aggression, gewalt im gesundheitsbereich
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aggression, gewalt im gesundheitsbereich
15 www.oegkv.at F A C H B E I T R A G ÖSTERREICHISCHE PFLEGEZEITSCHRIFT Harald Stefan aggression, gewalt im gesundheitsbereich A ggression und Gewalt im Gesundheitsbereich kommen laut internationalen Studien (Broers & de Lange 1996; Van de Poppe 1999; ...) in den letzten Jahren in einem erschreckend hohem Ausmaß vor. Sie erscheinen am Arbeitsplatz in unterschiedlichen Abstufungen die von Beschimpfungen über tätliche Angriffe bis hin zu Morddrohungen und Mord reichen. Die Zunahme von leichten und schweren Aggressions- bzw. Gewaltvorfällen führt oft ins Burn out, eine Erscheinung, mit der die Verantwortlichen im Gesundheitswesen in den letzten Jahren immer häufiger konfrontiert werden. Neben dem Leid für die Betroffenen ergeben sich weitreichende finanzielle Folgeerscheinungen für die Dienstgeber (Dienstausfall, Beratungskosten, Motivationsverlust, Berufsausstieg etc.). Die Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen ist daher nicht nur aus ethischen sondern auch aus rechtlichen Gründen (Österreichisches Bundesgesetz für Arbeitsplatzsicherheit) zwingend erforderlich. Position des ICN Der International Council of Nurses verurteilt alle Formen physischer und psychischer Gewalt gegenüber Pflegenden, einschließlich sexueller Belästigung. Solche Vorfälle werden als Verletzung der persönlichen Würde und Integrität bewertet. Darüber hinaus bedeutet das Auftreten von Gewalt in Einrichtungen des Gesundheitswesens eine Gefährdung der effizienten Versorgung von PatientInnen. Um Pflegequalität garantieren zu können, muss das Pflegepersonal eine sichere Arbeitsumgebung haben und eine respektvolle Behandlung erfahren. Der Verhinderung von Gewalt gegen Pflegende wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet, da es sich hier um eine besonders gefährdete Berufsgruppe handelt. Allerdings betont der ICN, dass er in gleicher Weise grundsätzlich jegliche Gewalt an Menschen verurteilt. Aus österreichischen Gesundheitseinrichtungen gibt es derzeit leider kein verlässliches Datenmaterial über die Art und den Umfang von Ereignissen die mit Aggression, Gewalt und sexueller Einschüchterung in Zusammenhang stehen. In anderen Ländern der EU (Niederlande, England,....) werden über Aggressions- und Gewaltereignisse im Gesundheitswesen systematisch Daten erhobenen. Dabei wird beschrieben, dass es in den Niederlanden bei 2500 Betten in psychiatrischen Krankenhäusern zu 33.057 aggressiven Vorfällen pro Jahr kommt! Davon sind 50% physischer Art, wovon ungefähr 2,5% ernsthafter bis sehr ernsthafter Art sind. Etwa 10% der oben erwähnten 33.057 Vorfälle betrifft sexuelle Einschüchterung (Broers & de Lange 1996; De Heus et al. 1995). Der Umstand, dass in Österreich (noch) keine validen Daten vorliegen, lässt auf keinen Fall den Schluss zu, dass es keine Vorfälle gibt. Berichte aus den Medien über verletzte Pflegepersonen in der jüngeren Vergangenheit belehren uns eines Besseren. Im Vergleich zu anderen Berufen tritt Gewalt gegen beruflich Pflegende besorgniserregend häufig auf. Eine 1990 im US-Bundesstaat Pennsylvania durchgeführte Untersuchung zeigte, dass 36% der befragten Pflegenden, die in Akutstationen tätig waren, in den vorangegangenen zwölf Monaten mindestens einmal körperlich angegriffen wurden. Eine Studie in England (Violence at Work) beschäftigte sich mit der Frage „Wie gefährlich ist die Arbeit in der Psychiatrie?“ Dabei kam man zum Ergebnis: „Es wurde eine höhere Rate von berufsbedingten Verletzungen als bei Bauarbeitern und anderen Berufen festgestellt“. Jüngere Ergebnisse aus der Schweiz (Abderhalden et al 2002) untermauern diesen Trend und zeigen bei 723 Pflegenden in psychiatrischen Kliniken folgende Aussagen: Ernsthaft bedroht im Berufsleben Nie 18 – 25.8 % Einmal 180 – 24.7 % Mehrmals 355 – 48.7 % 08-09/05 ÖSTERREICHISCHE PFLEGEZEITSCHRIFT 16 www.oe gkv.at F A C H B E I T R A G aggression Physisch angegriffen im Berufsleben Nie 211 – 28.9% Einmal 204 – 28.0% Mehrmals 304 – 41.1% Eine Studie aus Deutschland (Steinert et al. 1991, Spießl et al. 1998, Richter & Berger 2001) besagt, eine Inzidenz von 1,9 - 2,5% Patientenübergriffen aller Aufnahmen in psychiatrischen Kliniken. Eine Inzidenz von 2% entspricht einer absoluten Häufigkeit von 11.280 Übergriffen für 1997 = 30,9 Vorfälle pro Tag (nur in psychiatrischen Akutkrankenhäusern in Deutschland). Von allen Gesundheitsberufen sind die Pflegenden am häufigsten der Gewalt am Arbeitsplatz ausgesetzt (Health Services Advisory Committee, Violence to staff in the health services. London, UK. 1987. p. 2-3). Gewalt gegen Pflegende wird dabei überwiegend von PatientInnen in Ausnahmesituationen ausgeübt. Auswirkungen von Aggression und Gewalt Die Auswirkungen von körperlicher Gewalt, verbaler Beschimpfung und sexueller Belästigung sind umso besorgniserregender, als diese Erscheinungen sich häufen. Folgen solcher Handlungen können sein: z Schock, Nicht-Glauben-Können, Schuldgefühle, Wut, Depression, Angst z körperliche Verletzungen z erhöhte Stressgefühle z Unwohlsein, körperliche Funktionsstörungen (Migräne, Erbrechen) z Verlust der Selbstachtung und des Glaubens an die eigene berufliche Kompetenz z lähmende Selbstbezichtigung, Selbstvorwürfe Ohnmachtsgefühle und Gefühle des benutzt worden seins z sexuelle Störungen z Vermeidungsverhalten, das sich negativ auf die Arbeit und damit auf die Pflegequalität auswirkt z negative Auswirkungen auf persönliche Beziehungen z Verlust der Arbeitszufriedenheit z Fernbleiben von der Arbeit z Verlust der Moral und der Effizienz des gesamten Teams z Angst vor PatientInnen, dem Team und FreundInnen. z Die Auswirkungen verbaler Gewalt werden oft zu Unrecht unterschätzt. Sie sind denen physischer Gewalt ähnlich und können die Patientenbetreuung erheblich beeinträchtigen. Eine US-amerikanische Studie konnte nachweisen (Worthington, Karen. Taking action against violence in the workplace. The American Nurse. June 1993. p. 12.), dass mindestens 18% der Personalfluktuation aufgrund von Beschimpfung der Pflegenden entsteht, die nicht selten dazu führt, dass diese den Beruf ganz verlassen. Der Verlust von qualifiziertem Pflegepersonal erhöht unweigerlich den Stress. Dies insbesondere auf Stationen, die bereits personell unterbesetzt sind. Der destruktive Charakter von Gewalt wirkt sich nicht nur auf die Opfer, sondern auch auf die Zeugen von Gewaltsituationen aus. Sogar KollegInnen, die bei einem solchen Geschehen nicht unmittelbar anwesend waren, können dieselben post-traumatischen Stresssymptome entwickeln wie die Opfer Fotos: Günter Pichler 08-09/05 selbst. Die Spuren solcher Vorkommnisse sind sowohl kurz- als auch langfristig zu verfolgen. Eine Studie zeigte, dass 18% der Pflegenden, die Opfer von körperlichen Angriffen durch PatientInnen wurden, bis zu sechs Wochen nach dem Vorfall mittlere bis schwere traumatische Reaktionen zeigten. Selbst ein Jahr später leidet ein Teil der Opfer (16%) immer noch an den Folgen. Ganz offensichtlich beeinträchtigt die Konfrontation mit Gewalt das private und das berufliche Leben der Opfer. Außerdem führt Gewalt gegen MitarbeiterInnen im Gesundheitsberuf dazu, dass das Interesse, diesen Beruf zu ergreifen, respektive im Beruf zu verweilen, nachlässt und führt damit zu einem erhöhten Personalabgang. Unsere Erfahrung diesbezüglich ist, dass das Problem spezifisch in den psychiatrischen Einrichtungen seit jeher Thema ist, aber die Thematik in den letzten Jahren auch in den allgemein medizinischen Bereichen (Unfallchirurgien, interne Stationen, Geriatrien und Intensivstationen) als Problem mit Handlungsbedarf gesehen wird. 17 www.oe gkv.at ÖSTERREICHISCHE PFLEGEZEITSCHRIFT F A C H B E I T R A G aggression Aufgrund der dargelegten Situation stellt sich die Frage, welche Maßnahmen zum Schutz von MitarbeiterInnen getroffen werden können. Eine mögliche Maßnahme ist eine fachspezifische Schulung des Betreuungs- und Behandlungspersonals. In den Richtlinien gegen Gewalt am Arbeitsplatz im Gesundheitswesen von ILO, ICN, WHO und PSI (Public Services International), wird eine Schulung zur besseren Bewältigung von Gewalt am Arbeitsplatz empfohlen (International Labour Office (ILO) et al., 2002). Um die oben genannte Situation professionell d.h. geplant und gezielt zu bearbeiten und zu verbessern startete die Unternehmung Wiener Krankenanstaltenverbund im Winter 2003 eine Offensive im Umgang mit Aggression und Gewalt. Mit dieser Offensive sollen alle, jedoch insbesondere leitende MitarbeitInnen befähigt werden, ihren Aufgaben im Rahmen des Arbeitnehmerschutzes, des Sicherheitsmanagements und der Gesundheitsförderung verbessert nachzukommen. Frau Generaloberin Charlotte Staudinger, Geschäftsbereich Strategische Planung und Qualitätsmanagement der Unternehmung Wiener Krankenanstaltenverbund, beauftragte im Rahmen eines einjährigen Projektes, TrainerInnen für die Thematik Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement nach einem internationalen Konzept ausbilden zu lassen. Auftraggeberin: Generaloberin Charlotte Staudinger Projektleitung: Harald Stefan MSc., akad. Pflegemanager Projektmitarbeiter: Günter Pichler, akad. Pflegemanager (Stv. Projektleiter) Mag. Otto Schrenk (Kursleitung) Reinhard Bachmann (QM) Angela Bilek (Pflege EDV) Hannes Weidum (Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege Ybbs) Um die Qualität des Projektes zu optimieren wurden internationale Erfahrungen genutzt und analog zu internationalen Entwicklungen bis Dezember 2004 erstmals für Österreich 21 TrainerInnen in Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement ausgebildet. Die Weiterbildung war vorerst für alle in der Psychiatrie tätigen Berufsgruppen offen (eine Öffnung für interessierte MitarbeiterInnen aus anderen Bereichen im Gesundheitswesen ist ab Herbst 2005 an der Donauuniversität Krems geplant (http://www.donau-uni.ac.at/de/studium/fachabteilungen/umwelt/zentren/z qsg/studienangebot/ultd/index.php). Diese erste Ausbildung in Wien wurde von Ärzten und Gesundheits- und Krankenpflegepersonen absolviert. Sie erfolgte in Zusammenarbeit des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe mit der Akademie für Fort- und Weiterbildung der Unternehmung Wiener Krankenanstaltenverbund und der Firma Connecting (Nico Oud/ Niederlande) und dauerte von Februar 2004 bis Dezember 2004 (490 Stunden). Mit die- ser Ausbildung sind die TrainerInnen befähigt, einwöchige Basiskurse in Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement durchzuführen. In den Basiskursen wird der professionelle Umgang mit aggressiven und gewalttätigen Verhaltensweisen trainiert. Dabei werden den TeilnehmerInnen einerseits Techniken zum Selbstschutz und zur sicheren körperlichen Kontrolle des Aggressors und andererseits Kommunikations- und verbale Deeskalationstechniken vermittelt. Weitere Themen sind z das Finden von gemeinsamen ethischen Grundhaltungen zu Aggression und Gewalt, z Reflexion und Feedback bei Aggressionsereignissen im Stationsalltag, z Erhebungsinstrumente für die Bereiche Aggressions- und Gewaltereignisse etc. Jede/r TrainerIn erhielt eine umfassende theoretische Ausbildung, musste zum 08-09/05 08-09/05 ÖSTERREICHISCHE PFLEGEZEITSCHRIFT 18 www.oe gkv.at F A C H B E I T R A G aggression Abschluss selbstständig eine einwöchige Basisausbildung unter Supervision leiten und durchführen. Bisher wurden von diesen TrainerInnen 400 Mitarbeiter aus nahezu allen Gesundheitsberufen (Ärzte, Pflegende, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Psychologen, Musiktherapeuten, Patientenanwälte, Rettungsdienste usw.) trainiert und die Rückmeldungen der TeilnehmerInnen waren positiv und motivierend. Einige Beispiele aus den Feedbackbögen: „Warum haben bisher solche Schulungen nicht stattgefunden?“ „Warum haben wir uns bisher in unserer Berufspraxis wesentliche Fragen nicht gestellt?“ „Es ist uns nicht bewusst gewesen, wie wir gehandelt haben“ „Beste praxisbezogenste Fortbildung bisher“ „Warum sind andere Länder bei der Thematik Aggression und Gewalt um so viel weiter?“ „Es gibt viel aufzuarbeiten!“ „Die Fortbildung macht mich betroffen!“ „Die Fortbildung ist für mich ein wichtiges Werkzeug für die Praxis!“ Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Thematik „Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement im Gesundheitswesen“ und zeigt Wege der Prävention und Interaktion auf. Es eröffnet dem Gesundheitspersonal Möglichkeiten eines erfolgreichen Umganges mit Aggression, Gewalt und Eskalation. Es vermittelt Fertigkeiten die bisher in Österreich in keiner Ausbildung systematisch erlernt wurden und ist auch Beitrag zur Unfallverhütung am Arbeitsplatz. Die Weiterbildung soll einerseits zur konstruktiven Auseinandersetzung mit diesem Aspekt der Gesundheitsversorgung beitragen, gleichzeitig aber auch interes- sierte Einrichtungen dabei unterstützen, fundierte und systematische Handlungsstrategien (für Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement) zu entwickeln und umzusetzen. Dieses Projekt wurde im Dezember 2004 mit dem ersten Preis des Gesundheitspreises der Stadt Wien im Bereich Prävention ausgezeichnet. Des weiteren wurde dieses Projekt vom österreichischen Netzwerk gesundheitsfördernder Krankenhäuser als gesundheitsförderndes Projekt anerkannt. Über das Projekt hinaus ist für Österreich der Aufbau eines Netzwerkes der TrainerInnen für Aggressions-, Gewalt- und Deeskalationsmanagement geplant. Erste Netzwerktreffen wurden bereits in Wien abgehalten. Nationale Netzwerke existieren bereits in anderen Ländern und stehen in ständigem Kontakt (UK, Niederlande, Schweden, Schweiz, Norwegen, Italien, Griechenland, USA, ...) Ziel dieser Netzwerke und deren Vernetzung ist die Identifikation der hilfreichsten Konzepte, Strategien und Techniken (auch für unterschiedliche Kontexte) um damit die Entwicklung von Qualitätsstandards für diesen Bereich auf internationaler Ebene voranzutreiben. Eine internationale Konferenz dazu findet nun erstmals im deutschsprachigen Raum am 20. und 21. Oktober 2005, in Wien statt (4th European Congress on Violence in Clinical Psychiatry – www.oudconsultancy.nl). Harald Stefan MSc. akad. Pflegemanager, dipl. psych. Gesundheits- und Krankenpfleger, Trainer für Deeskalationsmanagement, Buchautor SMZ Baumgartner Höhe 1145 Wien, Baumgartner Höhe 1 [email protected] Reinhard Bachmann Stabstelle Qualtitätsmanagement, dipl. psych. Gesundheits- und Krankenpfleger SMZ Baumgartner Höhe 1145 Wien, Baumgartner Höhe 1