Sachanalyse Labyrinth

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Sachanalyse Labyrinth
Katholische Kirche in Brühl
Pastoratstr. 20 50321 Brühl
Labyrinth in St. Stephan Brühl
Das Labyrinth, ist ein 5000 Jahre altes Urbild des Lebens, in allen Kulturen und (fast)
allen Religionen, aus dem „Schatzhaus der Menschheit“ (C.G.Jung) heute mit zwei
Hauptwurzeln:
Kretische Labyrinthe aus der minoischen Kultur Kretas (3000 bis 1200 v.Chr.) und
Kirchen-Labyrinthe ab 600 n.Chr., am bekanntesten der Typ-Chartres.
Beides sind keine „Irrgärten“, sondern sind eine geistliche Übung zur
Lebensbewältigung und Selbstvergewisserung des Menschen im Angesicht des Göttlichen.
(vgl. Luise Reddemann: „Zeiten des Wandels“ – Die kreative Kraft der Lebensübergänge,
(Kreuz) Stuttgart 2013)
Kirchenlabyrinthe, vor allem in Frankreich, sind im Eingangsbereich der Kathedralen
entlang der großen Pilgerwege nach Santiago de Compostela zu finden. Pilger erfahren
im Labyrinth eine Verdichtung ihrer Erfahrungen… Gehen im Labyrinth bringt für sie die
Dinge ‚auf den Punkt‘.
In dieser Tradition wird das Labyrinth zum „Gleichnis des Lebens“ – „Spiegel der Seele“ –
„Weg nach Jerusalem“ – „Leben als Kampf zwischen Gut und Böse“ – „Weg zur Mitte“ –
„Weg zu Gott“ – „Bußweg“ – „Orientierungs- /Abenteuerreise“, (vgl. Hape Kerkeling:
„Ich bin dann mal weg“)
Das Labyrinth ist eine Form des Mandalas (C.G. Jung) mit 3
Mikrokosmos, Makrokosmos und Transzendenz; Mandala als Archetyp
faszinierenden Gleichzeitigkeit des Blicks und der Erfahrung „von
und „von innen nach außen“ und dem „Erleben der Mitte“, (vgl.
Ratzeburger Dom),
Grunddimensionen:
(C.G. Jung) mit der
außen nach innen“
ein Ur-Mandala am
Labyrinth von Chartres
Pastoralbüro St. Margareta Pastoratstr. 20 50321 Brühl
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Das „christliche“ oder „gotische“ Kirchenlabyrinth von Chartres ist um das Jahr 1200
entstanden. In der Mitte befand sich bis 1792 der Kampf des Theseus mit dem
Minotauros (Stier), oft auch verstanden als Georgs Kampf mit dem Drachen. Danach
wurde dort eine sechsblättrige Rose eingefügt. Auffallend ist die indirekte Kreuzesform
in der runden Grundform. Elf Umgänge als Meditationsweg (nicht zehn und nicht
zwölf!), mit der jetzt „halbleeren Mitte“, mit den sechsmaligen 90°Wendepunkten,
den (4x7) 28-maligen 360°Umkehrpunkten, den 3 großen Irritationen oder Krisen oder
Widerfahrnissen, (vgl. theologisch „Umkehr“, „Buße“) Die Wegrichtung ist überwiegend
„linksläufig“ d.h. „gegen den Strich“ gerichtet.
Das Labyrinth in Chartres ist Lebensvergewisserung und Christus-Verheißung: die große
Westrose in Chartres – das Prachtfenster über dem Westportal – ist deckungsgleich mit
dem Bodenlabyrinth, und die Majestas Domini passt präzise in die Labyrinthmitte.
Christus mit den Wundmalen (!) ist hier zum einen umgeben von 8 in Zweiergruppen
angeordneten Engeln, die jeweils an Menschen wirksam werden sowie den vier
apokalyptischen Wesen zusammen mit den vier Kardinalstugenden.
Wenn man ab den späten Nachmittagsstunden dort im Labyrinth geht, fällt der Blick bei
den Wende- und Umkehrpunkten auf dieses lichtdurchflutete Szenarium mit dem
thronenden Christus und seinem markanten „Gold-Punkt“ im rechten Bauchraum, wohl
seiner alles „entgiftenden Leber“! Mythos und Offenbarung erhellen und deuten sich
wechselseitig.
Wir wählen für St. Stephan in Brühl nur neun, nicht wie in Chartres elf Umgänge, mit 21
Umkehrpunkten, um die Wegbreite für Partnerübungen usw. vergrößern zu können.
In der Mitte der meisten Kirchenlabyrinthe ist der Kampf des Theseus mit dem
Minotauros immer auch der Sieg und Triumph des Guten über das Böse, der Sieg des
Lebens über den Tod, des Lichtes über das Dunkel. Von 1286 bis in die Mitte des 19.
Jahrhunderts befand sich im Hochchor der Basilika St. Severin in Köln, das einzige
deutsche mittelalterliche Umgangslabyrinth, das hier im Zusammenhang mit der
Kornelius-Wallfahrt entstanden ist.
Im Labyrinth gehen …
mit dem Finger oder dem Stift nachfahren… Dinge auf dem Weg ablegen oder mit
zurückbringen… selbst ein Labyrinth gestalten… sind immer neue und einmalige
Chancen: hier und jetzt zu sein mit allen leib-seelischen Kräften präsent sein, da sein,
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und zurück zu schauen und nach vorne zu schauen und die Mitte von all dem
erwarten, ersehnen, erträumen…
Im Labyrinth gehen ist biographisch orientiertes geistliches Lernen und Wachsen.
Meditatives Gehen und Laufen wird auch von der aktuellen Sportdidaktik mit Blick auf
ganzheitliche Harmonie von Körper und Geist neu entdeckt.
Gehen im Labyrinth ist leibhaftes Beten, Seele und Leib werden gleichermaßen „offen
für…“.
Gehen im Labyrinth ist inneres Wahrnehmen, ist Hören mit dem dritten, inneren Ohr,
ist Sehen mit dem dritten, inneren Auge, und bahnt religiöse Erfahrung an. (vgl.
„Religiöse Erfahrung hat als ihr Instrument vor allem die Intuition“ Jörg Zink in seinem
Spätwerk „Gotteswahrnehmung – Wege religiöser Erfahrung“, Gütersloh 2009)
Die Frage nach thematischen Vorgaben oder dem freien Gehen im Labyrinth ist
hermeneutisch und didaktisch von großer Bedeutung. Wir sprechen heute von
„Echtzeit“: Vorrang beim Gehen im Labyrinth haben die unmittelbar hier und jetzt,
eben „synchron“ auftauchenden Bilder, Situationen, Lebensetappen, nachrangig
dann erst die „diacron“ angebotenen Impulse, Texte, Gegenstände und
Deutungsangebote. Sie alle können hilfreich sein, vor allem für die Anfangserfahrungen
von Kindern und Jugendlichen. Es gilt der Grundsatz „Vorrang der Synchronie vor der
Diachronie“! Alle vorgegebenen Bild- und Text- oder Musikelemente haben deshalb nur
hinführenden, verweisenden Charakter auf das unmittelbare individuelle Erleben hier
und jetzt!
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