Verantwortung, ein Irrglaube?
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Verantwortung, ein Irrglaube?
Verantwortung, ein Irrglaube? Interview von Sebastian Loudon rrgarten, Schlosspark Schönbrunn, ein Freitagnachmittag im Spätsommer. Oliver Voigt, überpünktlich, sitzt ungeduldig auf den Bänken eines Imbissstands und gönnt sich eine Laugenbrezel im Großformat. Der Vorstandsvorsitzende der Verlagsgruppe News ist – wie eigentlich immer – blendend aufgelegt, voller Tatendrang und teilt seine Brezel mit dem Bestseller-Art-Director. Das Handy läutet, er geht ran und sagt „Aloha“. Am anderen Ende ist Eva Dichand, seine Gesprächspartnerin für diesen Nachmittag. Die Herausgeberin der Gratiszeitung Heute und Ehefrau von Kronen-Zeitungs-Herausgeber Christoph Dichand irrt noch durch den riesigen Schlosspark Schönbrunn – auf der Suche nach dem Irrgarten. Zugegeben, hier ist kein idealer Treffpunkt für einen Freitagnachmittag, eher eine Zumutung. Das lässt sich Dichand aber nicht anmerken, und Voigt schon gar nicht. Wo also bleibt Dichand? „Sie steht vor einem großen Brunnen mit Seerosen“, sagt Voigt. Darauf ein aufmerksamer Parkwächter: „Wir h olen sie!“ Und prescht los. Die Vermisstensuche im Schlosspark Schönbrunn dauert nicht lange, Dichand wird wohlbehalten aufgefunden. Nach dem Shooting mit Fotograf Daniel Gebhart de Koekkoek fragt Dichand: „Und jetzt?“ Der Bestseller- Reporter antwortet: „Jetzt reden wir über die gesellschaftliche Verantwortung von Medien.“ Darauf Dichand: „Ah ja …“ 18 Bestseller 9|10 2010 Blick in die Zukunft: Eva Dichand & oliver voigt Fotografiert von Daniel Gebhart de Koekkoek Bestseller Bei den Österreichischen Medientagen steht heuer zum ersten Mal die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung der Medien am Programm. Ist das eigentlich ein Thema, das Sie beide in Ihrem Berufsalltag als Herausgeber und Verleger beschäftigt? Eva Dichand Alle Menschen in Führungspositionen haben Verantwortung, natürlich auch Menschen, die Medien machen. Medien sind aber nicht dazu da, die Gesellschaft zu erziehen, deshalb hält sich die Verantwortung der Medien auch in Grenzen. Die größte gesellschaftliche Verantwortung hat immer noch die Familie, vielleicht noch die Politik. Aber nicht die Medien, denen man das so gerne zuschiebt … Medien sind also keine Elemente der Aufklärung? Dichand Nur dann, wenn es darum geht, Missstände aufzuzeigen, aber sicher nicht, um die Menschen zu bevormunden, indem man ihnen etwa sagt, wen sie wählen dürfen oder nicht. Das hielte ich für mehr als bedenklich. Wie ist das bei Ihnen, Herr Voigt? Stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Medien im Alltag? Oliver Voigt Selbstverständlich! Aber natürlich nicht stündlich, dafür herrscht zu viel Stress im Joballtag. Bei fünfzehn Publikationen in einem Verlags- haus ist das Entscheidende, dass jeder einzelne Chefredakteur diese Verantwortung übernimmt. Dazu gehört etwa die journalistische Sorgfaltpflicht, die leider oft unter dem fürchterlichen Zeitdruck leidet. Gerade das Prinzip „Check, Re-Check and DoubleRe-Check“ kann diesem Druck zum Opfer fallen. Jeder, der in unserem Beruf arbeitet, weiß das. Umso mehr haben wir unser Augenmerk besonders darauf zu richten. Gerade in den vergangenen Tagen hat der Fall „Lucia R.“ für Aufregung gesorgt. Um die Geschichte über eine ermordete slowakische Prostituierte zu illustrieren, haben einige Medien, auch Heute, das Facebook-Profilbild einer anderen Frau gleichen Namens verwendet. Kommt man da nicht ins Grübeln? Dichand Ins Grübeln? Ich bin ausgeflippt! Und was waren die Konsequenzen? Dichand Der Redakteur hat eine auf den Deckel bekommen, und wir haben daran gearbeitet, dass so etwas nie wieder passieren kann. Nur: Hier ist ein Fehler passiert, das zähle ich jetzt nicht zur gesellschaftlichen Verantwortung. Es wurde ja nicht bewusst eine Falschmeldung produziert. Aber es ist unter dem Zeitdruck passiert, dem sich die Medien kollektiv unterwerfen. Voigt Und ich muss sagen: Ich habe noch nirgendwo erlebt, dass es so wichtig ist, eine Meldung als Erster zu bringen, wie hier in Österreich. Dabei ist das doch kein Wert für sich! Solche einzelnen Fehler können aber immer passieren. Das Wichtigste ist, dass man danach die richtigen Maßnahmen setzt, um sie künftig zu vermeiden. „Wir bemühen uns um positive Berichterstattung. Wir pflegen Idole, egal ob das ein Landeshauptmann oder Lady Gaga ist.“ Eva Dichand 20 Bestseller 9|10 2010 1,9 Millionen Hörer = 1,9 Millionen Kunden. Die Hörer werden mehr. Die Kunden werden mehr. Nur die Preise bleiben gleich. (Quelle: Radiotest, 1.HJ 2010) Nähere Infos: www.rms-austria.at RMS. gehört. gebucht. News hatte eine ähnliche Episode im Zuge der Familie F. aus Amstetten. Welche Maßnahmen haben Sie da gesetzt? Voigt Wenn ich das sagen darf: Das war keine Episode, sondern ein – wirklich gravierender – Fehler mit dem Cover, auf dem die Kinder dieser Familie unverpixelt gezeigt wurden. Wir haben damals intensive Gesprächegeführt, auch mit den Chefredakteuren anderer Magazine, und ich gehe fest davon aus, dass es so e inen Titel nicht mehr geben wird. Seit d amals konsultieren wir bei Geschichten, die in die Privatsphäre gehen, nicht nur M edienanwälte, sondern diskutieren das im erweiterten Kreis unter ethischen Gesichtspunkten. „Ich habe noch nirgendwo erlebt, dass es so wichtig ist, eine Meldung als Erster zu bringen, wie hier in Österreich.“ Oliver Voigt Unabhängig von Einzelfehlern: Medien sind gesellschaftliche Projektionsflächen, multiplizieren Strömungen, prägen die Rollenbilder der Menschen, besonders die der Jugend. Gerade Heute rühmt sich, v iele junge Leser zu haben. Erwächst daraus nicht auch eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber? Dichand Und wie! Dessen sind wir uns auch bewusst, und deswegen ist auch unser Blatt so, wie es ist. Wir zeigen keine aufgeschlitzten Leichen im Großformat oder fünf barbusige Frauen pro Ausgabe, wie die englische Sun oder andere Boulevardzeitungen. Wir sind sehr angepasst und bemühen uns um positive Berichterstattung. Wir pflegen Idole, egal ob das ein Landeshauptmann oder Lady Gaga ist. Beim folgenden Zitat werden Sie vielleicht beide lachen müssen: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“ Karl Marx hat das gesagt – was sagen Sie dazu? Voigt Das ist keine Frage des Entweder-oder. Man muss das eine mit dem anderen verbinden. Natürlich sind wir der Gesellschaft verpflichtet, wir sind aber ein Wirtschaftsunternehmen. Aber klar ist: Das Renditeziel darf nie das absolute Primat sein. Einer der wichtigsten Lehrmeister, die ich in meinem Leben hatte, der Schweizer Gründer und Verleger Jürg Marquard, sagte: „Unabhängiger Journalismus lässt sich am besten aus hoher Profitabilität generieren.“ 22 Dichand Da fällt mir ein: Herr Voigt, bekommt Ihr eigentlich Presseförderung? Voigt Viel zu wenig. Dichand Ich bekomme keinen Cent … Voigt Es ist ein Unding, dass Magazine wie profil, Format oder News, die meines Erachtens ebenso an der gesellschaftlichen Aufklärung arbeiten, wie das eine Presse oder ein Standard tun, bei einer siebenstelligen Gesamtsumme symbolische 65.000 Euro an Presseförderung erhalten. Das ist eine eklatante Schieflage. Frau Dichand, Sie sind Quereinsteigerin und kommen aus der Finanzwirtschaft. Haben Sie in dieser Frage etwas von Ihrem verstorbenen Schwiegervater Hans Dichand angenommen? Dichand Das Einzige, das mir eingebläut wurde, ist, dass der Leser das Wichtigste ist. Ihm gilt die Verantwortung eines Mediums. Für eine Gratiszeitung sind Anzeigen natürlich auch sehr wichtig, da es ja keine Einnahmen aus dem Verkauf gibt. Der Leser steht jedoch im Vordergrund. Je mehr Leser, desto mehr Anzeigen, ganz einfach. Ich finde, Medien, die nur durch Förderungen überleben, haben keine Daseinsberechtigung – außer allenfalls im Kulturbereich. Wenn man so wenige Leute erreicht, macht man etwas falsch oder muss den Umfang ver ringern, den Erscheinungsrhythmus wechseln oder ganz ins Internet ausweichen. Bestseller 9|10 2010 Es gibt mehr im Leben als einen Volvo. ES GIBT SPORTLICHES DESIGN, IN DAS MAN SICH AUF DEN ERSTEN BLICK VERLIEBT. UND AUF DEN ZWEITEN UND DEN DRITTEN UND DEN VIERTEN UND DEN FÜNFTEN. Deshalb gibt es jetzt den neuen volvo S60. DER NEUE VOLVO S60. Sportliches Design und Fahrspaß pur. Und zusätzlich eine echte Weltneuheit: das Kollisionswarnsystem mit Fußgängererkennung und automatischer Notbremsung*. 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Auch die breite Masse der Leser ist viel klüger und hat ein viel besseres Gespür, ob ihnen etwas vorgemacht wird, als die meisten denken. Qualität und Authentizität kann man auf einem gehobenen Level genauso leben wie auf einem breiten Level. Sie müssen es ja wissen: Wie viele Magazinhefte verkaufen Sie im Schnitt mehr, wenn eine halbnackte Frau darauf ist? Voigt (lacht) Glücklicherweise ist das nicht so eklatant, sonst müssten wir alle zu Hugh Hefner pilgern und uns Nachhilfe geben lassen. Aber im Ernst: Bei News diskutieren wir das immer ganz intensiv. Chefredakteur Peter Pelinka hat eine ganz klare Vorstellung davon, wie er dieses Blatt machen will. Aber, ob wir es gerne hören oder nicht: Das bestverkaufte News-Cover dieses Jahres war die königliche Hochzeit in Schweden. Die hat die Menschen wirklich berührt. Und das Schöne an einem Wochentitel ist, dass man die rund 50 Ausgaben eines Jahres dosieren und abmischen kann. Aber natürlich wissen wir, dass ein Cover zum Thema Justiz, wie etwa vor einigen Wochen, uns Auflage kostet, weil es sich nicht so breit verkauft. Und siehe da: Wie machen es trotzdem. 24 Spaziergang. Heute-Herausgeberin Eva Dichand und News Verlags-Chef Oliver Voigt beim Interview-Walk mit Sebastian Loudon. Dichand Auch ein Blick nach Deutschland zeigt, dass Qualität funktioniert. Dem Spiegel geht es wirtschaftlich wieder gut, und der traut sich auch was, zum Beispiel, wenn er einen Grabstein mit dem Eurozeichen am Cover hat. Für so etwas würde man ja in Österreich aus dem Land gejagt … Voigt Die Zeit verdient ebenfalls hervorragendes Geld und legt an Reichweite zu. Es gibt eine Renaissance der Idee, mit hochwertigem unabhängigem Journalismus hohe Profitabilität zu erreichen. Auch das profil hatte im Jahr 2008 eines der besten Jahre seiner Geschichte. Kein Grund zum Jammern also, dass sich Qualität nicht mehr finanzieren lässt. Gerade in der Werbung ist immer wieder von einem Wertewandel die Rede. Wie nehmen Sie das wahr? Voigt Die Menschen haben Lust auf Beruhigung. Wir leben im ständigen digitalen Overload, wie kleine „Duracell-Männchen“, die so durch die Welt marschieren. Deshalb empfinde ich auch dieses Gespräch so angenehm. Wir sitzen hier im Park, es ist still, da drüben läuft ein Jogger: herrlich! Die Menschen haben ein größeres Bedürfnis nach Ruhe und Stabilität, und das halte ich persönlich für gesund. Dichand Ich glaube, der übertriebene Wachstumsgedanke, die ganze Finanzblase, das ist den Leuten wirklich zu viel geworden. Die Leute setzen heute wieder mehr ihren Hausverstand ein. Ich sehe schon eine Rückbesinnung: Werte, die eine Zeit lang über Bord geworfen wurden, weil es nur um das „Höher, schneller, weiter“ ging, spielen jetzt wieder eine wichtigere Rolle. Dabei spielten doch gerade die Medien bei der Entstehung dieser Blasen eine unrühmliche Rolle … Voigt Bei der Finanzkrise war das in weiten Teilen der Fall. Sie verantworten mit trend und Format zwei wesentliche Wirtschafts magazine in diesem Land. Wurden aus dieser Erkenntnis eigentlich Lehren gezogen? Ist Weiterbildung ein Thema? Voigt Wir haben bei beiden Magazinen frühzeitig hingewiesen und bereits vorab gecovert, aber auch bei uns hätte man vielleicht noch mehr erwarten dürfen … Dichand … bitte, wenn es nicht einmal die kapiert haben, die das Ganze erursacht haben, wird es für Journalisten aber fast unmöglich. Und ein v paar kritische Berichte gab es schon auch. Bestseller 9|10 2010 Voigt Ja, es gab ein paar Vernünftige, aber erinnern Sie sich an den Vor trag des ehemaligen Chefvolkswirts der Deutschen Bank in Alpbach? Er hat gewusst, was passiert, und die Krise Anfang 2008 genau vorausge sagt. Und er wurde in den Medien als der übelste Pessimist Deutsch lands angeprangert. Dichand Vielleicht blüht mir das gleiche Schicksal zum Thema EU. Ich sage immer: So wie wir es jetzt machen, funktioniert es nicht. Wenn das jemand in Alpbach sagt, wird er vom Podium gejagt. Wenn man das beim Weltwirtschafts forum sagt, nicken 75 Prozent der Leute im Publikum. Voigt Vor der Finanzkrise waren e infach alle in einem kollektiven Rausch. Und weil es so oft vorwurfs voll in Richtung der Medien heißt: „Only bad news are good news“: In diesem Fall haben alle nach immer neuen, immer besseren „good news“ gesucht. Auf der anderen Seite muss aber auch die Frage erlaubt sein, wieso sich denn niemand gefragt hat, warum sich halb Amerika ein Haus baut, obwohl halb Ameri ka es sich nicht leisten kann. Die Verant wortung liegt also auf m ehreren Seiten. Das hat auch damit zu tun, dass Europa viel zu wenig darauf schaut, was in der Welt sonst so los ist. Da sind die ständigen Einsparungen bei Korrespondenten nicht gerade zuträglich … Voigt Da mag etwas dran sein, das will ich gar nicht negieren. Nur ist auch die Frage, ob da ein Korrespondent wirklich etwas hätte bewirken können. Wenn Sie als Medienmacher ein Produkt, losgelöst von wirtschaftlichen Zwängen, auf den Markt bringen könnten – was wäre das? Dichand (lacht) Sie zuerst! Voigt Nein, ich warte. Dichand Ich hätte fast etwas mit Schuhen und Handtaschen gesagt, aber das wäre zu trivial … (lacht) Voigt Und ich muss mich gleich als kom pletter Rohling outen, denn ich habe, ehrlich gestanden, noch nie über eine Publikation ohne wirtschaftlichen Hintergrund nachge dacht (lacht). Aber jetzt, da ich darüber nachdenke, fällt mir ein: Als P rivatmensch interessiere ich mich sehr für Geschichte – und in dem Bereich boomt der Magazin markt ohnehin. Also, ich denke, ich würde darüber nachdenken, ob mir etwas in diesem Bereich einfiele. JOSÉ CARRERAS PATRICIA KAAS / WIENER SÄNGERKNABEN Gaststar: NATALIA USHAKOVA 10. DEZ. 2010 Ticketpartner: