Egoismus contra Gemeinwohl
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Egoismus contra Gemeinwohl
Stuttgart 21 und die Folgen – Brauchen wir mehr Demokratie? Dr. Jürgen Hogeforster war Referent zu diesem Thema am 24. Januar 2012. Auch heute wägt der Jurist bei seinem Einsatz für mehr Demokratie Chancen und Risiken ab. Egoismus contra Gemeinwohl Angesichts der Unterschriftensammlung und des Volksentscheids gegen die Hamburger Schulreform, Bürgerentscheiden zur Ansiedlung von Ikea in Altona und ähnlicher Vorkommnisse, hat Bürgermeister Ole von Beust besorgt zunehmenden Partikularismus festgestellt, der schließlich darin gipfelt, dass Anwohner der Elbchaussee sich über den Lärm im Hafen beschweren und diesen verbieten wollen. Politische Spaltung der Gesellschaft Die Volksgesetzgebung in Hamburg ist noch sehr jung. Sicherlich müssen wir noch lernen, damit umzugehen. Schließlich verfügen wir dabei nicht wie die Schweizer über eine mehrere Jahrhunderte umfassende Erfahrung. Aktuell ist in Hamburg zu beobachten, dass eine aufstrebende Mittelschicht sich engagiert der Instrumente einer direkten Demokratie bemächtigt. Eigentlich stehen diese Gruppen Volksentscheide skeptisch gegenüber, doch sie nutzen diese Instrumente für ihre Zwecke, starten aktiv und professionell Volks- oder Bürgerbegehren, investieren viel Zeit und Geld, engagieren PR-Profis und sammeln so Mehrheiten. Dabei besteht die Gefahr, dass in erster Linie partikulare Interessen verfolgt werden. Damit erfährt die soziale Spaltung der Gesellschaft zusätzlich eine politische Aufspaltung: Minderheiten, die sich artikulieren und die Instrumente zu nutzen wissen, auf der einen Seite und die Mehrheit, die eher hilflos dem Geschehen gegenüber steht und für fremde Ziele eingespannt wird, auf der anderen Seite. Dies kann nicht gut gehen und wird die Konflikte in der Stadt erheblich verschärfen. Doch auch dies spricht nicht gegen direkte Demokratie, besagt vielmehr nur, dass gute demokratische Wege für egoistische Interessen missbraucht werden können. Ausufernder Partikularismus hat mehrere, ganz andere Ursachen. Fehlende Orientierung Globalisierung und tiefe Umbrüche haben zu einer Desorientierung breiter Bevölkerungskreise geführt. Finanzkrise und Rezession verschärfen die Verunsicherung. Immer mehr Menschen finden immer weniger Antworten auf Fragen wie: Wohin geht die Reise? Wie kann es weiter gehen? Viele Menschen fühlen sich entwurzelt; heimat- und haltlos ziehen sie sich zurück und sehen nur noch sich selbst. Auch Politik und andere gesellschaftliche Institutionen bieten kaum Orientierung. Es fehlen klare Visionen und mutige Ziele zur Gestaltung der Zukunft, die die Menschen begeistern sowie Zuversicht und Kraft für Wege zur Zielerreichung geben können. Politische Führung lässt sich von mächtigen Lobbyisten zerreißen und flüchtet in schlechte Kompromisse. Die Medien verbreiten Schreckensnachrichten, schüren Ängste und wecken unrealistische Erwartungen. Die Eliten versagen Die herkömmliche Elite des Adels, der Abstammung, des Geldes oder der akademischen Bildung versagt ebenfalls und kann kaum noch Vorbild sein. So mancher davon bedient sich selbst wie in einem Selbstbedienungsladen und vergisst das Bezahlen. Dieser vorgelebte Egoismus ist ansteckend: „Wenn die da oben dies machen, warum sollte ich dann bescheiden sein und mich um das Gemeinwohl kümmern?“ Es bildet sich jedoch zunehmend eine neue Elite der Verantwortung heraus, die quer zu den gesellschaftlichen Gruppen verläuft. Doch dies braucht Zeit und in dem entstandenen Vakuum der Geistlosigkeit und fehlenden Orientierung wuchert Egoismus. Materiell geht es gut, niemand muss hungern oder erfrieren. Die ärgsten Lebensbedrohungen sind überwunden und eigentlich könnte die Gesellschaft nun frei für die Freiheit sein. Doch für so manchen verhält es sich mit der Freiheit wie mit einem Kleidungsstück, das viel zu groß ist und in das man erst noch hinein wachsen muss. Freiheit ist jedoch nur durch Verantwortung möglich. Verantwortungslosigkeit verwechselt Freiheit mit Frechheit. Da Frechheit die Freiheit der Sklaven ist, versklaven sich Menschen mit egoistischen, verantwortungslosen Verhalten selbst. Der Zweck heiligt nicht die Mittel Bürger- und Volksbegehren verlangen ein besonders hohes Maß an Verantwortung, dürfen nie partikulare Interessen verfolgen und müssen immer das Gemeinwohl im Auge behalten. Wenn sich jemand von einer Partei, die er gewählt hat, enttäuscht fühlt oder mit politischen Entscheidungen nicht einverstanden ist, lohnt es nicht, dies mit gleicher Münze heimzahlen zu wollen. Wer auf Verfehlungen anderer selbst nur mit Böswilligkeit und Wut reagiert, verfängt sich selbst in einem Teufelskreis, schadet dem Gemeinwohl und verspielt die eigene Lebensfreude. Ebenso wenig ratsam ist es, auf erlebte Verfehlungen mit Güte zu reagieren und damit nur Kräfte zu verschwenden. Denn das hieße, jemand mit Nachsicht und Wohlwollen zu begegnen, der es offensichtlich nicht wert ist. Es bleibt nur eine dritte Möglichkeit, die auch Motive und Handlungsweisen einer direkten Demokratie bestimmen muss: Gelassen bleiben, ehrlich und aufrecht durchs Leben gehen. Das Volk ist sehr viel klüger, als viele Führungskräfte glauben. Volksbeteiligung ist ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Demokratie. Einziger Nachteil ist, dass dringende Entscheidungen zeitlich stark verzögert werden können, was sich angesichts dynamischer Entwicklungen sehr nachteilig auswirken kann. Deshalb sind in Hamburg Gesetzesänderungen erforderlich, die sowohl Bürgerbeteiligungen als auch beschleunigte Prozesse ermöglichen. Die direkte Demokratie ist in Hamburg noch jung, hat sich grundsätzlich aber bewährt. Auch der Bürgerentscheid zur IKEA Ansiedlung in Altona hat zu einer Zustimmung von 75% geführt. Ebenso klug wird sicherlich der Volksentscheid zur Schulreform am 18. Juli zu einem überzeugenden Ergebnis führen. Dr. Jürgen Hogeforster