Sunniten und Schiiten in Deutschland

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Sunniten und Schiiten in Deutschland
Bertelsmann Stiftung
Muslimische Religiosität in Deutschland
Sunniten und Schiiten
in Deutschland
Prof. Dr. Peter Heine
ist Professor der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Univer­si­
tät zu Berlin und dort Vorsitzender des Prüfungs­ausschusses des
Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Islam in Deutschland sowie der
sunnitisch-schiitische Konflikt.
Eine Kurzbetrachtung zu den Ergebnissen
der Studie der Bertelsmann Stiftung
von Prof. Dr. Peter Heine und Riem Spielhaus
Riem Spielhaus
ist als Islamwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu
Berlin tätig. Organisationsformen und Religionspraxis von
­Muslimen in Deutschland sind ihr Forschungsschwerpunkt.
Als wissenschaftliche Expertin ist sie Mitglied des Gesprächskreises der „Deutschen Islamkonferenz“.
Das in den 1980er Jahren beginnende und sich
pen des Islam stehen. Wie wir im Folgenden
seitdem verstärkende öffentliche und wissen­
sehen werden, lassen sich Glaubensrich­
schaftliche Interesse an Anhängern des Islam
tungen und Migrationshintergrund kaum iso­
in Deutschland führte neben wenigen eng
lieren und so können keineswegs alle Unter­
begrenzten quantitativen Untersuchungen
schiede zwischen den Glaubensrichtungen
vor allem zu qualitativen Forschungen, die
auf theologische Auffassungen und Praxis
sich Muslimen hierzulande widmeten. Häufig
zurückgeführt werden. Der Religionsmonitor
wurde die Notwendigkeit von bundesweiten
erfasst die Selbsteinschätzungen und Eigen­
quantitativen empirischen Erhebungen von
angaben der Befragten. Bei dieser Form quan­
verschiedenen Seiten betont, insbesondere da
titativer Studien bleibt dann jedoch relativ
oder möglicherweise gerade weil das Konzept
Die hohe Zahl derjenigen, die angeben, ande­
Zahlen über Minderheiten der Bevölkerung
offen, welche Motivation zu den Aussagen und
einer Dualität zwischen Schiitentum und Sun­
ren Glaubensrichtungen anzugehören, verweist
eine große Rolle in Entwicklung, Gestaltung
welche zu den erfragten Handlungen führte.
nitentum den akademischen und poli­tischen
auf weitere Bezüge auf der religiösen Ebene;
und Legitimation politischer Strategien spielen.
Diskurs über den Islam dominiert, kon­terka­
neben mystischen Bewegungen könnte dies
Die vorliegende Untersuchung zu Musliminnen
rieren innerislamische Bewegungen diese
islamische Rechtsschulen und die in den ver­
gangenen Jahrzehnten zu globaler Bedeutung
Glaubensrichtungen im
­Religionsmonitor
Polarisierung.
in ihrer politischen Brisanz von anderen Teilen
des Religionsmonitors ab, vor allem da Erhe­
Der Religionsmonitor stellte die Frage nach der
In ähnlicher Weise zeigten sich Unterschiede
religiösen Gruppierungen betreffen. Auch für
bungen dieser Art in der Regel erheblichen
Zuordnung der Befragten zu den religiösen
in der Identifikation mit islamischen Glaubens­
Deutschland kann demnach festgestellt wer­
Spielraum für unterschiedlichste Interpretatio­
Richtungen sunnitisch, schiitisch oder alevi­
richtungen bereits in den Erhebungen des Reli­
den, dass die Polarisierung zwischen Sunniten
nen geben.
tisch. Die befragten Musliminnen und Muslime
gionsmonitors in mehreren Ländern mit rele­
und Schiiten bzw. die Zugehörigkeit zu Glau­
in Deutschland ordneten sich zu 9 Prozent der
vanten muslimischen Bevölkerungsanteilen1.
bensrichtungen des Islam eine begrenzte bzw.
Die folgenden Ausführungen sind den im Reli­
schiitischen, zu 65 Prozent der sunnitischen
Dabei spielte die Selbstidentifikation als Sun­
komplexere Bedeutung hat als gemeinhin ange­
gionsmonitor erhobenen Angaben in Bezug
und zu 8 Prozent der alevitischen Glaubens­
nit oder Schiit lediglich in Ländern eine Rolle,
nommen.
auf die Glaubensrichtung gewidmet. Dabei
richtung zu. Ein bemerkenswerter Anteil von
wo diese Zuordnung im Zusammenhang politi­
steht die Frage im Mittelpunkt, ob es Unter­
19 Prozent aller Befragten ordnete sich keiner
scher Mobilisierung in gesellschaftspoliti­schen
schiede in den Kerndimensionen von Religio­
der zur Auswahl gegebenen Glaubensrichtun­
Konflikten steht. So zeigten die Antworten von
Migrationshintergrund
sität gibt, die mit der Zugehörigkeit der Ant­
gen zu und antwortete mit „andere Glaubens­
Musliminnen und Muslimen im Vergleich in
Nähere Betrachtung sind die Korrelationen
wortenden zu unterschiedlichen religiösen
richtung“ (11 Prozent) oder „weiß nicht/keine
Asien und Afrika gelegener Staaten ein unter­
zwischen Migrationshintergrund und Glaubens­
Richtungen des Islam korrelieren. Wir unter­
Angabe“ (8 Prozent). Von den bosnischen
schiedliches Maß der Bewusstwerdung und
richtung der befragten Muslime in Deutsch­
suchen hier also, ob Glaubenspraxis, theolo­
Befragten ordnete sich über ein Drittel (36 Pro­
Aufladung  der Zugehörigkeit zu Glaubens­
land wert. Hier spiegelt sich die regionale Ver­
gische Vorstellungen und die Alltagsrelevanz
zent) nicht zu, während dies unter den Iranisch­
richtungen mit religiöser und kultureller
teilung der islamischen Glaubensrichtungen
von Religion in Abhängigkeit zu Untergrup­
stämmigen lediglich 13 Prozent sind. Obwohl
Bedeutung.
in den Emigrationsländern wider. So sind
und Muslimen in Deutschland hebt sich damit
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gekommenen transnationalen Netzwerke und
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