Die 33 Fragen mit Hellmuth Karasek

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Die 33 Fragen mit Hellmuth Karasek
Die 33 Fragen mit Hellmuth Karasek
Klinoskop stellt die 33 Fragen.
Ja, dieser Idee liegt die legendäre (und
längst eingestellte) Interview-Reihe 100
Fragen an… von Moritz von Uslar für
das Magazin der Süddeutschen Zeitung
zugrunde. Wir beschränken uns auf das
Drittel, gefragt bleiben wie beim Original
schnelle, kurze und prägnante Antworten
– gern ironisch, zuspitzend oder witzig.
Und man darf ausnahmsweise auch mit
„Weiter.“ antworten.
Ohne Marcel Reich-Ranicki wäre das „Literarische Quartett“ undenkbar gewesen, aber
im Grunde gilt das genauso für Hellmuth
Karasek, der nur scheinbar milder agierte.
Von 1988 bis 2001 kultivierte man dort eine
Form von unterhaltsamem Luxus-Fernsehen,
wie es heute kaum mehr zu finden ist. „Er
ist ein glänzender Mann… Von der Freundschaft mit Karasek habe ich etwas ganz
wichtiges gelernt: Was nämlich Freundschaft sein kann“, meinte Reich-Ranicki
unlängst in einem Interview über ihn.
Karasek ist 75, und er bleibt wie er ist. Fotos: Kreißig (3)
Karasek, 1934 im Brünn geboren, war zu
NS-Zeiten einige Monate Schüler einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (Napola). Nach dem Krieg kam er mit Eltern und
Geschwistern nach Stollberg bei Chemnitz.
Später zogen sie nach Bernburg/Saale,
wo er das Abitur ablegte. Der Ängste und
neuerlicher Lügen überdrüssig ging er in
den Westen und studierte. Nach mehreren
Zwischenstationen war Karasek von 1974
bis 1996 beim SPIEGEL, davon 17 Jahre
als Kulturchef, eine lange Phase, in der er
zum Starautor im Feuilleton avancierte.
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Nach Differenzen verließ er die Zeitschrift
und wechselte als Herausgeber zum Tagesspiegel. Heute arbeitet er oft für die WELT
oder die Berliner Morgenpost. Als Autor kultivierte Karasek glänzend Glosse, ironische
Selbstbeobachtung und Schnurre in einer
Qualität, wie es hierzulande vielleicht noch
Gregor von Rezzori vermochte. Dem Film
galt ebenso immer seine Begeisterung als
Kritiker wie Konsument.
Welche Erinnerungen an Ihr DDR-Abitur?
Nur Gute. Ich erinnere mich an eine rothaarige, hübsche Russisch-Lehrerin. Sie hat
mir versprochen, als ich zum Geräteturnen
musste, dass sie die Augen zumacht.
Was meint er damit genau? Wir fragen
nicht nach. Jetzt müssen wir mal zur Literatur kommen.
Die Abenteuer des Werner Holt gelesen?
Ja, natürlich.
Im erzgebirgischen Aue las er zum Jah- Wir haben den ersten Teil geliebt. Holt galt
reswechsel im Kulturhaus vor einem be- als cool.
geisterten Publikum aus seiner neuen Anthologie „Vom Küssen der Kröten und andere Welcher DDR-Schriftsteller hatte Niveau?
Zwischenfälle“, die im Verlag Hoffmann und Sehr viele. Hans-Joachim Schädlich wäre
Campe erschien. Wir baten Hellmuth Kara- dann mein Lieblingsautor in dieser Gruppe.
sek, der im Januar 75 wurde, im Anschluss
zu den 33 Fragen, und er war sofort dabei. Zu den Amerikanern: Bret Easton Ellis oder
Jay McInerney?
Auf wie viele Lesungen blicken Sie zurück? Beide.
Vielleicht 350 bis 400…
Er stapelt tief. Das waren doch sicher
Befreundete Schriftsteller: Gibt es das
mehr.
überhaupt für einen Berufskritiker?
Ja, ja doch. Ich mag Michael Kleeberg sehr.
Vielleicht doch 1.000?
Und ich würde sagen, dass ich wirklich
Nein, niemals. Na vielleicht 500, gut.
befreundet bin mit Stuckrad-Barre.
Benjamin von Stuckrad-Barre, der eheWie viele Bücher verkauft?
malige Popautor und Ex-Freund von Anke
Ich schätze insgesamt 300.000-400.000.
Engelke und Sarah Kuttner – wer hätte das
gedacht?
Weniger als die Feuchtgebiete von Charlotte Roche also…
Wer war der beste Gast aller Zeiten im LiteViel weniger…
rarischen Quartett?
Peter Wapnewski vielleicht.
Mehr als 20.000 Bücher zu Hause?
Nein. Ich nehme an, dass es zwischen
Etwas wehmütig, wenn Sie sich an die
8.000-12.000 sind.
Glanzzeiten des Quartetts erinnern?
Im Alter erinnert man sich an alles
Das „Kommunistische Manifest“ gelesen?
wehmütig.
Natürlich. Ihr habt nichts zu verlieren als
eure Ketten…
Französische Lieblingsschauspielerin?
Unglaublich. Er kann es frei zitieren. Wer
Catherine Deveuve.
könnte das schon im Osten?
Gehen Sie noch ins Kino?
Und das „Manifest“ auch noch im
Ja.
Bücherschrank?
Ein sehr bestimmtes, langes Ja. ZwischenJa.
durch muss er ein Veranstaltungsposter
signieren, bestimmt sein 200. Autogramm
Noch Kindheitserinnerungen an Brünn?
an diesem Abend. Karasek bleibt locker und
Ganz wenige. Wie ich mit dem Großvater in freundlich.
die Berge zum Jägerhaus ging, das war ein
Lokal.
Welches Interview hätten Sie gern geführt,
das aber nie geklappt hat?
Und an die Zeit in der Napola?
Ich habe mit John Huston („Moby Dick“),
Da in Lublinitz war ich jetzt kürzlich und
dem Regisseur, ein Interview verabredet
habe für einen Film diese Schule besucht.
gehabt. Als ich schon auf dem Flugplatz
Das war wirklich ein so grauenhaftes
war, kam die Nachricht, dass er gestorben
Erinnerungserlebnis, vielleicht auch, weil
ist.
die Gegend so trostlos war.
Klingt wie aus einem Woody-Allen-Film.
Mit dem „Literarischen Quartett“ wurde Hellmuth Karasek (l.) auch außerhalb des Feuilletons bekannt. Auf dem
Foto ist er mit Iris Radisch, Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf zu sehen (v. r.). Foto: ZDF/Kerstin Bänsch
Die charmante Auer Buchhändlerin Dietlind Fischer
hatte Hellmuth Karasek ins Erzgebirge eingeladen.
Favorisierter bildender Künstler?
Ich würde schon sagen: Beuys.
Ist die Telenovela vielleicht die Zukunft
des deutschen Fernsehens – so wie in
Südamerika?
Ich habe in Südamerika Telenovelas gesehen, zuletzt in Caracas, und die sind noch
schrecklicher angelegt als die hiesigen und
dadurch noch schöner.
Er sagt das mit dem doppelbödigen Lächeln des Kritikers.
Privat auch Kunstbesitzer – oder gar
Sammler?
Ein bisschen.
Was zuletzt gekauft?
Einen Bisky.
Es wird behauptet, dass die meisten Bilder
von Norbert Bisky angeblich Guido Westerwelle besitzt…
Ich glaube das.
Karasek lacht herzlich. Er ist übrigens ein
sehr sympathischer und offener Gesprächspartner, sehr angenehm.
Letzte Inszenierung, die Sie wirklich
berührt hat?
Don Giovanni in Salzburg von Claus Guth.
Michael Thalheimer oder Frank Castorf?
Thalheimer.
Beide haben auch mal am Chemnitzer
Schauspielhaus inszeniert, jeweils zwei
Stücke. Sagen wir aber nicht, weil es so
schrecklich lange her ist und die zwei nie
wiederkommen werden.
Auch irgendwo auf der Bühne gespielt?
Ich war in Fernsehspielen dabei, einmal
habe ich auch einen Literaturkritiker gespielt. Auf der Theaterbühne? Ganz kleine
Auftritte. Als junger Mann habe ich in
„Emil und die Detektive“ den Professor gegeben. Das war in Bernburg, ein schönes,
anhaltinisches Landestheater.
Als Kritiker mal ernstlich von einem Künstler bedroht worden?
Nicht ernstlich. Aber vielen Kritiken folgten
Vernichtungsversuche an mir.
Ist Schreiben eine Form von Sucht?
Eine Sucht und eine Strafe für die Sucht.
Jetzt testen wir mal die Trivialkultur an.
Auch Thomas Bartholdt, Prokurist vom BergarbeiterKrankenhaus Schneeberg, ließ sich sein Exemplar
„Vom Küssen der Kröten“ vor Ort in Aue signieren.
Ihre Jahre als Herausgeber des Tagesspiegels in einem Satz.
Schöne Zeit, Berlin im Aufbruch.
Was ist Berlin für Sie heute?
Ein Versprechen und eine Erinnerung.
Karasek erwartet sicher ein paar Theaterfragen. Er soll sie bekommen.
Sagt Ihnen Dieter Bohlen etwas?
Eigentlich ist er ein ganz schlagfertiges
Kerlchen.
Und was noch?
Eigentlich ist er auch ein Kotzbrocken.
Jetzt machen wir es noch eine Stufe trivialer.
Wer ist Lisa Plenske?
Wer ist das? Kenn’ ich nicht.
Für welches Medium hätten Sie gern
geschrieben?
Ich denke, am liebsten hätte ich noch mehr
fürs Theater geschrieben. Es hätten mehr
Stücke sein können…
Drei Theaterstücke hat Karasek verfasst
und unter dem Pseudonym Daniel Doppler
herausgegeben.
Warum nie in die Politik gegangen – die gilt
doch auch als eine Form von Theater?
Der Zwang, heucheln und lügen zu müssen,
war mir ziemlich unvorstellbar, unerträglich. Wenn es sich aufs Privatleben
beschränkt – das Heucheln und das Lügen
– kommt man besser zurecht.
In Hanif Kureihis Buch „In fremder Haut“
kann ein erfolgreicher, älterer Schriftsteller durch eine Operation in einen jungen
Körper wechseln, ein sagenhafter Jungbrunnen mit allen Konsequenzen. Schon
mal über so eine Möglichkeit nachgedacht?
Ich denke nur darüber nach, was ich mir
realistisch zumuten kann. Ich glaube, das
wäre letztlich eine sehr tragikomische
Nummer.
Interview: Uwe Kreißig
Eine Figur aus der Telenovela Verliebt in
Berlin.
Ja, hab’ ich gehört davon. Aber so richtig
kenne ich es nicht.
Natürlich kennt er Lisa Plenske nicht.
Warum auch.
Personen & Fakten
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