Tätigkeitsbericht 2010 - Weiße Rose Stiftung eV

Transcrição

Tätigkeitsbericht 2010 - Weiße Rose Stiftung eV
Tätigkeitsbericht 2010
Weiße Rose Stiftung e.V.
Inhaltsübersicht
1 Vorwort
5
2 Chronik 2010
7
3 Symposion „Eine Mauer um uns
baue… – Lektüre als Widerstand“
9
4 Neuerscheinung:
Barbara Beuys „Sophie Scholl“
11
5 Neue Glasvitrine für die Weiße Rose
Stiftung e.V. in München-Schwabing 12
6 Jubiläum des Geschwister-SchollStudentenheims
13
7 Einzelausstellung zu
Alexander Schmorell
15
8 Bericht des Ehrenvorsitzenden
Franz J. Müller
18
9 Die Weiße Rose in Russland und Polen 20
10 Die Weiße Rose erstmals in Spanien
23
11 Die Weiße Rose in den USA
25
12 Die Weiße Rose in Dresden und Görlitz26
13 DenkStätte Weiße Rose München
28
14 DenkStätte Ulm
33
15 Erinnerungsstätte
Martin-Luther-Kirche Ulm
35
16 Kooperationen mit Schulen zum
„Vergessenen Widerstand“
Markt Schwaben
36
Ergoldsbach
38
Zillisheim / Sulzbach-Rosenberg
39
17 Hamburg und die Weiße Rose
40
18 Netzwerk Weiße Rose 42
19 Gedenken im München der
Nachkriegszeit
45
20 Personalia
47
21 Kurznachrichten um die Weiße Rose
48
22 Die Weiße Rose Stiftung e.V.,
ihre Organe und ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
49
Impressum
Weiße Rose Stiftung e.V.
Ludwig-Maximilians-Universität
Geschwister-Scholl-Platz 1
80539 München
Tel. 089 / 2180-5678 / -5359
Fax 089 / 2180-5346
E-Mail: [email protected]
Redaktion Tätigkeitsbericht 2010: Ursula Kaufmann,
Dr. Hildegard Kronawitter, Katja Sebald
Bildnachweis: Lothar Bierling, DenkStätte Weiße
Rose Ulm, Franz-Marc-Gymnasium Markt Schwaben,
Prof. Dr. Wolfgang Frühwald, Hauptschule Ergoldsbach, Patrick Keller, Kulturwerkstatt Sulzbach-Rosenberg, Jaiman McMillan, Meetingpoint Music
Messiaen e.V., Reformationsgemeinde Ulm,
A. Schellnegger / SZ-Photo, Stiftung Literaturhaus
München, Winfrid Vogel, Weiße Rose Stiftung e.V,
George J. Wittenstein
Layout und Satz: AS-Texte, München
Druck und Herstellung:
OrtmannTe@m GmbH, Ainring
© 2011 Weiße Rose Stiftung e.V.
1 Vorwort
Liebe Freundinnen und Freunde
der Weiße Rose Stiftung e. V.,
geschätzte Partner,
jedem Tätigkeitsbericht geht eine intensive Rückschau auf das Berichtsjahr voraus – so auch diesem.
Was bestimmte unseren Arbeitsalltag 2010? Was
wurde fortgeführt, was an Neuem auf den Weg gebracht? Welche Impulse führten zu Aktivitäten, die
weiter in die Zukunft reichen? Wer stand uns als hilfreicher Partner zur Seite, half ideell, organisatorisch
und materiell, unsere Erinnerungsarbeit wirkungsvoller zu machen?
Rasch ließ der Rückblick Gefühle der Dankbarkeit
und des Respekts für einen großen Kreis von Freunden und Förderern aufkommen, denn unser Handeln
ist in vielfältiger Weise auf Unterstützung von dritter
Seite angewiesen.
Namentlich und herzlich danke ich für Rat und Förderung dem Direktor der Bayerischen Landeszentrale
für politische Bildungsarbeit (BLZ) Dr. Peter März sowie seinem Stellvertreter Werner Karg.
Der Städtegemeinschaft im Zeichen der Weißen
Rose sind wir in gleicher Weise verbunden. Ihre Zuschüsse halfen, im Berichtsjahr erneut unsere finanzielle Basis abzusichern. Stellvertretend für sieben
Städte danke ich Münchens Oberbürgermeister
Christian Ude, der die Gemeinschaft vertritt, sowie
dem Leiter des Hamburger Staatsamtes Stefan
Herms.
Gerne und besonders will ich auch die Mitglieder
im Kreis der Freunde und Förderer der Weiße Rose
Stiftung e. V. würdigen. Mit ihren Beiträgen und
Spenden signalisieren sie uns Wertschätzung für unsere Erinnerungsarbeit und verhelfen uns zugleich zu
einem weiteren materiellen Standbein.
Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) gab der
DenkStätte und unserem Büro auch 2010 Obdach
und so manche praktische Hilfestellung. Unseren
großen Dank richte ich an den Präsidenten Prof. Dr.
Bernd Huber.
Aus dem Kreis unserer hoch geschätzten Beiräte erfuhren wir erneut vielfältige Anregung und Unterstützung. Deshalb sage ich ein herzliches Dankeschön
den Damen und Herren des Beirates, namentlich
dem Beiratsvorsitzenden Dr. Klaus Hahnzog.
Gewiss, die kalendarische Abgrenzung des Berichtsjahres hat ihren Sinn, und doch belegen die
Arbeitsabläufe auch 2010, wie willkürlich sie gezogen
ist. So erhielt die organisatorisch aufwändige Veranstaltungsreihe „Hamburg und die Weiße Rose“ viel
Aufmerksamkeit, doch erst nach ihrer Realisierung
2011 wird darüber zu berichten sein. Ähnlich verhält
es sich mit Bemühungen und Verhandlungen um
Ausstellungstermine für das jeweilige Folgejahr. Noch
gegen Jahresende konnten u.a. Weichen gestellt
werden, damit unsere Wanderausstellung künftig
verstärkt wieder an Schulen und Colleges in den USA
gezeigt wird. Hier – wie so oft – führten persönliche
Kontakte und die Fürsprache eines Förderers schließlich zu einer Veröffentlichung im Newsletter von AATG
(Zusammenschluss von Deutschlehrern in den USA),
die zahlreiche Nachfragen für die Wanderausstellung
für 2011 initiierte.
5
Gerne verweise ich Sie auf die nachfolgenden Berichte zu thematischen Veranstaltungen. Den Fokus
auf den studentischen Widerstand wollten wir insbesondere mit dem Symposion „Eine Mauer um uns
baue… – Lektüre als Widerstand“ erweitern.
Nähere Informationen finden Sie nachstehend auch
über unsere pädagogischen Projekte „Vergessener
Widerstand“ und „Netzwerk“. In Partnerschaft mit
Schulen wenden wir uns damit an die nachwachsende Generation, um über die Auseinandersetzung mit
örtlichen historischen Vorgängen zu Engagement und
Verantwortung für unsere Zivilgesellschaft anzuregen.
Ungeachtet dieser und anderer Facetten unseres
Tuns ist und bleibt die DenkStätte am Lichthof der
LMU in München mit der Dauerausstellung, den
Hör- und Sehstationen, der Präsenzbibliothek, den
Führungen und Zeitzeugengesprächen unseres Ehrenvorsitzenden Franz J. Müller für unsere Erinnerungsarbeit zentral.
Die Wanderausstellung, präsentiert an vielen Orten
Deutschlands sowie im Ausland, dient weiterhin als
wichtiges Medium, um die Botschaft der Weißen
Rose über die Stadt- und Landesgrenzen zu tragen.
Hier verweise ich auf die Chronik sowie die Berichte
über einzelne Präsentationen, unter anderem erstmals in Spanien.
Die nachfolgenden Berichte, zu deren Lektüre ich
Sie herzlich einlade, können Ihnen die Bandbreite
unserer Aktivitäten im Zeichen der Weißen Rose veranschaulichen.
Wir Vorstandsmitglieder, zu denen sich Herr Prof. Dr.
Wolfgang Huber neu gesellte, sowie unsere Mitarbeiterinnen schätzen Ihre Anregungen und Ihre kritische, wohlwollende Begleitung.
Abschließend danke ich dem Team unserer Mitarbeiterinnen sehr herzlich für ihren hoch motivierten
Einsatz. Namentlich danke ich Frau Ruth Drolshagen.
Sie ist nach vielen Jahren hoch engagierter, kompetenter Tätigkeit, zuletzt in geschäftsführender Funktion, im September ausgeschieden.
Dr. Hildegard Kronawitter
Vorsitzende
6
2 Chronik 2010
18.1. – 30.1.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose – Der Widerstand von Studenten
gegen Hitler, München 1942/43“ wird
in der Geschwister-Scholl-Schule in
Melsungen in Hessen gezeigt.
21.1.2010
„Zivilcourage und Formen des Widerstands“: Kardinal Prof. Dr. Karl
Lehmann hält die Weiße Rose Gedächtnisvorlesung in der Großen Aula
der LMU.
12. – 19.3.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird in der Geschwister-SchollSchule in Brakel in Nordrhein-Westfalen gezeigt.
12.3.2010
Eröffnung der fünften Ausstellung des
Projekts „Vergessener Widerstand“
der Weiße Rose Stiftung e.V. in Kooperation mit dem Franz-Marc-Gymnasium Markt-Schwaben, gefördert von
der BLZ. → mehr S. 36
Unter dem Titel „Weiße Rose“ zeigt
das Gospel Art Studio München anschließend in der DenkStätte Weiße
Rose eine szenische Kurzfassung des
Theaterstücks „Sophie Scholl – Widerstand des Gewissens“.
15.3.2010
Prof. Wolfgang Huber stellt anlässlich
der Sonderausstellung „Kurt Huber
und die Weiße Rose“ sein Buch „Kurt
Huber vor dem Volksgerichtshof –
Zum zweiten Prozess gegen die Weiße Rose“ im Kurt-Huber-Gymnasium
Gräfelfing vor.
27.1. – 4.3.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird mit Begleitprogramm im
Haus der Kirche in der Dreikönigskirche in Dresden gezeigt. → mehr S. 26
16.3.2010
Die Weiße Rose Stiftung e.V. schickt
zur Namensgebung der neuen Sophie-Scholl-Schule in Oberjoch im Allgäu ein Grußwort. → mehr S. 48
10.2.2010
Barbara Beuys liest im Audimax der
LMU aus ihrer neuen Biographie
„Sophie Scholl“. Die Veranstaltung der
LMU („LMU im Dialog“) findet in Kooperation mit der Weiße Rose Stiftung
e.V., der Buchhandlung Lehmkuhl und
dem Carl Hanser Verlag statt.
→ mehr S. 11
April 2010
Die Evangelische Kirchengemeinde in
Wrocław (Breslau) zeigt die polnischsprachige Ausstellung „Die Weiße
Rose“.
23.2. – 24.4.2010
Das Goethe-Institut in Madrid zeigt
die spanischsprachige Ausstellung
„Die Weiße Rose“ mit einem umfangreichen Begleitprogramm.
→ mehr S. 23
24.2.2010
Unter dem Titel „Weiße Rose“ führt
das Gospel Art Studio München in
der DenkStätte Weiße Rose eine szenische Kurzfassung des Theaterstücks
„Sophie Scholl – Widerstand des Gewissens“ auf.
25.2. – 31.3.2010
Eröffnung der polnischsprachigen Ausstellung „Die Weiße Rose“ im LehrerAus- und Fortbildungsinstitut in Opole
(Oppeln) in Schlesien.
1.3. – 12.3.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird in der Sophie-Scholl-Schule in Leutkirch im Allgäu gezeigt.
8.3. – 26.3.2010
Das Kurt-Huber-Gymnasium Gräfelfing
zeigt die Einzelausstellung „Kurt Huber und die Weiße Rose“.
13.4. – 31.5. 2010
Die russischsprachige Wanderausstellung „Die Weiße Rose“ wird in der
Gebietsbibliothek von Petropawlowsk
in Ostsibirien gezeigt. → mehr S. 20
12. – 23.4.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird in der Geschwister-SchollSchule in Alsfeld in Hessen gezeigt.
23.4.-6.6. 2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird in der Gedenkstätte Roter
Ochse in Halle in Thüringen gezeigt.
Zur Eröffnung spricht Prof. Dr. Wolfgang Huber.
1. – 31.5.2010
Die Geschwister-Scholl-Schule in
Crailsheim/Ingersheim in BadenWürttemberg zeigt die Einzelausstellung „Willi Graf und die Weiße Rose“.
10.5. – 31.8.2010
Die englischsprachige Wanderausstellung „Die Weiße Rose“ wird im Arts
Center on the Hudson in Mechanicville, NY, unter der Schirmherrschaft
des Deutschen Botschafters Klaus
Scharioth gezeigt. Die Deutsche Botschaft berichtet auf ihrer Homepage
ausführlich über die Veranstaltung.
Dr. Hildegard Kronawitter schickt ein
Grußwort zur Eröffnung.
→ mehr S. 25
7
2.6. – 20.7.2010
Die russischsprachige Wanderausstellung „Die Weiße Rose“ wird im Museum für Landeskunde in Chabarowsk
in Ostsibirien gezeigt. → mehr S. 20
Annika Länger moderiert Dr. Hildegard
Kronawitter. Gefördert von der BLZ.
→ mehr S. 13
8.6.2010
Prof. Dr. Wolfgang Huber präsentiert
sein Buch „Kurt Huber vor dem Volksgerichtshof – Zum zweiten Prozess
gegen die Weiße Rose“ im Bürgerhaus Gräfelfing bei München.
12.11. – 30.11.2010
Zum 50-jährigen Bestehen des Geschwister-Scholl-Studentenheims in
München eröffnet Dr. Hans-Jochen
Vogel auf dem traditionellen „Schollheimtag“ die Einzelausstellung „Hans
Scholl und die Weiße Rose“. Gefördert
von der BLZ. → mehr S. 13
26.7. – 9.8.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird im Conny-WessmannHaus in Großenhain bei Dresden gezeigt. → mehr S. 26
4.11. – 18.11.2010
Die Wanderausstellung „Die Weiße
Rose“ wird im Geschwister-SchollGymnasium in Nossen in Sachsen
gezeigt.
12.7. – 29.10.2010
Die deutschsprachige und die polnischsprachige Wanderausstellung
„Die Weiße Rose“ wird in Görlitz in
Sachsen vom Verein „Meetingpoint
Music Messiaen“ gezeigt.
→ mehr S. 26
17.11. – 26.11.2010
Im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Martinsried bei München wird die Einzelausstellung „Christoph Probst und die
Weiße Rose“ gezeigt.
16.9. – 23.9.2010
Die neugestaltete russischsprachige
Dauerausstellung der DenkStätte
Weiße Rose „Die Weiße Rose“ wird
in der Pädagogischen Universität
Orenburg durch den Deutschen Botschafter Dr. Ulrich Brandenburg im
Rahmen der Russisch-Deutschen
Kulturwoche eröffnet. Die AlexanderSchmorell-Stipendien werden von Dr.
Werner Rechmann an vier Studenten
der beiden Orenburger Universitäten
verliehen. → mehr S. 20
1. – 11.10.2010
Die Willi-Graf-Schule in Sankt Ingbert
im Saarland zeigt die Einzelausstellung „Willi Graf und die Weiße Rose“.
21.10.2010
Lehrerfortbildungstag, gefördert von
der BLZ, zum Thema „Literatur und
Widerstand der Weißen Rose“.
→ mehr S. 42
26.10.2010
Bei einem „Sophie-Scholl-Abend“
zum 50jährigen Bestehen des Geschwister-Scholl-Studentenheims in
München liest die Schauspielerin Miriam Albrecht aus „Sophie Scholl“ von
Barbara Beuys. Das anschließende
Gespräch zwischen der Zeitzeugin
Dr. Hildegard Hamm-Brücher und der
Studentin und Heimratsvorsitzenden
8
29.11.2010
Die neue Einzelausstellung „Alexander Schmorell und die Weiße Rose“,
gefördert von der BLZ, wird durch seinen Neffen Markus Schmorell in der
DenkStätte Weiße Rose am Lichthof
der LMU eröffnet. → mehr S. 15
Joachim Gauck erhält den Geschwister-Scholl-Preis für seine Autobiographie „Sommer im Winter, Frühling im
Herbst“.
14.12.2010
Das Literatursymposion „Eine Mauer
um uns baue… – Literatur als Widerstand“ findet mit Vortrag, Lesung
und Gesprächsrunde im Literaturhaus
München in Zusammenarbeit mit der
Stiftung Literaturhaus und gefördert
von der BLZ statt. → mehr S. 9
24.11. – 8.12.2010
Zur Eröffnung des neuen Bürgerzentrums von Las Palmas de Gran Canaria wird die spanischsprachige Ausstellung „Die Weiße Rose“ gezeigt.
die Eröffnungsreden halten Konsul
Peter Christian Haucke und der Bürgermeister von Las Palmas Jerónimo
Saavedra. → mehr S. 23
15.12.2010 – 7.1.2011
Die spanischsprachige Ausstellung
„Die Weiße Rose“ wird in der Casa
Municipal de Cultura in Pedreguer in
Alicante gezeigt. → mehr S. 23
3 Symposion „Eine Mauer um
uns baue… – Lektüre als
Widerstand“
In der Zeit der NS-Diktatur war Literatur ein Mittel der Gegenwehr,
eine „feste Burg“. „Eine Mauer um
uns baue…“ stand deshalb über
einem Literatursymposion, das die
Weiße Rose Stiftung e.V. am 14. Dezember 2010 zusammen mit der
Stiftung Literaturhaus und der BLZ
im Münchner Literaturhaus veranstaltete.
Die Flugblätter der Weißen Rose
bezeugen den Einfluss von Literatur
auf Denken und Handeln des studentischen Widerstandskreises um Hans
Scholl und Alexander Schmorell.
Wolfgang Frühwald, em. Professor
für Neuere Deutsche Literaturgeschichte, zeigte auf, welche Werke
den Studenten wichtig waren, und
warum. Ernst Wiechert (1887-1950)
übernahm das Zitat „Eine Mauer um
uns baue…“ aus dem Gedicht von
Clemens von Brentano „Die Gottesmauer“ als Bild für eine Gegenwelt
zum Nationalsozialismus in einem
Aufsatz, der 1937 erstmals in der
Frankfurter Rundschau erschien. Sabine Kastius und Gert Heidenreich
lasen aus diesem und anderen ausgewählten Texten. In einer von Dr. Dieter
Heß moderierten Podiumsdiskussion
ging Prof. Wolfgang Frühwald mit
der Psycho­analytikerin Dr. Gudrun
Brockhaus, dem Sprachwissenschaftler Prof. Wolfgang Huber und dem
Schriftsteller Gert Heidenreich der
Frage nach, was Literatur in einer Diktatur vermag, und welche Wirkung die
damals im Kreis der Weißen Rose gelesenen Texte auch heute noch haben
können.
Der Leiter des Literaturhauses Dr.
Reinhard Wittmann begrüßte die überaus zahlreich erschienenen Gäste,
anschließend sprach der Bayerische
Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle
ein Grußwort. Wolfgang Frühwald
zeichnete zunächst in seinem Vortrag
für die Studenten der Weißen Rose
ein Lektüreprofil, das sich aus den
von ihnen bevorzugten Schriftstellern
ergibt. Er erläuterte vor allem aber ihr
existentielles, nicht nur rein ästhetisches Verhältnis zur Literatur: „Die
jungen Menschen, die sich im Widerstandskreis der Weißen Rose trafen,
kannten noch die intensive Lektüre.
Sie haben, mit unbestechlichem Sinn
für Substanz, die Schriften, die sie
alleine oder in Gesellschaft lasen, in
solche geteilt, die ihnen zu leben halfen, und solche, die ihnen nichts zu
sagen hatten. Für Menschen, deren
Lektüre unter der Drohung von Kerker
Prof. Dr.
Wolfgang Frühwald
und Tod steht, ist das, was sie lesen,
und die Weise, wie sie lesen, von
anderem Gewicht, als für Menschen,
die solchen Gefahren nicht ausgesetzt sind. (…) Wer im Bannkreis des
Widerstands liest, dessen Sinne sind
geschärft für die subversive Kraft von
Literatur, die sich selbst dort einstellt,
wo sie von Autoren nicht gewollt ist,
aber durch die Herstellung einer Gegenwelt zur herrschenden Realität wie
von selbst entsteht.“ Weiter führte er
aus: „Das wir Raskolnikov, dem von
seinem Gewissen gejagten Mörder
aus Dostojewskis Roman ,Schuld
und Sühne’, dass wir der radikalen
Ethik Kierkegaards in den Briefen und
Tagebüchern der Geschwister Scholl,
ihrer Freundinnen und Freunde immer
wieder begegnen, ist demnach kein
Zufall, sondern Ausdruck einer ,literarischen Richtungsethik’, welche die
Zeit bis tief in die Restaurations-Phase
nach dem Zweiten Weltkrieg faszinierte.“ Sicher sei, so Frühwald, dass
ihr Leben von Literatur, von deutscher
wie französischer und russischer
„begleitet und geleitet“ gewesen
sei: „Sie hat ihnen Trost und Mut gespendet, sie war lange lebenskräftig
und lebenserhaltend, sie wussten
aber, dass belletristische Literatur
überfordert war, als es nicht mehr um
Lebensbegleitung, sondern um die
Wirklichkeit eines gewaltsamen und
frühen Todes ging.“
„Sind das heute noch Texte von
politischer Sprengkraft, von humanistischem Aufbegehren, von moralischpolitischem Veränderungswillen?“
Mit der Frage nach der „heutigen
Wirkung“ eröffnete Dieter Heß, Leiter
der Redaktion Kulturkritik und Literatur
beim Bayerischen Rundfunk, nach der
Lesung von Sabine Kastius und Gert
Heidenreich die Diskussion. Die von
Wolfgang Frühwald vorgenommene
Auswahl von Texten reichte von Reinhold Schneider über Ernst Wiechert
und Søren Kierkegaard bis hin zum
Korintherbrief.
Der Bedeutung von Literatur als Widerstand im spezifischen historischen
Kontext wurde auf dem Podium
9
ebenso Rechnung getragen wie der Tatsache, dass
theologische Fragen im Kreis der Weißen Rose eine
wichtige Rolle spielten. Die damalige Zeit sei „sehr
religionssensitiv“ gewesen, betonte Wolfgang Huber.
Das titelgebende Zitat „Eine Mauer um uns baue…“
symbolisiere sehr genau die Schutzfunktion, die
Literatur für den Widerstandkreis gehabt habe, erläuterte Gudrun Brockhaus. Darüber hinaus eröffne
sie bis zu einem gewissen Grad eine Möglichkeit der
Realitätsflucht, um das Leben überhaupt aushalten
zu können.
Gert Heidenreich sprach in diesem Zusammenhang
von „Literatur als Kunst der Aufmerksamkeit“, aus
der die Fähigkeit zum Widerstand resultiere. Heidenreich wies auch auf die Wirkkraft der Weißen Rose
bis in die Gegenwart hin: Sie habe eine „symbolische Bedeutung für das menschliche und politische
Verhalten in diesem Land und über das Land hinaus.“
Die Beschäftigung mit der Weißen Rose ist seiner
Meinung nach „unendlich wichtig“, damit auch in
Zukunft sich Menschen die Frage stellen, was sie
selbst getan hätten, und sich wenigstens wünschen,
„einen ähnlichen Mut“ gehabt zu haben.
Die Bedeutung der Literatur für die Weiße Rose ist
eine von der historischen Forschung bislang wenig
beachtete Fragestellung. Ein „menschlicher Zugang“
und nicht ein „idealisierender Umgang“ seien aber
gerade für Jugendliche von heute wichtig, betonte
Gudrun Brockhaus. Es gehe heute nicht mehr allein
um „Betroffenheit als Lernziel“, sondern um eine
Auseinandersetzung mit den Schwächen, den Widersprüchen und auch dem Leichtsinn im Handeln der
studentischen Widerstandsgruppe. Wolfgang Frühwald betonte, es seien doch „fröhliche junge Menschen“ gewesen. Die Einzigartigkeit ihrer Stimme
sei so unglaublich, das Singuläre ihres Widerstands
könne gar nicht genug betont werden.
Der vollständige Text der Rede von Professor Wolfgang Frühwald ist nachzulesen unter
http://www.weisse-rose-stiftung.de.
Literaturhaus München, Foyer
10
4 Neuerscheinung: Barbara Beuys
„Sophie Scholl“
Am 10. Februar 2010 las Barbara Beuys aus ihrer
neuen Biographie „Sophie Scholl“ im Audimax
der LMU in München. Die Veranstaltung fand in
Kooperation mit der LMU München, der Weiße
Rose Stiftung e.V., der Buchhandlung Lehmkuhl
und dem Carl Hanser Verlag statt.
Das Buch hatte Anfang des Jahres viel Aufmerksamkeit erregt: Die Historikerin Barbara Beuys hat dafür
den Nachlass von Inge Aicher-Scholl im Institut für
Zeitgeschichte München erstmals umfassend im
Hinblick auf Sophie Scholl und ihre Familie ausgewertet. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Sophie
Scholls Weg von einer engagierten Führerin in der
Hitlerjugend zur mutigen Gegnerin des Nationalsozialismus länger, widersprüchlicher und differenzierter
war, als bisher bekannt.
Pressestimmen zum Buch:
„An manchem Mythos kratzt Dr. Barbara Beuys in
der redlich und aufrecht geschriebenen Biographie,
an der Legende eines Wendepunkts, an dem die
wie die meisten Jugendlichen ihrer Zeit für das NSRegime begeisterten Kinder der Familie Scholl sich
vom Regime abwandten und zu dessen Gegnern
wurden. Einen solchen Wendepunkt habe es nicht
gegeben, die Abwendung geschah wohl im Gegenteil als eine allmähliche Entwicklung, die 1937 oder
1938 einsetzte.“
Augsburger Allgemeine, 25.2.2010
„Indem die Historikerin aus bislang unerschlossenen
Quellen schöpft und Bekanntes anders gewichtet,
modelliert sie ein bis in die feinsten Seelenverästelungen plastisches Charakterportrait. Ihr Buch zeigt,
wie allen Gefahren, Zweifeln und Verzagtheiten zum
Trotz in Sophie Scholl der Mut heranreift, das eigene
Dasein zu riskieren für ein Fanal wider schreiendes
Unrecht.“
Süddeutsche Zeitung, 8.2.2010
„Diese einfühlsame, jede heroisierende Tendenz
vermeidende Biografie nimmt Sophie Scholl nichts
von ihrer Größe, im Gegenteil: Wir lernen sie hier
kennen mit allen, auch den widersprüchlichen Facetten ihrer reichen Persönlichkeit. Eine junge Frau, die
gern zeichnete und musizierte, viel las und schrieb,
wild tanzte und für jeden Spaß zu haben war, die
aber bei aller Empfindsamkeit auch hart und schroff
sein konnte, hin- und hergerissen zwischen Gefühl
und Verstand und verzweifelt um die Sicherheit im
Glauben ringend. Die mit allen Fasern am Leben hing
und doch am Ende bereit war, es für ein besseres
Deutschland herzugeben. »Freiheit« war das letzte
Wort, das sie im Gefängnis, den Tod vor Augen, auf
die Rückseite ihrer Akte schrieb.“
Die Zeit, 11.2.2010
11
5 Neue Glasvitrine für die Weiße Rose
Stiftung e.V. in München-Schwabing
Die Weiße Rose Stiftung e.V. kann seit Anfang Oktober eine zwei Meter hohe Glasvitrine in der Veterinärstraße nutzen. Auf Anregung von Klaus Bäumler
vom Bezirksausschuss Maxvorstadt stellte uns die
LMU die früher von einer Buchhandlung genutzte Vitrine zur Verfügung. Durch die Media Forces Network
GmbH München wurde sie sehr öffentlichkeitswirksam mit Motiven der Weißen Rose gestaltet, so dass
die Vitrine jetzt als Wegweiser zur DenkStätte Weiße
Rose dient sowie für Veranstaltungshinweise und Informationen über die Arbeit der Weiße Rose Stiftung
e.V. genutzt werden kann. Großer Dank geht an das
Grafikbüro für sein finanzielles Entgegenkommen.
Glasvitrine in der
Veterinärstraße
12
6 Jubiläum des GeschwisterScholl-Studentenheims
Das Geschwister-Scholl-Studentenheim in München feiert in diesem
Jahr sein 50-jähriges Bestehen.
Nach der großen Festveranstaltung
wandte sich das Heim – in Partnerschaft mit der Weiße Rose Stiftung
e. V. und unterstützt von der BLZ –
seinen Namensgebern zu.
Bericht der Heimratsvorsitzenden
Annika Länger:
Im Jahr 2010 fanden im Studentenwohnheim Geschwister Scholl zwei
Veranstaltungen in Zusammenarbeit
mit der Weiße Rose Stiftung statt. Bei
der ersten Veranstaltung am 24. Oktober 2010 handelte es sich um eine
Lesung aus der neuen Sophie-SchollBiographie von Barbara Beuys mit
der Schauspielerin Miriam Albrecht.
Im Anschluss folgte ein Gespräch
zwischen der Zeitzeugin Dr. Hildegard
Hamm-Brücher und mir, Heimratsvorsitzende des Studentenwohnheims
Geschwister Scholl, moderiert von Dr.
Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der
Weiße Rose Stiftung. Das Gespräch
drehte sich um Fragen wie „Was können wir von Sophie Scholl lernen?“
„War es klug so zu handeln, wie Sophie Scholl es tat?“ oder „Wie engagiert ist die Jugend heute?“. Auch das
Publikum durfte sich zu Wort melden
und wurde so mitbeteiligt.
Besonders eindrucksvoll war die Schilderung der gefährlichen Lage, in der
sich die Chemiestudentin Hildegard
Brücher, die von den NS-Rassegesetzen betroffen war, damals befand.
Gleichzeitig erzählte sie, wie sie zu
dem Widerstand stand. Der Abend
wurde durch Musiker aus unserem
Haus untermalt. So schafften die
Studenten mit ihrer Selbstbeteiligung
eine angenehme Stimmung und einen
angemessenen Rahmen.
Die Resonanz der Heimbewohner
an dem Abend war gut. Meine Mitbewohner zeigten sich von den Erzählungen der Zeitzeugin sehr beeindruckt. Die Lesung hat ihnen Freude
gemacht und unser Wohnheimleben
bereichert. Während der Vorbereitung
auf die Diskussion habe ich persönlich
viel gelernt. Ich beschäftige mich in
meinem Studiengang (Maschinenbau)
naturgemäß wenig mit politischen und
gesellschaftlichen Themen und war
von der zur Vorbereitung herangezogenen Literatur sehr beeindruckt
Die zweite Veranstaltung fand im
12. November 2010 statt. An diesem
Abend präsentierte Dr. Hans-Jochen
Vogel anlässlich unseres Schollheimtages 2010 die Hans-SchollAusstellung der Weiße Rose Stiftung.
In anschaulicher und eindringlicher
Weise führte er der Zuhörerschaft
vor Augen, wie sich Hans Scholl von
einem überzeugten Anhänger des NSRegimes zu einem entschlossenen
Gegner wandelte. Meine Mitbewohner zeigten sich sehr angetan und
begeistert, sowohl von der Themenwahl als auch vom Redner selber.
Der Zulauf an diesem Abend war
unerwartet groß. Spät kommende
Studenten fanden nur noch auf den
Treppen oder in den Eingängen zum
Saal einen Platz. Mir persönlich hat
die Ansprache gezeigt, wie sehr Hans
und Sophie Scholl als Team gearbeitet
haben. Meiner Meinung nach war der
Abend zum Thema Hans Scholl eine
gelungene Ergänzung zu der Lesung
am 24. Oktober 2010.
Alles in allem war an beiden Abenden
die Stimmung angenehm und die
teilnehmenden Studenten begeistert.
Die jeweilige Thematik war ein ausgewogenes kulturelles Angebot für
interessierte Studenten und eine
hervorragende Möglichkeit, sich mit
dem Thema Widerstand im Nationalsozialismus auseinander zu setzen.
Die Themen haben sich gut ergänzt
und sind seit Jahren die ersten Veranstaltungen zum Thema Widerstand in
der NS-Zeit gewesen. Die Zusammenarbeit zwischen der Weiße Rose Stiftung und unserem Studentenwohnheim funktionierte hervorragend. Im
Einvernehmen mit dem Wohnheimträger erkläre ich, dass wir gerne bereit
sind, gemeinsam weitere ähnliche
Veranstaltungen in unserem Studentenwohnheim durchzuführen.
13
Miriam
Albrecht
Dr. Hans-Jochen Vogel, Beiratsmitglied und damals Mitbegründer des Studentenheimes, hatte
als damaliger Jurastudent der LMU von der Verhaftung der Studenten der Weißen Rose und ihrer
Verurteilung gehört. Seine Worte zur Eröffnung der
Einzelausstellung zu Hans Scholl waren daher eine
sehr persönliche Aussage. So betonte er, dass die
Ausstellung „die Entwicklung und Persönlichkeit
eines Menschen“ (…) „in all ihren Facetten“ sichtbar
mache, „der zu den Ausnahmeerscheinungen seiner
Generation gehörte.“ (…) Sie verdeutliche, „welche
Einsichten ihn prägten, welche Kontakte ihm wichtig
waren und wie sehr er die Selbständigkeit seines Urteils bewahrte und über den Tag hinaus sah. Wer die
Texte und Briefe sorgfältig liest, erkennt auch, warum er es nicht bei einer schweigenden Ablehnung
des Gewaltregimes beließ, sondern handelte. (…)
Und was folgt daraus nun für unsere Gegenwart?
Nach meiner Überzeugung (…), dass wir uns an
das, was damals geschah, immer wieder erinnern
müssen. Nicht, um kollektive Schuldkomplexe zu
konservieren. Schuld ist ohnehin ein individueller
Begriff (…). Wir sollten uns und die Nachfolgenden
(…) erinnern, weil diejenigen, die nicht wissen, wie
leicht Menschen sich verführen oder zumindest zur
Passivität bringen lassen; die nicht wissen, wessen
Menschen in ihrem Fanatismus und ihrer Mordlust
fähig sind, diejenigen, die auch die Warnzeichen
nicht erkennen, die auf drohendes Unheil hinweisen,
neuerlichen Gefahren gegenüber weniger wachsam
und weniger widerstandsfähig sind als diejenigen,
denen die Verbrechen der Vergangenheit und die Katastrophen unserer jüngeren Geschichte vor Augen
stehen. Erinnern in diesem Sinn heißt also (…) nicht
das Gedächtnis zu belasten, sondern den Verstand
zu erleuchten!“, so Dr. Hans-Jochen Vogel.
Annika Länger, Dr. Hildegard Hamm-Brücher und Dr. Hildegard Kronawitter
14
7 Einzelausstellung zu
Alexander Schmorell
Gefördert von der BLZ ist 2010
die sechste Einzelausstellung zu
einem zentralen Mitglied der Widerstandsgruppe entstanden: Bei
der Eröffnung am 29.11.2010 konnte
Dr. Hildegard Kronawitter weit über
100 Besucher begrüßen. Sie wies
auf die entscheidende Rolle hin,
die Alexander Schmorell bei den
Widerstandsaktionen der Weißen
Rose spielte. Die Historikerin Ursula
Kaufmann von der Weiße Rose Stiftung e.V. erstellte die Ausstellung
zusammen mit Markus Schmorell.
Der Neffe von Alexander Schmorell
hielt eine sehr persönliche Ansprache aus der Sicht eines engen Familienangehörigen und eröffnete die
Ausstellung.
Besonderer Dank geht an ihn für
die zahlreichen Gespräche sowie für
Briefe, Fotos und Zeichnungen aus
dem Familiennachlass, die er für die
Ausstellung zur Verfügung stellte.
Als Alexander Schmorell im Juni 1942
zusammen mit Hans Scholl die ersten
Flugblätter schrieb, wusste er genau,
worauf er sich eingelassen hatte.
„Was ich getan habe, habe ich nicht
unbewusst getan, sondern ich habe
sogar damit gerechnet, dass ich im
Ermittlungsfalle mein Leben verlieren
könnte“, erklärte er später beim Verhör.
Alexander Schmorell wäre gerne
Bildhauer geworden. Neben seinem
Medizinstudium besuchte er Zeichenkurse in der Schwabinger Kunstschule
„Die Form“. Dort lernte er Lilo Berndl
(spätere Fürst-Ramdohr) kennen. In
der DenkStätte Weiße Rose sind zum
ersten Mal zwei von ihm angefertigte
Aktzeichnungen zu sehen. Auch der
ausgelegte Brief, den Schmorell im
August 1942 an seine Zeichenfreundin
Lilo Berndl schrieb, vermittelt viel von
seiner Poesie und Lebensfreude.
Nachdem Hans und Sophie Scholl
am 18. Februar 1943 beim Verteilen
von Flugblättern in der Universität
verhaftet worden waren, floh Schmorell nach Elmau. Weil er hoffte, in der
Stadt München leichter untertauchen
zu können, kehrte er jedoch einige
Tage später zurück. Als er sich während eines Fliegerangriffes in einem
Luftschutzkeller aufhielt, wurde er verraten und an die Polizei ausgeliefert.
Nikolaj Hamazaspian, ein enger Freund
Schmorells, und Lilo Berndl hatten ihm
bei der Flucht geholfen. Vergeblich versuchte Hamazaspian später, ihn aus
dem Gefängnis zu befreien.
„Ich gehe hinüber in dem Bewusstsein, meiner tiefen Überzeugung und
der Wahrheit gedient zu haben. Dies
alles lässt mich mit ruhigem Gewissen der nahen Todesstunde entgegensehen“, schrieb Alexander Schmorell in
seinem Abschiedsbrief.
Die Einzelausstellung „Alexander
Schmorell und die Weiße Rose“
wird bis Mitte November 2011 in der
DenkStätte Weiße Rose gezeigt, online
unter http://www.weisse-rose-stiftung.
de. Danach kann sie ausgeliehen
werden. Die Süddeutsche Zeitung,
die Augsburger Allgemeine und der
Evangelische Pressedienst berichteten
ausführlich über die Ausstellungseröffnung.
Ursula Kaufmann
Aus der Rede zur Eröffnung von
Markus Schmorell am
29. November 2010
„Immer mal wieder, in verschiedenen
Stadien der eigenen Entwicklung, habe
ich mich mit Alexander beschäftigt,
die Erzählungen in der Familie aufgenommen, die Briefe wieder gelesen,
nachgefragt in den vielfältigen Abhandlungen zur Weißen Rose und dann wieder auch vergessen und neu erinnert.
Eine Zeit lang, das vorweg und damit
es dann auch erledigt ist, standen die
Rezeptionsgeschichte im Mittelpunkt
der Überlegungen, die grundsätzlich
unterschiedliche Haltung der Familien,
die so stark im Kontrast stand zur ungetrübten Freundschaft aller aus dem
Kreis der Münchner Studenten. (…)
Es gibt ja nicht viele Zeugnisse von
Alexander, nur vergleichsweise wenige Fotos, einige Briefe, bezeichnenderweise kein Tagebuch; was als
Zeugnis oder Beweis hätte benutzt
werden können, hat er zum Schutz
seiner Familie, seiner Freunde und
zu seinem eigenen Schutz rechtzeitig
verbrannt, im klaren Bewusstsein
möglicher Folgen der Entdeckung seiner Gedanken und Taten.
Und obwohl es wenige Fotos sind,
haben Frau Kaufmann und ich bei
der Auswahl doch lange hin und her
überlegt; mir ist aufgefallen, wie viel
Geschichte, wie viel Erinnerung sich
hier versammelt haben. – Wenn ich
anfange zum Beispiel über das Foto
mit unserer Nanja zu sprechen, dann
rede ich noch, wenn oben schon
längst Preisverleihung ist…
Aber keine Sorge: ich will nur die zwei
Fotos erwähnen, die in der Auswahl
dann nicht auf den Ausstellungstafeln
sondern im Flyer gelandet sind:
Alexander und Christl (Christoph
Probst) mit Klassenkameraden, als sie
sich 1935 im gemeinsamen Schuljahr
am Neuen Realgymnasium eng und
15
wie Christl später sagen sollte „unzerreißbar“ befreundet hatten. Alexanders Lachen, sein Strahlen,
seine Feierlaune, seine Begeisterungsfähigkeit, sein
Übermut – später wird sich Traute Lafrenz erinnern:
„es war ein großer junger Mann, mit großem Mund
voller Schwärmerei und wenn er lachte, da ging die
Sonne auf.“
Alexander in Lederhose, mag er auch in Orenburg
geboren sein, er ist der Münchner unter dem sogenannten „Münchner Studentenkreis“, er hat das
Isartal, das Oberland und mit Christl die Chiemgauer
Berge als Heimathintergrund und er nimmt später
seine Freunde mit zum Lombardi oder zum Walterspiel oder zu Treffen mit Münchner Originalen und
Außenseitern…
Das andere Photo (…) sieben Jahre später mit dem
Kopftuch zum Schutz in der kontinentalen Sommerhitze. Er vom Helm befreit in „seinem“ Russland.
Und zwischen diesen beiden Photos liegt sein Weg in
den Widerstand, den sechs Ausstellungstafeln nicht
annähernd nachzeichnen können, aber vielleicht geben
sie den Besuchern doch einen kleinen Hinweis auf die
Atmosphäre des Elternhauses in der Menterschwaige, auf die Freundschaften der Gleichgesinnten, ihre
gegenseitige Unterstützung, auf die Entwicklung ihrer
geistigen Resistenz, auf ihre alltäglichen Zeichen des
kulturellen Widerspruchs im intensiven Austausch über
Literatur, Musik und Kunst, auf ihre Aktionen und auf
ihre Haltung am Ende.
Markus Schmorell
16
Vom Arbeitsdienst, aus dem Erleben
der gescheiterten Existenzen, die dort
Führungspositionen erlangt haben,
und der Beobachtung der KdF-Veranstaltungen, schreibt Alexander: „Wenn
das das zukünftige Deutschland sein
soll, dann sehe ich für dieses Land
sehr, sehr dunkel. Mir persönlich ist
es ja ganz gleich, wie es kommt, ich
habe kein bisschen Mitleid mit diesem Volk und Land.“
Und im II. Flugblatt wird es heißen:
„Und wieder schläft das deutsche Volk
in seinem stumpfen, blöden Schlaf
weiter und gibt diesen faschistischen
Verbrechern Mut und Gelegenheit
weiterzuwüten…“ „Weiterzuwüten“
so dicht zusammengeschrieben.
Wir haben in die Ausstellung auch den
ersten Hinweis, der sich in Alexanders
Briefen zu Hans Scholl findet, aufgenommen als ein Beispiel, wie sich die
Freunde gesucht haben, wie wichtig
man einander geworden ist: Alexan­
der schreibt im Brief vom 3. Juli 1941:
„ein Kamerad von mir ein zurückgezogener, einsamer Mensch (…)“ und
dann am 20. Dezember 1941: „Gestern war Weihnachtsfeier in unserer
Kompanie. Ich ging aber nicht hin
– was sollte ich auch dort? Hans war
dann noch bei mir, wir rauchten einige
Pfeifen bei der Kerze, sprachen sehr
wenig. Nur kurze „Gespräche über
Verantwortungsgefühl“. Ich liebe solche „Skizzengespräche“ am meisten.
Wenn man durch Worte doch nicht
restlos alles sagen kann – und das ist
doch meistens so, außer bei wissenschaftlichen Unterhaltungen, – dann
sollte man sich lieber mit solch skizzenhaft hingeworfenen Gesprächen
begnügen. Wenn dann der andere
das, was Du sagen willst, verstehen
soll, dann wird er es auch verstehen.
Es müssen eben in gewissem Maße
verwandt fühlende Menschen sein.
Noch schöner ist es ja bei Liebenden
– bei ihnen sagt Schweigen am meisten. Das ist ja das schönste „Der
innere Mensch hat keine Zunge“.
Übrigens, das stete, intensive Briefeschreiben, dieses aneinander Anteil
nehmen, mitzuteilen, miteinander
weiterdenken, sich Ideen geben, sich
beschenken als eine der wunderbaren Grundlagen des respektvollen
Einverständnisses aller aus dem
Freundeskreis. Wie selbstverständlich
der Wunsch, sich zu entwickeln, sich
zu hinterfragen, sich in den Spiegel
schauen zu können. (…)
Manchen war das Erlebnis Gžatsk
vielleicht noch notwendiger Anstoß,
für Alexander war es die Bestätigung
seines Weges; längst hatte er eine
radikale Kritik am nationalsozialistischen System formuliert, hat sie
Alexander Schmorell an der Ostfront, 1942
© George J. Wittenstein
im Austausch mit den Freunden, in
literarischen Studien und in seiner Beantwortung der Fragen nach Menschlichkeit, nach Rechtsstaatlichkeit und
eben auch nach seiner persönlichen
Verantwortung erarbeitet und die Bereitschaft zur Konsequenz erlangt.
Die Atmosphäre seines zweisprachigen Elternhauses, die vielfach
erzählte Erfahrung des Verlusts der
Heimat und Alexanders Fähigkeit,
sich eine andere – für ihn war es eine
erträumt „russische“ – Gegenwelt
zur nationalsozialistischen Realität
vorzustellen, haben ihm den Weg vorbestimmt.
Beruhigend berichtet Alexander
seinen Eltern am 5. August 1942:
„Ich spreche oft und viel mit der russischen Bevölkerung, mit einfachem
Volk und mit Intelligenz, besonders
mit Ärzten. Ich habe nur den allerbesten Eindruck gewonnen (…)“. Zwei
Tage später schreibt er beschwörend
im Brief an Lilo Ramdohr, der im
Schaukasten liegt, gegen das Feindbild des minderwertigen russischen
Untermenschen der nationalistischen
Propaganda an: „Lilo, glaub' nicht,
was man Dir von der Stumpfheit,
Dumpfheit der Russen sagt und
schreibt.“
Sehr geehrte Damen und Herren,
was können sechs Tafeln sagen, noch
dazu im vorgegebenen Schema vorangegangener Ausstellungen über ein
dichtes Leben in bewegtester Zeit?
Sie können nur ein wenig Einführung
geben zur Entscheidung, die jeder
Ausstellungsbesucher dann treffen
muss: Will ich näher kommen und
erinnern? Erfahren, bewerten, vergessen, erinnern und vielleicht ein andermal in andrer Form, in einer anderen
Schleife wieder erinnern, das ist mein
Zugang zu so einer Veranstaltung wie
heute Abend.
War wohl recht „skizzenhaft“, ich hoff',
Sie wollen es verstehen und danke für
Ihre Aufmerksamkeit.“
17
8 Bericht des Ehrenvorsitzenden
Franz J. Müller
Zufrieden resümiere ich, dass es mir 2010 ein weiteres Jahr möglich war, als Zeitzeuge für die Weiße
Rose zu arbeiten. Als einer der wenigen noch Lebenden fühle ich mich um so mehr verpflichtet, so
lange ich kann, aktiv Zeugnis für die Weiße Rose zu
sprechen.
Dabei freut mich immer wieder, dass die von mir initiierte DenkStätte der ideale Raum ist, Jugendlichen,
Studenten, Menschen aus aller Welt zu begegnen,
die von der Weiße Rose hören wollen; ideal auch
geprägt durch die engagierten ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, die mich stets freundlich und geduldig
unterstützen; und so ideal gelegen, dass ich meistens per Fahrrad komme.
Dank sage ich Ursula Kaufmann: speziell, weil sie
meine Zeitzeugengespräche betreut, zuverlässig
meinen Terminkalender führt und in guter Zusammenarbeit mit der Universität bei Bedarf auch Hörsäle organisiert; besonders, weil sie so kenntnisreich
und anschaulich unterschiedlichste Gruppen führt
und zahlreiche Projekte in der DenkStätte betreut; allgemein, weil ihre kompetente Arbeit als Historikerin
mit ihren Recherchen zu den Sonderausstellungen
für die Weiße Rose Stiftung mit jedem Jahr wichtiger
wird.
Ich begrüße auch ausdrücklich die Beteiligung der
Stiftung am Nachdenken und Planen von Veranstaltungen zu „Erinnerungskultur ohne Zeitzeugen“.
Dank allen, die unsere Arbeit unterstützen und fördern. Zuversichtlich denke ich an die weitere Arbeit
der Stiftung.
Mit ihrer Erfahrung und Kompetenz hat sich Hildegard Kronawitter intensiv auf die vielseitigen Anforderungen, die nicht immer einfachen Aufgaben der
Stiftung eingelassen und leitet engagiert und zugewandt das Team der MitarbeiterInnen.
Mit Wolfgang Huber hat sich ein Mitglied der „Familien“ zur Mitarbeit im Vorstand bereit erklärt, dem
im Sinne seines Vaters die Erinnerungsarbeit für die
Weiße Rose wichtig ist.
Mit Werner Rechmann bleibt uns der erfahrene,
konsequente und mittlerweile unersetzliche Schatzmeister.
Besonders freut mich, dass nach der erfolgreichen,
vielen unvergessenen Konferenz vor zwanzig Jahren
die Weiße Rose Stiftung in Hamburg 2011wieder
mit namhaften Partnern Mitveranstalter der umfangreichen Veranstaltungsreihe „Weiße Rose Hamburg“
sein wird.
Zuversichtlich hoffe ich auf viele weitere Zeitzeugengespräche, habe ich doch zum Glück mit Britta
Müller-Baltschun meine Frau als persönliche Referentin zur Seite, ohne deren Begleitung und engagierte
Moderation ich Termine außerhalb der DenkStätte
nicht mehr wahrnehmen könnte. Wir sind ein gutes
Team. Sie weiß auch, dass ich unruhig werde, wenn
es länger keine Termine gibt. Es waren dann aber
auch 2010 in der DenkStätte doch wieder so viele,
dass ich sie nicht einzeln auflisten will.
Erwähnen will ich aber:
die Schüler-Gruppen aus allen Bundesländern,
die viel zahlreicher als die Hiesigen anlässlich
von Projekttagen, Klassen- und Abiturfahrten
18
nach München kommen und die DenkStätte
Weiße Rose im Programm haben, möglichst mit
Zeitzeugen;
die erfreulichen Besuche von Betreuungslehrern bayerischer Gymnasien mit internationalen
GastschülerInnen;
die wiederholten Besuche von Münchner
Berufsschullehrern mit Klassen der verschiedenen Fachbereiche und oft interessanten Schülerberichten;
das große Interesse von Gruppen aus Norditalien, besonders die regelmäßigen Besuche von
Stefania Zuber mit sehr interessierten Gruppen
verschiedenen Alters meistens aus Bergamo;
das Einbezogensein in das in den USA weit
verbreitete Programm „oral history“ mit vielen,
teilweise regelmäßigen Besuchen von Studentengruppen engagierter Dozenten, z.B. mit Elisabeth Reichert und Judy Graunke;
die mittlerweile zum Programm des Max-KolbeWerks Freiburg gehörenden Besuche von Holocaust-Überlebenden, vor allem aus der Ukraine
und Tschechien; das Miterleben der manchmal
fast befreienden, erlösenden Wirkung der Tatsache, dass es im Volk der Peiniger auch Widerstand gab, bewegt mich stark und bestätigt mir
jedes Mal wieder die Wichtigkeit, Zeugnis für
die Weiße Rose zu sprechen, so lange wie ich
kann;
das Interesse aus Fernost (Japan, Kambodscha,
Korea) und auch Moskau mit Studentengruppen
und Interviews mit Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern;
die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Studentenwerk München, dem Goethe-Institut
München und der VHS München vor allem bei
der Betreuung ausländischer Studenten.
Besonders intensiv war 2010 die „Lange Nacht
der Museen“ im Oktober: dreimal voller Hörsaal,
überraschend viele junge Menschen, interessierte
Fragen und Diskussionen lange über die Zeit hinaus;
danach schon Anfragen von Lehrern zu Zeitzeugengesprächen.
Reisen für die Weiße Rose Stiftung werden selten.
Eine der wenigen Ausnahmen war Heidelberg:
Wie jedes Jahre hatte ich auch im Juni 2010 Zeitzeugengespräche in der Reichspräsident-FriedrichEbert-Gedenkstätte: volles Auditorium mit mehreren
Schulklassen und auch Erwachsenen, viele Fragen,
anschließend interessante Einzelgespräche.
Intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der Erinnerung bedeuten die langen
Gespräche zu Schüler-Facharbeiten (wiederholt aus
der Schweiz), auch die Interviews für Printmedien,
Radio- und Fernsehaufnahmen.
Franz J. Müller
Aus dem Gästebuch der
Münchner DenkStätte
19
9 Die Weiße Rose in Russland und Polen
Ungebrochen ist das Interesse an der Ausstellung
über den Widerstand der Weißen Rose auch im
elften Jahr seit der Eröffnung der DenkStättte
Weiße Rose im russischen Orenburg, der Geburtsstadt von Alexander Schmorell. Dank der
großzügigen finanziellen Unterstützung durch
die Bayerische Staatskanzlei konnte die Dauerausstellung in Orenburg überarbeitet sowie eine
erste zusätzliche Wanderausstellung für Russland
geschaffen werden. In Polen ging die Ausstellung
der DenkStätte Weiße Rose in Wrocław (Breslau)
zum ersten Mal nach zwei Jahren auf Wanderschaft.
Russische Föderation
Mit Finanzierung durch den Deutschen Bundeswehrverband und die Weiße Rose Stiftung e.V. konnte die
Wanderausstellung in zwei ostsibirischen Städten
gezeigt werden: in Petropawlowsk-Kamtschatski und
in Chabarowsk.
Die Weiße Rose in Petropawlowsk
Petropawlowsk ist eine durch Kosaken im 17. Jahrhundert gegründete und heute 270 000 Einwohner
zählende Stadt in Ostsibirien, neun Zeitstunden von
Moskau entfernt. Sie liegt auf der gleichnamigen
Halbinsel in einer gewaltigen, von Vulkankegeln geprägten Landschaft. Ihr großartiger Naturhafen bietet
Schutz gegen Stürme und ist neben Wladiwostok
wichtiger Stützpunkt der russischen Pazifikflotte.
Hauptwirtschaftsfaktor ist neben beginnendem
Tourismus die Fischindustrie und hier vor allem der
Kaviar. Die Universitätsstadt war bis 1900 eine für
Ausländer und Sowjetbürger „geschlossene“ Stadt.
Daraus und aus ihrer exponierten Lage resultiert
eine große Neugier auf westliches Gedanken- und
Kulturgut.
In Petropawlowsk wurde die Ausstellung vom
13. April bis Ende Mai in der Gebietsbibliothek
gezeigt. Die Direktorin Bella Ivanova und die Vizedirektorin Ludmila Sadownikova organisierten mit
viel Engagement die Eröffnung der Ausstellung: Es
sprachen Bella Ivanova, Dr. Evgeniy Vereshchaga, Repräsentant des Außenministeriums der Russischen
Föderation im Gebiet Kamtschatka, Winfrid Vogel von
der Weiße Rose Stiftung e.V. und Dr. Igor Chramow
von der Stiftung Eurasia. Außergewöhnlich beeindruckend war die anschließende szenische Darbietung
von sechs Studenten unter der Leitung von Ludmila
Sadownikova. Sie bestand aus Texten zu Personen,
Zitaten aus Flugblättern und aus den Vernehmungsprotokollen der Gestapo, unterlegt mit Fotos der
Dr. Igor Chramow,
Dr. Evgeniy Vereshchaga und
Winfrid Vogel im Gespräch
20
Münchner Studenten. Zum Abschluss
wurde der Film „Die Weiße Rose“ von
Sava Kulisch gezeigt. Presse, Rundfunk und zwei Fernsehsender berichteten ausführlich.
Eintrittskarte zur Ausstellungs­
eröffnung in Petropawlowsk
Die Weiße Rose in Chabarowsk
Chabarowsk ist mit 750 000 Einwohnern die größte Stadt im fernen Osten
der Russischen Föderation. Sie liegt
am Fluss Amur an der Grenze zur
Volksrepublik China. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen 1967
herrscht heute ein friedlicher Handelsund Tourismusverkehr.
Das Museum für Landeskunde in Chabarowsk
Die dortige Organisation der Veteranen spielt wie überall eine bedeutende Rolle und nahm auch an der Eröffnung der Weiße Rose Ausstellung
teil, die im Museum für Landeskunde
vom 2. Juni bis 20. Juli gezeigt wurde.
1903 durch den deutschstämmigen
Gouverneur Baron Korf gegründet, erwies sich das Museum als ein idealer
Ausstellungsort. Es hat, wie auch das
benachbarte Kunst- und Militärmuseum, regen Besucherverkehr.
Zur gut besuchten Eröffnung am
2. Juni sprachen die Vizedirektorin
Anna Alexandrowna Ponomarewa
sowie Winfrid Vogel und Dr. Igor Chramow. Im Anschluss wurde der Film
„Die Weiße Rose“ von Sava Kulisch
gezeigt.
Das Interesse an der Widerstandsgruppe Weiße Rose und ihrer Verbindung zur Roten Kapelle über Falk
Harnack war groß. Diskutiert und
nachgefragt wurde auch, wie die Bundesrepublik den kommunistischen
Widerstand heute bewertet.
Besucherinnen beim Eintrag
ins Gästebuch
21
Die Russisch-Deutsche Kulturwoche
in Orenburg
Im Rahmen der alljährlichen DeutschRussischen Kulturtage in Orenburg
eröffnete der Botschafter der Bundesrepublik Dr. Ulrich Brandenburg
am 16. September 2010 die neugestaltete Dauerausstellung in der
Pädagogischen Universität. Für große
öffentliche Aufmerksamkeit sorgte die
Tatsache, dass dies bereits der zweite
Besuch eines Deutschen Botschafters
innerhalb von zwei Jahren auf Einladung der Weißen Rose Stiftung e.V.
und der Stiftung Eurasia in Orenburg
war. Da auch die Oblast-Regierung
neu gewählt worden war, wurde
dieser Besuch als große Ehre empfunden und entsprechend gestaltet.
An der Eröffnung nahm auch Grigori
Iwliew, Vorsitzender des Ausschusses
für Kultur der Staatsduma Moskau,
teil. Der Deutsche Botschafter und
der Gouverneur überreichten Dr. Igor
Chramow, dem Präsidenten von Eurasia, und Winfrid Vogel als Vertreter
der Weiße Rose Stiftung e.V. eine
Dankesurkunde für ihre langjährige Arbeit „für die Entwicklung der deutschrussischen Beziehungen“.
Der Deutsche Botschafter und Dr.
Werner Rechmann von der Weiße
Rose Stiftung e.V. hatten bereits am
Vormittag im Großkino „Kosmos“
vor ca. 600 Dozenten und Studenten
die alljährlichen Alexander-SchmorellStipendien an Studenten der Pädagogischen und der Staatlichen Universität verliehen. Anschließend fand die
Premiere des Films „Die russische
Seele der Weißen Rose“ des Staatlichen Fernsehens Orenburg statt. Danach wurde der Film „Die Edelweißpiraten“ von Niko von Glasow (2001)
gezeigt.
Polen
Im Februar und März wurde die Weiße Rose Ausstellung der DenkStätte
Weiße Rose im Edith-Stein-Haus in
Wrocław (Breslau) in Opole (Oppeln)
in Schlesien gezeigt. Opole ist die
Hauptstadt der gleichnamigen Wojewodschaft mit ca. 150 000 Einwohnern und einer Universität. Eine starke
deutsche Minderheit, gut organisiert
und inzwischen auch in guter Nachbarschaft mit der polnischen Bevölkerung, ein Deutsches Konsulat sowie
deutschsprachige Medien boten gute
Bedingungen.
Zur Ausstellungseröffnung am 25. Februar im Lehrer-Aus- und Fortbildungsinstitut erschienen prominente Gäste
aus der Wojewodschaft, der Stadt,
anderen Instituten, außerdem der
Deutsche Konsul und Norbert Rasch,
der Vorsitzende der Deutschen Minderheit. Prof. Dr. Bernadeta Szyska
von der Universität Wrocław hielt einen Festvortrag mit dem Thema „Widerstand im NS-Deutschland“.
Mitte April zeigte die Evangelische
Kirchengemeinde von Wrocław die
Ausstellung im Rahmen einer Kulturwoche in ihrer Kirche. Anschließend
wanderte die Ausstellung nach Görlitz.
Winfrid Vogel
Studenten auf dem Weg zur
Stipendienverleihung
Preisverleihung durch
Dr. Ulrich Brandenburg
22
Dr. Ulrich Brandenburg bedankt
sich bei Winfrid Vogel
10 Die Weiße Rose erstmals in Spanien
Viel Aufmerksamkeit fand die Ausstellung über
die Weiße Rose, die 2010 erstmals in Spanien gezeigt wurde. Der studentische Widerstand gegen
das Nazi-Regime sei ein in Spanien kaum bekanntes Phänomen, schrieb EL PAÌS, die größte
Tageszeitung des Landes, nach der Eröffnung im
Goethe-Institut in Madrid.
Die Ausstellungseröffnung fand am 23. Februar 2010
unter der Schirmherrschaft des Deutschen Botschafters Reinhard Silberberg statt. Es sprachen der Gesandte der Deutschen Botschaft in Madrid Thomas
Neisinger sowie Margareta Hauschild als Leiterin
des Goethe-Instituts und Hildegard Kronawitter als
Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung e.V.
Angesichts der Standhaftigkeit der Verhafteten und
ihrer mutigen Zurückweisung der nationalsozialistischen Ideologie stellten insbesondere die ausgestellten Verhörprotokolle bewegende Dokumente
dar, hieß es in dem EL PAÌS-Artikel weiter. Das
Goethe-Institut hob die Ausstellung und ihr umfängliches Rahmenprogramm als „Premiere in Spanien“
hervor. Hildegard Kronawitter erläuterte in ihrer Eröffnungsrede die Arbeit der Weiße Rose Stiftung e.V.,
ihre Entstehungsgeschichte und ihre Ziele: Die Erinnerung an die Weiße Rose soll wach gehalten und
ihr Vermächtnis weitergetragen werden, aus dieser
Erinnerung heraus sollen aber auch neue Impulse
entstehen, „um heute ziviles Engagement und demokratisches Verhalten zu stärken, insbesondere bei
der jungen Generation.“
Senta Berger, Dr. Hildegard Kronawitter und Margareta Hauschild
In der von José M. García Pelegrín, Autor des Buches
„La Rosa Blanca“, moderierten Diskussion am Eröffnungsabend nahm der Regisseur Dr. Michael
Verhoeven teil und berichtete von seiner Recherche­
arbeit für seinen Film „Die Weiße Rose“ aus dem
Jahr 1982. Der Professor für spanische Geschichte
und Gegenwart Eduardo Gonzàlez Calleja zeigte
Parallelen zwischen der Weißen Rose und dem
Widerstand der studentischen Jugend gegen das
Franco-Regime auf.
Zum Rahmenprogramm der Ausstellung gehörte
ein Abend, an dem Michael Verhoeven seinen Film
präsentierte, sowie weitere Veranstaltungen mit den
spanischen Filmen „Tod eines Radfahrers“ aus dem
Jahr 1955 und „Salvador“ aus dem Jahr 2006 mit
dem deutschen Hauptdarsteller Daniel Brühl.
23
Die nächste Station der Ausstellung war Las Palmas
de Gran Canaria. Hier wurde sie am 24. November
zusammen mit dem neuen Bürgerzentrum eröffnet.
Der Deutsche Konsul für die Kanarischen Inseln Peter Christian Haucke, der sich persönlich für den Ausstellungsort eingesetzt hatte, sowie der Bürgermeister von Las Palmas Jerónimo Saavedra hielten die
Eröffnungsreden. Auch hier gab es ein beachtliches
Medienecho von den lokalen Zeitungen.
Im Anschluss konnte die Ausstellung vom 15. Dezember 2010 bis zum 7. Januar 2011 im Kulturhaus
von Pedreguer bei Alicante gezeigt werden. Dr.
Christof Schmid, der frühere Vorsitzende der Weiße
Rose Stiftung e.V., betonte bei der Eröffnung, es sei
wichtig, dass die Ausstellung nicht nur in den europäischen Metropolen gezeigt werde, sondern auch
in kleineren Städten, in denen das Angebot oft geringer, das Interesse aber groß sei. Er sprach in seiner
Rede über die Ideale und Motive der Mitglieder
der Weißen Rose, wies aber auch auf die „vielen
Beispiele mutigen Widerstands im spanischen Bürgerkrieg“ hin. Auch in Deutschland habe es viele
Formen des alltäglichen Widerstands gegen den
Nationalsozialismus gegeben. Die Zahl derer aber,
die ins Bewusstsein gedrungen und in Erinnerung
geblieben seien, sei dagegen überschaubar. Miguel
Serra, im Stadtrat zuständig für Kultur und Erziehung, versprach in seiner Eröffnungsrede, er wolle
dafür sorgen, dass möglichst viele Schulklassen die
Ausstellung besuchten. Es sei wichtig, betonte er,
dass die zusammenwachsenden europäischen Länder mehr von der eigenen Geschichte und der der
Partnerländer wüssten. Viele Spanier kennen seiner
Einschätzung nach nur Stauffenberg als deutschen
Akteur gegen Hitler.
Katja Sebald
Dr. Michael Verhoeven, José M. García Pelegrín und
Eduardo Gonzàlez Calleja
Goethe-Institut in Madrid
24
11 Die Weiße Rose in den USA
Vor allem persönlichen Kontakten war es zu verdanken, dass die
englischsprachige Ausstellung im
Jahr 2010 an zwei Orten in den USA
gezeigt werden konnte, wo sie viel
Aufmerksamkeit erregte.
Auf Empfehlung und Fürsprache von
Marc Hubert Schwizler, einem Freiburger Lehrer, präsentierte das private
Arts Center on the Hudson in Mechanicville, New York, die Ausstellung.
Es sei eine große Freude und Ehre
für die Weiße Rose Stiftung e.V., dass
die Ausstellung zur Eröffnung des
Kunstzentrums mit einem speziellen
kunstpädagogischen Programm für
Jugendliche gezeigt werde, schrieb
Dr. Hildegard Kronawitter in ihrem
Grußwort am 9. Mai 2010. Sie bedankte sich ausdrücklich bei Jaimen
und Dorothea McMillan, den Inhabern
des Kunstzentrums. Wie die örtliche
Zeitung „Gazette“ in Mechanicville
berichtete, hatte Jaimen McMillan
jahrzehntelang beruflich mit Deutschland zu tun, seine Frau ist Deutsche.
Für ihn stehe die Weiße Rose für den
„wahren Geist Deutschlands“ während der Nazi-Herrschaft, betonte er
gegenüber der Zeitung.
Die Schirmherrschaft für dieses Ausstellungsprojekt hatte der Deutsche
Botschafter in Washington Klaus
Scharioth übernommen. Die Deutsche
Botschaft in Washington nahm die
Ausstellung zum Anlass, um auf ihrer
Homepage ausführlich über die Weiße
Rose und den Spielfilm von Michael
Verhoeven zu berichten.
Im November präsentierte das
Goethe-Institut in Washington die
Ausstellung auf der National Conference of the Social Studies in Denver.
Auf dieser Konferenz trafen sich vier
Tage lang rund 5000 Lehrer des Fachs
„Social Studies“ aus allen amerikanischen Bundesstaaten. „Es gibt
wohl kaum einen Ort in den USA,
der bezüglich der multiplikatorischen
Ausstrahlung in die hiesigen Schulen
geeigneter wäre“, teilte der Leiter des
Goethe-Instituts in Washington Ulrich
Braeß erfreut mit. Über die Ausstellung schrieb er: „Meine Kollegen
berichteten mir, dass sie ständiges
und vor allem intensives Interesse der
Besucher an den Informationstafeln
festgestellt haben. Allem Anschein
nach ist die Ausstellung pädagogisch
und didaktisch gut gestaltet und lässt
sich wohl auch problemlos auf- und
abbauen.“
Katja Sebald
Dorothea McMillan
Ausstellungsbesucher
in Denver
25
12 Die Weiße Rose in Dresden und Görlitz
Anfang des Jahres wurde in der Dreikönigskirche in Dresden der Weißen Rose gedacht. Die
Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung e.V. Dr.
Hildegard Kronawitter eröffnete die Ausstellung
am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des
Nationalsozialismus. Sie erinnerte in ihrer Rede
daran, dass auf den Tag genau 65 Jahre zuvor die
sowjetischen Truppen das NS-Vernichtungslager
Auschwitz befreit hatten und verwies auf das
zweite Flugblatt der Weißen Rose, das den Mord
an den polnischen Juden als „fürchterlichstes Verbrechen an der Würde des Menschen“ verurteilte.
Die Ausstellung war Teil eines „Weiße Rose Projekts“ unter der Schirmherrschaft von Prof. Udo
Zimmermann, Komponist der Oper „Die Weiße
Rose“. Die Ausstellung wurde im „Haus der Kirche“ präsentiert.
Die sächsische Staatsministerin a.D. Dr. Eva-Maria
Stange eröffnete ihren Festvortrag mit der Frage:
„Warum ist es 65 Jahre nach dem Ende des verheerenden Vernichtungskrieges, der von deutschem Boden ausging und Millionen Menschenleben kostete,
immer noch notwendig, ein Projekt wie die Ausstellung ,Weiße Rose’ nach Dresden zu tragen? Haben
die Deutschen, die Sachsen, die Dresdner nichts
gelernt?“
Sie verwies darauf, dass allein in Sachsen rund
„100 000 Bürgerinnen und Bürger 2009 ihre Stimme
den Nazis gegeben“ hätten, dass die NPD seit 2004
im Sächsischen Landtag säße und Steuergelder für
ihre politische Arbeit bekäme. Die Mitglieder der
Weißen Rose seien von „Mut, Klarheit im Denken“,
vor allem aber durch „eine tiefe, gewachsene Überzeugung von Freiheit, Demokratie und Toleranz“ zum
Handeln getrieben worden. Trotz ihrer „mahnenden
und aufrüttelnden Worte (…) tobte der Vernichtungs­
krieg bis zum bitteren Ende weiter.“ Auch die Bombardierung Dresdens jährte sich 2010 zum 65. Mal:
Als am 13. und 14. Februar 1945 das historische
Dresden durch die Bomben der Alliierten zerstört
wurde, sollte auf diese Weise der Krieg gestoppt
werden. Die Nazis hätten jedoch diese Angriffe zum
Anlass genommen, ihren verbrecherischen Krieg
zu rechtfertigen. „Heute knüpfen die NPD und ihre
rechtsextreme Anhängerschaft an diese wahrheitsverfälschende Tradition an und benutzen den 13. Februar erneut, um die Verbrechen der deutschen Nazis
zu verharmlosen, ja zu rechtfertigen“, mahnte Stange
in ihrer Rede.
Der Satz „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit“
aus dem fünften Flugblatt könnte den Dresdnern
auch heute noch Mahnung sein, wenn sie sich am
Die Weiße Rose-Ausstellung
in Görlitz in deutscher und
polnischer Sprache
26
Jahrestag der Bombardierung zu Protestmärschen
versammeln, um zu verhindern, „dass die Nazis erneut die Straßen der Stadt erobern“. Die Dresdner
tragen bei diesen Demonstrationen ebenfalls eine
weiße Rose, die von der überlebenden Dresdnerin
Nora Lang 2005 als Symbol zum Gedenken an die
Opfer von Terror und Gewalt eingeführt wurde. Eine
weiße Rose war „das letzte Überbleibsel eines im
Inferno verbrannten Tellers, ein persönliches Zeichen
der Hoffnung und der Zukunft“, erläuterte Stange:
„Die Dresdner, die es am 13. Februar erneut tragen werden, sind sich ihrer Verantwortung vor der
Menschheitsgeschichte bewusst.“
Auch in der deutsch-polnischen Grenzstadt GörlitzZgorzelec wurde in diesem Jahr die Weiße Rose
Ausstellung gezeigt: Auf Initiative des Komponisten
Dr. Albrecht Goetze, der 2006 den Verein Meeting­
point Music Messiaen gründete, wurde die Ausstellung vom 10. Juli bis zum 10. Oktober 2010 in deutscher und in polnischer Sprache bewusst über den
7. Oktober hinaus gezeigt. An diesem „Tag der Republik“, habe es in der DDR Aufmärsche der „Jungen
Pioniere“ gegeben, ähnlich den Aufmärschen der
Nationalsozialisten, erläuterte Goetze: „Da wir die
Ausstellung verknüpfen mit einer Ausstellung des
Leipziger Schulmuseums ,Jugend in Uniform’, wollen
wir sie nicht nur vielen Jugendlichen der trinationalen
Region (also Jugendliche aus Liberec einbeziehend)
zugänglich machen, sondern den Jugendlichen eben
über einen längeren Zeitraum die Chance geben,
sich mit dem Gezeigten auf verschiedenste Weise zu
befassen, in einem Bundesland mit zwei Nachbarn,
die im Zweiten Weltkrieg als Feinde zu leiden hatten,
auch klar werden lassen, dass es noch immer des
Widerstands bedarf.“
Der französische Komponist Olivier Messiaen war
1940/41 als französischer Kriegsgefangener neun
Monate lang in Görlitz interniert und komponierte
dort mit „Quatuor pour la fin du temps“ ein Werk,
das über Krieg und Diktatur hinweg auf eine hoffnungsvolle Zukunft wies. Das „Quartett für das Ende
der Zeit“ wurde im Januar 1941 von seinen Mitgefangenen im Lager uraufgeführt. Im „Meetingpoint
Music Messiaen“ treffen sich heute Jugendliche
aus ganz Europa zu Kompositionswettbewerben und
Workshops mit Konzerten. In dem Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien geschehe
Europa „ganz unmittelbar“, erläutert Albrecht Goetze.
Gleichwohl sei Görlitz auch ein Ort, der viele Rechtsradikale anziehe, die NDP platziere direkt an der Brücke, die Görlitz mit Zgorzelec verbindet, Wahlplakate
mit dem Slogan „Poleninvasion stoppen“.
Katja Sebald
Besuchergruppe in Görlitz
27
13 DenkStätte Weiße Rose München
Die DenkStätte Weiße Rose erlebte 2010 einen Besucherrekord: Insgesamt besuchten knapp 25 000
Personen den Ausstellungsraum am Lichthof
der LMU, rund tausend mehr als in den Jahren
zuvor. Diese Steigerung ist nicht zuletzt auf die
zusätzlichen Samstagsöffnungen zurückzuführen.
Franz J. Müller führte insgesamt 43 Zeitzeugengespräche und Interviews. 75 Führungen, Fachberatungen für Schüler und Studenten sowie
Interviews erfolgten durch Ursula Kaufmann und
Ulrich Müller. Die Einzelausstellung „Hans Scholl
und die Weiße Rose“, die bis November gezeigt
wurde, weckte großes Interesse. Am 29. November wurde vor weit über hundert Besuchern die
Einzelausstellung „Alexander Schmorell und die
Weiße Rose“ eröffnet.
Die gut besuchte DenkStätte während einer Veranstaltung
Insgesamt besuchten 199 Gruppen aus Deutschland
und 150 aus dem Ausland, vorwiegend Jugendliche
und junge Erwachsene, die DenkStätte. Die meisten
ausländischen Schulklassen und Jugendgruppen
kamen wieder aus Italien (20), gefolgt von Gruppen
aus Frankreich (15), Großbritannien (13) und den
USA (12). An dieser Stelle sei Stefania Zuber für ihr
Engagement gedankt: Als Gästeführerin der Landeshauptstadt München organisiert und betreut sie
schon seit Jahren im Auftrag für ANED, der Vereinigung der ehemaligen italienischen KZ-Häftlinge, Zeitzeugengespräche mit Franz J. Müller. Französische
Schulklassen kommen meist über das französische
Reiseunternehmen „Club Languages et Civilisations“.
Viele ausländische Studenten besuchten auch in diesem Jahr die DenkStätte auf Anregung des GoetheInstituts, von InWent (Internationale Weiterbildung
und Entwicklung GmbH) oder des Sprachen- und
Dolmetscher-Instituts München. Erwachsenengruppen kamen u.a. über das Max-Kolbe-Werk, das
Münchner Bildungswerk, die Volkshochschule sowie
über das Auslandsamt und die Interne Weiterbildung
der LMU. Die Münchner Stadtrundfahrten boten in
den Sommermonaten eine Erkundungstour zum Thema „München, das Dritte Reich und der Widerstand“
an und führten ihre Gruppen auch in die Universität
und die DenkStätte.
Eine besondere Erfahrung war die Begegnung mit
15 Jurastudenten aus Usbekistan. Sie kamen auf
Vermittlung der Juristischen Fakultät der LMU und
28
zeigten großes Interesse am Widerstand der Weißen Rose gegen das menschenrechtsverletzende
System des Nationalsozialismus. Wie seit Jahren
besuchten auch heuer in den ersten Monaten des
Jahres das Ernst-Mach-Gymnasium Haar und das
Michaeli-Gymnasium aus München die DenkStätte
Weiße Rose mit französischen Austauschschülern.
Der Film „Die Weiße Rose“ von Michael Verhoeven
in der Fassung mit französischen Untertiteln ist bei
ihnen besonders beliebt. Im Anschluss an die Weiße
Rose-Gedächtnisvorlesung, die Kardinal Lehmann
über „Zivilcourage und Formen des Widerstands“
im Audimax der LMU hielt, zeigte das Gospel Art
Studio in der DenkStätte eine szenische Kurzfassung
des Theaterstücks „Sophie Scholl – Widerstand des
Gewissens“. Das Stück konzentriert sich auf Auszüge
aus den Gestapoprotokollen von Sophie Scholl (Miriam Albrecht) und Gesprächen, die sie mit ihrer Zellengenossin Else Gebel (Mirjana Angelina) führte.
In ihrem Programmbereich „Deutsch, Migration und
Integration“ ist es der Münchner Volkshochschule
besonders wichtig, auch den Widerstand der Weißen
Rose zu vermitteln. Ein geführter, auf das Sprachniveau der Kursteilnehmer eingestellter Besuch in der
DenkStätte Weiße Rose ist darin fester Bestandteil.
Für die Teilnehmer des „Global Discovery Program:
Reconciliation with the Past“ der Regierung Südkoreas war der Vormittag in der DenkStätte Weiße
Rose mit Führung und Zeitzeugengespräch mit Franz
J. Müller eine besondere Erfahrung. Sie kamen im
Rahmen eines vom Goethe-Institut zusammengestellten Besucherprogramms deutscher Gedenkstätten und Sehenswürdigkeiten.
Und immer wieder ist es eine besondere Bestätigung für unsere Arbeit, wenn das Maximilian-KolbeWerk für Holocaust-Überlebende aus Osteuropa eine
Führung durch die Ausstellung und eine „Begegnung“ mit Franz J. Müller anmeldet.
Im Auftrag der Moskauer Hochschule für Fremdsprachen kam die Leiterin des Lehrstuhls für Deutsch
mit einem Kameramann, um einen Dokumentarfilm
zum deutschen Widerstand zu drehen. Besonders
interessiert waren sie an Alexander Schmorell und
seiner Bedeutung für den Widerstand der Weißen
Rose.
Aus dem Gästebuch der
Münchner DenkStätte
Mitte Oktober beteiligte sich die DenkStätte Weiße
Rose erneut am Programm der Langen Nacht der
Münchner Museen. Wieder gab es einen Besucheransturm von 750 Personen innerhalb weniger
Stunden. Viele von ihnen wurden erstmals mit der
Thematik konfrontiert. Bis 2.00 Uhr morgens fanden
Zeitzeugengespräche, Führungen und Lesungen mit
Michael Stacheder (Junges Schauspiel Ensemble
München) aus einem unveröffentlichten Roman über
Alexander Schmorell statt. Anlässlich des 21. Münchner Lehrertages unter dem Motto „Aufhorchen,
Hinschauen, Handeln – zeige Courage“ auf Initiative
des Lehrerverbands MLLV e.V. regte der Besuch in
der DenkStätte zur intensiven Diskussion über die
pädagogische Vermittlung in Grund- und Hauptschulen an. Der Besuch von Referendaren für Geschichte
und Sozialkunde der Realschule Krumbach hatte ein
konkretes Ziel: Die Entwicklung eines Leitfadens,
der das bisherige pädagogische Angebot der Weiße
Rose Stiftung e.V. optimieren soll. Besonders die
Nachbereitung eines Ausstellungsbesuchs solle einen aktuellen Bezug zu verstecktem oder offenem
Rassismus in unserer Zeit thematisieren. Kurz vor
29
Jahresende fand erstmals der Besuch einer kleinen
Schülergruppe der Japanischen Internationalen Schule München statt. In das nächste Jahr wies bereits
die Fortbildung für die KEB, Katholische Erwachsenenbildung im Bistum Regensburg. Die Wanderausstellung im Schloss Spindelhof bei Regenstauf wird
im Januar und Februar 2011 gezeigt; die Mitarbeiter
informierten sich im Vorfeld für ihre eigene pädagogische Arbeit vor Ort.
Fachlich beraten wurden u.a. Anna Jansing aus Berlin für die Darstellung der Weißen Rose im Film, Dr.
Stephani Richards-Wilson aus USA über Willi Graf,
Dr. David Hall vom King's College London, die Realschule Maising für ein Sophie-Scholl-Projekt und die
Autorin Dr. Maren Gottschalk für eine Buchpublikation bei Beltz&Gelberg.
Bei größerer Besucherzahl konnten Zeitzeugengespräche und Filmvorführungen wieder in Hörsäle
der LMU verlegt werden. Dies war durch das Entgegenkommen der LMU möglich, wir danken dafür
herzlich Petra Eixenberger und Thomas Müller von
der Hörsaalvergabe. Großer Dank geht auch an Tilmann Piwon von der Hausverwaltung der LMU für
seine Unterstützung in zahlreichen Belangen und die
Lösung praktischer Probleme sowie an Andreas Hofmann und seine Mitarbeiter von der Hörsaaltechnik.
Besonderer Dank gilt Peter Petrich von Referat IV.1
Raumplanung Bau der LMU, denn aufgrund seiner
Initiative ist die DenkStätte Weiße Rose auf den
Raumplänen der LMU nun deutlicher gekennzeichnet
und nun hoffentlich schneller zu finden.
Ursula Kaufmann
Aus dem Gästebuch der
Münchner DenkStätte
30
Auszüge aus dem Gästebuch der
DenkStätte Weiße Rose:
Wie tröstlich, dass es diesen Widerstand gegeben hat, Anna Bäckermann
Je viens de place Tiannanmen
(Besucher aus Peking)
Solidarity from a member of NPP,
South Korea
We treasure the memories of your life
found in the museum,
Familie Scholl, USA
May their idea inspire many people
in many countries to hear what their
conscience says,
Annabel Seidler, Scottland
Wonderful story. Visiting on a school
exchange from Boston area and Weilheim, Nashoba Students
Veramente molto emozionata!
Danke für die aufschlussreiche Führung. Merci encore, c´était remarquable, Lycée privé notre Dame de
Verneuil, Partnerschule vom St. AnnaGymnasium München
Thank you! Words can´t describe the
effect of these texts and images –
thank you for keeping their memory
alive, Sandra, St. Louis
Bravo pour cette très belle et très utile
exposition. Très émouvant! Tolérance
et liberté individuelle dans le respect
de l´autre, et le monde ira mieux…,
Claude Villerey, Strasbourg
Long live the essence of the White
Rose, India
As a Cambodian psychologist I´m glad
to experience new ideas regarding reconciliation. It is a very great opportunity being able to talk to a Nazi regime
survivor about German history. Our
country suffered so many atrocities.
Please, help to establish peace in our
world.
I hope this university keeps producing
students as honorable and brave as
those remembered here. Thank you,
Sarah Dixon, South Africa
Since I was ten years old, I have
hoped to make this visit, Nicholas
Welsh, Eton College, England
Very moving and interesting exhibit.
It never ceases to amaze me how
these ordinary young people decided
to stand out from the crowd to stand
against tyranny. They were no different than any of us, but look what
they accomplished with their bravery!, Annie Piske, Canada
Es sollte mehr Orte geben, an denen
Geschichte so nah ist,
Caroline aus Potsdam
Aus dem Gästebuch der
Münchner DenkStätte
31
Danksagung an unsere
Ehrenamtlichen
Ein engagiertes Team aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglicht die werktägliche
Öffnung der DenkStätte Weiße Rose
am Lichthof der LMU. Regelmäßig
und sehr verlässlich übernehmen die
Damen und Herren jeweils einen halben Tag Dienst pro Woche, manche
sogar zwei halbe Tage. Sie geben
den Besucherinnen und Besuchern
bereitwillig Auskunft, beaufsichtigen
diskret den Raum und kümmern sich
um die Präsenzbibliothek. Selbst im
Wirrwarr von munteren Schülergruppen behalten sie stets den Überblick
und einen kühlen Kopf. Ihren Einsatz
organisiert Christa Nickisch flexibel
und unbürokratisch. Es ist eine Freude
wahrzunehmen, wie sich unsere Ehrenamtlichen mit der Erinnerungs- und
Vermittlungsaufgabe der Weiße Rose
Stiftung e.V. identifizieren und wie sie
selbst zu kundigen, einsatzbereiten
Mitstreitern geworden sind.
Im Namen meiner Vorstandskollegen
und der hauptberuflichen Mitarbeiterinnen, vor allem aber persönlich
danke ich sehr herzlich dem freiwillig und unentgeltlich arbeitenden
DenkStätten-Team Alfons Balthesen,
Susanne Bergmann, Irene von Denffer, Bernhard Eble, Gerda Eierstock,
Barbara Keim, Dr. Maren Killmann,
Marie Lohmeyer, Christa Nickisch,
Horst Plotzki, Ingeborg Rubner, Brigitte Schmid.
Dr. Hildegard Kronawitter
Ehrenamtliche MitarbeiterInnen
der DenkStätte in München
32
14 DenkStätte Ulm
Führungen und Einzelbesucher
Die DenkStätte Weiße Rose in Ulm geht in diesem Jahr von einer Gesamtbesucherzahl von über
4000 Personen aus. Das EinsteinHaus, in dem die
DenkStätte untergebracht ist, wurde in diesem Jahr
umgebaut, in den Monaten Juni bis September
2010 konnten deshalb keine Führungen stattfinden.
Trotzdem gab es insgesamt 15 Führungen für 410
Personen. Die verschiedenen Besuchergruppen,
zumeist Schulklassen von Real-, Berufsschulen und
Gymnasien, kamen nicht nur aus Ulm/Neu-Ulm und
der Schwäbischen Alb, sondern auch aus Bad Urach,
Ravensburg und Tübingen. Insbesondere nahmen
dieses Jahr auch Integrationsschüler das Angebot
der Ulmer DenkStätte wahr. Das Wohlfahrtswerk
Stuttgart bucht regelmäßig Führungen für Menschen,
die ein Freiwilliges Soziales Jahr ableisten. Erfreulicherweise gab es auch in diesem Jahr wieder viele
Schüler, die im Rahmen ihrer Projektarbeiten und
anderer Leistungsnachweise selbst Referate und
Führungen über die Weiße Rose hielten. Die Ulmer
DenkStätte Weiße Rose leistete bei mehr als vierzig
solcher Gruppenbesuche mit insgesamt 1300 Schülern intensive Beratungs- und Unterstützungsarbeit.
2700 weitere Besucher haben außerdem im Foyer
der Ulmer Volkshochschule unsere Ausstellung gesehen. Mit zahlreichen Einzelbesuchern entwickelten
sich dabei Gespräche über Ulm während der Zeit des
Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit sowie
über die Opposition von Jugendlichen in Ulm.
Unterstützung für Schüler
Schüler/-innen wurden bei Haus- und Facharbeiten
bzw. Schulreferaten unterstützt. Themen waren hier
v.a. Ulmer Lokalgeschichte im Dritten Reich und die
Weiße Rose.
Darüber hinaus führten wir gemeinsam mit dem
Künstler Michael Döhmann drei Projektseminare mit
Schülergruppen aus Ulm zum Thema „Flugblätter
unserer Zeit“ durch. Bei den drei Projekten waren 99
Schüler beteiligt.
Veranstaltungen 2010
Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag
Die Ulmer DenkStätte Weiße Rose veranstaltete in Zusammenarbeit mit dem Ulmer Arbeitskreis 27. Januar
zum Holocaust-Gedenktag im Ulmer Stadthaus einen
Vortrag über die NS-Euthanasie mit 170 Besuchern.
In Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg (DZOK) wurde am 18. Februar
ein Vortrag von Dr. Silvester Lechner zum Thema „20
Jahre Aufarbeitung Weiße Rose“ veranstaltet. Es kamen an diesem Abend 34 Besucher.
Ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem DZOK wurde
am 25. Februar der Verhoeven-Film „Die Weisse
Rose“ im Kino „Obscura“ gezeigt. Mit den 37 Besuchern wurde anschließend diskutiert und es wurden
Plakate mit Gedanken zum Film beschriftet.
Am 23. und 24. Februar veranstaltete die DenkStätte
zwei Lesungen der Autorin Barbara Beuys aus ihrer
Biografie über Sophie Scholl. In Ulm kamen 120, in
Langenau 55 Besucher zur Lesung.
33
Am 12. April hielt Prof. Wolfram Wette einen Vortrag
mit dem Titel „Stauffenbergs langer Weg in den Widerstand“. Hierzu konnte die Ulmer DenkStätte 34
Besucher begrüßen.
Im April 2010 wurden zwei öffentliche Zeitzeugengespräche mit Roman Sobkowiak geführt: Am 19. April
kamen 14 Besucher ins EinsteinHaus, am 28. April
fand das Gespräch in der Listschule mit 150 Schülern
statt.
Projekt
„Hans Scholl und das Graffiti“
Von Februar bis Mai 2010 wurde ein Street Art Projekt „Hans Scholl und das Graffiti“ durchgeführt. In
Anlehnung an die Graffiti-Aktion der Weißen Rose
gegen den NS-Staat in der Nacht vom 8. auf den
9. Februar 1943 in München wurde bis zur Renovierung des EinsteinHauses im Juni mit Jugendlichen
zusammen die Fassade des Gebäudes mit Street Art
gestaltet.
Das Angebot wurde ganz bewusst offen für alle
Jugendlichen gestaltet. Beteiligt haben sich auch
Sprayer, einige von ihnen mit Migrationshintergrund.
Unterstützung gab es dabei von dem Ulmer Streetworker Achim Spannagel und der Firma Thanner. Des
Weiteren haben sich 22 Schüler des Ulmer Keplergymnasiums dafür entschieden, sich in dem Projekt
zu engagieren.
Für die am Projekt Beteiligten gab es zum Anfang
eine Themenführung durch die Ulmer DenkStätte
Weiße Rose mit dem Schwerpunkt auf der GraffitiAktion der Widerstandsgruppe.
Zum Ende der Aktion gab es am 10. und 11. Juni
eine Finissage für alle am Street Art Projekt Beteiligten und Interessierten. So hielt am 10. Juni Prof.
Johannes Stahl einen Vortrag zum Thema mit dem
Titel „De l'Academie des Inscriptions et Belles
Lettres. Von den Graffiti lernen“, am 11. Juni gab es
eine große Abschlussfeier mit 180 Besuchern und
Livemusik der Band Fura Soul.
Dr. Andreas Lörcher
Impressionen vom Street ArtProjekt in Ulm
34
15 Erinnerungsstätte MartinLuther-Kirche Ulm
Die Reformationsgemeinde Ulm
richtete mit Konfirmanden unter
der Leitung von Pfarrer Volker Bleil
eine Erinnerungsstätte für die Ulmer
Schülergruppe der Weißen Rose
in der Martin-Luther-Kirche in Ulm
ein. Sie wurde am 27. März 2010 mit
einem Orgelkonzert eingeweiht. Eine
Stele vor der Kirche nahe des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Ulm
weist auf die Erinnerungsstätte hin.
Bei der Ausstellungseröffnung waren
Franz J. Müller und Susanne Zeller-Hirzel als Ehrengäste geladen. Susanne
Zeller-Hirzel, die 1943 das 5. Flugblatt
hauptsächlich in Stuttgart verteilt
hatte, erinnerte sich an ihre Gefühle
beim ersten Lesen des Flugblattes:
„Ich war hingerissen, völlig außer
mir: Die sind wahnsinnig, alle werden
geschnappt werden, wir sind tot, tot!
Aber das Flugblatt ist großartig.“
Ihr Bruder Hans Hirzel und Franz J.
Müller, heute Ehrenvorsitzender der
Weiße Rose Stiftung e.V., wählten
damals die große Orgel in der MartinLuther-Kirche in Ulm als Versteck, um
das fünfte Flugblatt „Aufruf an alle
Deutsche!“ postfertig zu machen.
Hans Hirzel, der im Januar 1943 von
Sophie Scholl einen Koffer mit rund
2500 Flugblättern erhalten hatte,
spielte regelmäßig auf der großen
Walckerorgel. Dadurch hatte er von
seinem Vater, Pfarrer Ernst Hirzel, einen Schlüssel zur Orgelempore. Franz
J. Müller übernahm die Aufgabe,
Geld für Porto und Umschläge aufzutreiben. In der Martin-Luther-Kirche
wurden nächtelang die Flugblätter kuvertiert, an einem kleinen Holztisch in
der Pfeifenkammer wurden auf einer
Schreibmaschine die Briefumschläge
adressiert, zwischendurch wurde zur
Tarnung Orgel gespielt. Vom Orgelversteck aus fand das fünfte Flugblatt mit
seinem „Aufruf an alle Deutschen“
seinen Weg in viele Stuttgarter, Ulmer
und Heilbronner Briefkästen.
Ursula Kaufmann
Die Orgel der
Martin-Luther-Kirche in Ulm
Pfarrer Volker Bleil und
Susanne Zeller-Hirzel
35
16 Kooperationen mit
Schulen zum „Vergessenen
Widerstand“
Das Projekt „Vergessener Widerstand“
wird gefördert von der BLZ.
Markt Schwaben
Christian Mader, Schüler am FranzMarc-Gymnasium Markt Schwaben
über das Wissenschafts-Seminar
„Vergessener Widerstand in Markt
Schwaben und Umgebung“:
In der ersten Arbeitssitzung erhalte
ich mit Maximilian Seidl den Auftrag,
Hinweisen, wonach eine jüdische
Familie in Markt Schwaben versteckt
wurde, nachzugehen. Nach Aussagen
einer Zeitzeugin soll das Ehepaar
Goldammer das jüdische Ehepaar
Lasser damals versteckt haben. Unser
Kursleiter Heinrich Mayer gibt uns bei
der ersten Arbeitssitzung eine Einführung in wissenschaftliches Arbeiten
und erläutert den Aufbau eines Zeitzeugeninterviews.
Eine Woche später fahren die Seminarteilnehmer ins Bayerische Staatsarchiv nach München. Dort führt uns
Archivoberinspektor Robert Bierschneider in die Archivarbeit ein. Es
gibt verschiedene Findbücher, in denen die Bestände vermerkt sind. Uns
betrifft das Findbuch „Bayern im Nationalsozialismus.“ Anschließend gibt
uns Herr Bierschneider Hinweise, wie
wir bei den einzelnen Fällen vorgehen
können. Unser „Fall“ ist diffizil, da
keine Akten existieren, weil er nicht
angezeigt worden war. Er rät uns,
zunächst im Einwohnermeldeamt der
Gemeinde und in lokalen Zeitungen zu
suchen. Möglicherweise fänden wir
auch etwas in sogenannten Opferdatenbanken.
Die nächsten Tage wird Herr Blasi,
ehemaliger 3. Bürgermeister von
Markt Schwaben, kontaktiert. Er wird
im Einwohnermeldeamt nach den Namen suchen.
Am 22.10. nehmen wir teil am Symposion zum 70-jährigen Gedenken an
das Attentat von Georg Elser. Zudem
besuchen wir den historischen Ort des
Attentats, wo heute am Gasteig eine
Gedenktafel an die dramatischen Ereignisse am 9. November 1939 erinnert.
In den folgenden Tagen können wir
mit Frau Marianne Lamprecht, geborene Speckmaier, die wir als Zeitzeugin
ausfindig gemacht haben, für den
2. November ein Gespräch vereinbaren.
Inzwischen hat Herr Blasi mitgeteilt,
dass er im Einwohnermeldeamt keine Daten gefunden habe. Auch das
36
Gespräch mit Frau Lamprecht bringt
keine wirklich neuen Erkenntnisse.
Nach den Ferien besuchen wir das
Hauptstaatsarchiv. Dort erhalten wir
ebenfalls eine Einführung. Ergebnislos
suchen wir sowohl im Hauptstaatsarchiv als auch im Staatsarchiv nach
Akten. Wir finden auch keine weiteren
Zeitzeugen.
Aus diesen Gründen stellen wir in Absprache mit Herrn Mayer die Recherchen zunächst ein.
Herr Mayer empfiehlt uns einen anderen Vorgang, in dem es um die Rettung von KZ-Häftlingen geht.
Wir beabsichtigen ein Interview mit
einer ehemaligen Schülerin unserer
Schule. Katrin Hupfer hatte ihre Großmutter vor 15 Jahren nach Überlebenden des Todestransports und des
Massakers in Poing befragt. In ihren
handschriftlichen Notizen finden wir
den Hinweis auf das Versteck von
flüchtigen KZ-Häftlingen im Hof der
Großmutter.
Neben den zwei Zeitzeugeninterviews
suchen wir weiterhin intensiv nach
Akten bzw. Dokumenten. Tatsächlich
finden wir das damalige Versteck und
dokumentieren es. Auch eine weitere
Zeitzeugin können wir befragen.
Aus den Ergebnissen unserer Recherchen verfassen wir den Text für die
Ausstellungstafel und redigieren ihn
gemeinsam mit Ursula Kaufmann von
der Weiße Rose Stiftung e.V. Dann
bereiten wir die Ausstellung „Vergessener Widerstand Teil IV“ vor, die in
Zusammenarbeit mit der Weiße Rose
Stiftung e.V. verwirklicht wird.
Nach zahlreichen Vorbereitungen, wie
die Erstellung eines Ausstellungsheftes und Proben für eine szenische
Lesung, kann die Ausstellung am
12. März 2010 eröffnet werden. Die
Eröffnung ist gut besucht und findet
großen Anklang in der Presse.
Szenische Lesung bei der
Ausstellungseröffnung
Die SZ widmet jeder Tafel eine Sonderveröffentlichung. Der „Hartl-Fall“ ist der erste, über den
berichtet wird. Für Schulklassen und Besucher aus
den umliegenden Gemeinden stehen wir in den folgenden Wochen bei Fragen zur Ausstellung immer
zur Verfügung.
Ende Juli 2010 machen wir eine Exkursion nach
Weimar und besichtigen auch das nahe gelegene
Konzentrationslager Buchenwald. Von dort kamen die
KZ-Häftlinge, die Elisabeth Hartl versteckte.
Am 27. April 2010 besuche ich mit anderen Seminar­
teilnehmern die Gedenkfeier zur Einweihung des
Mahnmals für die Toten des Todestransports in Poing.
Mahnmal in Poing
Anlässlich des Landesgeschichtsforums Bayern 2010
präsentieren wir die Ausstellung am 22. Juli 2010 im
Wilhelms-Gymnasium in München.
Bei der Oberstufenfahrt zeigen wir am 21. September 2010 die Ausstellung in der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Berlin.
Christian Mader in Berlin vor
der Ausstellungstafel, die er
mit Maximilan Seidl
erarbeitet hat.
37
Ergoldsbach
Die Ergoldsbacher Ausstellung
„Das hätte doch jeder getan!“ wird
erweitert
In den Jahren 2005 und 2006 erarbeitete die Hauptschule Ergoldsbach in
Kooperation mit der Weiße Rose Stiftung e.V., dem Geschichtsarbeitskreis
Ergoldsbach und unter der Schirmherrschaft der Gemeinde Ergoldsbach
eine umfangreiche, sehr aussagekräftige Dokumentation und Ausstellung.
Hauptinhalt ist die Rettung von 13
Juden durch die Polizisten Josef Kimmerling und Max Maurer sowie die
Bäuerin Anna Gnadl. Nachdem ein
Gedenken in Form einer Schulbenennung 2001 am Widerstand des Elternbeirats der Grundschule und 2004 am
Widerstand des Marktgemeinderats
– der 2001 noch mehrheitlich dafür gestimmt hatte – gescheitert war, wurde
im Eingangsbereich des Rathauses
eine Bronzetafel mit folgendem Text
angebracht:
„Zur Ehrung von Max Maurer und
Anna Gnadl für die Menschlichkeit,
die sie am 28. April 1945 13 jüdischen
Häftlingen erwiesen haben.“
Diese knappe Aussage veranlasste
die Beteiligten am Projekt weiter zu
forschen, um ein abgerundetes, wissenschaftlich fundiertes Bild von den
Vorgängen in und um Ergoldsbach in
den letzten Kriegstagen zu erhalten.
Nach der Auswertung zahlreicher
Quellen (Staatsarchiv, lokale Presse,
Gemeindearchiv, Ermittlungsakten
des Gerichts) und der Befragung von
Zeitzeugen (John Weiner als einer der
13 überlebenden Juden, Angehörige
der Retter und vor allem dem Schwiegersohn von Max Maurer, Josef Wimbürger u.a.) konnte die Ausstellung im
Januar 2006 unter großer öffentlicher
Anteilnahme eröffnet werden. Seit
dieser Zeit hängt sie – quasi stellvertretend für den Schulnamen – als
Dauerausstellung im Eingangsbereich
der Hauptschule Ergoldsbach. Aktuell
ist ihr Platz in Landshut in der Aula der
Wirtschaftsschule und des Gymnasiums Seligenthal.
38
Viele Schulen, aber auch Gemeinden
wie z.B. Neufahrn und Städte wie
Landshut haben die Ausstellung ausgeliehen und gezeigt. Sogar an der
Penn State University in Pennsylvania
war sie – natürlich ins Englische übertragen – ein halbes Jahr zu sehen.
John Weiner, der unermüdliche Kämpfer für eine angemessene Ehrung
seiner Retter, wird es von seiner Lage
im Himmel mit Wohlwollen betrachten. Mit Wohlwollen wird er sicherlich
auch die aktuellen Bemühungen um
eine Erweiterung der Ausstellung
absegnen, die unter dem Arbeitstitel
„Geschichten und Gesichter der Geretteten“ steht.
Dabei geht es darum, dass die engagierten Forscher – die gleichen wie
2005/2006 – herausbekommen wollen, wie das Leben der geretteten 13
Juden von Ergoldsbach weiterging.
Gesichter und Geschichten sollen
sie bekommen, die 13 geretteten jüdischen KZ-Häftlinge, Häftlinge ohne
Vergehen oder gar Verbrechen. Die
Quellenlage ist sehr unterschiedlich.
Während das Team um Heinz Mayer,
Franz Gervasoni, Josef Wargitsch,
Prof. Dr. Strasser, Heimatpfleger Sigl
bei einem Teil der Geretteten umfangreiche Informationen erhielt, war die
Recherche beim anderen Teil relativ
schwierig und die Ergebnisse dürr. Insgesamt aber erwartet den Besucher
der erweiterten Ausstellung eine doch
sehr umfangreiche Dokumentation
mit überraschenden Entdeckungen:
Jan Hauenstein, ein amerikanischer
Songwriter, hat in dem Lied „The Dead
Heroes of Ergoldsbach!“ die Ergoldsbacher Geschichte auf seine Weise
aufgearbeitet, sicherlich eine Bereicherung für die Ausstellung, die Anfang
Mai 2011 eröffnet werden soll.
Josef Wargitsch
SchülerInnen der Hauptschule Ergoldsbach mit Rektor Josef Wargitsch
bei der Recherche für die erweiterte
Ausstellung
Zillisheim / Sulzbach-Rosenberg
Auf Anregung der Weiße Rose Stiftung e.V. trugen die Partnerschulen,
das Herzog-Christian-August-Gymnasium Sulzbach-Rosenberg und
das Lycée Episcopal in Zillisheim
/ Elsass die Ergebnisse ihrer Recherchen zum Thema Widerstand
/ Résistance auf ihrem deutschfranzösischen Schülertreffen im
Frühjahr 2010 zusammen. Durch
das Modellprojekt in Zusammenarbeit mit der BLZ soll Lokalgeschichte in verschiedenen Ländern am
konkreten Beispiel aus der NS-Zeit
erfahrbar werden.
Die Schüler in Sulzbach-Rosenberg
führten Interviews mit ehemaligen
Pfadfindern und rekonstruieren damit
ein Stück Geschichte der fortwirkenden katholischen Jugendbewegung in der NS-Zeit. Die erstellten
Tondokumente sollen in die Gesamtpräsentation des Projektes eingefügt
werden.
Die Schüler in Zillisheim suchten in ihrem Schularchiv nach Zeugnissen aus
der Besatzungszeit und entdeckten
schließlich Spuren der „Main Noire“,
einer kleinen Widerstandsgruppe aus
dem lokalen Arbeitermilieu.
Die Weiße Rose-Ausstellung im Lycée
Episcopal in Zillisheim
Auszug aus dem Recherchebericht
des Lycée Episcopal von Patrick Keller,
Projektleiter:
Wir hörten, dass im Archiv der Schule fast alle Papiere seit 1900 noch
vorhanden sind: Ob wir noch etwas
finden würden über die Zeit von 1940
bis 1945, als die Schule von NS-Behörden beschlagnahmt war? Wir haben
von pensionierten Priestern erfahren,
es sei alles verschleppt worden, als
die Alliierten das Elsass befreiten.
Dennoch haben wir einen Nachmittag mit einigen Schülern im Archiv
verbracht und schließlich doch einige
Spuren der Vergangenheit gefunden:
In einem vergessenen Karton lagerten
Klassenhefte und Zeugnisse aus den
Jahren 1941-44. (…)
Die Schüler freuten sich riesig über
ihren Fund, gerieten aber sehr schnell
in Schwierigkeiten, da sie die Sütterlinschrift nicht entziffern konnten bzw.
einige Abkürzungen und ihre Bedeutungen nicht verstanden. Außerdem
fiel es ihnen schwer zu entscheiden,
welche Dokumente ihnen wirklich
nützen konnten. In der Tat merkten
wir bald, dass uns wichtige Informationen fehlten, um einen klaren Zusammenhang zu finden. Manches schien
mit der Idee des Widerstands nicht
verbunden zu sein, anderes ließ sich
nicht eindeutig interpretieren. (…)
Schließlich entschlossen wir uns, auch
Zeitzeugen zu befragen. Außerdem
wollten wir uns über die „Main Noire“
informieren, eine kleine elsässische
Widerstandsgruppe. Sie wurde von
Marcel Weinum gegründet und bestand aus 25 Jugendlichen aus dem
Arbeitermilieu.
So entstand eine Tonbildschau, aber
nicht ohne Mühe, denn die Glaubwürdigkeit der Zeitzeugen musste überprüft und die Konzentration auf das
Wesentliche erhalten bleiben. Und viel
Zeit hatten wir auch nicht: Die Schüler
bereiteten sich auf ein naturwissenschaftliches Abitur und zusätzlich auf
ihr Baccalauréat francais vor.
Sulzbach-Rosenberg:
Blick auf Schloss und Annaberg
Trotzdem war es für alle ein sehr bereicherndes Projekt mit spannenden
Ergebnissen.
39
17 Hamburg und die Weiße
Rose
Zur Vorbereitung einer Veranstaltungsreihe im Jahr 2011 erhielt dieser Themenbereich das Jahr über
viel Aufmerksamkeit: Die Weiße Rose
Stiftung e. V. gewann die KörberStiftung als hoch motivierten Partner,
der seinerseits sechs weitere Hamburger Institutionen für die Realisierung einer umfangreichen Veranstaltungsreihe mit Ausstellungsterminen
einbeziehen konnte.
Ausschnitt aus dem Flyer zu den Hamburger
Veranstaltungen
Seit Gründung der Weiße Rose Stiftung e. V. im Jahr 1987 ist Hamburg
Mitglied in der „Städtegemeinschaft
im Zeichen der Weißen Rose“ und
stützt bis heute die Arbeit ideell und
materiell. Bereits 1986 begründete
Prof. Dr. Peter Fischer-Appelt, der sich
ab 1971 als Universitätspräsident für
die Erinnerung an den Widerstand in
Hamburg und die Vergangenheit seiner Universität im Nationalsozialismus
eingesetzt hatte, in einem Schreiben
an unseren jetzigen Ehrenvorsitzenden Franz J. Müller, seine Mitwirkung
an der Erinnerungsarbeit der Weiße
Rose Stiftung e.V.: „Die Münchner
und die Hamburger Universität sind in
einem besonderen Maße dem Gedenken an die Weisse Rose verpflichtet.“
In partnerschaftlichem Zusammenwirken von Weiße Rose Stiftung e.V.
und Hamburger Universität fand im
Mai 1990 eine große Konferenz zum
Widerstand der Weißen Rose in Hamburg statt. Im Jahr darauf folgte in
bewährter Kooperation eine weitere
Konferenz, ergänzt von einer den Hamburger Zweig der Weißen Rose thematisierenden Ausstellung „Enge Zeit“.
Nach nahezu zwei Jahrzehnten lag es
daher nahe, wieder Impulse für neuerliches, koordiniertes Nachdenken zum
Hamburger Widerstand mit Veranstaltungen und Ausstellungspräsentationen zu setzen.
40
Dr. Magnus Koch, freier Historiker und
von uns beauftragt, erarbeitete eine
Forschungssynopse „Hamburg und
die Weiße Rose“, die sowohl für die
Vorbereitung der Veranstaltungen als
auch für die mediale Berichterstattung
eine wertvolle Grundlage bildet. Einen
Einblick in diese Synopse lesen Sie
nachstehend:
Einblick in die Forschungssynopse
„Hamburg und die Weiße Rose“
Zwischen Juli 1943 und Januar 1944
verhaftete die Gestapo ca. 40 Personen, die sie einer in Hamburg
aktiven „losen Vereinigung von Staatsfeinden“ zurechnete. Acht von ihnen
fielen der Verfolgung zum Opfer.
In der Hansestadt Hamburg hatten
sich nach der „Machtergreifung“ der
Nationalsozialisten im Bürgertum
informelle Kreise gebildet, in denen
über Kunst und Literatur diskutiert,
kritisch das Zeitgeschehen reflektiert
sowie tagespolitische Ereignisse und
Entwicklungen kommentiert wurden.
Einige dieser Kreise blieben nach
außen abgeschlossen, aus manchen
entwickelten sich Netzwerke, innerhalb derer wiederum nur einzelne
den Schritt von der gemeinsamen
Diskussion zu aktiven Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime
gingen. Erst nach 1945 wurden diese
informellen Kreise unter dem Begriff
„Hamburger Weiße Rose“ zusammengefasst. Ein solcher fester Gruppenname ist jedoch problematisch, da
er eine Geschlossenheit und Einheitlichkeit impliziert, die der heterogenen
Hamburger Szene mit ihren vielen Zirkeln aus einander zum Teil kaum bekannten Akteuren nicht gerecht wird.
Fest steht, dass sich vor und während
des Krieges in Hamburg mindestens
70, möglicherweise über 100 Personen in unterschiedlichen Zusammenhängen, Gruppen und Kreisen
trafen. Das Spektrum der Handlungen
reichte von gemeinsamer Hausmusik
oder dem gemeinsamen Lesen von
Gedichten bis hin zur Diskussion von
Anschlagsplänen. Man traf sich privat,
in einigen Hamburger Buchhandlungen, gelegentlich auch in Cafés.
Je nach Teilnehmern, Interessen und
politischen Überzeugungen wurden
verbotene Bücher gelesen, weitergegeben und diskutiert. Von einigen
Akteuren ist bekannt, dass sie illegal
ausländische Radiosender abhörten
und sich zum Teil auch an der Verbreitung der gesendeten Inhalte beteiligten. Manche riefen sogar öffentlich
dazu auf, verbotene Sender zu hören,
indem sie die entsprechenden Frequenzen öffentlich anschrieben. Insbesondere die Verhafteten der Hambur-
ger Kreise einte die Ablehnung eines
Regimes, das sie aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen als repressiv
und verbrecherisch erlebt hatten.
Die aufgeführten unterschiedlichen
Formen offener oder versteckter oppositioneller Handlungen haben die
Angehörigen der Hamburger Kreise in
große Gefahr gebracht. Aus Sicht des
Regimes war etwa der Besitz und das
Diskutieren verbotener Literatur und
vielmehr noch deren Weitergabe ein
schweres Verbrechen. All dies konnte
als „Wehrkraftzersetzung“ gewertet
werden, worauf die Todesstrafe stand.
In der Zeit des Nationalsozialismus
geistige und soziale Freiräume zu reklamieren war riskant. Wer, wie zum
Beispiel eine Gruppe Eppendorfer
Mediziner, englisch sprach, um sich
abzugrenzen, wer als „entartet“ definierte Musik hörte, wer sich auffällig
kleidete oder das Haar anders trug
als die Mehrheit der „Volksgenossen“, fiel auf und spürte bereits bevor
staatliche Verfolgung einsetzte, den
Ausgrenzungsdruck der Mehrheit. Es
bleibt jedoch, festzuhalten: Eine offen
operierende und nach außen wie in
München unter dem Namen „Weiße
Rose“ auftretende Widerstandsgruppe hat es im hanseatischen Bürgertum nicht gegeben.
Die Verbindung zur Weißen Rose in
München stellten die beiden in Hamburg aufgewachsenen und später in
München lebenden Studenten Traute
Lafrenz und Hans Konrad Leipelt her.
Leipelt war aufgrund rassistischer Verfolgung als sogenannter Halbjude von
Hamburg nach München an das Chemische Institut der LMU von Prof. Dr.
Heinrich Wieland ausgewichen. Beide
hielten von München aus weiterhin
Kontakt nach Hamburg und trafen sich
mit alten Freunden und Mitschülern.
Sie erzählten von der Münchner Widerstandsgruppe, später von den dortigen Verhaftungen und brachten die
Flugblätter der Weißen Rose in ihre
Heimatstadt. Lafrenz selbst gehörte
zum engeren Freundeskreis um Hans
und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und
anderen. Hans Konrad Leipelt kannte
diese Akteure wohl nicht persönlich,
ungeachtet dessen sammelte er in
Hamburg und München Geld für die
Witwe des von den Nationalsozialisten ermordeten Prof. Kurt Huber.
Leipelt war gut über die Aktivitäten
der Weißen Rose informiert und hatte
selbst in München einen oppositionellen Freundeskreis um sich gebildet,
zu dem auch seine Freundin MarieLuise Jahn gehörte, mit der Leipelt
gemeinsam nach Hamburg reiste.
Nach der Ermordung der Geschwister Scholl und Christoph Probsts im
Februar 1943 fahndete die Gestapo
in München und später auch in Hamburg nach weiteren Angehörigen
von Kreisen, die ihrer Ansicht nach
„jüdisch-bolschewistische“ oder „demokratisch-liberalistische“ Ideen oder
„Schriften mit sonst staatsfeindlicher
Tendenz verbreitet“ oder sich „durch
persönliche Unterhaltung in diesem
Sinne“ betätigt hatten. Die Gestapo
sah also sehr wohl einen Zusammenhang zwischen den Münchner und
den Hamburger Kreisen.
In beiden Städten gab es Menschen
aus dem Bürgertum, die sich dem
NS-Regime aus ähnlichen Gründen
entzogen. Doch es gibt auch Unterschiede: Die Flugblätter der Weißen
Rose wiesen klar und öffentlich auf
den verbrecherischen Charakter des
NS-Regimes hin, sie riefen zunächst
die Bevölkerung im Münchner Raum,
später alle Deutschen zum Widerstand auf. Aus Hamburg sind solche
eigenen Schriften nicht überliefert.
Weiterhin werden in der Literatur zwei
Unterschiede genannt: In der Weißen
Rose München war das christliche
Fundament von großer Bedeutung
im Gegensatz zu auch sozialistischen
Ideen und Entwürfen der Hamburger
Akteure; in München wurde stärker
auf aktive Handlung gedrängt als in
Hamburg.
In Hamburg begann die Auseinandersetzung mit dem Thema – sieht man
von einer kurzen Phase publizistischer
Aktivität direkt nach Kriegsende
ab – erst Ende der 1960er Jahre. Im
restaurativen, vom Kalten Krieg geprägten politischen Klima der 1950er
und 1960er Jahre fanden die Überlebenden lange Zeit weder Raum noch
Interesse für ihre Erfahrungen; in der
Stadtchronik von 1965 etwa fand der
Widerstand und die Verfolgung der
Hamburger Kreise keine Erwähnung.
Heute tragen Straßen, Gebäude und
Schulen in Hamburg den Namen der
Opfer. Weiterhin erinnern Gedenktafeln und Mahnmale an sie. Die Hamburger Universität brachte 1971 eine
Bronzetafel zu Ehren ihrer zu Tode gekommenen widerständigen Studenten
an: Hans Leipelt, Reinhold Meyer,
Margaretha Rothe und Friedrich Geussenhainer. Jährlich findet dort eine
kleine Gedenkfeier statt.
Meine Forschungssynopse ist in Vorbereitung. Sie wird voraussichtlich im
Frühjahr 2011 in einer Schriftenreihe
der Hamburger Universität erscheinen.
Dr. Magnus Koch
41
18 Netzwerk Weiße Rose
Im Rahmen des Netzwerks Weiße Rose, gefördert
von der BLZ, stand das Thema „Literatur und Widerstand der Weißen Rose“ im Mittelpunkt. Mit
der Themenstellung „Die Bedeutung von Literatur
für den Widerstand am Beispiel der Weißen Rose“
wurden Lehrkräfte aus Bayern zu einer Fortbildung in die DenkStätte eingeladen. Das Thema
wurde mit Bezug auf die Wissenschaftsseminare
der gymnasialen Oberstufe bearbeitet. Der zu
diesem Anlass von Prof. Dr. Wolfgang Huber gehaltene Vortrag wurde in der Schriftenreihe der
BLZ „Einsichten und Perspektiven“, Heft 4/10, veröffentlicht und ist auch unter http://www.weisserose-stiftung.de nachzulesen.
Außerdem wurden Namensträgerschulen der
Weißen Rose angeregt, sich in eigenen Projekten
mit dem Thema „Literatur und Widerstand“ zu beschäftigen.
Am 21. Oktober wurde das Thema „Literatur und
Widerstand der Weißen Rose“ bei einer von der
Weißen Rose Stiftung e.V. veranstalteten Lehrerfortbildung aufgenommen. Die Fortbildung war auf die
Umsetzung dieser Themenstellung in Praxis- und
Wissenschaftsseminaren der gymnasialen Oberstufe
in Bayern ausgerichtet. Teilgenommen haben 15 Gymnasiallehrer und Schulleiter aus Bayern. Einen großen
Teil der Tagung verwandten die Teilnehmer zur Konzipierung von Themen im Kontext von „Literatur und
Widerstand der Weißen Rose“ für Wissenschaftsseminare. Die Studentin Judith Guckenbiehl berichtete
über ihre gymnasiale Facharbeit zum Thema. Dr. Robert Sigel, Leiter des Josef-Effner-Gymnasiums Dachau, moderierte die anschließende Diskussion und
übernahm es, die erarbeiteten Inhalte auszuwerten.
Lehrertreffen in der
DenkStätte in München
Prof. Dr. Wolfgang Huber
42
Dr. Gregor Pelger, Kurt-Huber-Gymnasium Gräfelfing, berichtet dazu:
„Nach einem ersten Kennenlernen
und der Begrüßung durch Frau Dr.
Kronawitter hielt Herr Professor Wolfgang Huber zum Einstieg in das Thema
einen Vortrag über ,Die Bedeutung
von Literatur für den Widerstand der
Weißen Rose’. Dabei ging Herr Huber
auf den bisher in der Forschung kaum
systematisch betrachteten Einfluss der
Literatur auf die Geisteshaltung der
Mitglieder der Weißen Rose ein. Verschiedene Themenkreise leiteten ihn
bei seiner Spurensuche, die er auch
als ,Erkennungsspiel’ bezeichnete: Tyrannenmord, Theodizee, Katholizismus
und Konversion, Lyrik, Jugendgruppen
und deren ideelle Ausrichtung, Krieg.
Darüber hinaus wies der Vortragende
auf die Darstellung der Weißen Rose
in der Literatur nach 1945 als ein weiteres, interessantes Themenfeld hin.
Für Herrn Huber stand vor allem die
vielseitige und verschiedenartige Rezeption von Literatur im Kreis der Weißen Rose im Mittelpunkt. Anhand von
Briefen und Aufzeichnungen der einzelnen Mitglieder wurde der literarische
Hintergrund der Weißen Rose und
sein Einwirken in den verschiedenen
Flugblättern umfassend ausgeleuchtet.
Damit zeigte der Vortragende einen
intellektuellen Diskurs auf, innerhalb
dessen sich die Weiße Rose bewegte
und der ihr Verständnis von Bildung als
Gegenwehr prägte, wie es schließlich
in den Flugblättern zum Ausdruck kam.
Der Vortrag von Prof. Wolfgang Huber
wurde von den Anwesenden hochinteressiert aufgenommen und regte
gleich zu ergänzenden Bemerkungen
an, die wiederum auf die Möglichkeiten genauerer Rezeptionsrecherchen im schulischen Alltag und damit
auf den folgenden Erfahrungsbericht
einer Schülerin verwiesen. Nachdem
Judith Guckenbiehl ausführlich über
ihre vorbildliche Facharbeit ,Analyse
und Stellenwert der Literatur im Leben
von Willi Graf’ berichtet hatte, zeigte
sich in der anschließenden Aussprache, dass es bei der Betreuung solcher
Arbeiten oftmals am fachlichen Hintergrund der betreuenden LehrerInnen
mangelt. Zum anderen wurde in der
Diskussion deutlich, dass die Umsetzung einer detaillierten Auflistung literarischer Einflüsse (Autoren und Texte)
und deren anschließende historischkritische Analyse in einer schulischen
Facharbeit vom Zeitaufwand sowie
vom Umfang schwer zu bewerkstelligen seien.“
43
Judith Guckenbiehl:
„Als ich mich auf das Lehrerseminar
im Oktober 2010 vorbereitet habe,
bin ich die Inhalte meiner Facharbeit
nochmals für mich selbst durchgegangen und habe mir vor Augen geführt,
weshalb ich mich damals für das
Thema entschieden hatte und wie
die Arbeit letztlich entstanden ist. In
München habe ich die Themenfindung
und die Entstehung meiner Facharbeit
für die anwesenden Lehrer erklärt
und versucht, die Umstände, die
mir Themenfindung und Schreiben
der Facharbeit erschwert hatten, zu
beschreiben. Nach meiner Präsentation beantwortete ich die Fragen der
Teilnehmer des Lehrerseminars zu
meiner Facharbeit. Insgesamt erhielt
ich für meine Facharbeit sehr positives Feedback, wofür ich mich hiermit
nochmals bedanke. Ich selbst bin froh,
dieses Thema gewählt zu haben, da
ich es nach wie vor für sehr spannend
halte und beim Schreiben meiner
Facharbeit viel gelernt habe.“
Im Juli schrieb die Weiße Rose Stiftung e.V. viele Namensträgerschulen
in den neuen Bundesländern an und
bot inhaltliche Unterstützung beim
Gedenken an ihre Namensgeber an.
Als erstes Ergebnis der brieflichen
und späteren telefonischen Kontaktaufnahme kamen drei Termine für die
Wanderausstellung „Die Weiße Rose“
im Jahr 2011 zustande.
In einem Schreiben an die Willi-GrafNamensträgerschulen stellte die Weiße Rose Stiftung e.V. Joachim Baez,
den Neffen von Willi Graf, als Familienbeauftragten für die Erinnerung
an Willi Graf vor und regte zu einem
literarischen Projekt zu Willi Graf an:
„Es würde uns freuen“ – so formulierte die Vorsitzende der Weiße Rose
Stiftung e.V., „wenn sich auch in Ihrer
Schule im Fachbereich Deutsch eine
Befassung mit der Literatur von Willi
Graf sowie der anderer Mitglieder der
Weißen Rose ergeben würde“. Dabei
verwies sie auch auf die Facharbeit
„Analyse und Stellenwert der Literatur
im Leben von Willi Graf zur Zeit des
Nationalsozialismus in Deutschland“
von Judith Maria Guckenbiehl: „Diese
Arbeit beschreibt das umfängliche literarische Interesse von Willi Graf und
listet dessen Literaturkanon auf. Sie
macht augenfällig – und das könnte
auch an Ihrer Schule weiterverfolgt
werden – wie spannend und lehrreich
es sein kann, der Frage nachzugehen,
wie Denken und Handeln von Willi
Graf von der rezipierten Literatur beeinflusst wurde.“
Prof. Dr. Wolfgang Huber,
Judith Guckenbiehl und
Dr. Hildegard Kronawitter
44
19 Gedenken im München der
Nachkriegszeit
„Ihr Name wird mit diesem Kampf verbunden
bleiben“
Weiße Rose: Gedenken im Nachkriegs-München
Zuerst als „halbes Gerücht, dann mit zuverlässiger
Bestätigung“ habe man bereits 1943 in Deutschland
von dem „kühnen Versuch“ erfahren können, „womit die Geschwister Scholl und ihr Freundeskreis
das Gewissen der studierenden Jugend zu erreichen
suchten.“ Bereits damals habe er gewusst, dass
„dieser Aufschrei der deutschen Seele durch die Geschichte weiterhallen“ würde, schrieb 1953 Bundespräsident Theodor Heuss in einem Grußwort an die
Berliner und Münchner Studenten. Tatsächlich ist die
Erinnerung an die Weiße Rose zu keinem Zeitpunkt
abgerissen: Schon wenige Monate nach Kriegsende
gedachte man in München der Studenten und ihres
Professors, die von den Nationalsozialisten ermordet
worden waren.
Am 4. November 1945 fand in den Münchner Kammerspielen die erste Gedenkfeier für die Mitglieder
der Weißen Rose statt. Das Universitätsgebäude lag
noch in Schutt und Asche, als der wenige Wochen
zuvor vom Bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm
Hoegner als Staatsminister für Unterricht und Kultus
berufene Franz Fendt bei der Feier bereits die Errichtung eines Denkmals für die Widerstandsgruppe um
Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Alexander
Schmorell, Willi Graf sowie Kurt Huber forderte.
„Ihr Name wird mit diesem Kampf verbunden bleiben“, so damals die Einschätzung von Romano Guardini. Der Religionsphilosoph hob in seiner Rede hervor, dass die Mitglieder der Weißen Rose „Christen
aus Überzeugung“ gewesen seien, „hineingezogen
in das Opfer Christi, das keine Begründung aus dem
unmittelbaren Dasein mehr annimmt, sondern weiß,
die letzten Entscheidungen fallen nur vor Gott und
der letzte Sieg gehört Ihm allein.“
„Es ist eine Tatsache, dass ein großer Teil des deutschen Volkes in diesen furchtbaren Jahren nichts
sehen wollte“, mahnte in dieser ersten Feierstunde Josef Furtmeier im Namen des studentischen
Freundeskreises. Die Flugblätter „sollten der Auftakt
sein für eine an allen Universitäten einsetzende gemeinsame und plötzliche Erhebung, die auch andere
Bewegungen mitreißen sollte“. Furtmeier, der insbesondere den Geschwistern Scholl nahegestanden
hatte, äußerte in seiner Rede aber auch die Vermutung, dass Hans und Sophie Scholl ihre Verhaftung
am 18. Februar 1943 absichtlich herbeigeführt haben
könnten: „Es ist nicht unmöglich, dass die Idee des
Selbstopfers Besitz von ihnen ergriff und dass sie
glaubten, dass nur ihr Tod das leisten könne, was das
beispiellos abgenutzte Wort nicht mehr vermochte.“
Auch die Zeitung „Münchner Rundschau“ berichtete
über diese erste Gedenkfeier: Der damalige Münchner Oberbürgermeister Karl Scharnagl habe in seiner
Ansprache hervorgehoben, dass die Stadt stolz sei
auf die „todesmutigen jungen Menschen“, die versucht hatten, „das deutsche Volk aus seiner Lethargie zu wecken“.
Ein Jahr später wurde im Universitätsgebäude selbst
die Gedenktafel für die Opfer des studentischen
Widerstands enthüllt. Sie trägt in Stein gemeißelt,
wie von Fendt angeregt, ein Zitat aus Senecas
45
moralischen Briefen. Die lateinische
Inschrift bedeutet: „Die Menschlichkeit im Herzen gingen sie durch einen
unmenschlichen Tod. Willi Graf, Kurt
Huber, Hans Leipelt, Christoph Probst,
Alexander Schmorell, Hans Scholl,
Sophie Scholl. In den Jahren 1943 und
1945. So wird auch jene wahrhaftige
Gesinnung, die in eine gesinnungsfremde Macht gerät, auf die Probe
gestellt.“ Die Steintafel war ursprünglich am Eingang zur großen Aula angebracht und befindet sich heute im
zweiten Stock des Lichthofs, wo Hans
und Sophie Scholl vermutlich am 18.
Februar 1943 die Flugblätter abwarfen.
Im Zusammenhang mit der Wiederherstellung und dem Umbau des
Universitätsgebäudes wurde in den
1950er Jahren ein Künstlerwettbewerb für ein Mahnmal zum Gedenken
an die studentische Widerstandsbewegung Weiße Rose ausgeschrieben,
aus dem der Künstler Lothar Dietz
als Sieger hervorging. Das von ihm
gestaltete Relief wurde 1958 an der
Westseite des Lichthofs angebracht.
Es zeigt die Verurteilten bei ihrem
Opfergang und ihre Namen. In einen Steinkubus ist die Jahreszahl
MCMXLIII sowie als Symbol der
Widerstandsgruppe eine weiße Rose
eingraviert. Dieses Denkmal wurde
am 13. Juli 1958, dem 15. Todestag
von Professor Kurt Huber, enthüllt.
Romano Guardinis Rede bei der
Einweihungsfeier stand unter dem
Leitspruch der letzten Worte von Hans
Scholl: „Es lebe die Freiheit.“
Beinahe in Vergessenheit geraten
wären jedoch zwei Porträtdarstellungen von Sophie und Hans Scholl,
die sich im Archiv der LMU befinden.
Laut Inventarverzeichnis wurden sie
im Jahr 1949 von der Industrie- und
Handelskammer angekauft und der
Universität gestiftet. Die beiden Ölgemälde waren von dem Maler Ludwig
Fahrenkrog als Auftragsarbeiten nach
Fotografien angefertigt worden. Die
UniGalerie zeigte das Porträt von Sophie Scholl im Februar 2010 als Kunstwerk des Monats und erinnerte damit
nicht zuletzt an eine frühe Würdigung
der Weißen Rose im München der
Nachkriegszeit.
Katja Sebald
Bronzerelief in der LMU von
Lothar Dietz aus dem Jahr 1958
46
20 Personalia
Heiner Guter wurde 85 Jahre alt
Am 11. Januar 2010 wurde Heiner
Guter, Zeitzeuge und Gründungsmitglied der Weiße Rose Stiftung e.V.,
85 Jahre alt. Im zweiten Prozess
gegen die Weiße Rose am 19. April
1943 wurde er vom Volksgerichtshof
zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.
Der Präsident des Volksgerichtshofs,
Roland Freisler, warf ihm vor, von der
Flugblattaktion gewusst, diese aber
nicht angezeigt zu haben. Heiner
Guter war Schulfreund von Franz J.
Müller und Hans Hirzel am Ulmer
Gymnasium. Beide verteilten 1943
das fünfte Flugblatt der Weißen Rose.
Mit seiner Haltung steht Heiner Guter
für die humane und demokratische
Botschaft der Weißen Rose. Wir sind
stolz und dankbar, ihn in unseren Reihen zu haben.
Prof. Dr. Wolfgang Huber wird
zweiter Vorsitzender
Auf der Mitgliederversammlung am
19. März 2010 wurde Prof. Dr. Wolfgang Huber zum zweiten Vorsitzenden
der Weiße Rose Stiftung e.V. gewählt.
Damit übernimmt er die Aufgaben von
Dr. h.c. Anneliese Knoop-Graf, die im
August 2009 verstorben ist.
Wolfgang Huber, Sohn von Prof. Dr.
Kurt Huber, war als Sprachwissenschaftler an der Universität Eichstätt
tätig und hatte Gastprofessuren in
Barcelona, Istanbul und Mailand. Er
legte 2009 eine vollständige und textkritische Edition der Verteidigungsrede
seines Vaters vor. „Kurt Huber vor
dem Volksgerichtshof. Zum zweiten
Prozess gegen die Weiße Rose“.
Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn ist
verstorben
Am 22. Juni 2010 ist eine der engagiertesten Zeitzeuginnen der Weißen
Rose im Alter von 92 Jahren verstorben. Die Beerdigung fand auf dem
Friedhof am Perlacher Forst in München statt. Die Weiße Rose Stiftung
e.V. hat einen Kranz niedergelegt.
Lehren daraus für unsere heutige Zeit
eingefordert.
Mit ihrem Freund Hans Leipelt verteilte Marie-Luise Schultze-Jahn das
sechste Flugblatt der Weißen Rose
mit dem zusätzlichen Titel „Und ihr
Geist lebt trotzdem weiter!“ in München und Hamburg. Nach der Verhaftung von Prof. Huber sammelten
Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn
Geld, das sie der Witwe von Prof. Kurt
Huber und ihren beiden kleinen Kindern in Gräfelfing anonym zukommen
ließen. Die Geldsammlung wurde
denunziert. Daraufhin wurden beide
im Oktober 1943 verhaftet. Der Volksgerichtshof verurteilte Hans Leipelt
im fünften Prozess gegen die Weiße
Rose in Donauwörth am 13. Oktober
1944 zum Tode, Marie-Luise Jahn zu
12 Jahren Zuchthaus. Am 29. Januar
1945 wurde Hans Leipelt in MünchenStadelheim hingerichtet.
Prof. Hans Mommsen wurde
80 Jahre alt
Die Weiße Rose Stiftung e.V. gratulierte ihrem hochgeschätzten Beirat
und Mitglied des Trägervereins. Sie
ist dankbar, einen der bedeutendsten
Zeithistoriker Deutschlands als wichtigen Unterstützer zu haben. Hans
Mommsen hat nicht nur grundlegende wissenschaftliche Werke zur
deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert verfasst, sondern zudem mit
engagierten Beiträgen die öffentliche
und politische Debatte maßgeblich
bereichert. Er war von 1968 bis zu
seiner Emeritierung 1996 Professor
für Neuere Geschichte in Bochum.
Forschungs­aufenthalte führten ihn
nach Princeton, Harvard, Berkeley,
Jerusalem und Washington D.C. Hans
Mommsen ist Mitglied der British
Academy und der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften und
wurde 1998 mit dem Carl-vonOssietzky-Preis für Zeitgeschichte
und Politik ausgezeichnet.
Zusammen mit dem internationalen
Jugendbegegnungszentrum Dachau
und anderen Organisationen würdigen
wir Frau Dr. Schultze-Jahn für ihr unermüdliches Engagement, die Erinnerung an die Widerstandsgruppe Weiße
Rose für die Gegenwart wachgehalten
zu haben. In vielen Zeitzeugengesprächen, insbesondere an Schulen
und anderen Bildungseinrichtungen,
hat sie den Widerstand der Weißen
Rose ins Bewusstsein gebracht und
47
21 Kurznachrichten um die
Weiße Rose
Die Stadt Riesa setzt ein Zeichen
Am 2. Oktober 2010 setzte die sächsische Stadt Riesa mit der Umbenen­
nung einer Straße ein besonderes
Zeichen gegen Rechtsextremismus.
Der Stadtrat entschied mit großer
Mehrheit, dass die Mannheimer Straße künftig Geschwister-Scholl-Straße
heißt. Sie zwingt damit den NPD-Verlag „Deutsche Stimme“, der seit zehn
Jahren in der Mannheimer Straße seinen Sitz hatte, zu einer Änderung seiner Adresse, die für sich allein schon
eine Botschaft für Demokratie und Toleranz ist. Diese Adressänderung gilt
auch für mehrere Kader der Rechtsextremisten, auf deren Briefkopf nun
ebenfalls Geschwister-Scholl-Straße
steht.
Dr. Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung
e.V., gratulierte der Stadt Riesa zu
diesem besonderen Engagement.
Gerti Töpfer, Oberbürgermeisterin
von Riesa, hatte sie um ein Grußwort
zur Straßenumbenennung gebeten.
Die Stadt gebe „über das Erinnern
an den Widerstand in der NS-Zeit
Anstöße für mehr Menschlichkeit
und Demokratie in der Gegenwart“,
schrieb Hildegard Kronawitter. So
bestünde die Hoffnung, dass „junge,
naive Anhänger der NPD durch den
neuen Straßennamen anfangen, darüber nachzudenken, warum junge,
so lebenslustige Menschen damals
Widerstand leisteten, warum sie die
NS-Propaganda nicht vereinnahmen
konnte, warum sie den Aufstand des
Gewissens wagten und mit dem Tode
dafür bezahlten.“
Neue Namensträgerschule
Die Private Schule für kranke Kinder
und Jugendliche an der Alpenklinik
Santa Maria wurde am 16. März 2010
in „Sophie-Scholl-Schule Santa Maria in Oberjoch“ umbenannt. Diese
besondere pädagogische Institution
machte deutschlandweit von sich
reden, als Bundeskanzlerin Angela
Merkel der Schule am 10. Juni 2010
den Deutschen Schulpreis verlieh. Dr.
Hildegard Kronawitter gratulierte zu
dieser hohen Auszeichnung: Die Namensträgerschule zeichne sich durch
erfolgreiche reformpädagogische
Ansätze aus, die bei Entscheidungsträgern im deutschen Bildungssystem
für Nachdenklichkeit sorgen sollten.
48
Zivilcourage zeigen – ein Jugendprojekt in Ergoldsbach
In Zusammenarbeit mit der Dominik
Brunner Stiftung und der Weiße Rose
Stiftung e.V. schrieben die Schulen
und Jugendgruppen der Gemeinde
Ergoldsbach im April 2010 ein Quiz zu
Max Maurer und Anna Gnadel aus,
die im April 1945 13 jüdischen Häftlingen das Leben gerettet hatten. Zu
gewinnen gab es einen Buchpreis, 18
Kurse zum Thema Zivilcourage und
Selbstverteidigung und einen Besuch
in der DenkStätte Weiße Rose unter
dem Motto „Auf den Spuren von
Hans und Sophie Scholl“. Den DenkStättenbesuch gewann die 9. Klasse
der Nardini Realschule der Armen
Franziskanerinnen von Mallersdorf.
Die Weiße Rose in Forchtenberg
Renate S. Deck, Initiatorin des Hansund-Sophie-Scholl-Pfades in Forchtenberg und Leiterin des dortigen
Weiße Rose i-Punkt konzipierte eine
Ausstellung zu 20 Jahre Gedenkarbeit der Weiße Rose Gedenkstätte
Forchtenberg: „Als im Jahre 1990 bei
einem Rosenfest der Lesekreis ‚Weiße Rose‘ entstand, und wir begannen,
an ihren Geburtsorten an Hans und
Sophie Scholl zu erinnern, dachte keiner an einen Zeitraum von 20 Jahren
Gedenkerinnerung.“ Die vergangenen
zwei Jahrzehnte seien „angefüllt von
Begegnungen mit Zeitzeugen und einer vielgestaltigen Gedenkarbeit“ gewesen, so Renate Deck. Die Ausstellung, die auch über die Familie Scholl
in Forchtenberg informiert, wurde im
November im katholischen Bildungshaus im Kloster Schöntal gezeigt.
„Die Widerständigen – Zeugen der
Weißen Rose“ – DVDs für Schulen
Das Bayerische Kultusministerium
ermöglichte der Weiße Rose Stiftung
e.V. den Ankauf von 20 DVDs „Die
Widerständigen – Zeugen der Weißen
Rose“ inklusive nichtkommerzieller
Vorführrechte.
Da die Einladung von Zeitzeugen an
Schulen immer weniger möglich ist,
kann die Vorführung eines Dokumentarfilms mit Aussagen und Erläuterungen von Zeitzeugen der Weißen
Rose ansatzweise den Schülern eine
gewisse Authentizität des Geschehens vermitteln.
Auf Anfrage stellt die Weiße Rose Stiftung e.V. Schulen eine DVD und das
Recht zur Vorführung zur Verfügung.
22 Die Weiße Rose Stiftung e.V., ihre
Organe und ihre Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter
Der Vorstand
Dr. Hildegard Kronawitter, 1. Vorsitzende
(ehrenamtliche Geschäftsführung)
Prof. Dr. Wolfgang Huber, 2. Vorsitzender
Dr. Werner Rechmann, 3. Vorsitzender (Schatzmeister)
Franz J. Müller, Ehrenvorsitzender
Die Mitglieder
Joachim Baez, Heinz Beumer; Jörg Busenbender;
Dr. Igor Chramow; Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin;
Karin Friedrich; Thomas Guckenbiehl; Heiner Guter;
Dr. Klaus Hahnzog; Dr. Hildegard Hamm-Brücher; Dr.
Thomas Kiepe; Dr. Hildegard Kronawitter; Dr. Traute
Lafrenz-Page; Dr. Silvester Lechner; Prof. Dr. Hans
Mommsen; Franz J. Müller; Jula Müller; Dr. David
Müller; Britta Müller-Baltschun; Johannes Nebmaier;
Christa Nickisch; Christian Petry; Dr. Werner Rechmann; Dr. Rachel Salamander; Dieter Sasse; Prof. Dr.
h.c. Klaus Saur; Heino Seeger; Dr. Christof Schmid;
Frank Trümper; Winfrid Vogel; Christian Vorländer;
Prof. Dr. Michael Wyschogrod
Der Beirat
Karin Friedrich; Dr. Klaus Hahnzog (Vorsitzender); Dr.
Hildegard Hamm-Brücher; Paul Hansel; Dr. h.c.
Charlotte Knobloch; Prof. Dr. Hans Mommsen; Dr.
Rachel Salamander (stellv. Vorsitzende); Prof. Dr. h.c.
Klaus Saur (stellv. Vorsitzender); Dr. Christof Schmid;
Dr. Rudolf Sussmann; Erwin Teufel; Christian Ude;
Dr. Michael Verhoeven; Winfrid Vogel; Dr. HansJochen Vogel; Dr. Beatrice von Weizsäcker
MitarbeiterInnen
Ruth Drolshagen: Geschäftsführung (bis 30.9.2010)
Christine Fiala-Köfer, Finanzen und Verwaltung
(ab 1.10.2010)
Ursula Kaufmann: Einzelausstellungen, pädagogische
Projekte, Besucherbetreuung, Kommunikation
Sandra Knösel: Ausstellungsverleih, Netzwerk Weiße
Rose
Ulrich Müller: Archiv, Führungen
Markus Kirchner: studentische Aushilfe
Ehrenamtliche MitarbeiterInnen in der DenkStätte
Weiße Rose: Alfons Balthesen, Susanne Bergmann,
Irene von Denffer, Bernhard Eble, Gerda Eierstock,
Barbara Keim, Dr. Maren Killmann, Marie Lohmeyer;
Christa Nickisch, Horst Plotzki, Ingeborg Rubner,
Brigitte Schmid
Vereinsregister Amtsgericht München VR 12214
Finanzamt München Steuer-Nr. 143/224/40546
Die Weiße Rose Stiftung e. V. ist zur Entgegennahme
von Spenden und Bußgeldern gemäß Körperschaftssteuerbescheid vom 12.12.2008 berechtigt.
Spenden werden für die satzungsgemäßen Aufgaben
verwendet.
Spendenkonto und Bankverbindung:
Stadtsparkasse München
Kto 885, BLZ 701 500 00
49
Beitrittserklärung
Weiße Rose Stiftung
Ludwig-Maximilians-Universität
Geschwister-Scholl-Platz 1
D-80539 München
Telefon 0 89 / 2180-5359, 2180-5678
Telefax 0 89 / 2180--5346
E-Mail [email protected]
www.weisse-rose-stiftung.de
www.facebook.com/WeisseRoseStiftung
Stadtsparkasse München
IBAN: DE68 7015 0000 0000 0008 85
BIC: SSKMDEMM
Ich möchte die Arbeit der Weiße Rose Stiftung e.V. über den Kreis
der Freunde und Förderer unterstützen.
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(€ 35,– Studierende)
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Meine Spende
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Die Beiträge sollen
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Spendenquittung wird zugesandt.
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Telefon: +49 (0)89 / 2180-5359, 2180-5678
Telefax: +49 (0)89 / 2180-5346
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