stadt der könige, wohnsitz der wikinger
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stadt der könige, wohnsitz der wikinger
STADT DER KÖNIGE, WOHNSITZ DER WIKINGER Eine archäologische Ausstellung über die Spuren der ersten Stadt des schwedischen Reiches - Sigtuna - Eine Einführung von Sten Tesch Der König möchte den Wikinger mit goldenen Ringen und Grundstücken in das Mittelalter locken. - Ausstellungsplakat vom Künstler Jordi Arkö Heute leben wir in einer Zeit, in der der Großteil der Bevölkerung, ca. 84%, in Städten wohnt. Vor nicht allzu langer Zeit waren die Umstände umgekehrt. Vor nur hundert Jahren lebten allein 30% der Bevölkerung in Städten; und gehen wir bis ins Mittelalter zurück, so waren es nur ein paar Prozenteinheiten. Die größten Städte von damals waren nicht größer als die kleinsten von heute. Für das ausgehende Mittelalter rechnet man damit, dass Stockholm, das damals die einzige große Stadt Schwedens war, nicht mehr als 7000 Einwohner zählte. Übrige Städte im mittelalterlichen Schweden hatten normalerweise nicht mehr als tausend Einwohner und gewöhnlich noch weniger. An europäischen Verhältnissen gemessen waren die mittelalterlichen Städte Schwedens Lilliputtstädte, eigentlich fast nur größere Bauerndörfer. Zugleich waren sie aber Orte, die sich vom umgebenden Land abhoben. An der Schwelle zu einer neuen Zeit Sigtuna ist bekanntlich unsere älteste mittelalterliche Stadt. Sie wurde bereits in der Endphase der Wikingerzeit gegründet. Während des letzten Jahrzehntes haben hier umfangreiche archäologische Untersuchungen stattgefunden. Durch die Resultate dieser Ausgrabungen haben wir eine neue Vorstellung über die Stadtentwicklung bekommen, die sich markant von den Darstellungen der Geschichtsbücher unterscheidet. Sigtuna war in erster Linie nicht etwa Nachfolgerin eines Handelsplatzes wie Birka (wikingerzeitliche „Stadt" und Handelsplatz auf der Insel Björkö im See Mälaren), sondern ein vom König angelegter Stützpunkt, der dazu diente, seine Herrschaft in der Mälarenregion (die Region um den größten See in Svealand herum) zu festigen. König Erik Segersäll gründete die Stadt ungefähr im Jahr 980, und diese Gründung bildete einen der Ausgangspunkte für das Entstehen des schwedischen Reiches. Zu jener Zeit sammelte man die heidnischen Stämme und Kleinfürstentümer zu einem Reich unter einem König und einem Gott. Die Macht der Gaben Zu jener Zeit schuf man Reiche ebenso mit Hilfe von kostbaren Gaben wie mit Heeresmacht. Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnisse waren wichtiger als Gewaltanwendung oder die Androhung davon. Goldene Armringe und Fingerringe waren Gaben mit großem Symbolwert und den vornehmsten Schichten der Gesellschaft vorbehalten. In den letzten Jahren hat man in Sigtuna mehrere derartige Artefakte ausgegraben. Eine andere schwer zurückbezahlte Gabe war ein Grundstück in der Stadt. Der König vergab Grundstücke an prestigehungrige lokale Häuptlinge und Adelige aus der Mälarenregion, die das Heranwachsen eines Königreiches auf christlichem Grund unterstützten. Zwar war es für die Männer des Königs wichtig, einen Fuß in der Stadt zu haben, nicht aber, dort zu wohnen. Man lebte anstelle auf seinem ererbten Landgut. Auch für das Leben im Jenseits war es am wichtigsten, den Kontakt zum eigenen Grund und Boden aufrechtzuerhalten. Darum fuhr man auch ein Stück in die christliche Zeit hinein damit fort, seine Toten auf dem alten Begräbnisplatz der Familie zu bestatten. Ein regelrechter Stadtplan Sigtunas ursprünglicher Stadtplan war stark vom Repräsentationscharakter der Stadt geprägt. Die Straßen waren wichtiger als die Seefront. Die Stadt wandte sozusagen dem Wasser den Rücken. Entlang einer Achse, die der heutigen „Großen Straße" (Stora gatan) entspricht, drängten sich vis à vis 140 längliche Grundstücke, die 7-8 Meter breit waren und mit ihrer Schmalseite der Straße zugewandt. Im wikingerzeitlichen Birka hatte der Königshof auf der Nachbarinsel Adelsö gelegen, in hoheitsvollem Abstand zur Siedlung. In Sigtuna lag der Königshof indes in der Stadtmitte. Er bildete die Existenzberechtigung und den Motor der Stadt. Der Königshof lag auf einer kleinen Anhöhe an einer Landzunge und war deshalb gut sichtbar, wenn man sich der Stadt auf dem Seewege näherte. An dieser Stelle liegt heute das Museum von Sigtuna. Olof Münzkönig Wir wissen nicht so genau, wie sich der Königshof gestaltete. Dennoch besteht guter Anlass zur Annahme, dass es ein großes Hallengebäude gab, das alle anderen Häuser in Sigtuna überragte und wo der König Empfänge hielt. Um die große Halle herum lagen Wohngebäude, eine kleine hölzerne Kirche, kleine Lagerhäuser und Werkstätten. Neben dem Königshof errichtete der König Olof Eriksson Skötkonung („Steuer- oder Münzkönig") die erste Münze des schwedischen Reiches. Während der nächsten dreißig Jahre wurden hier zwei Millionen kleine Silbermünzen nach englischem Vorbild geprägt. Die Münzprägung begann im Jahr 995 und war ein großer, aber misslungener Versuch, eine einheimische Währung einzuführen, weshalb es weitere 150 Jahre dauerte, bis jenes Programm wiederaufgegriffen wurde. Anstelle fuhr man damit fort, inländische und ausländische Münzen zusammen mit Schmucksachen und Silberschrott in die Waagschale zu werfen. Ein wikingerzeitliches „Versailles" Im Sigtuna des Jahres 1000 war es wichtig zu repräsentieren, sich im Glanz des Königs zu sonnen und von seiner Großzügigkeit zu profitieren. Man nahm an der Messe teil, tauschte Gaben gegen Vasallenschwüre ein und schloß Handelsabkommen, u.a. in Form von Heiratsverträgen. Der König ließ die ersten Münzen des Reiches prägen, und geschickte Handwerker fertigten im Auftrage der Edelleute exklusive Schmuckstücke und Kämme, die als Gaben benutzt werden konnten, um die guten Beziehungen mit anderen Edelleuten aufrechterhalten. Innerhalb den Staatsgrenzen garantierte der König, dass solcherlei Geschäfte friedvoll und ohne Handgemenge abgeschlossen werden konnten. Die Stadt als Szene für die Machtelite der Mälarenregion Man kann eine interessante Parallele zu den Verhältnissen im Stockholm des 17. Jahrhunderts ziehen. Zu jener Zeit war Stockholm wirklich zur Hauptstadt des Reiches geworden. In der Stadtmitte lag genau wie in Sigtuna der Wohnsitz des Königs, das Schloss Tre kronor („Drei Kronen"). Darum herum oder in seiner Nähe errichten die Mächtigen jener Zeit ihre eindrucksvollen Paläste. Mehrere jener Paläste stechen noch heute aus dem Stadtbild Stockholms hervor. Im Sigtuna des Jahres 1000 hatten die Edelleute ihre wirtschaftliche und soziale Basis indes nicht in der Stadt, sondern auf ihren Erbgütern draußen auf dem Lande. Jedoch war es für jene Männer wichtig, sich im Nahbereich der Macht zu halten, um somit die eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu schützen. Außerdem darf man wohl voraussetzen, dass auch sozialer Anlass zu einem Stadtaufenthalt bestand, nämlich der Umgang mit anderen Menschen und Verstreuungen. Die Steinkirchenstadt Im 12. Jahrhundert ließen der König und die Vornehmsten des Reiches mächtige Steinkirchen errichten, zu Ehren Gottes und sich selbst zum Wohlgefallen. In Sigtuna ragten nicht weniger als sieben solcher Prunkbauten über die niedrigen Holzhäuser hinaus. Eine königliche Münze wurde im Jahr 1180 wiedereingerichtet und war hundert Jahre lang in Betrieb. Dominikanermönche bauten die erste Backsteinkirche der Mälarenregion. Sie wurde im Jahr 1247 eingeweiht. Für die Mächtigen des Reiches wurde es in jener Zeit zu einer Prestigefrage, sich bei den Bettelmönchen unter ihresgleichen beerdigen zu lassen. Neben den Klostermauern baute der König nach kontinentalem Vorbild einen kleinen Sommerpalast aus Backstein. Birger Jarl vollführt das Werk des Erik Segersäll („der siegreiche") Als Birger Jarl Stockholm in der Mitte des 13. Jahrhunderts gründete und die Mälarenregion sowohl von innen als auch nach außen hin abriegelte, war das von Erik Segersäll in Sigtuna begonnene Werk vollbracht: Die Mälarenregion war dem schwedischen Reich einverleibt worden. Sofern man der „Erikschronik" (Erikskrönikan) vom Anfang des 14. Jahrhundert glauben schenken darf, bestand Birger Jarls Vorwand für die Gründung von Stockholm darin, die heidnischen Piraten aus dem Osten auszuschließen, die um das Jahr 1187 herum im Mälargebiet wüteten. Aber der eigentliche politische Grund war ein anderer; es galt, Kontrolle über aufständische Gruppierungen von Edelleuten (die folkungarna) und über die Stadtneugründungen der Mälarenregion zu erlangen sowie über deren Ausfuhr an Rohstoffen (vorwiegend Eisen). Notleidende Gartenstadt - europäisches Kulturerbe Nachdem Stockholm Ende des 13. Jh. zur „Ersten Stadt" Schwedens geworden war und nach der verheerenden Pestepidemie des 14. Jh., endete die Blütezeit Sigtunas. Man legte Grundstücke zusammen und die Bebauung wurde auffallend lichter. Aber gerade dank jener Not gingen die modernen Zeiten beinahe ganz spurlos an der Stadt vorbei, und das ursprüngliche Stadtplanmuster ist nahezu intakt geblieben. Im 11. Jh. gab es mehrere bedeutende Städte mit einem Stadtplan ähnlich dem von Sigtuna. Beispiele hierfür sind Trondheim, Oslo, York und Dublin. Allerdings kann man jenen Stadtplan heute nur noch in Sigtuna voll wiedererkennen. Dieser Umstand macht Sigtuna zu einer einzigartigen Sehenswürdigkeit, wo Geschichte und Gegenwart einander die Hand reichen. Um dieses Verhältnis dreht sich die neue Ausstellung „Stadt der Könige, Wohnsitz der Wikinger - die Spuren der ersten Reichsstadt " (Kungars stad, vikingars hemvistspåren av rikets första stad) im Museum von Sigtuna. Die Ausstellung wurde im Sommer 1998 fertiggestellt und war einer der Beiträge Sigtunas zum Jahr 1998, als Stockholm Europas Kulturhauptstadt war. In der Ausstellung können die Besuchenden die Entwicklung des Stadtplans von Sigtuna während des 11., 12. und 13. Jh. nachvollziehen. Man kann dem Wandel über die knapp drei Jahrhunderte folgen, in denen Sigtuna mit ihrer königlichen Residenz, ihrer Münze, ihren sieben mächtigen Steinkirchen und ihrer backsteinernen Klosterkirche die erste Stadt des Reiches war. Anhand von Modellen wird aufgezeigt, wie sich die Stadt im Jahre1000 aussah und wie Stadthöfe eingerichtet waren. In die Ausstellung gehen ebenfalls die spektakulärsten Funde aus den umfangreichen Ausgrabungen der vergangenen Jahre ein: Goldene Ringe, ausgewählte Münzen, Runensteine, exklusive Waren aus Russland und Byzanz u.v.a. Nach dem Museumsbesuch wird man Sigtuna mit neuen Augen sehen. „Vergiss die Idylle und siehe die Stadt mit Archäologenaugen" lautet das Motto für die Museumsführung durch die Stadt. In der Sommerzeit werden Wanderungen veranstaltet. Gruppen und Schulklassen können darüber hinaus auch eine eigene archäologische Stadtwanderung buchen. Oder so kann man nach dem Museumsbesuch die Stadt auf eigene Faust erkunden, um die Spuren einer großen Vergangenheit mit geschultem Auge zu entdecken… Die Stadt in voller Skala wird so selber zu einem Teil der Ausstellung. Wir hoffen, daß wir unseren Besuchern mit Museumsausstellung und Stadtwanderung zu einem denkwürdigen historischen Erlebnis verhelfen können. Vielleicht kann es ja auch zu einem „Aha-Erlebnis " führen, wenn man erst einmal entdeckt, dass viele Gegebenheiten des modernen Schwedens - Münzen, Städte, Stadtplanung, Staat und Kirche - ihren Beginn in Sigtuna genommen haben. - Sten Tesch ist Dr. Phil im Fach Ur- und Frühgeschichte und Chef des Museums von Sigtuna. Der vorliegende Text erschien erstmalig in „Upptäcktsresan", Mai 98 April 99, herausgegeben durch Svenskt Kulturarv, und ist seither überarbeitet und komplettiert worden. Übersetzung: Michael Neiß