkunst auch, das sollte
gehen. „Die Einkünfte sollten
ein bis zwei feste Arbeitsplätze
finanzieren, vor allem aber dem
Erhalt der Mühle zufließen“,
sagt Detlef Preuß. Er erwirbt die
ehemalige Kornhalle aus der
Konkursmasse der LPG und beginnt sie umzubauen, auf daß
sich die Gäste, Reisegruppen
oder Großfamilien, bei kulturellen Veranstaltungen und sehr individueller Bewirtung wohl fühlen. Auch mit der Sanierung der
Mühle, seit 1995 koordiniert
vom Verein Mühlenhof Altkalen,
kommt man dank des EU-Förderprogramms Leader II wieder
ein Stück weiter, denn Mauerwerk und Fundament können
instand gesetzt werden.
Die Ausrichtung des Mühlentages
Mecklenburg-Vorpommern, womit die Branche vor
zwei Jahren den Altkalener Müller betraute, brachte den Durchbruch. Der Schirmherr, der vom
Von besonderem Reiz: Die alte Technik veranschaulicht, wie vor 50 JahFOTOS: SABINE RÜBENSAAT
ren Korn zu Mehl wurde.
Preußschen langen Atem begeisterte Landwirtschaftsminister
des Bundeslandes, kann zwar
kein Geld in seinem eigenen
Ressort lockermachen, überzeugt jedoch das Arbeitsministerium davon, sich mit 25 000
Euro einzubringen. Davon erhält die Mühle unter anderem
einen neuen Mahlgang samt
Mühlsteinen, und der Windgang
wird restauriert.
Der 28. Juli 2005 wird, alle Eide, in ihre ohnehin umfangreichen Annalen eingehen. Da
nämlich war Anmahltag, und
besagter Minister wurde zum
Ehrenmüller ernannt. Altkalen
kann sich nun rühmen, die einzige regelmäßig mit Windkraft
produzierende Mühle Mecklenburg-Vorpommerns zu sein.
Folgerichtig vermarktet sie Roggen- und Weizenmehl aus ökologisch angebautem Getreide
unter der Marke „windmehl“,
garantierend, daß bei der Erzeugung nur Erde, Wasser und Wind
zugegen waren.
Zwei Tonnen Getreide am Tag
könnte Detlef Preuß zu Mehl
machen – wenn es der Absatz
hergäbe. Einige Bioläden und
Reformhäuser sind seine Abnehmer. Ein eigener Hofladen?
Gern, aber ohne Zertifizierung
nicht möglich. Und so etwas ist
bekanntermaßen
kostspielig.
Wir sind beim Kreuz dieser Geschichte. Sein Tourismuskonzept, resümmiert Detlef Preuß,
habe sich nicht gerechnet. Ob
Live-Musik,
Plattdeutscher
Abend oder Kinderfest – die Re-
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sonanz war groß, der anschließende Blick in die Kasse eher
frustrierend (wann sind Preise
eigentlich zu volkstümlich?). An
die Schaffung von Arbeitsplätzen ist gleich gar nicht zu denken.
Statt dessen ist der Müller
froh, daß seine Lohnkosten
zumindest bis Ende des Jahres von öffentlicher Hand finanziert werden. Dabei: Für Feiern
und Veranstaltungen an den
Wochenenden ist der Müllerhof
derzeit immer noch ausgebucht
(was sich mit dem Nähern der
kälteren Jahreszeit ändern dürfte), doch beklagt Preuß den für
ein wirklich ersprießliches touristisches Tagesgeschäft nachteiligen Standort. Altkalen prahlt ein
bißchen damit, in der – durchaus reizvollen – Mecklenburger
Schweiz zu liegen, doch Ostsee
oder Mecklenburgische Seenplatte ist sie nun mal nicht. Vom
Zufallstourismus lebt es sich,
nachvollziehbar, dürftig. Preuß
tröstet sich damit, daß sich alles
erst einmal einspielen müsse,
bekräftigt zugleich, mit der Sanierung der Mühle in die Zukunft investiert zu haben, bleiben zu wollen, um irgendwann
sein Auskommen zu finden.
Genug sinniert – ran an den
Speck, Müllersmann! Wie wäre
es mit einer innigeren Zusammenarbeit mit dem regionalen Tourismusverband oder den
Landfrauen?
Ideenreichtum,
Enthusiasmus hast du doch ein
ganzes Jahrzehnt lang bewiesen,
als es um das Restaurieren des
Familienbesitzes ging! (Eine
kleine methodische Handreichung einschlägiger Ämter und
Ministerien wäre – auch angesichts der geflossenen Fördermittel – sicher ausnahmsweise
ebenfalls mal drin.)
Die Mühle dreht sich nicht
vom gestrigen Winde – wer wüßte das besser als ein Müller.
J UTTA H EISE
Glück zu! Müller Preuß wünschen
wir immer eine Handvoll Wind in
den Flügeln.