Minderheiten – Schutz ohne Definition möglich?
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Minderheiten – Schutz ohne Definition möglich?
Minderheiten – Schutz ohne Definition möglich? Fallstudie der Situation der Pygmäen in der Demokratischen Republik Kongo DIPLOMARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades Magister an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg Fachbereich: Politikwissenschaft und Soziologie Gutachterin: Prof. Dr. Barbara Wolf-Wicha Eingereicht von: Thomas Lahnthaler Universität Salzburg, November 2007 "We must do more to prevent conflicts happening at all. Most conflicts happen in … countries, especially those which are badly governed or where power and wealth are very unfairly distributed between ethnic or religious groups. So the best way to prevent conflict is promote political arrangements in which all groups are fairly represented, combined with human rights, minority rights and broad-based economic development." Kofi Annan, Secretary-General of the United Nations (Statement on presenting his Millennium Report, 3 April 2000) 2 Danksagung Das Verfassen einer Diplomarbeit stellt einen langwierigen Prozess dar. Am Ende steht der eigene Name unter dem Endprodukt, das man jedoch ohne die Hilfe vieler Anderer nicht fertig bringen hätte können. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um einigen dieser Personen zu danken. Ohne sie wäre mir die Fertigstellung dieser Arbeit nicht gelungen bzw. wäre diese noch nicht erfolgt. Ich möchte mich bei meiner Diplomarbeitsbetreuerin und Gutachterin, Frau Professor Doktor Barbara Wolf-Wicha bedanken, die mir in allen Arbeitsphasen der Studie mit Rat und initiativen Ideen sehr weitergeholfen hat. Ohne die Motivation von Frau Professor Wolf-Wicha sowie ihrer Flexibilität und ihrem persönliches Engagement hätten erhebliche Teile der Arbeit nicht die Form, in der sie sich befinden. Dank gebührt auch der Wissenschaftsagentur Salzburg sowie der Organisation Human Rights International (HRI), die mir den Auftrag zur Durchführung dieser Studie anvertraut haben, und die großes Verständnis und Geduld hinsichtlich des Zeitrahmens der Fertigstellung bewiesen haben. Im Laufe der Arbeit zum Verfassen einer Diplomarbeit begibt man sich auf eine Reise durch Höhen, etwa wenn man unerwartete Informationen erhält, aber auch Tiefen, wenn man an einem Punkt festsitzt und nicht weiter weiß. Auf dem Weg durch dieses Wellental stand mir stets meine Familie zur Seite, ohne deren Motivation und Unterstützung, die ich auch während des gesamten Studiums genießen durfte, hätte ich an manchen Stellen vielleicht das Handtuch geworfen. Durch den starken Rückhalt meiner Familie war es mir aber möglich, mich immer wieder von neuem zu motivieren und alle Hindernisse zu überwinden. Schließlich möchte ich noch einen großen Dank an alle anderen Beteiligten und Unterstützer aussprechen, die mir während des Verfassens der Diplomarbeit zur Seite standen. An meine Freunde, die mich stets motivierten und all meine Launen ertragen mussten. An alle Informanten und Personen, die mir mit ihrer Erfahrung in und zu diesem Themengebiet sehr weitergeholfen haben. Ohne diese Expertise und wichtigen Informationen wäre ich manchmal auf inhaltliche Grenzen gestoßen. 3 Danksagung .............................................................................................................. 3 Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... 10 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... 13 1.Einleitung ............................................................................................................. 14 1.1.Persönliche Motivation................................................................................. 14 1.2.Themenstellung ............................................................................................ 15 1.3. Aufbau........................................................................................................... 18 1.4. Einschränkung des Themas ....................................................................... 19 1.5.Methode und Theoretische Grundlage der Untersuchung ........................ 20 1.5.1.Transitionstheorie ..................................................................................... 20 1.5.2.Verschiedene Definitionen von Macht ...................................................... 30 1.6. Allgemeines zur Methode............................................................................ 33 2. Minderheitendefintion und Minderheitenschutz .............................................. 35 2.1.Definition des Minderheitenbegriffs ............................................................ 35 2.1.1.Herkunft und Wortsinn.............................................................................. 35 2.1.2. Die Definition des Minderheitenbegriffs bis zur Französischen Revolution .......................................................................................................................... 36 2.2. Die Entstehung des Modernen Minderheitenbegriffs ............................... 37 2.2.1. Definition von Minderheiten bis zum Zweiten Weltkrieg .......................... 38 2.2.3.Definitionen von Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg ........................ 39 2.2.4.Charakteristika des Minderheitenbegriffs von Capotorti ........................... 42 2.2.5..Exkurs ..................................................................................................... 53 2.2.6.Minderheitenbegriff von Felix Ermacora ................................................... 56 2.2.7. Weitere ausgewählte Definitionen ........................................................... 58 4 2.3. Persönliche Kategorien zur Bestimmung von Minderheiten ................... 60 2.3.1. Kulturelle Kriterien ................................................................................... 62 2.3.2. Soziale Kriterien ...................................................................................... 63 2.3.3. Ökonomische Faktoren ........................................................................... 66 2.3.4. Juristische Kriterien ................................................................................. 68 2.3.5. Zusammenfassung der Kriterien und Definition von Minderheiten .......... 71 2.3.6.Die Definition von Minderheit des Autors: ............................................................ 72 3. Geschichte des Minderheitenschutzes............................................................. 73 3.1. Schutz religiöser Minderheiten; 16. bis 18.Jahrhundert........................... 74 3.2. Schutz nationaler Minderheiten im 19.Jahrhundert .................................. 74 3.3. Minderheitenschutz im Völkerbund............................................................ 76 3.4. Verhärtete Fronten nach dem Zweiten Weltkrieg ...................................... 80 3.5. Minderheitenschutz in den Vereinten Nationen ........................................ 81 3.5.1. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) 82 3.6. Schutz der Eingeborenenvölker ................................................................. 86 3.6.1. Weitere Definitionen ................................................................................ 88 3.7. Die Afrikanische Union(AU) und die Minderheitenrechte ............................89 4. Zentrale Fragestellungen ................................................................................... 94 4.1. Unterstützende Fragestellungen ................................................................ 94 4.2. Hypothesen .............................................................................................................95 5. Probleme während der Arbeit............................................................................ 97 6. Die Demokratische Republik Kongo (DRC)...................................................... 99 6.1. Geschichte.................................................................................................... 99 6.1.1.Entstehung des staatlichen Gebiets Kongo.............................................. 99 6.1.2. Die Kolonialzeit 1908 – 1960................................................................. 100 6.1.3. Unabhängigkeit 1960 – 1965 oder die Kongowirren.............................. 101 6.1.4. Die Zweite Republik – Mobutus Herrschaft ........................................... 105 6.2. Die Transition der Demokratischen Republik Kongo ............................. 110 6.2.1. Erste Phase der Transition .................................................................... 110 5 6.2.2. Die zweite Phase der Transition ............................................................ 112 6.2.3. Übergang zur dritten Phase der Transition............................................ 116 6.2.4. Die Demokratische Republik Kongo heute – Fortsetzung der Transition ........................................................................................................................ 123 6.3. Wichtige Akteure und ihr Einfluss auf das System der Demokratischen Republik Kongo ......................................................................................... 130 6.3.1. Das Militär ............................................................................................. 130 6.3.2. Die Medien ............................................................................................ 130 6.3.3. Die Kirche.............................................................................................. 135 6.3.4. Internationale Akteure und ihr Einfluss in der DRC ............................... 136 6.3.5. Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (MONUC)...... 140 6.4. Allgemeine Informationen und Fakten über die Situation der Demokratischen Republik Kongo............................................................. 145 6.4.1. Geographie............................................................................................ 145 6.4.2. Bevölkerung .......................................................................................... 148 6.4.3. Wirtschaftliche Situation ........................................................................ 151 6.4.4. Krankheiten ........................................................................................... 153 6.4.5. Sprachen ............................................................................................... 156 6.4.6. Religion ................................................................................................. 156 6.4.7. Alphabetisierung.................................................................................... 157 6.4.8. Infrastruktur und Kommunikation........................................................... 159 6.4.9. Situation der Menschenrechte in der DRC ............................................ 159 6.4.10. Weitere Probleme................................................................................ 161 6.5. Minderheitenschutz durch die neue Verfassung..................................... 162 6.5.1. Analyse: ....................................................................................................................... 163 7. Die Pygmäen ..................................................................................................... 165 7.1. Geschichte der Pygmäen .......................................................................... 166 7.2. Etymologie bzw. Wortherkunft.................................................................. 167 7.3. Terminologie .............................................................................................. 167 7.4. Allgemeine Übersicht über die Völker und ihre Siedlungsgebiete ....... 168 6 7.5. Ausgewählte Völker und ihre Lebensweise............................................. 171 7.5.1. Die Batwa .............................................................................................. 171 7.5.2. Die Bambuti ........................................................................................... 174 7.5.3. Unterschiede zwischen den Pygmäenstämmen .................................... 175 7.5.4. Traditionelle soziale Struktur eines Pygmäenstammes ......................... 176 7.6. Verständnis von Macht, Herrschaft und Demokratie .............................. 178 7.6.1. Hierarchische Strukturen ....................................................................... 178 7.7.Institutionalismus ....................................................................................... 179 7.7.1. Konfliktlösungsmechanismen ................................................................ 179 7.8. Soziale Beziehungen und Interaktionen in einem Pygmäendorf ........... 180 7.8.1. Gesellschaftsstruktur und Sozialisierung innerhalb eines Dorfes .......... 180 7.8.2. Familienleben ........................................................................................ 181 7.8.3. Ehe ........................................................................................................ 182 7.9. Die unterschiedlichen Lebensweisen und Wirtschaft verschiedener Pygmäenstämme .............................................................................................. 185 7.9.1. Jäger und Sammler ............................................................................... 186 7.9.2. Die Jagd ................................................................................................ 186 7.9.3. Sammler ................................................................................................ 188 7.9.4. Fischer................................................................................................... 188 7.9.5. Töpfer .................................................................................................... 189 7.9.6. Landwirtschaft ....................................................................................... 191 7.10. Alltagsleben und Traditionen einer Pygmäengesellschaft................... 192 7.10.1.Alltag .................................................................................................... 192 7.10.2. Nomadentum ....................................................................................... 193 7.10.3. Religion ............................................................................................... 193 7.10.4. Rituale ................................................................................................. 194 7.10.5. Bildung ................................................................................................ 196 7.10.6. Medizin ................................................................................................ 196 7.10.7. Kleidung und Äußeres ......................................................................... 197 7 8. Probleme der Pygmäen.................................................................................... 198 8.1. Verweigerung der Rechte.......................................................................... 198 8.1.1. Recht auf Gleichberechtigung bzw. Anerkennung vor dem Gesetz ...... 199 8.1.2. Das Recht zu Jagen und Sammeln ....................................................... 200 8.1.3. Das Recht auf die gleiche juristische Behandlung................................. 200 8.1.4. Recht auf medizinische Versorgung ...................................................... 202 8.1.5. Das Recht auf Bildung und Arbeit.......................................................... 203 8.1.5. Das Recht zur Selbstbestimmung ......................................................... 204 8.1.6. Die Verweigerung der Landrechte ......................................................... 205 8.2. Exkurs ......................................................................................................... 208 8.2.1. Der Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo....................... 208 8.2.2. Enteignung durch Naturschutzgebiete................................................... 212 8.3. Vorurteile .................................................................................................... 214 8.4. Wirtschaftliche Isolation............................................................................ 216 8.5. Mangelnde politische Repräsentation und politisches Desinteresse ... 217 8.6. Verlust der eigenen Identität..................................................................... 219 8.7. Soziale Probleme ....................................................................................... 220 8.8. Gesundheitliche Bedrohungen ................................................................. 221 8.9. Die Auswirkungen des Krieges auf die Pygmäenstämme...................... 221 8.10. Beispiele der Situation der Pygmäen in der DRC.................................. 222 8.11. Beispiele für die veränderten Lebensweisen der Pygmäen ................. 224 8.11.1. Idwji Insel............................................................................................. 224 8.11.2. Kavumu Gebiet.................................................................................... 225 8.11.3. Goma, Masisi und die Rutshuru Gegend............................................. 226 9. NGOs und Projekte zur Hilfe der Pygmäen der DRC.................................. 228 9.1. Ausgewählte Tätigkeiten der Pygmäen.................................................... 228 9.2. Lokale NGOs .............................................................................................. 229 9.2.1. Centre d’accompagnement des Autochtones pygmees et Minoritaires Vulnerables (CAMV)........................................................................................ 229 9.2.2. Union Pour L’emancipation de la Femme Autochtone (UEFA).............. 232 8 9.2.3. Programme d’Integration et de development du peuple Pygmee au Kivu (PIDP).............................................................................................................. 234 9.3. Internationale NGOs .................................................................................. 235 9.3.1. Pygmee Kleinood .................................................................................. 235 9.3.2.Rainforest Foundation – UK (RF) ........................................................... 236 10. Analyse............................................................................................................ 238 10.1. Persönliche Einschätzung ...................................................................... 246 12. Anhang ............................................................................................................ 256 12.1. Regierung der Demokratischen Republik Kongo.................................. 256 Le Président Son Excellence........................................................................... 256 12.2. Beispiele Verbrechen gegen die Pygmäen ............................................ 258 12.2.1. Exactions by soldiers........................................................................... 258 12.2.2. Expulsion from gold-mines .................................................................. 259 12.2.3. Rapes of girls....................................................................................... 260 12.2.4. Requisition for transport of ammunitions. ............................................ 260 12.2.5. Murder at the work post....................................................................... 260 12.2.6. Arbitrary arrestations. ............................................................................................ 261 14. Literatur ........................................................................................................... 262 14.1. Primärliteratur ......................................................................................... 262 14.2. Sekundärliteratur .................................................................................... 262 14.3. Internetquellen ......................................................................................... 267 14.3.1. Primärliteratur ...................................................................................... 267 14.3.2. Sekundärquellen.................................................................................. 268 14.4. Statistische Quellen................................................................................. 274 14.5. Andere Quellen......................................................................................... 276 9 Abkürzungsverzeichnis ABAKO: Allianz von Bakongo ABB.: Abbildung Abs.: Absatz ACHPR: African Commission on Human and Peoples’ Rights ACP: Agence Congolaise du Press AFDL: Alliance des Forces pour la Démocratie et la Libération du Congo-Zaire AMP: Alliance pour la Majorité Présentielle AMRE: Allgemeine Menschenrechtserklärung Art.: Artikel AU: Afrikanische Union BIP: Bruttoinlandsprodukt Bzw.: Beziehungsweise CAMV: Centre d’accompagnement des Autochtones pygmees et Minoritaires Vulnerables CAURWA: Rwandese Community of Indigenous People Organisation (engl.) CENCO: Conférence Episcopale Nationale du Congo CIA: Central Intelligence Agency CIDOPY: Centre d'Information et Documentation Pygmées en DRCongo DIN: Deutsche Industrie Norm DRC: Demokratische Republik Kongo DSP: Division Spéciale Présidentielle; Die Leibgarde des Präsidenten ECOSOC: Economic and Social Council of the United Nations Et al.: Et alter; und andere EU: Europäische Union EUFOR: European Union Force FAC Force Aerienne Congolaise FARDC: Forces Armées de la Republique Démocratique du Congo; Armed Forces of the Democratic Republic of the Congo FAO: Food and Agricultural Organization HAM: Haute Authorite des Media HIPC: Heavily Indebted Poor Countries HIV/AIDS: Human Immunodeficiency Virus/Acquired Immunodeficiency Syndrome 10 HRC: Human Rights Council ICCO: Interchurch organisation for development co-operation (engl. Name) ICHR: International Council on Human Rights IDP: Internally Displaced People IGF: Insulin-like growing factor ILO: International Labour Organization IMF: International Monetary Fond IPBPR: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte INGO: International Non-Governmental Organization IO: International Organization; Internationale Organisation IPACC: Indigenous People of Africa Coordinating Committee IZCN: Institut Zairois pour la Conservation de la Nature K. u. K. Monarchie: Kaiserliche und Königliche Monarchie LRA: Lord Resistance Army MLC: Mouvement de Liberation congolais MONUC: Mission de l’Organisation des Nations Unies en République du Congo MPR: Mouvement Populaire de la Revolution MRG: Minority Rights Group NCA: Norwegian Church Aid NGO: Non-Governmental Organization; Nicht-Regierungs Organisation OECD: Organization for Economic Co-operation and Development OMEC: Observateurs des Médias Congolais PALU: Parti Lumbumbiste Unifié PIDP: Programme d’Integration et de Development du peuple Pygmee au Kivu PMURR: Programme Multisectoriel d’Urgence de Réhabilitation et de Reconstruction PRGF: Poverty Reduction and Growth Facility Arrangements PSURES: Projet de soutien d’urgence à la réunification économique; Projekt zu unmittelbaren Unterstützung der sozialen und ökonomischen Wiedervereinigung RAPY: Réseau des Associations autochtones Pygmées du Congo RCD: Rassemblement congolais pour la Democratie; RCD-ML: Rassemblement congolais pour la Démocratie – Mouvement de Liberation RF: Rainforest Foundation 11 RTGA: Radio Télé Groupe L’Avenir RTNC: Radio-Television National Congolaise SMP: Staff-monitored Programme StIGH: Internationaler Strafgerichtshof UDM: Union des Democrates Mobituistes UK: United Kingdom UMP: Union pour la Nation UDPS: Union pour la Démocratie et le Progrés Social UEFA: Union Pour L’Emancipation de la Femme Autochtone UNESCO: United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNITA: Union pour l’indépence totale de l’Angola UNPC: Union National de la Presse Congolaise UNO: United Nations Organization; Organisation der Vereinten Nationen UPC: Union of Patriotic Congolese USA: United States of America Vgl.: Vergleiche Z.B.: Zum Beispiel ZAIRE: Zentralafrikanische Republik 12 Abbildungsverzeichnis Abbildung.1: Einflussgebiete der verschiedenen Rebellenorganisationen Abbildung 2: Derzeitige geographische Einteilung der Provinzen der DRC Abbildung 3: Provinzen der DRC nach der neuen Verfassung von 2006 Abbildung 4: Daten über die Entwicklung der Unterernährung weltweit Abbildung 5: Vermutete Zahl der Todesopfer aufgrund AIDS in den Jahren 2003 und 2005 Abbildung 6: Voraussichtliche Zahl der Waisen aufgrund von AIDS in den Jahren 2003 und 2005 Abbildung 7: Zahl der HIV-Infizierungen bei schwangeren Frauen in Zentralafrika. Abbildung 8: Alphabetisierungsrate in der DRC im Vergleich. 13 1.Einleitung 1.1.Persönliche Motivation Meine Spezialisierung im Rahmen des Politikwissenschaftsstudiums liegt im Bereich der Konfliktforschung und dem Studium von Krisen und Ländern, die sich in langfristigen Konflikten befinden. Ein wichtiger Bestandteil der Konfliktforschung sind die Menschenrechte. Diese Gruppe der Rechte ist auch speziell für den Bereich der Minderheitenforschung wichtig und stellt die Basis für einen geeigneten Regelkatalog für Minderheiten respektive deren Schutz dar. Viele Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) unterhalten Projekte die sich mit der Stärkung von Rechten benachteiligter Gruppen und/oder Minderheiten in verschiedenen Ländern – vielfach Krisengebieten oder Entwicklungsländern. Eine solche NGO ist Human Rights International (HRI), das seinen Hauptsitz in Italien hat und sich schon seit mehreren Jahren mit diversen Projekten weltweit engagiert. Das HRI hat reges Interesse daran ein Projekt in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) zu installieren, das den Schutz und die Stärkung der Rechte der Pygmäen bzw. ihrer Situation zum Ziel hat. Um allerdings ihr Projekt gezielt auf die Bedürfnisse und Notwendigkeiten ausrichten zu können, müssen diese untersucht und festgestellt werden. Aus diesem Grund gab das HRI eine Studie in Auftrag, die diese Aufgabe erfüllen soll. Da sich das Thema und die dahinter stehenden Interessen und Pläne mit meinen eigenen Vorstellungen einer wissenschaftlichen Arbeit zum Abschluss meines Studiums deckten, entschloss ich mich, mich für den Auftrag zu bewerben und erhielt den Zuschlag. Die Vorstellung, einen nicht unerheblichen Beitrag zu einem zukünftigen Hilfsprojekt leisten zu können, war ein zusätzlichen Motivationsfaktor beim Verfassen dieser Arbeit. Zusätzlich eröffnete es mir die Möglichkeit, im Rahmen meines speziellen Gebietes der Konfliktforschung zu arbeiten, da die DRC auf einen sehr großen und blutigen Konflikt zurückblicken kann, der auch teilweise bis heute nicht wirklich gelöst ist. Dieser Konflikt hat auch erheblichen Einfluss auf die Situation der Pygmäen sowie des Restes der Bevölkerung, da die Auswirkung ständig präsent und offensichtlich ist. Die Arbeit an diesem Thema ermöglicht mir, mein Wissen über den Kongo, Minderheiten und die Pygmäen im Speziellen zu vertiefen bzw. es mir anzueignen. 14 1.2.Themenstellung In fast allen Ländern der Erden gibt es Teile der Bevölkerung, die sich durch unterschiedliche Eigenschaften oder Charakteristika ihrer Lebensweise und/oder ihren Ansichten von dem Großteil der Einwohner des jeweiligen Staates unterscheiden, die so genannten Minderheiten. Gruppen, in Vielem dem Rest der Bevölkerung nicht gleich gestellt und oftmals auch diskriminiert. Diese Diskriminierung erfolgt einerseits von Seiten des Gesetzes und andererseits durch die Bevölkerung. In Europa und der so genannten ersten Welt ist die Thematik des Minderheitenschutzes bzw. der Integration der Minderheiten seit mehreren Jahren ein zentrales Thema auf der politischen Ebene. Es gibt in einigen Ländern bereits sehr großzügige Regelungen, obwohl es beinahe überall noch Handlungsbedarf gibt. Auch internationale Organisationen beschäftigen sich aufgrund diverser Entwicklungen in jüngerer Vergangenheit in zunehmender Zahl mit dem Thema Minderheitenschutz. Es ist bereits aus nationaler Eben schwer, sich auf eine Minderheitenschutzpolitik respektive ein entsprechendes Gesetz zu einigen. So kommt es auch auf internationaler Ebene kaum zu einem Konsens, der den Minderheitenschutz präzise und explizit regelt. Viele der internationalen Konventionen, Abkommen oder Definitionen sind sehr allgemein gehalten, was sich bereits in der Basis des Themas, einer Definition für Minderheiten, deutlich offenbart. Kleine Erfolge konnten regional in Europa erzielt werden, wobei hier wahrscheinlich die große Erfahrung der europäischen Staaten mit dem Thema Minderheiten in der Vergangenheit eine große Rolle spielt. Trotzdem gibt es auch in den europäischen Staaten noch Handlungsbedarf, da die Länder teilweise unterschiedliche Probleme zu lösen haben und die gemeinsamen Gesetze sehr allgemein gehalten sind. Sehr oft besteht auch ein Unterschied zwischen der Theorie und Praxis der Minderheitenrechte. In vielen Verfassungen sind die Rechte und die Anerkennung von Minderheiten verankert, aber realpolitisch werden diese nur mangelhaft bzw. unzureichend umgesetzt. Dabei liegt das Problem vor allem darin, dass es oft keine adäquaten Schutzmaßnahmen bzw. Sanktionen für Verstöße gegen die Rechte bezüglich des Minderheitenschutzes gibt. Die Minderheiten sind oft formal gleichgestellt werden allerdings von Teilen der restlichen Bevölkerung oder anderen Minderheiten diskriminiert. Diese teilweise latente Benachteiligung der Minderheiten ist nur schwer zu kontrollieren und zu verhindern und leider zu oft an der Tagesordnung. 15 Ein weiteres Problem ist die Gratwanderung zwischen Integration und Assimilation. Es besteht in der Wissenschaft seit Jahrzehnten eine Diskussion zwischen Universalisten und Multikulturalisten, die sich in den letzten Jahren durch viele politische Veränderungen und dem Zerfall von Vielvölkerstaaten stark intensiviert hat. Da es auch in der politischen Ebene extreme Auffassungsunterschiede zu diesem Thema gibt, werden Gesetze und Regelungen sehr allgemein gehalten. Ist die Diskussion über und die Umsetzung der Minderheitenrechte in den so genannten entwickelten Ländern bereits schwierig und trotz aller Fortschrittlichkeit teilweise weit weg davon eine Lösung zu finden, so ist die Lage in den Staaten der Dritten Welt ungleich schwieriger. Da es in der Informationslandschaft leider extrem an Berichterstattungen über diverse Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Südamerika mangelt, ist das Bewusstsein bzw. das Wissen über die Situationen in diesen Regionen sehr gering. Die Informationen, die zugänglich sind, beinhalten größtenteils Kriegsberichterstattungen, Wahlberichte, Regierungswechsel sowie Geschehnisse von internationaler Bedeutung. Sehr selten wird über innerpolitische oder soziale Probleme der regionalen oder lokalen Ebene berichtet. Da die politische Sphäre in diesen Staaten sehr oft sehr zerrüttet ist, sind sie von Konflikten und/oder autoritären Herrschaftsformen geprägt. Dabei befinden sich Themen wie die des Minderheitenschutzes kaum oder gar nicht im Blickfeld der Verantwortlichen der politischen Ebene. Minderheiten sind in diesen Ländern sehr oft Opfer von Diskriminierung in verschiedenen Ausmaßen und Formen, Gewalt und schweren Menschenrechtsverletzungen und nur selten gelingt es Diesen sich national oder international Gehör zu verschaffen, um für ihre Rechte einzutreten. In manchen Fällen, vor allem in afrikanischen Staaten, ist die kulturelle und ethnische Fragmentierung sehr hoch, sodass es zwischen den unterschiedlichen Minderheiten zu Diskriminierungen und gegenseitigen Benachteiligungen kommt. Dadurch leben einige Minderheiten auf der niedrigsten Eben und haben keinerlei Rechte und werden von der politischen Ebene ignoriert und ausgeschlossen. Die Demokratische Republik Kongo (DRC) ist ein Land mit einer Vergangenheit, die durch Kriege und Ausbeutung der Bevölkerung geprägt ist. Von einem blutigen Bürgerkrieg gezeichnet, befindet sich das Land in einer Übergangsphase, und es wird von allen Seiten versucht, die politische, soziale und ökonomische Ebene zu stabilisieren. Das Land, das als eines der rohstoffreichsten der Welt gilt, ist von einer 16 Bevölkerung besiedelt, die über 200 Ethnien umfasst. Durch diese hohe Fragmentierung und die vielen bewaffneten Parteien, die die DRC in der Vergangenheit besetzt haben, ist die Situation für viele der Bevölkerungsgruppen, vor allem der lokalen Minderheiten sehr schlecht und von Gewalt, Unterdrückung und einem sehr niedrigen Lebensstandard geprägt. Die Diktaturen, die jahrzehntelang die Bevölkerung ausbeuteten und deren Rechte minimierten und die instabile politische Situation nach dem Kriegsende 2004 haben die Situation zusätzlich erschwert. Minderheiten sind in der DRC kein wichtiges politisches Thema und werden nur peripher behandelt. Zwar sieht die neue Verfassung Rechte für Minderheiten vor, allerdings werden der Schutz und die Einhaltung derer nicht kontrolliert. Eine dieser Minderheiten zeichnet eine Besonderheit aus, die ihren Namen weltweit bekannt machte – die Pygmäen. Diese Gruppe, die in den Wäldern lebt und als eines der ältesten Völker gilt, unterscheidet sich bereits optisch durch ihre Körpergröße vom Rest der Bevölkerung. Die Pygmäen werden sehr selten größer als 1.50 m. Diese Tatsache sowie ihre Lebensweise, die von der Modernisierung weitestgehend unbeeinflusst blieb, machen die Pygmäen verwundbar und zur Zielscheibe für Diskriminierungen. Hinzu kommt, dass sie in den meisten Fällen über keinerlei Bildung verfügen, da die Kinder hauptsächlich in den Traditionen, die das Überleben sichern, unterrichtet werden. Die Pygmäen, die in mehreren Ländern Zentralafrikas siedeln und sich in viele Stämme unterteilen, lebten traditionell in den Regenwäldern und hatten wenig Kontakt zu anderen Stämmen. Die wieder intensiver gewordene Abholzung und die damit verbundenen Vertreibungen der Pygmäen aus ihren Lebensräumen führten dazu, dass die Pygmäen in intensiveren Kontakt mit anderen ethnischen Gruppen kamen. Ihre Lebensweise und ihre vermeintliche Rückständigkeit hinsichtlich ihrer technischen Fähigkeiten und ihrer Bildung riefen hervor dass die Pygmäen von anderen Völkern diskriminiert wurden und werden. Da sie ihre traditionelle Lebensweise als Jäger und Sammler aufgeben mussten und wenig Erfahrung mit anderen Arbeiten hatten, leben sie heute meist als Bettler oder Tagelöhner. Auch der Krieg hatte erheblichen Einfluss auf die Pygmäen, da sie in den Wäldern wohnten, die als Unterschlupf und Verstecke für diverse Kriegsparteien dienten. Durch ihre beschränkten Verteidigungsmöglichkeiten wurden sie zur Zielscheibe für jede Seite des Krieges, und es wurden grauenhafte Verbrechen an ihnen verübt. Diese Tatsache sowie die nicht vorhandene internationale Aufmerksamkeit und Berichterstattung über die Pygmäen und ihre Situation 17 erschweren die Lage dieses Volkes erheblich bzw. machen diverse Hilfsprojekte schwer realisierbar. 1.3. Aufbau Die folgende Studie analysiert die Situation der Pygmäen aus einer historischaktuellen Perspektive. Dabei wird die Untersuchung, um ein möglichst vollständiges Bild der Lage und Möglichkeiten der Pygmäen darstellen zu können, in drei Teile geteilt. Im ersten Teil, der auch die theoretische Basis für die Studie liefert, werden die Transformations- und die Transitionstheorie sowie der Begriff Macht dargestellt. Auch das Thema Minderheit wird wissenschaftlich untersucht. Neben der Erklärung der wissenschaftlichen und internationalen Definitionen des Begriffs wird auch die historische Entwicklung des Terminus Minderheit dargestellt. Da es international keine allgemein gültige Definition gibt und die wissenschaftlichen Kriterien, den hier gestellten Untersuchungen nicht absolut entsprechen, werden vom Autor eigene Kategorien aufgestellt, wie sich Minderheiten definieren und bestimmt werden können. Diese Kategorien stellen keinen allgemeinen Anspruch dar, sind jedoch aus Sicht des Autors für die hier durchgeführte Untersuchung angemessen. Im zweiten Abschnitt des ersten Teils werden die internationalen Konventionen und Versuche eines gemeinsamen Rechtskodex für Minderheiten dargestellt. Dabei wird vor allem die Entwicklung in den Vereinten Nationen analysiert und untersucht; wie dort die derzeitige Arbeit in diesem Bereich aussieht. Es werden themenspezifisch auch die Situation bezüglich des Minderheitenschutzes in der Afrikanischen Union (AU) und die Rechtslage und Initiativen für die Eingeborenenvölker analysiert und dargestellt. Der zweite große Teil dieser Studie ist eine Länderanalyse der Demokratischen Republik Kongo. Dabei wird – um die heutige Situation verstehen zu können – die historische Entwicklung des Landes dargestellt. Es werden die Kolonialphase sowie die unterschiedlichen Regime und Regierungen beschrieben und auf ihre Arbeit und deren Auswirkungen untersucht. Teil der Untersuchung sind die Internationalen Beziehungen und die Einflüsse der internationalen Gemeinschaft auf die Geschehnisse und die Politik in der heutigen DRC. Dabei werden der Konflikt und der Friedensprozess, die die Basis für die heutige Situation darstellen, erklärt. 18 Schließlich werden die aktuelle Lage und das politische Klima nach den Wahlen 2006 beleuchtet. Ebenso wird versucht, die Auswirkungen und die politische Situation hinsichtlich der Minderheiten zu analysieren. Der letzte Teil der Arbeit widmet sich den Pygmäen und ihrer Lebensweise. Um die Situation der Pygmäen und ihre schwierige Lage zu verstehen, wird die traditionelle Art in Einklang mit dem Wald zu leben erklärt. Es werden Geschichte, Riten, Traditionen, Rechtsauffassung, Hierarchie und Lebensweise der Pygmäen erklärt. Nach der sozialen Analyse werden die derzeitigen Probleme und die Diskriminierungen, mit denen das Volk und die Stämme der Pygmäen zu kämpfen haben, beschrieben, und Rechte angeführt und erörtert, die den Pygmäen verweigert werden. Schließlich wird die Situation bezüglich des Regenwalds und spezifisch der Abholzung und der Naturschutzgebiete dargestellt. Der zweite Teil des Abschnitts über die Situation der Pygmäen stellt einige Pygmäenorganisationen und internationale Projekte vor, die sich mit dem Schutz des Volkes beschäftigen. Abschließend werden in einer Zusammenfassung, respektive einem Resümee, die Ergebnisse dargestellt, die Fragestellungen beantwortet und die Hypothesen verifiziert oder falsifiziert. Zudem gibt es noch eine persönliche Einschätzung der Lage vom Autor. 1.4. Einschränkung des Themas Die Pygmäen siedeln in mehreren Ländern des zentralen Afrikas. Aber in dieser Studie werden nur die Pygmäenstämme, die in der DRC siedeln, untersucht. Die Einschränkung auf der zeitlichen Ebene ist etwas differenzierter zu treffen. Grund dafür ist die die historische Darstellung, die sich in allen Teilen der Arbeit findet. Allerdings ist der Fokus auf der Ist-Situation der Pygmäen und dadurch auch des Systems und der Machtverteilung in der Demokratischen Republik Kongo. 19 1.5.Methode und Theoretische Grundlage der Untersuchung Die DRC stellt einen Staat dar, der seit seiner Unabhängigkeit 1960 verschiedene Regierungsphasen durchlief. Nach einer beinahe 30 Jahre dauernden Diktatur durch Mobutu kam es durch einen Putsch zu einem Machtwechsel der allerdings keine faktische Änderung der politischen Ebene bzw. der Politik als solche. Dadurch und durch die Chance, die die unmittelbaren Nachbarländer sahen, die eigene Position zu verbessern, kam es zu einem Krieg, der zehn Jahre dauerte und erhebliche Folgen für die Region und die Bevölkerung nach sich zog. Dieser Krieg stellte allerdings auch den Beginn des Systemwandels dar. Die Forschung im Bereich des Wandels von totalitären und autoritären politischen Regimes in Demokratien ist eine sehr junge Disziplin in der internationalen und vergleichenden Politikforschung. In diesem Kapitel wird die Theorie zum Transitionsprozess dargestellt, da sie in der weiteren Folge für die Untersuchung der Situation der DRC essentiell ist und als theoretische Basis dient. 1.5.1.Transitionstheorie Die allgemein anerkannte Definition von Transitionen stammt von O’Donnell und Schmitter und bezeichnet sie als die Phasen, die zwischen zwei unterscheidbaren politischen Systemen liegen. Die Transition beginnt mit dem Ende des autoritären Regimes und endet entweder mit der Herausbildung des institutionellen Rahmens einer Demokratie, mit der Rückkehr zum Ausgangszustand oder mit einer revolutionären Situation.1 Viele der Versuche der Theoretisierung der Transitionen von autoritären und totalitären Systemen in Demokratien enden in Metaphern, was darauf zurückzuführen ist, dass es sehr viele Unsicherheiten im Rahmen von Transitionen gibt. Diese Unsicherheiten haben ihren Ursprung in der Wichtigkeit aber gleichzeitigen Unkalkulierbarkeit von Entscheidungen im Rahmen des Prozesses. Dieser Mangel an strukturellen Faktoren wird im Rahmen der Transition durch eine zunehmende Institutionalisierung versucht auszugleichen.2 1 Vgl. Rüb, Friedrich W. (1994). Die Herausbildung politischer Institutionen in Demokratisierungsprozessen, in: Merkel, Wolfgang (Hrsg.) (1994). Systemwechsel 1, Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Leske und Budrich, Opladen, S.112. 2 Vgl. Rüb, S.111. 20 Die wichtige Rolle der Bildung von Institutionen für den Demokratisierungsprozess ist in der Wissenschaft über die Transitionen zwar anerkannt, allerdings theoretisch nicht sehr intensiv ausgearbeitet. Hauptaugenmerk wird dabei auf die Unterschiede zwischen parlamentarischen Systeme und präsidialen Systemen gelegt, wobei viele der Autoren davon ausgehen, dass parlamentarische Systemen einen günstigeren institutionellen Rahmen für einen Demokratisierungsprozess bieten. Nur vereinzelt wird dies in Frage gestellt, und der Zusammenhang zwischen Regierungs- und Wahlsystem untersucht. Grundsätzliche Probleme sind die Betrachtung der Institutionen als unabhängige Variable, wodurch sie in bestimmten Situationen spezifische Handlungsweisen und gewisse Ressourcen zur Verfügung stellen. Es gibt kaum Untersuchungen, die Institutionen unter bestimmten Einflüssen, wie Konflikt- und Konsensprozesse, untersuchen, und wie sie dadurch verändert oder beeinflusst werden.3 Durch die große Bandbreite von unterschiedlichen Institutionen erleichtert es die Betrachtung, wenn man die Institutionen und deren Charakteristika auf die Gemeinsamkeiten reduziert. Diese identifiziert Robert A. Dahl folgendermaßen4: 1. Gewählte Vertreter: Die Besetzung der Regierung erfolgt über die Wahl und Abwahl von politischen Vertretern. 2. Freie Wahlen: Diese Wahl erfolgt durch freie und regelmäßige Wahlen, deren Ergebnis nicht manipuliert werden kann. 3. Allgemeines aktives Wahlrecht: Alle Bürger ab einem gewissen Alter dürfen sich an dieser Wahl beteiligt werden, und niemand darf aufgrund seiner Abstammung, Meinung oder anderen Gründen benachteiligt werden. 4. Allgemeines passives Wahlrecht: Jeder kann sich wählen lassen, auch wenn die Altersgrenze sich von der des aktiven Wahlrechts unterscheidet. 5. Meinungsfreiheit: Jeder Bürger hat das Recht sich frei zu äußern und alle Umstände uneingeschränkt zu kritisieren. 6. Informationsfreiheit: Jeder Bürger hat das Recht sich frei zu informieren, was mithilfe verschiedener Quellen durchgeführt werden kann. Diese müssen zur Verfügung stehen und durch Gesetze geschützt sein. 3 4 Vgl. Rüb, S.111f. Vgl. Rüb, S.112f. 21 7. Vereinigungsfreiheit: Jeder Bürger kann zur Unterstützung seiner Interessen sich mit anderen zusammenschließen und muss das Recht haben Parteien oder Organisationen gründen zu können. Friedbert Rüb fügt in seinem Artikel über die Bildung von Institutionen in Demokratieprozessen noch zwei Kriterien hinzu5: 8. Dominanz der zivilen Regierung: Die frei gewählte Regierung muss in der Lage sein, ihre Macht uneingeschränkt ausüben zu können. Sie darf nicht durch Militär, Geheimdienst oder Sicherheitsbehörden kontrolliert werden, sondern diese müssen ihrerseits Macht auf diese Teile des Systems ausüben können. Auch dürfen keine ausländischen Kräfte den Handlungsrahmen der Regierung einschränken. In jedem Fall wird die Souveränität des Staates eingeschränkt. 9. Verfassungsrechtliche Vorkehrungen: Diese müssen die Durchsetzbarkeit von institutionellen Rechten garantieren, die Änderung von den Bedingungen 1-7 dem einfachen Mehrheitsentscheid entziehen und bestimmte Verfahren dafür institutionalisieren. Schließlich sollen sie die Verfassung über diverse Verfahren stellen und Institutionen zu deren Kontrolle einrichten. Dieses System ist dann demokratisch, wenn innerhalb des institutionellen Rahmens diverse Akteure versuchen, ihre Interessen gegenseitig durchzusetzen. Dabei bestehen Regeln und Normen, die von diesen Akteuren eingehalten werden müssen und werden. Der Ausgang ist ungewiss, und die Entscheidungen, die anschließend von den politischen Repräsentanten getroffen werden sind vor der Bevölkerung zu verantworten. Als nicht-demokratische Systeme gelten jene, in denen Macht unkontrolliert eingesetzt werden kann. Dadurch werden die Ergebnisse vorhersagbar.6 Der Ausgangspunkt für Transitionen autoritäre politische Regime und totalitärkommunistische Systeme. Die Kennzeichen von autoritären politischen Systemen sind (1) der geringe Pluralismus in den unterschiedlichen Sphären, der existierte bevor das autoritäre Regime die Macht übernahm; (2) das Fehlen einer 5 6 Vgl. Rüb, S.113. Vgl. Rüb, S.113. 22 gemeinsamen, umfassenden Ideologie; (3) geringe politische Mobilisierung; (4) eine starke Exekutive, die unkontrolliert regieren, gleichzeitig aber durch limitierte Wahlen legitimiert sein kann. Totalitär-kommunistische Systeme kennzeichnen sich eher durch (1) das Fehlen eines politischen Pluralismus und die Aufhebung der Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre; (2) eine umfassende Ideologie; (3) die das ständige Bestreben, die Massen politisch und gesellschaftlich zu mobilisieren; (4) alle exekutive Gewalt durch die Ideologie zu legitimieren und durch deren Durchsetzung zu nutzen, aus. Diese Systeme werden durch eine Demokratisierung verändert und einem Reformprozess unterzogen. Das Ziel dabei ist, dass die Macht, die in diesen Systemen von einem exklusiven Kreis auf ein institutionelles Rahmengefüge verlagert wird und dadurch kontrollierbar wird und fair aufgeteilt werden kann. Der erste Schritt der Demokratisierung stellt die Liberalisierung dar. Dabei werden schrittweise die Regeln, Gesetze und Beschränkungen gelockert und erleichtert. Diese Änderungen können auch verankert werden, was auch den ersten Schritt einer Institutionalisierung darstellt, allerdings bleibt die politische Sphäre für andere Akteure als die Machtinhaber weiterhin verschlossen. Wenn Gruppierungen oder Personen Zugang zu diesem Elitekreis finden, dann nur unter der Voraussetzung, dass sie die vorherrschenden Machtverhältnisse anerkennen und akzeptieren. Die Phase der Liberalisierung läuft dann in die eigentliche Demokratisierung über, wenn die Macht bzw. die Entscheidungsfähigkeit der herrschenden Elite zu entgleiten beginnt. Dies eröffnet Möglichkeiten für andere Akteure und stellt den Beginn zur Bildung von Institutionen dar. Demokratische politische Institutionen können durch vier Strategien entstehen bzw. gebildet werden7: 1. Durch die Veränderung bestehender politischer Institutionen durch die Anwendung demokratischer Prinzipien. 2. Durch die Integration von bis zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossenen Personen oder Personengruppen in das Konzept der Staatsbürgerschaft. 3. Durch die Erweiterung auf Bereiche, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht in das demokratiepolitische Verständnis integriert waren. 4. Durch die Neugründung von für ein demokratisches System essentiellen Institutionen. 7 Vgl. Rüb, S.114f. 23 1.5.1.1. Was sind Institutionen? Rüb fasst in seinem Artikel die verschiedenen Definitionen von Institutionen wie folgt zusammen: „Institutionen sind ein relativ dauerhaftes Muster oder normatives Regelwerk sozialer Beziehungen, die als legitim angesehen werden (oder erzwungen sind) und entsprechendes Problemlösung- und Regierungspotential enthalten (…) Als normatives Regelwerk sind Institutionen auf Dauer gestellte, oft rechtlich strukturierte Verhaltensstandards, die in einer bestimmten Situation diejenigen Handlungen aus einem weiten Horizont möglicher Handlungen herausfiltern, die für sie angemessen sind.“8 Politische Institutionen sind eben dieser Verhaltensmuster, die bindende Entscheidungen und Regulative entwickeln, treffen und deren Durchführung überwachen. Dabei gibt es politische Institutionen im engeren Sinn (z.B. Verfassung, Regierung etc.), die die Basis des Systems darstellen und die notwendigen Mechanismen zur effektiven Durchführung einer Demokratie darstellen, und politische Institutionen im weiteren Sinn (z.B. Parteien, Verbände, Medien etc.). Diese Institutionen unterliegen bestimmten Standards, die den Akteuren den Spielraum vorgeben, innerhalb dessen sie ihre Aktionen tätigen können. Ebenso wird durch diese Standards auch festgelegt, dass die Institutionen ausschließlich durch die in der rechtlichen Grundlage verankerten Regeln verändert werden können. Diese Stabilität ist notwendig, um das System vor einem Rückfall in ein autoritäres Regime zu bewahren, und die Macht verteilen zu können, um Entscheidungen zu generieren. Dabei ist auch notwendig, dass diese Institutionen legitimiert sind, was bedeutet, dass sie einerseits von den Akteuren an sich erwünscht sind, und andererseits von der Zivilbevölkerung beeinflusst (durch Wahlen) werden können und dieser auch Rechenschaft schuldig sind. Neben der Voraussetzung der Legitimität, die für eine zufrieden stellende Arbeit notwendig ist, ist das zweite dafür verantwortliche Kriterium Effektivität. Das bedeutet, dass die Entscheidungen auch in den tatsächlich für sie verantwortlichen Organen transparent getroffen werden müssen.9 8 9 Zitat in: Rüb, S.116. Vgl. Rüb, S.116f. 24 Das Problem, das Institutionen haben, die legitim und effektiv sind, dass sie trotzdem nicht aus sich heraus stabil sein können. Diese Verantwortung liegt immer bei externen Kräften, die durch die Kontrolle der Einhaltung der Regeln die Stabilität der Institutionen gewährleisten. Diese externen Kräfte können sich einerseits aus dem politischen System an sich und andererseits durch Akteure, die in den Institutionen und durch sie betroffen sind, konstituieren. Die Entscheidungen, die in den Institutionen getroffen werden unterliegen der „logic of appropriateness“, was bedeutet, dass sie an die Situationen und die notwendigen Handlungen angepasst werden. Jene Entscheidungen, die über die Institutionen getroffen werden, sind nach der „logic of consequentiality“ gerichtet, von Eigeninteressen geleitet und werden von Erwartungen über die Folgen von Entscheidungen geleitet.10 Jeglicher Einfluss auf eine politische Institution, ebenso wie die Neu-Gründung hat Auswirkungen auf die Akteure, die in ihr arbeiten bzw. die Entscheidungen treffen. Das kann bedeuten, dass diese Institutionen oftmals Akteure überdauern – dies gilt für den Fall einer Transition – und neuen politischen Spielern eine Plattform bieten können, auf der sich dann neue Ideen und neue Entscheidungen strukturieren können. Sollte dabei allerdings die „logic of consequentiality“ dominieren, ist es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass diese Institutionen stabil sind bzw. eine große Legitimität oder Effektivität aufweisen werden.11 1.5.1.2. Wie werden Institutionen gebildet? Genauso schwierig und unsystematisch wie die Transition von autoritären und totalitären-kommunistischen Systemen ist die Bildung von Institutionen. Trotzdem es als allgemein gültig anzusehen ist, dass „all transitions to democracy are negotiated: some with representatives of the old regimes and some only among the pro-democratic forces seeking to form a new system. Negotiations are not always needed to constitute democratic institutions. Democracy cannot be dictated; it emerges from bargaining”12, gibt es unterschiedliche Phasen und Vorgänge, in denen Institutionen entstehen. Rüb unterscheidet in seiner Studie fünf verschiedene Modi, unter denen demokratische Institutionen entstehen können, die aneinander anschließen, sich auschließen und überschneiden können. Er stellt klar, dass sie sich nur im Rahmen der Analyse unterscheiden lassen. 10 Vgl. Rüb, S.118. Vgl. Rüb, S.118. 12 Zitat von Przeworski Adam (1991), in: Rüb, S.119. 11 25 Diese fünf Modi sind13: 1. Pakt. Das sind Vereinbarungen, die eine Aufteilung der Macht auf verschiedene Akteure vornimmt. Ebenso werden bestimmte institutionelle Rahmenbedingungen ausgeschlossen fixiert werden. und All das bestimmte festgelegte geschieht unabhängig Gruppen von der Durchführung möglicher Wahlen. 2. Kompromiss. Dabei wird die Macht geteilt, wobei ausschließlich Verfahren davon betroffen sind. 3. Demokratische Konkurrenz. Dabei wird die Demokratie als Prinzip zur Gründung von demokratischen Institutionen angewandt. 4. Kapitulation/Revolution. In diesen beiden Fällen dominiert die Neugründung von Institutionen, die allerdings Probleme beinhaltet, die bei verhandelten Institutionen nicht auftreten. 5. Sezession oder andere Formen der Staatenbildung. Dabei werden Institutionen gegründet, die alte nationale Muster durchbrechen und ein neues nationalstaatliches System mit bestimmtem Territorium fundieren. In der Folge werden die Punkte 1 und 4 etwas genauer erläutert, da sie als relevante Modi für die hier vorliegende Studie der Demokratischen Republik Kongo identifiziert werden können. Ad 1) Dieser Modus basiert auf bestimmten politischen Pakten, die durch ihren substantiellen Inhalt klar festlegen, welche politischen Themen, Institutionen und Gruppen aus der demokratischen Konkurrenz ausgeschlossen werden. Es werden zwar demokratische Institutionen gebildet. Diese stellen allerdings im gesamten System keine Änderung dar, sondern durchbrechen nur teilweise die alten Strukturen. Die Macht liegt nach wie vor bei den alten Machthabern. So gesehen ist dieser Prozess der Beginn der Veränderung des alten Systems, wobei die getroffene Übereinkunft nur so lange Gültigkeit und Stabilität hat, wie die gesamte Machtkonstellation, in der sie getroffen wurde. Auf die Veränderung der Situation wird, wenn notwendig, mit einer weiteren Inklusion oder Substitution der politischen Akteure reagiert, und die alten Pakte durch neue Pakte ersetzt.14 13 14 Vgl. Rüb, S.119f. Vgl. Rüb, S.120f. 26 Ad 4) Politischen Institutionen können auch in Situationen entstehen, die ein Machtvakuum (etwa bei Kapitulation) darstellen oder eine extreme Machtkonzentration (z.B. Revolution) darstellen. Obwohl diese beiden Situationen gegenteilige Extreme darstellen haben sie eine wichtige Gemeinsamkeit hinsichtlich von Institutionen, deren Neugründung. Im Falle einer Kapitulation etwa besteht keine Machtposition, da die alten Machthaber keine starke bzw. gar keine Verhandlungsposition haben. Dadurch existieren auch keine Interessen, auf die man Rücksicht nehmen müsste, wodurch die alten politischen Institutionen keinerlei Wichtigkeit haben und neu gegründet werden müssen. Dabei sind die Ideen und die Vorstellungen der Opposition wegweisend für die Neugründung. Das gleiche Resultat unter anderen Rahmenbedingungen existiert bei einer Revolution bzw. einem gewaltsamen Regierungssturz. Dadurch, dass alle Macht in den Händen der Revolutionäre liegt, werden die Institutionen auch nach ihren Vorstellungen und Ideen gestaltet. Dies hat in der Regel zur Folge, dass die politischen Institutionen neu gegründet werden, oder die bestehenden radikal verändert werden. In beiden Situationen ist die Notwendigkeit der Beständigkeit und der allgemeinen Akzeptanz essentiell, wodurch keine Experimente bei der Gründung der Institutionen durchgeführt werden sollten. Vielmehr werden oft bereits bestehende Muster von politischen Institutionen aus anderen Systemen kopiert, wodurch die notwendige Legitimation der Idee sichergestellt wird. Zudem wird so die Idee, in welche Richtung sich die Institution entwickeln sollte, schnell gefunden, und die politische Verantwortung für die Akteure minimiert. 15 Die Entscheidung wo und an welchem System bzw. welcher politischen Institution Anleihe genommen wird durch zwei Optionen passieren. Einerseits in der Geschichte des eigenen Landes bzw. in deren Epochen, die positiv besetzt sind. Andererseits kann man sich auf Systeme beziehen, die sich in der gleichen Art und Weise verändert haben und wie die Institutionen in diesen Systemwandeln gebildet wurden.16 Die Anleihe an den Situation und politischen Landschaften in anderen Ländern oder in der Geschichte des eigenen Landes bringt bestimmte Gefahren mit sich. Ein Problem dabei ist die mögliche Übernahme von politischen Institutionen in ein soziales, kulturelles und politisches Umfeld, das dafür nicht geeignet ist. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass die Ergebnisse nicht wie gewünscht, erhofft und 15 16 Vgl. Rüb, S.124f. Vgl. Rüb, S.125f. 27 erwartet eintreten. Wenn die Veränderung nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen, dann werden sie über einen bestimmten Zeitraum gesehen nicht angenommen und akzeptiert, wodurch eine erneute Krisensituation entstehen kann. Dieser Entwicklung ist entgegenzuwirken, indem man nur Teilelemente in die eigenen neu gegründeten Institutionen übernimmt. Dadurch werden, im günstigsten Fall, Institutionen gebildet, die eigenen Elemente beinhalten und auf den fremden Teilelementen aufbauen. Eine weitere Gefahr sind eventuelle Veränderungen, die zu schnelle und fundamentale institutionelle Reformen mit sich bringen. Dabei können die in diesen Institutionen arbeitenden Personen überfordert werden, wodurch ihre Erwartungen enttäuscht werden und ihr Vertrauen erschüttert wird. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Verantwortlichen sich in einer ähnlichen Situation sehen. Durch diese doppelte Unsicherheit wird die Legitimität der neuen Institution erheblich vermindert. Der dritte Punkt ist die Gefahr, dass die neuen Eliten in einem Machtvakuum die Situation ausnützen, dass es noch keine ausgebildeten und klaren Interessen gibt. Dadurch können sie leicht das Gefühl haben, dass sie freie Hand haben und ihre eigenen Interessen durch die neuen Institutionen auf die Bevölkerung wirken lassen, wodurch diese ihre Aufgaben und ihren Zweck verfehlen. Zudem sind sie nicht ausreichend legitimiert und haben keine ausreichende problemspezifische Lösungskompetenz.17 1.5.1.3. Wie demokratisch sind diese Institutionen? Die Analyse hinsichtlich der effektiven und legitimen Arbeit von politischen Institutionen, die nach den hier beschriebenen Kriterien gebildet wurden bzw. sich entwickelt haben muss man auf durch die Aufteilung zwischen Regime und Staat durchführen. Ein Regime reguliert den Zugang zur politischen Macht und die Interaktion bzw. Behandlung der Machtlosen durch die Machtinhaber. Dabei kann es institutionalisiert sein oder nicht. Ein Staat stellt demgegenüber mehr eine stabilere Form von Herrschaft dar. Diese ist die Basis für eine soziale Beziehung zur Gesellschaft und ist für deren Verwaltung, Kontrolle und die Verteilung der Ressourcen verantwortlich. Wichtig ist diese Unterscheidung deshalb, weil entstehende demokratische Regime auch mit autoritären Mitteln arbeiten können. 17 Vgl. Rüb, S.126f. 28 Aus dieser Unterscheidung ergeben sich vier Kombinationen zwischen Regime und Staat, die sich durch deren Grad an Effektivität und Legitimität feststellen lassen18. 1. Normative politische Organisationen. Diese existieren dann, wenn alle Merkmale einer Demokratie vollständig ausgebildet sind. Diese Institutionen haben nicht nur rechtliche sondern auch faktische Gültigkeit. Die Regeln und Methoden zur Konfliktlösung sind allgemein anerkannt und akzeptiert. In dieser Kombination besteht eine hohe Legitimität und eine hohe Effektivität. 2. Nominelle politische Institutionen. In diesem Fall gelten zwar rechtlich alle demokratischen Prinzipien, diese lassen sich allerdings realpolitisch nicht umsetzen. Es existieren demokratisch gebildete Institutionen, die mit demokratisch gewählten Vertretern besetzt sind. Diese haben jedoch keine Möglichkeit ihre Arbeit effektiv durchzuführen, da sie keine ausreichenden Problemlösungskapazitäten haben. Diese Systeme sind vielfach durch informelle Kanäle geprägt. Hier ist die Legitimität hoch aber die Effektivität sehr gering. 3. Nominative politische Institutionen. Diese Kombination kennzeichnet sich durch ihre Entstehung durch einen demokratischen Prozess. Sobald die Macht allerdings verteilt ist, ändern die Machthaber ihre Position und nutzen ihre Möglichkeiten zur Durchführung der eigenen Interessen. Die politische Landschaft und die Methoden werden sehr exklusiv und nicht wirklich transparent. Die Arbeitsfähigkeit dieser Kombination bleibt allerdings erhalten, wodurch allerdings nicht automatisch im Sinne der Gesellschaft gehandelt wird. In diesem Fall ist die Legitimität sehr niedrig aber die Effektivität sehr hoch. 4. Nomadische politische Institutionen. In diesem Gefüge dominiert der Opportunismus bei der Gründung von Institutionen ebenso wie bei deren Auflösung. Es ist gekennzeichnet von instabilen Regierungen und oftmaligen opportunistischen Wechseln von politischen Koalitionen. Hier ist weder die Effektivität noch die Legitimität sehr hoch. 18 Vgl. Rüb, S.128ff. 29 1.5.2.Verschiedene Definitionen von Macht In Transitionssystemen, wie in den nachfolgenden Institutionen und in der Minderheitenfrage spielt die Kategorie Macht eine sehr entscheidende Rolle. Im Laufe der Geschichte der Forschung der Internationalen Politik gab es sehr viele verschiedene Theorien und Definitionen was Macht ist. Im Folgenden werden die wichtigsten Definitionen dargestellt, wobei allerdings nicht ausführlich auf die gesamte Theorie eingegangen wird, die hinter den einzelnen Theorien stecken, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und nicht den Hauptinhalt bzw. das Ziel dieser Studie darstellt. 1.5.2.1.Ausgewählte Definitionen von Macht Der Begriff Macht an sich ist eine soziale Beziehung, deren Auswirkungen, Ursprung und Funktion nur schwer zu definieren ist. In der Geschichte der Geisteswissenschaften wurde vielfach versucht, eine allgemein gültige Definition des Begriffs Macht zu finden. Allerdings ist in den vielen Versuchen der Begriff Macht beinahe ausschließlich in Kombination mit anderen Variablen zu verwenden bzw. muss in solch einem Gebilde verstanden werden. Im Realismus, der bereits in der griechischen Philosophie bei Thukydides (460-400 v.Chr.) Geschichte des Peloponnesischen Krieges seinen Ursprung hatte, wird Macht das erste Mal als konstituierender und regulierender Faktor der Politik angesehen. Einige wichtige realistische Denker sind Niccoló Machiavelli, Thomas Hobbes, Friedrich Nietzsche und Max Weber.19 19 Vgl. Jacobs, Andreas (2003). Realismus, in: Schieder, Siegfried, Spindler, Manuela (Hrsg.) (2003). Theorien der Internationalen Beziehungen, Leske + Budrich, Opladen, S.36. 30 1.5.2.1.1.Machtbegriff von Max Weber Eine der bekanntesten Definitionen ist die von Max Weber, der den Machtbegriff der klassischen Soziologie einführt hat: „Macht ist jede Chance, in einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, woraus diese Chance besteht.“20 Weber sieht Macht auch als soziologisch amorph an, was bedeutet, dass sie formlos und nicht greifbar ist. „Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegeben Macht durchzusetzen.“21 Für Weber ist auch Herrschaft eine entscheidende Variable. Herrschaft stellt für ihn eine spezielle Form von Macht dar. Er anerkennt, dass es noch weitere Formen gibt, konzentriert sich in seinen Studien allerdings auf den Herrschaftsbegriff. „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden.“22 Ein essentieller Faktor für die Macht bei Weber ist die Legitimität der Herrschaft, wobei sich je nach der Form der Legitimität die Form des Gehorsams, der sich sowohl freiwillig wie auch unfreiwillig äußern kann, bestimmen lässt. Diese beiden Formen stellen auch die beiden Pole in Webers Definition von Gehorsam dar.23 Weber unterscheidet schließlich drei reine Typen legitimer Herrschaft24: 1. rationalen Charakters: Glaube an die Legalität gesatzter Ordnungen und des Ausweisungsrechtes der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen 20 Zitat Weber, Max (1990). Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Mohr, Tübingen, S.28. 21 Zitat Max Weber, S.28. 22 Zitat Max Weber, S.28. 23 Vgl. Treutler, Michael. Macht, http://gonzo.uni-weimar.de/~weber10/t-u-w/dokus/alpha/html/macht.htm 24 Vgl. Weber, S.122ff. 31 2. traditionalen Charakters: Alltagsglaube an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autonomität Berufenen (Personen) (ständisch) 3. charismatischen Charakters: außeralltägliche Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person (‘Führer’)und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen 1.5.2.1.2.Macht bei Hannah Arendt Bei Hannah Arendt, einer bedeutenden politischen Theoretikerin des 20.Jahrhunderts, spielt neben Macht vor allem der Begriff Gewalt eine wichtige Rolle. Wobei es entscheidend ist, dass Macht das Ziel ist, zu deren Erreichen es ein geeignetes Mittel braucht. Durch die rasante technische Entwicklung sieht Arendt die Mittel als bedeutender an als die Zwecke.25 „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln. Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur solange existent, als die Gruppe zusammenhält“26 Für Arendt treten Gewalt und Macht zusammen auf und sind unterschiedlichen Konstellationen zu beobachten. Allerdings ist die Gewalt dabei nur in Ausnahmefällen die dominierende Komponente, da die Herrschaft jeglicher Form über eine Machtbasis verfügen muss, die sich nicht nur auf Gewalt stützen kann.27 Als spezielle Form der Macht sieht sie die Staatsmacht an. So beschreibt sie das Phänomen der Revolution, die durch den Gewaltausbruch aufgrund des Ziels des Erreichens des Machtverlustes entsteht, wie folgt: „Wo Gewalt der Gewalt gegenübersteht hat sich noch immer die Staatsgewalt als Sieger erwiesen“28. Dies ist aber nur dann gültig, wenn die Organe der Staatsmacht dieser gehorchen. Sie sieht auch die Notwendigkeit und allgemeine Präsenz von Macht in jedem Gemeinschaftssystem, wogegen Macht keinen solchen allgemeinen Gültigkeitsanspruch stellen kann. Aus diesem Grund benötigt Macht, laut Arendt auch keine Rechtfertigung. Sie ist etwas Absolutes und 25 Vgl. Arendt Hannah (2003). Macht und Gewalt, TB, München, Zürich, S.41. Zitat Hannah Arendt, S.45. 27 Vgl. Arendt, S.51. 28 Zitat Hannah Arendt, S.49 26 32 ein „Selbstzweck“, der seine Legitimität in der Vergangenheit und seine Rechtfertigung in den Zielen, die in der Zukunft erreicht werden wollen, zu finden. Macht hingegen muss gerechtfertigt werden, was, laut Arendt, möglich ist, jedoch spricht sie der Gewalt jede Möglichkeit der Legitimität ab.29 1.5.2.1.3.Macht bei Susan Strange Im Gegensatz zum relationalen Machtbegriff, der bei Weber und den Realisten vorherrscht und einem Akteur A die Fähigkeit zuspricht, dem Akteur B, auch gegen dessen Willen, seinen Willen aufzuzwingen bzw. seine eigenen Interessen durchzusetzen. Strange prägt den strukturellen Ansatz, da sie sehr viele Faktoren in die diese Interessensdurchsetzung einfließen lässt. Einerseits ist Macht von diversen Strukturveränderungen abhängig und andererseits wird sie von Verhandlungsformen auf verschiedenen Eben geprägt. In ihrer Definition ist nicht der Einfluss auf die territoriale Ebene oder auf die Menschen entscheidend, sondern die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Struktur und deren Veränderungen. Zudem ist strukturelle Macht in verschiedenen miteinander verbundenen strukturellen Ebenen – wie etwa Finanzstruktur, Wissensstruktur, Produktionsstruktur etc. – zu finden. Sie anerkennt dabei die relationale Macht, sieht sie aber als zu vernachlässigen an.30 „Power is simply the ability of a person or group of persons to affect outcomes that their preferences take precedence over the preference of others.“31 1.6. Allgemeines zur Methode Die Arbeit folgt einem bestimmten Aufbau. Die Basis liefert eine Analyse der Situation im Bereich Minderheitenschutz und die bisherigen Versuche der Definition von Minderheiten. Auf dieser Basis wird dann ein Land, das sich in einem politischen Umbruch bzw. Neuaufbau befindet allgemein hinsichtlich seiner politischen Landschaft untersucht. Dabei werden die Machtinhaber und die Probleme dargestellt. Aufbauend darauf wird eine policy-Analyse betrieben, die sich speziell 29 Vgl. Arendt, S.52ff. Vgl. Bieling, Hans-Jürgen (2003). Internationale Politische Ökonomie, in: Schieder, Siegfried, Spindler, Manuela (Hrsg.) (2003). Theorien der Internationalen Beziehungen, Leske + Budrich, Opladen, S.368ff. 31 Zitat Strange, in: Bieling, S.239. 30 33 auf die Minderheitendefinition und deren Schutz in der Verfassung konzentriert. Schließlich wird nicht anhand eines Fallbeispiels die Problematik des Minderheitenschutzes ebenso wie die Probleme bei denen angesetzt werden muss untersucht. Die Studie ist auf den deskriptiv-analytischen Ansatz der wissenschaftlichen Forschung aufgebaut. Dabei basiert die Arbeit primär auf Literaturrecherche von Originaltexten und Kommentaren sowie Analysen von Situationen. Dazu wurden Zeitungen, Zeitschriften und Bücher ebenso verwendet, wie Verfassungstexte und Originaldokumente diverser Organisationen oder Regierungen. Da die Forschung vor Ort aufgrund der sicherheitspolitischen Lage und vergeblichen Versuchen der Kontaktaufnahme mit Personen in der DRC nicht möglich war, stützt sich die Argumentation teilweise auf Sekundärinformationen. Es wurden auch Gespräche mit Einwohnern des Kongo geführt, die allerdings keinen Interviewcharakter hatten und als Erfahrungsberichte und zur Absicherung diverser Informationen dienten. Dabei handelte es sich um informelle Gespräche. Informationen, die in diesen Gesprächen oder aus in diversen Quellen unterschiedlich beschrieben werden, wurden nachgeprüft. Sollte durch diese Nachprüfung auch kein eindeutiges Ergebnis erzielt werden, die Informationen vom Autor allerdings für essentiell erachtet werden, werden sie angeführt; die Differenzen in den Informationsquellen allerdings in den Fußnoten angeführt. 34 2. Minderheitendefintion und Minderheitenschutz 2.1.Definition des Minderheitenbegriffs Die Festlegung der Rechte von Minderheiten bzw. Personen, die Minderheiten angehören, ist historisch betrachtet einfacher durchzuführen gewesen als eine genaue und allgemein gültige Definition der Minderheiten an sich. In beinahe jeder Phase der Entwicklung des Minderheitenschutzes kam es zu unterschiedlichen Auffassungen, wie und durch welche Merkmale sich eine Minderheit definiert. Neben den sich unterscheidenden Definitionsversuchen kam auch noch die Schwierigkeit der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu tragen. Je nachdem welcher Studienrichtung ein Forscher angehört, wird der Begriff Minderheit aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Bis heute ist es nicht wirklich gelungen eine absolute Definition des Minderheitenbegriffs zu finden. Allerdings gibt es einige Versuche und dabei mehr oder weniger offiziell anerkannte Begriffsbestimmungen.32 2.1.1.Herkunft und Wortsinn Etymologisch analysiert leitet sich der Begriff Minderheit von dem Wort „minder“ her. „Minder“ ist ein germanischer Ausdruck, der eng mit den lateinischen Begriffen „minus“, „minor“ und „minimus“ verwandt ist und leitet sich ursprünglich aus dem Mittelhochdeutschen von „minre“ und „minner“ ab. Die Bedeutung dieser Worte wird heute mit dem Begriff weniger beschrieben.33 Der Ausdruck Minderheit trat im deutschen Sprachraum erstmals 1809 als Übersetzung aus dem Französischen in Erscheinung. Minderheit ist somit eine Übersetzung des Fremdwortes „minorité“ bzw. „Minorität“, das durch die Französische Revolution im deutschen Sprachraum Verwendung fand.34 Minderheit bedeutet auch Minderzahl was unweigerlich mit Mehrheit bzw. Mehrzahl zusammenhängt. Damit wird die Voraussetzung für das Bestehen einer Minderheit deutlich. Nur wenn es eine „größeren Teil einer bestimmten Anzahl von Personen“, 32 Vgl. Eglin, Dieter (1996). Demokratie und Minderheiten – unter Berücksichtigung der Demokratie als Lebensform, der materiellen Schranken von Verfassungsrecht und Diskurstheorie, Peter Lang AG, Berlin, Bern, Frankfurt, New York, Paris, Wien, S.138. 33 Vgl. Krugmann, Michael (2004). Das Recht der Minderheiten. Legitimation und Grenzen des Minderheitenschutzes, Duncker & Humblot, Berlin, S.56. 34 Vgl. Eglin, S.138. 35 respektive eine Mehrheit gibt, kann es auch eine Minderzahl bzw. Minderheit geben. Um diese Bestimmung durchführen zu können, ist eine Definition der Gesamtmenge von Nöten, damit durch eine Abzählung bei bestimmten Verfahrensweisen, wie z.B. eine Wahl, eine Mehrheit bzw. eine Minderheit bestimmt werden können.35 2.1.2. Die Definition des Minderheitenbegriffs bis zur Französischen Revolution Bis zum 18.Jahrhundert waren beinahe ausschließlich religiöse Minderheiten gemeint, wenn dieses Thema diskutiert wurde. Das Römische Reich hatte innerhalb der eigenen Grenzen eine schwierige Aufgabe zu lösen, da es auf einer sehr heterogenen Gesellschaft basierte. Den Schwierigkeiten wurden versucht mit Hilfe einer toleranten Religion sowie einer gemeinsamen Sprache beizukommen. Allerdings behielten die ethnischen, religiösen und sprachlichen Gruppen, die durch die Eroberungen Teil des Reiches wurden, trotz der Assimilationspolitik ihre jeweiligen Eigenheiten. Bis zum Mittelalter gab es immer wieder Gruppen, die zwar in sich eine Gemeinschaft bildeten, aber sich an die größere Bevölkerung, derer sie Teil waren, durch Sprache und Religion anzupassen versuchten. Die Überlieferungen innerhalb dieser Gruppen sowie die mangelnde Möglichkeit permanenter Kontrollen der Obrigkeit bewahrten diese Gemeinschaften vor dem Aussterben. Im Mittelalter spielten hauptsächlich religiöse Minderheiten eine Rolle, die sich gegen das Christentum auflehnten. Andere Arten von Minderheiten waren damals nicht Thema, da zwar in den meisten europäischen Ländern unterschiedliche ethnische Gruppen zusammen lebten, der Begriff allerdings damals ebenso wenig bekannt war, wie der Ausdruck Nation. Zudem konnte man kein einheitliches Rechtssystem anbieten. Das System basiert auf Abhängigkeit und Gehorsam, wodurch nicht alle Menschen die gleiche Position hatten, und die Rechte der einzelnen Gruppen von der Toleranz der Autorität der jeweiligen Region abhing. Diese Unterschiede waren von Region zu Region sehr verschieden, da eine Dezentralisierung der Macht vorherrschte, die es den jeweiligen Herrschaftsbereichen ermöglichte, eigene Traditionen und Gewohnheiten beizubehalten.36 Beim Augsburger Religionsfrieden vom 25.September 1555 kam es schließlich zur Anerkennung der protestantischen Religion, was jedoch nicht gleichbedeutend mit 35 Vgl. Krugmann, S.56f. Vgl. Gornig, Gilbert (2001) in: Blumenwitz, Dieter, Gornig, Gilber, Murswiek, Dietrich (Hrsg.) (2001). Ein Jahrhundert Minderheiten- und Volksgruppenschutz, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, S.21. 36 36 einer rechtlichen Gleichstellung war. Die Religion wurde nach wie vor noch von dem verantwortlichen Landesherrn gewählt bzw. bestimmt, nur die höheren Stände konnten ihre Religion frei wählen. Diejenigen Untertanen, die sich der Religion nicht anschließen wollten, konnten ungehindert auswandern. Der Augsburger Religionsfriede wurde im Vertragswerk des Westfälischen Frieden noch einmal bestätigt und festgeschrieben. Zu einem ähnlichen Edikt kam es in Nantes 1598, wodurch die Hugenotten Anerkennung fanden.37 Zusammenfassend kann man festhalten, dass im Mittelalter und der frühen Neuzeit die Bevölkerung aus verschiedenen Völkergruppen bestand, die nebeneinander lebten. Dabei spielten weniger die ethnischen Wurzeln eine Rolle als die religiösen Anschauungen der Menschen. Diese führten immer wieder zu Konflikten. Von einer Definition eines Minderheitenbegriffs kann jedoch keine Rede sein. 2.2. Die Entstehung des Modernen Minderheitenbegriffs Die Französische Revolution veränderte die gesellschaftliche Organisation und brachte neue Konzepte der staatlichen und sozialen Ordnung mit sich. Durch die Machtverlagerung – weg vom König auf das Volk – wurde der einzelne Bürger wichtiger für die Gesellschaft und erlangte entscheidenden Einfluss auf das ganze System. Jeder Mensch innerhalb des Staates hatte dieselben Rechte und Pflichten, und man war darauf bedacht, jede mögliche Bedrohung für das einheitliche System zu verhindern. Somit waren Minderheiten speziell in Frankreich nicht mehr anerkannt, was auch in der französischen Deklaration des Menschen und Bürgers38 festgehalten wurde. Durch diese Erklärung wurde die Ungleichheit zwischen den einzelnen Menschen und Gruppen praktisch aufgehoben.39 Zur damaligen Zeit war die Situation für Minderheiten nicht einfach, da sie sich durch die neue Idee der Nation und des einheitlichen Staates bzw. des einheitlichen Volkes nicht entfalten konnten. Diese Idee des gemeinsamen Ganzen in Form eines Staatsvolks führte schließlich soweit, dass verschiedene Staatstheoretiker sogar die Verfolgung von Minderheiten forderten, um jeglichen Partikularismus zu verhindern. 37 Vgl. Gornig, S.22f, sowie weiter oben. Erklärt am 26.August 1789. (Anm. d. Autors) 39 Vgl. Gornig, S.23. 38 37 Wenn diese Konzeptionen erfolgreich gewesen wären, hätten sie vielleicht zum Aussterben von Minderheiten geführt. Dass dies nicht der Fall ist, liegt an der Tatsache, dass sich die Staatsgrenzen nicht immer mit dem Staatsvolk decken mussten. So gab es auch Gruppen, die sich über die Grenzen ihres eigenen Staates hinaus entfalteten. Zusätzlich waren die Nationalstaatskonzepte teilweise zu abstrakt, um die Situation der Minderheiten so stark beeinflussen zu können.40 2.2.1. Definition von Minderheiten bis zum Zweiten Weltkrieg Im 19. und zu Minderheitenschutz Beginn in des 20.Jahrhundert zwischenstaatlichen wurden Verträgen Regelungen festgelegt41 In zum diesen Verträgen gab es allerdings im Regelfall keine Minderheitendefinition, da es sich bei den in den jeweiligen Abkommen behandelten Menschen um spezifische Gruppen handelte. Obwohl man zwischen drei Minderheitengruppen unterschied – sprachliche, ethnische, religiöse –, wurden lediglich zwei davon als in den Verträgen zu schützende eingestuft – die ethnischen und religiösen Minderheiten. Trotz dieser Einteilung wurden die Minderheiten bzw. der Begriff nicht genau definiert.42 1.6.2.2.Der Minderheitenbegriff in der Zwischenkriegszeit In die Entscheidungsfindung dieser Verfahren bezüglich der eingereichten Petitionen war auch der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) in Den Haag eingebunden, da er zu dieser Zeit das juristische Organ des Völkerbundes darstellte. Dazu fällte er mehrere Rechtsgutachten, unter anderem eines, in dem es um wechselseitige Auswanderung respektive die Frage der Gemeinschaften ging. Da dieses Gutachten jedoch dem Minderheitenschutz zugeordnet wurde, setzte der StIGH den Begriff „Gemeinschaften“ durch den Begriff „Minderheiten“ gleich und definierte sie als: „By tradition…the ´community´ is a group of persons living in a given country or locality, having a race, religion, language and traditions of their own and united by this identity of race, religion, language and traditions in a sentiment of solidarity, with a view to preserving their traditions, maintaining their form of worship, ensuring the instruction and 40 Vgl. Gornig, S.23f. Vgl. weiter unten 42 Vgl. Gronig, S.24f. 41 38 upbringing of their children in accordance with the spirit and traditions of their race and rendering mutual assistance to each other.“43 Diese spezielle Definition bezog sich nur auf die Situation zwischen Griechenland und Bulgarien, in deren Zusammenhang das oben erwähnte Gutachten beschlossen wurde. Da sich allerdings diese Entscheidung explizit auf die Gesamtheit des Minderheitenschutzes bezog, ist davon auszugehen, dass diese Definition auch auf andere Entscheidungen im Bereich Minderheitenschutz Anwendung fand. Diese Annahme wird dadurch unterstützt, dass die Definition auch zu späteren Bestimmungen des Begriffs Minderheit herangezogen wurde.44 Wichtig und bei dieser Definition zu beachten ist die erstmalige Verwendung von verschiedenen Kriterien. So sind auf der einen Seite die vier objektiven Kriterien, Rasse, Religion, Sprache und Tradition und andererseits das subjektive Kriterium, das Solidaritätsgefühl der Angehörigen charakteristisch für eine Minderheit. Allerdings betonte der StIGH, dass diese Definition keinen juristischen Gehalt habe.45 2.2.3.Definitionen von Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg Das allgemeine Völkerrecht sowie die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es Minderheiten nationaler, sprachlicher, ethnischer und religiöser Natur gibt. Eine Definition des Begriffs Minderheit existiert jedoch weder im allgemeinen Völkerrecht noch in der Satzung der Vereinten Nationen. Während die UNO in ihren Arbeiten immer wieder ohne eine Definition des Begriffs Minderheit oder Gruppe auskam, findet man im partikulären Völkerrecht wiederholt Erklärungen oder Festlegungen der Bedeutung der genannten Begriffe. Trotzdem bestanden seitens der Vereinten Nationen Bemühungen, doch eine Definition formulieren zu können. Die größte Schwierigkeit dabei stellte die allgemeine Anerkennung durch die Vielzahl der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dar.46 43 Entscheidung des StIGH VII (1929/30); Zitat in: Thornberry, Patrick (1997). The UN Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities: Background, Analysis, Observations, and an Update; in: Phillips, Alan, Rosas, Allan (Hrsg.) (1997). Universal Minority Rights, Åbo Akademis tryckeri, Åbo, S.16-17. 44 Vgl. Scherer-Leydecker, Christian (1997). Minderheiten und sonstige ethnische Gruppen. Eine Studie zur kulturellen Identität im Völkerrecht, Berlin Verlag A. Spitz GmbH, Berlin, S.41f. 45 Vgl. Gornig, S.27. 46 Vgl. Ermacora, Felix (1988). Der Minderheitenschutz im Rahmen der Vereinten Nationen, Wilhelm Braumüller Universitäts-Verlagbuchhandlung GmbH, Wien, S.39. 39 Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Arbeit an dem Aufbau einer Organisation, die ein System Kollektiver Sicherheit darstellen sollte, im Vordergrund. Im Rahmen der Gründung der Vereinten Nationen sollte auch die Allgemeine Menschenrechtserklärung (AMRE) beschlossen werden. In den Vorarbeiten zu dieser kam es auch zu Versuchen einer Definition von Minderheiten. Der erste Vorschlag einer Minderheitenschutzbestimmung enthielt folgende Definition von Minderheit: „In States inhabited by a substantial number of persons of a race, language or religion other than those of the majority of the population…”47 Diese Definition wurde von der Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und zum Schutz der Minderheiten, als diese zu den Arbeiten hinzugezogen wurde, wieder aufgegriffen und etwas modifiziert. Ihr Vorschlag lautete: „well defined ethnic, linguistic or religious groups which are clearly distinguished from the rest of the population, and which want to be accorded differential treatment.“48 An dieser Definition wurden immer wieder kleine Korrekturen vorgenommen. Man kann nicht von einer allgemein anerkannten Definition sprechen, da viele Staaten sich nicht auf eine gemeinsame Begriffsbestimmung einigen konnten. Es gab trotz der AMRE keine einheitliche Bestimmung zum Minderheitenschutz. Verschiedene weitere Vorschläge konnten ebenso nicht verabschiedet werden, da sich die Mehrheit der Länder dagegen aussprach. Dadurch beschloss man, sich mit der Definition der Minderheiten zu beschäftigen. Zu diesem Thema wurde 1950 in der Unterkommission eine Resolution „on definition of minorities for purposes of protection by the United Nations“ verabschiedet. Nach einer nochmaligen Änderung in einer weiteren Tagung enthielt die Resolution folgende Fassung eines Minderheitenbegriffs: „… Recognizing that there are among nationals of many states distinctive groups, usually known as minorities, possessing ethnic, religious, or linguistic traditions or characteristics different from 47 48 Zitat in: Scherer-Leydecker, S.48. Zitat in: Scherer-Leydecker, S.49. 40 those of the rest of the population, and that among these are groups that need to be protected by special measures, national and international, so that they can preserve and develop the traditions of characteristics in question;…“49 Diese Auslegung hatte einige Jahre Bestand und wurde vereinzelt als allgemein gültige Definition angesehen. Allerdings, da die HRC das Mitgliedstaatenspektrum nicht repräsentierte und auch keines der anderen Gremien diese Definition akzeptiert hatte, kann man dieser Auffassung nicht folgen. Diese Resolution kann lediglich als Auslegung von Experten gesehen werden, die in der Unterkommission als Mitglieder tätig waren, galt jedoch nicht als allgemein anerkannte Begriffsdefinition.50 Von diesen vielen, während des Völkerbundes und den Arbeiten zur Vorbereitung des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) entstandenen, Definitionen wurde schließlich keine im Artikel 27, der sich mit dem Minderheitenschutz beschäftigt, verankert. Der Minderheitenbegriff wurde offen gelassen bzw. zur freien Interpretation freigegeben. Durch die Formulierung des Artikels ist anzunehmen, dass keine Legaldefinition innerhalb des IPBPR beabsichtigt war.51 Eine Wiederbelebung der Arbeit im Bereich Minderheitenschutz erfuhren die Vereinten Nationen, als die Unterkommission 1969 in einer Resolution von der HRC und des ECOSOC ermächtigt wird, einen Sonderberichterstatter einzusetzen. Die Unterkommission entschied sich daraufhin in einer Abstimmung für den italienischen Juraprofessor Francesco Capotorti zum Spezialberichterstatter. Dieser wurde beauftragt, eine Studie zu erstellen, die vor allem auf eine Definition des Minderheitenbegriffs abzielte und die Stellung von ethnischen, religiösen und sprachlichen Gruppen in den verschiedenen Gesellschaften analysieren sollte. Seine 1977 abgeschlossene Arbeit, die den Titel „Study on the rights of persons belonging to ethnic, religious and linguistic minorities” trägt, wurde der Unterkommission vorgelegt und trägt folgende Definition des Minderheitenbegriffs: „A minority is a group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a non-dominant position, whose members – being nationals of the State – possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and 49 Zitat in: Scherer-Leydecker, S.72. Vgl. Gornig, S.27ff. 51 Vgl. Krugmann, S.57f. 50 41 show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language.”52 Zusätzlich zu dieser Definition empfahl Capotorti, eine Erklärung hinsichtlich eines allgemeinen Minderheitenschutzes auszuarbeiten, um die im IPBPR festgehaltenen Rechte für Minderheiten für die Vertragsstaaten, die den Pakt unterzeichnet hatten, zu konkretisieren. Die Unterkommission griff diesen Vorschlag auf und empfahl der HRC, eine Deklaration über die Minderheitenrechte basierend auf Artikel 27 des IPBPR zu verfassen.53 2.2.4.Charakteristika des Minderheitenbegriffs von Capotorti Der Minderheitenbegriff von Francesco Capotorti wurde zwar noch weiterentwickelt und verfeinert54, gilt jedoch als der am weitesten verbreitete und kommt dem, was man als allgemeine Definition bezeichnen kann wahrscheinlich am nächsten. Diese Bestimmung enthält fünf wichtige Merkmale, die eine Minderheit kennzeichnen: zahlenmäßige Unterlegenheit, die nicht herrschende Stellung, die Existenz von ethnischen, religiösen oder sonstigen Unterschieden im Vergleich zum Mehrheitsvolk, ein Solidaritätsgefühl in Bezug auf Kultur, Tradition oder Sprache und die Staatsbürgerschaft.55 1.) Zahlenmäßige Unterlegenheit Hinsichtlich dieses Merkmals untersucht man eine bestimmte Personengruppe auf zwei Ebenen. Einerseits passiert die Analyse auf der Ebene des Gesamtstaates, und andererseits wird die regionale Situation untersucht. Dabei ist das Verhältnis der Gruppe zur Gesamtzahl des ganzen Staates entscheidend. Es besteht die Möglichkeit, dass die potentielle Minderheit in einer bestimmten Region durchaus die Mehrheit der dort lebenden Bevölkerung darstellt. Somit ist die Anzahl der Personen 52 Zitat Capotorti in: U.a. Scherer-Leydecker, S:78; Gornig, S.29, Fußnote 45; Ermacora, S.43. Vgl. Scherer-Leydecker, S:77f. 54 Siehe Kapitel Minderheitendefinition von Felix Ermacora. (Anm. d. Autors) 55 Vgl. Röper, Matthias (1993). Das Problem der Definition des Begriffes Minderheit, in: Gabriel, Ingeborg (Hrsg.) (1993). Minderheiten und die nationale Frage. Die Entwicklung in Mittel- und Südosteuropa im Lichte der katholischen Soziallehre, Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien, S.81f. 53 42 nur hinsichtlich der Gesamtzahl der Bevölkerung eines Staates wichtig für die Bestimmung dieses Kriteriums.56 Eine höchst umstrittene Frage in Bezug auf die numerische Unterlegenheit ist die Diskussion um die Möglichkeit eines partiellen Minderheitenstatus. Dabei wird diskutiert, ob die Möglichkeit besteht, dass ein Teil einer Mehrheit in bestimmten Gebieten als Minderheit gesehen werden kann. In der Forschung besteht vielfach die Auffassung, dass die Zielvorstellungen des Minderheitenschutzes, wie z.B. die Erhaltung der Minderheitenidentität in Fällen von regionalen Minderheiten nicht wirklich wichtig, und diese somit nicht als Minderheiten einzustufen sind.57 Als Gegenargument dazu wird angeführt, dass es immer wieder zu Assimilationsdruck von regionalen Mehrheiten gegenüber Minderheiten kommt. Dies trifft speziell dann zu, wenn die Mehrheiten auch eine starke Regierungsposition haben. Um solche regionalen Minderheiten durch Minderheitenschutz im engeren respektive nationalen Rahmen schützen zu können, erscheint die Aufnahme solcher Minderheiten in den „Minderheitenbegriff“ logisch. Allerdings besteht nach wie vor keine einheitliche Meinung zu diesem Thema.58 Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob eine Minderheit eine gewisse Mindestzahl haben sollte oder nicht. Dabei steht vor allem die Überlegung im Vordergrund, ob bestimmten Gruppen ein Minderheitenschutz erst zu Gute kommen sollte, wenn sie ausreichend repräsentiert wäre. Um dies feststellen zu können, müsste eine bestimmte Untergrenze an Personen festgelegt werden. Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines prozentualen Anteils an der Gesamtbevölkerung. Als Gegenargument hiezu wird angeführt, dass es doch primär um den Schutz der Minderheit an sich geht und es deshalb keine Beschränkung auf einen Personenkreis geben darf, der eine bestimmte Zahl an Personen umfasst. Man müsste die Gruppe – unabhängig, wie viele Personen sie umfasst – an sich auf ihre Schutzbedürftigkeit untersuchen. Dieses müsste allerdings nach anderen Kriterien geschehen und nicht nach der zahlenmäßigen Unterlegenheit. Somit ist die Entscheidung von Fall zu Fall zu treffen.59 Der Begriff Minderheit kann auch auf mehrere Minderheiten, die in einem Staat nebeneinander leben, angewandt werden. Dadurch ist nicht die klassische Situation 56 Vgl. Krugmann, S.63. Vgl. Niewerth, Johannes (1996). Der kollektive und der positive Schutz von Minderheiten und ihre Durchsetzung im Völkerrecht, Duncker & Humblot GmbH, Berlin, S.32f. 58 Vgl. Niewerth, S.33. 59 Vgl. Krugmann, S.64f. 57 43 entscheidend, in der eine große Mehrheit einer einzigen Minderheit gegenübersteht.60 Schließlich ist die generelle Frage zu stellen, in wie weit dieses Kriterium Gültigkeit hat? Wenn man Beispiele heranzieht, wie etwa die schwarze Mehrheit in diversen afrikanischen Staaten, ist eine Minderzahl kein bedeutendes Kriterium für einen Minderheitenstatus.61 Kritik des Autors Wie auch schon in der Erklärung angeführt gibt es zu viele Beispiele für Länder oder Konstellationen in Staaten in denen der größere Bevölkerungsteil nicht die Machtposition innehat. Aus diesem Grund wird deutlich, dass die geringere Zahl ein nicht entscheidendes Merkmal zur Bestimmung einer Minderheit ist. Zudem gibt es eine Unmenge an Minderheiten, die als solche anerkannt sind, aber eine größere Zahl haben als andere Gruppen desselben Landes. Würde es nun nach diesem Kriterium gehen, so würde diese Minderheit den anderen Gruppen gegenüber eine Mehrheit darstellen. So ist dem grundsätzlich zuzustimmen, dass eine geringere Zahl an Mitgliedern eine Minderheit darstellt, diese aber lediglich im mathematischen Sinn und nicht zwangsläufig als Minderheit, wie sie in dieser Studie definiert wird.62 2.) Keine herrschende Stellung In Zusammenhang mit diesem Kriterium ist Auffassung bzw. Verwendung des Begriffs Herrschaft in mehrerer Hinsicht problematisch. Ein wichtiger Faktor ist die Legitimation der Herrschaft innerhalb eines Staates. In Demokratien – so wird in der Theorie vorausgesetzt – gibt es dieses Problem nicht, da die Angehörigen des Volkes zugleich Herrscher und Beherrschte sind. In nicht-demokratischen Gesellschaften ist die Legitimation nicht von beiden Seiten gewährleistet, wodurch die Staatsform nicht zur Definition des Minderheitenbegriffs herangezogen werden kann.63 60 Vgl. Niewerth, S.34. Vgl. Krugmann, S:65. 62 Vgl. Minderheitendefinition im Schlussteil. (Anm. d. Autors) 63 Vgl. Krugmann, S,66. 61 44 Wenn man davon ausgeht, dass in einer Demokratie das Verhältnis zwischen dem herrschenden Teil und dem beherrschten Teil idealtypisch gelöst ist, fallen unter den hier zu erklärenden Minderheitenbegriff nur Personen, die keine Staatsangehörigen sind. Da Staatsangehörigkeit jedoch auch ein Kriterium der Minderheitendefinition von Capotorti ist, kann der Begriff nicht in diesem Sinne verstanden, respektive verwendet werden.64 Wenn ein Staat in Form einer Demokratie regiert und das Modell der Repräsentation verwirklicht wird, ist eine Definition von Minderheiten zusätzlich erschwert, da man zwischen Personen unterscheiden muss, die am Herrschaftsprozess beteiligt und solchen, die nicht beteiligt sind. Die zweite Gruppe fällt klar unter die Gruppen, die eine nicht herrschende Stellung einnehmen. Schwierig wird es, wenn die Personen am Herrschaftsprozess in irgendeiner Form, wie z.B. durch ein Parlamentsmandat oder eine Koalitionsbeteilung als schwächere Partei, beteiligt sind. Es wäre gegen den Sinn der Minderheitendefinition, diese Gruppen vor die Wahl zu stellen, an der Regierung beteiligt zu sein oder den Status einer Minderheit inne zu haben. Um dies zu umgehen, könnte man den Status einer möglichen Minderheit dahingehend formulieren, dass diese keine einflussreiche Stellung haben sollte bzw. darf. Da die Befugnisse schwer zu trennen sind und dies für jeden Einzelfall wieder speziell zu untersuchen wäre, kann man festhalten, dass die eine Gruppe von Menschen, die eine nicht herrschende Stellung innehat, nur eine Minderheit sein kann, wenn keine Befugnisse respektive Möglichkeiten vorhanden sind, um alleine Entscheidungen zu treffen. Die Situation zwischen den beiden Gruppen in nicht-demokratischen Systemen ist meist klarer definiert, weil die Positionen sehr stark polarisieren.65 Allerdings ist das Kriterium der nicht herrschenden Stellung nicht nur auf die politische Macht zu reduzieren. Vielmehr ist dieses Merkmal auch auf die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stellung einer Gruppe innerhalb des Staates hin zu untersuchen.66 Die Gruppe der Weißen in Südafrika stellt zwar zahlenmäßig eine Minderheit dar, konnten aber nicht als solche im völkerrechtlichen Sinn anerkannt werden. Erst durch die geänderte Gesellschaftsstruktur und die damit verbundene Schwächung der Position der Weißen, könnte diese Gruppe rein völkerrechtlich auch als Minderheit angesehen werden.67 Dem Ziel des Minderheitenschutzes würde als 64 Vgl. Krugmann, S.66f. Vgl. Krugmann, S.66f. 66 Vgl. Ermacora, S.43 u. Niewerth, S.34f. 67 Vgl. Niewerth, S.34f. 65 45 allerdings weiterhin widersprechen, die Weißen in Südafrika als zu schützende Minderheit anzuerkennen.68 Schließlich ist allerdings die Schutzbedürftigkeit einer Minderheit, die in Demokratien an der Machtausübung beteiligt ist, zu hinterfragen. Die Frage ist, ob es einen besseren Schutz als die Möglichkeit, an der Machtausübung unmittelbar teilnehmen zu können, gäbe. Hier ist die Problematik, dass der Terminus „Schutzbedürftigkeit“ in der Definition Capotortis nicht enthalten ist. Aus diesem Grund sind die Meinungen in der Wissenschaft geteilt, ob der Begriff weiter zu differenzieren sei69 oder nicht.70 Kritik des Autors Auch in diesem Fall ist die Kritik bereits in der Erklärung enthalten. Die Bezeichnung „keine herrschende Stelle“ ist sehr leicht irreführend, da in demokratischen Systemen die Herrschaft bzw. Macht, die Politik zu bestimmen, in der Regel auf mehrere Parteien bzw. das Parlament verteilt ist. Somit besteht durchaus die Möglichkeit für Minderheitengruppen, die Politik auf gewisse Art und Weise mitzugestalten. Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, so besteht eine Diskriminierung. Im Verständnis sowie der Minderheitendefinition in dieser Studie ist dies eine Notwendigkeit für das Zugeständnis des Status als Minderheit. Somit erscheint es dem Autor logischer und allgemeiner, dieses Kriterium mit „Zugang zum politischen System“ zu bezeichnen. In Diktaturen stellt sich die Situation wieder anders dar. In solchen Systemen kann, da oftmals kein Teil der Bevölkerung realen Zugang zum politischen System hat, dieses Kriterium nicht als Charakteristikum für eine Minderheit gelten. 3.) Religiöse, sprachliche oder ethnische Eigenschaften a.) Religiöse Minderheiten Als eine religiöse Minderheit wird eine Gruppe bezeichnet, die sich eindeutig zu einer Religion bekennt und diese auch ausübt. Um dies tun zu können, ist die Religionsfreiheit notwendig, die zwei Elemente hat. Einerseits das Recht eine Religion anzunehmen, und andererseits die Freiheit, eine Religion auf 68 Vgl. Ermacora, S.43f. Vgl. Krugmann, S.67f. 70 Vgl. Ermacora, S.43f u. Niewerth, S.34f. 69 46 verschiedenste Arten auszuüben. Beide Elemente sind völkerrechtlich durch den Artikel 18 des IPBPR geschützt.71 Um eine Minderheit nach religiösen Maßstäben zu sein, muss diese Gruppe einer Religion angehören, die sich von der der Mehrheit unterscheidet. Dies trifft auch auf atheistische Gesellschaften zu. Die Wahl der Religion, die nach Artikel 18 IPBPR jedem/r frei steht, ist ein subjektives Kriterium, das als Bestimmungsmerkmal einer Minderheit ausreicht. Durch diese Wahlmöglichkeit eröffnet sich auch für einzelne Personen die Chance, zu einer anderen Religion zu wechseln und dadurch eventuell auch Mitglieder einer Minderheit zu werden. Ohne objektives Merkmal ist allerdings die Bestimmung einer Minderheitengruppe nicht möglich bzw. unzureichend. Eine objektive Betrachtung sollte vorwiegend an die Tradition anknüpfen. Dieser Ansatz hat zur Folge, dass sich nur die lang bewährten, traditionellen Religionen als Kriterium für eine Minderheitenbestimmung eignen. Somit würden neuere Religionen keine wichtige Rolle für den Minderheitenschutz spielen bzw. nicht davon erfasst werden. Unabhängig davon ist der Wechsel von einzelnen Menschen zwischen den Religionen wesentlich und teilweise notwendig, um für diese das Überleben zu sichern.72 b.) Sprachliche Minderheiten Grundsätzlich sind die Merkmale bezüglich Bestimmung hinsichtlich der sprachlichen Eigenschaften ähnlich wie die der religiösen Eigenheiten. Der einzige Unterschied ist, dass die sprachlichen Merkmale ausschließlich objektiver Natur sind. Die sprachliche Selbstständigkeit einer Gruppe ergibt sich, wenn diese schriftlich und/oder mündlich, öffentlich oder privat eine Sprache verwendet, die weder Nationalsprache oder Dialekt ist und von der Mehrheitssprache abweicht. Dadurch, dass in dieser Definition auch die rein mündliche Sprache erfasst wird, ist der Kreis der Sprachminderheiten sehr weit zu ziehen. Erst bei den Dialekten kommt es zu einer Grenzziehung, denn diese sind nicht mehr als eigene Sprachen anerkannt.73 71 Vgl. Thornberry, S.191, Anmerkung 1. Vgl. Krugmann, S.71ff. 73 Vgl. Krugmann, S.71ff. 72 47 c.) Ethnische Minderheiten74 Die Definition als ethnische Minderheit ist im Vergleich zu Sprache und Religion sehr schwierig. Dabei ist vor allem der Begriff Ethnizität75 mit Vorsicht zu genießen, denn dabei wird sehr oft vergessen, dass dieser neben genetischen auch kulturelle und historische Elemente enthält. Dabei ist auch sehr wichtig, dieses Kriterium von dem Begriff Rasse, der bis 1950 von der Unterkommission benutzt wurde, klar abzugrenzen, da dieser nur genetische Elemente enthält.76 So kann eine Minderheit auch existieren, wenn es keine biologischen Gemeinsamkeiten gibt. Allerdings ist es, wenn es genetische Eigenschaften einer Gruppe gibt, immer eine ethnische Minderheit.77 Das ethnische Kriterium ist im Vergleich zu den bisher erläuterten Charakteristika die eher exklusiven Effekt haben sollten, ein konstituierendes Element für Minderheiten. Allerdings ist Ethnizität ein Begriff, der viele Facetten und Unterbegriffe in sich vereint. Da dieses Kriterium nun eine Basis schaffen soll, um den Minderheitenschutz relativ generell gestalten zu können, wäre eine genauere Definition des Begriffs von Vorteil.78 Die sprachlichen und religiösen Eigenheiten sind regelmäßig Charakteristika von ethnischen Minderheiten. Allerdings sind beide bzw. jedes für sich keine notwendigen Kriterien für eine Klassifizierung einer ethnischen Minderheit als solche. Dementsprechend ist jedoch auch die gemeinsame Ethnizität, wie die beiden anderen, keine zwingende Eigenschaft einer Minderheit.79 Eine weitere Eigenschaft einer ethnischen Minderheit ist ein Gemeinschaftsbewusstsein, das jedoch schwer zu bestimmen bzw. zu messen ist. Dennoch wird es in der Wissenschaft und den Vereinten Nationen als wichtiges Element einer ethnischen Minderheit angeführt.80 Kritik des Autors Diese Einteilung ist schwierig, da durch die kulturellen Merkmale oftmals nur eine faktische Minderheit entsteht. Damit ist die Größe der Minderheit gemeint. Wenn 74 Ethnische Minderheiten werden an anderer Stelle ausführlicher behandelt. (Anm. d. Autors). Für ausführlichere Informationen siehe Kapitel Ethnizität. (Anm. d. Autors) 76 Vgl. Thornberry, S.159f. 77 Vgl. Niewerth, S.68f. 78 Vgl. Krugmann, S.69. 79 Vgl. Niewerth, S.37f. 80 Vgl. Ermacora, S.46; Krugmann, S.73; 75 48 etwa nur ein Teil der Bevölkerung einer bestimmten Konfession angehört, die sich von der restlichen Bevölkerung unterscheidet, ist diese zwar praktisch eine Minderheit, aber nur durch die geringere Anzahl der Personen. Zu einer Minderheit wie hier definiert, wird diese Gruppe erst durch eine Diskriminierung und Ausgrenzung, die aufgrund der Religion entsteht. Selbiges gilt für die Sprache sowie die ethnische Herkunft. Allerdings ist Ethnizität aufgrund des vielseitig auslegbaren Verständnisses etwas schwieriger einzugrenzen. 4.) Solidaritätsgefühl Ein schwieriges Kriterium ist die Feststellung des Solidaritätsgefühls der einzelnen Mitglieder zur Minderheit. Dieses Kriterium ist ausschließlich subjektiv. Diese Eigenschaft wurde von Capotorti in seine Definition aufgenommen, weil er befürchtete, dass Gruppen, die sich von der Mehrheit eindeutig durch die erwähnten Merkmale unterscheiden, ihren Minderheitenstatus auf lange Sicht nicht beibehalten können, weil der Wille und die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft fehlen könnten, die gemeinsame Tradition und Kultur weiterzugeben.81 Ein nur nach innen ausgelebtes Solidaritätsgefühl kann zur Konstituierung einer Minderheit nicht ausreichen, deshalb muss der Zusammenhalt auch nach außen gezeigt werden. Das hat den Hintergrund, dass eine Minderheit auch als solche nach außen erkennbar sein muss, da man der Gruppe sonst keine Schutzbedürftigkeit zusprechen kann. Diese Tatsache ist dahin gehend auch gefährlich, da ein solches Zeigen von Solidarität und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe in manchen Fällen den Grund für eine Diskriminierung darstellen können.82 Solidaritätsgefühl ist deshalb ein subjektives Kriterium, weil es beeinflussbar und veränderbar ist. Auch in Zusammenhang mit Religion ist bereits in gewisser Art und Weise ein bestimmter Grad an Solidarität von Nöten, um sich mit der Religion sowie deren Gläubigen identifizieren zu können. Diese Tatsache wird allerdings in diesem Zusammenhang oft übersehen oder als selbstverständlich angesehen. Ähnliches ist auch hinsichtlich der sprachlichen Minderheiten zu beobachten.83 Die Meinungen in der Wissenschaft über die Gültigkeit des Solidaritätsgefühls als Bestimmungsmerkmal sind geteilt. Viele hinterfragen die Notwendigkeit dieses Kriteriums. Das Problem ist, dass selbst wenn das Solidaritätsgefühl einer/s 81 Vgl. Niewerth, S.38. Vgl. Krugmann, S.78f. 83 Vgl. Niewerth, S.38ff. 82 49 einzelnen Angehörigen einer Minderheit nicht mehr vorhanden ist, die genetischen Eigenschaften – sofern diese vorhanden sind – weiter bestehen. Die Betroffenen können somit auf ihre Rechte als Minderheitsangehörige verzichten, obwohl sie faktisch noch dazu gehören.84 Kritik des Autors Solidaritätsgefühl als Kriterium zu verwenden ist durch den ausschließlich subjektiven Charakter nicht wissenschaftlich. Das Solidaritätsgefühl ist nicht messbar und kann nur eingeschätzt werden. Aus diesem Grund kann es nicht als Merkmal einer Minderheit herangezogen werden und muss separat, als ergänzende Information behandelt werden. Eine weitere Frage, die sich bei dem Begriff Solidarität stellt ist, wie sie sich äußert bzw. zu bestimmen ist; ob das durch verbale Äußerungen geschieht oder durch Aktionen bestätigt werden muss. Außerdem ist nicht klar, ob das Solidaritätsgefühl einer einzelnen Person zu werten ist, das von mehreren Personen oder das der gesamten Gruppe. Ein weiterer strittiger Punkt ist die Möglichkeit, sich zu mehreren Gemeinschaften zugehörig zu fühlen, wodurch sich die Frage stellt, welche dieser Identitäten die wichtigste. Auch, ob diese miteinander kollidieren bzw. sich gegenseitig blockieren. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein Volk mit einem gemeinsamen Namen bezeichnet wird, sich allerdings in unterschiedliche Gruppierungen bzw. Stämme unterteilt. Diese einzelnen Stämme können durchaus untereinander verfeindet sein, jahrzehntelange Fehden austragen oder in weit voneinander entfernten Regionen leben und dennoch als eine gemeinsame Minderheit gelten. Als Beispiele hierfür sind die Yanumami85 und die Pygmäen, die Gegenstand dieser Arbeit sind, anzuführen. Diese Unklarheiten bezüglich des Begriffes machen es unmöglich, ein Gefühl als normatives Kriterium einer Definition zu verwenden. Man kann es, wenn es gelingt, es mess- und bestimmbar zu machen, als ergänzendes Charakteristikum einer bestimmten Minderheit verwenden, nicht aber zu deren Definition. 84 Vgl. Krugmann, S.79ff. u. Niewerth, S.38f. Die Yanumami sind ein Urwaldvolk, das im Amazonas lebt und in der ersten Hälfte des 20.Jahrhundert entdeckt wurde. (Anm. d. Autors) 85 50 5.) Staatsbürgerschaft Dieses Kriterium ist vermutlich der brisanteste Punkt der Charakteristika der Minderheitendefinition, da es einige Konsequenzen mit sich bringt. Der Internationale Pakt über Politische und Bürgerliche Rechte (IPBPR) ist grundsätzlich für alle gültig, wie es in Art. 2 festgehalten ist. Er beinhaltet jedoch einige Artikel, die sich nur auf einzelne Gruppen beziehen. Die Auslegung von Art. 27, der ja für den Minderheitenschutz wichtig ist, ist nicht wirklich klar definiert und lässt viel Spielraum für Interpretation.86 Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass Ausländer – Personen, die nicht in Besitz der Staatsbürgerschaft sind – keine Rolle bzw. keinen Anspruch auf völkerrechtlichen Minderheitenschutz innerhalb eines Staates haben, da sie einer lediglich faktischen oder soziologischen Minderheit angehören. Ausländer müssten somit unter dem Fremdenrecht bzw. dem Ausländerrechts des jeweiligen Staates behandelt werden. Staatenlose fallen weder unter die eine noch die andere Rechtssprechung87. Das Interesse der Staaten kann somit darin liegen, das Konfliktpotential, das in Zusammenhang mit Minderheiten entsteht, so gering wie möglich zu halten und deshalb den Minderheitenbegriff auszuweiten. Andererseits liegt das Interesse der Staaten sicherlich auch darin, die Minderheiten ihres Staates, die nicht auf dem Souveränitätsgebiet beheimatet sind, in jeglicher Form zu schützen und zu unterstützen.88 Ein weiteres Dilemma bezüglich dieses Kriteriums ist die Tatsache, dass die Anerkennung der Staatbürgerschaft durch ein mit Mehrheitsbeschluss verabschiedetes Gesetz erfolgt. Somit sind die Angehörigen einer (potentiellen) Minderheit schon von der Mehrheit abhängig, um ein wichtiges Kriterium für den Minderheitenstatus überhaupt erfüllen zu können. Das Problem ist nun, wenn man sich entscheiden sollte, diese Voraussetzung in der Definition wegzulassen, dann würde man die Staaten der Migration der Minderheiten wehrlos aussetzen. Wenn alle sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind und diese Gruppen sofort den Minderheitenstatus erhalten würden, wären die Staaten gezwungen, jegliche Art von Minderheit zu schützen. Schwierig wird die Situation hinsichtlich der Ausländer. Hier 86 Vgl. Krugmann, S.73. Vgl. Krugmann, S.74. 88 Vgl. Krugmann, S.75. 87 51 herrscht die Meinung vor, dass das Kriterium der Staatsbürgerschaft teilweise ersetzbar sein sollte.89 Ein Vorschlag eines möglichen Ersatzes ist eine Idee, die bereits im Völkerbund Anwendung fand. Damals gab es die Regelung, dass man über einen bestimmten Zeitraum in einem Gebiet ansässig sein muss. Dies ist eine spezielle Art von Ausländerregelung. Diese sieht für den Wechsel des Aufenthaltsortes einer Person, der durch diverse Umstände wie z.B. Staatszerfall hervorgerufen wurde, ohne die Staatsbürgerschaft anzunehmen, spezielle Rechte dieser Person vor. Schwierig dabei ist die Definition des Zeitraums, in dem sich die Betroffenen in der für sie neuen Heimat aufhalten müssen. In dem völkerrechtlichen Schrifttum wird die Dauer mit „mehreren Jahrzehnten“90 definiert. Jegliche Dauer muss sich dem Vorwurf der Willkür stellen, da es keine allgemeine Definition für den Zeitraum gibt. Es gibt viele unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema, wobei eine Gruppe, die seit drei Generationen in diesem Land lebt, allgemein Anerkennung findet.91 Kritik des Autors Hinsichtlich der Staatsbürgerschaft ist eine Argumentation sehr schwierig, da es auf das jeweilige Staatssystem ankommt. Wenn ein Staat in sich zerrüttet und von Bürgerkrieg gezeichnet ist bzw. sich in einem solchen befindet, dann ist das Thema Staatsbürgerschaft ein nicht akzeptables Kriterium. Einerseits besteht die Möglichkeit, dass es kein demokratisches System ist, und die Staatsbürgerschaft willkürlich oder nur eingeschränkt vergeben wird. Andererseits kann die Regierung zerrüttet und nicht allgemein anerkannt sein und im Post-Kriegszustand keine umfassende Staatsgewalt ausüben, wodurch die Vergabe der Staatsbürgerschaft ebenfalls ein schwieriges Verfahren darstellt. Grundsätzlich ist Staatsbürgerschaft aber ein wichtiger Punkt, den es zu untersuchen gilt, wenn eine Minderheit bestimmt werden muss. 89 Vgl. Krugmann, S.76f. Zitat in: Studnitz, v. E.-J. (1993). Politische Vertretungen von Minderheiten- und Volksgruppenrechten auf verschiedenen staatlichen und zwischenstaatlichen Ebenen, in: Blumenwitz (1993), S.18. 91 Vgl. Krugmann, s.77ff. 90 52 2.2.5..Exkurs 2.2.5.1.Ethnizität Ethnizität als solche gewann speziell in Europa erst in der Renaissance eine große Bedeutung. Durch die Revolutionen, der Bildung der Nationalstaaten und dem damit verbundenen Prozess der Vereinheitlichung wird die Rolle der ethnischen Gruppen immer wichtiger. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sich durch die entstandenen Nationen gleichzeitig auch dementsprechende Mehrheiten gebildet haben, wodurch die ethnischen Gruppen zu Minderheiten wurden. Allerdings gibt es für Ethnizität es unterschiedliche Konzepte, Ansichtsweisen und Verwendungen in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Friedrich Heckmann, ein deutscher Politikwissenschafter und Soziologe, untersucht das soziologische Konzept Ethnizität, indem er den genetischen Faktor bzw. die biologische Komponente völlig außer Acht lässt. Er unterscheidet dabei einzelne Kategorien, die sich in dem Begriff bzw. Konzept Ethnizität verbinden. Heckmann erklärt, dass der Begriff Ethnizität als solcher erst seit der Studie „Ethnicity. Theory and Experience“ von Glazer und Moynihan, eine wichtige Rolle in der Minderheitenforschung spielt. Der Autor listet dabei eine Reihe von Einzelaspekten verschiedener Wissenschafter auf und versucht schließlich anhand der Konzepte von Esser und Nassehi ein allgemeines Konzept von Ethnizität zu entwerfen.92 Die Arbeit Essers ist auf die traditionellen Theorien von Weber, Marx, Parsons und Luhmann aufgebaut, deren Thesen zum Thema ethnische Differenzierung und moderne Gesellschaft er untersucht und kritisch unter die Lupe genommen hat. Allen erwähnten Theorien ist gemein, dass sie von einem Verschwinden der ethnischen Differenzierung in der modernen Gesellschaft ausgehen, wogegen Esser argumentiert, dass gerade die Moderne eine solche Differenzierung fördert. Allgemein sieht Esser schließlich in der zunehmenden Bedeutung von Ethnizität eine Modernisierungslücke, die, wenn sie geschlossen würde, als Grundlage für ethnische Differenzierung entfiele.93 Nassehi hingegen kritisiert Esser, dass dieser den von ihm kritisierten Theoretikern doch Recht gibt, indem er die ethnischen und nationalen Semantiken aus dem 92 Vgl. Heckmann, Friedrich (1992). Ethnische Minderheiten, Volk und Nation. Soziologie inter-ethnischer Beziehungen, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart, S.56. 93 Vgl. Heckmann, S.33f. 53 Diskurs der Moderne ausblendet. Nassehi selbst geht davon aus, dass nicht mehr Religion, Sprache und eigene Geschichtsschreibung die Kategorien sind, die eine Identität definieren, sondern durch neue ethnische Semantiken ersetzt wurde.94 Grundsätzlich wird in der Forschung über Ethnizität in zwei unterschiedliche Arten von Theorien unterschieden, primordiale und situationale. Die beiden Forscher, die sehr eng mit den jeweiligen Theorien in Verbindung gebracht werden, sind Geertz (Primordiale) und Barth (Situationale). In Geertz Theorie wird angenommen, dass Ethnizität und ethnische Gruppenbildung zu den Grundbedingungen der menschlichen Existenz gehören. Zu solchen Gegebenheiten gehören des Weiteren Nachbarschaft und Lebensverbindung. Neben diesen sind auch Gegebenheiten inkludiert, „die davon herrühren, daß man in eine bestimmte religiöse Gemeinschaft geboren wurde, dass man eine bestimmte Sprache oder sogar einen bestimmten Dialekt spricht und bestimmten sozialen Praktiken folgt.“ Geertz erklärt in seiner Theorie weiter: „Diese Übereinstimmungen des Blutes, der Sprache, der Sitten usw. haben in sich und treiben aus sich heraus ungeheure und zeitweilig überwältigende Konsequenzen. Man ist an seinen Verwandten, seinen Nachbarn, seinen Glaubensbruder ipso facto gebunden, nicht nur aufgrund persönlicher Anziehung, taktischer Notwendigkeit, gemeinsamen Interesses oder auferlegter moralischer Verpflichtungen, sondern letztlich zu einem erheblichen Teil durch die Kraft einer unbeschreiblichen absoluten Bedeutung, die den besonderen Bindungen selbst zugeschrieben wird.“95 Daraus wird deutlich, dass die Menschen nicht als Individuen geboren werden respektive ihr Leben verbringen, sondern in diversen Bereich an andere Individuen gebunden sind. Entweder werden diese Bindungen durch diverse Interessen gestärkt, oder sie sind latent und kommen erst bei bestimmten Gelegenheiten zum Vorschein und werden für die Durchsetzung von Interessen benutzt.96 Die situationale Theorie hingegen betrachtet den anderen Aspekt und sieht in Ethnizität nicht notwendigerweise den Grund für die Bildung von ethnischen Gruppen. Vielmehr stellt diese eine Möglichkeit dar, sich in Gruppen zusammenzuschließen, wenn eine solche Zusammenarbeit für die Durchsetzung von 94 Vgl. Heckmann, S.34f. Zitat Geertz, Clifford, in: Rex, John (1990). „Rasse“ und „Ethnizität“ als sozialwissenschaftliche Konzepte, in: Dittrich, Eckhardt, J., Radke, Frank-Olaf (Hrsg.) (1990). Ethnizität. Wissenschaft und Minderheiten, Westdeutscher Verlag, Opladen, S.146. 96 Vgl. Rex, S.146f. 95 54 Interessen dient. Somit kann Ethnizität entweder bei Interessensdurchsetzung zum Vorschein kommen, oder latent bleiben, wenn es der Zusammenarbeit eher dienlich ist.97 Die Konzentration der Forschungen der Vertreter dieser Theorie liegt auf den oberflächlichen Merkmalen von verschiedenen Gruppenkoordinationen. Dabei ist speziell die Situation, in denen sich Gruppen aufgrund ihrer Ethnizität zusammenschließen und sich gegen andere Gruppen organisieren, wichtig für die Untersuchung, da dies regelmäßig in Situationen von rassischen oder ethnischen Konflikten geschieht. Um die Situationen richtig untersuchen zu können, muss man zuerst die Charakteristika anführen, die durch diverse andere Studien in Bezug auf rassische und ethnische Konflikte und ebensolche Gruppen festgestellt wurden. So kann erstens festgehalten werden, dass es gewisse primordiale Prämissen gibt, die in einerseits biologische Faktoren und andererseits in territoriale und kulturelle Beziehungen unterteilt werden können. Diese Prämissen gibt es immer, und sie können somit auch latente Grundlage des Zusammenschlusses einer ethnischen Gruppe sein. Daraus ergibt sich auch das zweite Charakteristikum, das darin liegt, dass diese latenten Prämissen jederzeit aktiviert werden können, wenn es darum geht, einzelne Menschen zu Gruppen zusammenzuschließen. Trotzdem diese Zusammenschlüsse oft nur zur Durchsetzung bestimmter Interessen entstehen, so kann es Situationen geben, in denen die oben erwähnten latenten Eigenschaften evident bleiben und dadurch ethnische Gruppen respektive Gruppierungen hervorbringen. Schließlich können viertens auch noch Situationen entstehen, die den entstandenen Konflikt so schwerwiegend werden lassen, dass die Dominanz einer Gruppe gegenüber der anderen so groß wird, sodass ständige ethnische Konflikte entstehen.98 Durch die oben angeführten Beispiele wird deutlich, dass die beiden Theorien komplementär verwendet werden bzw. je nach Fallbeispiel angewandt werden können und werden. Heckmann definiert Ethnizität wie folgt: „Ethnizität bezeichnet die für individuelles und kollektives Handeln bedeutsame Tatsache, daß eine relativ große Gruppe von Menschen durch den Glauben an eine gemeinsame Herkunft, durch Gemeinsamkeiten von Kultur, Geschichte und aktuellen Erfahrungen verbunden sind und ein bestimmtes Identitäts- und Solidaritätsbewusstsein besitzen.“99 97 Vgl. Heckmann, S.33. Vgl. Rex, S.147f. 99 Zitat in: Heckmann, S.56. 98 55 Diese Definition entspricht auch der hier verwendeten Annahme des Begriffs, wobei festgehalten werden muss, dass der Autor die biologischen Faktoren, die zweifelsfrei ein Teil von Ethnizität sind, unter der Formulierung „…gemeinsame Herkunft…“ versteht. 2.2.6.Minderheitenbegriff von Felix Ermacora Felix Ermacora, der sich sehr intensiv mit dem Thema Minderheitenschutz auseinandersetzt, erachtet es für notwendig, die allgemeine Definition von Capotorti zu erweitern, um die verschiedenen Minderheiten, die in den Vereinten Nationen behandelt werden sollen, mit einzubeziehen. Dabei sieht er zwei Aspekte, die für eine möglichst umfassende Definition wichtig sind – einen soziologischen und einen rechtlichen Gesichtspunkt. Letzterer gliedert sich wieder in drei Teilbereiche, nämlich die innerstaatliche, die regionale und die völkerrechtliche Rechtslage. Entscheidend in diesem Fall ist, dass die völkerrechtliche Ebene über der innerstaatlichen steht, da andernfalls schwer eine allgemein gültige Minderheitenschutzregelung zu erzielen wäre. Die Definition hinsichtlich der soziologischen Auslegung ist deshalb absolut notwendig, da nur mit Hilfe einer solchen Begriffsbestimmung die Hauptaufgabe des Minderheitenschutzes, eine der Schutz diverser Rechte sowie der Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen, möglich ist. Erst durch eine Definition kann eine Minderheit als solche erkannt und geschützt werden.100 Ermacora ist der Ansicht, dass die Definition von Capotorti die von allen am weitesten gefasste ist. Trotzdem bedarf es noch Ergänzungen, um sich mit allen verschiedenen Minderheiten auseinander setzen zu können, die Ermacora auflistet. Er beginnt damit, die von den Vereinten Nationen in den fünfziger Jahren zu Gunsten des Begriffs „ethnische Minderheiten“ aufgegebene Einteilung in rassische und nationale Minderheiten wieder aufzugreifen, da Ermacora sie für unverzichtbar hält. Als Grund dafür sieht er die Verwendung des Begriffs Rasse, der biologisch zu verstehen sei und Gruppen oder Individuen bezeichne, die über spezielle genetische und/oder physische Veranlagungen verfügen. Diese Bestimmung ist seiner Meinung nach sehr spezifisch für Ureinwohner eines bestimmten Landes und hätte dann große Bedeutung, wenn ein Gruppen- bzw. Zugehörigkeitsgefühl besteht und es gilt, die Ureinwohner als „Volk“ oder als „Minderheit“ zu bestimmen, wie sie in 100 Vgl. Röper, S.83. 56 unterschiedlichen Artikeln des IPBPR101 definiert sind. Zu dem Element „Rasse“ kommen noch weitere charakteristische Elemente wie Religion, Sprache und Ethnizität. Aus diesem Grund schlägt er folgende Ergänzungen zur Definition Capotortis vor, wobei er sich am Recht der Vereinten Nationen orientiert102: Religiöse Minderheiten: Solche Minderheiten bekennen sich zu einer Religion, die sich von der Staatsreligion und dem religiösen Bekenntnis der Mehrheit des Volkes unterscheidet. Als religiöse Minderheit ist speziell auch eine Personengruppe anzuerkennen, die sich zu einer Religion bekennt, während die Bevölkerungsmehrheit atheistische Tendenzen verfolgt, eine freie Ausübung von Religion verboten ist und die Gruppe an deren Ausübung interessiert ist.103 Rassische Minderheiten: Solche Minderheiten haben ihre eigene Geschichte, Kultur und Sprache. Die Mitglieder dieser Gruppen müssen sich über ihre Zugehörigkeit zur Gruppe bewusst sein und unterscheiden sich von anderen Teilen der Bevölkerung speziell durch biologische Faktoren.104 Sprachliche Minderheiten: Als solche Minderheiten werden Gruppen bezeichnet, deren Mitglieder sich öffentlich und/oder privat in Wort und/oder Schrift einer eigenen Sprache bedienen, die sich von der allgemein anerkannten und angewandten Sprache in dem jeweiligen Gebiet unterscheidet und diese nicht als Nationalsprache angesehen wird. Als vorrangiges Interesse der Gruppe gilt der Schutz dieser Sprache.105 Ethnische Minderheiten: Dabei handelt es sich um eine Gruppe, die ihre eigene Sprache, Kultur und Geschichte besitzt und ein Gruppenbewusstsein und -gefühl aufweist. Wichtig hierbei ist, dass die Mitglieder dieser Gruppen ihre Besonderheiten schützen bzw. aufrechterhalten wollen.106 101 Volk wird in Artikel 1 des IPBPR definiert und „Minderheiten“ in Artikel 27. (Anm. d. Autors) Vgl. Röper, S.84 u. Ermacora, S.44f. 103 Vgl.Ermacora, S.45. 104 Vgl. Ermacora, S.45. 105 Vgl. Ermacora, S.46. 106 Vgl. Ermacora, S.46. 102 57 Nationale Minderheiten: Hinsichtlich dieser Gruppe von Minderheiten kritisiert Ermacora indirekt die Tatsache, dass es keine ausreichende Abgrenzung respektive Unterscheidung zwischen nationaler, ethnischer und sprachlicher Minderheit im internationalen Recht gibt. Er definiert eine nationale Minderheit als Gruppe, die über alle notwendigen Charakteristika einer ethnischen Minderheit verfügt, zudem allerdings den Willen aufweist, als Gruppe die Rechte wahrzunehmen, die es ihr ermöglicht, am politischen Prozess auf einer bestimmten Ebene bzw. einem bestimmten Gebiet teilzunehmen, ohne dadurch den Status als Minderheit zu verlieren.107 2.2.7. Weitere ausgewählte Definitionen 2.2.6.1. Emerich K. Francis Für Emerich K. Francis definiert sich eine Minderheit als eine Gesamtheit von Personen, „die im jeweiligen gesellschaftlichen Ganzen durch charakteristische Merkmale hervorstechen und in einem typischen Verhältnis zur Mehrheit stehen.“108 Diese sehr weit gefasste Definition war für Francis sinnvoller als eine spezielle und eng angelegte Bestimmung. Grund dafür war einerseits die Möglichkeit, mehrere Aspekte und unterschiedliche Auffassungen mit einzubeziehen. Andererseits sah Francis das Problem darin, dass man bei einer engeren und präziseren Begriffsbestimmung die einzelnen Merkmale nicht verwenden könnte, da diese unterschiedlich seien und je nach historischer Betrachtung wechseln könnten. Grundsätzlich besteht die Definition von Francis aus vier Elementen. Diese sind das gesellschaftliche Ganze, die charakteristischen Merkmale, das spezifische Verhältnis zur Mehrheit sowie die Mehrheit selbst. Die Bedeutung der einzelnen Teile ist differenziert, und die Wichtigkeit verschiebt sich je nach Fallstudie bzw. Betrachtungsweise.109 Francis sieht im ersten Element, dem gesellschaftlichen Ganzen, entweder die Staatsnation, die Bevölkerung eines Staates oder eine andere Gesamtgesellschaft. Eglin sieht die Notwendigkeit der ausdrücklichen Erwähnung von Staatsnation und Staatsbevölkerung als nicht notwendig, da die Gesamtbevölkerung diese beiden 107 Vgl. Ermacora, S.46. Zitat Francis, Emerich K., in Francis, Emerich K. (1960). Minderheiten, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.)(1960). Staatslexikon. Recht – Wirtschaft - Gesellschaft, Bandangabe 5, Freiburg, Sp.715. 109 Vgl. Eglin, S.149. 108 58 Begriffe ohnehin abdecken würde und diese spezifische Ausprägungen seien. Er kritisiert, dass in diesem Verständnis die kleineren sozialen Ebenen, in denen Minderheiten existieren können, außer Acht gelassen werden.110 Die charakteristischen Merkmale einer Minderheit beurteilt Francis durch Rasse, Kultur, Religion und Volkstum bzw. Nationalität. Dabei wird speziell der Bereich kulturelle Merkmale sehr allgemein gehalten, da z.B. Sprache, Sitte oder äußerliche Merkmale wie etwa Trachten darunter fallen. Das Problem hinsichtlich dieses Aspekts ist die Tatsache, dass die Definition der charakteristischen Merkmale sehr eng gefasst ist, weil sie hauptsächlich auf subjektive Aspekte abzielt. Minderheiten sind allerdings auch oft durch diverse objektive Charakteristika111 zu bestimmen. Außerdem finden in dieser Bestimmung von Francis die politischen Minderheiten keine Erwähnung, da sie nicht unter den Bereich Kultur fallen. Diese stellen allerdings eine wichtige Gruppe dar.112 Der dritte Teil ist das Verhältnis zur Mehrheit, worunter die strukturelle Unterordnung, die Herrschaft, die Feindschaft oder die Herabsetzung und die ungleiche Behandlung fallen. Dabei werden sämtliche Konstellationen zusammengefasst, die auch in der Definition von Capotorti unter dem Ausdruck „nicht herrschende Stellung“ verwendet werden.113 Die Mehrheit an sich wird von Francis als zahlenmäßig überlegenes Teilgebilde der Gesellschaft, als Element der Gesellschaft, das Herrschaft ausübt oder als Gesamtgesellschaft bezeichnet. Bei dieser Kategorie ist ein Problem der Bestimmung von Minderheiten gut gelöst, da das qualitative und das quantitative Merkmal114 in die Charakterisierung miteinbezogen werden, und somit verschiedene Standpunkte mit diesem Argument erklärt werden können.115 2.2.6.2.Definition von William M. Newman Die Bestimmung von Newman ist im Vergleich zu der von Francis etwas spezifischer und weniger abstrakt. Er sieht Minderheiten als Gruppierungen von Personen, „that vary from the social norms and archetypes in some manner, are subordinate with 110 Vgl. Eglin, S.149. Solche sind z.B. Esseigenschaften (Vegetarier) oder sexuelle Orientierung. (Anm. d. Autors); vgl. u.a. Eglin, S.150) 112 Vgl. Eglin, S.149f. 113 Vgl. Eglin, S.150. 114 Unter das qualitative Merkmal fallen Diskriminierung und Behandlung, während die quantitative Bestimmung nur die reine zahlenmäßige Überlegenheit beinhaltet. (Anm. d. Autors) 115 Vgl. Eglin. S.150. 111 59 regard to the distribution of social power, and rarely constitute more than one-half of the population of the society in which they are found.”116 Nach dieser Definition muss in der jeweiligen Gesellschaft ein Normenkonsens vorherrschen, von dem sich die Minderheiten offensichtlich durch ihre sozialen Normen und Verhaltensweisen abheben. Dies ist eine sehr objektive Definition, da die Minderheiten nach ihrem Abweichen durch eben solche Merkmale beurteilt, respektive bestimmt werden.117 Zu diesem Element muss ein deutlicher Machtunterschied zu Gunsten der Mehrheit bestehen. Außerdem sieht Newman in seiner dritten Voraussetzung die zahlenmäßige Unterlegenheit als essentielles Merkmal einer Minderheit. Durch das Wort „…rarely…“ wird jedoch auch eine mögliche andere Konstellation bezüglich der numerischen Situation mit eingeschlossen.118 Diese erwähnten Theorien – speziell die Capotortis und Ermacoras – sind die am meisten anerkannten Theorien in diesem Bereich. Trotzdem erscheinen sie dem Autor aufgrund der angeführten Kritikpunkte nicht wirklich adäquat für die hier durchgeführte Studie. Aus diesem Grund wird am Ende der Analyse aufbauend auf den Ergebnissen versucht, eine eigene Minderheitendefinition zu formulieren und die dem Autor notwendig erscheinenden Kriterien zu definieren bzw. zu erklären. 2.3. Persönliche Kategorien zur Bestimmung von Minderheiten Grundsätzlich ist an den Kriterien Capotortis sowie der Erweiterung Ermacoras als solche nicht viel auszusetzen, da es durch die Argumentation und die Hintergründe der Definitionen deutlich wird, wieso diese als Kriterien gewählt wurden. Jedes einzelne Element ist in sich schlüssig und in der Minderheitenbestimmung ein wichtiges Kriterium. Allerdings ist der Autor der Meinung, dass die einzelnen Elemente nicht ausreichen, um eine Bestimmung von Minderheiten durchführen zu können. Zudem werden einige wichtige Felder des sozialen Systems eines Volkes nicht miteinbezogen. Generell ist zu sagen, dass die ersten Merkmale sehr allgemein sind und spezifische Situationen für einzelne Minderheiten nicht zur Genüge erklären bzw. bestimmen können. Die Charakteristika sind nicht für Einzelfälle anzuwenden und aus dem 116 Zitat Newman, William M., in: Eglin, S.150. Vgl. Eglin, S.150f. 118 Vgl. Eglin, S.151. 117 60 Grund nicht ausreichend. Das könnte auch ein möglicher Grund sein, wieso die erklärten Kriterien nicht allgemein anerkannt sind. Hinsichtlich der einzelnen Punkte sind die Kritiken bereits angeführt. Ergänzend ist noch zu erwähnen, dass ein Solidaritätsgefühl der Meinung des Autors nach kein entscheidendes Charakteristikum einer Minderheit ist. Die Gültigkeit der Kriterien Capotortis ist nicht anzuzweifeln, allerdings wird hier durch den Autor versucht, eine eigene Klassifikation von Kriterien durchzuführen. Dies wird hinsichtlich des weiteren Inhalts der Arbeit als schlüssig und Ziel führend erachtet. Der Grund dafür ist, dass an späterer Stelle eine Analyse der sozialen Integration der Pygmäen in das System der Demokratischen Republik Kongo durchgeführt wird. Zu diesem Zweck werden diverse Ebenen untersucht und, um eine schlüssige Argumentation durchführen zu können, werden die Merkmalsbestimmungen einer Minderheit an diese Ebenen angepasst definiert. Grundsätzlich stützen sich diese Kriterien nicht so sehr auf allgemeine Elemente zur Definition von Minderheiten sondern versuchen, die jeweilige untersuchte Volksgruppe hinsichtlich Kriterien zu untersuchen, die in einem größeren Kontext zu sehen sind. So wird die Einteilung aufgrund sozioökonomischer Kriterien vorgenommen, um die Situation bereits hinsichtlich ihrer Integration bzw. Isolation in der Gesellschaft des jeweiligen Landes zu untersuchen. Aus diesem Grund sieht die folgende Einteilung nachstehende Kriterien vor: a.) Kulturelle Kriterien b.) Soziale Kriterien c.) Ökonomische Kriterien d.) Juridischer Kriterien Anhand dieser Kriterien ist – wie in der Folge dargestellt wird – eine unfassende Analyse über den Status eines Volkes bzw. einer Volksgruppe zu treffen, wodurch schließlich auch eine Einstufung als Minderheit entschieden werden kann. 61 2.3.1. Kulturelle Kriterien Diese Kriterien decken sich sehr stark mit der Einteilung, die Ermacora getroffen hat. Allerdings möchte sich der Autor hier nicht darauf beschränken, die Minderheiten nach ihren kulturellen Charakteristika zu kategorisieren, sondern sieht sie als Eigenschaften, die zur Definition bzw. Bestimmung des Minderheitenstatus einer Gruppe dienen. Einige Argumente wurden schon an anderer Stelle ausführlich erläutert und werden hier teilweise lediglich der Vollständigkeit halber angeführt, jedoch nicht ausführlicher behandelt. Sollten sich die Argumente mit denen Ermacoras decken, wird darauf hingewiesen. 2.3.1.1. Sprache Die Sprache kann in verschiedener Weise zur Einstufung als Minderheit beitragen. Dabei ist von der Situation auszugehen, dass die Sprache der Gruppe sich nicht mit der offiziellen Landessprache deckt. Bei gleicher Sprache ist dieses Kriterium nicht geeignet, um den Status einer Gruppe einzustufen. Grundsätzlich stellen Sprachbarrieren Hindernisse dar, die Gruppe in den Rest der Bevölkerung einzugliedern. Allerdings muss man untersuchen, wie groß die Probleme zwischen den einzelnen Teilen wirklich sind. So etwa, ob die zu analysierende Gruppe die offizielle Landessprache beherrscht oder nicht. Wenn sie sie beherrscht liegen die Gründe für die mangelnde Integration nicht im Bereich der Sprachbarrieren. Dadurch würde das Kriterium Sprache nicht mehr in die Minderheitendefinition miteinbezogen werden können. Ausnahme ist die freiwillige Verweigerung der jeweiligen Gruppe, die Sprache zu benutzen, wodurch sie sich selbst quasi in eine diskriminierende Situation manövriert und somit durchaus als Minderheit angesehen werden können. 2.3.1.2. Religion Religion unabhängig gesehen ist kein Kriterium, das definitiv zu einer Minderheitenbestimmung herangezogen werden kann. Religion kann allerdings durchaus eine Ursache für Diskriminierung sein, wenn die untersuchte Gruppe keine Religion hat oder einer anderen als die Mehrheit der Staatsbürger angehört. Dadurch kann es zu Ausgrenzung und Nicht-Anerkennung kommen. Dies ist allerdings in der Regel nur dann der Fall, wenn im Staat keine Religionsfreiheit besteht, oder die 62 Religion nicht offiziell anerkannt ist. Sollte dies der Fall sein, dann wird die Gruppe zu einer religiösen Minderheit, wie sie Ermacora beschreibt. Allerdings ist eine andere Religion nicht automatisch ein Faktor zur Einstufung einer Minderheit. Vielmehr sind die Randbedingungen und die Rechtslage des Staates dafür entscheidend, ob die Gruppe als Minderheit eingestuft werden muss oder die Gruppe nur einer anderen Konfession angehört. 2.3.1.3. Ethnizität Der Begriff Ethnizität ist sehr vielseitig zu verstehen und aus diesem Grund wird hier auch ein eigenes Kapitel zu dessen Erklärung verwendet. Grundsätzlich werden durch die Ethnizität die gemeinsame Geschichte sowie die Werte der Gruppe bzw. der jeweiligen Kultur in den Vordergrund gerückt. Sollten diese Werte, wie etwa Sprache, Religion, Herkunft etc., von denen des Restes der Einwohner des Staates divergieren, ist die Gruppe schon als „anders“119 zu sehen. Sollte dieses Verständnis der anderen Kultur der untersuchten Gruppe von der Mehrheit der Bevölkerung zu einer Ab- bzw. Ausgrenzung führen, dann ist die Gruppe als Minderheit einzustufen. Ethnizität ist aber auch eine mögliche Basis für ein Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe, wodurch sich die Gruppe auch selbst abgrenzen kann. Unter dieser Abgrenzung wird hier der Versuch verstanden, die eigenen kulturellen, sprachlichen und religiösen Wurzeln bzw. Anschauungen nicht mit jenen des Großteils der Bevölkerung zu vermischen. Durch dieses Verhalten manövriert sich die untersuchte Gruppe in manchen Fällen selbst in eine Minderheitenposition. 2.3.2. Soziale Kriterien Diese Gruppe umfasst die meisten und objektiv betrachtet die wichtigsten Punkte zur Einstufung einer Gruppe bzw. zur Bestimmung deren Minderheitenstatus. Sie enthält verschiedene Bereiche, die eine generelle Analyse der Gruppe in sich sowie innerhalb der gesamten Gesellschaft ermöglichen. Dabei steht vor allem der Zugang zu wichtigen Einrichtungen bzw. die Möglichkeit, diverse Grundrechte in Anspruch zu nehmen im Vordergrund. Grundsätzlich ist in allen folgenden Punkten nicht von 119 Unter anders ist hier die Unterscheidung gemeint. Die Verwendung des Begriffs impliziert hier keine wie auch immer gearteten negativen Konnotationen. Der Autor möchte lediglich auf die Tatsache hinweisen, dass diese Unterscheidungen vom Rest der Bevölkerung wahrgenommen und oftmals als nicht gleich somit anders gesehen werden. (Anm. d. Autors) 63 deren Exklusivität zu sprechen. Viele Aspekte hängen auch von der Entwicklung und Organisation bzw. Interesse des jeweiligen Volkes ab, diese Rechte in Anspruch zu nehmen. 2.3.2.1. Zugang zum medizinischen System In der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1946 wurde auch festgelegt, dass das Recht auf Gesundheit zu den Grundrechten eines jeden Menschen zählt. In vielen Ländern gibt es keine allgemeine Krankenversorgung, allerdings zählt es zu den eigentlichen Pflichten eines Staates eine solche zu gewährleisten. Grundsätzlich ist es in Ländern, die politisch zerrüttet sind, schwierig, eine funktionierende medizinische Versorgung zu gewährleisten, da das Budget und diverse andere Ressourcen oft in anderen Bereichen verwendet werden. Aus diesem Grund kommt die Krankenversorgung oft zu kurz und ist nicht für alle Teile der Bevölkerung leicht zugänglich. Bezüglich der Bestimmung einer Minderheit ist diese Kategorie deshalb entscheidend, weil der Zugang zur Krankenversorgung bzw. des Krankenschutzes oft nur für Teile der Bevölkerung gilt. Wenn nun eine Gruppe, deren Status innerhalb eines Staates als unbestimmt gilt bzw. bezüglich des Krankenschutzes diskriminiert wird, dann ist dies grundsätzlich als Eigenschaft zur Einstufung als Minderheit zu werten. Grund dafür ist die Benachteiligung gegenüber den anderen Teilen der Bevölkerung in einem entscheidenden Bereich der Grundrechte des Einzelnen wie auch der Gemeinschaft. Entscheidend hierbei ist neben dem allgemeinen Status der Zugänglichkeit auch die Stellung bzw. Position gegenüber anderen Bevölkerungsteilen oder ethnischen Gruppen innerhalb des Staates. Sollte diesen gegenüber eine Diskriminierung bestehen, dann ist die benachteiligte Gruppe als Minderheit einzustufen. Natürlich ist hier die Gesamtsituation des Staates zu beurteilen, denn – wenn das Gesundheitssystem eines Staates als Gesamtes nicht funktioniert respektive nicht existent ist – dann ist die Situation etwas differenzierter zu betrachten. Des Weiteren muss man die Bereitschaft seitens der Gruppe, sich der angebotenen Krankenversorgung zu bedienen, ebenso in die Analyse mit einbeziehen. Ist eine Gruppe nicht sehr modern organisiert oder greift auf traditionelle Medizin zurück, kann man nicht von einer Diskriminierung sprechen, wenn es sich um eine freiwillig getroffene Entscheidung handelt. 64 2.3.2.2. Bildung Mit der Bildung verhält es sich ähnlich wie mit der Krankenversorgung. Bildung ist essentiell für die Fundamente einer funktionierenden Gesellschaft, von der Staatsebene bis in eine kleine Gruppe. Bildung ist ebenso wie die medizinische Versorgung Aufgabe des Staates, denn es müssen diverse Ressourcen wie z.B. Schulen von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden. Ist nun aus diversen Gründen einer Gruppe der Zugang zur Bildung verwehrt, dann ist diese Gruppe diskriminiert und als Minderheit gegenüber dem Rest der Bevölkerung zu sehen. Hier gilt Ähnliches wie für die Kategorie Gesundheit. Es muss zumindest die Möglichkeit bestehen, Bildung in Anspruch nehmen zu können. Die Wahl liegt somit bei den Mitgliedern respektive der Gruppe, diese Möglichkeiten zu nutzen oder nicht. In dieser Kategorie gibt es noch eine entscheidende Schwierigkeit, die in vielen Fällen zur unbeabsichtigten Diskriminierung führen kann, die Sprache. Speziell in afrikanischen Ländern, gibt es viele verschiedene Stämme und Gruppen, die nicht die jeweilige offizielle Landessprache sprechen. Dies ist auf mangelnde Bildung zurückzuführen und kann nur von Seiten des Staates behoben werden, indem das Erlernen einer gemeinsamen Sprache gefördert wird, ohne die Sprache(n) der einzelnen Minderheiten zurückzudrängen. Das könnte eine einschüchternde und bedrohende Wirkung auf die Gruppierungen wirken und deren Offenheit gegenüber der Mehrheit bzw. dem fremden System beeinträchtigen. 2.3.2.3. Arbeit Der Zugang zum Arbeitsmarkt als Kategorie ist ein diffiziles Problem. Die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen hängt von vielen Faktoren ab. Einerseits sind die Anerkennung und der legale Aufenthalt im jeweiligen Staat essentiell für eine mögliche Teilnahme am Arbeitsmarkt. Wenn nun eine Gruppierung nicht anerkannt ist und deren Mitglieder nicht als legale bzw. offiziell anerkannte Personen im Staat gesehen werden, dann ist ihnen der Arbeitsmarkt auch nicht zugänglich, wodurch eine Diskriminierung entsteht. Andererseits gibt es Faktoren wie Bildung und Sprache, die ein mögliches Arbeiten verhindern könnten. Somit existieren auf der einen Seite mögliche juristische bzw. ideologische und auf der anderen Seite soziale Faktoren, die einen Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren können. 65 2.3.3. Ökonomische Faktoren 2.3.3.1. Entwicklung Der Begriff „Entwicklung“ kann in vielen verschiedenen Bereichen als Untersuchungsgegenstand sowie zur Einstufung einer Minderheit dienen. Dabei kann er in unterschiedlichsten Weisen gedeutet, verstanden und untersucht werden. Der Terminus wird hier als Entwicklung der gesellschaftlichen Strukturen oder Modernisierung der analysierten Gruppe ausgelegt. Wenn sich eine Gruppe von dem Rest der Bevölkerung durch diverse diskriminierende Elemente unterscheidet, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass dieser Teil der Bevölkerung unterentwickelt120 ist. Die Strukturen der untersuchten Gruppe können durchaus den gleichen Modernisierungsstandard des Rests der Bevölkerung haben, lediglich diverse soziale Strukturen sind als Ursachen einer Diskriminierung zu sehen. Diese Situation ist für dieses Kriterium nicht ausschlaggebend. Dieses Kriterium, also Entwicklung, zielt darauf ab, eine mögliche Rückständigkeit der untersuchten Gruppe im Bereich der Modernisierung herauszuarbeiten. Diese eventuelle Unterentwicklung kann einerseits ebenso Grund für die erwähnten Diskriminierungen sein, andererseits kann eine Unterentwicklung auch der entscheidende Grund für die Einstufung als Minderheit sein. Grundsätzlich gehen eine rückständige Entwicklung der Bevölkerungsgruppe und eine schlechte Integration sowie Benachteiligung gegenüber dem Rest der Bevölkerung Hand in Hand. Entwicklung ist somit ein entscheidendes Kriterium für die Einstufung als Minderheit. Zwar ist es nicht unbedingt essentiell, dass eine Minderheit, die als solche eingestuft ist, in ihrer Modernisierung rückständig ist, jedoch ist eine Gruppe definitiv eine Minderheit, wenn eine solche Rückständigkeit besteht. Somit ist Entwicklung im hier angewandten Verständnis ein entscheidendes Kriterium für die Bestimmung einer Minderheit. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass die untersuchte Gruppe auch eine Minderheit sein kann, wenn keine Unter- bzw. rückständige Entwicklung besteht. 120 Unterentwickelt wird nicht als negativer Begriff verstanden, sondern beschreibt lediglich, dass die Entwicklungsstufe in Richtung Modernisierung nicht die gleiche ist, sondern rückständig. 66 2.3.3.2. Zugang zur Wirtschaft Ein Teilbereich der oben angesprochenen Entwicklung einer möglichen Minderheit ist dessen wirtschaftliche Situation bzw. wirtschaftliche Integration. Dabei muss nach Meinung des Autors die zu analysierende Gruppe als eigenständiger Gegenstand analysiert werden und hinsichtlich der wirtschaftlichen Möglichkeiten innerhalb und nach außen untersucht werden. Eine Unterscheidung und gewisse Unabhängigkeit der wirtschaftlichen Situation zwischen dem Rest des Staates und der untersuchten Gruppe ist eine Vorraussetzung für eine Analyse. In erster Linie muss die Hauptwirtschaftsquelle der jeweiligen spezifischen Gruppe analysiert werden. Daraus können bereits Schlüsse gezogen werden, in wie weit die Gruppe in das gesamte System des Landes integriert ist. Entscheidend dabei sind neben der Bildung und Arbeitssituation, die wirtschaftlichen Zweige, die innerhalb der untersuchten Gruppe bzw. in Verbindung mit dem Staat und eventuell anderen Staaten betrieben werden. Diese Wirtschaftszweige liefern auch die Informationen über wichtige Punkte, die zu untersuchen sind. Dabei wird klar, welche Industrien wichtig sind und mit welchen Rohstoffen gearbeitet und gehandelt wird. Wichtig dabei ist auch, ob die einzustufende Gruppe die Kontrolle über diese Wirtschaftszweige hat oder nur als verarbeitendes bzw. unterstützendes Medium, z.B. als Arbeiter, dient. Die Kontrolle über diverse Rohstoffe oder Wirtschaftszweige würde die Gruppe in eine Position bringen, in der es ihr möglich ist, Macht auszuüben. Dadurch würde ihre Stellung innerhalb des Staates so wichtig, dass sie außer einem etwaigen numerischen Minderheitenstatus keine Einstufung als Minderheit erhalten würde. Macht ist ein entscheidender Faktor, der noch an anderer Stelle behandelt wird. Einzige Ausnahme dieser Situation ist eine mögliche Unterscheidung der Wirtschaftszweige zwischen dem Land und der untersuchten Gruppe. Dies könnte etwa dann eintreten, wenn die Gruppe sich selbst versorgt und einen anderen Lebensstandard – in der Regel einen niedrigeren – hat als der restliche Staat. Somit wird auch in diesem Fall deutlich, dass die hier beschriebenen Kriterien sehr eng miteinander verknüpft sind, und es kein Kriterium gibt, das exklusiv als entscheidender Faktor für eine Einstufung als Minderheit gelten kann. 67 2.3.3.3. Integration Die Frage der Integration ist heikel und dennoch eines der wichtigsten Kriterien für die Bestimmung des Minderheitenstatus einer Bevölkerungsgruppe. Dieses Untersuchungskriterium ist in gewisser Weise das Basiselement für alle anderen Merkmale, da alle bisher beschriebenen Punkte die Integration in dem jeweiligen Bereich beinhalten. Da diese Untersuchung sich auf die sozio-politische Ebene bezieht, wird hier die Definition von Integration der Sozialwissenschaften, im Speziellen der Soziologie, herangezogen. Dabei wird Integration als Wiederherstellung eines Ganzen durch diverse Prozesse verstanden. Dadurch werden das Verhalten sowie das Bewusstsein nachhaltig verändert. Diese Prozesse können einerseits zwischen einzelnen Individuen oder zwischen Gruppen bzw. Bevölkerungsteilen stattfinden. Durch Integration sollen neue soziale Strukturen und Ordnungen gebildet werden. Entscheidend dabei ist die Unterscheidung zwischen Assimilation und Integration. Unter Integration soll auf keinen Fall die Eingliederung verstanden werden, die dazu führt, dass eine Gruppe von Personen gezwungen ist, ihre eigene Kultur und ihre eigenen Werte aufzugeben. Vielmehr sollten sie ihre eigenen Werte und ihre Kultur in die neue Ordnung einbringen und somit überhaupt erst zur Bildung einer solchen beitragen.121 Hier wird der Begriff Integration im speziellen dahingehend ausgelegt, in wie weit der untersuchte Teil der Bevölkerung bzw. die Gruppe, die als Forschungsgegenstand dient, in diverse Bereiche des alltäglichen sozialen und ökonomischen Lebens eingegliedert ist. 2.3.4. Juristische Kriterien Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, werden die Kriterien, die von Capotorti und Ermacora erarbeitet wurden, nicht außer Kraft gesetzt, sondern nur in abgewandelter Form verwendet. Aus diesem Grund kommt es hier zu einer teilweisen Wiederholung bereits angeführter Argumente. Dies dient allerdings dazu, die Vollständigkeit der selbst aufgestellten Kriterien zu gewährleisten. Zudem werden auch nur bei 121 Vgl. Kobi, Emil E (1994). Was bedeutet Integration? Analyse eines Begriffs, in: Eberwein, Hans (1994).Behinderte und Nichbehinderte lernen gemeinsam. Handbuch der Integrationspädagogik, Weinheim, Basel, S.71-79. 68 Charakteristika, zu denen es Ergänzungen gibt, diese Erweiterungen angeführt. Zu den anderen Punkten wird nur auf andere Stellen in der Arbeit verwiesen. 2.3.4.1. Nicht herrschende Stellung Dieses Kriterium wird sowohl von Capotorti wie auch Ermacora als ein entscheidendes gesehen. Dem ist voll und ganz zuzustimmen. Auch wenn es historische und moderne Ausnahmen dieses Kriteriums gibt, wie etwa die Apartheit in Südafrika, ist dieses Merkmal absolut notwendig. Das Verständnis in dieser Studie sieht eine Minderheit als eine in irgendeiner Form benachteiligte Bevölkerungsgruppe. Durch eine herrschende Stellung kann auch eine kleinere Gruppe nicht mehr als Minderheit, wie sie in dieser Untersuchung definiert ist, verstanden werden. Die Formulierung „Herrschende Stellung“ kann im weiteren Sinne auch als Macht definiert werden. Im weiteren Sinne deshalb, weil Macht auch in Teilbereichen wichtig sein kann. Man kann z.B. auch in einem Wirtschaftszweig über eine mächtige Position verfügen, aber nicht in einer herrschenden Stellung sein. Allerdings bringt die herrschende Stellung fast ausschließlich – mit Ausnahme von Stellvertreterregimes – eine unmittelbare Machtposition der Herrscher mit sich. Diese Position ermöglicht diskriminieren, es, wodurch verschiedene eine Gruppen aber Minderheitensituation auch erst Individuen zu durch die Herrschaftskonstellation hervorgerufen wird. Diese Möglichkeit, diese Situation herbeizuführen, verdeutlicht weiters, wieso dieses Kriterium entscheidend für einen möglichen Minderheitenstatus ist. 2.3.4.2. Möglichkeit des Zugangs zum politischen System Dies ist ein entscheidender Faktor, denn wenn einer Gruppe des Staates der Zugang zum politischen System verwehrt wird, dann ist das eine klare und schwerwiegende Diskriminierung. Jeder Bürger des Staates muss die Möglichkeit haben, das System des jeweiligen Staates mitzugestalten, um seine positive sowie negative Kritik an den Machthabern ausdrücken zu können. Das beinhaltet auch, dass jeder Bürger die Regierung abwählen kann, wenn es in seinem Interesse liegt. Sollte den Mitgliedern einer gesamten Gruppe der Zugang zum politischen System verwehrt sein, dann ist 69 das eine Diskriminierung und macht die Gruppe automatisch zu einer Minderheit, die allerdings nicht anerkannt ist.122 Dieses Kriterium hängt direkt zusammen mit dem Kriterium Staatsbürgerschaft von Capotorti. Wie oben erwähnt, sollten Bürger das Recht haben zu wählen. Die Tatsache, dass Bürger durch die Staatsbürgerschaft zu solchen gemacht werden, ist sehr bedeutend für die Verleihung des Wahlrechts. Es gibt Staaten in denen es unterschiedliche Regelungen gibt, wodurch auch „permanent residents“ das Wahlrecht verliehen bekommen können. Allerdings ist die Situation in solchen Ländern sehr schwierig, in denen das legislative Netzwerk nicht so weit fortgeschritten ist, dass alle Einwohner des Staates eine Staatsbürgerschaft haben. Die Ursache dafür kann in verschiedenen Dingen liegen, wie z.B. instabile politische Lage, Analphabetismus oder Größe des Landes. Das ändert in vielen Fällen nicht die Tatsache, dass die Mitglieder der Gruppen teilweise schon seit Jahrhunderten auf den jeweiligen Staatsgebieten – die sich auch geändert haben können – ihren Lebensraum haben. Durch diverse Grenzverschiebungen können diese Gruppen ihre territoriale Staatszugehörigkeit auch wechseln. Solche Gruppen, wenn sie zudem in ihrer Entwicklung rückständig sind, haben meist keinen Zugang zum politischen System und sind dadurch in einen (nicht anerkannten) Minderheitenstatus gedrängt. Zwar muss eine Gruppe aufgrund ihrer Möglichkeiten, ihres Politikverständnisses und/oder ihres Desinteresses die Möglichkeit zur Partizipation in der politischen Ebene nicht in Anspruch nehmen, allerdings muss diese vorhanden sein, um eine inklusives System darzustellen. 2.3.4.3. Anerkennung123 Dieser Punkt ist eigentlich kein Kriterium, da er aber unter dem juristischen Aspekt zu verstehen ist, wird er hier angeführt. Der Ausdruck Anerkennung wird hier als Tatsache verstanden, dass die aktuelle Regierung des jeweiligen Landes die Bevölkerungsgruppe als offizielle Minderheit anerkennt und ihr dadurch diverse Sonderrechte gegenüber anderen Gruppen zugesteht. Dies führt allerdings lediglich dazu, dass der Status offiziell ist und sich dadurch diverse Rechte für die jeweiligen Gruppen ergeben bzw. niedergeschrieben werden. Diese Rechte können einerseits 122 Siehe anerkannte und nicht anerkannte Minderheiten weiter untern in dieser Studie. Die Anerkennung ist ein juristischer Prozess, der sich nicht unmittelbar mit dem Inhalt dieser Arbeit deckt, weshalb die eigentlichen juristischen Vorgehensweisen nicht genauer behandelt werden. Zudem sind die Prozedere in jedem Land verschieden, und der Fokus hier auf dem Ergebnis und dem Status und weniger dem Prozess liegt. (Anm. d. Autors) 123 70 im Zugang zum politischen System bestehen, andererseits können sie den bestimmten Gruppen auch kleine Vorteile zugestehen. Interessant ist die Unterscheidung zwischen anerkannten Minderheiten und nicht anerkannten Minderheiten. Anerkannte sind solche, die von der jeweiligen Regierung akzeptiert werden und somit als Teil des Staates bzw. der Bürger des Staates gelten. Unter nicht anerkannten Minderheiten wird hier eine Gruppe verstanden, die sich durch ihre kulturellen Merkmale von dem Rest der Bevölkerung unterscheidet, aber von der jeweiligen Regierung nicht als Minderheit anerkannt werden. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Gruppe als Minderheit gesehen werden muss, wenn sie in gewissen hier angeführten Bereichen benachteiligt ist. 2.3.4.4. Zahlenmäßige Unterlegenheit Zahlenmäßige Unterlegenheit wird in der in dieser Studie verwendeten Definition zur Minderheitenbestimmung nicht als Kriterium gesehen, da, wenn ein oder mehrere der oben beschriebenen Kriterien zutreffen, auch eine zahlenmäßig größere Gruppe als Minderheit eingestuft werden. 2.3.5. Zusammenfassung der Kriterien und Definition von Minderheiten Die oben angeführten Einteilungen sowie Kriterien der einzelnen Kategorien sind eine persönliche Auflistung der dem Autor notwendig erscheinenden Definitionsmerkmale zur Bestimmung des Minderheitenstatus einer Gruppe. Grund für die eigene Auflistung von Kriterien und Einteilung von Kategorien ist die nach Ansicht des Autors unzureichende wissenschaftliche Kategorisierung bisher. Dabei sei darauf hingewiesen dass, um eine Minderheit als solche einstufen zu können, nicht alle Kriterien erfüllt sein müssen. Es genügt in manchen Fällen, wenn nur ein Kriterium erfüllt ist, dass man eine Gruppe als Minderheit einstufen kann. Im Idealfall, um die Bestimmung zu erleichtern, werden jedoch mehrere Kriterien erfüllt, und die Einstufung ist eindeutig und nicht leicht zu kritisieren bzw. anzuzweifeln. Die vielleicht entscheidenden Kriterien sind definitiv die juridischen, denn die Merkmale und Kriterien in den anderen Kategorien ergeben sich beinahe ausschließlich aus diesen. Der Zugang zum politischen System ist eine entscheidende Voraussetzung für die Möglichkeit, die Situation verändern zu 71 können. Sobald eine Gruppe aufgrund wie auch immer gearteter Begründung keinen Zugang zum politischen System hat, wird ihr die Anerkennung als Teil der Gesellschaft bzw. Gemeinschaft innerhalb des Staates verweigert. 2.3.6.Die Definition von Minderheit des Autors: „Eine Minderheit ist ein – nicht notwendigerweise zahlenmäßig geringerer – Teil der Bevölkerung oder eine Gruppe innerhalb eines Staates, die sich durch kulturelle, soziale, ökonomische und/oder juristische Kriterien vom Rest der Bevölkerung unterscheidet oder abgrenzt und aufgrund eines oder mehrerer dieser Kriterien nicht die gleiche Behandlung wie der Rest der Bevölkerung des Landes.“ 72 3. Geschichte des Minderheitenschutzes Der Minderheitenschutz, Völkerrechts, kann einer auf eine der wichtigsten lange Bestandteile Geschichte des heutigen zurückblicken. Der Minderheitenschutz, wie man den Begriff heute weithin versteht und auslegt, hat sich im Laufe der Zeit durch verschiedene Stadien entwickelt. Basierend auf den Ideen von Jean Bodin, respektive seiner Definition des Souveränitätsbegriffs, verstand man die Gewalt des Staates124 innerhalb des jeweiligen Grenzgebietes als omnipotent. Allerdings ist die erste erwähnenswerte Entwicklung in diesem Bereich erst im 16.Jahrhunderts anzusiedeln, da es zu dieser Zeit die ersten offiziellen Vereinbarungen zwischen verschiedenen Staaten gab. In der Zeit zwischen 16. und 18. Jahrhundert gab es weitere bzw. vermehrt Bestimmungen in einzelnen Verträgen, die das Thema „Schutz von Minderheiten“ mehr oder weniger detailliert regelten. Die Regelungen wurden bis in 19.Jahrhundert in verschiedenen Abkommen und Verträgen noch in unterschiedlicher Art vertieft bzw. erweitert, wodurch immer mehr und unterschiedliche Gruppen von Minderheiten einbezogen wurden. Welche Art von Minderheiten durch diese Übereinkommen geschützt wurde, war je nach Region und politischer Lage verschieden. Die Situation bestimmter Personengruppen, die im Interessensgebiet eines anderen Staates lagen, war unterschiedlich geregelt. Etwa gab es Abkommen über Personen, die sich im Gebiet anderer souveräner Staaten befinden; daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit das Fremdenrecht im Völkerrecht125. Auf der anderen Seite gab es zwischenstaatliche Verträge über Gruppen von Menschen innerhalb eines Staates, die sich durch gemeinsame Religion, Sprache oder national-ethnische Herkunft mit einem anderen Staat verbunden fühlen. Diese Vereinbarungen stellten die ersten zwischenstaatlichen Regelungen im Rahmen des Minderheitenschutzes dar.126 124 Allerdings ist unter „Staat“ nicht das heutige Konzept von Nationalstaat zu verstehen, sondern das Verständnis zu damaligen Zeit gemeint. (Anm. d. A.) 125 Das Fremdenrecht sieht vor, dass dem Fremden im Aufenthaltsstaat ein Mindeststandard an menschenrechtlicher Behandlung zuteil wird, die vom Heimatstaat durch diplomatische Mittel eingefordert werden kann. Das Ermessen über den Schutz des Reisenden liegt beim Heimstaat und in wie weit dieser die Aufenthaltsinteressen unterstützen will. Wenn die innerstaatlichen Mittel für ein Einschreiten der Regierung nicht vorhanden sind, dann ist die Einzelperson schutzlos. In: Lillich, Richard B. (1984). The Human Rights of Aliens in Contemporary International Law, Manchester University Press, Manchester, S.44ff. 126 Vgl. Scherer-Leydecker, S.29. 73 3.1. Schutz religiöser Minderheiten; 16. bis 18.Jahrhundert. Die Reformation und die damit verbundenen Glaubenskriege im Laufe des 16.Jahrhunderts hatten entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Schutzes von Minderheiten in Europa. Durch die Auseinandersetzungen kam es fast in allen Länder und Regionen dazu, dass Angehörige anderer als der in diesem Gebiet erwünschten Religion, ausgegrenzt, gefoltert wurden oder teilweise mit Gewalt gezwungen wurden, dem jeweiligen Glauben beizutreten. Durch den Augsburger Religionsfrieden wurden den religiösen Minderheiten, die es zu dieser Zeit am ehesten zu schützen galt, noch kein expliziter Schutz gewährt. Es war darin lediglich die Zwangsbekehrung verboten, jedoch waren die Andersgläubigen gezwungen, durch das „ius emigrandi“ in das Souveränitätsgebiet eines anderen Herrschers zu siedeln, um dessen Religion anzunehmen. Erst später wurde diese Verordnung durch das Duldungsgebot ersetzt, das den Gläubigen auch gestattete, ihre eigene Religion auszuüben.127 In späteren Friedensverträgen, in denen es zu Landesabtretungen der besiegten Mächte an einen andersgläubigen Herrscher kam, wurden weitere Artikel und Klauseln festgeschrieben, wodurch die religiösen Minderheiten geschützt wurden. Der wichtigste und zugleich bekannteste dieser Verträge ist der Westfälische Friede.128 Die Vereinbarungen zwischen europäischen Staaten und dem Osmanischen Reich werden traditionell dem Fremdenrecht zugeordnet. Darin wurden spezielle Schutzbestimmungen und Privilegien für Ausländer zur Ausübung der christlichen Religion erlassen. Ausländer wurden damals allerdings nicht dem gültigen Minderheitenbegriff zugeordnet.129 3.2. Schutz nationaler Minderheiten im 19.Jahrhundert Gegen Ende des 18.Jahrhunderts begann sich in Westeuropa – speziell durch die Lehre von Rousseau und die französische Revolution unterstützt – die Idee des 127 Vgl. Pöllinger, Sigrid (2001). Minderheitenprobleme und Minderheitenschutz. Das Engagement internationaler Organisationen, neuer wissenschaftlicher Verlag, Wien, S.19f. 128 Weitere Beispiele für solche Vereinbarungen sind: Westfälischer Friede (1648); Oliva (1660) zwischen Schweden, Polen dem deutsch-römischen Kaiser und Brandenburg; Nimwegen (1678), Ryswijk (1697) zwischen den Niederlanden und Frankreicht; Breslau (1742); Paris (1763); Warschau (1773); Protokoll von 1814, Wiedervereinigung von Belgien und Holland; in: Scherer-Leydecker, S.30. 129 Vgl. Scherer-Leydecker, S.30f. 74 Nationalstaatsdenkens auszubreiten und zu festigen. Dadurch wurden in Zentraleuropa Einigungs- und in Süd- und Osteuropa Autonomiebewegungen gegen die Vielvölkerstaaten, wie z.B. die K.u.K. – Monarchie und das Osmanische Reich, ausgelöst130. In beinahe allen Dokumenten, die bis zum Ersten Weltkrieg unterzeichnet wurden und Gebietssezessionen bzw. Friedensvereinbarungen darstellten, gab es eine Optionsklausel. Diese sicherte den nationalen Minderheiten, die sich durch diese territorialen Änderungen bildeten, das Recht der freien Abwanderung zu.131 Die erste wichtige Bestimmung hinsichtlich der Repräsentation und des Schutzes nationaler Minderheiten findet sich in der Schlussakte des Wiener Kongresses von 1815: „Les Polonais, sujets respectifs de la Russie, de l'Autriche et de la Prusse, obtiendront une représentation et des institutions nationales, réglées d'après le mode d'existence politique, que chacun des gouvernements auyquels ils appartiennent jugera utile et convenable de leur accorde. 132 In der Akte wurde geregelt, dass die Minderheiten der Polen in Preußen, Österreich und Russland, je nach Maßgabe der Gesetzeslage, nationale Repräsentationen und Institutionen erhalten sollten. Die Problematik des Minderheitenschutzes verschärfte sich in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg zusehends, da die Desintegrationsbestrebungen in den Vielvölkerstaaten erheblich zunahmen. In weiteren Dokumenten bis zum Ersten Weltkrieg wurden Klauseln zum Minderheitenschutz festgeschrieben. Einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklungen im Bereich Minderheiten hatte die Situation in der Habsburger Monarchie. Allerdings kann trotz zunehmender Normen zu dieser Problematik noch nicht von einem internationalen Minderheitenrecht gesprochen werden. Die Einhaltungen bzw. Wahrung der Rechte der Minderheiten lagen weiterhin im Ermessen der jeweiligen Mächte.133 130 Vgl. Scheyrer-Leydecker, S.31. Vgl. Kimminich, Otto (1980). Regelungen der Minderheiten und Volksgruppen in der Vergangenheit, in: Wittmann, Fritz; Bethlen, Stefan (Hrsg.), Volksgruppenrecht. Ein Beitrag zur Friedenssicherung. Berichte und Studien der Hans-Seidel-Stiftung, Band 15, Olzog, Wien, München, S.37ff. 132 Artikel 1, Absatz 2. der Schlussakte des Wiener Kongresses. (9.Juni 1815), http://www.histoireempire.org/articles/congres_de_vienne/acte_du_congres_de_vienne_02.htm. 133 Vgl. Bartsch, Sebastian (1995). Minderheitenschutz in der Internationalen Politik. Völkerbund und KSZE/OSZE in neuer Perspektive, Westdeutscher Verlag, Opladen, S.64f. 131 75 3.3. Minderheitenschutz im Völkerbund Durch das Ende des Ersten Weltkriegs wurde die nationale Ordnung der Vielvölkerstaaten durcheinander geworfen, und es bildeten sich neue Staaten. Das Problem der Minderheiten in den verschiedenen Teilen Europas wurde sehr deutlich, da die jeweiligen Minoritäten nicht bereit waren, mit den neuen Regierungen zusammenzuarbeiten. Somit entstand eine Vielzahl von Spannungen. Vor allem in Ländern mit großen und einflussreichen Minderheitenanteilen134 entstanden Konflikte. Hintergrund für diese Probleme war der zu der damaligen Zeit zunehmende Nationalismus. Die neu gebildeten Territorien wurden von den dort ansässigen Mehrheiten als ihre neuen Staaten und die Minderheiten als Gefahr für deren dauerhaften Bestand angesehen. Aus diesem Grund waren die Gruppen, welche die Vorherrschaft in einem Staat innehatten, bestrebt, die Bevölkerung zu homogenisieren, wodurch die Minderheiten gezwungen werden sollten, sich unterzuordnen. Zudem waren Bestrebungen erkennbar, wonach sich die herrschenden Gruppen auch um den Schutz bzw. die Wahrung der Sicherheit für ehemalige Staatsangehörige, die in anderen Ländern zu Minderheiten wurden, bemühten. Neben diesen Bemühungen hatten die Staaten auch das Interesse, diese Minderheiten für revisionistische Zwecke zu nutzen. Der Neuansatz im Bereich Minderheitenschutz, der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte, hatte zwei Ursachen. Einerseits der akute Handlungsbedarf, der durch die erwähnten Konfliktherde in den neuen Ländern bestand; andererseits sahen die Siegermächte die Möglichkeit den unterlegenen Staaten Verpflichtungen bezüglich des Minderheitenschutzes aufzuerlegen. Die Vorstellung, dass das Problem der Vorschriften und 135 Minderheitenintegration bzw. des Minderheitenschutzes zu größeren und langfristigen Konflikten führen könnte, veranlasste die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ein System zu schaffen, das die Grundlagen des Minderheitenschutzes festlegen sollte. Dieses wurde im Rahmen der Friedenskonferenz in Versailles verhandelt. Neben der angestrebten Stabilität wurde dort auch eine allgemeine Friedensordnung nach den Haager Konferenzen diskutiert. Der Vorschlag von dem amerikanischen Präsident Wilson, der in seinem 14-Punkte-Programm vom 8.Jänner 1918 eine mögliche Nachkriegsordnung 134 Beispiele hierfür sind: Polen 30,8%, Rumänien 28,1%, Jugoslawien 28%, Griechenland 31,5%, Tschechoslowakei 34,5%, Ungarn 10,5% und Bulgarien 16,6%; in: Pöllinger, S.26. 135 Vgl. Bartsch, S.65f. 76 präsentierte, führte schließlich zur Gründung des Völkerbunds, der am 20.Jänner 1920 seine Arbeit aufmachen.136 Wie wichtig eine Lösung der Minderheitenproblematik für die Friedenssicherung ist, formulierte Wilson am 31.5.1919 in einer Plenarsitzung der Friedenskonferenz folgendermaßen: „Nothing, I venture to say, is more likely to disturb the peace of the world than the treatment which might, in certain circumstances, be meted out to the minorities.“137 Die offensichtliche Problematik bezüglich der Minderheiten und der Druck eine geeignete Lösung zu finden, hätten allein nicht ausgereicht, um die Vorschriften und Regelungen zu installieren, da es unter den neu gegründeten Ländern einige Gegner solcher Schutzmaßnahmen gab. Ein weiterer Grund für die letztendliche Schaffung der Grundlage eines Minderheitenschutzsystems waren die kurzzeitig vorherrschenden Machtkonstellationen, die den Großmächten spezielle Positionen einräumten. Sie nutzten diese Stellung, um einer Reihe von Staaten die Minderheitenschutzbestimmungen aufzuerlegen, ohne sich selbst an diese Regelungen zu halten. Durch die mächtigen Positionen während der Pariser Friedenskonferenz konnten die Großmächte ihre Anerkennung der neu gegründeten Staaten von einigen Bedingungen abhängig machen. Diese seit dem späten 19.Jahrhundert durchaus übliche Praxis war hinsichtlich der rechtlichen Position nicht ganz klar festzulegen und unter den Staatsmännern sehr umstritten. Allerdings wurde diese Art der diplomatischen Vorgehensweise ungeachtet der Diskussionen praktiziert.138 Die Satzung des Völkerbundes bestand aus 26 Artikeln, die neben anderen Verpflichtungen für die Mitgliedsstaaten die Friedenssicherung und die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten gewährleisten sollten. Der Völkerbund war das erste System einer schriftlich fixierten kollektiven Sicherheit und hatte mit einem Schiedsgericht ein Organ, welches zur Streitbeilegung herangezogen werden sollte. Für den Fall einer Verletzung der Regelungen sah die Satzung Sanktionen vor, die gegen den jeweiligen Mitgliedstaat einzusetzen waren. Die wichtigsten Organe 136 Vgl. Pöllinger, S.25f. Zitat in: Bartsch, S.66. 138 Vgl. Bartsch, S.66. 137 77 waren die Bundesversammlung aller Mitglieder, die in Genf tagte, der Völkerbundsrat139 und das Sekretariat in Genf.140 Die ersten Entwürfe vor der Gründung der Organisation zur Miteinbeziehung des Minderheitenschutzes in die Statuten wurden durch die Kommission, die mit der Ausarbeitung des Völkerbundpaktes beauftragt war, verhindert. Trotz dieser anfänglichen Ablehnung wurden auch nach der Gründung weitere Initiativen verfolgt, die Minderheitenschutzbestimmungen in die Statuten zu verankern. Immer wieder wurde dabei in den Erklärungen die Hoffnung ausgedrückt, dass sich auch Staaten, die nicht dem Bündnis angehörten, an die Standards in der Satzung halten würden. Allerdings fand die Ansicht, wonach Erklärungen des Völkerbunds als internationales Gewohnheitsrecht allgemeine Gültigkeit besaßen, nicht viele Anhänger und entsprach nicht der zeitgemäßen Staatenpraxis.141 Die Großmächte spielten während dieser Entwicklung die Rolle eines Vermittlers und versuchten, so viele Länder wie möglich zum Minderheitenschutz zu verpflichten, da darauf abgezielt wurde, die neuen Staaten zu stabilisieren. Einerseits sollte einem möglichen Irredentismus142 sowie einer Illoyalität der Minderheiten vorgebeugt werden. Andererseits sollten Umstände geschaffen werden, durch die es den Minderheiten möglich werden sollte, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und mit den neuen Regierungen zu kooperieren. Langfristig war das Ziel einer solchen, die Minderheiten nicht mehr als Gruppen mit Sonderrechten zu sehen, sondern als Teil der Bevölkerung des Landes. Neben dem Ziel, Mittel- und Südosteuropa zu stabilisieren, waren die Großmächte auch um die Schaffung eines dauerhaften internationalen Friedens bemüht. Durch die Gründung des Völkerbunds war eine institutionelle Basis geschaffen worden, die durch die Schaffung spezieller Minderheitenrechte respektive deren Einhaltung und Schutz gestützt werden sollte. Dieses Argument für die Einführung solcher Regelungen wurde allerdings von den zum Minderheitenschutz verpflichteten Ländern – hauptsächlich waren dies die neu gegründeten Staaten sowie die Verlierermächte – heftig kritisiert, da einige Siegermächte sich nicht an solche 139 Mitglieder waren: Großbritannien, Frankreich, Italien bis 1937; Japan bis 1933; Deutschland 1926 – 1933 als ständige Mitglieder und 9 nicht-ständige Mitglieder, die für 3 Jahre gewählt wurden. Die USA traten nicht bei, weil der amerikanische Senat die Ratifizierung des Versailler Vertrages ablehnte. 140 Vgl. Pöllhuber, S.26f. 141 Vgl. Scherer-Leydecker, S.33f. 142 Irredentismus der: Geisteshaltung der Irredenta. Irredenta die: …2. Politische Unabhängigkeitsbewegung, die den Anschluss abgetrennter Gebiete an das Mutterland anstrebt; in: Duden. Das große Fremdwörterbuch (2000), Dudenverlag, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, S.650. 78 Bestimmungen gebunden sahen. Dies führte zu Spannungen zwischen den Ländern.143 Da trotz der unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen Staaten die Wichtigkeit des Themas Minderheitenschutz erkannt wurde, setzte der Oberste Rat des Völkerbunds eine „Kommission für neue Staaten und Minderheitenschutz“ ein. Die Aufgabe dieser Kommission war unter anderem die Formulierung von Verträgen zwischen den Alliierten und ihren ehemaligen Feindstaaten sowie die Prüfung und Definition der zu akzeptierenden Normen.144 Bis 1925 wurden die Regelungen bezüglich des Minderheitenschutzes auf Vorschlag der britischen Verhandler mit den jeweilig betroffenen Staaten in individuellen Verträgen geregelt. So wurden für die besiegten Staaten Österreich, Bulgarien, Ungarn und der Türkei die speziellen Bedingungen bereits in einem eigenen Kapitel in den zwischen 1919 und 1923 geschlossenen Friedensverträgen festgeschrieben, welche besagten, dass alle „…Staatsangehörigen, die einer Minderheit nach Rasse, Religion oder Sprache angehören…“145 zu schützen seien. Eine andere Vorgehensweise wurde bei den anderen Staaten146 gewählt. Diese verpflichteten sich in den Pariser Verträgen separate Minderheitenschutzbestimmungen mit den Alliierten auszuhandeln. Diese wurden in den Jahren 1919 und 1920 abgeschlossen. Zu diesen Abkommen zählten noch fünf weitere zwischen 1920 und 1924 geschlossen Verträge147 sowie fünf unilaterale Erklärungen148. Diese Abkommen wurden vom Völkerbund durch Resolutionen zur Kenntnis genommen.149 Die Normen zum Minderheitenschutz wurden bereits im Laufe der Pariser Friedensverträge ausgearbeitet, wurden jedoch erst zu Beginn der 1920iger Jahre durch Verfahren aktiv angewandt. Ein solches Verfahren wurde im Oktober 1920 beschlossen, und sah das Einreichen einer Petition vor. Diese konnte von einzelnen Personen, Gruppen oder NGOs in Gang gesetzt werden und musste an den 143 Vgl. Bartsch, S67ff. Vgl. Pöllinger, S.27f. 145 Zitat aus dem Artikel 67 des Vertrages von Saint-Germain-en-Laye vom 10.9.1919 in: Schweitzer, Michael, Rudolf, Walter (Hrsg.) (1985). Friedensvölkerrecht, 3.Auflage, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Baden-Baden, S. 253. 146 Polen, Tschechoslowakei, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen – dem späteren Jugoslawien, Rumänien und Griechenland; in: Scherer-Leydecker, S.35. 147 1.Polen und die freie Stadt Danzig bezüglich der polnischen Bevölkerung in Danzig; 2.Schweden und Finnland bezüglich der schwedischen Minderheit auf Åland; 3.Polen und Deutschland bezüglich der deutschen Minderheit in Oberschlesien; 4.Griechenland und der Türkei bezüglich der gegenseitigen Minderheiten; 5.Litauen und den Alliierten und Assoziierten Hauptmächten bezüglich der deutschen Minderheit im Memelland; in: SchererLeydecker, S.35. 148 Albanien, Litauen, Lettland, Estland und der Irak erklärten, ihren Minderheiten angemessenen Schutz zu gewähren, da es von bestimmten Staaten als Bedingung für einen Beitritt zum Völkerbund verlangt wurde; in: Scherer-Leydecker, S.35. 149 Vgl. Scherer-Leydecker, S.35f. 144 79 Völkerbund gerichtet werden. In der Folge wurde die Petition an alle Mitglieder verteilt. Allerdings war nur der Generalsekretär selbst in der Lage, die Zulässigkeit der Petition anzuerkennen, und forderte im gegebenen Fall die betroffene Regierung auf, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Beide Dokumente, die Petition und die Stellungnahme, wurden von einem Dreierkomitee150 geprüft und entweder weiter behandelt oder zurückgewiesen.151 Dabei hatte das Dreierkomitee drei Handlungsoptionen. Erstens konnte es entscheiden, dass der Fall so gravierend war, dass er sofort vor vom Völkerbundrat behandelt werden musste.152 Zweitens konnte der Fall als so unbedeutend eingestuft werden, dass sich der Völkerbund nicht weiter damit befassen musste. Diese Entscheidung wurde bei 35% aller eingereichten Petitionen getroffen. Drittens konnte das Komitee schließlich einen Auftrag an die Minderheitensektion des Sekretariats des Völkerbundes geben, dass diese die betroffene Regierung auffordert, weitere Informationen zur Verfügung zu stellen. Dies erfolgte meist durch informelle Gespräche zwischen Vertretern der Regierung und dem Direktor der Sektion. Allerdings waren die Einreichenden der Petitionen meistens nicht anwesend, trotzdem wurden dabei mögliche Lösungen besprochen, die alle zufrieden stellen konnten. Beendet war ein Verfahren meist dann, wenn die beklagte Regierung Zusagen machte, wonach die kritisierten Punkte geändert werden würden. Allerdings wurde dies nur in seltenen Fällen korrigiert.153 3.4. Verhärtete Fronten nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte das Thema Minderheitenschutz im internationalen Bereich nicht wirklich eine vordergründige Rolle. Man konzentrierte sich weniger auf einzelne Minderheiten als auf die Definition und den Schutz der allgemeinen Menschenrechte. Grund dafür waren die beiden Blöcke, die bezüglich dieses Themas harte Linien verfolgten. Im Westen waren die USA durch ihre Philosophie von Assimilation der Kulturen, die auch sehr starken Einfluss auf die westeuropäischen Länder sowie Indien hatte. Die Sowjetunion und Jugoslawien 150 In der Ratssitzung vom 10.Oktober 1920, in der auch die Einführung von Petitionen zur Problembehandlung beschlossen wurde, wurde auch festgelegt, dass diese Anträge durch Ad-hoc-Dreierkomitees geprüft werden sollten. Diese setzten sich jeweils aus dem Ratspräsidenten und zwei, von ihm ernannten, Mitgliedern zusammen. Ad-hoc deshalb, weil sie zu jeder Petition neu zu bilden waren; in: Bartsch, S.93. 151 Vgl. Pöllinger, S.28f. 152 Dies geschah nur vierzehn Mal in der Geschichte des Völkerbundes. Bartsch (96).) 153 Vgl. Bartsch, S.91ff. 80 waren insbesondere Befürworter von Minderheitenschutz, wodurch diese Diskussionen auch auf die allgemeine Verhärtung zwischen Ost und West abfärbte. Zudem war des Deutsche Reich, das als vehementester Vertreter des Minderheitenschutzes und Minderheitenschutzes in der Zwischenkriegszeit galt, als Verlierermacht nicht in der Position, in diese Debatte einzugreifen. Einen weiteren Einfluss hatte die Situation in Afrika. Dort wurden die Staaten größtenteils durch koloniale Minderheiten regiert. Deshalb versuchte man, das Streben nach Selbstbestimmung bzw. Rechten für einzelne Gruppen so gering wie möglich zu halten, um die Macht aufrechterhalten zu können. Das Streben nach Rechten zur Selbstbestimmung für ethnische Minderheiten wurde als Grundstock für die Möglichkeit der Erlangung der Unabhängigkeit der kolonialisierten Staaten angesehen. Allgemein sah man das System des Minderheitenschutzes durch das Versagen des Völkerbundes als Experiment, das versagt hat. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von den Siegermächten Interessen hinsichtlich eines allgemeinen Schutzes der Menschenrechte verfolgt wurden, dabei allerdings anfangs keine spezifischen Regelungen und Normen zum Schutz der Minderheiten beschlossen wurden.154 3.5. Minderheitenschutz in den Vereinten Nationen Die oben erwähnten Schwierigkeiten bzw. unterschiedlichen Positionen im Bereich Minderheitenschutz wurden vor allem in den Diskussionen zur Gründung der Vereinten Nationen offenkundig. Bereits in der Charta vom 26.Juni 1945 wurde in Art. 1 Abs. 3, Art. 13, 55, 62 und 76 festgehalten, dass die Organisation den Schutz der Menschenrechte sowie Grundfreiheiten als eine ihrer Hauptaufgaben sah. Allerdings war in dieser Charta, ebenso wie bei der Satzung des Völkerbundes, nicht detailliert der Minderheitenschutz als ein Teilbereich festgehalten.155 Am 10.Dezember 1948 wurde die AMRE von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Sie wird als eines der wichtigsten Dokumente des 20.Jahrhunderts156 speziell hinsichtlich des Menschenrechtsschutzes angesehen. 154 Vgl. Thornberry, S.17f. Vgl. Scherer-Leydecker, S.47. 156 Vgl. Heidelmeyer, Wolfgang (1997). Die Menschenrechte. Erklärungen, Verfassungsartikel, Internationale Abkommen, 4.Auflage, Paderborn, München, Wien, Zürich; 43ff. 155 81 Bezüglich der Minderheitenthematik wurde am gleichen Tag eine Resolution verabschiedet, die den Titel „Fate of Minorities“ trägt. Darin wurde festgehalten, dass die Vereinten Nationen „could not remain indifferent to the fate of minorities157“, es aber zum damaligen Zeitpunkt sehr schwierig war eine gemeinsame Lösung zu finden. Die Situation wurde aus dem Grund so heikel und prekär eingestuft, weil man sich nicht in der Lage sah, die Umstände, die in jedem Staat sehr spezifisch waren, speziell und einzeln zu behandeln.158 Wenn man die Spannungen in den folgenden fünf Jahrzehnten betrachtet, die zwischen den Mächten des Kalten Krieges herrschten, war diese Übereinkunft als gute Basis anzusehen, da so ein Abkommen wahrscheinlich in späteren Jahren nicht mehr möglich gewesen wäre.159 3.5.1. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) Schon in der Resolution „Fate of Minorities“ wurde deutlich, dass die Notwendigkeit für ein Handeln der Vereinten Nationen hinsichtlich einer allgemein gültigen Regelung des Minderheitenschutzes durchaus gegeben war. Deshalb wurde die Menschenrechtskommission und ihre „Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities“160 beauftragt, die Probleme der Minderheiten in einer Arbeitsgruppe gründlich zu analysieren und eine ausführliche Studie zu erstellen, um eine Basis für mögliche Maßnahmen zu schaffen. Die Unterkommission kam im Rahmen von Diskussionen 1950 zu dem Schluss, dass der wohl effektivste Weg, dem Problem entgegenzuwirken, der war, eine Verankerung zum Minderheitenschutz in dem bereits vorgeschlagenen IPBPR zu beschließen. Die Differenzen zum damaligen Zeitpunkt lagen in den Auffassungen, welche Gruppen geschützt werden sollten. So standen z.B. auf der einen Seite die Sowjetunion, die einen Schutz lediglich für die „nationality groups“ forderte, während auf der anderen Seite z.B. Jugoslawien stand, das zu den nationalen Gruppen auch ethnische, religiöse und kulturelle Gruppen schützen wollte. Eine wichtige Frage war auch, ob die Gruppen nur geschützt werden sollten, oder ob es ihnen ermöglicht werden sollte, ihre eigene Identität durch diverse Institutionen oder Medien zu entwickeln 157 Zitat in: Pentassuglia, Gaetano (2002). Minorities in international law. An introductory study, Council of Europe Publishing, Strasbourg, S.97. 158 Vgl. Ermacora, S.19 u. S.98. 159 Vgl. Pöllinger, S.31. 160 Dieses Organ wird an anderer Stelle dieser Studie ausführlicher erklärt. (Anm. d. Autors) 82 bzw. weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang kam auch die Diskussion auf, ob der Staat diese Institutionen fördern oder diese lediglich anerkennen sollte. Der erste Entwurf der Arbeitsgruppe für diesen Artikel lautete: „Ethnic, religious and linguistic minorities shall not be denied the right to enjoy their own culture, to profess and practice their own religion, or to use their own language.“161 Diese Formulierung „minorities“ wurde kritisiert und schließlich durch „persons belonging to minorities“ ersetzt. Hintergrund für diese Änderung war die Befürchtung, durch diese kollektive Formulierung eventuell Sezessionsgedanken auszulösen, wenn man den Artikel als ausschließliches Gruppenrecht ansieht. Um aber die Kollektivität des Artikels nicht ganz zu verlieren, wurde die Formulierung durch den Zusatz: ergänzt „in community with the other members of their group“. 162 Der Vorschlag wurde mit den Änderungswünschen 1950 angenommen und 1953 nochmals um einen kleinen Zusatz erweitert, da man in den lateinamerikanischen Ländern fürchtete, die Einwanderungsgruppen, die Minderheiten bilden könnten, wären in der Lage, die Stabilität der jeweiligen Staaten zu gefährden. Deshalb wurde ergänzt, dass die in dem Artikel beschriebenen Minderheiten bereits existieren müssen. Dieser Vorschlag führte wiederum zu heftigen Diskussionen über weitere Veränderungen der Begriffe, welche allerdings schließlich nicht mehr umgesetzt wurden. Die Formulierung des Artikels, wie er schließlich im IPBPR stehen sollte, wurde allerdings nicht mehr geändert, da die meisten Staatsvertreter ihre Zustimmung zum Ausdruck brachten.163 Die Vereinten Nationen machten schließlich im Bereich internationaler Minderheitenschutz einen weiteren entscheidenden Schritt. Neben der Konvention über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (die so genannten „modernen“ Menschenrechte), wurde am 19.Dezember 1966 der „Internationale Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte“(die „klassischen“ Menschenrechte), verabschiedet.164 161 Vgl. UN Doc. E/CN.4/Sub.2/112. Vgl. Pentassuglia, S.97f. 163 Vgl. Scherer-Leydecker, S.63ff. 164 Vgl. Ermacora, S.25ff, Blumenwitz (1994), u.a. 162 83 Die ausgearbeitete Formulierung wurde in Artikel 27 des IPBPR verankert und lautet: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“165 Die – zum damaligen Zeitpunkt – nötigen 35 Ratifikationen waren am 23.März 1976 erreicht, wodurch der Pakt in Kraft trat. Ein entscheidender Unterschied zur AMRE war, dass der IPBPR für die Staaten, die ihn annahmen, bindende Pflichten mit sich brachte. Der Artikel 2 des Pakts verpflichtet die Vertragsstaaten noch zusätzlich, die in der Konvention festgelegten Rechte ausdrücklich für alle ihrer Staatsgewalt unterstehenden Personen „ohne Unterschied wie insbesondere Rasse, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft…oder sonstigen Status zu gewährleisten.“166 Weitere wichtige Teile für Minderheiten zur Verwirklichung ihrer Identität sind Teile der Artikel 18, 19 und 22, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zum Inhalt haben. Bis heute haben 134 Staaten den IPBPR ratifiziert.167 Es gab nach der Verabschiedung des IPBPR immer wieder Diskussionen über die Rolle des Staates bzw. welche Voraussetzungen dieser zu schaffen hätte, um die Verwirklichung der in der Konvention festgelegten Rechte gewährleisten zu können. Einige Experten waren der Meinung, dass der Staat aktiv sein müsste und sowohl Ressourcen als auch den legalen Rahmen zu modifizieren hätte. Andere argumentierten, dass diese beiden Bereiche getrennt von einander zu betrachten seien. Es kam zu keiner wirklichen Einigung. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen veröffentlichte eine Resolution, wonach die Artikel des IPBPR nicht gegen die bereits allgemein gültige Gesetzgebung verstoßen sollten, sondern als ergänzend zu sehen seien. Es wurde allerdings immer deutlicher, dass in diesem Bereich noch viel Arbeit auf die Vereinten Nationen zukam.168 Die oben angeführten Probleme waren nur ein Teil der Unklarheiten und Schwierigkeiten, welche die Formulierungen im IPBPR mit sich brachten. Aus diesem Grund empfahl die Menschenrechtskommission dem Wirtschafts- und 165 Zitat in: Heidelmeyer, Wolfgang (1997), S.244. Zitat in: Heidelmeyer, S.235f. 167 Vgl. Scherer-Leydecker, S.69f. 168 Vgl. Thornberry, S.24f. 166 84 Sozialrat (ECOSOC) die Ausarbeitung einer Studie, die das Minderheitenkonzept analysieren und Möglichkeiten eröffnen sollte, wie man die Prinzipien aus dem IPBPR praktisch umsetzen könnte. ECOSOC genehmigte dies im Jahr 1969 und beauftragte wiederum die Menschenrechtskommission, eine solche Untersuchung in die Wege zu leiten. Der Auftrag wurde schließlich 1971 an den italienischen Professor Francesco Capotorti vergeben, der auch Mitglied der Unterkommission und später Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen war.169 Der Bericht wurde 1979 fertiggestellt und trägt den Titel „Study on Rights of Persons Belonging to Ethnic, Religious and Linguistic Minorities”. Darin liefert er einerseits eine Definition des Minderheitenbegriffs, der bis heute mit geringen Änderungen die wichtigste Definition darstellt und empfiehlt andererseits die Vorbereitung einer Erklärung der Rechte für Mitglieder von Minderheiten im Rahmen der in Artikel 27 IPBPR. Ein Zeichen, wonach die Menschenrechtskommmission dieser Idee positiv gegenüber stand war die Einsetzung einer „Open-Ended Working Group“ zur Ausarbeitung eines Textes im Rahmen ihrer Sitzung 1978. Gleichzeitig reichte Jugoslawien einen Vorschlag ein, der von der Arbeitsgruppe bearbeitet wurde. 170 Nachdem wichtige Fragen und Probleme weitgehend durch die intensive Mitarbeit von den einzelnen Regierungen geklärt wurden, wurde der Vorschlag am 21.Februar 1992 von der HRC und ECOSOC angenommen und an die Generalversammlung weitergeleitet. Schließlich wurde die „Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities“ durch Einstimmigkeit am 18.Dezember 1992 in der Resolution 47/135 beschlossen.171 1995 etablierten die Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Vorbeugung gegen die Diskriminierung von Minderheiten beschäftigt. Die Arbeitsgruppe tritt jährlich für fünf Tage in Genf zusammen und dient primär als Diskussionsplattform. Einerseits will man durch die Arbeit in dieser Gruppe das gegenseitige Verständnis und die Akzeptanz zwischen den Minderheiten sowie zwischen Minderheiten und den Regierungen erhöhen. Andererseits werden friedliche Konfliktbeilegungen besprochen, die auch die Minderheiten aktiv involvieren. Die Gruppe ist ein zunehmend wichtigeres Instrument Minderheitenschutz.172 169 Vgl. Ermacora, S.29. Vgl. Pentassuglia, S.111. 171 Vgl. Eglin, S.156. 172 Vgl. Working Group of Minorities, Office of the United Nations High Commissioner of the Human Rights, http://www.ohchr.org/english/issues/minorities/group/main.htm. 170 85 3.6. Schutz der Eingeborenenvölker 1982 gründeten die Vereinten Nationen die „Working Group on Indigenous Populations“, die ein Unterorgan der „Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights“ war. Dies traf sich jährlich in Genf und setzte sich aus Experten zusammen. Die Arbeitsgruppe war allerdings auch für Vertreter von Eingeborenenvölkern zugänglich, ebenso wie für Vertretern von internationalen und nationalen NGOs. Die Aufgabe war einerseits die Untersuchung der Einhaltung des Schutzes und die Förderung der Rechte für Eingeborenenvölker, andererseits die Diskussion über neue Entwicklungen zum effektiven Schutz der Eingeborenen. 1985, in demselben Jahr, in dem ein Fond für die Angelegenheiten der Eingeborenenvölker eingerichtet wurde, begann die Arbeitsgruppe mit dem Entwurf einer Deklaration der Rechte für Eingeborenengruppen, der 1993 an die Sub-Kommission übermittelt wurde. Die Definition von Minderheiten in diesem Entwurf lautet, wie folgt:173 “Indigenous peoples have the collective and individual right to maintain and develop their distinct identities and characteristics, including the right to identify themselves as indigenous and to be recognized as such.”174 “Indigenous peoples have the collective right to determine their own citizenship in accordance with their customs and traditions. Indigenous citizenship does not impair the right of indigenous individuals to obtain citizenship of the States in which they live.”175 Der Entwurf liegt derzeit bei dem 2006 neu gegründeten Human Rights Council, und viele, insbesondere Oberhäupter eingeborener Gemeinschaften, hoffen auf eine Einigung über eine Deklaration der Rechte der Eingeborenenvölker im Sepmtember 2007.176 173 Vgl. Working Group of Minorities, Office of the United Nations High Commissioner of the Human Rights. Article 8, The Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities. Draft United Nations declaration on the rights of indigenous peoples, 1994, http://www.unhchr.ch/huridocda/huridoca.nsf/(Symbol)/E.CN.4.SUB.2.RES.1994.45.En?OpenDocument. 175 Article 32, The Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities. Draft United Nations declaration on the rights of indigenous peoples, 1994, http://www.unhchr.ch/huridocda/huridoca.nsf/(Symbol)/E.CN.4.SUB.2.RES.1994.45.En?OpenDocument. 176 Vgl. UN News Center. Indigenous leaders voice hope that UN assembly will soon adopt rights declaration, 6.9.2007, http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=23728&Cr=indigenous&Cr1. 174 86 Die International Labour Organization (ILO) war die erste internationale Organisation, die Aktionen zum Schutz der Eingeborenenvölker setzte. Seit der Gründung im Jahr 1919 setzte sich die ILO für die sozialen und ökonomischen Rechte für diejenigen Gruppen ein, deren Traditionen, Bräuche und/oder Sprache von anderen Gruppen bedroht werden. 1957 verabschiedete die ILO die Konvention 107 (heute 169), die die erste internationale Übereinkunft war, die sich spezifisch mit dem Schutz der Völker einsetzt, die durch die dominanten Kulturen in ihren Staaten bedroht werden. Dabei betont diese Konvention, dass die Bestimmung der Identität eines Volkes essentiell für ihr Überleben sei. Dies gilt für alle Eingeborenenvölker, inklusive Waldvölker und verschiedene Pygmäengruppen. Zum damaligen Zeitpunkt wurden Eingeborenen- und Stammesvölker als rückständig und kurzweilig angesehen. Man sah es als zentrales Thema, sie in die Hauptgesellschaft einzugliedern, was durch Assimilation oder Integration geschehen sollte.177 1986 berief die ILO ein Treffen ein, indem auf die Tatsachen reagiert wurde, dass die Eingeborenenvölker sich immer stärker in der internationalen Politik etablierten und aktiv wurden. So sah man sich gezwungen, die Konvention von 1957 zu überarbeiten. Während des Beratungsprozesses zwischen 1987 und 1989 wurden viele Eingeborenenvölker miteinbezogen, um die neue Lage und Situation ihrer Völker darzulegen. Schließlich wurde 1989 die Konvention 169 angenommen, die zwar noch dieselben Inhalte hat, aber zudem das Recht auf das Leben der Eingeborenenvölker ohne Beeinflussung ihrer Kultur und ihrer Werte beinhaltet, sodass sie ihre Identität nicht verlieren. Bisher haben lediglich 17 Staaten diese Konvention ratifiziert. Für 18 Staaten ist die Konvention 107 noch gültig. Die DRC hat keine der beiden Konventionen anerkannt. Zwar wurde seitdem keine neue Konvention beschlossen, die ILO arbeitet jedoch intensiv in dem Bereich des Schutzes von Eingeborenenvölkern.178 Elemente von Stammesvölkern nach der Konvention 169: • Traditioneller Lebensstil • Kultur und Lebensweise unterscheiden sich zu anderen Teilen der nationalen Bevölkerung, z.B. Lebensunterhalt, Bräuche, Sprache etc. • Eigene soziale Organisation und traditionelle Bräuche und Gesetze 177 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). Minorities Under Siege – Pygmies Today In Africa, aktualisiert am 31.8.2007, http://www.irinnews.org/InDepthMain.aspx?InDepthId=9&ReportId=58605. 178 Vgl. International Labour Organization (2003). ILO Convention on Indigenous and Tribal Peoples 1989 (No.169), A Manual, S.5f. 87 Elemente eines Eingeborenenvolkes nach der Konvention 169: • Traditioneller Lebensstil • Kultur und Lebensweise unterscheiden sich zu anderen Teilen der nationalen Bevölkerung, z.B. Lebensunterhalt, Bräuche, Sprache etc. • Eigene soziale Organisation und Institutionen • Leben über einen historisch kontinuierlichen Zeitraum in einer bestimmten Region, bevor andere das Land übernahmen oder bezogen179 3.6.1. Weitere Definitionen Definition der Weltbank: For purposes of this policy, the term “Indigenous Peoples” is used in a generic sense to refer to a distinct, vulnerable, social and cultural group possessing the following characteristics in varying degrees: • self-identification as members of a distinct indigenous cultural group and recognition of this identity by others; • collective attachment to geographically distinct habitats or ancestral territories in the project area and to the natural resources in these habitats and territories; • customary cultural, economic, social, or political institutions that are separate from those of the dominant society and culture; and • an indigenous language, often different from the official language of the country or region.180 Definition von Martínez Cobo “Indigenous communities, peoples and nations are those which, having a historical continuity with pre-invasion and pre-colonial societies that developed on their territories, consider themselves distinct from the other sectors of societies now prevailing in those 179 Vgl. International Labour Organization, S.7. Vgl. The World Bank Operational Manual (2005). Indigenous Peoples, January 2007, http://wbln0018.worldbank.org/Institutional/Manuals/OpManual.nsf/tocall/0F7D6F3F04DD70398525672C007D08 ED?OpenDocument. 180 88 territories, or parts of them. They form at present non-dominant sectors of society and are determined to preserve, develop and transmit to future generations their ancestral territories, and their ethnic identity as the basis of their continued existence as peoples, in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems. In short, Indigenous Peoples are the descendants of a territory overcome by conquest or settlement by aliens.”181 Diese sind die am meisten anerkannten Definitionen von Eingeborenenvölkern. Viele Internationale Organisationen und Organe der Vereinten Nationen haben diverse Projekte installiert und Erklärungen zur Unterstützung der Eingeborenenvölker abgegeben. Die Eingeborenenrechte sind von vielen nationalen Regierungen noch nicht anerkannt, was vielleicht auch darin begründet liegt, dass es keine allgemeine Definition bzw. eine Erklärung der Vereinten Nationen zu diesem Thema gibt. 3.7. Die Afrikanische Union(AU) und die Minderheitenrechte Die Afrikanische Union wurde 1963 als regionale Organisation gegründet und diente ursprünglich hautsächlich dazu, den Folgen des Kolonialismus entgegenzuwirken. Bis zum heutigen Tage sind, bis auf Marokko, alle afrikanischen Staaten Mitglieder der AU. Das Prinzip, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Staaten einzumischen, war der Grund dafür, dass sich die Staaten nicht bzw. kaum für Verletzungen der Menschenrechte in den einzelnen Staaten interessierten. Erst 1981 verfasste die AU eine Afrikanische Charta der Rechte für Menschen und Völker, die 1986 in Kraft trat. Darin wurde auch vereinbart, dass ein Gerichtshof zu diesem Thema eingerichtet werden würde. Bis 1999 haben bis auf Eritrea alle Staaten diese Charta übernommen. Im Vergleich mit anderen bekannten Erklärungen zu Menschenrechten, wie etwa der European Convention on Human Rights deckt die Afrikanische Charta eine breitere Fülle an Rechten ab. Allerdings gibt es keine unmittelbare Referenz zu Minderheiten, die als solche definiert sind. Erst als 1994 die AU Versammlung der Staats- und Regierungschefs in ihrer Erklärung „the protection of the ethnic, cultural, linguistic and religious indentity of all our peopel, including national minorities, and 181 Vgl. Arbeitsdefinition aus dem Bericht an die UN Sub-Commission on the Prevention of Discrimination of Minorities von Martinéz Cobo (1986), in: International Work Group on Indigenous Affairs, Who are the indigenous peoples, http://www.iwgia.org/sw310.asp. 89 the creation of conditions conductive to the promotion of this identity”182 verlangten, wurde man auf die Minderheiten aufmerksam. 1999 wurden von der African Commission on Human and Peoples’ Rights (ACHPR) drei Experten mit einer Studie zur Situation der Minderheiten in Afrika beauftragt. Man kam zu dem Schluss, dass man eine Arbeitsgruppe einrichten müsste, die sich mit der Situation der indigenen Völker in Afrika auseinandersetzt. Ihr Auftrag sollte es sein, ein Konzept über die indigenen Völker zu erstellen und die Implementierung der Afrikanischen Charta zu untersuchen.183 Trotzdem der Begriff Minderheit grundsätzlich vermieden wird, gibt es einige Artikel der Afrikanischen Charta, die auch für Minderheiten eine erhebliche Bedeutung haben bzw. für diese angewandt werden können. Der einzige Artikel, in dem die ACHPR sich unmittelbar mit Minderheiten auseinandersetzt ist der Artikel 2, der die Basis des Verbots der Diskriminierung darstellt. In diesem Artikel wird festgelegt, dass die Rechte der Charta „without distinction of any kind such as race, ethnic group, colour, sex, language, religion, political or any other opinion national and social origin, fortune, birth or other status.“184 für jeden gültig sein müssen. In diesem Zusammenhang wurde auch betont, dass diese Erklärung sich mit der, von den Vereinten Nationen beschlossenen, Declaration on the Rights of Persons Belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities deckt. In der Charta ist auch verankert, dass jeder die gleiche Behandlung und den gleichen Schutz vor dem Gesetz erhalten soll185 und, dass der Staat für den Schutz der individuellen Werte und die Anerkennung derer durch den Rest der Gemeinschaft verantwortlich ist186. Die Kommission und die Charta umgehen neben der Definition einer Minderheit auch die Definition von Volk. Dies lässt den Schluss zu, dass die, in der Charta verankerten, Rechte auch für Minderheiten gelten. Schwierig wird die Frage, wenn es zum Selbstbestimmungsrecht kommt. Die Einschränkung der Selbstbestimmung ist dann gegeben, wenn es die territoriale Integrität eines Staates in Frage stellt. Nur in einem Fall wurde die Selbstbestimmung bisher in Betracht gezogen, in der Provinz in Katanga in ZAIRE, der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Dabei wurde allerdings, wie oben beschrieben, festgehalten, dass die Menschen von Katanga 182 Zitat aus Declaration on a Code of Conduct for Inter-African Relations, in: Pamphlet No.6 of the UN guide for Minorities. Minority Rights under the African Charter on Human and Peoples’ Rights, S.1. 183 Vgl. Pamphlet No.6 S.1. 184 Zitat in: Pamphlet No.6, S.2. 185 Vgl. Artikel 3. 186 Vgl. Artikel 17. 90 eine teilweise Selbstbestimmung ausüben dürfen. Diese müsse allerdings mit der nationalen Politik von ZAIRE konform gehen. Schließlich gibt es zum Thema Entwicklung im Artikel 22 die Festlegung, dass alle Völker das Recht haben, sich ökonomisch, sozial und kulturell frei zu entwickeln.187 Über die Rechte und Pflichten der Individuen wurden auch Artikel verfasst, die eine Stärkung der Solidarität beinhalten. Ebenso sind die einzelnen Personen verpflichtet, sich gegenseitig zu respektieren und jegliche Art von Diskriminierung zu vermeiden.188 Trotz dieser Rechte gibt es auch Beschränkungen in der Charta, da einige Punkte angeführt werden, die die Reichweite des Regelwerks beschränken können. So ist es notwendig, dass die Rechte mit dem jeweiligen nationalen Recht konform gehen müssen. Für dieses Faktum gibt es unterschiedliche Formulierungen in den einzelnen Paragraphen, welche allerdings auch einigen Spielraum für Interpretationen lassen.189 Die ACHPR setzt sich aus elf Mitgliedern zusammen, die „chosen from amongst African personalities of the highest reputation, known for their high morality, integrity, impartiality, and competence in matters of human and peoples’ rights”190, und für sechs Jahre im Amt sind und wieder gewählt werden können. Diese werden von ihren Regierungen nominiert und arbeiten als individuelle Kommissare.191 Die ACHPR trifft sich zweimal pro Jahr für mindestens 15 Tage in jeweils einem afrikanischen Staat und ist für die Kontrolle und Beobachtung der Implementierung der Charta in den afrikanischen Staaten verantwortlich. Ihren Hauptsitz respektive ihr Sekretariat hat sie in Banjul, Gambia, wo sie auch gegründet wurde. Der Sekretär der ACHPR wird vom Generalsekretär der AU ernannt und präsentiert der Generalversammlung einmal jährlich einen Bericht über die Aktivitäten des ACHPR. Die Entscheidungen über Resolutionen werden ebenfalls in der Generalversammlung getroffen.192 Das Mandat der ACHPR ist sehr allgemein formuliert und sieht die Aufgaben der Kommission darin, die Menschenrechte zu schützen, sie zu bestärken und die Charta hinsichtlich der Auslegungen zu untersuchen. Die Methoden, die dazu angewandt werden können, die Menschenrechte zu schützen, sind nicht genau 187 Vgl. Pamphlet No.6, S.2f. Vgl. Artikel 28, Artikel 29. 189 Vgl. Pamphlet No.6,, S.3. 190 Zitat von der ACHPR (2007). Members, http://www.achpr.org/english/_info/members_achpr_en.html. 191 Vgl. ACHPR (2007). Members, http://www.achpr.org/english/_info/members_achpr_en.html. 192 Vgl. ACHPR. Rules of Procedure, http://www.achpr.org/english/_info/rules_en.html. 188 91 festgelegt. Es wird lediglich der Auftrag, diese zu schützen, angeführt. Bezüglich einer möglichen Auslegung bzw. Interpretation muss ein Mitgliedstaat oder ein Individuum diese einfordern. Hinsichtlich der Bewerbung der Menschenrechte, soll die ACHPR Analysen und Untersuchungen durchführen, die sich mit den Problemen in Afrika beschäftigen. Weiters sollen Seminare und Workshops zur Bildung im Bereich Menschenrechte veranstaltet werden. Dabei wird auch darauf abgezielt, mit internationalen Organisationen und Akteuren zusammenzuarbeiten und durch Entwicklung von legislativen Maßnahmen, den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten.193 Die Charta definiert nicht explizit, wer, außer den Mitgliedstaaten, die Beschwerde einbringen kann. Dabei ist auch nicht spezifisch von Individuen und NGOs die Rede. Vielmehr wird von so genannten „other communications“ gesprochen. Es ist Individuen und NGOs, auch außer-afrikanischen, möglich, eine Verletzung gegen die Charta anzuzeigen. Die Beschwerden müssen auch nicht mit dem Einvernehmen der Opfer eingebracht werden. Grundsätzlich sieht die Charta sieben Kriterien vor, die eine Beschwerde erfüllen muss, um von der ACHPR untersucht zu werden: 1. Die Beschwerde darf nicht anonym sein, allerdings darf der Name der Geheimhaltung der Kommission unterliegen. 2. Die Beschwerde muss Verletzungen der gültigen Rechte unter der Charta betreffen. 3. Die Beschwerde darf über keine politischen Inhalte und Hintergründe verfügen und nicht in diffamierender Sprache verfasst sein. 4. Der Bericht darf nicht ausschließlich auf Medienberichten basieren, diese sind jedoch zu Unterstützung der Beweislast zulässig. 5. Die Beschwerde muss in einer angemessen Zeit nach dem Rechtsbruch übermittelt werden. 6. Die Kommission behandelt keinen bereits auf andere Weise gelösten Fall. 7. Die Beschwerde darf erst übersandt werden, wenn alle anderen Beilegungsstrategien versucht bzw. durchlaufen wurden.194 Die Untersuchung basiert anfangs auf einer Phase der Kommunikation. Der Staat, gegen den die Beschwerde erhoben wurde, wird aufgefordert zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Sollte der Staat dieser Aufforderung nicht nachkommen bzw. 193 194 Vgl. ACHPR, Mandate, http://www.achpr.org/english/_info/mandate_en.html. Vgl. Pamphlet No.6, S.5f. 92 die Möglichkeit nicht nutzen, so kann die Kommission die Anschuldigungen als wahr akzeptieren. Der Artikel 46 der Charta ermöglicht die ACHPR alle möglichen Maßnahmen zur Aufklärung der Beschwerde zu ergreifen. Meistens werden die betroffenen Parteien von der Kommission zu Anhörungen eingeladen. Wenn die Treffen bzw. der schriftliche Informationsaustausch scheitert, so hat die ACHPR auch die Chance vor Ort Untersuchungen durchzuführen. Nach den Untersuchungen wird ein Bericht verfasst, der das Ergebnis der Kommission beinhaltet. Die Kommission kommt zu ihrem Urteil und könnte dem Staat zu Kompensationszahlungen oder anderen Maßnahmen raten. Die Entscheidungen haben allerdings keine zwingende Bindung für die einzelnen Staaten. Auch, wenn die ACHPR nicht notwendigerweise die Fälle durch Übereinkommen regeln muss, so ist das ihre bevorzugte Herangehensweise. Die Ergebnisse werden nicht veröffentlicht, wodurch sie auch nur schwer zugänglich sind, und die Arbeit der ACHPR kaum Beachtung fand bzw. findet.195 Als NGO ist es möglich, einen Beobachterstatus zu erlangen. Als Voraussetzung für eine Gewährleistung eines Beobachterstatus ist eine Übereinstimmung der Ziele des NGOs mit den Ideen der Charta der AU und der Afrikanischen Charta über die Rechte des Menschen und der Völker essentiell. Die Bewerbung für die Genehmigung eines solchen Status muss mindestens drei Monate vor der Sitzung eingereicht werden. Danach wird die NGO in seiner Struktur und seinen Aktivitäten untersucht. Seit 1991 sind NGOs ständige Beobachter bei Sitzungen der ACHPR, sind allerdings nicht in die Verteilung der Ergebnisdokumente eingebunden und unterliegen einem strengen Verhaltenskodex während der Sitzungen. 196 195 196 Vgl. Pamphlet No.6, S.7f. Vgl. Pamphlet No.6, S.8f. 93 4. Zentrale Fragestellungen In wie weit ist in der Demokratischen Republik Kongo die Transition abgeschlossen, wer sind die zentralen Akteure und Machtinhaber? Wie sieht dabei die Rolle der Internationalen Gemeinschaft aus? In wie weit sind die neu gegründeten Institutionen dazu in der Lage effektiv und legitim zu arbeiten und wodurch wird ihre Arbeit behindert? In wie weit sieht die neue Verfassung der Demokratischen Republik Kongo einen effektiven Minderheitenschutz vor, wie wird Minderheit definiert und wie sieht die realpolitische Situation aus? In wie weit gelingt es den Pygmäen sich zu organisieren und wird ihre Organisation durch interne Problemen (unterschiedliche Vorstellungen zwischen den Völkern, mangelnde Homogenität etc.) oder mit externen Faktoren (Schwierigkeiten bei der Kommunikation, Behinderung durch Behörden etc.) zu kämpfen? 4.1. Unterstützende Fragestellungen Wie wird Minderheit international definiert und gibt es eine anerkannte Definition? Wie weit ist die Internationale Gemeinschaft im Bereich Minderheitenschutz und wie wird dies auf Nationalstaaten implementiert? Wie entwickelte sich die die politische Landschaft in der Demokratischen Republik Kongo bis zu ihrer heutigen Form? Wodurch endete der Krieg und wer sind/waren die zentralen Akteure während des Transitionsprozesses? Wie sieht die Gesellschaft der Pygmäen aus und in weit besteht ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb zwischen den einzelnen Stämmen? 94 Wie sieht das Verständnis von Macht und Politik bei den Pygmäen aus? Mit welchen Problemen haben die Pygmäen zu kämpfen und durch wen bzw. worin haben diese ihren Ursprung? In wie weit besteht Interesse seitens der Pygmäen an der Problemlösung bzw. an der politischen Ebene teilzuhaben und wie sehen die Möglichkeiten ihrer Organisation aus? 4.2. Hypothesen 1. Durch den Mangel und die Schwierigkeit, sich auf eine gemeinsame und allgemein gültige Minderheitendefinition zu einigen, ist es auch nicht möglich eine bestimmte Strategie und ein Regelwerk zum Schutz von Minderheiten zu formulieren. Sowohl der Schutz wie auch die Definition liegen in der freien Wahl der Staaten. 2. Die Demokratische Republik Kongo befindet sich trotz der Durchführung der ersten freien Wahlen nach wie vor in einer Transition, da die derzeitige Regierung und die anderen Institutionen über zu wenig Erfahrung auf politischer Ebene verfügen und dadurch nicht effektiv zu arbeiten in der Lage sind. 3. Die Macht liegt nicht ausschließlich bei den durch die Wahlen bestimmten Personen, da die Regierung und die mit ihr zusammenarbeitenden Institutionen keine uneingeschränkte Souveränität über das gesamte Staatssystem ausüben kann. Zudem sind die Einflüsse und der Druck der Internationalen Gemeinschaft ein Faktor, der die Unabhängigkeit und die Macht der neuen Regierung in der DRC einschränkt. 4. Durch die nach wie vor instabile Lage des Kongo, sind internationale Akteure hinsichtlich ihrer Bemühungen und Aktivitäten sehr vorsichtig. Die internationale Unterstützung beim Wiederaufbau des Landes ist gering und an viele Bedingungen gebunden. 95 5. Die politische Landschaft in der Demokratischen Republik Kongo ist sehr stark fragmentiert, wodurch sich entscheidende Reformen nur sehr schwer umsetzen lassen und die politische Wiedergeburt des Staates nur sehr langsam vor sich geht. 6. Durch die Verfassung sind alle Minderheiten des Landes legal geschützt, allerdings gibt es, da es keine Definition von Minderheit gibt, keinen wirksamen Mechanismus zum praktischen Schutz dieser Gruppen. 7. Durch das System und die traditionelle Lebensweise der Pygmäen ist es ihnen nur schwer möglich sich in ein politisches System einzugliedern bzw. daran teilzuhaben. Lediglich eine geringe Elite versucht diese traditionellen Grenzen zu umgehen und die Politik aktiv mitzugestalten. 8. Mangelnde Bildung und schwierige bis unmögliche Kommunikation der PygmäenStämme der unterschiedlichen Länder untereinander und mit der Außenwelt machen eine effektive Organisation unmöglich. 9. Die unterschiedlichen Lebenssituationen und Probleme sowie die teilweise Assimilierung von einzelnen Pygmäenstämmen in den verschiedenen Ländern erschweren die Organisation der Pygmäen untereinander zusätzlich und beeinflussen die Homogenität des Volkes erheblich, wodurch ihre Position geschwächt wird. 10. Durch die radikalen Einflüsse von außen auf das Leben und die Lebensweise der Pygmäen sind diese gezwungen sich auf neue Situationen einzustellen, was ihnen nur sehr schwer gelingt und wodurch sie vielfach ihre Identität verlieren. 11. Die Pygmäen fallen nicht unter den Schutz der Verfassung, da sie einerseits größtenteils keine Staatsbürger sind und andererseits nicht unter den in der Verfassung verwendeten Minderheitenbegriff fallen. 96 5. Probleme während der Arbeit Während den Forschungen zu dieser Studie wurde deutlich, wie wenige Informationen über die Pygmäen verfügbar sind bzw. wie gering der Wissenstand über dieses Volk ist. Es gibt kaum Dokumente oder Texte, die aktuell sind und die Situation der Pygmäen analysieren oder beschreiben. Die meisten Informationen sind auf den Internetseiten von NGOs zu finden, wobei diese teilweise durchaus kritisch zu hinterfragen sind. Da dies eine wissenschaftliche Arbeit darstellt, in der subjektiv eine Situation analysiert werden soll, ist es mitunter gefährlich, Texte oder Informationen zu verwenden, die von Organisationen stammen, die teilweise als Propaganda bzw. zum Zweck der Finanzierung ihrer Projekte dienen. Da sich die Texte und Berichte allerdings sehr stark ähneln, wurde versucht, die Fakten, die sich nachprüfen lassen in diese Studie einzuarbeiten. Es wurden für diese Arbeit keine offiziellen Interviews gemacht. Die ersten Erfahrungen aus Gesprächen mit Einwohnern der DRC führten zu der Entscheidung die Gespräche auf informeller Basis zu führen. Grund dafür war einerseits die Warnung, dass während der Gespräche mit Kongolesen das Thema Pygmäen mit Vorsicht zu genießen sei, da viele der Einwohner der DRC Vorurteile gegen das Waldvolk hegen und es vielen Kongolesen unangenehm ist, über die Pygmäen zu sprechen. Hintergrund, so wurde mir erklärt, ist die Tatsache, dass die Situation, in der sich die Pygmäen befinden, allgemein bekannt ist, und viele Kongolesen dazu tendieren, die Augen vor dieser Situation zu verschließen. Ich kann diese Einschätzung aus meinen persönlichen Erfahrungen bestätigen und entschied mich das Thema Pygmäen nur dann zu erwähnen, wenn ich es für bedenkenlos hielt. In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion über das Thema Minderheiten kam in den in den 60iger Jahren ein neuer Begriff hinzu, die „Indigenous Peoples“, die in weiterer Folge der Arbeit als Indigene Völker oder Eingeborenenvölker bezeichnet werden. Indigene Völker sind in dem Dialog über die Rechte für Minderheiten bereits als eigenes Themengebiet ausgegliedert. Hier wird allerdings die Meinung vertreten, dass die indigenen Völker eine besondere Art Minderheiten sind und aus diesem Grund nicht unabhängig vom Minderheitenschutz behandelt werden sollten. Einer der Unterschiede bzw. notwendigen Erweiterung, die gemacht werden müssen, um den Begriff Minderheiten auch Indigene Völker vollständig mit einzubeziehen, ist die Frage des Rechtes auf Landbesitz. Da die Diskussion, ob 97 indigene Völker eine eigene Kategorie darstellen oder als Minderheiten behandelt werden müssen, würde den Rahmen dieser Arbeite sprengen. Hier wird die Ansicht vertreten, dass die Indigenen Völker in beinahe allen Fällen die Kriterien, die als Grundlage zur Minderheitenbestimmung gelten und die Basis dieser Arbeit bilden, erfüllen. Aus diesem Grund entschied sich der Autor, die Indigenen Völker in dieser Studie auch als Minderheiten zu bezeichnen und den speziellen Aspekt des Landrechts mit einzubeziehen, da dieser im Fall der Pygmäen einen zentralen Problempunkt darstellt. In der Folge werden Indigene Völker, mit Ausnahme des Kapitels über deren Definition, als Minderheiten bezeichnet. 98 6. Die Demokratische Republik Kongo (DRC) Da es sich bei dieser Studie um eine Fallstudie einer bestimmten Minderheit in der DRC handelt, wird in diesem Teil die Situation in der Demokratischen Republik Kongo analysiert, die innerstaatliche politische Landschaft sowie die Beziehungen zwischen den einzelnen Hauptakteuren der Politik untersucht und erklärt. Um allerdings die heutige Situation untersuchen zu können, muss man auch die historische Entwicklung aufbereiten. Da dies nicht das primäre Thema dieser Studie darstellt und die historischen Entwicklungen der DRC sehr viele Facetten umfassen, wird die Geschichte nur in groben Zügen dargestellt. 6.1. Geschichte 6.1.1.Entstehung des staatlichen Gebiets Kongo Das Interesse an dem Kontinent Afrika als Siedlungsgebiet wuchs im 19.Jahrhundert stetig und sehr schnell. Hintergrund dafür waren einerseits die industrielle Entwicklung und andererseits die zunehmende Industrialisierung und die damit verbundene Vielfalt an Möglichkeiten, die sich in Afrika boten, neue Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Des Weiteren wurde der afrikanische Kontinent zusehends und auch im Landesinneren erkundet und kartographiert. Otto von Bismarck lud die Vertreter der wichtigsten Länder197 ein, um an einer Konferenz zur Zusammenarbeit in Afrika teilzunehmen. „Beim Umgang mit Barbaren ist die Despotie eine legitime Form der Regierung, vorausgesetzt, sie bezweckt deren Besserung.“198 Diese wurde am 15.November 1884 eröffnet. Inhalt war die Aufteilung des Kontinents, denn im Rahmen der Konferenz wurden Rechtsnormen beschlossen, die den Erwerb einer Kolonie sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten regelten. Da das Kongo-Becken das rohstoffreichste Gebiet in Afrika war, versuchten 197 Die Teilnehmerländer waren die USA, die Türkei, Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Portugal, Spanien, Russland und Schweden-Norwegen (Personalunion), in: Kongoakte in deutscher Übersetzung (1885). Band 0 93 Deutscher Reichstag, http://mdz1.bib-bvb.de/cocoon/reichstag/Blatt_rtb093,0332.html. 198 Zitat John Stuart Mill, Essay on Liberty, in: Matthiesen, Kalala Illunga (2005). Die demokratische Republik Kongo. Eine Analyse aus staatstheoretischer, verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Sicht, Waxmann Verlag GmbH, Münster, S.23, Fußnote 30. 99 alle Länder Einfluss darauf zu erlangen. Am Ende der Konferenz wurde die so genannte Kongoakte unterzeichnet. Diese regelte den Zugang aller Nationen zum Handel im Kongo-Becken und bedeutete einen privaten Triumph für Leopold II., dem es gelang, seinen privaten Anspruch auf den Kongo mit Hilfe seiner Kongogesellschaft zu rechtfertigen. Zu dieser Zeit wurde im Kongo die Idee des Liberalismus aufgebaut, was bedeutete, dass Religions- und Versammlungsfreiheit herrschte.199 Bis zum Jahr 1908 verfügte der Kongo über keine Verfassung. Die Hoheitsgewalt lag ausschließlich beim König von Belgien, Leopold II., der auch die Verwaltungs- und Militärbeamten ernannte, die ihm auch direkt unterstanden. Seine Regentschaft und die damit verbundenen Methoden wurden vielfach und weltweit kritisiert, was auch dazu führte, dass er schließlich sein Privateigentum Kongo aufgab. Er übergab es dem belgischen Staat und handelte dem belgischen Staat eine hohe Kommission ab.200 Kurz vor der endgültigen Übergabe vernichtete er alle seine Kongo-Akten.201 „Ich werden ihnen meinen Kongo geben aber sie haben kein Recht zu erfahren, was ich dort getan habe.“202 6.1.2. Die Kolonialzeit 1908 – 1960 Am 15.November 1908 wurde aus dem Freistaat Kongo offiziell eine belgische Kolonie mit Namen „Congo Belge“203. Die Gesetzgebungsgewalt lag nach wie vor in Belgien, doch mittlerweile im Parlament. In der kolonialen Charta war das politische Statut des Belgisch-Kongo verankert, das gleichzeitig auch als Verfassung diente. Die Verwaltung der Kolonie oblag dem Kolonialministerium, welches sich in sechs Referate gliederte. Vor Ort befand sich ein Generalgouverneur, der dem BelgischKongo vorstand und seinen Sitz in Léopoldville (dem heutigen Kinshasa) hatte..204 Die Artikel 2-5 der Verfassung enthielten die Grund- und Freiheitsrechte der Einwohner des Kongo. Allerdings wurden die Kongolesen gegenüber den Belgiern 199 Vgl. Matthiesen, S.23f. Vgl. Follath, S.73. Erich (2007). Land der Finsternis, in: Spiegel Special. Geschichte. Afrika. Das umkämpfte Paradies 2/2007, Spiegel – Verlag Rudolf Augstein GmbH& Co KG, Hamburg, S.73. 201 Vgl. Matthiesen, S.25. 202 Zitat Leopold II., in: Hochschild, Adam (2001). Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen, Klett-Cotta, Freiburg, S.414. 203 In weiterer Folge als Belgisch-Kongo bezeichnet. (Anm. d. Autors) 204 Vgl. Kanu, Gertrud/ Indongo-Imbanda, Iseewanga. Geschichte Kongo I, http://www.kongokinshasa.de/geschichte/geschichte2.php. 200 100 nicht als gleichberechtigt angesehen. Grundsätzlich sah die Kolonialverwaltung eine Unterordnung der Einheimischen vor, wofür es allerdings Ausnahmeregelungen gab. So wurde etwa Kongolesen, die eng mit den Belgiern zusammenarbeiteten, ein beschränktes Recht auf Partizipation an der politischen Sphäre eingeräumt. Zudem blieb den Häuptlingen und traditionellen Stammesführen ihre Autorität in lokalen und prinzipiell unwichtigen Dingen grundsätzlich erhalten, und sie konnten nach der traditionellen Rechtssprechung entscheiden. Der staatliche Verwaltungsapparat kümmerte sich hauptsächlich um den Erhalt der Ordnung und diverser Sicherheitsmaßnahmen.205 Während der Herrschaft von Léopold II. gelang es ihm im Kongo den, auf der Berliner Konferenz vereinbarten freien Handel in der Region, latent zu unterwandern bzw. zu umgehen. Grund dafür war einerseits, dass der Staat ein Monopol etabliert hatte, das für die wichtigsten Exportgüter galt. Zudem wurde mit Hilfe zweier Dekrete die Vorherrschaft auf die ländlichen Gebiete und die Arbeit der Einheimischen gesichert. Von dieser Einschränkung der Handelsfreiheit profitierte auch der Belgisch-Kongo, und dieses Modell fand auch in einer späteren Regierungsperiode des Kongo noch einmal Anwendung.206 6.1.3. Unabhängigkeit 1960 – 1965 oder die Kongowirren Durch die Machtübernahme der Liberalen in Belgien kam es in den 50iger Jahren zu einigen Reformen im Belgisch-Kongo, die eine Gleichstellung der autochthonen Bevölkerung gewährleisten sollten jedoch praktisch ohne Effekt blieben. Zur selben Zeit schritt die Entkolonialisierung zusehends voran, wobei Belgien die Dynamik dieses Prozesses verkannte. Ein Artikel eines belgischen Professors, der die Entkolonialisierung forderte Artikel wurde im Belgisch-Kongo zum Anlass genommen, die eigenen Ideen eines unabhängigen Staates zu formulieren. So wurde von kongolesischen Intellektuellen unter der Führung von Joseph Ileo207, und unter der Schirmherrschaft von Kardinal Abbé Malula, dem Erzbischof von Kinshasa, ein Manifest mit dem Titel „Manifeste de la conscience africaine“ veröffentlicht, in dem auch vehement die mittelfristige Unabhängigkeit des Kongo gefordert wurde. 205 Vgl. Matthiesen, S.27. Vgl. Matthiesen, S.29. 207 Joseph Ileo war später auch Ministerpräsident von 5.9.1960 bis 2.8.1961 und von 1990 bis zu seinem Tod 1994. (Anm. d. Autors) 206 101 Diese Veröffentlichung löste eine Diskussion aus, und es gab ein wichtiges Gegenmanifest der Gruppe ABAKO (Allianz von Bakongo), das die unmittelbare Unabhängigkeit, die sofortige Erteilung der politischen und individuellen Rechte sowie die Erlaubnis zur Gründung von Parteien forderte.208 Um diese Manifeste zu entkräften und den Ideen etwas entgegenzuwirken, präsentierte der belgische König Baudouin I. die Idee einer belgisch-kongolesischen Gemeinschaft. Er erließ das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Meinungsbildung sowie die Erlaubnis zur politischen Betätigung. Es wurden vier Parteien gegründet; die ersten Wahlen fanden allerdings erst drei Jahre vor der Unabhängigkeit statt und beschränkten sich auf die drei großen Städte Léopoldville (Kinshasa)209, Elisabethville (Lubumbashi) und Jadotville (Likasi). Nach diesen Wahlen wurde die Parteilandschaft im Kongo zusehends fragmentierter, und es wurden laufend neue Parteien gegründet. Es kam immer wieder zu neuen auch teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen. Zudem waren die Parteien von einem starken ethnischen Partikularismus geprägt und hatten bis auf die Forderung nach der Unabhängigkeit des Kongo wenige bis keine Gemeinsamkeiten hatten. Grundsätzlich konnte man die Parteien allerdings zwei Strömungen zuordnen. Auf der einen Seite gab es den Block, der auch die Föderalisten genannt wurde, der sich für eine sofortige Unabhängigkeit der Provinz Léopoldville aussprach und das restliche Volk als noch nicht bereit für eine sofortige Unabhängigkeit sah. Dem gegenüber stand der Block der Unitaristen, die sich für einen zentral regierten Kongo aussprachen.210 Zu Beginn des Jahres 1960 trafen sich 155 Delegierte211 und 16 unabhängige Berater zu einem Runden Tisch in Brüssel, um die Frage der Unabhängigkeit des Kongo zu klären. Dabei nahmen die Parteien eine einheitliche Position ein und koordinierten ihre Interessen. Zudem gaben sie den anwesenden Investoren die Zusage, die Bildung einer totalitären demokratisches Staatssystem aufzubauen. Regierung zu verhindern und ein 212 So wurde der Kongo nach den Grenzen, die bei der Berliner Konferenz vereinbart wurden, in die Unabhängigkeit entlassen, deren Datum mit dem 30.Juni 1960 festgelegt wurde. Den Unitaristen gelang es auch, die Teilnahme von Patrice Lumumba, der zum damaligen Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr inhaftiert war, weil 208 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo I. Die Namen in den Klammern sind die heutigen Namen der Städte. (Anm. d. Autors) 210 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo I. 211 100 Kongolesen und 55 Belgier. (Anm. d. Autors) 212 Vgl. Matthiesen, S.29. 209 102 die Belgier versuchten seinen Aufstieg zu verhindern, durchzusetzen.213 Die ersten Wahlen fanden noch vor der Erlangung der eigentlichen Unabhängigkeit am 25.Mai 1960 statt und wurden von Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet. Das Ergebnis sah schließlich Joseph Kasavubu als Präsidenten und Patrice Lumumba als Premierminister vor, und die in Belgien ausgehandelte Verfassung trat in Kraft. Diese sah einen Föderalstaat mit einem Mehrparteiensystem vor.214 Die faktische Unabhängigkeit dauerte nicht allzu lange, da der junge Staat nicht fähig war, die auf ihn zukommenden Probleme zu lösen bzw. ihnen entgegenzuwirken. Diese Situation wurde von den Belgiern gezielt hervorgerufen, da man seitens Belgiens hoffte, im Fall von Problemen zu Hilfe gerufen zu werden.215 Die Regierung Lumumba hatte keine Gelegenheit, eine stabile und funktionierende politische Sphäre für eine wirtschaftliche und soziale Basis zu schaffen, da sich die staatliche Basis sukzessive auflöste, und die Einigung der Regierung schnell abnahm.216 Das Militär lehnte sich gegen die Regierung auf, da man sich ungerecht behandelt fühlte und kritisierte, dass die Gleichberechtigung nicht innerhalb des Militärs angewandt wurde. Unmittelbarer Auslöser für die Kongowirren war der Konflikt von General Janssens und seinen Soldaten. Es folgten die Besetzung mehrerer Städte und offene Konflikte mit der belgischen Armee. In weiterer Folge erklärte Moise Tshombe, ein Sezessionistenführer, Katanga, die rohstoffreichste Provinz des Kongo, für unabhängig. Die Folge war ein Krieg zwischen den belgischen Truppen in der Katanga–Provinz und der nationale Armee. Doch auch innerhalb der Regierung kam es zu Spannungen zwischen Präsident Kasavubu und Lumumba.217 Auch internationale Politik spielte eine wichtige Rolle im Kongo, da der inzwischen ausgebrochene Kalte Krieg sich auch in Afrika zeigte. Sowohl die USA wie auch die Sowjetunion wollten den Kongo aufgrund seiner Rohstoffe um jeden Preis und versuchten, ihren Einfluss geltend zu machen. Seitens der Sowjetunion versuchte man, Lumumba zu überzeugen, sich auf die russische Seite zu schlagen. Obwohl den Amerikanern bekannt war, dass Lumumba ein Nationalist war und keine großen 213 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo I. Vgl. Matthiesen, S.29f. 215 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II. http://www.kongo-kinshasa.de/geschichte/geschichte3.php. 216 Vgl. Matthiesen, S.30. 217 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II. 214 103 Sympathien für den Kommunismus hegte, wurde man in den USA unsicher und unterstellte Lumumba die Kooperation mit den Kommunisten.218 Noch im Juli 1960 beschloss man in den Vereinten Nationen UN-Truppen in den Kongo – respektive nach Katanga – zu entsenden und forderte den gleichzeitigen Abzug der belgischen Truppen. Die Gräben zwischen Kasavubu und Lumumba waren so tief, dass es schließlich im Herbst 1960 zur gegenseitigen Entlassung kam. Dieses Machtvakuum wurde von Joseph Désiré Mobutu, der zum damaligen Zeitpunkt Staatssekretär war, ausgenutzt, und er übernahm im Namen der Armee die Macht.219 Lumumba, der sich auf dem Weg nach Stanleyville befand, wurde von Mobutus Soldaten mit der Unterstützung der USA, die ihre Hubschrauber zu Verfügung stellten, verhaftet. Nach einiger Zeit wurde er nach Katanga gebracht, wo er ermordet wurde. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute unklar. Wie weit die Unterstützung der USA ging ist nicht restlos geklärt. Ebenso ist nicht ganz eindeutig, welche Rolle die UNO in diesen Tagen spielte. Viele meinen, dass man ihr in der Position von Dag Hammarskjöld auch eine gewisse Teilschuld geben müsse.220 Tatsache ist, dass die Ermordung Lumumbas nicht absolut gegen die Interessen der UNO zum damaligen Zeitpunkt war.221 In den folgenden vier Jahren wurden die verschiedensten Sezessionsversuche und Krisen aufgrund von UNO-Interventionen oder durch Mobutus Armee beendet respektive abgewandt. Bis 1965 beschränkte sich Mobutu auf seine militärische Position. Erst als sich die von Tshombe 1964 gebildete Regierung als sehr instabil herausstellte und sich Präsident Kasavubu und Premierminister Tshombe zerstritten hatten, nutzte Mobutu die Situation und übernahm durch einen unblutigen Militärputsch am 25.Oktober 1965 die Macht im Kongo und verbot für fünf Jahre jegliche politische Aktivitäten.222 218 Vgl. Follath, S.73f. Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II. 220 Vgl. Witte, Ludo de (2001). Regierungsauftrag Mord. Der Tod Lumumbas und die Kongokrise, Forum-Verlag, Leipzig. 221 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo II;Follath, S.74. 222 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III, http://www.kongokinshasa.de/geschichte/geschichte4.php; Follath, S.74. 219 104 6.1.4. Die Zweite Republik – Mobutus Herrschaft Nach seiner Machtübernahme änderte Mobutu seinen Namen in Mobutu Sese Seko Kubu Ngbendu wa za (Waza)223 Banga224. Die Unterstützung der Nationalisten und ehemaligen Anhängern von Lumumba sicherte er sich durch scheinbare Sympathie für die Politik Lumumbas, den er zum Nationalhelden erklärte.225 Er spielte bereits zu Beginn seiner Herrschaft sehr stark mit der Angst der Menschen, die ihn umgaben bzw. in der politischen Sphäre tätig waren. So setzte er etwa Minister ein, die, wenn sie sich zu sicher fühlten und selbstständig zu handeln begannen, wieder entlassen wurden. Mobutu sah den Staat als sein Privateigentum und bediente sich auch regelmäßig an der Staatskasse. Diese war teilweise noch durch die Politik von Léopold II. gefüllt.226 Das politische System bestand größtenteils aus der Einheitspartei Mouvement populaire de la revolution (MPR), die auch gleichzeitig als eine Institution angesehen werden kann. Die zentralen und wichtigsten Organe der MPR waren der Gründer-Präsident (Président-Fondateur) selbst, der Kongress, das Politbüro sowie das Zentral- und Exekutiv-Komitee. Das Parlament (Conseil legislativ national) wurde für fünf Jahre gewählt und bestand aus, ausschließlich von der Parteiführung aufgestellten Volkskommissaren (Commisaires du Peuple). Zudem gab es noch regionale Parlamente. Die Kontrollaufgaben des Parlaments waren faktisch außer Kraft gesetzt und die Verteilung der Gewalten nicht vorhanden, da der Präsident eigene Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit durchsetzen und verwirklichen wollte.227 Mobutus Ziel, den Kongo kulturell unabhängig228 zu machen, stand zuerst im Schatten des Erreichens des Ziels der Erlangung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit. Die Ideen Mobutus waren deutlich in die Richtung orientiert, wonach die wirtschaftlichen Geschäfte in seiner Hand liegen sollten. Im Jahr 1967 wurde auch das Gesetz Bakajika erlassen, das der Republik die Vollmacht über jegliche Staatsgüter und die absolute Hoheit über alle Gebiete, Minen und Forste des gesamten Staatsgebiets verlieh.. Diese und andere Aktionen waren der Beginn der 223 In unterschiedlichen Quellen gibt es unterschiedliche Schreibweisen für den Namen. (Anm.d. Autors) Sein Name wird mit zwei Bedeutungen übersetzt. 1.„allmächtiger Krieger, der durch seine Ausdauer eine Eroberung an die andere reiht“ und 2.„der starke Hahn, der keine Henne unbestiegen lässt“, in: Follath, S.74. 225 Vgl. Matthiesen, S.31. 226 Vgl. Follath, S.74. 227 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 228 Die kulturelle Unabhängigkeit wollte Mobutu durch Authentizität erreichen. Authentizität ist das Konzept der Klärung zwischen dem Verhältnis der afrikanischen Kultur zur europäischen Kultur. Konkreter wurde eine Rückbesinnung auf die afrikanischen Werte gefordert, in: Kopfmüller, Simone (1999). Politische Ideen zur Unabhängigkeitsbewegung, in: Informationen zur politischen Bildung, Nr.264, München, S.35-37. 224 105 Verstaatlichungsperiode und ermöglichten durch diverse Gesetzesänderungen auch die teilweise aktive Beteiligung der Kongolesen an der Ausbeutung des Mineralienreichtums. Am 24.Juni 1967 wurde die Verfassung, die im Vergleich zu den vorangegangenen sehr revolutionär war, verabschiedet. Darin war neben der wirtschaftlichen Unabhängigkeit auch die gleichmäßige Verteilung des Reichtums verankert, wodurch Jeder Wohlstand erlangen könnte und die Möglichkeit haben sollte, sich moralisch und geistig zu entfalten.229 Die Verfassung sah auch ein Ein-Parteien-System vor, wodurch sich Mobutu seine politische Unantastbarkeit sicherte. Während seiner Reisen durch das Land inszenierte er sich als Landesvater, der sich fürsorglich um seine Landsleute kümmerte. Er spielte auch sehr stark mit der Authentizität, für die er sich selbst verantwortlich sah. Im Mai 1967 veröffentlichte er das Manifest von N’Sele. Neben der Gründung der Einheitspartei MPR definierte dieses Manifest auch die neue politische Philosophie des Landes. Darin ging es um die Authentizität. Inhaltlich war es eine Verherrlichung der vorkolonialen Strukturen und Werte. Das Land wurde in diesem Zug am 21.Oktober 1971 in Zentralafrikanische Republik (ZAIRE) umbenannt, eine neue Flagge entworfen und die Nationalhymne geändert. 1972 wurden alle christlichen Vornamen geändert und im ganzen Land wurden Anzüge abgeschafft und gegen traditionelle Kleidung getauscht. Die Schwierigkeiten, die hinter der Authentizität, wie sie Mobutu im Kongo zur Ideologie machen wollte, steckten, konnten nie ganz kaschiert werden. Der Kongo war in seiner Geschichte ein multikultureller Staat und beherbergte viele verschiedene unterschiedlichsten Traditionen, Sprachen und Geschichten. Völker mit 230 Seinen Status innerhalb des Landes konnte Mobutu durch seine enorme Ausstrahlung und ein strenges Regime erhalten. So ließ er 1966 vier Putschisten vor ein Militärgericht stellen, das binnen weniger Tage das Todesurteil verhängte, welches vor 50.000 Menschen durch Aufhängen vollstreckt wurde. Jeden Abend erschien Mobutu im Fernsehen, um zu seinem Volk zu sprechen. Er stellte sich dabei als aus dem Himmel herabblickender – manchmal streng, manchmal freundlich – Vater des Volkes dar.231 Außenpolitisch war Mobutu sehr stark mit den Amerikanern verbunden. Das Regime Mobutus unterstützte auch die Opposition UNITA232 in Angola, welche die 229 Vgl. Matthiesen, S:32f. Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 231 Vgl. Follath, S.74. 232 Union pour l’indépence totale de l’Angola. (Anm. d. Autors) 230 106 sozialistisch-kommunistische Regierung des Landes bekämpfte. Mobutu versorgte die UNITA mit Waffen und wurde dabei auch von der CIA233 unterstützt. Die Unterstützung lag auch daran, dass es im Kongo Vorkommen von atomwaffenfähigen Uranium sowie anderen wichtigen Rohstoffen gab. Aus diesem Grund förderten die USA den Kongo und somit Mobutu mit mehreren Millionen Dollar pro Jahr.234 Mobutu war allerdings keineswegs eine Marionette der Amerikaner, denn es gelang ihm im Laufe seiner Herrschaft diese zu manipulieren, um so mehr Profit für sich herauszuschlagen. Etwa drohte er, als ihm die Wirtschaftshilfe zu gering war, sich dem Kommunismus anzunähern, woraufhin er von den Amerikanern mehr Unterstützung erhielt. Er stellte den USA auch einen Luftwaffenstützpunkt zu Verfügung, brüskierte sie aber gleichzeitig immer wieder durch verbale Ausfälle. Das Ende des Kalten Krieges ist gleichbedeutend mit dem Anfang des Endes der Ära Mobutu. 235 In den Jahren vor dem Ende des Kalten Krieges war Mobutu auch gezwungen, die Wirtschaft des Landes in eine andere Richtung zu lenken. Da die öffentlichen und verstaatlichten Unternehmen des Landes scheiterten, war er gezwungen, die Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IMF) und der Weltbank zu akzeptieren und private Unternehmen durch die öffentliche Hand des Staates zu fördern. Da sich im Kongo an sich wenige wettbewerbsfähige Firmen befanden, wurde durch eine starke Liberalisierung des Marktes der Weg für ausländische Investoren frei gemacht. Die wirtschaftliche Lage des Kongo litt ebenso unter den geringen Rohstoffpreisen, die zu diesem Zeitpunkt am Weltmarkt herrschten wie unter den stark reduzierten finanziellen Unterstützungen der ehemaligen Kolonialmacht Belgien und der USA, die nach dem Ende des Kalten Krieges kein Interesse bzw. keinen Vorteil darin sahen, den Kongo zu unterstützen. Das internationale Image des Kongo war von Korruption geprägt, und die Staatsverschuldung wuchs bis 1990 auf 8,6 Milliarden Dollar236. Die gebildete Elite und die Opposition waren durch die internationalen Medien über die Situation informiert. Die Mittelschicht war im Laufe der Jahre völlig verschwunden, und es gab nur noch eine kleine reiche Elite und den Rest des Landes, der in Armut lebte. Menschen wurden regelmäßig Opfer von Übergriffen der Division Spéciale 233 Central Intelligence Agency. (Anm. d. Autors) Vgl. Matthiesen, S.36. 235 Vgl. Follath, S:74. 236 Das war rund 90% des damaligen Bruttoinlandprodukts (BIP), in: Matthiesen, S.134. 234 107 Présidentielle (DSP), und die Arbeitslosigkeit stieg rapide an, um nur einige Probleme der damaligen Situation zu nennen.237 All diese Faktore trugen erheblich dazu bei, dass Mobutu dem internationalen Drängen nach der Demokratisierung schließlich nachgeben musste. Es erfolgte die Gründung autonomer Gewerkschaften, die Pressefreiheit und die Erlaubnis für Aktivitäten von Studentenbewegungen erteilten. Die Zeitungen, die hautsächlich in der Hauptstadt Kinshasa publiziert wurden, übten ständig herbe Kritik an der Regierung, woraufhin sich immer wieder Repressalien und Einschüchterungsversuche ereigneten. Zudem versuchte der Staatschef, das Unvermeidliche – seine Übergangsregierungen, von Absetzung ihm – durch befohlene eine von Plünderungen ihm und ernannte organisierte Einkaufstrips nach Europa hinauszuzögern.238 Die anfänglich begrenzte Zahl von Parteien wurde schnell hinfällig, da sich unzählige Gruppierungen zusammen schlossen und neue Parteien gründeten. Mobutu wollte dem entgegenwirken, indem er selbst die Unterstützung einiger neu gegründeter Parteien vorantrieb, damit diese später die MPR unterstützten bzw. sich mit ihr zusammenschlossen. Parteienlandschaft, Die worauf Folge die war eine wichtigsten völlige Zersplitterung Oppositionsparteien mit der einem Zusammenschluss, der Heiligen Allianz, reagierten. Diese setzte Mobutu durch ihre Forderung nach einer souveränen nationalen Konferenz unter Druck, welcher dieser 1991 auch nachkam. Bei der Einberufung kam es jedoch zu Ungereimtheiten, da die unterschiedlichen Regionen unterschiedlich proportional repräsentiert waren. Es wird vermutet, das diese Zusammenstellung willkürlich war, um später einen Grund für ihre Auflösung anführen zu können, welche 1992 von Mobutu vollzogen wurde. Die darauf folgenden Unruhen und Auseinandersetzungen forderten mehrere Tote, und Mobutu war gezwungen, auf den internationalen Druck zu reagieren und die souveräne Nationalkonferenz wieder einzuberufen. Faktisch hatte allerdings auch zum damaligen Zeitpunkt der Präsident noch die Macht und Befehlsgewalt über sämtliche Exekutivorgane und wurde zudem von seiner Leibgarde der DSP vor diversen Attentaten beschützt.239 Der Nationalversammlung gelang es schließlich trotz der nach wie vor vorherrschenden Uneinigkeit 1994, neben der Ausarbeitung einer neuen Verfassung für die dritte Republik eine Übergangsregierung zu bestimmen und die Mitglieder des 237 Vgl. Matthiesen, S.36f. u. S.132ff. Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 239 Vgl. Matthiesen, S.60ff. 238 108 Parlaments durch Wahlen einzusetzen. Diese Verfassung sah, wie auch schon die Verfassung von 1960 eine demokratische Regierungsform für den Kongo vor: „Soucieux de restaurer les valeurs morales et spirituelles, de garantir notre indépendance politique, économique et culturelles, …das le cadre du projet de la nouvelle société démocratique; …“240 Die Gültigkeit dieser Verfassung wurde mit der Dauer von 15 Monaten begrenzt und sollte mit dem 9.April in Kraft treten. Nach Ende der Gültigkeit der Verfassung sollte auch das Mandat Mobutus am 9.Juni 1995 enden.241 Innerhalb dieser Zeit war geplant, auf allen Ebenen Wahlen durchzuführen. Allerdings kam es durch unterschiedliche Auffassungen zum Streit zwischen dem Präsidenten der Übergangsregierung und dem Übergangsparlament über die Auslegung von Artikeln. Denn in Artikel 118 und 119242 waren die Amtszeiten der Institutionen und des Präsidenten unbestimmt definiert und sollten bis zum Amtsantritt eines gewählten Parlaments respektive eines gewählten Staatspräsidenten dauern. Die geplanten Wahlen fanden nicht statt, wodurch der Plan, den Kongo mit Hilfe der Verfassung in die dritte Republik zu führen, scheiterte.243 Das Ende Mobutus kam schließlich abrupt. 1996 wurde die Alliance des Forces pour la Démocratie et la Libération du Congo-Zaire (AFDL) bestehend aus verschiedenen Gegnern Mobutus unter der Schirmherrschaft von Ruanda und Uganda, gegründet. Das Bündnis, das ursprünglich zur Grenzsicherung gedacht war, entwickelte eine Eigendynamik. Es hatten aber auch viele andere afrikanische Länder Interesse daran, Mobutu abzusetzen, weshalb sie die AFDL auch aktiv unterstützten.244 Die Amerikaner duldeten die Rebellion, die nach acht Monaten – größtenteils unblutig – in der Absetzung Mobutus 1997 ihr Ende fand. Dieser erlag drei Monate später im Exil in Marokko seinem Krebsleiden. Der Führer der AFDL Laurent Désiré Kabila wurde am 29.Mai 1997 als Präsident vereidigt.245 240 Zitat aus Préambule de Acte Constitutionel de la Transistion de la Republique du ZAIRE (1994). http://fr.wikisource.org/wiki/Acte_constitutionnel_de_la_transition_de_la_R%C3%A9publique_du_Za%C3%AFre_ (1994-1997). 241 Vgl. Artikel 53 und 93 des Acte Constitutionel de la Transistion de la Republique du ZAIRE (1994). 242 Acte Constitutionel de la Transistion de la Republique du ZAIRE (1994). 243 Vgl. Matthiesen, S.122ff. 244 Auf Seiten der AFDL waren auch Burundi, Angola und Zimbabwe. Teilweise fanden sich auch Söldner aus Eritrea und Äthiopien unter den Truppen. Mobutu wurde vom Sudan, Frankreich, Kuweit und Togo unterstützt, in: Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 245 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo III. 109 6.2. Die Transition der Demokratischen Republik Kongo Bereits in den letzten Jahren der Herrschaft von Mobutu waren die ersten Anzeichen eines Liberalisierungsprozesses zu erkennen. Die Liberalisierung stellt auch nach der Transitionstheorie den ersten Schritt einer Demokratisierung dar. Mobutu war gezwungen, das Organisationsverbot aufzuheben, die teilweise Pressefreiheit einzuführen, den wirtschaftlichen Raum zu öffnen und die Ein-Parteien-Landschaft zu pluralisieren. Diese Schritte sind typische Merkmale des beginnenden Systemwandels, wie er in der Transitionstheorie erklärt wird. Damit begann die Transition in der Demokratischen Republik Kongo, die sich in mehrere Phasen gliedert. 6.2.1. Erste Phase der Transition 6.2.1.1. Die Herrschaft Laurent Désiré Kabilas: Altes, neu verpackt Kabila, der nach seiner führenden Rolle beim Sturz von Diktator Mobutu, zum Präsidenten vereidigt wurde, wurde zu Beginn seiner Machtübernahme als Befreier angesehen und gefeiert. Er erließ kurz nach seinem Amtsantritt ein Dekret 003, das noch im Mai Kraft trat.246 Darin wurde er als Präsident mit allen Befehlsgewalten ausgestattet, und die gesamte Staatsgewalt lag in seiner Hand. Zudem wurden jegliche politische Aktivitäten verboten247, und er beförderte alle existierenden politischen Parteien ins politische Abseits. Die Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes und somit einen Neuanfang zerschlugen sich schnell, da durch den Erlass dieses Dekrets deutlich wurde, dass es wieder eine Militärdiktatur geben würde. Auch die wirtschaftliche Situation verbesserte sich nicht, da auf notwendige Reformen verzichtet wurde.248 Die Situation wurde noch zusätzlich verstärkt, da es den militärischen Unterstützern von Kabila gelang, sich wichtige Positionen im Staat zu sichern. So genannte Schlüsselpositionen wurden von kongolesischen Tutsi oder Banyamulenge, einem Volkstamm, der mit den Tutsi aus Ruanda und Burundi verwandt ist, besetzt. 246 Vgl. Matthiesen, S.38f. Vgl. Decrét-loi 003/97 de la République démocratique du http://fr.wikisource.org/wiki/D%C3%A9cretloi_003/97_de_la_R%C3%A9publique_d%C3%A9mocratique_du_Congo_%281997%29. 248 Vgl. Follath, S.75. 247 Congo (1997). 110 Hintergrund für diesen Schachzug war die Absicht Ruandas, die Hutu- Flüchtlingslager im Osten des Landes zu zerstören. In diesen Lagern befanden sich viele Milizen, die für das Massaker in Ruanda von 1994 verantwortlich waren. Die ruandische Armee unternahm ihre Kriegszüge auf kongolesisches Gebiet von Ruanda aus und tötete 1996 und 1997 auf diesem Weg 200.000 Hutu-Flüchtlinge. Ein Versuch der UN, diese Verbrechen aufzuklären wurde von Kabilas Regierung erfolgreich verhindert. Die Opposition versuchte vergeblich, durch vehemente Forderungen, den Präsidenten zum Einlenken zu zwingen und mit der UNO zusammenzuarbeiten, doch das unkooperative Handeln des Kongo isolierte das Land auf internationaler Ebene zusehends. Als Reaktion auf diese Entwicklung, die nach wie vor schlechter werdende Wirtschaftslage und den massiven Widerstand gegen seine Regierung, lockerte Kabila seine unantastbare Machtstellung und suchte den Dialog mit der Opposition. Er berief eine konstitutionelle Kommission ein, die einen Verfassungsvorschlag entwarf und einen detaillierten Zeitplan für die Durchführung dieser Reformen vorlegte.249 6.2.1.2. Veränderung der politischen Landschaft unter Laurent-Desiree Kabila Laut diesem Plan sollte im April 1998 ein Parlament einberufen und zwei Monate später vom Präsidenten vereidigt werden. Die Verfassung sollte nach der Legitimation durch eine Volksabstimmung im Dezember desselben Jahres in Kraft treten. Außerdem sollte eine Volkszählung durchgeführt werden, damit die Volksabstimmung sowie spätere Wahlen ihre Gültigkeit haben würden. Als Staatsform wurde ein präsidiales System angestrebt, wobei der Präsident ein fünfjähriges Mandat haben sollte und es keinen Premierminister gäbe. Dafür wurde der Posten eines Vizepräsidenten eingeführt. Die Minister der Regierung sollten keinem Misstrauensvotum ausgesetzt sein und dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich sondern lediglich vom Präsidenten abhängig sein. Das Parlament sollte vom Präsidenten einberufen werden, wobei dieser sich nach den Kompetenzen und öffentlichen Ansehen der möglichen Parlamentarier zu richten hatte. Des Weiteren sollte der Nationalrat legislative Möglichkeiten haben und über die Exekutive bestimmen können.250 249 250 Vgl. Matthiesen, S.39. Vgl. Matthiesen, S.39ff. 111 Zu Beginn der Regierungsarbeit keimte Hoffnung unter der Bevölkerung auf, denn die Reformen schienen anfangs ihre Wirkung zu zeigen. Die Währung stabilisierte sich und die Sicherheit im Land kehrte zurück. Allerdings mangelte es den meisten Ministern an Kompetenz, um weitere Reformen durchführen zu können. Zudem schreckte mangelndes diplomatisches Geschick internationale Organisationen davor ab, im Kongo tätig zu werden bzw. die Regierung zu unterstützen. Gesetze wurden immer wieder willkürlich geändert, Minister ausgetauscht, wodurch es der Regierung an einer langfristigen Planung fehlte. Dies führte zu einer Unsicherheit und stetig abnehmendem Vertrauen innerhalb der Bevölkerung.251 6.2.2. Die zweite Phase der Transition Die Gründe für das Scheitern des Versuchs Kabilas sind klar auszumachen. Neben dem Versuch, sich die Macht durch Gewalt und Unterdrückung zu sichern, zwang Kabila dazu, dieselben Methoden und Maßnahmen zu ergreifen, wie sein Vorgänger. Allerdings misslang der Versuch die Kontrolle zu erlangen, was einerseits auf die politischen Akteure zurückzuführen ist, die aus verschiedenen Ländern kamen und ihre eigenen Interessen verfolgten. Andererseits und gleichzeitig als Folge dieser politischen Landschaft führte die mangelnde Kooperation Kabilas zu einer internationalen Isolation. Kabila war gezwungen, um nicht völlig die Kontrolle zu verlieren, dem Druck der internationalen Gemeinschaft nachzugeben und die ausländischen Regierungsmitglieder und somit deren Machtambitionen aus dem Kongo zu entfernen. Gleichzeitig leitete er eine neue Liberalisierung ein, um seine Machtposition zu erhalten. Da es allerdings anfangs zu keinem Machtverlust seinerseits kam, kann nicht von einem neuen Beginn einer Transition gesprochen werden. Vielmehr wird eine neue Phase dieser eingeleitet, die sich durch den Versuch einer Revolution und in einem Krieg manifestiert hat. 251 Vgl. Matthiesen, S.41. 112 6.2.2.1. Ausbruch des Ersten Afrikanischen Weltkriegs Die Zusammenarbeit mit Ruanda und Uganda verschlechterte sich ebenso zusehends, da es Kabila nicht gelang, den Osten des Landes zu befrieden. Innerhalb des Landes gab es zwei Rebellionen. Eine, die sich gegen Kinshasa richtete und von Rebellen geführt wurde, die sich gegen jede Art von Fremdherrschaft richteten. Eine zweite, die sich von Rebellen aus Uganda und Ruanda gegen diese beiden Länder richtete. Kabila stellte die Schürfverträge, die mit den beiden Ländern abgeschlossen wurden in Frage, reduzierte die Forst-Konzessionen, von denen Uganda im Norden profitierte auf Null und entließ alle Minister, die aus den beiden Ländern kamen. Als er zudem noch im Juli/August 1998 jegliche Armeetruppen der beiden Länder, die sich auf dem Gebiet des Kongo befanden, des Landes verwies, wurden einige zentrale Städte im Osten und Westen des Landes von den Armeen dieser beiden Länder besetzt. Die Truppen wurden auch von, im Kongo lebenden Banyamulenge, ehemaligen Anhängern Mobutus und enttäuschten Mitgliedern der AFDL unterstützt. Diese Koalition gründete im Osten des Landes die Rassemblement congolais pour la Democratie (RCD), und im Norden des Landes gründete Uganda das Mouvement de Liberation congolais (MLC), die den Norden des Landes auch besetzen konnte. Schließlich spaltete sich im Mai 1999 noch die RCD-Befreiungsbewegung (RCD-ML) mit der Unterstützung von Uganda von der RCD ab. 252 Da die Versuche, Kabila abzusetzen scheiterten, starteten die ruandische und ugandische Armee eine große Offensive, und es gelang den Truppen mit Hilfe von Teilen der meuternden kongolesischen Armee wichtige Stützpunkte im Süd-Westen des Landes zu besetzen, wodurch Kinshasa wochenlang ohne Wasser und Strom war. Es herrschte Lynchjustiz, und die Hauptstadt konnte nur durch die Unterstützung der Armeen von Angola, Zimbabwe und Tschad gerettet werden. Ebenso verteidigten die Truppen dieser Länder die Diamantenminen im Osten des Landes, da sie die größte Einnahmequelle Kinshasas darstellten.253 Die Tatsache, dass der Konflikt sich beinahe ausschließlich um die Kontrolle der Rohstoffe drehte, wurde auch von internationalen Organisationen nicht übersehen. Der Bericht der UNO-Kommission beschäftigt sich mit der illegalen Ausbeutung der 252 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV, http://www.kongokinshasa.de/geschichte/geschichte5.php. 253 Vgl. Braeckman, Colette (1999). Der Kongo und seine Nachbarn. Im Hinterland herrscht Selbstbedienung, in: Le Monde Diplomatique. Deutsche Ausgabe vom 12.11.1999, http://www.mondediplomatique.de/pm/1999/11/12/a0226.text.name,askNyQ8VD.n,33, S.1ff. 113 Rohstoffe in der Demokratischen Republik Kongo.254 Der Zweite Kongo-Krieg forderte auch unter der Bevölkerung des Kongo eine immense Zahl an Opfern – in unterschiedlichen Quellen von 2,5 bis drei Millionen Toten - wovon ungefähr ein Drittel Kinder waren. Des Weiteren litten ungefähr 16 Millionen Menschen an Unterernährung, und es gab cirka zwei Millionen Binnenflüchtlinge.255 Wie viele Rebellegruppen, wie viele Länder, die gegeneinander kämpften, wirklich an dem „Ersten Afrikanischen Weltkrieg“256 beteiligt war, ist nicht genau bekannt. Manche sprechen davon, dass von der Krise im Kongo„…sechs Staaten auf die eine oder andere Weise tangiert werden…“257, andere sehen sogar noch mehr Länder aktiv in den Krieg verwickelt.258 ABB.1. Einflussgebiete der verschiedenen Rebellenorganisationen259 gelb: von der Regierung in Kinshasa kontrolliert grün: RCD: Kongolesische Sammlung für die Demokratie/Goma (Azarias Ruberwa, Ruanda) rosa: MLC: Front für die Befreiung des Kongo (Jean-Pierre Bemba, Uganda) blau: Gebiet umkämpft zwischen MLC, RCD-N, RCD-K-ML, UPC und RCD-ML u.a. 254 Final report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo. United Nations, UN Doc: S/2002/1146, 16 October 2002. (Anm. d. Autors) 255 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 256 Diese Bezeichnung stammt von Albright, Madleine. (Anm. d. Autors) 257 Zitat von Braeckman, Colette. 258 Vgl. Lucius, Robert von (1999). Kabilas Freunde und Feinde, in Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), vom 2.7.1999, http://fazarchiv.faz.net/webcgi?WID=64243-4210957-72000_1. 259 Grafik von Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 114 6.2.2.2. Das Ende der Regierung Kabila I – Beginn des Friedensprozesses Im Laufe des Konflikts gab es verschiedene Bemühungen, die verfeindeten Parteien an einen Tisch zu bringen. So wurde in Lukasa/Sambia mit Hilfe zahlreicher einflussreicher afrikanischer Staatsmänner260 versucht, die Kriegsparteien in der größten post-kolonialen Friedenskonferenz zu versammeln. Der dabei entworfene Plan legte neben einem Waffenstillstand, dem Truppenrückzug und der Befriedung der Region auch eine langfristige Strategie vor, um die politische Situation zu regeln.261 Die unterschiedlichen Motive der Teilnehmer der Konferenz machten eine praktische Umsetzung des Abkommens von Lusaka unmöglich. Prinzipiell ging es jedem der Teilnehmer um die Kontrolle der Rohstoffe. Zudem wollte Ruanda seine Grenzen gegen die nach wie vor vom Kongo aus operierenden Hutu-Milizen schützen. Die kongolesischen Rebellen verlangten von Kabila die Weiterführung des begonnenen und versprochenen Demokratisierungsprozesses des Landes, und Kabila selbst wollte nur seine Machtposition erhalten. Diese stark von einander abweichenden Interessen verhinderten, dass das Abkommen von Lusaka jemals umgesetzt wurde.262 Laurent-Désiré Kabila wird schließlich am 16.Jänner 2001 in Kinshasa Opfer eines Attentats. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht restlos geklärt. Die am weitesten verbreitete These ist, dass er durch seine Leibwächter ermordet wurde. Andere sprechen auch von einem Anschlag durch Kadogo, dem Heer seiner Kindersoldaten. Die Nachfolge war nicht geregelt, so beschlossen die Mitglieder seiner Regierungspartei einen Nachfolger zu ernennen. Die Wahl fiel auf seinen Sohn, Joseph Kabila, der am 21.Jänner 2001 in Kinshasa vereidigt wurde.263 Hinsichtlich der Theorie um die Bildung von Institutionen ist klar zu erkennen, dass alte institutionelle Rahmenbedingungen durch neue Akteure mit weiterhin subjektiven Machtambitionen besetzt wurden. Diese Tatsache sowie das allgemeine Scheitern der Neugründung von politischen Institutionen, die effektiv und legitim arbeiten konnten, waren hauptverantwortlich für das Scheitern L.-D.Kabilas. 260 Mandela, Nyerere, Mbeki, Chiluba, Gaddafi und Masire, in: Matthiesen, S.42. Vgl. Lucius, Robert von, S.1ff. 262 Vgl. The Economist (2000). In the heart of the darkness, 7.12.2000. 263 Vgl. Matthiesen, S.42. 261 115 6.2.3. Übergang zur dritten Phase der Transition In der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo wird, wenn von einer Transition gesprochen wird, nur eine Phase in der Entwicklung gemeint; jene nach dem Ende des Friedensprozesses rund um den zweiten Kongokrieg. Die Transition, wie bereits erwähnt, begann jedoch wesentlich früher. Bereits während der Herrschaft Mobutus wurde die Liberalisierung und somit der Theorie nach die Transition eingeleitet. Der Friedensprozess, der den zweiten Kongokrieg beendet hat stellt, nach der hier vertretenen Ansicht, den Übergang zur dritten Phase der Transition, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist, dar. In der dieser Phase versuchten die Akteure, die an dem Konflikt beteiligt waren, ihre jeweiligen Positionen zu festigen und den größtmöglichen Vorteil hinsichtlich ihren Machtambitionen herauszuschlagen. Der Friedensprozess ist als richtungweisend für die aus im entstandenen Transitionsregierung anzusehen. Da hier auch erstmals der Begriff an sich erwähnt ist, wird deutlich, dass die Intentionen, das politische System des Kongo zu verändern, intensiver und zielorientierter waren. Allerdings muss noch einmal betont werden, dass hier die Meinung vertreten wird, dass der Friedensprozess lediglich einen Übergang zwischen zwei Phasen der Transition darstellt und nicht den Beginn einer solchen. 6.2.3.1. Die Anfänge des Friedensprozesses und seine Akteure – Beginn der Regierung Joseph Kabila Die vorrangige Aufgabe von Joseph Kabila war die Stabilisierung des Landes und die Schaffung einer neuen politischen Ordnung. Zudem wollte er demokratische Strukturen installieren und eine neue Verfassung erarbeiten. Die Richtung von Kabilas Reformen wurde sehr stark durch die internationale Gemeinschaft beeinflusst, die erheblichen Druck ausübte. Diesem Druck versuchte Kabila sich einerseits anzunehmen und ihm andererseits entgegenzuwirken, indem er viele – vor allem westliche – Länder besuchte, mit denen der Kongo vor und teilweise auch während der Krise traditionell gute Beziehungen gepflegt hatte.264 Außerdem hatte der neue Präsident auch wichtige politische Entscheidungen zu treffen. Joseph 264 Vgl. Tshiyembé, Mwayila (2003). Der Kongo und seine Suche nach Frieden. Grundgesetz für einen Staat ohne Staat, in: Le Monde Diplomatique, Deutsche Ausgabe, 11.7.2003, http://www.mondediplomatique.de/pm/2003/07/11/a0065.text.name,asktQ2sRW.n,45. 116 Kabila wusste, dass er auf die Opposition und die Zivilgesellschaft angewiesen war, wenn er den Kongo reformieren und ein erfolgreicher Präsident sein wollte. Aus diesem Grund öffnete auch das erste Dekret 001/2001, das am 17.Mai 2001 erlassen wurde, die politische Sphäre wieder Parteien und Gruppierungen. Neben dieser Änderung gab er noch einige Zusagen für weitere Reformen vor allem im wirtschaftlichen aber auch im menschenrechtlichen Sektor. So sagte er zu, alle Gefängnisse in Kinshasa, die nicht der Gerichtsbarkeit unterstanden, aufzulösen. Er wollte die Wirtschaft an die modernen Systeme anpassen, indem er den Waren- und Dienstleistungsverkehr, den Diamantenhandel und die Wechselkurse zu liberalisieren plante. Um Zeichen zu setzen, dass es ihm Ernst war mit einem Wandel im Kongo, entließ er die Hardliner des Militärregimes seines Vaters und versuchte, der ethnischen Politisierung des Landes ein Ende zu bereiten.265 Er zeigte auch im Gegensatz zu seinem Vater aktives Interesse, das in Lusaka unterzeichnete Abkommen zu realisieren und signalisierte so eine Konzessionsbereitschaft zu einem erneuten innerkongolesischen Dialog. Es kam aus diesem Grund auch kurz nach dem Amtsantritt von Kabila zu einem erneuten Treffen in Lusaka, das den Friedensprozess wieder in Gang bringen sollte. Die Verhandlungen wurden von Ketumire Masire, dem AU-Vertreter, geleitet, der noch von Laurent Désiré Kabila abgelehnt wurde von Joseph Kabila jedoch Unterstützung für seine Arbeit erhielt. Das erste Treffen unter dem neuen Präsidenten zu Beginn des Jahres 2001266 brachte einige kleine Teilerfolge mit sich. So konnte man sich darauf einigen, dass von den Rebellengruppen einige Unterabkommen bzw. Vereinbarungen früherer Verhandlungen unterzeichnet wurden. Darin waren Rückzugsvereinbarungen getroffen worden, die nun verpflichtend für die Besetzer der unterschiedlichen Provinzen werden sollten.267 Diese Entwicklung und die Erlaubnis der Stationierung der Mission de l’Organisation des Nations Unies en République du Congo (MONUC) beiderseits der Frontlinie ermöglichten die Vorbereitung zu einer Konferenz zum innerkongolesischen Dialog im Oktober 2001 in Addis Abeba (Äthiopien). Allerdings wurde diese Konferenz unter der Leitung von Masire schnell wieder abgebrochen, da deutlich wurde, dass es zu großen Interessensdifferenzen zwischen den Verhandlungsteilnehmern gab. Schließlich kam es nach einigen weiteren Treffen268 und der Ausräumung der 265 Vgl. Matthiesen, S.67. 15.-16.Februar 2001. (Anm. d. Autors) 267 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 268 Diese fanden in New York, Abuja (Nigeria) und Genf statt. (Anm. d. Autors) 266 117 Differenzen der Verhandlungsparteien doch noch zu einem innerkongolesischen Dialog. Dieser fand von 25.2. – 19.4. 2002 in Sun City (Südafrika) statt und endete mit einem partiellen Rahmenabkommen. Dieses sah vor, dass die legislativen, exekutiven und judikativen Aufgaben auf die unterschiedlichen Gruppierungen aufgeteilt werden sollten. Dabei sollten sowohl die Rebellengruppen wie auch die Zivilgesellschaft in die politische Sphäre und die Reformbewegung innerhalb des Kongo inkludiert werden. Bei den Gesprächen, die schließlich zur Unterzeichnung führen sollten, kam es allerdings wieder zu Differenzen zwischen den beiden Hauptunterzeichnern, der Regierung und der MLC269. Das Scheitern der Gespräche führte dazu, dass der Status quo wieder vorherrschte und das Land in verschiedene Teile unterteilt wurde, die von den einzelnen Rebellengruppen kontrolliert wurden.270 Dabei kam es auch wieder vermehrt zu Kriegshandlungen zwischen einzelnen Gruppierungen.271 6.2.3.2. Das Ende des Friedensprozesses – Einigung über die Transitionsverfassung Die Regierung Kabila gab die Friedensbemühungen jedoch nicht auf. Sie verhandelte getrennt mit Ruanda und Uganda und konnte Teilerfolge erzielen. Allerdings wurde durch intensiven Einsatz der UNO, der AU und Südafrikas auch der innerkongolesische Dialog mit allen Kriegsparteien fortgesetzt. Dieser fand schließlich in drei Stufen statt. Das erste Treffen im Oktober war eine Basis für weitere Verhandlungen, in denen die Prinzipien festgelegt und von allen akzeptiert wurden. Diese sahen drei Hauptpunkte vor: • Alle Teilnehmer des innerkongolesischen Dialogs sollten aktive Positionen und Rollen in der Verwaltung der Wandlung des Kongo einnehmen. • Die führenden Positionen sollen während der Übergangsphase von den gleichen Personen besetzt werden. • Die Macht sollte aufgeteilt und dabei das System der Inklusivität angewandt werden. 269 Jean Pierre Bemba war der Anführer der MLC. (Anm. d. Autors) Die Gebiete wurden von folgenden Gruppierungen regiert: Kinshasa (Regierung), Gemena (MLC), Bunia (RCD-K-ML), Goma (RCD-Goma), Isiro (RCD-N) und Wamba dia Wamba (RCD-ML). (Anm. d. Autors) 271 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. 270 118 Bei dieser Verhandlung einigte man sich auch darauf, wie die Regierung bzw. das gesamte politische System im Kongo organisiert werden sollte. Die Auffassungen über die politische Verteilung der Macht waren zu diesem Zeitpunkt sehr unterschiedlich. Während die Regierung in Kinshasa davon ausging, dass die Macht auf wenige Staatsmänner verteilt ist, traten die Rebellengruppen, allen voran die RCD-Goma und die MLC, für eine vertikale Aufteilung der Macht auf die verschiedenen Ebenen ein. Während des zweiten Treffens kam es zu weiteren unterschiedlichen Auffassungen über die Teilung der Verantwortlichkeit, die Führung der nationalen Armee, die gebildet werden sollte, über die Sicherung der Hauptstadt Kinshasa sowie die Besetzung der wichtigen Positionen in der Übergangszeit. Deshalb wurde die Konferenz abgebrochen und erst im Dezember 2002 fortgesetzt. Die vom 9.17.Dezember dauernde Konferenz fand in Pretoria (Südafrika) statt und endete mit der Unterzeichnung eines Abkommens über die Transitionszeit im Kongo. Die Übergangsverfassung (Constitution de la Transition), ein Dokument über die Sicherung der Stadt Kinshasa, die Bildung einer nationalen Armee und die Institutionen der Übergangsphase wurden am 3.März 2003 von allen Verhandlungspartnern unterzeichnet und am 1.April 2003 von der Vollversammlung, die in Sun City tagte, verabschiedet. Die Übergangsverfassung wurde am 4.April 2003 in Kraft gesetzt.272 Die wichtigsten Punkte der Übergangsverfassung273 waren: • Die Bekenntnis zu den demokratischen Werten; (Préambule) • Die Anerkennung der UN-Menschenrechtscharta und der Erklärung der Menschenrechte der AU; (Préambule) • Die Anerkennung der Grenzen von 1960 und die Teilung in zehn Provinzen274 mit der Hauptstadt Kinshasa; • Die Bestellung eines Präsidenten und vier Vize-Präsidenten, die bis zum Ende der Transition im Amt bleiben sollen. Die vier Vize-Präsidenten fielen den beiden großen Rebellengruppen (RCD, MLC), der Regierung und der Opposition zu; • Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der nationalen Armee; 272 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geschichte Kongo IV. Constitution de la Transition,. www.grandslacs.net/doc/2811.pdf. 274 Diese waren: Batundu, Bas-Congo, Equateur, Kasai-Occidental, Kasai-Oriental, Katanga, Maniema, NordKivu, Province Orientale und Sud-Kivu. (Artikel 5). 273 119 • Die Macht liegt beim Volke des Kongo; • Einsetzung eines Parlaments, Senats, Obersten Gerichtshofs und anderen Gerichtsbarkeiten und ihre jeweiligen Aufgaben; • Einführung von Institutionen zur Sicherung der demokratischen Werte; • Wahlen sollten innerhalb der darauf folgenden drei Jahre durchgeführt werden; • Bekenntnis zur Verurteilung und dem Verbot jeglicher Diskriminierung einer Minderheit aufgrund ihrer Sprache, Religion oder anderer kultureller Werte; „Tous les Congolais sont égaux devant la loi et ont droit à une égale protection des lois. Aucun Congolais ne peut, en matière d'éducation et d'accès aux fonctions publiques ni en aucune matière, faire l'objet d'une mesure discriminatoire, qu'elle résulte de la loi ou d'un acte de l'exécutif, en raison de sa religion, de son sexe, de son origine familiale, de sa condition sociale, de sa résidence, de ses opinions ou de ses convictions politiques, de son appartenance à une race, à une ethnie, à une tribu, à une minorité culturelle ou linguistique.“275 6.2.3.3. Die Transitionsregierung und ihre Machtverhältnisse Die vier Vize-Präsidenten waren auf die Vertragsparteien wie vorgesehen aufgeteilt. Die beiden Vize-Präsidenten, die aus den Rebellengruppierungen kamen waren Jean-Pierre Bemba (MLC) und Adolphe Unusumba (RCD). Kabila ernannte 36 Minister und 25 Vize-Minister und teilte die Ministerien auf.276 Die bisherige Regierung von Joseph Kabila behielt die Ministerien für Inneres, Finanzen, Industrie und Energie. Die RDC übernahm die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft und die Staatsbetriebe. Die MLC erhielten die Ministerien für äußere Angelegenheiten, öffentliche Arbeiten und Haushalt. Die nicht bewaffnete Opposition war für das Justizministerium und den Bergbau verantwortlich.277 Das Parlament bestand aus 500 und der Senat aus 120 Vertretern. Diese setzten sich aus den Vertretern von 275 Vgl. Artikel 17, Constitution de la Transition. Dieser Artikel wurde später auch wortwörtlich in die neue Verfassung übernommen. (Anm. d. Autors) 276 Vgl. Stroux, Daniel (2003). Rohstoffe, Ressentiments und staatsfreie Räume. Die Strukturen des Krieges in Afrikas Mitte, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 2/2003, http://www.fes.de/ipg/IPG2_2003/ARTSTROUX.HTM. 277 Vgl. Friedensvertrag für Kongo (3.4.2003). Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.4.2003. 120 acht Gruppen zusammen, den bereits genannten, der Opposition, der Regierung, der Zivilgesellschaft278, den Mayi-Mayi Milizen und im Nord-Kivu operierenden Abspaltungen der Rebellengruppen. Die Übergangsphase war auf ein Maximum von 30 Monaten festgelegt. Danach sollten die Kongolesen in der Lage sein, ihre Vertreter in unabhängigen Wahlen zu bestimmen.279 6.2.3.4. Probleme der Transitionsregierung Die Truppen Ruandas traten bereits 2002 durch ein bilateral verhandeltes Abkommen ihren Rückzug an. Jedoch kam es auch nach dem Amtsantritt der Übergangsregierung zu Meldungen, wonach die ruandischen Rebellen nach wie vor in die Organisation der RCD involviert und aktiv waren. Zu diesem Zeitpunkt zogen sich auch Angola und Zimbabwe endgültig militärisch aus dem Kongo zurück.280 Die Truppen Ugandas zogen sich offiziell im März 2003 vom Gebiet der DRC zurück.281 Nachdem die beiden Länder mit ihren Truppen aus den besetzten Gebieten im Osten des Kongo abgezogen waren, hinterließen sie ein Machtvakuum, das sich schnell diverse Warlords und Milizen ausnutzten. Die Warlords sahen in der Fortführung des Krieges einen wirtschaftlichen Nutzen für sich selbst, während die Milizen ihre Kämpfe meist aus ethnischen Hintergründen führten und so Landegewinne und Racheakte erzielen bzw. verüben wollten.282 Die Hauptakteure in den darauf folgenden Wochen und Monaten waren die UNO, die seit 2000 eine Mission im Kongo hatte (MONUC), die Regierungen Ruandas und des Kongo und die Milizen und Rebellengruppen im Osten des Landes. Neben den zahlreichen kleinen Zusammenstößen zwischen Rebellengruppen, die von Uganda bzw. Ruanda unterstützt wurden, kam es auch zu ernsten Massakern und kriegerischen Friedensprozess Auseinandersetzungen, bedeuteten. So die stand herbe der Rückschläge Kongo aufgrund für den diverser Auseinandersetzungen und Vorwürfen seitens Kabila, wonach Ruanda die Rebellen im Osten des Landes nach wie vor unterstützen würde, am Rande eines erneuten Krieges (2004). Die Situation war so gespannt, dass die größte Rebellengruppe RCD, die durch die Unterstützung Ruandas gegründet wurde, ihre Mitarbeit an der 278 Diese setzte sich aus unterschiedlichen Berufsgruppen, Ethnien, Vereinen, Konfessionen und Regionen zusammen, in: Tshiyembé, Mwayila (2003). 279 Vgl. Stroux, Daniel (2003). 280 Vgl. Stroux, Daniel (2003). 281 Vgl. Congo Civil War, in: GlobalSecurity.org. Military, http://www.globalsecurity.org/military/world/war/congo.htm, zuletzt bearbeitet am 17.12.2006. 282 Vgl. Scheen, Thomas (2005). Krieg um des Krieges Willen, das große Morden in Bunia, in: FAZ, 22.5.2003. 121 Regierung aussetzte und so deren Arbeit blockierte.283 Teilweise sahen sich sogar die UN-Truppen nicht in der Lage, die Situation zu beruhigen und unter Kontrolle zu bringen, wie z.B. bei einem Massaker in Nord-Kivu 2002 deutlich wurde.284 Die Massaker und anderen zahlreichen Gewaltverbrechen, die in der Region verübt wurden, führten dazu, dass die Region Ost-Kongo von der UNO im März 2005 zur „world’s worst humanitarian crisis“ erklärt wurde.285 Trotz der instabilen Situation und der Besetzung des Nord-Ostens des Landes durch die Rebellengruppe Lord Resistance Army (LRA) gelang es der Übergangsregierung Kabila am 17.Mai 2005 einen Verfassungsentwurf zu verabschieden. Sie sah einen dezentralisierten Einheitsstaat vor, in dem allerdings die Macht des Staatschefs geschwächt werden sollte, da ihm ein Premierminister zur Seite gestellt wurde, der nicht von ihm ernannt werden, sondern vom Parlament gewählt würde. Die Kritik an diesem Verfassungsentwurf war sehr groß, da dieses Ergebnis hinter verschlossen Türen erzielt wurde. Allerdings wurde anerkannt, dass die Beteiligten sich einig waren. Um in Kraft zu treten, musste die Verfassung durch eine Volksabstimmung angenommen werden.286 Diese Abstimmung Verfassungsentwurf fand wurde im Dezember von 85% des der Jahres 25 2005 Millionen statt und der Wahlberechtigten angenommen. Diese Zahl ist aus dem Grund beeindruckend, da es durch die Größe und generelle infrastrukturelle Situation kaum Kommunikationsmöglichkeiten gab. Insgesamt muss man die Verfassung als Erfolg für diejenigen sehen, die den Einfluss des Staates zurückdrängen wollten. Die Verfassung sah die Aufteilung des Landes in 26 Provinzen vor. Zudem sollten die Einnahmen des Staates 60 zu 40 Prozent auf Kinshasa und die Provinzen aufgeteilt werden. Die Verwaltung der Bodenschätze sollten dezentralisiert werden, was jedoch auch die Gefahr der Korruption auf regionaler Ebene erhöhte.287 283 Vgl. Johnson, Dominik (2004). Ratlosigkeit in Kongos „Kaltem Krieg“, in: TAZ, 31.8.2004, http://www.kongokinshasa.de/taz/taz2004/taz_040831.php. 284 Vgl. Conflict History: DR Congo (2006). International Crisis Group, http://www.crisisgroup.org/home/index.cfm?action=conflict_search&l=1&t=1&c_country=37, zuletzt bearbeitet Dezember 2006. 285 Vgl. Humanitarian Crisis: Congo Worst (2005). Global Policy Forum, http://www.globalpolicy.org/security/issues/congo/2005/0316worst.htm. 286 Vgl. Johnson, Dominik (2005a). Eine Nachkriegsverfassung für den Kongo, in: TAZ, 17.5.2005, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2005/taz_050517.php. 287 Vgl. Braeckman, Colette (2006). Die dritte Plünderung des Kongo, in: Le Monde Diplomatique, Deutsche Ausgabe, 7.7.2006, http://www.monde-diplomatique.de/pm/2006/07/07/a0035.text.name,asktQ2sRW.n,7. 122 6.2.4. Die Demokratische Republik Kongo heute – Fortsetzung der Transition Nach dem Ende der Übergangs- oder Transitionsperiode sollte der Kongo durch die ersten freien Wahlen in die dritte Republik entlassen werden. Gleichzeitig sollte dieses Ereignis das Ende der Transition und den Übergang zu einer gewandelten politischen Landschaft im Kongo darstellen. Neue Institutionen sollten gebildet sein, die Regierung sollte in der Lage sein, effektiv arbeiten zu können und zudem durch die Wahlen legitimiert sein. Die Wirklichkeit sieht allerdings in vielen Bereichen nach wie vor anders aus, weshalb hier auch die Ansicht vertreten wird, dass sich die Transition in der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor in Mitten des Prozesses befindet. In der Folge werden die Akteure und das politische System der Demokratischen Republik Kongo von heute dargestellt und wie es sich aus den ersten freien Wahlen entwickelte. Dabei werden auch die internationalen Einflüsse dargestellt. 6.2.4.1. Die Parlamentswahlen 2006/2007 und ihre zentralen Akteure Der ursprüngliche Termin für die Wahlen war im Juni 2005. Die Erklärung des Vorsitzenden der unabhängigen Wahlkommission Apollinaire Malu-Malu288 Anfang 2005, dass die Wahl verschoben werden müsste, löste das Entrüstung in der Bevölkerung aus. Er erklärte, dass die Umsetzung der geplanten Ziele viel zu langsam verlaufen würde. Es würde durch mangelnde logistische und technische Möglichkeiten erst später als geplant zu einer Registrierung der Wähler kommen. Dadurch würde man die Wahlen nicht zum geplanten Zeitpunkt durchführen können. Diese Aussagen spiegelten das wieder, das viele Beobachter bereits befürchtet hatten. Es war offensichtlich, dass die Umsetzung des Friedensabkommens sehr langsam vor sich ging. Sollten die Wahlen nicht bis zum Ende Juni 2005 – dieses Datum ist gleichbedeutend mit dem vorgesehenen Ende der Übergangsregierung – durchgeführt werden, so könnte sich die Regierung ihre Amtszeit zweimal um jeweils sechs Monate verlängern. Die größte Partei des Landes, die Union pour la Démocratie et le Progrés Social (UDPS), die jedoch nicht im Parlament vertreten 288 Appolinaire Malu-Malu wurde 2004 als Präsident der Unabhängigen Wahlkommission der Demokratischen Republik Kongo eingesetzt. Diese sollte ursprünglich bis Ende Juni 2005, später bis Juni 2006, die Durchführung der ersten freien Wahlen des Landes organisieren. Neben dieser Funktion ist Malu-Malu katholischer Geistlicher und Rektor der Universität Graben in Butembo im Ostkongo. Johnson, Dominik (2006a). Wahlfälscher unschädlich machen, in. TAZ, 9.2.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060209.php. 123 war, protestierte gegen diese Verlängerung und argumentierte, dass nach dem 30.Juni die Macht in der Hand des Volkes liegen würde. Zudem wurde das Versprechen Kabilas betont, das den Rücktritt der gesamten Regierung für den Fall ankündigte, dass diese ihre Amtsgeschäfte nicht bis Ende Juni 2005 erledigen konnte. Auch in der Regierung selbst kam es zu Differenzen, da Vize-Präsident Jean-Pierre Bemba den Rückzug seiner MLC aus der Regierung androhte, wenn Kabila seine Forderungen nach personellen Änderungen nicht erfüllen würde.289 Die Aufstände, die durch diese Ankündigung entstanden, forderten 19 Todesopfer und über 100 Verletzte. In Kinshasa brachte ein Streik, der „Ville Morte“ genannt wurde, das öffentliche Leben komplett zum Erliegen. Die Wahlen wurden schließlich auf den 18.Juni 2006 verschoben, wodurch beide Möglichkeiten zu Verlängerung der Amtszeit ausgenutzt werden mussten.290 Die Wahlen wurden von der Wahlkommission und der UN-Mission als die schwierigsten aller Zeiten eingestuft. Die Infrastruktur des Landes, die Größe und die ungeheuer große Einwohnerzahl von 60 Millionen Menschen erschwerten die Vorbereitungen erheblich. Die Schwierigkeiten waren politischer Natur. Die Abstimmung über die Verfassung, die als eine Art Generalprobe zur Wahl gesehen wurde, verlief ohne größere Zwischenfälle. Allerdings dauerte es sechs Wochen, bevor der oberste Gerichtshof das Ergebnis bestätigte. Erst nach dieser Bestätigung konnte die Verfassung in Kraft treten und das Parlament Wahlgesetze verabschieden. Diese waren notwendig, um die Vorbereitungen für die Wahlen treffen zu können.291 Als schließlich die Verfassung des Kongo in Kraft getreten und die Wahlgesetze formuliert waren, kam es erst nach Verzögerung zur Unterzeichnung derselben. Die logistischen Probleme blieben allerdings weiterhin aufrecht. Verschiedene Parteien waren nicht zufrieden mit den Wahlkreisen (RCD) oder der Wählerregistrierung (UDPS). Obwohl die Vorbereitungen sehr kurz waren, sollte der Wahltermin von 18.Juni bestehen bleiben. Der Termin war auch hinsichtlich der Planung für die internationale Sicherungstruppe der EU wichtig, die vorsah, die sichere und friedliche Durchsetzung der Wahlen zu unterstützen.292 289 Vgl. Johnson, Dominik (2005b). Aufstand im Kongo gegen Wahlverzögerer, in: TAZ, 12.1.2005, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2005/taz_050112.php. 290 Vgl. Schadomsky, Ludger. Vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, in: Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/ZY9LA5,0,0,Vor_den_Pr%E4sidentschafts_und_Parlamentswahlen.html. 291 Vgl. Johnson, Dominik (2006b). Die schwierigste Wahl der Welt, in: TAZ, 10.2.2006, http://www.kongokinshasa.de/taz/taz2006/taz_060210.php. 292 Vgl. Johnson, Dominik (2006c). Weg zu Wahlen im Kongo frei, in TAZ, 11.3.2006, http://www.kongokinshasa.de/taz/taz2006/taz_060311.php. 124 Der Termin für Juni wurde bereits im März abgesagt, da sich zu wenige Kandidaten für die über 500 Parlamentssitze angemeldet hatten. Auch ein Termin im Juli schien zuerst unwahrscheinlich, weil sich schließlich 9.587 Kandidaten für die Parlamentswahl angemeldet hatten und die Wahlkommission mit der Registrierung nicht fertig wurde. Die Liste der 33 Präsidentschaftskandidaten stand bereits früh fest. Finanzielle Unsicherheiten sowie ein Boykott der Opposition führten auch dazu, dass der Termin für die Wahl schwierig zu fixieren war.293 Schließlich konnte man sich im Mai 2006 doch auf einen Termin für die Wahl einigen, den 23.Juli 2006. Danach setzte die Phase des Wahlkampfs ein, in dessen Verlauf die UN-Truppen immer wieder im Mittelpunkt standen, da es sehr häufig zu Bedrohungen und Einschüchterungen kam. Deshalb hatte die UNO für die jeweilige betroffene Partei, meistens Oppositionsparteien, Schutz zu gewährleisten. Es kam zu Blockaden der Spitzenkandidaten der Oppositionsparteien durch so genannte Spezialeinheiten. Es wurden Gerüchte über mögliche Putschversuche laut, die seitens der Herausforderer gegen Kabila durchgeführt werden sollten.294 Generell bildeten sich die beiden Blöcke Kabila gegen Bemba, die beide als aussichtsreichste Kandidaten für das Amt des Präsidenten gehandelt wurden. Der größte Streitpunkt war das in der Verfassung verankerte Ende der Amtszeit mit dem 30.Juni 2006. Da die Wahlen erst einen Monat später stattfinden würden, und das Ergebnis erst für November erwartet wurde, war unklar, wer das Land in der Zwischenzeit regieren sollte. Deshalb wurde versucht, den politischen Dialog wieder in Gang zu bringen. Diese Unklarheit, die Angst vor den möglichen Reaktionen auf das Ergebnis der Wahl und die sich immer stärker verhärtenden Blöcke von Kabila295 und Bemba296 trugen dazu bei, dass die Situation im Land wieder unsicherer wurde. Kabila argumentierte mit seiner Bilanz seit der Machtübernahme 2001 während Bemba mit seinem Slogan „100 Prozent Kongolese“ das Thema Nationalismus in den Mittelpunkt rückte. Er spielte damit darauf an, dass Kabila ruandischer Abstammung sei und deshalb auf keinen Fall gewählt werden könnte. Kabila versuchte sich vergleichsweise als gemäßigt darzustellen, indem er einen den bekanntesten Reformpolitiker des Landes, Olivier Kamitatu, auf seine Seite zog. Dies wurde auch von seinen ausländischen 293 Vgl. Misser, Francois, Johnson, Dominik (2006). Kongos Wahlen stehen in den Sternen, TAZ, 20.4.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060420.php. 294 Vgl. Veit, Alex, Johnson, Dominik (2006). Ein schmutziger Wahlkampf in Kinshasa, in: TAZ, 25.5.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_060526.php. 295 Sein Wahlbündnis hieß Allianz der präsidialen Mehrheit. (AMP). (Anm. d. Autors) 296 Sein Wahlbündnis hieß Zusammenschluss kongolesischer Nationalisten (Renaco). (Anm. d. Autors) 125 Unterstützern als positiv angesehen, da Kamitatu während der Regierungsarbeit für Ordnung sorgen sollte.297 Auch ein Datum konnte nicht über die großen logistischen und technischen Schwierigkeiten hinwegtäuschen, die während der Wahl entstehen würden. Es galt, galt es in einem Land, das die Größe Westeuropas hatte und dessen Provinzen nur über Luftwege miteinander verbunden waren, eine geordnete Wahl zu organisieren. Wahlberechtigt waren beinahe 26 Millionen Menschen, die 33 Präsidentschaftskandidaten und 9.632 Parlamentskandidaten entscheiden mussten bzw. konnten. Der Termin im Juli ermöglichte auch die Planung der EUFOR-Truppe, deren Einsatz vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wurde und vier Monate dauern sollte. Diese Truppe sollte die MONUC, deren Stärke zu diesem Zeitpunkt 17.000 Mann betrug, unterstützen.298 Die Wahl fand schließlich erst am 30.Juli 2006 statt. Die Wahlzettel hatten die enormen und ungewöhnlichen Ausmaße von sechs Seiten DIN A1 und eine Seite DIN A3. Grund dafür war die riesige Anzahl an Kandidaten, über die die Wähler zu entscheiden hatten.299 Weil die meisten Kongolesen weder lesen noch schreiben können, fanden sich neben den Namen der Kandidaten auch Bilder und die Symbole der jeweiligen Parteien, denen sie angehörten.300 Die Wahlbeteiligung lag bei 70.5 Prozent der registrierten Wähler, also bei 18 Millionen Kongolesen. Diese konnten in ungefähr 55.000 Wahllokalen ihre Stimme abgeben. Insgesamt waren am Wahltag zu den 1.500 Mitarbeitern der Wahlbehörde 250.000 Wahlhelfer im Einsatz. Sie wurden von der Wahlabteilung der MONUC unterstützt. Zudem verfolgten rund 1.500 internationale und 47.500 nationale Beobachter sowie 1.500 Journalisten die Wahl und den Wahlverlauf. Schließlich waren noch rund 460.00 Delegierte der unterschiedlichen Parteien in den Wahllokalen anwesend. Die Wahl, die inklusive des Verfassungsreferendum mit rund 450 Millionen US$ den teuersten Vorgang, der jemals von der internationalen Gemeinschaft darstellte, wurde weitgehend als frei und transparent eingestuft.301 Um als Präsident festzustehen, musste einer der Kandidaten die absolute Mehrheit – somit mehr als 50 Prozent der Stimmen – erhalten. Dieses gelang im ersten 297 Vgl. Stroux, Daniel (2006). Wahlen im Kongo: Das Ende einer langen Transition?, in: GIGA Focus Africa, Nummer 9, 2006, S.2f. 298 Vgl. Johnson, Dominik (2006d). Wahltermin im Kongo festgelegt, in: TAZ, 2.5.2006, http://www.kongokinshasa.de/taz/taz2006/taz_060502.php. 299 Vgl. Göbel, Alexander (2006). Keine Garantie für demokratische Wahlen im Kongo, in: Welt, 25.7.2006, http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2108718,00.html. 300 Vgl. Reker, Judith (2006). 9000 plus 33 ergibt Hoffnung, in: Der Tagesspiegel, 31.7.2006, http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-Dritte-Seite;art705,2284101. 301 Vgl. Stroux, Daniel (2006), S.2ff. 126 Wahlgang jedoch keinem der Kandidaten. Der Wahlsieger war Joseph Kabila mit 44,81 Prozent aller Stimmen. Erster Verfolger war Jean-Pierre Bemba mit 20,03 Prozent der Stimmen. Dadurch wurde klar, dass eine Stichwahl notwendig wurde. Allerdings kam es nach der Veröffentlichung wie befürchtet zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der einzelnen Parteien. Der Oberste Gerichtshof wollte auch den Termin für die Stichwahl, der mit 29.Oktober veranschlagt war, als verfassungswidrig ablehnen. Als Grund dafür wurde die 15Tage Frist angegeben, die zwischen dem Veröffentlichen der Wahlergebnisse und dem Stichwahltermin liegen müsse. Kritisiert wurde, dass der Termin der Anerkennung des Ergebnisses von der Wahlkommission für den 31.August und der Termin für die Stichwahl erst am 29.Oktober, wodurch diese Frist überschritten wurde, vorgesehen war. Dem gegenüber wurde von der Wahlkommission argumentiert, dass man die Stichwahl aus logistischen Gründen nicht vorverlegen könne, und es auch durch die Verfassung keine genaue Regelung gäbe. Unterstützung erhielt die Wahlkommission auch aus dem Ausland, da man schon vor der Durchführung der Wahl beschloss, eine allfällige Stichwahl auf den gleichen Tag wie die Wahl der elf Provinzparlamente legen zu wollen. Der Termin, sollte die Wahl am 29.Oktober durchgeführt werden, brachte die Gefahr mit sich, aufgrund der Probleme mit der Einhaltung der Frist nicht anerkannt zu werden.302 Vor der Stichwahl kam es am 20.August in der Hauptstadt Kinshasa zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Leibwachen Kabilas und jenen von Bemba. Kinshasa galt auch als unsicherstes und gefährlichstes Gebiet während der Wahlen. Die Stichwahl fand schließlich am 29.August statt. Beide Kandidaten betonten im Vorfeld, sie würden den begonnenen Friedensprozess so schnell wie möglich abschließen und für Sicherheit und Demokratie im Land sorgen.303 Das Ergebnis, das mit Spannung erwartet wurde, kürte Joseph Kabila zum Sieger. Er gewann die Wahl mit 58 Prozent der Stimmen gegenüber den 42 Prozent, die für Bemba stimmten. Bemba wollte die Niederlage nicht anerkennen, da die von ihm selbst angeordneten Auszählungen ihn mit 52,2 Prozent als Sieger führten. Er beschwerte sich auch darüber, dass 10 Prozent seiner Wähler nicht in den Regionen wählen konnten, in denen sie registriert waren.304 Obwohl Kabila in absoluten Zahlen 302 Vgl. Johnson Dominik (2006e). Kongos Wahl fraglich, in: TAZ, 15.9.2006, http://www.kongokinshasa.de/taz/taz2006/taz_060915.php. 303 Vgl. IRIN (2006a). DRC: Voting begins, marking completition of long democratic transition, 29.10.2006, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=61434. 304 Vgl. IRIN (2006b). DRC: Bemba rejects poll results, 17.11.2006, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=61589. 127 auf 9,34 Millionen Stimmen kam und Bemba nur auf 6,86 Millionen Stimmen, erklärten die Verbündeten Bembas ihn zum moralischen Wahlsieger, da er in sechs der elf Provinzen des Kongo die Mehrheit erzielen konnte.305 Bevor der Oberste Gerichtshof die Einsprüche ablehnte, kam es vermehrt zu Zusammenstößen zwischen enttäuschten Anhängern Bembas und den Anhängern Kabilas. Das Land stand wieder am Rande eines Bürgerkriegs. Nach der Erklärung von Kabila zum Wahlsieger am 27.November 2006 konnte erst die Aussage Bembas, wonach eine starke Opposition führen wollte, die Situation wieder beruhigen. Bemba betonte allerdings weiterhin seine Zweifel an der Gültigkeit des Endergebnisses, da viele Ungereimtheiten während der Wahl stattfanden.306 Kabila wurde am 6.Dezember 2006 angelobt und als Präsident der Demokratischen Republik Kongo vereidigt. Er ernannte zur Überraschung Vieler Antoine Gizenga zum Premierminister. Gizenga, der bereits Staatsekretär unter Patrice Lumumba war, wurde im ersten Wahlgang Dritter und unterzeichnete eine Unterstützungserklärung für Kabilas Wahlbündnis vor dem zweiten Wahlgang.307 6.2.4.2. Die neue Regierung Kabila – Institutionen, Akteure, Machtverhältnisse Joseph Kabila, der Sohn des ehemaligen Präsidenten Laurent-Desire Kabila, wurde am 27.November 2006 vom Obersten Gericht der Demokratischen Republik Kongo zum Sieger der Stichwahl zum Präsidenten des Staates erklärt. Er wurde, trotz einiger Proteste vom Herausforderer Bemba am 6.Dezember vereidigt. Laut neuer Verfassung dauert seine Amtszeit sieben Jahre. Als Premierminister berief er Antoine Gizenga ein, der schon unter Patrice Lumumba der Regierung angehörte, während der Diktatur Mobutus allerdings 1965 in die Sowjetunion ins Exil musste und dort 27 Jahre lebte, bevor er zurück in den Kongo kam. Grund für die Ernennung zum Premierminister war die Unterstützung, die Gizenga Kabila für den Fall zusagte, dass er an der Regierung beteiligt würde. Gizenga, der ebenfalls in der Wahl zum Präsidenten kandidierte, erreichte im ersten Durchgang den dritten Platz. Vor der 305 Vgl. Johnson, Dominik (2006f). Bemba lehnt Wahlniederlage ab, in: TAZ, 16.11.2006, http://www.kongokinshasa.de/taz/taz2006/taz_061116.php. 306 Vgl. IRIN (2006c). DRC: Bemba condemns poll ruling but ready to lead opposition, 29.11.2006, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=61677. 307 Vgl. Bavier, Joe (2006). Congo names opposition veteran Prime Minister, in: Reuters, 30.12.2006, http://www.alertnet.org/thenews/newsdesk/L30447160.htm. 128 Stichwahl ging er bzw. seine Partei, die Lumumbistische Vereinigte Partei (PALU), ein Bündnis mit Kabilas Wahlbündnis AMP308 ein.309 Nach der Ernennung Gizengas dauerte es mehr als einen Monat, bis die Liste der Minister veröffentlicht wurde. Die neue Regierung unter der Leitung Gizengas hat insgesamt 60 Minister. Davon sind sechs Staatsminister, 24 Minister und 20 VizeMinister.310 Diese Liste wurde am 27.Februar von der Nationalversammlung mit einer großen Mehrheit angenommen.311 Das Parlament der Demokratischen Republik Kongo besteht aus zwei Kammern, dem Senat und der Nationalversammlung. Die Nationalversammlung setzt sich aus 500 gewählten Vertretern zusammen. In der derzeitigen Koalition wird die AMP durch die PLU, UDM312 und andere Alliierte unterstützt und dominiert mit einer klaren Mehrheit. Dieser Parteienzusammenschluss hat auch die Mehrheit in den wichtigsten Ausschüssen313 der Nationalversammlung. Die größte Oppositionspartei, Bembas Union pour la Nation (UMP), verfügt über 125 Sitze in der Nationalversammlung und hat den Vorsitz in zwei Ausschüssen.314 Die AMP von Präsident Kabila verfügt neben der Mehrheit im Parlament über eine Mehrheit in sieben von elf Provinzparlamenten.315 Zudem stellt die Partei neun von elf Gouverneuren und Vize-Gouverneuren in den Provinzen. Die UMP stellt einen Gouverneur und hat in vier Provinzen die Mehrheit. Das Rassemblement Congolais pour la Démocratie (RCD), das bis kurz nach der Regierungsbildung mit der AMP formlos kooperiert hatte, stellt ebenso einen Gouverneur.316 Der Senat setzt sich aus 108 Senatoren zusammen. Obwohl die Senatoren ihre jeweilige Provinz repräsentieren, haben sie ein nationales Mandat. Die Kandidaten für einen Senatorensitz können entweder individuell antreten oder sich von den politischen Parteien aufstellen lassen. Die Senatoren werden vom Provinzparlament gewählt und haben zwei Stellvertreter. Sie werden für eine Dauer von fünf Jahren gewählt und können wieder gewählt werden. Das Mandat wird dann gültig, wenn die Fähigkeiten des Kandidaten als passend für den Senat eingestuft worden und gilt, 308 Alliance pour la Majorité Présidentielle (Anm. d. Autors). Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches, http://www.kongo-kinshasa.de/politisches/index.php. 310 Für die genaue Auflistung siehe Anhang. (Anm. d. Autors) 311 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches. 312 Union des Democrates Mobituistes. (Anm. d. Autors) 313 Diese sind: Wirtschaft und Finanzen, Verteidigung, internationale Beziehungen, Umwelt und Naturressourcen sowie Infrastruktur und Raumordnung. (Anm. d. Autors) 314 Politik, Verwaltung und Justiz und Soziales und Kulturelles. (Anm. d. Autors). 315 Der Kongo hat zwar nur zehn Provinzen aber auf der politischen Ebene wird Kinshasa als eigene Provinz angesehen. (Anm. d. Autors) 316 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches. 309 129 bis der Senat neu zusammengesetzt wird. Schließlich gilt noch die Mitgliedschaft der ehemaligen Präsidenten auf Lebenszeit.317 Obwohl die AMP eine große Mehrheit im derzeitigen Senat innehat – mehr als 60 von 108 Sitzen – wurde nicht ihr Kandidat als Präsident des Senats gewählt sondern einer der Unabhängigen, Kengo wa Dondo.318 6.3. Wichtige Akteure und ihr Einfluss auf das System der Demokratischen Republik Kongo 6.3.1. Das Militär Die Situation der Armee ist schwierig. Viele der derzeitigen Personen in höheren Positionen waren einst Rebellenführer oder Milizen. Nach der Friedensvereinbarung von Ituri 2004 wurde ihnen Generalamnestie zugesichert.319 Die Forces Armées de la Republique Démocratique du Congo (FARDC) gliedern sich in Army, Navy und Congolese Air Force (Force Aerienne Congolaise, FAC). Das wehrpflichtige Alter bzw. die Bereitschaft ist von 18 bis 45 Jahre verpflichtend. Die Anzahl der möglichen zu aktivierenden Männer in diesem Alter betrug 2005 ungefähr 11.3 Millionen. Davon wurden 6.5 Millionen als für den Militärdienst vorbereitet angesehen. Die jährlichen Ausgaben für das Militär betrugen 2006 2.5 Prozent des BIP. Der Oberbefehlshaber ist der Präsident der DRC.320 6.3.2. Die Medien Durch die Machtübernahme von Joseph Kabila sollte in der DRC wieder so etwas wie Pressefreiheit eingeführt werden. Die Praxis sah vor allem im Wahlkampf jedoch anders aus. Die Journalisten wurden von der jeweiligen Gegenseite bedroht und teilweise sogar inhaftiert, um nicht kritisch gegen den jeweiligen Kandidaten schreiben zu können.321 317 Vgl. Constitution de la Repbulique du Congo, http://www.presidentrdc.cd/constitution.pdf. Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches. 319 Vgl. Der Standard (2006). Friedensvereinbarung für Ituri, 27.Oktober 2006, http://derstandard.at/. 320 Vgl. Central Intelligence Agency (2007). CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/theworld-factbook/geos/cg.html, aktualisiert am 16.8.2007. 321 Vgl. Konrad Adenauer Foundation (2005). SADC Media Law: A Handbook for Media Practitioners. A comparative overview of media laws and practice in Lesotho, Tanzania and the Democratic Republic of Congo, Volume 3, November 2005, http://www.kas.de/proj/home/pub/82/1/dokument_id-8939/index.html, S.108f. 318 130 Die mediale Landschaft in der DRC ist sehr unüberschaubar. Dies liegt zu einem sehr großen Teil daran, dass sich das Land nach wie vor in einer Übergangsperiode befindet und keine nationale Einheit darstellt. Eine Studie aus dem Jahr 2005, die die Situation der Medien in der DRC durch Interviews von Journalisten analysieren sollte, schätzt die Anzahl der Zeitungen landesweit auf mehr 175. Die meisten davon sind in privatem Besitz. In den Interviews wurde auch deutlich, dass sich die Medienlandschaft beinahe ausschließlich auf die städtischen Regionen konzentriert, da es kaum Informationen über regionale Zeitungen gibt. Die meisten Zeitungen gibt es in Kinshasa, wovon acht täglich erscheinen.322 Drei dieser acht beziehen direkte Unterstützung von der Regierung. Der Rest der Zeitungen erscheint zwischen einund dreimal wöchentlich. Viele der Zeitungen sind nicht finanziell unabhängig, wodurch auch ihre Neutralität beeinträchtigt wird. Inhaltlich findet man in den Zeitungen meist Kommentare und Analysen der Situationen als faktische Berichte über Ereignisse. Es gibt zwar keine Zeitung, die unmittelbar von der Regierung kontrolliert wird, aber die Chefredakteure zweier Zeitungen arbeiteten in der Regierung. Es gibt auch eine Nachrichtenagentur, die vom Staat organisiert ist, die Agence Congolaise du Press (ACP).323 Im Rahmen der Studie der Konrad Adenauer Foundation wurden zahlreiche Journalisten interviewt und über ihre Erfahrungen befragt. Viele der Journalisten waren sehr interessiert daran, ihre Meinung zu sagen, bestanden aber auf strengste Geheimhaltung, da in der DRC noch immer keine reelle Pressefreiheit besteht. Es ist der Presse zwar gelungen, sich stärker Gehör zu verschaffen, da es den Medien durch politisches Chaos gelungen war, mehr und ausführlicher zu berichten, als es in den Regimes zuvor der Fall war. Viele der Journalisten beschrieben sehr ausführlich die Repression, die unter dem Mobuturegime herrschte. Dabei zeichnete es die Situation als äußerst gewalttätig gegenüber den Journalisten aus, denn es kam zu Folter, Missbrauch und Morden an Journalisten, die durch die damaligen Regierungstruppen durchgeführt wurden. Auch unter L.-D. Kabila gab es keine wirkliche Änderung der Situation. Während man die derzeitige Lage der Medienlandschaften respektive der Journalisten als besser als in den Jahrzehnten zuvor bezeichnen kann, gibt es nach wie vor noch keine reelle Pressefreiheit, wie sie propagiert wurde. Es gab 2005 nach wie vor noch Fälle von illegalen Verhaftungen, 322 L’analyst, Boyoma, Elima, Le Palmares, Le Potentiel, L’ouragan, L’avenir und Le soft. (Anm. d. Autors) Vgl. Konrad Adenauer Foundation (2005). SADC Media Law: A Handbook for Media Practitioners. A comparative overview of media laws and practice in Lesotho, Tanzania and the Democratic Republic of Congo, Volume 3, November 2005, http://www.kas.de/proj/home/pub/82/1/dokument_id-8939/index.html, S.108f. 323 131 Drohungen, unbegründete Schließungen von Verlagen und teilweise Morde an Journalisten. Weniger drastisch ist die Situation nur in der Hauptstadt Kinshasa, wo nach Meinung der Journalisten eine größere Pressefreiheit herrscht. Dies führten die Interviewpartner hauptsächlich auf die Anwesenheit der internationalen Organisationen und NGOs zurück. Auch die Observateurs des Médias Congolais (OMEC) und die Union National de la Presse Congolaise (UNPC) sind in den Augen der Journalisten sehr wichtig. Die OMEC untersucht einzelne Fälle von inhaftierten Journalisten und leitet die Ergebnisse an die UNPC weiter. Diese hat mehr Einfluss und auch die Macht, den Journalisten wieder eine Akkreditierung zu erteilen.324 Die Journalisten identifizierten die größten Probleme der Medien Journalismus. Es gibt in der Demokratischen Republik Kongo: • Zu wenig Training im Bereich nur eine Ausbildungsstätte für Journalisten. Oftmals verfügen die Journalisten nicht über ausreichende Fähigkeiten zur Informationsverarbeitung. Dadurch werden sie oft aufgrund z.B. diffamierender Schreibweise verhaftet. • Zu geringe Kenntnisse über die Rechtslage der Medien in der DRC. Hintergrund dafür ist der schwere Zugang zu den erlassenen Gesetzen. Die OMEC versuchte mit einem Kodex, der über die Rechte der Journalisten aufklärt, dem entgegenzuwirken. • Die schlechte Bezahlung der Journalisten. Das führt dazu, dass viele sich gegen mehr Geld dazu verleiten lassen, Unwahrheiten zu schreiben. • Belästigung und Missbrauch durch das Militär. Die Journalisten sind oft den Armeeführern willkürlich ausgeliefert. • Die Schwierigkeiten beim Zugang zu den Informationen, die von der Regierung verwaltet werden. Hintergrund dafür ist, dass die Regierung keine Kritik an ihrer Arbeit lesen bzw. hören möchte. Aus diesem Grund verweigert sei sehr oft die Herausgabe von Informationen.325 Man muss die mediale Sphäre im Kongo in zwei Bereiche unterteilen, um sie entsprechend zu analysieren. Einerseits ist der Sektor der Printmedien sehr groß und wichtig und andererseits gibt es die elektronische Medienlandschaft. 324 325 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.109ff. Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.112f. 132 Neben den oben angeführten generellen Problemen der Journalisten gibt es in den unterschiedlichen Bereichen noch zusätzliche und spezifischere Probleme. Im Printmediensektor ist das Problem sehr oft, welches Thema der Journalist in seiner Berichterstattung behandeln darf. Diese sind: • Durch die Macht des Militärs schrecken viele Journalisten davor zurück, über die Aktivitäten und die Organisation der Armee zu berichten. Ein Grund für diese Schwierigkeit ist die Zusammensetzung bzw. die Eingliederung der ehemaligen Rebellenführer in die gemeinsame kongolesische Armee. Viele Aktionen des Militärs sind auch nicht legal, aber die Gefahr, die durch die mächtige Armee besteht, ist bei einer Berichterstattung durch die Journalisten sehr groß. • Schlechte Regierungsarbeit. Bei dem Versuch, über Probleme und Fehler, die die Regierung während ihrer Arbeit gemacht hat bzw. macht, zu berichten, wurden viele Journalisten bedroht und verhaftet. • Korruption. Die Journalisten schrecken davor zurück, über Bestechungen und korrupte Beamten, die sich innerhalb der Regierung wie auch des juristischen Systems befinden, zu berichten. Als Grund dafür geben sie die enge Beziehung an, die zwischen den juristischen Beamten und den Sicherheitsbeamten bestehe. • Die Nationalität des Präsidenten. Dieses Thema ist sehr diffizil, da es sehr viel Spekulation über die Herkunft von Joseph Kabila gibt. Es gibt Gerüchte, wonach Kabila aus Ruanda stamme und nicht der leibliche Sohn von L.-D. Kabila sei. Diese Situation ist aufgrund der generell gespannten Lage zwischen der DRC und Ruanda sehr vorsichtig zu behandeln. Viele der Journalisten wollten nicht einmal vage über dieses Thema sprechen, da sie es als zu gefährlich ansahen. • Die Vorwürfe des Kannibalismus gegen die MLC. Viele Journalisten forschen nicht nach, ob etwas hinter den Vorwürfen steckt bzw. vermeiden das Thema komplett, da sie Angst vor der Rache dieser Gruppe haben.326 In der DRC gibt es ungefähr 25 TV-Stationen und einen staatlichen Sender. Der größte Sender ist Radio-Television National Congolaise (RTNC). Die Kontrolle dieses 326 Rundfunksenders ist in staatlicher Hand. Die Mitarbeiter sind Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S113.ff. 133 Staatsangestellte, und der Direktor wird direkt durch den Präsidenten ernannt. Der Sender sendet kostenlos und deckt mit seinem Netz das gesamte Gebiet der DRC ab.327 Andere wichtige TV-Sender sind RTGA, Raga TV und Digital Congo, die alle private Rundfunksender sind und beinahe eine nationale Reichweite haben.328 Wie in vielen afrikanischen Ländern stellt das Radio eine der wichtigsten Informationsquellen der DRC dar. 2005 gab es ungefähr 122 Radiostationen, die nicht unter der Kontrolle der Regierung standen. Die meisten davon waren regionale oder religiöse Sender. Der nationale Sender heißt La Voix du Congo. Der Regierungssender überträgt seine Sendungen in den häufigsten Landessprachen, und er operiert in zwölf verschiedenen regionalen Stationen. In den meisten Landesteilen – speziell ländlichen - sind allerdings nur kommunale Radiosender zu empfangen. Die Wichtigkeit und Unabhängigkeit der nationalen Radios wurde im Jänner 2005 deutlich, als der Minister für Presse und Information diesen Stationen Nachrichtenverbot erteilte.329 Die steigende Anzahl der Radio- und TV-Sender kann man durchaus als eine Liberalisierung der Medienlandschaft deuten. Zudem kommt die Einrichtung einer Haute Authorite des Media (HAM), die beide Sektoren, die Print- und die elektronischen Medien, kontrollieren. Trotzdem haben die Interviewten auch hier Probleme angeführt, die die Pressefreiheit einschränken würden. • Die geringe Macht der HAM, da diese ständig durch die drei, für diesen Sektor verantwortlichen, Ministerien kontrolliert und unterwandert würden. • Die Macht der Regierung, die TV- und Radiostationen jederzeit abzuschalten. Die Regierung ist auch bereit dies zu tun, wenn die Notwendigkeit bestünde, wie im Jahr 2005. • Der Mangel an moderner Ausrüstung.330 Die Situation für die Journalisten in der DRC hat sich in noch nicht wirklich verbessert, wie die Reporter ohne Grenzen, eine Organisation zum Schutz der Pressefreiheit, in einem kurzen Bericht 2006 veröffentlichen. Es gibt nach wie vor Todesdrohungen und illegale Inhaftierungen gegenüber kritischen Journalisten.331 327 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.109. Vgl. BBC News (2007). Country profile: Democratic http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/africa/country_profiles/1076399.stm. 329 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.109. 330 Vgl. Konrad Adenauer Foundation, S.115f. 331 Vgl. Reporters without Borders. Democratic Republic of http://www.rsf.org/article.php3?id_article=17396&Valider=OK. 328 Republic Congo of – Congo, Annual 16.6.2007, Report 2006, 134 6.3.3. Die Kirche In der DRC sind mehr als 50 Prozent der Menschen Angehörige der katholischen Kirche. Die Kirche war schon seit Beginn der Unabhängigkeit 1960 einer der wichtigsten politischen Akteure und war durch die Conscience Africaine auch sehr intensiv an der Ausarbeitung eines Kodex für einen unabhängigen Kongo beteiligt. Nach der Machtübernahme von Mobutu stellte die Kirche den wichtigsten und effektivsten Gegner des Regimes dar. Die Conférence Episcopale Nationale du Congo (CENCO) ist die einflussreichste kirchliche Institution der DRC. Diese Bischofskonferenz ist auch sehr stark politisch engagiert und hat sich die Aufgabe gestellt, den Aufstieg eines neuen Mobutus mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Aus diesem Grund stellte man sich seitens der Kirche auch gegen eine Stationierung der EUFOR-Truppen. Man befürchtete seitens der Kirche, dass die starke Unterstützung des Westens eine ähnliche Situation erzeugen würde wie unter dem Regime Mobutus, der sehr stark vom Westen unterstützt wurde. Auch erinnerte man sich an die Truppe von ca. 1.500 Marokkanern, die zur Zeit Mobutus ins Land eingeflogen wurden, um diesen zu beschützen.332 Der Einfluss der Kirche wird auch in der Medienwelt deutlich. Beinahe die Hälfte der TV-Sender und ein Großteil der Radiosender senden religiösen respektive christlichen Inhalt.333 Ein sehr wichtiges Medium ist der staatliche Sender RTNC, der grundsätzlich von der Regierung finanziert und kontrolliert wird, aber sehr intensiv von Seiten der Kirche genutzt wird. Die Mitarbeiter sind zwar zwischen dem Einfluss der Kirche und den Interessen der Geldgeber gespalten, aber in Kinshasa geht der Glaube meist tiefer als die politische Loyalität, wodurch die Kirche in diesem Sender sehr einflussreich ist. Dieser Einfluss wurde auch vor der Wahl 2006 genutzt, um die Kongolesen zur Wahl zu bewegen und dem Zweifel an der Neutralität der Wahlbehörde Ausdruck zu verleihen.334 In der DRC gibt es die größte katholische Gemeinschaft in Afrika, da mehr als 50 Prozent der Kongolesen diesem Glauben angehören. Zwar ist der Kongo hinsichtlich seiner ethnischen Herkünfte und regionalen Unterscheidungen sehr gespalten, aber die katholische Kirche stellt die größte und einflussreichste nationale Organisation 332 Vgl. Udo, Jacob (2006). Information Intervention in Violently Divided Societies: A critical Discourse Analysis of ‘Peace Radio’ News in the Democratic Republic of Congo, http://www.personal.leeds.ac.uk/~icsfsp/papers_files/files/Jacob_Udo_paper.doc. 333 Vgl. Konrad Adenauer Fonudation, S.109. 334 Vgl. Udo, Jacob. 135 dar. Zudem zeichnet sich die Kirche für viele Schulen, Krankenhäuser und sozialen Leistungen verantwortlich, wodurch man die Stimme der Kirche als sehr einflussreich und autoritär bezeichnen kann.335 Allerdings ist die Tätigkeit der Kirche im Kongo und in Afrika generell auch kritisch zu betrachten. Die Leistungen in den vorwiegend ländlichen Gebieten sind oftmals mit Missionstätigkeiten und Taufen verbunden. Das geschieht in vielen Fällen nicht freiwillig sondern stellt notwendige Gegenleistungen dar. 6.3.4. Internationale Akteure und ihr Einfluss in der DRC Die drei Jahrzehnte Ausbeutung unter dem Regime Mobutu und der Rückzug der internationalen Investoren nach Ausbruch des zweiten Kongokrieges hinterließen ihre Spuren. Während des Zweiten Kongokrieges kam es zur Besetzung von zwei Drittel des Ostens des Landes durch die Armeen von Uganda, Burundi und Ruanda. Die Kontrolle über dieses Gebiet brachte den Rebellengruppen und den Besetzerländern die Kontrolle über die Minengebiete, die in dieser Region liegen. Durch diese Kontrolle kam es zur Ausbeutung der Rohstoffe zum eigenen Nutzen. Dies veranlasste den Sicherheitsrat der UNO im Juni 2000 ein Komitee einzurichten, um die illegale Ausbeutung der Bodenschätze und Rohstoffe in der Demokratischen Republik Kongo zu untersuchen. Das „Panel of Experts on Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of Congo“, das sich aus sechs Experten zusammensetzte, veröffentlichte einen Endbericht ihrer Untersuchungen Ende 2002. Dieser Bericht bzw. die darin gefundenen Ergebnisse sorgten international für Aufsehen und das Mandat zu einer weiteren Untersuchung wurde von der UNO um ein Jahr verlängert. Ende 2003 veröffentlichte die Expertengruppe schließlich ihren endgültigen Abschluss-Bericht mit Ergänzungen zum Endbericht von 2002. Darin wurde auch beschrieben, welche Probleme aus dem Bericht 2002 schon gelöst wurden, welche Länder sich kooperativ zeigten und welche Probleme nach wie vor nicht bearbeitet werden.336 Der (vorläufige) Endbericht von Oktober 2002 listete nach einer zwei-jährigen Untersuchung sehr detailliert die Aktivitäten der Rebellengruppen, der Besetzerländern, der Regierung der DRC und verschiedener damit vernetzter Firmen 335 336 Vgl. Udo, Jacob. Vgl. UN Doc. S/2003/1027 136 auf. Diese Ergebnisse waren sehr genau und reichten von Berichten von Kampftätigkeiten über die Möglichkeiten des Verdienstes der jeweiligen Gruppen an den Bodenschätzen bis hin zur Ausbeutung und genauen Prozedere der Nutzung von verschiedenen Rohstoffen im eigenen Interesse. Im Bericht kam die Expertengruppe zum Schluss, dass in diesen illegalen Handel viele Akteure involviert sind und die Geschäfte, die damit gemacht werden, internationale Ausmaße annehmen. Es wurde aufgedeckt, dass es auch in einem sehr großen Ausmaß um Waffenhandel und die damit verbundenen Kämpfe ging. Durch die Untersuchungen wurde auch deutlich, dass es sich in den Kämpfen nicht ausschließlich um ethnische Auseinandersetzungen handelte, sondern die Hintergründe die Kontrolle über die rohstoffreichen Gebiete des Landes darstellten. Als Empfehlungen waren SofortMaßnahmen, Reformen von Institutionen und Beobachtung der Ereignisse im Bericht vermerkt. Es wurden auch die Wichtigkeit der Umsetzung des Friedensabkommens, und der damit verbundene Abzug der Truppen der Besetzerländer stark betont. Schließlich fügten die Expertengruppen im Anhang Listen hinzu, die Firmen und Privatpersonen enthielten, gegen die man finanzielle Strafen bzw. Reiseverbot erteilen sollte. Ebenso fanden sich die Namen der internationalen Konzerne, die gegen die Richtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die als Grundlage der Untersuchungen herangezogen wurden.337 Die wirtschaftliche Situation entspannte sich ein wenig, als Joseph Kabila die Macht im Kongo übernahm. Er erneuerte die internationalen Kontakte und konnte durch seine aktiven Bemühungen im Friedensprozess auch die wichtigen internationalen Organisationen wie Weltbank und IMF zur Unterstützung bewegen. So wurde seitens dieser Organisationen Kabilas Regierung Anfang März finanzielle Unterstützung zugesagt und ein Strukturanpassungsprogramm in Aussicht gestellt, falls diese binnen sechs Monaten bestimmte Reformen umsetzen würde. Zuerst versuchte man seitens der Regierung die Inflation zu stoppen, indem man die Währung, den kongolesischen Franc, um 300 Prozent abwertete.338 Durch die erfolgreichen Verhandlungen von Sun City und der Aussicht auf möglichen Frieden im Kongo, sagten die Weltbank und weitere Geldgeber anlässlich eines Treffens Ende 2002 eine finanzielle Unterstützung von 3.9 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 2004-2006 zu. Dieses Geld würde die finanziellen Ressourcen des 337 338 Vgl. UN Doc. S/2002/1146. Vgl. Matthiesen, S.67ff. 137 Staates verdoppeln. Dazu bekam der Kongo noch die Millionen, die durch ein zum damaligen Zeitpunkt laufendes Programm der Weltbank in der DRC noch ausbezahlt werden sollten. Bei diesem Programm handelte es sich um das Multisektorale Programm zum Wiederaufbau und der Rehabilitation (PMURR)339. Zudem sollte der Kongo ab 2004 in den Genuss der HIPC-Initiative340 kommen. Diese sollte 8.95 Milliarden US-Dollar vom damaligen Schuldenstand 13.9 Milliarden tilgen. Der Rest sollte gestrichen werden.341 Mit dieser Zusage für die finanzielle Unterstützung kam es allerdings auch zu Schwierigkeiten. Ein Großteil des Geldes – rund 70 Prozent – sollte in Straßenbau, Wasser- und Stromversorgung fließen. Der Rest sollte für die Entwicklung der Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit verwendet werden. Die Unterstützungen waren mit Bedingungen verbunden. Die wichtigste, die auch im Bericht der UN als essentiell beschrieben wurde, war die Demilitarisierung im Osten des Landes. Damit begannen die Probleme, da bei der oben angeführten Unterstützung kein Geld für die Demobilisierung vorgesehen war. Dies wurde laut Weltbank schon früher geregelt. Allerdings ist unklar, wie viel Geld wirklich an den Kongo überwiesen wurde, da es keine schriftlichen Vereinbarungen gibt. Ebenso ist die Anzahl der Kämpfer, die es zu entwaffnen gilt, sehr ungenau. Zudem wußte niemand, ob bei den Subventionen Gelder für die Beamten im öffentlichen Dienst vorgesehen sind. Diese Verantwortung wurde seitens der kongolesischen Regierung bei den internationalen Geldgebern gesehen. Schließlich nahm noch der politische Wettbewerb nach der Zusage der Gelder erheblich zu. Jean-Pierre Bemba, der Vize-Präsident und ehemalige Rebellenführer, flog spontan zum Treffen nach Paris, um die internationalen Konzernchefs und Investoren zu begrüßen und so Lobbying zu betreiben. Dies wurde seitens der Unterstützer Kabilas als Affront und als eine öffentliche Aktion gegen die Interessen der Demokratischen Republik Kongo gesehen. Da auch die Verteilung der Gelder im traditionell über politische Loyalitäten bzw. Intrigen lief, waren die Unternehmer im Osten mit dem Ergebnis der Verhandlungen nicht sehr zufrieden, weil sie sich von ehemaligen Mitstreitern, die die Seite gewechselt haben, verraten fühlten. So 339 Vgl. Misser, Francois, Johnson, Dominik (2007). Weihnachtsbescherung für Kongo, in: TAZ, 27.12.2003, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2003/taz_031227.php. 340 The HIPC Initiative is a comprehensive approach to debt reduction for heavily indebted poor countries pursuing IMF- and World Bank-supported adjustment and reform programs. To date, debt reduction packages have been approved for 30 countries, 25 of them in Africa, providing US$35 billion (net present value terms as of the decision point) in debt-service relief over time. Ten additional countries are potentially eligible for HIPC Initiative assistance and may wish to avail themselves of this debt relief., in: International Monetary Fund (2007). A Factsheet. Debt Relief under the (HIPC) Initiative, April 2007, http://www.imf.org/external/np/exr/facts/hipc.htm. 341 Vgl. Matthiesen, S.68. 138 bahnten sich im Osten erneut Konflikte an, und es kam nach einem Boykott der Unternehmer beinahe zu einer Unterbrechung aller Kommunikationsmöglichkeiten nach Goma. Erst durch ein spätes Einlenken der Regierung kam es zu einer Einigung, und ein Krieg konnte verhindert werden.342 Das Programm, das der IMF 2002 im Kongo startete, trug den Titel Poverty Reduction and Growth Facility Arrangements (PRGF). Dieses Programm wurde im März 2006 noch bevor der letzte Report beendet werden konnte. Der Grund dafür war, dass die Ziele und Vorgaben, die gefordert wurden, teilweise nicht erreicht wurden. Manche Reformen konnten nicht rechtzeitig durchgeführt werden. Der IMF empfahl daraufhin ein Programm durchzuführen, das von April bis Oktober dauern sollte und den Titel Programme relais du consolidation (PRC) trug. Ziel dieses Programms war: „The authorities are requesting a staff-monitored program (SMP) for April 1-December 31, 2006. The main objectives of the SMP are to preserve macroeconomic stability during the elections and give the authorities the opportunity to establish a track record of policy implementation, which would pave the way for a successor Poverty Reduction and Growth Facility (PRGF) arrangement.”343 Ein Report vom März 2007 sieht die Ziele des SMP als nicht erfüllt an. Es kam demnach zu einer Überschreitung des Budgets und einer entscheidenden Verschiebung der Umsetzung von Reformen, speziell in der zweiten Hälfte des Jahres 2006. Generell wurden einige Punkte festgehalten, bei denen die Entwicklung nicht wie erhofft bzw. geplant voranging. ¾ Das reale Wirtschaftswachstum reduzierte sich auf cirka 5 Prozent. ¾ Die Inflation stieg im Vergleich zum Vorjahr auf 18.2 Prozent an. Die Prognose lag bei 9.5 Prozent. ¾ Der Kongolesische Franc wurde um 15 Prozent abgewertet. ¾ Die internationalen Reserven sind nach wie vor gering. ¾ Die Preise stiegen um vier Prozent in den ersten beiden Monaten 2007. 342 Vgl. Misser, Francois, Johnson, Dominik (2007). Vgl. IMF (2006). Democratic Republic http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2006/cr06259.pdf. 343 of the Congo: Staff-Monitored Programme, 139 Der Bericht wies explizit auf die Notwendigkeit von unmittelbarem Handeln hin. Allerdings wurde anerkannt, dass die neue Regierung zugesichert hat, weitere Reformen durchzuführen und die Wirtschaft zu stabilisieren. Der IMF bekräftigte auch sein Interesse, mit der Regierung der DRC zusammenzuarbeiten und tat dies auch in Form einer beratenden Tätigkeit bei den Budget-Entwürfen.344 6.3.5. Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo (MONUC) Im Jahr 2000 beauftragte der Generalsekretär der Vereinten Nationen eine Expertengruppe mit einer Analyse der Anforderungen an derzeitige und künftige Friedensmissionen der UNO. Vorsitzender der Kommission war Lakhdar Brahimi, weshalb der Bericht auch Brahimi-Bericht genannt wurde. Als Ergebnis definiert der Bericht drei wichtige Grundvoraussetzungen, die für den Erfolg künftiger Missionen notwendig seien: 1. die tragfähige politische Unterstützung der UN-Mitglieder; 2. eine rasche Entsendung robust ausgestatteter – also für den tatsächlichen Gebrauch militarisierter Mittel vorbereitete – Friedenstruppen; 3. eine umfassende Strategie, wodurch der Frieden in der Region dauerhaft aufrechterhalten werden kann;345 Nach Ausbruch des Zweiten Kongokrieges 1998 reagierte die UNO erst acht Monate nach Beginn der Kämpfe auf die Situation mit der UNO-Resolution 1234, die eine Beteiligung der UNO an der Schlichtung und den Bemühungen um ein Friedensabkommen vorsah. Kritisch wurde diese späte Reaktion auch aus dem Grund betrachtet, weil die UNO auch in Ruanda vier Jahre346 zuvor den Genozid nicht verhindern konnte, und man fürchtete, dass die verzögerte Reaktion ähnliche 344 Vgl. IMF (2007). Statement to the Conclusion of an IMF-Mission to the Democratic Republic of the Congo. Press release No 07/55, 19.3.2007, http://www.imf.org/external/np/sec/pr/2007/pr0755.htm. 345 Vgl. Griep, Ekkehard (2002). Neue Maßstäbe für die UN-Friedensmissionen. Der Brahimi-Bericht und seine Folgen: eine Bestandsaufnahme, in: Zeitschrift für die Vereinten Nationen, Nr.2, April 2002, http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/PUBLIKATIONEN/Zeitschrift_VN/VN_2002/VN_02_2002.pdf. 346 In Ruanda starben nach Schätzungen 1994 zwischen 500.000 und 1.000.000 Menschen, während die internationale Reaktion auf die Geschehnisse sehr zurückhaltend war. Die UNO war seit dem Friedensabkommen von Arusha durch Blauhelme vertreten, welche allerdings nicht in den Völkermord, der 1994 stattfand, ein. Sie wurden schließlich sogar, als das Abkommen scheiterte, im April 1994 durch die Resolution 912 erheblich reduziert. Hauptverantwortlich für eine Reduktion und nicht, wie vom Generalsekretär der UNO vorgeschlagen, eine Aufstockung waren die USA. Trotz aller frühen Warnzeichen für den Ausbruch von Gewalt konnte man den Entwicklungen nicht rechtzeitig entgegensteuern, in: Matthiesen, Fußnoten 264 u. 265, S.76. 140 Folgen haben könnte. Schließlich reagierte auch die UNO und entsandte einen Sonderbeauftragten, der an den Friedensverhandlungen teilnehmen sollte.347 Man einigte sich schließlich auf das Abkommen von Lusaka, das neben einigen wichtigen Punkten zum Übergang des Kongo in die Demokratie auch die Einrichtung einer gemeinsamen Militärkommission vorsah. Der UN-Sicherheitsrat lobte die Ergebnisse des Abkommens von Lusaka und entschied, als ersten Schritt 90 Beobachter in die Hauptstädte der Unterzeichnerländer sowie die gemeinsame Militärkommission zu entsenden. Als zweiten Schritt sandte man 500 Beobachter zum selben Zweck.348 Schließlich beschloss man die Resolution 1291, die gleichzeitig das Gründungsdokument für die Mission des Nations Unis pour le Congo (MONUC) darstellten. Diese Mission hatte in Kinshasa ihren Hauptsitz, und die im Kongo stationierten Blauhelme waren dafür verantwortlich, den Frieden im Osten des Landes zu sichern. Die Präsenz der UNO war nicht von allen Kongolesen gern gesehen. Man erinnerte sich an die zweifelhafte Rolle, die die UNO zur Zeit Lumumbas und in Zusammenhang mit dessen Tod gespielt hatte. Aus diesem Grund stand man den im Kongo stationierten UN-Truppen sehr skeptisch gegenüber.349 Durch die Situation, die sich in den darauf folgenden Jahren nicht wirklich zum Positiven veränderte, stieg die Zahl der UN-Soldaten sukzessive an. Die Obergrenze war 2001 mit 5.500 Mann festgesetzt worden. Diese Grenze war im Jahr 2002 mit 3.800 Mann bei weitem nicht erreicht. Zudem wurde diese Obergrenze Ende des Jahres 2002 auf 8.700 Mann angehoben. Im Februar 2003 betrug die Stärke des UN-Kontingents 4.386 Mann. Die Situation änderte nichts an der Tatsache, dass diese Truppenstärke für die Größe des Landes350 viel zu gering war. Im Vergleich dazu waren in dem sehr kleinen Staat Sierra Leone351 über 12.000 UN-Soldaten im Einsatz. Das bedeutete, dass im Verhältnis im Kongo ein UN-Soldat für 12.688 Einwohner zuständig war und in Sierra Leone nur für 405 Einwohner. Neben diesem Problem war auch das Mandat der Schutztruppe nicht ausreichend formuliert. So war es den Soldaten nur erlaubt, Personen zu beschützen, die einerseits unmittelbar von Gewalt bedroht wurden und sich andererseits in der Nähe eines Standorts der Blauhelme befanden.352 Dies 347 Vgl. Matthiesen, S.74. Vgl. UN Doc. S/1999/1279. 349 Vgl. Matthiesen, S.75. 350 2.344.410 km², das ist in etwa vergleichbar mit der Größe Westeuropas. (Anm. d. Autors) 351 71.740 km² (Anm. d. Autors) 352 Vgl. Debiel, Tobias (2002). Friedenseinsätze der UN in Afrika und ihre Folgen. Bilanz, Lehren und (mangelnde Konsequenzen, in: Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Nr.2, April 2002, http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/PUBLIKATIONEN/Zeitschrift_VN/VN_2002/VN_02_2002.pdf. 348 141 führte dazu, dass trotz der Anwesenheit der UN-Soldaten in den großen Städten wie Kisangani und Bunia schwere Übergriffe auf die Zivilbevölkerung stattfanden.353 Die Verabschiedung der Resolution 1291 zur Gründung der MONUC basiert nicht auf den Empfehlungen des Brahimi-Reports. So schreiben die Sachverständigen im Report: „As a political body, the Security Council focuses on consensus-building, even though it can take decisions with less than unanimity. But the compromises required to build consensus can be made at the expense of specificity, and the resulting ambiguity can have serious consequences in the field if the mandate is then subject to varying interpretation by different elements of a peace operation, or if local actors perceive a less than complete Council commitment to peace implementation that offers encouragement to spoilers. Ambiguity may also paper over differences that emerge later, under pressure of a crisis, to prevent urgent Council action. While it acknowledges the utility of political compromise in many cases, the Panel comes down in this case on the side of clarity, especially for operations that will deploy into dangerous circumstances. Rather than send an operation into danger with unclear instructions, the Panel urges that the Council refrain from mandating such a mission.“354 Die UNO verabschiedete aus diesem Grund im Juli 2003 ein Mandat, in dem die Mission bis Ende Juli 2004 verlängert und die Truppenstärke auf 10.800 Soldaten erhöht wurde. Zudem wurde ein Waffenembargo über die östlichen Regionen des Landes verhängt.355 Die UN-Truppen wurden von Juni bis September 2003 von einer EU-Truppe verstärkt. Die Mission der EU trug den Titel Artemis und stand unter französischem Kommando. Insgesamt waren 1.500 Soldaten daran beteiligt, und der Auftrag war die Unterstützung der UN-Truppen in der Krisenregion Ituri im NordOsten es Landes.356 Das Mandat wurde wiederholt verlängert und schließlich, da es ständig zu Beschuss von UN-Truppen durch die Rebellen kam, und bei solchen Angriffen immer wieder Blauhelme getötet wurden, beschloss der UN-Sicherheitsrat am 29.März 2005 die Resolution 1592. Durch diese Resolution waren die UN-Truppen ermächtigt, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die Bevölkerung und sich selbst im Kongo 353 Vgl. Matthiesen, S.76f. Vgl. UN Doc. A/55/305-S/2000/809, Ziffer 56, http://www.un.org/peace/reports/peace_operations/. 355 Vgl. UN Doc. S/2003/1493. 356 Vgl. Matthiesen, S.77. 354 142 zu schützen und aktiv gegen bewaffnete Gruppen jeglicher Art im Ituri vorzugehen.357 Die UNO ging daraufhin härter gegen die rund 15.000 Milizen vor, die im Ituri vermutet wurden, und es gelang den Blauhelmen auch, einen Großteil davon zu entwaffnen bzw. deren Führer festzunehmen. Die Truppenstärke betrug zu diesem Zeitpunkt ungefähr 16.700, was in der Resolution 1565 als Maximalzahl beschlossen wurde.358 Aufgrund der bevorstehenden Wahlen, die im Jahr 2005 immer wieder verschoben wurden, richtete sich die UNO Ende 2005 an die EU um Unterstützung durch ein europäisches Kontingent. Der Grund dafür war die Tatsache, dass die Europäer in dieser Region sehr angesehen und respektiert waren, und die UNO jede Hilfe gebrauchen konnte, um die Ruhe in der Hauptstadt Kinshasa zu aufrechtzuerhalten.359 Am 25.April 2006 verabschiedete der Sicherheitsrat der UNO die Resolution 1671, die einen militärischen Einsatz der EU-Truppen temporär genehmigte. Ursprünglich war der Einsatz für vier Monate anberaumt, allerdings war eine Verlängerung sehr wahrscheinlich und wurde aus diesem Grund auch bereits vorab genehmigt. Der Name der Mission war EUFOR RD Congo. Die Operation sollte von einem deutschen Kommandanten geleitet werden und die unmittelbare Einsatzleitung hatte ein französischer Generalmajor über.360 Die Truppe, die eine Stärke von 2.400 Mann hatte, setzte sich aus Militärs aus 16 Ländern zusammen, wobei die größten Kontingente aus Frankreich (850) und Deutschland (780) kamen.361 Die Mission endete schließlich wie geplant am 30.November 2006, obwohl sowohl Frankreich, Belgien wie auch einige INGO wie Oxfam und Human Rights Watch auf eine Verlängerung drängten. Die Handlungsfähigkeit der EU-Truppen blieb allerdings noch bis zum 15.Dezember aufrecht.362 Durch die Entwicklungen nach der Wahl verlängerte die UNO ihr Mandat noch weitere Male. Das derzeitige Mandat läuft bis zum 31.Dezember 2007, dies wurde in der Resolution 1756 beschlossen. Darin wird auch erwähnt, dass die Verlängerung des Mandats notwendig ist, da die Vereinten Nationen ihre Aufgabe, die DRC in ihrer 357 Vgl. UN Doc. S/2005/1592. Vgl. UN Doc. S/2004/1565. 359 Vgl. SPD-Bundestagsfraktion (2006). Kongo hofft auf EU-Hilfe, in: AG Friedensforschung der Unversität Kassel, 14.3.2006, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Kongo/eu.html. 360 Vgl. Eufor RD Congo (2006), in: Informationsdienst für Politik. Polixea Kommunal, 7.7.2006, http://www.polixea-portal.de/index.php/Lexikon/Detail/id/125104/name/EUFOR+RD+Congo. 361 Vgl. Ling, Martin (2006). EUFOR-Mission vor er heißen Phase, Neues Deutschland, in: AG Friedensforschung der UNI Kassel, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Kongo/einsatz.html. 362 Vgl. Johnson, Dominik (2006g). EU-Truppe im Kongo trotz des Abzugs aktiv, in: TAZ, 25.11.2006, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2006/taz_061125.php. 358 143 Entwicklung zu unterstützen, realisieren müssten.363 Die derzeitige Stärke der Truppen ist insgesamt 18.384 uniformiertes Personal. Davon sind 16.619 Militärs, 729 militärische Beobachter, 1.036 Polizisten. Diese werden durch 930 internationales ziviles Personal, 2.042 kongolesisches Personal und 606 UNVolunteers unterstützt. Bisher forderte der Einsatz in der MONUC 109 Todesopfer.364 6.3.5.1.Exkurs Während des Einsatzes im Kongo kam es Ende 2004 zu einem großen Skandal, da den UN-Truppen der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen, Vergewaltigung und Involvierung in Prostitution vorgeworfen wurde.365 Die UNO startete eine große Aktion zu Untersuchung der Vorfälle. Schließlich wurde von der UNO eine NullToleranz Politik gegenüber sexuellen Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung eingeführt. Da es schon Vorfälle in der Vergangenheit bei anderen UN-Missionen gab, versuchte man, durch einen strengeren Kodex die UN-Truppen besser kontrollieren zu können. Neben einer Sperrstunde für das militärische Personal wurde auch jeglicher Kontakt zur zivilen Bevölkerung außerhalb des Dienstes untersagt. Ebenso war es dem militärischen Personal untersagt, zivile Kleidung zu tragen. Personal, das verurteilt wurde, wurde vom Dienst enthoben, und die Führungen der betroffenen Einheiten wurden ausgetauscht.366 Seit Sommer 2007 gibt es erneut Vorwürfe gegen die UN-Blauhelme in der Demokratischen Republik Kongo. UN-Soldaten aus Pakistan sollen in einen illegalen Handel mit Gold und dessen Schmuggel verwickelt sein. Handelspartner sollen dabei Hutu-Milizen im Osten des Landes gewesen sein. Auch indische Soldaten sollen in illegale Aktionen verwickelt sein, indem sie Lebensmittelrationen gegen Gold an die Hutu-Milizen verkauft haben sollen. Diese Milizen sind auch unmittelbar verantwortlich für den Genozid in Ruanda von 1994, in dem ungefähr 800.000 Menschen ermordet wurden. Die Vorwürfe wurden seitens der UNO bestätigt, und es wurde unmittelbar eine Untersuchung eingeleitet.367 363 Vgl. UN Doc. S/2007/1756. Vgl. United Nations Organization Mission in the Democratic Republic of the Congo. Democratic Republic of Congo – MONUC – Facts and Figures, 30.Juni 2007, http://www.un.org/depts/dpko/missions/monuc/facts.html. 365 Vgl. Loconte, Joseph (2005). The U.N. Sex-Scandal, in: The Weekly Standard, 3.1.2005, http://www.weeklystandard.com/Content/Public/Articles/000/000/005/081zxelz.asp?pg=1. 366 Vgl. Fleshman, Michael (2005). Tough UN line on peacekeeper abuses. Actions initiated to end sexual misdeeds in peacekeeping missions, in Africal Renewal, Vol. 19, April 2005, http://www.un.org/ecosocdev/geninfo/afrec/vol19no1/191peacekeep.htm. 367 Vgl. Johnson, Dominik (2007). Neue Skandale um die UN-Blauhelme im Kongo, in: TAZ, 16.7.2007, http://www.kongo-kinshasa.de/taz/taz2007/taz_070716.php. 364 144 6.4. Allgemeine Informationen und Fakten über die Situation der Demokratischen Republik Kongo 6.4.1. Geographie Durch die Größe des Kongo und die Teilung des Landes durch den Äquator ist das Klima sehr unterschiedlich. Grundsätzlich herrscht das Äquatorialklima, das kontinuierlich warm und feucht ist. Allerdings unterscheidet sich das Klima je nach Breitengrad und Höhenlage. Im Norden des Landes ist acht Monate im Jahr Regenzeit, worauf unmittelbar die Trockenzeit folgt. Im Süden des Landes herrscht eher westropisches Klima, das sich durch Jahreszeiten auszeichnet und nur drei bis maximal sechs Monate Trockenzeit hat. In Kinshasa wird der Unterschied zwischen den Trocken- und Regenzeiten schon sehr deutlich. Die Trockenzeit hier beträgt maximal vier Monate. Durch die großen Gebirge gibt es allerdings auch teilweise alpines Klima, und es fällt Schnee auf den höchsten Punkten (3.000m – 5.119m)368 Die Demokratische Republik Kongo ist mit einer Fläche von 2.345.410 km² der drittgrößte Staat Afrikas. 97 Prozent des Landes sind Festland während nur drei Prozent Wasser ist. Die DRC hat nur eine 37km lange Küste, die in Zentralafrika liegt. Die Außengrenzen des Landes sind 10.730 km lang. Die Nachbarländer sind Angola, Uganda, Ruanda, Burundi, Zentralafrika, Tansania, Sambia und Sudan.369 Der größte und längste Fluss des Landes ist der Kongo und das Kongobecken mit seinen tropischen Regenwäldern nimmt mit einer Fläche von ca. einer Million km² ungefähr 50 Prozent des Landes ein. Grundsätzlich sind mehr als zwei Drittel des Landes mit Regenwald und anderen Wäldern bedeckt. In den Savannen und Wäldern des Landes findet sich eine ungeheure Vielfalt an Tieren und Pflanzen. Das bekannteste und von vielen Experten als das gelungenste Experiment bezeichnete Gebiet ist der Albert-Nationalpark, der 1929 gegründet wurde. Ebenso im Kongo beheimatet sind die Berggorillas, die berühmtesten Gorilla-Kolonien der Welt.370 368 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geographie, http://www.kongo-kinshasa.de/geografie/klima.php. Vgl. Geography facts on Congo, United Nations Permanent http://www.un.int/drcongo/geography.htm. 370 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Geographie. 369 Missions, 145 Die Demokratische Republik Kongo gliedert sich in zehn Provinzen, wobei Kinshasa während der Wahlen eine eigene Provinz darstellt. 1. Sud-Kivu 2. Bandundu 3. Bas-Congo 4. Équateur 5. Kasai-Occidental 6. Kasai-Oriental 7. Katanga 8. Kinshasa 9. Maniema 10. Nord-Kivu 11. Orientale ABB.2. Derzeitige geographische Einteilung der Provinzen der DRC 371 371 Grafik nach Kanu/Indongo-Imbanda, Politisches. 146 Die Anzahl der Provinzen ändert sich drei Jahre nach dem In-Kraft-Treten der neuen Verfassung, am 18.Februar 2006, in 25. Kinshasa erhält zudem den Status einer Provinz und beherbergt auch weiterhin die nationalen Institutionen.372 Province Capital Province Capital 1. Kinshasa Kinshasa 14. Ituri Bunia 2. Kongo central Matadi 15. Haut-Uele Isiro 3. Kwango Kenge 16. Tshopo Kisangani 4. Kwilu Kikwit 17. Bas-Uele Buta 5. Mai-Ndombe Inongo 18. Nord-Ubangi Gbadolite 6. Kasaï Luebo 19. Mongala Lisala 7. Lulua Kananga 20. Sud-Ubangi Gemena 8. Kasaï oriental Mbuji-Mayi 21. Équateur Mbandaka 9. Lomami Kabinda 22. Tshuapa Boende 10. Sankuru Lodja 23. Tanganyika Kalemie 11. Maniema Kindu 24. Haut-Lomami Kamina 12. Sud-Kivu Bukavu 25. Lualaba Kolwezi 13. Nord-Kivu Goma 26. Haut- Katanga Abb. 3. Provinzen der DRC nach der neuen Verfassung von 2006373 372 Vgl. Artikel 2, Constitution de la Repbulique du Congo, http://www.presidentrdc.cd/constitution.pdf, abgelesen am 19.8.2007. 147 Die Souveränität auf dem Staatsgebiet wurde durch den zweiten Kongokrieg 1998 stark angegriffen, als Ruanda, Burundi und Uganda rund zwei Drittel des Landes mit Hilfe von Rebellentruppen besetzten. Diese Besetzung hinderte die Regierung in Kinshasa zwar an der Ausübung der Hoheitsgewalt, änderte allerdings nichts an der territorialen Souveränität. Da diese Souveränität auch die Möglichkeit der Ausübung der Hoheitsgewalt auf eigenem Territorium voraussetzt, und diese durch die Besetzung der Rebellentruppen eingeschränkt war, stellte dies eine Verletzung des Grundsatzes der territorialen Souveränität dar. Die DRC reichte daraufhin eine Klage beim Internationale Gerichtshof (IGH) ein, wonach Ruanda, Burundi und Uganda das Gewaltverbot der UNO und der AU verletzt hätten. Die Verfahren im IGH wurden unterschiedlich behandelt. So erklärte sich der IGH für den Fall Ruanda nicht wirklich zuständig, da zwar die DRC als Vertragsstaat die Zuständigkeit des IGH für diese Angelegenheit anerkannte, nicht aber Ruanda.374 Der Fall von der DRC gegen Burundi wurde auf Anfrage der DRC selbst 2001 aufgegeben375 und im Fall der DRC gegen Uganda kam es zu einer Urteilsfindung, die allerdings weitere Untersuchungen empfiehlt.376 6.4.2. Bevölkerung Die Daten über die Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo sind in den meisten Fällen nicht aktuell. Dies hängt unmittelbar mit den Entwicklungen und Schwierigkeiten zusammen, die das Land in den letzten Jahren durchlaufen hat. Die CIA hat in ihrer Datenbank eine Hochrechnung auf Basis der Zahlen der vergangen Jahre entwickelt und stellt die aktuellsten Zahlen zur Verfügung, wobei auch hier mit Ungenauigkeiten zu rechnen ist. Die Zahlen, die in diesem Kapitel angegeben werden sind teilweise nicht als ganz exakt anzunehmen. Es wird vom Autor versucht die aktuellsten Zahlen aus verschiedenen Quellen anzugeben, um ein möglichst 373 Grafik aus Congo Planète 18.12.2006, http://congoplanete.com/pictures/congo/new_congo_map_provinces_1.jpg,; Provinznamen aus Artikel 2 der Verfassung der Demokratischen Republik Kongo. 374 Vgl. International Court of Justice (2006). Armed Activities on the territory of the Congo (New Apllication: 2002) (Democratic Republic of Congo v. Ruanda). Summary of the Judgement of 3 February 2006, 3.2.2006, http://www.icj-cij.org/docket/index.php?sum=642&code=crw&p1=3&p2=3&case=126&k=19&p3=5. 375 Vgl. International Court of Justice (2006a). Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic v. Burundi) Press Release 2001/2, 1.Februar 2001, http://www.icjcij.org/docket/index.php?pr=655&code=cb&p1=3&p2=3&p3=6&case=115&k=1d. 376 Vgl. International Court of Justice (2006b). Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo, (Democratic Republic of Congo v. Uganda), 19.12.2005, http://www.icjcij.org/docket/index.php?p1=3&p2=1&code=co&case=116&k=51. 148 vollständiges Bild zu geben, wie die Situation in der DRC heute ist. Dabei wird auch versucht, einen Vergleich mit früheren Zahlen zu geben, um die Entwicklung ein wenig darzustellen. Die errechnete Einwohnerzahl des Kongo wird von der CIA auf 67.751.512 Menschen geschätzt.377 Damit liegt die DRC, was die Anzahl der Bevölkerung anbelangt an der 19.Stelle weltweit.378 Von der Bevölkerung sind in etwa 47.6 Prozent jünger als 14 Jahre und beinahe die Hälfte zwischen 14 und 64 Jahre alt. Von diesen knappen 98 Prozent der Bevölkerung ist die Aufteilung zwischen den Geschlechtern beinahe ausgeglichen. Erst bei der Bevölkerungsgruppe, die älter als 64 Jahre ist und ungefähr 2.6 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist der Anteil der Frauen ungefähr eineinhalb mal so groß wie der der Männer. Aufgrund dieser Verteilung ist das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung 16.1 Jahre. Der männliche Teil der Kongolesen ist durchschnittlich 15.8 Jahre alt, wogegen das Durchschnittsalter der Frauen cirka 16.4 Jahre alt beträgt. Die Wachstumsrate der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren erheblich gesteigert. Während die Wachstumsrate 2003 noch ca. 2.9 Prozent pro Jahr379 betrug, waren es 2005 ungefähr 3 Prozent380 und schließlich 2007 3.39 Prozent.381 Die durchschnittliche Lebenserwartung in der DRC war von 2000 bis 2005 erheblich von den Ereignissen des Krieges beeinflusst. Sie betrug in diesen beiden Jahren, die als Anhaltspunkte gelten, 42.4 bzw. 44 Jahre382. Die aktuell errechnete Lebenserwartung für die gesamte Bevölkerung ist 57.2 Jahre. Dabei werden die Männer durchschnittlich 54.97 Jahre und die Frauen 59.5 Jahre alt.383 Der aktuelle Prozentsatz weist auf eine jährliche Geburtenrate von durchschnittlich 42.96 Babys pro 1.000 Einwohner, also cirka 4.3 Prozent hin. Eine kongolesische Frau bringt durchschnittlich 6.37 Kinder im Laufe ihres Lebens auf die Welt. Die 377 „note: estimates for this country explicitly take into account the effects of excess mortality due to AIDS; this can result in lower life expectancy, higher infant mortality and death rates, lower population and growth rates, and changes in the distribution of population by age and sex than would otherwise be expected.”, in: Central Intelligence Agency (2007). CIA World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-worldfactbook/geos/cg.html, aktualisiert am 16.8.2007. 378 Vgl. CIA, Rank Order – Population, https://www.cia.gov/library/publications/the-worldfactbook/rankorder/2119rank.html. 379 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung, http://www.kongo-kinshasa.de/bevoelkerung/index.php. 380 Vgl. The World Bank (2007). Congo, Dem. Rep. Data Profile, April 2007, http://devdata.worldbank.org/external/CPProfile.asp?SelectedCountry=ZAR&CCODE=ZAR&CNAME=Congo%2C +Dem.+Rep.&PTYPE=CP. 381 Vgl. CIA (2007). The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/cg.html. 382 Vgl. The World Bank. 383 Vgl. CIA, The World Factbook. 149 Säuglings- bzw. Kindersterblichkeit – eingerechnet werden Todesfälle von Kindern im ersten Lebensjahr bei 1.000 Lebend-Geburten wird mit 6.5 Prozent angegeben. Dabei liegt der Prozentsatz bei den männlichen Säuglingen mit 7.15 Prozent deutlich höher als bei den weiblichen mit 5.93 Prozent.384 Obwohl sich der Prozentsatz von 12.9 Prozent385 bereits deutlich verringert hat, ist die Zahl im internationalen Vergleich immer noch sehr hoch. Die Migrationsrate gibt eine Erklärung für die Anzahl aller Personen, die im Laufe auf 1.000 Personen gerechnet während eines Jahres ins Land immigrieren bzw. daraus emigrieren. Dabei wird die Größe der Bevölkerung in der Mitte des Jahres als Basis für die Rechnung herangezogen. Die Zahl der Migrationsrate gibt Aufschluss darüber, in wie weit die Zu- bzw. Abwanderung zur allgemeinen Bevölkerungswachstumsrate beiträgt.386 Die Migrationsrate in der DRC beträgt 1,28 Prozent pro Jahr387.388 Die Situation bezüglich der Unterernährung in der Demokratischen Republik Kongo hat sich in den Jahren des zweiten Kongokrieges dramatisch entwickelt. In der DRC waren in den Jahren 1990-92 cirka 31 Prozent der Bevölkerung unterernährt – die Einwohnerzahl betrug damals etwa 38.8 Millionen Menschen. Die Hilfs- und Entwicklungsprojekte hatten unter dem Einfluss des zweiten Kongokrieges keinen Effekt, und so waren zwischen 2001 und 2003 ungefähr 72 Prozent der in der Zwischenzeit auf 51.3 Millionen Menschen angewachsenen Bevölkerung unterernährt. In absoluten Zahlen bedeutete das, dass zwischen 1990-92 12.2 Millionen Menschen und 2001-03 37 Millionen Menschen an Unternährung litten.389 6.4.2.1. Ethnische Gruppen Es ist unklar wie viele ethnische Gruppen es in der DRC gibt. Die Schätzungen gehen von 200390 bis 250391. Der Großteil der Bevölkerung gehört den Bantu an. Die vier größten ethnischen Gruppen sind die Luba (18%), die Mongo (17%), die Kongo 384 Vgl. CIA, The World Factbook. Vgl. The World Bank. 386 Vgl. CIA (2007). The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-worldfactbook/docs/notesanddefs.html#2112. 387 Vgl. CIA, The World Factbook. 388 Alle angegebenen Zahlen aus dem World Factbook sind für 2007 errechnet. (Anm. d. Autors) 389 Vgl. Food an Agriculture Organisation of the United Nations (2006). The State of Food Insecurity in the World 2006, ftp://ftp.fao.org/docrep/fao/009/a0750e/a0750e00.pdf. 390 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung. 391 Vgl. CIA. The World Factbook. 385 150 (14%), die alle Bantustämme sind und die Mangbetu-Azande (10%). Diese vier Stämme machen bereits mehr als 50 Prozent der Gesamtbevölkerung der DRC aus.392 ABB. 4. Daten über die Entwicklung der Unterernährung weltweit393 Der Prozentsatz der Menschen, die Zugang zu sauberem Wasser hatten lag im Jahr 2004 bei 46 Prozent und hat sich in den zehn Jahren davor nur um drei Prozent gesteigert. Die Prozentzahl der Menschen mit Zugang zu Sanitäranlagen betrug im Jahr 2004 30 Prozent, verdoppelte sich aber seit 1990.394 6.4.3. Wirtschaftliche Situation Die Demokratische Republik Kongo zählt zu den an Rohstoffen reichsten Ländern der Welt. Allerdings gilt sie gleichzeitig als eines der ärmsten Länder weltweit. Die Währung des Landes ist der Kongolesische Franc. 1 US-Dollar sind 437 Kongolesische Francs, und 1 Euro sind 597.833 Kongolesische Francs.395 Die 392 Vgl. CIA, The World Factbook und Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung. Grafik von Food and Agricultural Organization. 394 Vgl. United Nations Development Programme (2006). Human Development Report. Beyond scarcity: Power, poverty and global water crisis, Congo, Dem. Rep. of the, http://hdr.undp.org/hdr2006/statistics/countries/data_sheets/cty_ds_COD.html. 395 Currency Converter, Stand am Montag, dem 27.8.2007, in: http://www.oanda.com/convert/classic. 393 151 Inflation beträgt 18.2 Prozent. Das jährliche Budget liegt bei ungefähr $700 Millionen Dollar, wogegen die jährlichen Ausgaben bei zwei Milliarden Dollar liegen.396 Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des gesamten Landes wurde 2006 auf $44.44 Milliarden geschätzt. Allerdings wird diese Zahl von den internationalen Wirtschaftsexperten als nicht wirklich passend angesehen, um die wirtschaftliche Stärke des Landes einstufen zu können. Aus diesem Grund gibt es das BIP, das auch den Wert der Währung im internationalen Markt mit einrechnet. Nach dieser Methode betrug das BIP in der DRC 2006 ungefähr $7.98 Milliarden. Dadurch ergibt sich ein pro Kopf ein BIP von ungefähr $700 und ein jährliches Wachstum von ungefähr 6.8 Prozent. Die Aufteilung des BIP ergab, dass der Agrarsektor 55 Prozent des BIP ausmachte, der industrielle Sektor 11 Prozent und der Dienstleistungssektor 34 Prozent.397 Die organisierten Arbeitnehmer bzw. die Gewerkschaften hatten im ganzen Kongo 2006 cirka 15 Millionen Mitglieder. Allerdings gibt es keine Angaben über die Verteilung der Gewerkschaften auf die drei Sektoren. Ebenso gibt es keine Angaben über die Höhe der Arbeitslosenrate in der DRC.398 Die wichtigsten Industriezweige sind Bergbau, weitere Verarbeitung von Rohstoffen, chemische Verarbeitung, Textilindustrie, Zement und Reparaturen von Schiffen. Produkte, die dabei produziert werden, sind Kaffee, Zucker, Palmöl, Kautschuk, Tee, Mais, diverse Früchte, Zigaretten, Schuhe, verschiedene Textilien und Holzprodukte.399 Die wichtigsten Rohstoffe sind: Kupfer, Kobalt, Coltan, Diamanten, Uran und Gold.400 Hauptexportgüter sind Diamanten, Kupfer, Kaffee und Kobalt. Aus dem Export dieser Güter wurden 2004 ungefähr $1.1 Milliarden eingenommen, wobei die wichtigsten Abnehmerländer Belgien (33,4%), China (24.1%), Chile (8.9%), Finnland (8.2%) und die USA (5.4%) sind. Gleichzeitig importierte die DRC 2004 Produkte um ungefähr $1.32 Milliarden. Hauptsächlich kamen die Importe aus Südafrika (19.5%), Belgien (11.8%), France (9.4%), Kenia (7.5%), Sambia (6.5%) und der Elfenbeinküste (4.8%) und bestanden aus Lebensmittel, Maschinen zum Abbau von Rohstoffen und anderen Tätigkeiten, Transportzubehör und Treibstoffe.401 396 Vgl. CIA The World Factbook. Vgl. CIA The World Factbook. 398 Vgl. CIA The World Factbook. 399 Vgl. CIA The World Factbook. 400 Kanu/Indongo-Imbanda, Wirtschaft, http://www.kongo-kinshasa.de/wirtschaft/index.php. 401 Vgl. CIA. The World Factbook. 397 152 Die Auslandsverschuldung beträgt nach wie vor noch etwa zehn Milliarden USDollar. Allerdings laufen Programme zum Schuldenabbau und der Stabilisierung der Wirtschaft. 6.4.4. Krankheiten Die Gefahr, in Kontakt mit tropischen Krankheiten zu kommen, ist im Kongo sehr hoch. Die häufigsten Krankheiten sind bakterielle und protozoale (infektiöse Diarrhö, Hepatitis A und Typhus). Diese Krankheiten können sowohl durch Kontakt mit Wasser als auch durch Nahrungsmittel übertragen werden. Die häufigsten Infektionskrankheiten sind Malaria, Pest und die Schlafkrankheit. Allerdings ist die Gefahr, an diesen Infektionen zu erkranken, regional beschränkt, in diesen Regionen allerdings sehr hoch. Schließlich kann man an Schistosomiasis bzw. Bilharziose, einer Wurminfektion, erkranken. Eine Übertragung dieser Krankheit ist nur durch Wasser möglich. Die Sterblichkeitsrate in der DRC beträgt 10.34 pro 1.000 Menschen pro Jahr also umgerechnet 1.03 Prozent. 402 6.4.4.1. HIV/AIDS Die aktuellste Analyse über die Situation in der DRC bezüglich der Ausbreitung und der neu- bzw. bereits infizierten Personen sind aus den Jahr 2003 und 2005 im Vergleich und stammen von der UNAIDS/WHO. Die Zahlen sind – wie in allen Ländern der Welt nur geschätzt – da man die Dunkelziffer nie genau berechnen kann. In der DRC breitet sich das HIV/AIDS Virus sehr rasant aus. Man rechnet mit einer Ansteckungsrate von cirka vier Prozent jährlich. Die größte Zahl an Infektionen entsteht durch heterosexuellen Kontakt. Am meisten gefährdet sind Frauen in der Altersgruppe bis 20 bis 29 Jahre und Männer im Alter zwischen 30 und 39 Jahren. Sehr stark betroffen sind auch Kinder, denn eine Vielzahl hat einen oder beide Elternteile schon durch Krankheit verloren, die durch AIDS ausgelöst wurde. 402 Vgl. CIA, The World Factbook. 153 Die höchsten Infektionsraten sind unter Menschen, die im sexuellen Gewerbe tätig sind, der Armee, Gefangenen, Fernfahrern, Minearbeitern und Blutspendern.403 ABB. 5. Vermutete Zahl der HIV-Erkrankungen Ende in den Jahren 2003 und 2005. ABB. 6: Vermutete Zahl der Todesopfer aufgrund AIDS in den Jahren 2003 und 2005. 403 World Health Organization (WHO) (2005). Summary Country Profile for HIV/AIDS Treatment Scale-up, Dezember 2005, http://www.who.int/hiv/HIVCP_COD.pdf. 154 Abbildung 7: Voraussichtliche Zahl der Waisen aufgrund von AIDS in den Jahren 2003 und 2005. Abbildung 8: Zahl der HIV-Infizierungen bei schwangeren Frauen in Zentralafrika. 155 Die allgemeinen Ausgaben für die Krankenversorgung lagen 2004 bei cirka 4 Prozent verglichen mit dem gesamten BIP des Landes. Die Aufteilung der Kosten zwischen dem Staat und Privatpersonen lag bei 28.1 zu 71.9 Prozent. Der Staat verwendete insgesamt nur 7.3 Prozent des gesamten Budgets für die medizinische Versorgung. Die staatlichen Ausgaben pro Kopf für ein Jahr betrugen je nach Wechselkurs zwischen 1.3 und 4.3 US-Dollar. Die privaten Ausgaben betrugen zwischen 4.7 und 15.3 US-Dollar. Dazu ist noch anzumerken, dass es in der DRC kein Sozialversicherungssystem gibt.404 In der DRC gab es im Jahr 2004 5.827 Ärzte, das bedeutete, dass auf 100.000 Menschen durchschnittlich elf Ärzte kamen. Zudem gab es 28.789 Krankenschwestern, gleichbedeutend mit 53 pro 100.000 Menschen, und 159 Zahnärzte im ganzen Land.405 6.4.5. Sprachen Ebenso wie bei den ethnischen Gruppen ist es unklar, wie viele Sprachen in der DRC wirklich gesprochen werden. Manche Quellen gehen von über 200 verwendeten Sprachen aus. Diese Sprachen unterteilen sich in 25 linguistische Gruppen. Neben Französisch, das auch die offizielle Amtssprache ist, gibt es noch vier nationale Sprachen. Diese sind: Lingala, Suaheli, Kikongo und Tshiluga. Lingala ist die Sprache, die hauptsächlich in der Hauptstadt Kinshasa gesprochen wird.406 6.4.6. Religion Die große Mehrheit der Bevölkerung, 50 Prozent, gehört dem römisch-katholischen Glauben an. Ungefähr 20 Prozent sind Protestanten, zehn Prozent zählen sich zum kimbanguistischen Glauben407, ebenso zehn Prozent Moslems und schließlich 404 Vgl. World Health Organisation (2006a). WHO Statistical Information System, Core Health Indicators the latest data from multiple WHO sources, Democratic Republic of the Congo, http://www.who.int/whosis/database/core/core_select_process.cfm?country=cod&indicators=nha#. 405 Vgl. World Health Organisation (2006b). World Health Statistic 2006, http://www.who.int/entity/whosis/whostat2006.pdf. 406 Vgl. Kanu/Indongo-Imbanda, Bevölkerung. 407 Vgl. Kumbanguismus ist eine Religion, die ihren Ursprung im Christentum hat und 1921 gegründet wurde. Der spirituelle Führer, Diangienda, der Sohn von Simon Kimbangu, war der oberste Führer der kimbaguistischen Kirche von 1959 bis 1992 definiert den Kimbanguismus als „le christianisme le Christianisme résultant de l'ensemble des actions et enseignements de Simon Kimbangu“. Kimbangu der Namenspatron der Kirche wird als Prophet angesehen und verehrt. Die Kirche ist vor allem in Afrika vertreten und ein Viertel der Mitglieder sind 156 glauben auch etwa zehn Prozent der Bevölkerung an einheimische Religionen oder gehören Sekten an.408 6.4.7. Alphabetisierung Bezüglich der Alphabetisierungsrate bietet die UNESCO Vergleichszahlen zwischen den Jahren 2001 und 2005. Die Untersuchung bezieht sich einerseits auf Personen, die älter als 15 Jahre sind und andererseits auf die Teilgruppe der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren. Für das Jahr 1990 stehen keine Zahlen zur Verfügung. Abbildung 8: Alphabetisierungsrate in der DRC im Vergleich.. 409 Es deutlich zu beobachten, dass die Zahlen in allen Gruppen bzw. bei beiden Geschlechtern in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen sind. Dies lässt auf ein Problem am Bildungssektor bzw. zu wenige Ausgaben in diesem Bereich schließen. Die schulische Bildung ist im Kongo grundsätzlich in Grundschule (Primary level) und mittlere Bildung (Secondary level) eingeteilt. Beide Stufen laufen jeweils über sechs Jahre. Die Pflichtschulzeit beträgt jedoch nur acht Jahre. Der Prozentsatz der Kinder, Kongolesen. Sie orientiert sich in ihrer Lehre sehr stark am christlichen Glauben, in: Kimbanguisme, Kimbanguisme.net, 2005, http://www.kimbanguisme.net/kimbanguisme/kimbanguisme.htm. 408 Vgl. CIA. The World Factbook. 409 Tabelle von UNESCO Institute for Statistics (2005). UIS Statistics in Brief. Education in Democratic Repulic of Congo, http://stats.uis.unesco.org/unesco/TableViewer/document.aspx?ReportId=121&IF_Language=eng&BR_Country= 8920. 157 die sich im Grundschulalter befinden und eingeschult sind, hat in den letzten 20 Jahren rapide abgenommen. Waren 1985 noch ungefähr 86.5 Prozent in Schulen, sind es 2005 nur noch 61.7 Prozent. Allerdings hat sich diese Zahl in den letzten fünf Jahren nicht mehr verringert, was auf ein mögliches Entgegenwirken gegen diese Stagnation schließen lässt. Ungefähr 38.9 Prozent durchlaufen die gesamte Dauer der Grundschule. Auch diese Zahl stagnierte seit 1990 als noch etwa 46.1 Prozent alle sechs Jahre Grundschule erfolgreich abschlossen, ist jedoch seit 2000 auf dem gleichen Level geblieben. Der Prozentsatz der Schüler, die eine Klasse wiederholen müssen, blieb über die Jahre mit geringen Schwankungen konstant mit leichten Tendenzen nach unten und lag im Jahr 2005 bei ungefähr 16.3 Prozent. In der mittleren Bildung ist die Entwicklung über die Jahre nicht so drastisch wie im Bereich der Grundschule. Waren 1985 noch ungefähr 22.7 Prozent aller Kinder der Altergruppe im Bereich der mittleren Reife eingeschult, erreichte dieser Prozentsatz seinen Höhepunkt im Jahr 1995 mit 23.9 Prozent, worauf fünf Jahre später der Tiefpunkt mit nur 18 Prozent eingeschulte Kinder folgte. Im Jahr 2005 stieg die Rate wieder auf 22.1 Prozent an. Im Bereich der höheren Bildung gibt es keine aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2005. Die Zahlen der Weltbank aus dem Jahr 2000 geben einen Prozentsatz von 1.4 an. 410 Im Jahr 2005 kamen im Grundschullevel ungefähr 34.3 Kinder auf einen Lehrer. Wenn man den stagnierenden Prozentsatz der eingeschulten Kinder im schulpflichtigen Alter heranzieht, könnte man sagen, dass der Prozentsatz in etwa gleich gebelieben ist. Im Bereich der mittleren Bildungsstufe kamen im Jahr 2005 auf einen Lehrer ungefähr 14.5 Kinder. Der Gender Parity Index bezüglich der Einschulung in Grundschule und Mittelschule beträgt 0.7. Bei einem Wert von eins wäre das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ausgeglichen. Diese Zahl lässt darauf schließen, dass im Jahr 2005 – wie auch in den Vergleichswerten in den Jahren zuvor – deutlich mehr männliche als weibliche Kinder eingeschult wurden. Dass die Mehrzahl der eingeschulten Schüler männlich ist, ergibt sich aus dem Vergleich mit anderen Statistiken411. Der Prozentsatz der Schüler, die in nicht-öffentlichen Schulen eingeschult wurden, betrug im Jahr 2005 11.1 Prozent im Bereich der Grundschule und 13.4 Prozent im Bereich der mittleren Bildung. Dabei ist die Entwicklung im Bereich der mittleren 410 Vgl. The World Bank (2007). Summary Education Profile: Congo, Dem. Rep., http://devdata.worldbank.org/edstats/SummaryEducationProfiles/CountryData/GetShowData.asp?sCtr y=ZAR,Congo,%20Dem.%20Rep. 411 Diese Tatsache geht z.B. aus der Statistik der UNESCO hervor. (Anm. d. Autors). 158 Bildung sehr auffällig, da im Jahr 1995 noch 25.7 Prozent der Kinder in privaten Schulen eingeschult wurden.412 Die Zahlen über die staatlichen Ausgaben für das Bildungssystem sind in allen Datenbanken als „keine Angabe“ eingetragen, wodurch sie auch immer wieder mit null beziffert werden. 6.4.8. Infrastruktur und Kommunikation Die DRC verfügte 2004 über ein Straßennetz von ungefähr 153.500 km, wovon lediglich 2.800 asphaltiert waren. Diese Zahlen dürften in der Zwischenzeit wesentlich höher liegen; allerdings sind das die aktuellsten, die in diversen Statistiken angeführt werden. Zudem gibt es im Kongo 15.000 km an Wasserwegen und 5.136km Eisenbahnverbindungen. Weiters gibt es 234 Flughäfen, wovon allerdings nur 25 asphaltierte Landebahnen haben. Die Pipelines, die durch das Land verlegt sind, sind für Erdgas 54km und für Erdöl 78km lang. Die demokratische Republik Kongo verfügt auch über ein Schiff – einen Tanker.413 Die Fluglinien im Kongo gelten nicht nur aufgrund der unmodernen Flughäfen als äußerst unsicher. Da sie viele Sicherheitsstandards nicht erfüllen, haben alle Fluglinien ein Flugverbot für Europa erteilt bekommen, weshalb diese Fluglinien größtenteils nur regional verkehren.414 Die Kommunikation in der DRC ist sehr schwierig. Es gibt ungefähr 10.500 Leitungen, die in Gebrauch sind. 2005 besaßen cirka 2.74 Millionen Kongolesen ein Mobiltelefon, allerdings ist die Netzauslastung sehr gering. Es gab 2005 ungefähr 1.778 offizielle Internetstandpunkte, und es wurde mit 140.600 Benützern kalkuliert.415 6.4.9. Situation der Menschenrechte in der DRC Die Umsetzung der allgemeinen Menschenrechte, wie sie die Vereinten Nationen in ihrer Erklärung der Menschenrechte definiert haben, setzt einen funktionierenden Staat voraus. Dies bedeutet, dass die politische Elite und Machtinhaber die 412 Vgl. The World Bank (2007). Vgl. CIA. The World Factbook. 414 Tortschanoff, Monika, Emailkorrespondenz. 415 Vgl. CIA. The World Factbook. 413 159 Verpflichtungen, die sie gegenüber dem Völkerrecht haben, akzeptieren und einhalten. 1981 wurde die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker von der AU verabschiedet und trat 1986 in Kraft. Bis 1999 hatten bis auf Eritrea alle afrikanischen Mitgliedstaaten die Charta übernommen.416 Die Menschenrechte im Kongo wurden in den letzten Jahrzehnten sukzessive verletzt und missachtet. Unter dem Regime Mobutus kam es zu Standgerichten und unmittelbaren Todesurteilen, deren Vollstreckungen durch das Militär vollzogen wurde. Dabei beriefen sich Mobutu aber auch sein Nachfolger Kabila auf die Notstandssituation, die den Schutz des Individuums außer Kraft setzt. Somit blieb nur die Militärgerichtsbarkeit in Kraft, wodurch die Aktionen gerechtfertigt waren. Durch die Übergangsverfassung kam es zu einigen Verfahrensfehlern, während die neuen Richter und die neue Gerichtsbarkeit ernannt werden sollten, die allerdings wieder behoben werden konnten.417 Die Demokratische Republik Kongo hat wie jeder Staat das Völkerrecht zu achten und zu respektieren. Dies gilt für Inländer ebenso wie für Ausländer, die sich auf dem Staatsgebiet aufhalten. Auch wenn sich der Staat im Krieg befindet, muss ein Mindeststandard an Menschenrechten gewährleistet werden, da das Völkerrecht als Gewohnheitsrecht gilt und so einen allgemeinen Rechtsstatus hat.418 Die Instrumente zur Einhaltung der internationalen Pakte haben sich geändert, und verschiedene internationale Akteure, speziell NGOs, gewannen an Einfluss. So kam es Ende der 90iger Jahre vermehrt zu Anklagen und Verurteilungen von ehemaligen Kriegsverbrechern. Jedoch brachte dies auch Unklarheiten über die Immunität der höchsten Politiker eines Staates mit sich. Die betraf den ehemaligen kongolesischen Außenminister, der 1998 in Belgien gefangen genommen wurde. Er wurde wieder freigelassen. Allerdings wurde festgestellt, dass die Immunität der Politiker zwar vor nationalen Regierungen gilt, solange Personen im Amt sind, aber die internationale Strafgerichtsbarkeit nicht eingeschränkt werden darf.419 In der DRC wurde in den vergangenen Jahrzehnten unter den verschiedenen Präsidenten oftmals gegen die Menschenrechte verstoßen. Es gab bis 2006 keine demokratischen Wahlen bzw. keine offene politische Ebene. Es wurde vielfach, wie von Human Rights International, Amnesty International und anderen Organisationen 416 Vgl. Matthiesen, S154. Vgl. Matthiesen, S.155f. 418 Vgl. Matthiesen, S.156f. 419 Vgl. Matthiesen, S.160ff. 417 160 beklagt, gegen das Verbot der Folter verstoßen und eine Vielzahl an Menschenrechtsverbrechen begangen.420 In der derzeitigen kongolesischen Verfassung werden die Menschenrechte anerkannt und es wird betont, diese sind unter allen Umständen zu beachten und anzuerkennen. Ebenso wird auf das Verbot der Diskriminierung einer Minderheit festgeschrieben: „Aucun Congolais ne peut, en matière d’éducation et d’accès aux fonctions publiques ni en aucune autre matière, faire l’objet d’une mesure discriminatoire, qu’elle résulte de la loi ou d’un acte de l’exécutif, en raison de sa religion, de son origine familiale, de sa condition sociale, de sa résidence, de ses opinions ou de ses convictions politiques, de son appartenance à une race, à une ethnie, à une tribu, à une minorité culturelle ou linguistique.“421 Zudem wird in der Verfassung darauf hingewiesen, dass die Regierung Maßnahmen zu ergreifen hat, Bevölkerungsgruppen vor der Diskriminierung zu schützen, aber es wird nicht erklärt, wie genau diese Maßnahmen aussehen sollen. Ebenso wird festgehalten, dass die Personen, die gegen diesen Artikel oder einen anderen, der die Menschenrechte beschreibt, verstoßen, mit Strafverfolgung zu rechnen haben. Allerdings sind diese Strafen auch nicht festgeschrieben. Schwierig ist auch die Formulierung Kongolesen, denn – wie an anderer Stelle erklärt – ist für den Inhalt dieser Studie die Definition einer Minderheit essentiell. Wenn nun ein Teil des Volkes nicht als Kongolesen anerkannt wird, dann wird der Schutz unter der Verfassung juristisch schwierig. 6.4.10. Weitere Probleme In der DRC ist aufgrund der kriegerischen Handlungen seit 1998 die MONUC mit einer militärischen Truppe anwesend. Zurzeit befinden sich 18.000 Blauhelme im Kongo, und zwar zum größten Teil im Osten. Eines der größten Probleme sind die zwischenstaatlichen Konflikte mit den Nachbarländern. Viele der Flüchtlinge suchen in den Regionen im Osten des Landes Zuflucht. Diese kommen hauptsächlich aus Angola (106.772), Ruanda (42.360), Burundi (19.032), Uganda(18.954) und dem 420 421 Vgl. Matthiesen, S.162ff. Article 13, La Constitution de la République Démocratique du Congo. 161 Sudan (11.723). Schwierig ist die Situation im Nord-Osten des Landes, in dem sich die ULRA im Ituri-Urwald aufhält und über dieses Gebiet nach wie vor noch die Kontrolle hat. Das Problem in dieser Region ist auch, dass die Grenzziehung nicht wirklich eindeutig ist. Zu den Flüchtlingen der Nachbarländer kommen noch die Internally Displaced People (IDP), deren Zahl seit dem Ausbruch der Kämpfe auf ungefähr 1.1 Millionen geschätzt wird. Weitere große Probleme sind die große Produktion von Cannabis, welches allerdings hauptsächlich im Kongo konsumiert wird, wodurch jedoch ein großes Drogenproblem entsteht. Das korrupte und schwache Banksystem würde sich ideal zur Geldwäsche anbieten, allerdings ist die Attraktivität für internationale Geldwäscherbanden nicht so groß, weil das Finanzsystem nicht wirklich funktioniert.422 6.5. Minderheitenschutz durch die neue Verfassung Dieses Kapitel basiert auf einer Interpretation der neuen Verfassung, die 2006 in Kraft trat. Es gibt durch die kurze Amtszeit der ersten frei gewählten Regierung keine Studien und Ergebnisse, in wie weit die neue Verfassung bzw. die aktuelle Regierung Einfluss auf die Minderheitenpolitik respektive deren Schutz hatte. Der Verfasser versucht hier aufgrund einer Analyse der Verfassung eine persönliche Einschätzung der Minderheitenpolitik zu treffen und den Schutz der gewährleistet wird zu identifizieren. Das Wort Minderheit kommt in der Verfassung zweimal vor. Das erste Mal in Artikel 3 des ersten Kapitels. Dabei wird festgelegt, dass kein Kongolese aufgrund diverser Merkmale, Traditionen, Glaubensanschauungen, soziale Umstände etc. diskriminiert werden darf. In diesem Artikel wird auch festgestellt, dass die kein Kongolese aufgrund der Zugehörigkeit zu einer kulturellen oder sprachlichen Minderheit diskriminiert werden darf.423 Der zweite Artikel in dem das Wort Minderheit vorkommt ist der Artikel 51. Darin wird festgelegt, dass der Staat dafür verantwortlich ist, ein friedliches und harmonisches Zusammenleben aller ethnischen Gruppen des Landes zu unterstützen und 422 423 Vgl. CIA. The World Factbook. Vgl. Artikel 13, Kapitel 2 der Verfassung der Demokratischen Republik Kongo, die seit Februar 2006 in Kraft ist. 162 sicherzustellen. Zusätzlich werden in diesem Artikel die Unterstützung und der Schutz aller angreifbaren oder verletzbaren Gruppen und Minderheiten des Landes versichert und ihre Selbstverwirklichung gefördert.424 6.5.1. Analyse: Zwar findet in der Verfassung – wenn auch nur zweimal – der Begriff Minderheit Verwendung, allerdings ist nirgendwo eine Definition zu finden. Im Kongo finden sich, wie an anderer Stelle erwähnt, über zweihundert ethnische Gruppen. Es ist schwierig zu beurteilen, welche Gruppierungen davon Minderheiten sind und welche nicht. Ein weiteres Problem ist die Formulierung „kulturelle“ Minderheiten. Der Begriff kulturell lässt viel Spielraum für Interpretationen, wogegen sprachliche Minderheiten dem, was man eine Definition nennen kann, am nächsten kommt, da die offiziellen Landessprachen festgelegt sind. Somit darf laut Verfassung keine Gruppe kongolesischer Bürger diskriminiert werden, die eine andere Sprache spricht als die offiziellen Landessprachen. Dies führt zum nächsten und vielleicht größten Problem bzw. Unklarheit im Bezug auf Minderheiten in der DRC. Die Formulierung „kein Kongolese“ ist bereits sehr exklusiv. Dadurch werden jegliche Mitglieder von Gruppen, die keine Staatsbürger sind, von diesem Artikel nicht erfasst. Somit können auch Gruppen von NichtKongolesen keinen Status einer Minderheit in der DRC erlangen. Solche Gruppen können aus eben diesem Grund auch nicht vom Artikel 51 erfasst und dadurch geschützt werden. Neben dieser Exklusivität gewährt allerdings der Artikel, trotz der Feststellung, dass es Aufgabe des Staates ist für Frieden zwischen ethnischen Gruppen zu und Minderheiten zu schützen, keinen ausreichenden Schutzmechanismus. Es wird nicht erwähnt – weder in diesem Artikel noch in einem anderen der Verfassung – wie diese Minderheiten zu schützen sind und was bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot geschieht. Neben dem Fehlen eines Schutzmechanismus gibt es also auch keinen Sanktionsprozess. Auch die Verantwortlichkeiten für den Schutz der Minderheiten sind nicht verteilt und klar definiert. Diese Tatsache erweckt den Eindruck, dass es keine Bemühungen und Bestrebungen eines effektiven Minderheitenschutzes angestrebt werden. Dies ist 424 Vgl. Artikel 51. 163 auch nicht möglich, da es zu diesem Zweck eine klare Definition des Begriffs Minderheit geben müsste, die allerdings nicht formuliert wurde. Dadurch lässt die Verfassung sehr viel Spielraum für Interpretationen. Die Regierung jedoch ist nicht gezwungen zu handeln, wenn es sich um keine Kongolesen handelt und kann generell sehr subjektiv entscheiden, welche Gruppe als Minderheit einzustufen ist, da sie, wenn sie keine sprachlichen Voraussetzungen erfüllen, kulturelle Eigenschaften ausweisen müssen, die allerdings ebenso nicht klar definiert sind. Welche Probleme man als Volk, das auf dem Staatsgebiet der Demokratischen Republik Kongo lebt haben kann, wenn man als Minderheit nicht anerkannt ist, wird im folgenden Kapitel anhand des Volkes der Pygmäen beschrieben. Deren Stämme kämpfen neben der Diskriminierung durch die Bevölkerung auch um die Anerkennung vor dem Gesetz. Die Gründe dafür werden durch die Analyse der Formulierungen in der neuen Verfassung offensichtlich. 164 7. Die Pygmäen Das Volk der Pygmäen, die als Fallstudie für die Minderheitenpolitik und die Akzeptanz der Minderheiten in der DRC herangezogen wird, wird in diesem Kapitel behandelt. Neben der Geschichte werden hier auch die unterschiedlichen Stämme und ihre Siedlungsgebiete angeführt und beschrieben. Obwohl der Fokus in dieser Studie auf dem Gebiet des Ostens der Demokratischen Republik Kongo liegt, werden auch die Siedlungsgebiete in Uganda, Ruanda und Burundi partiell miteinbezogen, da auch in diesen Ländern Pygmäen beheimatet sind. Dies ist deshalb interessant, da dies verschiedene Stämme sind, die auch teilweise differente Lebensweisen verfolgen und sich anders in die jeweiligen Gesellschaften integrieren oder integriert haben. Es wird auch versucht, die unterschiedlichen Gruppen genauer zu beschreiben. Dabei liegt der Fokus vor allem auf den beiden Stämmen, den Batwa und Bambuti, die im Kongo ihr Siedlungsgebiet haben. Es wird auch versucht, die soziale Ordnung, die Lebensweise und die Beziehung zum Lebensraum darzustellen. Dazu kommen natürlich die Probleme, die sich hinsichtlich der Akzeptanz bzw. durch Diskriminierung ergeben und mit denen die Pygmäen zu kämpfen haben. Dabei werden auch Beispiele für Menschenrechtsverletzungen und die Erfahrungen, die die Pygmäen während der Kriege in der Region machten, angeführt. Schließlich wird noch versucht, die Zusammenschlüsse in Form von NGOs, die den Pygmäen gelangen, zu erklären. Abschließend werden noch einige INGOs und deren Arbeit für die Pygmäen und zu deren Schutz beschrieben und versucht darzustellen, welche Probleme sie täglich und kontinuierlich in ihrer Arbeit behindern. Bis heute gibt es wenige Studien, die das Leben der Pygmäen. Sie leben sehr zurückgezogen und meist in Regionen, in denen Kriegshandlungen an der Tagesordnung stehen, wodurch sich die Forscher oftmals nur schwer zu den Pygmäen vordringen können bzw. sich ständiger Bedrohung von gewalttätigen Übergriffen gegenüber sehen. Die meisten und aktuellsten verfügbaren Informationen gibt es bei unterschiedlichen internationalen Organisationen bzw. NGOs, die in Projekten zum Schutz oder der Unterstützung der Pygmäen arbeiten. 165 In dieser Arbeit wird auch der Begriff Pygmäen verwendet, da er in der Wissenschaft der am häufigsten verwendete Begriff für die Gesamtheit der Gruppen ist. Wenn hier das Leben von spezifischen Gruppen dargestellt wird, dann werden diese namentlich angeführt. Der Begriff Pygmäen wird hier in keiner Weise als beleidigend oder erniedrigend verwendet. 7.1. Geschichte der Pygmäen Moderne DNA-Analysen weisen darauf hin, dass ein Pygmäenstamm, die Mbuti, die im Kongobecken siedeln, einen der ältesten Vorfahren der Menschheit darstellen. Aus diesem Volk und den Khoisan, einem Volk aus Botswana – so wird vermutet – hat sich wahrscheinlich die gesamte Menschheit entwickelt. Die Forscher nehmen an, dass zwischen den letzten 70.000 und 140.000 Jahren eine Gruppe von 2.000 Individuen dieser beiden Gruppe nach Norden gewandert ist und die heute südlich der Sahara lebenden Bauernstämme der Bantu begründete. Von da an wanderten die menschlichen Urahnen auf alle Kontinente. Es wird zwar nicht ausgeschlossen, dass es noch weitere Populationen in Afrika gab, allerdings gibt es keine Beweise. Die Entwicklung des Volkes verlief aufgrund der schwankenden natürlichen Gegebenheiten in Zyklen, und die Populationsdichte stieg erst vor 35.000 Jahren rapide an.425 Die erste Erwähnung der Pygmäen ist bei den Ägyptern bekundet. Bereits vor 4.000 Jahren waren sie im Ägyptischen Reich bekannt. Händler brachten sie als Attraktionen für den Pharao mit. Grund dafür war ihre Fähigkeit zu tanzen. Aufgrund dieser gaben ihnen die Inschriften in Denkmälern den Namen Gottestänzer.426 Die erste nennenswerte Studie gab es 1933 von Paul Schebesta427. Das Buch „The Forest People“ von dem amerikanischen Anthropologen Colin Turnbull aus dem Jahr 1961 ist die bisher ausführlichste Studie des sozialen Lebens der Pygmäen.428 425 Vgl. Jahn, Andreas (2003). Nur 2000, in: Spektrumdirekt. Die Wissenschaftszeitung im Internet, 29.Mai 2003, http://www.wissenschaft-online.de/abo/ticker/619209. 426 Vgl. Mazzucato, Antonio (2002). Die Pygmäen. Geschichte des ältesten Volkes des Urwalds, Gesellschaft für bedrohte Völker, 13.3.2002, http://www.gfbv.it/3dossier/africa/pigmei-de.html. 427 Vgl. Among Congo Pygmies (Anm. d. Autors) 428 Vgl. Muis, Ruud. Pygmies, in: Pygmeen Kleinood, Generelle Information, http://www.pygmee.nl/pygmy_algemeen.html. 166 7.2. Etymologie bzw. Wortherkunft. Der Ursprung des Wortes liegt im Lateinischen „pygmaei“ und Griechischen „pygmaio“ und bedeutet „ein Stamm von Zwergen“. Homer und Herodot nehmen in ihren Werken auf dieses Volk Bezug und beschreiben ihren Lebensraum mit Indien oder Äthiopien. Die Bedeutung konnte früher auch auf eine Maßeinheit angewandt werden, welche die Länge vom Ellenbogen bis zu den Fingerknöcheln bezeichnet hat. Im 17.Jahrhundert wurde der Ausdruck auf Schimpansen und Orang-Utans angewandt. Erst 1863 wurde der Begriff durch die Europäer auf die Afrikanischen Stämme übertragen.429 7.3. Terminologie Pygmäe ist ein wissenschaftlich verwendeter Ausdruck von kleinwüchsigen Jägern und Sammlern, früheren Jäger und Sammler-Völkern, die im zentralen Afrika rund um den Äquator in Regenwäldern leben. Die Pygmäen selbst verwenden diesen Namen für sich selbst kaum, da sie den Namen sehr häufig in Zusammenhang mit Beleidigungen und herablassenden Aussagen über sich hören. Einige Aktivisten der Pygmäen benutzen den Begriff und somit besteht eine schleichende Akzeptanz. Grund dafür ist der Vorteil, den sie darin sehen, mit den gemeinsamen Urvölkern der Region, in der sie leben identifiziert zu werden. Zudem wollen sie Solidarität mit anderen Stämmen der Pygmäen in der Region zeigen. Die meisten Pygmäenstämme ziehen es vor mit ihren ethnischen Bezeichnungen angesprochen zu werden, die sie auch bestimmten Regionen zuordnen, wie z.B. Bambuti, der IturiRegenwald (DRC), Baaka, der Lobaye-Regenwald (Zentralafrikanische Republik) oder Bambendjelle, der Ndoki-Regenwald (Congo-Brazzaville).430 Wie die verschiedenen Pygmäen-Völker selbst bezeichnet werden wollen, ist sehr stark von der Region abhängig. Die Pygmäenstämme siedeln in verschiedenen Ländern in Zentralafrika. Ein Beispiel für einen solchen Stamm sind die Batwa, die sowohl in Uganda, Ruanda wie auch in der DRC ihre Siedlungsgebiete haben. Durch diese Verstreuung sprechen sie viele Sprachen und bezeichnen sich je nach Region unterschiedlich. In Nord-Kivu in der 429 Vgl. Harper, Douglas (2001). Online Etymolgy Dictionary, http://www.etymonline.com/index.php?l=p&p=38. Vgl. Lewis, Jerome (2000). The Batwa Pygmies of the Great Lakes Region. Minority Group International Report, S.5. 430 167 DRC nennen sie sich wechselweise Batwa oder Bambuti, wobei sich jedoch alle verschiedenen Gruppen zur Herkunft als Batwa bekennen und sich auch so größtenteils selbst so bezeichnen. Wie sensibel das Thema „Bezeichnung der Pygmäen“ ist, zeigt auch die Tatsache, dass der Name Batwa eine ebenso ambivalente Bedeutung hat wie das Wort Pygmäen. Lediglich der Ton der Stimme, mit der man das Wort ausspricht, gibt Auskunft darüber, ob man es als Beleidigung meint oder Respekt bezeugt. Manche der Batwa, die in Burundi leben und sich selbst als weiterentwickelt sehen, fühlen sich persönlich angegriffen, wenn sie als Batwa bezeichnet werden. Sie bevorzugen Abaterambere (Menschen die sich weiterentwickeln) benannt zu werden.431 Das Wort –twa ist in den Bantu-Sprachen – zu diesen zählen auch die Sprachen der Pygmäen – eine Bezeichnung für Jäger und Sammler und frühere Jäger- und Sammler-Völker, die als Ureinwohner der Region gelten. Die Vorsilbe Ba-432 bedeutet Menschen und ist die Form des Plural. Die Vorsilbe Mu- ist die Form des Singulars, somit ist ein Mutwa eine Person des Stammes der Batwa.433 7.4. Allgemeine Übersicht über die Völker und ihre Siedlungsgebiete Die Anzahl der Pygmäen wird auf zwischen 150.000434 und 500.000435, teilweise 900.000436 Menschen geschätzt. Die Zahl lässt sich schwer definieren, weil eine Erfassung durch die Zerstreuung der Stämme und den geringen Wissenstand sehr schwer ist. Die Besonderheit, die die Pygmäen auszeichnet, ist ihre Körpergröße, die das Maß von 1.50m selten überschreitet. Die durchschnittliche männliche Größe der Pygmäen – der Bambuti der DRC – liegt bei 1.44m, die verglichen mit der Durchschnittsgröße in der DRC, die bei 1.70m liegt, sehr gering ist.437 Die geringe Körpergröße ist zunächst in der ersten Wachstumsphase nicht festzustellen. Bis zur Pubertät verläuft das Wachstum genauso wie bei normalwüchsigen Menschen. Ab diesem Zeitpunkt 431 Vgl. Lewis, S.5. Vgl. Mazzucato. 433 Vgl. Lewis, S.5. 434 Vgl. BBC Online. In Pictures: The Pygmies-Struggle, http://news.bbc.co.uk/2/shared/spl/hi/picture_gallery/05/africa_pygmies0_struggle/html/2.stm. 435 Vgl. lmm/re/kr/he (2007). Central Africa: HIV/AIDS a threat to the indigenous forest communities, IRIN, 15.Mai 2007, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=72155. 436 Laut dem Minister für soziale Angelegenheiten gibt es in der DRC 900.000 Pygmäen, in: IRIN, S.23. 437 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 432 168 wird von den Körpern der meisten Pygmäenvölker weniger Wachstumsfaktor IGF438 produziert, wodurch sie nur geringere Größen erreichen.439 Bis auf dieses Merkmal gibt es allerdings keinen genetischen Unterschied zu den restlichen afrikanischen Stämmen und Völkern. Ebenso gibt es kulturell und sprachlich keine spezifischen Eigenschaften der Pygmäen respektive keine eigene Sprachenfamilie der Pygmäenvölker. Die Sprachen gleichen sehr oft denen der nahe gelegenen Bantudörfern, in deren Nähe die Pygmäen siedeln bzw. mit deren Gesellschaft sie leben.440 Es gibt viele verschiedene Völker, wobei sich die Unterscheidung der Gruppen manchmal sehr schwierig gestaltet, weil die Stämme teilweise verwandt sind. Aus diesem Grund lässt sich schwer feststellen, wie viele verschiedene Völker es gibt und welche davon nur eine Untergruppe eines anderen Volkes darstellen. Die Pygmäen verteilen sich auf insgesamt neun Staaten im zentralafrikanischen bzw. äquatorialen Afrika. Es gibt Siedlungen in Ruanda, Burundi, Uganda, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, Kamerun, Äquatorial Guinea, Gabun und Kongo-Brazzaville.441 Die wichtigsten Völker sind: • Die Bambuti: Sie unterscheiden sich in drei Gruppen. Aka, die im Norden der DRC und in Teilen der Zentralafrikanischen Republik leben und mit Speeren jagen. Ihre Sprache heißt Mangbetu. Efe, die im Osten der DRC leben, mit Hilfe von Pfeil und Bogen jagen und deren Sprache Lese ist. Schließlich noch die Sua, die hauptsächlich Fischer sind, Bira sprechen und im Süden des Landes leben. • Der Fluss Ubangui teilt den afrikanischen Regenwald in Ost- und Westseite. Westlich des Flusses lebt ein Pygmäenvolk, dass sich selbst Binga nennt. Auf der östlichen Seite leben die Batwa. Siedlungen der Batwa finden sich neben dem Osten der DRC auch in Ruanda, Uganda und Burundi. • Die Baka, die ungefähr 40.000 Menschen umfassen und Halbnomaden sind, leben im Süden und Süd-Osten von Kamerun. Sie sind Jäger und Sammler. 438 Insulin-like growing factor. (Anm. d. Autors) Vgl. Afrika-Online. Pygmäen, http://afrika-online.com/rkongo/bevoelkerung/pygmaeen/index.html. 440 Vgl. Dembner, S.A., Forest Peoples in the Central African rain forest: focus on the pygmies, Food and Agricultural Organization of the United Nations, http://www.fao.org/docrep/w1033e/w1033e03.htm. 441 Vgl. Dembner. 439 169 • Im Süden Kameruns leben auch ungefähr 3.700 Pygmäen, die den Bakoga – Bagyeli angehören. • In Zentral-Kamerun lebt eine kleine Gruppe Pygmäen, die sich Medzan nennen. Ihre Zahl beträgt weniger als 1.000 Menschen. • Die Bangombe und Bambinga leben in Gabun.442 Dies ist nur eine geringe Auswahl der verschiedenen Stämme, die in Zentralafrika leben. Es gibt noch kleinere, die regional verteilt sind. Alle diese Gruppen unterscheiden sich nicht nur durch ihre Siedlungsgebiete, sondern haben unterschiedliche Sprachen, Bräuche und Technologien. Ebenso gibt es Gruppen, die sich unterschiedlich weit in die Gesellschaft integriert haben und teilweise assimiliert sind.443 Der Lebensraum der Pygmäen ist beinahe ausschließlich der tropische Regenwald im zentralen Afrika, weshalb sie auch oftmals als „forest people“ bezeichnet. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von Regenwald, der von den Pygmäen bewohnt wird. Den Primären Wald, der sich grundsätzlich durch hohe Bäume (30-50m), die durch ihre dichten Kronen kaum Sonnenstrahlen durchlassen, kennzeichnet. Die Temperaturen liegen zwischen 25° und 32° Celsius tagsüber und 15° und 20° Celsius während der Nacht. Es herrscht extrem hohe Luftfeuchtigkeit, die zwischen 77 und 99 Prozent liegt. Der sekundäre Wald bezeichnet Gebiete, die auf Flächen entstanden, die gerodet wurden und als Landwirtschaftsflächen verwendet und wieder aufgegeben wurden. Die Vegetation unterscheidet sich zum primären Wald durch ein wesentlich dichteres Unterholz, das durch Rodungen entstand. Unter den Bäumen, die teilweise hunderte Jahre alt sind, gibt sehr viele Edelholzbäume wie z.B. Mahagoni oder Teak, die sich gut zur Herstellung von Möbeln eignen. Zudem gibt es eine Vielfalt an Tieren, die diesen Lebensraum nutzen und ideale Lebensbedingungen vorfinden.444 Die Entstehung bzw. Gründung von Nationalparks hatte für die Pygmäen in der DRC zur Folge, dass die Pygmäen der DRC jetzt größtenteils die Gegend um den KivuSee bewohnen. Die Pygmäen wurden von dem Land, das bereits ihre Vorfahren schon seit Generationen bewohnten, vertrieben.445 442 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). Vgl. Dembner. 444 Vgl. Mazzucato. 445 Vgl. Muis, Ruud. Kivu/Virunga, in: Pygmeen Kleinood, http://www.pygmee.nl/pygmy_kivu.html. 443 170 Derzeit gibt es sechs Nationalparks in der DRC, die als Weltkulturerbe der UNESCO angesehen werden. Der Erste war der Virunga Nationalpark, der 1979 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Dem folgten 1980 der Garamba und Kahuzi-Biega Nationalpark und 1984 der Salonga Nationalpark. Schließlich wurde 1996 auch noch das Okapi Wildlife Reserve zum Weltkulturerbe erklärt. Mit Ausnahme des Salonga Nationalparks, der im Westen des Landes liegt, befinden sich alle anderen Orte im Ituri-Urwald im Osten des Landes.446 Diese Nationalparks hatten wesentlichen Einfluss auf die Umsiedelung der Pygmäen. 7.5. Ausgewählte Völker und ihre Lebensweise Im folgenden Kapitel wird die Lebensweise der Pygmäen in der DRC dargestellt. Diese Formen des sozialen Lebens und des Jagdverhaltens werden anhand der beiden Völker Batwa und Bambuti dargestellt. Während die Batwa neben der DRC auch in Uganda, Ruanda und Burundi Siedlungen haben, sind die Bambuti bzw. die Stämme, denen die Bambuti angehören, ausschließlich in der DRC beheimatet. Da sich deren Lebensweise nicht sehr extrem von der der restlichen Stämme unterscheidet, wird auch hier der Begriff Pygmäen verwendet. 7.5.1. Die Batwa Die Batwa sind wahrscheinlich die größte Gruppe der Pygmäen und werden zwischen 70.000 und 90.000 Menschen geschätzt. Die Population der gesamten Pygmäen ist schwer festzustellen, weil die Dörfer auf einer cirka 100.000 km² großen Fläche weit verteilt sind. Die Batwa machen in den Ländern, die sie besiedeln nur etwa zwischen 0.02 und 0.7 Prozent der Bevölkerung aus und haben kein politisches Gewicht – welcher Art auch immer. In den vergangenen Jahrhunderten hatten die Batwa teilweise einen sehr hohen Stellenwert in ihren Siedlungsregionen. Sie wurden auch als die Eigentümer der Wälder angesehen. Sie lebten traditionell von der Jagd, Honig sammeln und anderen Produkten aus den Wäldern. Diese tauschten sie gegen andere notwendige Dinge aus den Dörfern. Die Batwa-Frauen sammelten Früchte und Gemüse und arbeiteten 446 Vgl. United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation. About World Heritage, Democratic Republic of Congo, aktualisiert am 31.August 2007, http://whc.unesco.org/en/statesparties/cd. 171 für die Bauern. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts hatten einige Chiefs der Batwa einen so hohen Status, dass sie sogar Abgaben von ihren Nachbarn fordern konnten. Doch etwa zu diesem Zeitpunkt begann sich die Situation zu ändern. Durch die Abholzungen des Regenwaldes verloren die Batwa ihre Unabhängigkeit.447 Die Batwa sehen sich selbst als kolonialisiert. Zuerst wurden sie von Bauern, später von Viehzüchtern und schließlich von Europäern unterdrückt. Das größte Problem der Batwa war das Verschwinden ihres Lebensraums, des Regenwaldes durch Abholzung, und die Unfähigkeit, sich gegen Invasoren erfolgreich zur Wehr zu setzen. Der Wald wurde in Farm- und Weideland umgewandelt und später für Game Parks448 und Militärzwecke verwendet. Die Dekolonisation ist nach wie vor eines der wichtigsten Themen für die Pygmäen, auch nachdem die Europäer das Land bereits verlassen haben.449 Durch die Abholzung und das Verschwinden ihres Lebensraumes, durch Desinteresse an langfristigen Strategien entschieden sich die Batwa für die „QuickReturn“ – Methoden, durch sie die Ernte unmittelbar wieder verbrauchten. Sie waren auch gezwungen, ihre Berufe an die neue Situation anzupassen und verdingen sich unter anderem als Töpfer, Schmiede, Kesselflicker oder Sänger.450 Die Batwa der DRC sind gegenüber ihren Stammesmitgliedern in den östlichen Ländern in einer etwas besseren Situation bezüglich ihres Lebensraumes, denn in der DRC gab es historisch weniger Abholzung als in den anderen Ländern, da kaum Viehzucht praktiziert wurde. Allerdings beginnt sich die Situation auch in der DRC sukzessive zu verschlechtern, da auch hier der Regenwald in zunehmendem Maße abgeholzt wird bzw. Game Parks und Reservate gebildet werden. Neben den wirtschaftlichen Problemen, die entstanden, nachdem es den Batwa verboten wurde, ihre traditionellen Lebens- und Arbeitsweisen auszuüben, besteht eine extreme Diskriminierung gegenüber den Batwa. Die restliche Bevölkerung vermeidet es, mit den Batwa gemeinsam zu essen oder zu trinken, verweigert ihnen den Zutritt in ihre Häuser und würde sie nie als Ehe- oder Sexualpartner annehmen. Grund dafür sind die Stereotypen, mit denen die Batwa zu kämpfen haben. Sie 447 Vgl. Survival International (2007). Survival. The Movement for Tribal People. Discrimination and the „Pygmy“, http://www.survival-international.org/material/20. 448 Game Parks sind Orte für Touristen und Einheimische in denen sie die Möglichkeit haben, wilde Tiere aus der Nähe zu beobachten und durch Rundfahrten in Geländewagen möglichst nah an dieser heranzukommen. Die Tiere werden dabei meist in ihrer natürlichen Umgebung gehalten und es wird nicht in die Nahrungskette eingegriffen. 449 Vgl. Lewis, S.5. 450 Vgl. Lewis, S.5. 172 werden als unzivilisiert und ungepflegt angesehen und aufgrund ihrer Lebensweise als unterentwickelt gehandelt.451 Die Batwa haben, wie auch der Rest der Bevölkerung der DRC, sehr stark unter dem Krieg gelitten bzw. leiden nach wie vor darunter. Im Gegensatz zum Rest der Bevölkerung haben die Pygmäen keine Reserven. Aufgrund ihrer Lebensweise haben sie keine Nahrungsmittel oder sonstige Ressourcen in Vorrat, wodurch sie sich eventuell über Krisenzeiten hinweg retten können. Aufgrund ihrer Lebensweise sind sie auch sehr leicht angreifbar für jegliche Kriegspartei. Manchmal wurde sogar versucht, sie in den Krieg mit einzubeziehen, indem man sie zwang Waffen zu tragen und zu verwenden. Ihre gesamte Situation, die Armut und der mangelnde politische Schutz, erleichterte die mögliche Manipulation und Ausnutzung der Batwa durch andere Gruppen erheblich. Trotz der großen Schwierigkeiten ist es 1991 einigen Batwa in der DRC und Ruanda gelungen, eine Organisation zu gründen, die sich für die Rechte der Batwa einsetzt. Die Gründung dieser Organisationen hatte zur Folge, dass auch Batwa in anderen Ländern begannen, sich zu organisieren, bis sich schließlich auch international eine unterstützende Gruppe für die Batwa einsetzt. Ebenso gibt es Gruppen, die gewährleisten, dass die Kommunikation zwischen den Gruppen effektiv funktioniert. Diese ersten Entwicklungen leiteten einen Prozess ein, in dem sich die Batwa auch international dafür einsetzen können, dass ihre Rechte geschützt werden und sie auch gleichzeitig mit Organisationen zusammenarbeiten, die Minderheitenrechte und Rechte für Indigene Völker als zentrales Thema ihrer Projekte haben.452 Die Batwa zeichnet auch aus, dass sie eine sehr enge Gemeinschaft haben. Sie ehren ihre Traditionen und Vorfahren. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, sind sich jedoch bewusst, dass sie eine wichtige ethnische Gruppe der Region sind. Sie haben einen sehr engen Zusammenhalt und rücken die Tatsache in den Vordergrund, dass sie alle zu einem Stamm gehören, wodurch sie eine starke Gemeinschaft bilden, obwohl sie in weiten Teilen des Landes verteilt sind.453 451 Vgl. Lewis, S.5. Vgl. Lewis, S.6. 453 Vgl. Lewis, S.6. 452 173 7.5.2. Die Bambuti Die Bambuti leben ausschließlich in der DRC und bewohnen den Ituri-Regenwald, der cirka 59.000 km² an Fläche umfasst. Sie unterteilen sich in drei Gruppen, die Efe, die Aka und die Sua, die alle jeweils andere Sprachen sprechen und in anderen Regionen siedeln.454 Die Intonation der Worte macht es den Bambuti der unterschiedlichen Stämme jedoch möglich, sich gegenseitig zu erkennen bzw. sich teilweise sogar zu verständigen.455 Die Population der Bambuti wird zwischen 30.000 und 40.000456 geschätzt, und sie leben traditionell als Jäger und Sammler. Da sie, wie wissenschaftlich belegt ist, der älteste Stamm der Pygmäen sind, war es ein Mitglied der Mbuti, das in den historischen Schriften Ägyptens Erwähnung fand. Nach diesen Erwähnungen fanden sich auch in Werken Homers und Aristoteles Erwähnungen über die Bambuti; allerdings waren sie in diesen Wesen eher mythische Personen als reale Menschen. Im Laufe der Jahre baute sich ein Mythos um die Bambuti auf, der darauf basierte, dass man so gut wie kein Wissen über die Pygmäen besaß. Man stellte sie als Monster dar, die durch die hohen Baumkronen des Ituri-Regenwaldes schwebten. Erst durch die Erforschung des afrikanischen Kontinents im 19.Jahrhundert konnten diese Mythen korrigiert werden. Durch die Kolonisierung des Kongo veränderte sich die Situation für die Bambuti im Ituri extrem. Viele Bauern der Bantu-Völker waren durch die Kolonialisten gezwungen, ihre Ländereien zu verlassen und an den Rand des Ituri-Regenwaldes zu siedeln. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine Art Zweckgemeinschaft zwischen den Bambuti und den Bantu. Die Bantu sahen die Pygmäen zwar als minderwertige Heiden aus dem Urwald an, fanden aber einen Nutzen darin, mit den Pygmäen Handel zu treiben. Grund dafür war, dass die Bantu Angst hatten, im Urwald zu jagen und nur durch Pygmäen ihre Fleischversorgung sichern konnten. Im Gegenzug waren die Mbuti ebenfalls abhängig vom Handel, da sie ihre Dörfer mit Dingen versorgen mussten, die auf den Feldern der Bantu wuchsen. Aus Sicht der Bambuti bestanden keine Verpflichtungen gegenüber den Bantu, und sie gingen nur auf den 454 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). Vgl. Martin, Marlene M.. Society – Pygmies – Mbuti, http://lucy.ukc.ac.uk/EthnoAtlas/Hmar/Cult_dir/Culture.7865. 456 Diese Schätzung stammt aus dem Jahr 1968. Die aktuelle Zahl ist nicht erfasst. Eine Schätzung aus dem Jahr 1993 geht von einer Zahl um die 16.000 Menschen aus. (Anm. d. Autors) 455 174 Handel ein, wenn sie ihre Forderungen erfüllt sahen. Nachdem ihre Bedürfnisse befriedigt waren, zogen sie sich wieder in den Regenwald zurück.457 Die Situation wurde allerdings für die Bambuti schwieriger, da sie durch die Abholzung des Regenwalds und die verschiedenen Kriegen von ihrem Lebensraum zusehends vertrieben wurden. Die Bambuti mussten in die gleichen Gebiete ziehen, die die Bantu bewohnten. Diese nutzten die Situation und ihre technische Überlegenheit aus und begannen, die Pygmäen sukzessive für sich arbeiten zu lassen.458 Manche Organisationen sprechen von Ausbeutung und Unterdrückung.459 Die Basua, einer der drei Stämme, die zu den Bambuti zählen, leben von der Fischerei. Durch die Gründung von Nationalparks wurden sie von den für sie lebensnotwendigen Flüssen abgeschnitten. Sie mussten von den Nationalparks die Erlaubnis einholen, in den Gebieten weiter fischen, Holz und Kräuter sammeln zu dürfen. Jagen war generell verboten. Die Basua waren zwischen den 60iger und 80iger Jahren zu einer Touristenattraktion geworden, was auch die Haupteinnahmequelle ihres Lebens wurde, allerdings blieben zu Beginn der 90iger Jahre aufgrund der Kriegswirren die Touristen zunehmend aus.460 Obwohl die Bambuti politisch kein Gewicht bzw. keine politischen Rechte in ihrem Land haben, beteiligen sie sich auch an den Zusammenschlüssen und NGOs, die sich mit den Rechten der Pygmäen auseinandersetzen. Sie haben, ebenso wie alle anderen Pygmäenstämme, einen sehr starken Bezug zu ihrer Herkunft. Vielleicht ist dies bei den Mbuti noch tiefer verankert, als bei anderen Stämmen, da sie als Ältestes der Pygmäen-Völker angesehen werden. 7.5.3. Unterschiede zwischen den Pygmäenstämmen Die hier beschriebene traditionelle Lebensweise sowie die Bräuche und Werte werden heute hauptsächlich von den Pygmäen in der DRC praktiziert. Sie stellt zwar auch die Basis für die anderen Stämme dar, aber es gibt auch Unterschiede zwischen den Pygmäenstämmen in den unterschiedlichen Bereichen. Primär unterscheiden sich die Sprachen der einzelnen Stämme, wobei es regional durchaus Gemeinsamkeiten gibt bzw. eine Verständigung möglich ist. Während 457 Vgl. The Mbuti of ZAIRE, http://www.ucc.uconn.edu/~epsadm03/mbuti.html. Vgl. Muis, Ruud. Pygmies, in: Pygmeen Kleinood, http://www.pygmee.nl/pygmy_algemeen2.html. 459 Vgl. Mazzucato. 460 Vgl. Survival International (2007). 458 175 manche Stämme ähnliche oder die gleichen Sprachen sprechen, wie ihre benachbarten ethnischen Gruppen, sprechen andere Teile der Pygmäen unterschiedliche Sprachen und Dialekte. Auch bei Ritualen gibt es Unterschiede. So praktizieren manche Stämme, wie beschrieben, den Brauttausch, wogegen andere auf eine Mitgift bestehen. Bei der Jagd, die auch eine Art Ritus darstellt, gibt es ebenso verschiedene Methoden, die praktiziert werden. So verwenden die Mbuti hautsächlich Netze und es ist das gesamte Dorf miteinbezogen. Andere Stämme jagen ausschließlich mit Pfeil und Bogen oder mit Speeren. Die beeinflusst auch die Dauer der Jagd erheblich, denn während die Netzjagd nur einen Tag dauert, kann die Jagd mit Pfeil und Bogen oder Speeren mehrere Tage dauern. Weitere Unterschiede sind noch in der Ernährung, dem Familienleben, der Erziehung und dem Kontakt mit dem Rest der Bevölkerung zu beobachten. Beim Vergleich der Stämme ist auch zu beobachten, dass sich die Lebensweise von weit entfernten Stämmen oft mehr ähnelt als die von regional näheren.461 7.5.4. Traditionelle soziale Struktur und Organisation eines Pygmäenstammes Die Pygmäen sind zu einem großen Teil noch nomadische Völker und folgen, obwohl es in manchen ihrer derzeitigen Lebensräume nicht mehr möglich ist, nach wie vor den Traditionen des Jagens und Sammeln. Allerdings waren sie gezwungen, ihre Lebensweise den Entwicklungen anzupassen und leben nicht mehr ausschließlich bzw. teilweise überhaupt nicht mehr vom Jagen und Sammeln. Diese Veränderungen hatten auch teilweise Auswirkungen auf die ihre sozialen Strukturen und Organisationen. Größtenteils leben die Pygmäen zwar noch als Nomaden, aber in zunehmender Zahl werden sie zu Halbnomaden.462 Die Pygmäen leben in zwei Arten von Dörfern bzw. Lagern. Ein Dorf ist meist in der Nähe eines Bantu-Dorfes, da es den Handel und den Austausch der Güter erleichtert. Das Jagdlager befindet sich etwa bis zu einer Stunde vom Dorf entfernt, da dies zu Jagdzwecken weiter im Inneren des Regenwaldes liegt. Es besteht meist aus Hütten, die aus Zweigen und Ästen gebildet sind.463 461 Vgl. Hewlett, Barry S. Cultural http://www.vancouver.wsu.edu/fac/hewlett/cultdiv.html. 462 Vgl. Lewis, S.8. 463 Vgl. Mazzucato. Diversity among African Pygmies, 176 Eine Dorfgemeinschaft besteht aus ungefähr 60 bis 80 Menschen. Diese bestehen zu meist nicht mehr als zehn verschiedenen Familien, die jeweils eine der 15 bis 20 Hütten bewohnen. gesellschaftlichen Diejenigen Zweck und Hütten, werden die unbewohnt von allen sind, dienen dem genutzt, wie etwa geschlechterspezifische Erziehung. Weiters gibt es eine Gemeinschaftshütte, die für gemeinsame Veranstaltungen sowie Schule verwendet wird. In manchen Dörfern gibt es auch eine Hütte für durchreisende Gäste. Alle Hütten des Lagers sind im Kreis aufgebaut. In der Mitte des Dorfes bzw. Lagers befindet sich Platz, die hauptsächlich als Tanzfläche dient.464 Die Hütten in den Dörfern haben eine rechteckige Form und sind 5-6m lang, 3-4m breit und ungefähr 2-2.5m hoch. Diese werden innerhalb eines Tages von den Familien gebildet werden. In den Hütten gibt es keine Einrichtungsgegenstände und die Betten bestehen aus ein bis zwei Bananenblättern, die in der Nähe der Feuerstelle aufgestellt sind, die in der Mitte der Hütte liegt. Die Familienmitglieder schlafen nackt oder leicht bekleidet in der Nähe der Glut, und ihre Kleidung ist an Lianen aufgehängt, die zwischen den Pfählen gespannt werden. Die Töpfe und Pfannen werden in der Ecke abgestellt oder befinden sich draußen, wo auch ständig gekocht wird. Der Rauch des Feuers hält die Moskitos fern. 465 Die Jagdlager der Pygmäen sind ähnlich aufgebaut, wie ihre Dörfer. Die Hütten sind ebenso kreisförmig angeordnet haben aber mit 3-4m Durchmesser und 1.5-2m Höhe eine geringere Größe. Zum Bau dieser Hütten wird nicht so starkes Material verwendet. Großer Wert wird auf die Stabilität des Daches gelegt, da es zu sehr schweren Regenfällen kommen kann. Diese Niederschläge dauern selten mehr als zwei Stunden an und werden von den Pygmäen als ideale Duschmöglichkeiten angesehen. Die Eingänge der Hütten sind in die Dorfmitte gerichtet, können allerdings im Konfliktfall auf die Rückseite der Hütte verlegt werden. Erst nach der Konfliktbeilegung wird der Eingang wieder nach vorne verlegt. Die Hütten, die hauptsächlich als Nachtlager zu Erholung von der Jagd dienen, sind ungefähr ein bis zwei Monate bewohnbar.466 Der Bau eines Hauses ist grundsätzlich die Aufgabe der Frau, obwohl zwischen den Geschlechtern Gleichberechtigung herrscht. Die Männer, die sich am Hüttenbau beteiligen, üben nur bestimmte Tätigkeiten aus. Die Frauen suchen den Platz aus, auf dem die Hütte gebaut wird und die Männer können sich an der Findung sowie 464 Vgl. Mazzucato. Vgl. Mazzucato. 466 Vgl. Mazzucato. 465 177 dem Bau der Hütte beteiligen, dürfen jedoch, nach der Tradition der Pygmäen den Frauen ihre Ansichten nicht aufzwingen. Männer sind auch für die schwereren körperlichen Arbeiten während des Hausbaus verantwortlich. Die Aufgaben sind klar verteilt und dürfen nicht unfreiwillig geändert werden.467 7.6. Verständnis von Macht, Herrschaft und Demokratie 7.6.1. Hierarchische Strukturen Die Pygmäen kennen keine Hierarchie im weit verbreiteten Verständnis. Es gibt in einem Dorf bzw. einer Gemeinschaft keinen Anführer, Häuptling oder sonstigen Obersten. Neben der Gleichheit der Geschlechter herrscht auch Gleichheit zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen. Jede/r wird als wichtiger Teil der Gemeinschaft angesehen, der unverzichtbar ist. Aus diesem Grund werden die Entscheidungen in einer Pygmäengesellschaft auch gemeinsam – dabei sind auch die Kinder miteinbezogen – und durch einen Konsens getroffen. Es gibt keinen anderen Weg, zu einer Entscheidung zu kommen. Es gibt Familienoberhäupter, die allerdings nur eine moralische Funktion haben, jedoch ebenso wie jeder Andere im Dorf keine Entscheidungskompetenz. Im Dorf gibt es auch ein Oberhaupt, das sich durch ihre Lebensweisheit auszeichnet. Allerdings hat auch dieses Mitglied nur eine moralische Vorbildfunktion, da es hoch geschätzt und seine Lebensweise als richtungweisend angesehen wird. Auch dieses „Oberhaupt“ hat nur eine Beraterfunktion, da – wie schon erwähnt – die Entscheidungskompetenz und somit die Macht bei der Gemeinschaft liegt.468 Die Führungspositionen, die es in eingeschränktem Maße gibt, hängen auch von den jeweiligen Situationen ab, in der Entscheidungen zu treffen sind. Die Gemeinschaften akzeptieren dann Mitglieder, die eine große Erfahrung in dem zu diskutierenden Bereich haben, als Autorität in diesem Zusammenhang. Dabei können diese Personen auch spezielle und teilweise repräsentative Aufgaben erfüllen, wie etwa bei Ritualen, Feiern oder als Medium zur Außenwelt. Wenn jedoch diese Spezialisten ihre Kompetenzen überschreiten und zuviel Macht oder Kontrolle ausüben wollen, kann es zu erheblichem Widerstand in der Gemeinschaft kommen, der in einem 467 468 Vgl. Mazzucato. Vgl. Mazzucato. 178 Ausschluss gipfeln kann. Die mangelnde Unterstützung kann zu einem Problem werden, wenn es um gemeinsame politische Repräsentation der Pygmäen geht. Vielfach wird das System der Pygmäen auch zu einem Problem, wenn es darum geht, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Delegationen wollen oft mit einem einzelnen Verantwortlichen oder einer Führungsgruppe kommunizieren, was sich bei den Pygmäen oft sehr schwierig gestaltet. Allerdings sind die Pygmäen, auch wenn sie ihre eigenen Werte sehr hoch halten, daran interessiert mit der Umwelt zu interagieren. Sie sprechen viele Bantu-Sprachen, um den für sie notwendigen Handel treiben zu können.469 7.7.Institutionalismus 7.7.1. Konfliktlösungsmechanismen Die Pygmäen haben keine regulierten Mechanismen, um Konflikte beizulegen bzw. zu schlichten. Allerdings gibt es eine Art Gericht, das aus der gesamten Gemeinschaft besteht. Wenn es ernstere Streitfälle gibt, treten alle Dorfbewohner zusammen und Jeder, auch die Kinder, kann seine Meinung abgeben. Anschließend wird von allen gemeinsam unter der moralischen Leitung der Vorsitzenden in dieser Situation ein Urteil gefällt. Das Urteil soll dazu dienen, den Streit beizulegen, wird aber unter dem Konsensprinzip gefällt. Zwar hat der Geschädigte das Recht auf eine Entschädigung, allerdings muss er zum Versöhnungsessen, das traditionell veranstaltet wird, das Essen beisteuern. Diese Form des Gerichts kommt selten vor und wird nur dann eingesetzt, wenn es entweder ernste Fälle zu verhandeln gibt, oder die Probleme auf andere Weise nicht gelöst werden konnten.470 Die Pygmäen sind an einer schnellst möglichen Konfliktlösung interessiert, da sie eine sehr harmonische Gesellschaft sind und von ihrem Zusammenhalt leben. Meistens wird erfolgt eine Streitbeilegung durch Humor und Spaß. Dabei gibt es einen Verantwortlichen im Dorf, der sich als Clown dafür verantwortlich sieht, den Streit zu schlichten. Er versucht dies durch Scherze oder Mimik, die beide Streitparteien von dem eigentlichen Thema ablenken und die Aufmerksamkeit auf ihn richten soll. Er versucht dann durch Späße die Situation zu entschärfen. Colin Turnbull, ein Anthropologe, der lange Zeit seines Lebens mit den Pygmäen lebte, 469 470 Vgl. Lewis, S.8. Vgl. Mazzucato. 179 zählte innerhalb eines Jahres 142 Dispute in einen Pygmäendorf. Der Großteil der Auseinandersetzungen handelte sich um Essen, sexuelle Probleme, Beziehungen zu Bantu, Diebstahl und Territorium. Die meisten davon lösten sich allerdings sehr schnell und wurden von den Beteiligten oft ad acta gelegt, bevor sie eskalierten. Die Pygmäen versuchen auch, Konflikte bzw. Krieg mit anderen Stämmen zu vermeiden.471 7.8. Soziale Beziehungen und Interaktionen in einem Pygmäendorf 7.8.1. Gesellschaftsstruktur und Sozialisierung innerhalb eines Dorfes Die Struktur eines Dorfes, der größten zusammen lebenden Gemeinschaft in einem Pygmäenstamm, besteht aus ungefähr 10 bis 15472 Familien, und höchstens 80 Personen. Jede Familie besteht aus durchschnittlich sechs Personen, den beiden Eltern und ca. vier Kinder. Jede Pygmäenfrau bringt im Laufe ihres Lebens sieben bis acht Kinder zur Welt. Allerdings werden aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen und der hohen Kindersterblichkeit durchschnittlich nur vier bis fünf erwachsen.473 Die Erblinie wird in der männlichen Linie zurückverfolgt bis zu einem gemeinsamen männlichen Vorfahren.474 Die gesamte Gesellschaftsstruktur der Pygmäen basiert auf der Familie. Primär auf der Kernfamilie (Vater, Mutter, Kinder) und sekundär auf der erweiterten Familie (Großeltern, Tanten/Onkel, Cousinen/Cousins). Der erweiterte Kreis der Familie spielt allerdings eine zweitrangige Rolle. Den höchsten Stellenwert in einer Pygmäengesellschaft hat das Individuum. Zur guten und sicheren Entwicklung dieses Individuums ist die Kernfamilie verantwortlich. Zum Wohl der Kernfamilie trägt wiederum der erweiterte Kreis der Familie bei. Im Vergleich dazu sind bei den Bantu die Familie und der Clan wichtiger als das Individuum. Der Clan spielt bei den Pygmäen so gut wie keine Rolle.475 471 Vgl. Peaceful Societies (2007). Peaceful Societies. Alternatives to Violence and War. Encyclopaedia of Selected Peaceful Societies, Mbuti, http://www.peacefulsocieties.org/Society/Mbuti.html. 472 Im Normalfall gibt es in einem Dorf nicht mehr als 20 Familien. Durch die extrem veränderten Lebenssituationen gibt es mittlerweile Pygmäen-Dörfer, die auch 50 Familien beherbergen. Allerdings sind das keine Dörfer, die vom Jagen und Sammeln leben, da dies mit so einer großen Anzahl Menschen nicht möglich wäre. (Anm. d. Autors) 473 Vgl. Mazzucato. 474 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures, http://www.everyculture.com/wc/Brazil-to-Congo-Republic-of/Efe-andMbuti.html. 475 Vgl. Mazzucato. 180 7.8.2. Familienleben Obwohl Clans und Gruppen keine wichtige Rolle in der Gemeinschaft der Pygmäen spielten, ist diese sehr stark auf Teilung von Ressourcen ausgelegt. Es besteht ein sehr intensives Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb einer Gruppe, was sich unter anderem in gegenseitiger Unterstützung manifestiert. Es ist moralisch verpflichtend sich gegenseitig zu helfen, wenn ein anderes Mitglied der Gruppe bzw. des Dorfes in Not ist. Dafür ist auch keine Gegenleistung bzw. Zurückzahlung zu verlangen. Wenn notwendig, können die anderen Gruppenmitglieder diese Hilfe auch einfordern. Diese Teilung der Ressourcen dient dazu sozialen Ungleichheiten aufzuheben und schafft eine große Ausgeglichenheit im ökonomischen und sozialen Bereich.476 Die Gesellschaft der Pygmäen gilt hinsichtlich der Gleichberechtigung als eine der am weitesten entwickelten der Welt. In einer Pygmäengemeinschaft gelten Mann und Frau als gleichberechtigt. Keiner von beiden hat in einer Familie das Recht, über den anderen zu bestimmen. Entscheidungen müssen in einem Konsens getroffen werden. Sollte dies nicht gelingen, so kann Jeder nach seinem eigenen Gefühl entscheiden, wobei diese Entscheidung dem/der anderen nicht aufgezwungen werden darf.477 Die Aufgaben sind allerdings schon teilweise auf die Geschlechterrollen aufgeteilt. So ist die Jagd zwar gemeinschaftlich organisiert, aber bestimmte Waffen, wie etwa Pfeil und Bogen, sind ausschließlich den Männern vorbehalten. Deshalb müssen die Frauen ebenso wie die Kinder sich mit anderen Waffen ausrüsten, um an der Jagd teilnehmen zu können. Andererseits ist das Bauen der Hütten, ebenso wie die Standortbestimmung für diese, die Aufgabe und das Recht der Frauen. Dabei werden den Männern nur bestimmte Tätigkeiten zugewiesen. Die Kindererziehung ist die Aufgabe beider Elternteile und wird in den ersten Lebensjahren der Kinder auch so ausgeübt. Ab dem fünften Lebensjahr werden Beziehungen zwischen Mutter und Tochter sowie zwischen Vater und Sohn intensiver, da sie ihre Kinder auf die spezifischen Aufgaben und Lebensbereiche vorbereitet werden. Die Erziehung der Kinder dauert von der Geburt bis zur Ehe.478 Zum Zeitpunkt des Einsetzens der Pubertät werden Mädchen und Jungen in getrennte Hütten gebracht und unter der Aufsicht der Erwachsenen gestellt. Dies soll 476 Vgl. Lewis, S.8. Vgl. Mazzucato. 478 Vgl. Mazzucato. 477 181 verhindern, dass es zu vorehelichem und/oder innerfamiliären sexuellen Kontakt zwischen den Geschlechtern kommt.479 Ein Dorf, das ausschließlich aus Verwandten unterschiedlicher Grade besteht, hat einen sehr engen und starken Familienzusammenhalt sowie soziale Verantwortung. Wenn ein Kind verwaist, wird es sofort von Verwandten der Verstorbenen aufgenommen. Alle Kinder des Dorfes rufen alle Männer und Frauen des Dorfes mit Vater und Mutter. Alle, die eine Generation älter sind werden als Großmutter und Großvater angesprochen, und Jeder der gleichen Generation als Bruder bzw. Schwester. Die Alten und Kranken werden in der Gemeinschaft gepflegt und umsorgt, solange sie die Gruppe nicht gefährden. Allerdings muss dieser Entschluss gemeinsam getroffen werden und es gab auch schon Fälle, in denen schwer Verwundete trotzdem in der Gemeinschaft behalten wurden. Neben Verwundeten werden auch behinderte und extrem kranke Menschen von der Dorfgemeinschaft gepflegt.480 7.8.3. Ehe Bei den Pygmäen geht das Werben von der Seite des Mannes aus, der sich nach einem geschlechtsreifen, heiratsfähigen Mädchen umsehen muss. Dabei muss er allerdings die Verwandtschaftsgrade beachten und darf kein Mädchen zur Braut nehmen, das enger als zum fünften Grad mit ihm verwandt ist, wodurch er in Nachbardörfer wandern muss. Wenn er ein Mädchen gefunden und mit ihm eine Vereinbarung getroffen hat, setzt er seine Familie davon in Kenntnis. Daraufhin folgt ein Prozess, in dem sich die Familien in sehr diskreter Art und Weise über einander informieren, um die moralische Integrität der jeweils anderen Familie herauszufinden. Wenn diese zu beiderseitiger Zufriedenheit ist, informiert die Familie des Jungen die Familie der zukünftigen Braut, dass auch sie ein Mädchen hätte, das zu verheiraten wäre. Dies dient dazu, dass es nicht, wie in anderen Gesellschaften eine Brautsteuer gibt, sondern einen Brauttausch. Hintergrund ist, dass die Anzahl der Dorfbewohner konstant bleibt. Sobald sich alle Familien aller Brautleute geeinigt haben, versammeln sich die Mädchen und Jungen aus einem Dorf und ziehen singend und tanzend in das andere Dorf, wo sie bis zur Hochzeit bleiben. Am Tag der Hochzeit 479 480 Vgl. Mazzucato. Vgl. The Great Human Diasporas, http://www.mc.maricopa.edu/dept/d10/asb/anthro2003/lifeways/diasporas/. 182 sind alle Verwandten aller Brautleute anwesend und es kommt zu Austausch der beiden Bräute. Die gesamte Zeremonie und die anschließende Feier dauert einen Tag und eine Nacht..“481 Ehen verlaufen grundsätzlich monogam, weil es weniger Frauen gibt. Scheidungen sind allerdings sehr häufig und werden oft von Frauen eingeleitet. Eine Scheidung kann einfach durch das Packen der Sachen und die Mitnahme der kleinen Kinder vollzogen werden. Die Frau zieht dabei zurück zu ihrer Familie. Wenn unter den mitgenommenen Kindern Jungen sind, dann kehren sie, sobald sie alt genug sind, um zu jagen, zu ihrem Vater zurück.482 Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen respektive die Ehen unterliegen strengen gesellschaftlichen Regeln. 1. Es darf keine Beziehungen zwischen Familienmitgliedern geben, die enger als der fünfte Verwandtschaftsgrad miteinander verwandt sind. 2. Die Anzahl der Kinder für jedes Paar wird auf der Basis der Dorfgemeinschaft errechnet. Kein Dorf darf die Größe von 60-80 Personen überschreiten. Es gibt natürliche Faktoren, die die Zahl der Dorfbewohner immer wieder reduzieren bzw. beschränken. Einerseits ist dies die hohe Kindersterblichkeit, die bei 40 Prozent liegt; anderseits muss ein angemessener Abstand zwischen den Geburten der Kinder eingehalten werden, der bei zwei bis drei Jahren liegt. In der Zwischenzeit müssen die Paare entweder abstinent bleiben, oder sich traditioneller Verhütungsmittel, die die Fruchtbarkeit des Mannes oder der Frau vermindern, bedienen. 3. Die Erziehung ist bis zum ungefähr fünften Lebensjahr die Verantwortung beider Elternteile, anschließend sind die jeweiligen Geschlechter enger verbunden, da die Eltern die Kinder auf ihr Leben vorzubereiten haben. Die Erziehung der Kinder baut auf drei Prinzipien auf: 1. Freiheit. Die Pygmäen legen sehr viel Wert darauf, dass die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen und schränken sie aus dem Grund auch nicht ein. Die Kinder werden nie aus Veranstaltungen von Erwachsenen ausgeschlossen, sei es die Jagd oder diverse traditionelle Feste. Ebenso ist den Eltern wichtig, dass die Kinder den Umgang mit Werkzeugen, Feuer und 481 482 Vgl. Mazzucato. Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. 183 Waffen lernen. Kindern jeglicher Altersstufen ist der Zugang zu Waffen erlaubt bzw. wird teilweise sogar gewünscht. 2. Initiative. Die Kinder werden motiviert, im Laufe ihres Erwachsenwerdens und ihres Lernprozesses immer wieder selbst Initiative zu ergreifen, neue Dinge zu lernen und herauszufinden. Dabei wird vor allem auf Spiele gesetzt. Diese Spiele finden entweder unter den Kindern statt oder zwischen Kindern und Erwachsenen. Die erwachsenen Pygmäen empfinden es keineswegs als Last, mit den Kindern zu spielen, vielmehr sehen sie es als notwendige Aufgabe, um die Kinder entsprechend zu erziehen. Es wird in der Gesellschaft der Pygmäen auch keine Nachahmung der Kinder bzw. keine so genannte Babysprache gebraucht. 3. Verantwortung. Die Kinder der Pygmäen lernen sehr schnell, dass sie den Wald schätzen und seine Gesetze achten müssen. Dabei wird vor allem auf die Gefahren hingewiesen, die im Regenwald lauern könnten. Diese reichen von einem Schlangenbiss bis zu einer giftigen Liane. Die Pygmäen haben einen sehr großen Respekt vor dem Regenwald und sind sich bewusst, dass sie alles vom Wald bekommen, was sie benötigen.483 Die Eltern haben die Aufgabe, ihre Kinder auf das Leben in der Dorfgemeinschaft sowie innerhalb einer Ehe vorzubereiten. Neben den Vorbereitungen der Kinder auf die Jagd und die bestimmten Techniken, die beim Fischfang oder Sammeln diverser Produkte des Waldes essentiell sind, werden die Kinder auch im Bau von Hütten unterrichtet. Dabei werden bereits die Geschlechterrollen aufgebaut, weshalb die Technik nur den Mädchen beigebracht wird. Die Geschlechterrollen an sich sowie das Familienleben stellen einen eigenen Bereich dar, in dem die Eltern ihre Kinder unterrichten. Speziell im Initiationsritus wird dieses Thema fokussiert. Dabei werden die Jungen in den Wald geführt, wo sie alles über die Traditionen und das Wissen über den Stamm erfahren. Interessant hier ist, dass die Zeremonie von einem BantuAngehörigen geleitet wird, wodurch offensichtlich wird, dass dieses Ritual von den Bantu übernommen wurde. Schließlich werden die Kinder noch in Gesang und dem Umgang mit Instrumenten unterrichtet. Diese zählen ebenso wie die Tänze zu den Fähigkeiten, für die die Pygmäen weltbekannt sind und die auch die Basis für ihre Kultur bilden.484 483 484 Vgl. Mazzucato. Vgl. Mazzucato. 184 7.9. Die unterschiedlichen Lebensweisen und Wirtschaft verschiedener Pygmäenstämme Die Gesellschaft der Pygmäen lebt in ihren Traditionen als Jäger und Sammler. Die Situation hat sich durch die teilweise Umsiedelung und die Vertreibung aus ihren Wäldern zunehmend verschlechtert, und ihr Lebensstil ist kaum mehr in der traditionellen Weise umzusetzen. Grundsätzlich kann man die Pygmäen in drei Kategorien einteilen: Jäger und Sammler, Fischer und Handwerker. Es gibt auch vereinzelt Bauern, die zwar an Zahl zunehmen, aber noch zu wenige sind, um eine große Gruppe zu bilden.485 Die Pygmäen sind ein Volk, das über keine Aufbewahrungs- bzw. Konservationstechniken verfügt. Aus diesem Grund jagen, fischen oder sammeln sie nur so viel, wie sie als Dorfgemeinschaft für einen Tag brauchen. Grundsätzlich betreiben die Pygmäen keinen Handel im herkömmlichen Sinn, sondern stellen die meisten Dinge, die sie zum Leben brauchen, selbst her, z.B. Waffen, Jagdutensilien und die meisten Alltagsgegenstände.486 Was sie nicht selbst haben, aber unbedingt brauchen wird durch Tausch mit den Bantu gewonnen. Allerdings gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Bemühungen, dieses System zu unterwandern bzw. zu umgehen. Die Pygmäen wurden auch zu kommerziellen Jagdzwecken missbraucht, da vermehrt Händler ihre Dörfer passierten und Handel mit den Pygmäen trieben. Hintergrund ist der Anstieg an benötigtem Fleisch von den Dörfern am Rande des Regenwalds. Durch die Händler, die das traditionelle System der Handelsbeziehungen zwischen Bauern und Pygmäen umgehen, werden die Pygmäen ebenso Teil des monetären wirtschaftlichen Systems. Zudem werden die Bestände der Wildtiere durch die kommerzielle Jagd gefährdet und das System, von dem die Pygmäen zentral abhängig sind, wird aus dem Gleichgewicht gebracht.487 485 Vgl. Lewis, S.8. Vgl. Mazzucato. 487 Vgl. Dembner. 486 185 7.9.1. Jäger und Sammler Die Pygmäen, die im Wald leben und sich vom Jagen und Sammeln ernähren, nennen sich selbst Impunyu488. Ungefähr 7.000 Impunyu haben keinen direkten Zugang zum Wald, weil ihnen dieser oftmals durch Verwaltungsbehörden verwehrt wird. Viele dieser Pygmäen leben am Rand des Waldes und der landwirtschaftlichen Gebiete und nutzen den Wald nicht mehr wirklich als Lebensraum, sondern nur noch als Lieferant für die lebensnotwendigen Nahrungsmittel. Die Impunyu leben als Halbnomaden, was bedeutet, dass sie zwar mit den Tieren mitwandern, aber auch manchmal längere Zeiträume an einem Ort verweilen, wenn sie genug Produkte für ihren täglichen Bedarf vorfinden. Neben dem Erwerb ihrer täglichen Nahrungsmittel, sind die Impunyu auch schon ein Teil des monetären Handelssystems, da sie Produkte, die sie im Wald finden bzw. Handarbeiten, die sie aus solchen anfertigen neben dem Tausch gegen andere Sachprodukte auch gegen Geld verkaufen. Zudem bieten sie ihre Mitarbeit auf den Feldern gegen Geld an.489 Das Grundprinzip der Pygmäen wäre Unabhängigkeit und kein persönliches Besitztum. Das Prinzip ist, dass jede/r die Dinge, die gejagt bzw. gesammelt wurden, für sich und die Familie verwenden darf. Allerdings gilt – wie schon an anderer Stelle erwähnt – das Prinzip des gegenseitigen Helfens und des Teilens. Die Situation wird jedoch zunehmend erschwert, da von einigen Pygmäengruppen Handel mit Profit betrieben wird, was absolut gegen die traditionellen Grundsätze der Pygmäen verstößt.490 7.9.2. Die Jagd Nachdem bis zum heutigen Tage die Pygmäen größtenteils von der Jagd und vom Sammeln der Produkte des Regenwaldes lebten, haben sie auch bestimmte Methoden, Praktiken und Traditionen dafür. Jeder Clan hat das Recht auf eine Fläche im Regenwald von einer bestimmten Größe. Die Clans dürfen sich zwar frei auf den Flächen anderer Pygmäendörfer bewegen, haben jedoch kein Recht dort zu 488 Diese Bezeichnung wird von den Batwa für ihr Volk verwendet. Von den Batwa leben ca.7000 in den Wäldern. Wie weit diese Bezeichnung auch für die Bambuti zutrifft ist nicht genau festzustellen, allerdings ist der Lebensstil sehr ähnlich und die Umstände für die Jagd bzw. die Methoden die gleichen, wodurch hier generell der Begriff Impunyu verwendet wird. (Anm. d. Autors) 489 Vgl. Lewis, 8f. 490 Vgl. Mazzucato. 186 jagen oder sammeln.491 Allerdings wird das Jagdgebiet vom jeweiligen Stamm nicht als Eigen- oder Besitztum angesehen, sondern als Fläche, die der Gemeinschaft die Existenz sichert. Dem Glauben der Pygmäen nach, kann kein Mensch auch nur ein einziges Stück Natur besitzen. Im Jagdgebiet befinden sich die Jagdlager, die ungefähr eine Stunde Fußmarsch voneinander entfernt sind. Es gibt zwei verschiedene Arten, wie die Pygmäen jagen. Einerseits praktizieren sie die individuelle Jagd und andererseits jagen sie in Gruppen. Bei der Individualjagd ist ein einzelner Jäger mit seinem Hund unterwegs. Diese Hunde spüren kleinere Tiere im Unterholz auf, die dann vom Jäger mit der Lanze oder Pfeil und Bogen erlegt werden. Die erlegte Beute gehört ausschließlich dem Jäger und seiner Familie. Die Gemeinschaftsjagd ist ein Großereignis des Dorfes, woran sich jedes Mitglied beteiligt. Wenn es Säuglinge gibt, dann werden diese auf den Rücken der Mutter gebunden und auch mit auf die Jagd genommen. Zur Gemeinschaftsjagd, die auch zwei bis drei Monate dauern kann, wird das Dorf, das sich in der Regel in der Nähe einer Bantu-Siedlung befindet kollektiv verlassen und die Dorfgemeinschaft zieht für die Dauer in die Jagdlager.492 Die eigentliche Jagd findet dann in dem Gebiet statt, das unmittelbar an das Jagdlager angrenzt, in dem sich die Gemeinschaft gerade befindet. Dieses Gebiet wird für ungefähr zwei Wochen durchkämmt, dann zieht die Gemeinschaft weiter und Jagd in einem anderen Teil ihrer Jagdzone. Gejagt wird mit Pfeil und Bogen, Lanzen, Hunden und Netzen. Dabei werden die Peilspitzen in ein Gift getaucht, um den Tod der getroffenen Tiere zu garantieren.493 Die Gemeinschaftsjagd wird von einem Jagdführer koordiniert, der, wie andernorts erwähnt, eine temporäre und spezifische Führungsposition übernimmt, da er über sehr viel Erfahrung bei der Jagd verfügt. Diese Person kann aber muss nicht die gleiche sein wie das Oberhaupt des Dorfes. Jegliche Aktivitäten werden von ihm bestimmt, organisiert und koordiniert. Jedem Mitglied der Gemeinschaft fallen dabei bestimmte Aufgaben zu. Diese müssen im Zusammenspiel sehr gut funktionieren, um den Erfolg der Jagd zu garantieren. Sobald ein Tier erlegt wurde, wird es in die Höhe gehalten, um den Ahnen und Gott zu danken. Die Beute wird zu gleichen Teilen auf alle aufgeteilt. Einzige Ausnahmen sind der Besitzer des Netzes, der ein 491 Vgl. Lewis, S.9. Vgl. Mazzucato. 493 Vgl. Mazzucato. 492 187 Bein behalten darf, und derjenige, der das Tier getötet hat, der den Hals behalten darf. Am ersten Tag wird in der Regel die ganze Beute verzehrt, um innerhalb der Gemeinschaft die Lust auf Fleisch ein wenig einzudämmen. In den folgenden Tagen wird ein Teil der Beute geräuchert, um sie später am Markt im Bantu-Dorf gegen landwirtschaftliche Güter zu tauschen. Zwar ist das ganze Volk zur Jagdphase unterwegs, allerdings beteiligen sich nicht alle unmittelbar am Beutezug. Meist bleiben die Älteren im Jagdlager und passen auf die Kinder auf, die nicht zur Jagd mitgehen. Grundsätzlich steht es allerdings jedem/r frei, an der Jagd teilzunehmen. Da Pfeil und Bogen ausschließlich Männern vorbehalten sind, müssen sich die Frauen und Kinder, die an der Jagd teilnehmen mit Macheten oder Stöcken bewaffnen.494 7.9.3. Sammler Das Sammeln der Produkte des Waldes ist primär die Aufgabe der Frauen, aber auch Männer und Kinder beteiligen sich manchmal am Sammeln für die tägliche Nahrung. Es werden Pilze, Wurzeln, wilde Früchte ebenso wie Insekten und kleine Tiere gesammelt. Neben den oben angeführten Dingen, sammeln die Pygmäen auch Honig für den Eigengebrauch bzw. Handel in den Bantu-Dörfern. Das Sammeln des Honigs ist stark jahreszeitenabhängig und kann zwischen Juni bis Ende August gesammelt werden. Beim eigentlichen Prozess des Sammelns bedienen sich die Pygmäen einfachen aber effektiven Methoden, die Bienen auszuräuchern, um so an den Honig zu gelangen. Das erste Stück wird in den Wald geworfen, um sich bei den Ahnen zu bedanken. Danach gönnt sich der Sammler selbst ein wenig Honig als Entschädigung für die erlittenen Schmerzen. 7.9.4. Fischer Die Bambuti betreiben den Fischfang eher als Nebenbeschäftigung während es kleine Gruppen der Batwa gibt, die vom Fischfang leben. Diese Gruppen leben in der DRC rund um den Kivu-See sowie anderen Seen und auf kleinen Inseln. Ihre Zahl 494 Vgl. Mazzucato. 188 dürfte zwischen 3.000 und 4.000 Menschen liegen, wobei sie kaum genau zu bestimmen ist. Ihre ganze Ökonomie ist auf die Fischerei ausgerichtet. Sie handeln mit den Bantu Fische gegen landwirtschaftliche Nahrungsmittel oder Geld. Zudem stellen sie Paddel, Kanus, Körbe und Fischfallen her, die sie ebenso verkaufen. Teilweise sind sie auch als Töpfer tätig, leben allerdings nicht hauptberuflich davon. Die Batwa in diesen Gebieten werden jedoch immer wieder daran gehindert in Booten auf den Seen zu fischen, da sie keine Lizenz besitzen.495 Der Fischfang der Mbuti wird, wie die Jagd, individuell oder gemeinschaftlich durchgeführt. Dabei wird nicht zwischen den Geschlechtern und Altergruppen unterschieden, sondern jede/r kann jede Aufgabe erfüllen. Der Ertrag wird auf Alle gleichmäßig aufgeteilt.496 7.9.5. Töpfer Die Pygmäen, die zu dieser Gruppe zählen – größtenteils Batwa – haben ursprünglich keine große Tradition als Töpfer. Ihre Entwicklung wurde sehr stark von den Einwanderern beeinflusst, die prägend für die Veränderung der Lebensbedingungen respektive des Lebensraumes der Pygmäen waren. Als Einwanderer in den Wäldern, die von den Batwa bewohnt wurden, ankamen und diese in immer größerem Maße in Weide- und Farmland umwandelten, mussten die Pygmäen ihre Lebensweise an die neuen Bedingungen anpassen. Sie boten neben ihren Diensten als Jäger und Sammler auch an, die Bauern auf ihren Feldern zu unterstützen oder diese zu beschützen. Zudem arbeiteten sie als Handwerker und die Frauen als Töpferinnen. Durch die zunehmende Zerstörung des Regenwaldes nahm die Abhängigkeit der Einwanderer von den Pygmäen sukzessive ab. Gleichzeitig verschlechterte sich auch die Meinung über die Lebensweise der Pygmäen und ihre Diskriminierung nahm zu. Die Batwa versuchten dem entgegenzuwirken, indem sie sich reiche und einflussreiche Beschützer suchten und deren Traditionen und Nachnamen annahmen. Sie fungierten auch immer wieder als Spione oder Überbringer von Nachrichten eingesetzt. Trotzdem es manchen Pygmäen – speziell in Ruanda – gelang, in hohe Positionen geadelt zu werden, blieb der Großteil der Batwa in der untersten Bevölkerungsschicht. Der Lebensstil hatte 495 496 Vgl. Lewis, S.9. Vgl. Mazzucato. 189 sich zu dieser Zeit bereits erheblich verändert, da ein Großteil der Wälder in Farmund Weideland umgewandelt wurde, und die Batwa größtenteils keinen Zugang mehr zum Regenwald hatten. Durch diese Entwicklung wurden sie in immer größerem Ausmaß abhängig von der Töpferei der Frauen. Diese Abhängigkeit verdeutlichte und erhöhte die Wichtigkeit der Frauen in der gesamten Gemeinschaft erheblich, da die Männer ohne Land und Jagderlaubnis kaum mehr etwas zum Lebensunterhalt der Familie beitragen konnten. Diese Entwicklung führte auch zu zunehmenden Problemen innerhalb der Gesellschaft der Batwa, da die Männer durch die geringe Wichtigkeit in der Gemeinschaft dazu neigen, dem Alkohol zu verfallen. Ebenso werden viele Ehen geschieden, und die meisten Frauen haben im Laufe ihres Lebens mehrere Ehemänner. Wenn die Frauen krank sind und nicht arbeiten können, bleibt der Großteil des Einkommens der Familie aus, und es kommt zu Problemen und Krankheiten aufgrund von Hunger.497 Die Töpferei hat auch sozial für die Batwa eine sehr große Bedeutung. Wie an anderer Stelle beschrieben, stehen bei den Pygmäen die gemeinsame Tätigkeit und die Zusammenarbeit der Dorfgemeinschaft im Vordergrund. Das Töpfern ist – ebenso wie bei Jagen und Sammeln – eine Tätigkeit, in die beinahe das gesamte Dorf involviert ist. Viele der Bauern verweigern den Batwa den Zugang zur Erde, die für die Produktion essentiell ist. Andere verkaufen sie zu Preisen, die sich die Pygmäen nicht leisten können. Dieselbe Situation zeigt sich hinsichtlich des Feuerholzes und der Gräser, die gesammelt werden müssen, um die Feuerstellen erhitzen zu können. Die Pygmäen riskieren Geldstrafen, körperliche Züchtigungen und Inhaftierung, wenn sie beim illegalen Sammeln erwischt werden. Obwohl die Töpferei zusehends weniger Profit für die Pygmäen abwirft, halten sie trotzdem an dieser aufgrund der sozialen Wichtigkeit für die Gemeinschaft daran fest.498 Durch die schwieriger werdende Situation bezüglich des Zugangs zum notwendigen Sand, dem Holz und den Gräsern entstehen auch innerhalb der BatwaGemeinschaften Brüche und zunehmende gesellschaftliche Probleme. Neben Alkoholismus sind die Pygmäen durch die immer geringer werdenden Einnahmen aus der Töpferei gezwungen, Tagesarbeiten anzunehmen und zu betteln. Neben der sozialen Isolierung, die durch solche Arbeiten und Geldbeschaffungsmethoden für die einzelnen Batwa entsteht, sind diese Tätigkeiten nicht besonders ertragreich. 497 498 Vgl. Lewis, S.9f. Vgl. Lewis, S.10. 190 Zudem kommt es zu Auflösungen von Familien aufgrund der Probleme mit den Nahrungsmitteln. Hunger und die sozialen Probleme aufgrund des Bettelns und der geringen Einkommen zerrüttet die Gemeinschaft der Pygmäen zusehends. Die Risse innerhalb der Gesellschaft führen auch dazu, dass die Gruppen und Gemeinschaften kleiner werden. In weiterer Folge dazu sind die Pygmäen immer schwerer dazu in der Lage, sich gegen die Diskriminierung und andere sozialen Probleme zu wehren. Die veränderte ökonomische Situation erschwert es den Pygmäen auch, sich in einer Identität wieder zu finden, wodurch sich viele der Batwa zunehmend an die Gesellschaften der Nicht-Pygmäen anpassen und ihre Traditionen aufgeben.499 7.9.6. Landwirtschaft In manchen Gebieten sind die Pygmäen auch sesshaft geworden und haben begonnen, Ackerland zu bebauen. Grund dafür ist unter anderem zu intensive Jagd, wodurch die Tiere immer weniger werden und nicht mehr für alle ausreichen. Es gibt jedoch in bestimmten Regionen auch Initiativen und teilweise sogar Schenkungen für Pygmäen, mit der Aufgabe, als Bauern sesshaft zu werden. Diese Programme sind allerdings nicht nach den Bedürfnissen oder Traditionen der Pygmäen respektive ihrer sozialen Beziehungen untereinander sowie zur Außenwelt ausgerichtet. Die Organisation und Planung dieser Programme ist so unzureichend, dass viele der Pygmäen nach Ende der Schenkungen und, wenn die Zeit zum Honigsammeln beginnt, wieder in die Wald und somit in ihre gewohnte Umgebung und ihr gewohntes Leben zurückkehren. Es gibt auch Pygmäen, die freiwillig sesshaft geworden sind und in den Dörfern in der Nähe des Waldes leben und Felder bebauen. Sie haben ihren ursprünglichen und traditionellen Lebensstil allerdings nicht ganz aufgegeben, sondern verbringen einen Teil des Jahres im Wald und sind auch von Produkten aus dem Regenwald abhängig. Die sesshaften Pygmäen, die dem Ackerbau nachgehen, unterstützen in sehr vielen Fällen ihre Stämme, die nach wie vor in den Wäldern wohnen, was die große Solidarität und Verbundenheit der Pygmäen untereinander widerspiegelt. Der Anteil der Bauern unter den Pygmäen ist allerdings nach wie vor sehr gering.500 499 500 Vgl. Lewis, S.10f. Vgl. Dembner. 191 7.10. Alltagsleben und Traditionen einer Pygmäengesellschaft 7.10.1.Alltag Ein typischer Tagesablauf in einem Pygmäendorf beginnt um 5.30 Uhr, wenn das Dorfoberhaupt aufsteht und mit der Glut des Vorabends das Feuer in der Gemeinschaftshütte (Barca) anzündet. Mit diesem Feuer werden dann die Feuerstellen in den Hütten angezündet. Anschließend wandert das Dorfoberhaupt durch das Dorf und verteilt moralische Ratschläge und etwaige Aufgaben für den Tag an die Dorfbewohner, die sich noch in ihren Hütten befinden. Nachdem alle aufgestanden sind, wird, sofern welche übrig sind, mit den Essensresten des Vorabends gefrühstückt. Anschließend gehen die Dorfbewohner ihren jeweiligen Tagesaufgaben nach. Die Frauen sammeln Früchte und andere Dinge im Wald, während die Männer jagen, fischen oder ihre Felder bebauen501. Sollten die Dorfbewohner keiner dieser Tätigkeiten nachgehen, können sie auch die vorgeschlagenen Aufgaben des Dorfoberhauptes erfüllen. Schließlich gibt es noch eine Gruppe, die das Dorf nicht verlässt und Netze flickt oder andere Sachen repariert bzw. neue Waffen herstellt. Die täglichen Arbeiten nehmen ungefähr zwei bis drei Stunden in Anspruch. Anschließend besteht der Alltag aus Gemeinschaftstätigkeiten. Die Frauen kochen und bereiten sich auf den abendlichen Tanz vor, indem sie sich mit Farben bemalen. Die Männer spielen mit den Kindern oder erzählen von ihren Jagderlebnissen oder von den Ereignissen im Dorf – dabei werden auch die Geschehnisse im Bantu-Dorf besprochen. Im Laufe des Tages essen die Dorfbewohner manchmal Kleinigkeiten in Form einer Banane, denn die einzige richtige Mahlzeit ist am Abend nach Sonnenuntergand zwischen 18 und 19 Uhr. Nach dem Essen wird getanzt und gesungen und vor der Barca zusammen gesessen und Unterhaltungen geführt. Viele dieser Tänze dienen nicht nur zur Unterhaltung, sondern werden auch bei Ritualen aufgeführt.502 501 Viele Pygmäen haben in den letzten Jahren ihren Lebensstil geändert und betreiben Landwirtschaft. Siehe dazu auch im Kapitel Wirtschaft. (Anm. d. Autors) 502 Vgl. Mazzucato. 192 7.10.2. Nomadentum Grundsätzlich wird in Nomaden und Halbnomaden unterschieden. Herumziehende Nomaden haben keinen fixen Platz an dem sie siedeln. Auch wenn ein geringer Teil konstant sesshaft geworden ist, leben die Pygmäen traditionell als Halb-Nomaden.503 Sie folgen den Tieren und wechseln ihre Lager immer wieder. Dabei wird darauf geachtet, dass die Lager in der Nähe der Peripherie sind, um mit den Bantu Handel betreiben zu können.504 Die Pygmäen wechseln ihre Lager innerhalb eines Gebietes, das das jeweilige Dorf beaufsichtigt und in dem ausschließlich diese Dorfgemeinschaft das Recht hat zu jagen. Dabei werden manche Lager für eine bestimmte Zeit unbewohnt zurückgelassen, aber die Pygmäen kehren nach der Jagd, die meist den Grund für den Wechsel des Lagers darstellt, wieder dorthin zurück. Die Pygmäen verlassen dieses Gebiet nie freiwillig. Neben der erzwungen Vertreibung können nur die Eroberung durch ein anderes Volk oder eine Naturkatastrophe einen Grund für einen Wechsel des Gebietes darstellen.505 Ein weiterer Grund, warum das Dorf oder Jagdlager aufgegeben wird ist der Tod eines Dorfmitglieds.506 7.10.3. Religion Die Pygmäen haben keine Religion, wie sie im herkömmlichen Sinn verstanden wird. Es gibt keine Priester oder religiösen Kultstätten. Vielmehr sehen die Pygmäen Gott als allzeit anwesende Kraft und Gesamtheit. Gott drückt sich für sie darin aus, dass sie in Einklang mit dem Regenwald leben, und dieser ihnen alle Dinge, die sie zum (Über-)Leben brauchen liefert.507 Man findet in der Religion und Gottesansicht der Pygmäen auch einen Teil des Glaubens manch anderer afrikanischer Stämme wieder. Diese sehen auch den wichtigsten Gott Muungu als denjenigen an, der für die Natur und den Regenwald im Speziellen verantwortlich ist. Aus diesem Grund bedanken sich die Pygmäen bei erfolgreicher Jagd neben den Ahnen auch bei Muungu.508 503 Vgl. Mazzucato. Vgl. The Mbuti of ZAIRE. 505 Vgl. Mazzucato. 506 Vgl. Lewis, S.9. 507 Vgl. Mazzucato. 508 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. 504 193 7.10.4. Rituale In der Kultur der Pygmäen spielen Tanz und Gesang eine zentrale Rolle. Es werden verschiedene Riten ausgeführt, die einen bestimmten religiösen Charakter haben, aber keinem speziellen Ablauf folgen. An einem beliebigen Ort, der von der Gemeinschaft ausgewählt wird, wird von einem Dorfbewohner das Ritual geleitet. So kann etwa um ein Feuer, das am Fuße eines Baumes entzündet wurde, gebetet werden. Dabei handelt sich um einen beliebigen Baum und das Feuer muss auch nicht auf bestimmte Weise entfacht werden. Die Gebete sind beliebige Formeln, keine fixen Verse und richten sich an Gott und die Ahnen. Eine beliebige Person kann diese Gebete sprechen bzw. das Beten leiten. Dies kann das Dorfoberhaupt oder der Älteste des Dorfes, der Jagdführer oder ein anderes Mitglied der Gemeinschaft, das Lust dazu hat. Es werden bei bestimmten Ritualen – wie vor der Jagd – auch Steine verwendet. Die Steine sind aber nur in dieser Situation heilige Gegenstände und werden nach dem Ritual liegen gelassen. Auch andere Gegenstände wie Wasser, Äste etc. sind bei jedem Ritual neu und werden ersetzt.509 Neben der Stärkung der Gemeinschaft wird vor allem zu bestimmten Anlässen ein Ritual durchgeführt. Dazu gehören unter anderem das Erwachsenwerden der Mädchen und das Anjo, ein Ritual, mit dem das Wetter beeinflusst werden soll und man Stürme oder starke Regenfälle bis nach der Jagd hinauszögern will.510 Einer dieser Bräuche ist das Nkubi, das Initiationsritual der männlichen Pygmäen. Durch diesen Ritus wird der Pygmäenjunge zum richtigen Mann. Dabei werden die neun bis elf-jährigen Jungen beschnitten und in den Wald gebracht. Erst nach einer gewissen Zeit werden sie wieder vollständig in die Gesellschaft integriert. Auch Mädchen haben ein ähnliches Ritual, bei dem sie jedoch nicht in den Wald gebracht werden, sondern vom gesamten.511 Sobald bei den Mädchen die Menstruation einsetzt, wird von der Gemeinschaft ein Tanz organisiert, bei dem sich Mädchen und Jungen vor den Augen der Gemeinschaft gegenseitig umgarnen. Zusätzlich bekommen die Mädchen eine 509 Vgl. Mazzucato. Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. 511 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004). The Pygmies of the Great Lakes. An assessment of the Batwa/Bambuti Situation in Burundi and Eastern part of the Democratic Republic of Congo and Batwa/Bambuti Organisations in Bukavu (DRC) and Bujumbura (Burundi), Norwegian Church Aid Occasional Paper Series No 02/2004, S.13f 510 194 Tätowierung auf die Brust, zum Zeichen, dass sie geschlechtsreif und heiratsfähig sind.512 Viele der Aktivitäten werden von beiden Geschlechtern ausgeführt, wodurch eine gegenseitige Akzeptanz und Toleranz essentiell ist. Um spielerisch mit dem anderen Geschlecht umgehen zu lernen haben die Pygmäen ein Spiel, das sehr stark dem normalen Seilziehen ähnelt. Dabei stellen sich die Männer und Jungen auf der einen und die Frauen und Mädchen auf der anderen Seite auf. Sie beginnen zu ziehen. Wenn die Seite der Männer beginnt zu gewinnen, verlässt ein Mann/Junge seine Seite und wechselt auf die Seite der Frauen. Er beginnt dabei durch eine imitierte Frauenstimme die Frauen zu motivieren und anzustacheln. Sobald die Frauenseite zu dominieren beginnt, wechselt eine Frau oder ein Mädchen auf die Seite der Männer und spornt diese durch eine imitierte Bassstimme an, stärker zu ziehen. Das Spiel setzt sich so fort und endet meist in einem gemeinschaftlichen Gelächter.513 Die Pygmäen respektive die Bambuti sehen ihren Wald als heiligen Ort an, und sie ehren und bewundern diese Schöpfung. Sie sehen ihn als Platz des Friedens und sind bei jeder kleinsten Störung gewarnt. Wenn etwa während der Nacht etwas im Dorf passiert, dann glauben die Bambuti, dass der Grund für dieses schlechte Ereignis die Nachtruhe des Waldes ist. Aus diesem Grund versuchen sie ihn mit ihren Gesängen zu wecken.514 Für diesen Anlass gibt es ein spezielles Ritual, das gleichzeitig das wichtigste der Pygmäen ist. Dieses Ritual ist das Molimo. Der Name bezeichnet einerseits den Brauch an sich und andererseits die Trompete, die dafür verwendet wird. Die Trompete wird aus Holz angefertigt und wird zwischen den Gebräuchen in einem Baum aufbewahrt. Das Interessante daran ist, dass trotz aller Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft der Pygmäen, dieses Ritual ausschließlich den Männern und Jungen vorbehalten ist. Am Beginn des Tages, an dem das Ritual stattfinden soll, wird aus allen Hütten des Dorfes Feuerholz und Speisen gesammelt. Dies soll die Einigkeit und den Zusammenhalt innerhalb des Dorfes darstellen. Am Abend entzünden die Männer in der Dorfmitte ein Feuer und beginnen zu tanzen und zu singen. Die Frauen und Mädchen müssen in ihren Hütten bleiben und die Türen verschlossen halten. Zu einem gewissen Zeitpunkt während des Singens und Tanzens verlassen die jungen Männer das Feuer und gehen in den Wald, um die Molino zu holen. Auf dem Weg zurück stoppen sie immer wieder, um die Molino in Wasser zu tauchen, sie mit Blättern und Schmutz zu reiben, als 512 Vgl. Mazzucato. Vgl. Peaceful Societies (2007). 514 Vgl. Peaceful Societies (2007). 513 195 Symbole für alle vier Elemente. Wenn der Gesang am intensivsten ist, zieht die Jugend in das Dorf und unterstützt mit dem Gesang der Molino die anderen Dorfbewohner. Das Ritual kann einen bis zu vier Tage dauern.515 7.10.5. Bildung Grundsätzlich lernen die Kinder der Pygmäen die notwendigen Dinge zum Überleben. Sie sind in die Tätigkeiten des Alltags eingegliedert und lernen von klein auf das Leben mit und vom Wald. In Pygmäendörfern gibt es keine Schulen. Diese sind meist in den benachbarten Bantu-Dörfern und meistens viel zu teuer für die Pygmäen. Vielen der Pygmäen ist es auch nicht möglich, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Einerseits aufgrund auf der zu hohen Kosten, andererseits tragen durch die heutige Situation die Kinder meist einen Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie bei, da die Eltern nicht auf die Kinder als Einkommensquelle verzichten können. Die meisten der Pygmäen sind Analphabeten, und es gibt nur wenige Pygmäen die eine höhere Bildung als zwei Jahre Grundschule haben. Der Prozentsatz jener, die eine mittlere Bildung abgeschlossen haben, liegt bei 0.5 Prozent der Bevölkerung516.517 7.10.6. Medizin Die Pygmäen haben bei ihrer Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 16 Jahren. Grund dafür sind die vielen infektiösen Krankheiten, mit denen die Pygmäen zu kämpfen haben. Es gibt kaum Pygmäen, die älter als 60 Jahre werden, aber wichtig ist, hier zu erwähnen, dass viele dieser Altersangaben auf Schätzungen basieren, da Alter, gemessen in Jahren, für die Pygmäen keine Rolle spielt. In Afrika und in der DRC ist der Zugang zum Gesundheitssystem bzw. eine Gesundheitsversorgung sehr schlecht. Die Pygmäen haben keinen Zugang zu solchen Einrichtungen. Sie pflegen ihre Kranken und Alten in den Dörfern mithilfe der traditionellen Medizin.518 515 Vgl. The Mbuti of ZAIRE. Diese Zahl stützt sich auf die Batwa-Pygmäen. Von der gesamten Pygmäenbevölkerung gibt es keine genauen Statistiken. (Anm. d. Autors) 517 Vgl. Lewis, S.15. 518 Vgl. The Great Human Diasporas, http://www.mc.maricopa.edu/dept/d10/asb/anthro2003/lifeways/diasporas/. 516 196 Viele der infektiösen Krankheiten, die die Pygmäen bedrohen, wurden von Europäern ins Land gebracht und werden von den Bantu auf die Pygmäen übertragen. In einer typischen Pygmäengemeinschaft sind 20 Prozent der Menschen krank. Die am weitesten verbreiteten Krankheiten sind Malaria, Augeninfektionen, Wurminfektionen, Framboesia519, Lungenentzündungen, Tetanus und andere virile Erkrankungen. Zudem wird auch HIV/AIDS zu einer zunehmenden Bedrohung für die Pygmäen. Die meisten Pygmäen sind Analphabeten und sind sich der Gefahr durch das HI-Virus nicht bewusst bzw. denken, sie könnten davon nicht betroffen werden. Auch sexuelle Übergriffe durch die Armee und Rebellengruppen verbreiten das Virus immer schneller innerhalb der Pygmäengruppen. Die medizinische Versorgung ist sehr limitiert bis nicht vorhanden. 520 7.10.7. Kleidung und Äußeres Die Pygmäen tragen traditionell Kleidung um ihre Hüften, der Rest des Körpers ist nicht bekleidet. Diese Kleidungsstücke, die von Männern hergestellt werden, bestehen aus der inneren Rinde der Kletterpflanze. Der Herstellungsprozess beginnt nach dem Sammeln der Rinde mit dem Stampfen dieser. Anschließend wird das Material nass gemacht und so lange bearbeitet, bis es weich ist und als Lendenschurz verwendet werden kann. Allerdings ist auch bei den Pygmäen vermehrt der westliche Einfluss zu beobachten, da andere Textilien in zunehmendem Maße verwendet werden. Status und Aussehen der Pygmäen werden durch Narben in Gesicht und Körper gehoben. Frauen tragen teilweise Perlenhalsbänder. Ebenso werden von beiden Geschlechtern die Zähne geschliffen, um ihr Auftreten zu verbessern.521 519 Das sind himbeerartige Wucherungen auf der Haut. (Anm. d. Autors) Vgl. lmm/re/kr/he (2007). Central Africa: HIV/AIDS a threat to the indigenous forest communities, IRIN, 15.Mai 2007, http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportId=72155. 521 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. 520 197 8. Probleme der Pygmäen In den vergangenen Kapiteln wurden bereits einige der großen Probleme, mit denen die Pygmäen heute zu kämpfen haben angeführt und erwähnt. Diese sind jedoch nur ein Teil der langen Liste an Schwierigkeiten, Bedrohungen und Diskriminierungen, mit denen die Pygmäen in Zentralafrika und respektive der DRC zu kämpfen haben. Diese Probleme sind ausschließlich durch Einfluss von außen entstanden und haben neben der schwierigen Position der Pygmäen zur Außenwelt auch die innere Zerrüttung und Unsicherheit der Bevölkerung zur Folge. In der Folge wird versucht, diese Bedrohungen für die Kultur und das Volk der Pygmäen darzustellen und zu beschreiben. Dabei wird auch teilweise die Situation der Pygmäen in anderen Ländern miteinbezogen. Dies dient einerseits dazu, einen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Pygmäenstämmen und andererseits zwischen Pygmäen vom gleichen Stamm in unterschiedlichen Ländern darzustellen. Zudem soll ein möglichst komplettes Bild der Situation der Pygmäen in Zentralafrika gegeben werden, und da fast alle Stämme mit den gleichen Bedrohungen kämpfen, wird von den Pygmäen als Gesamtheit gesprochen. Der Fokus liegt allerdings auf den Gruppen in der DRC, und es wird speziell erwähnt, wenn Gruppen bzw. Stämme aus anderen Ländern miteinbezogen werden. Die Pygmäen haben in der heutigen Zeit mit mehreren großen Problemen zu kämpfen. Grundsätzlich ist das größte Problem die Diskriminierung. Diese entsteht durch Vorurteile, Ausgrenzung und Verweigerung jeglicher Rechte. Zudem kommt der Verlust des Lebensraumes, der für die Lebensweise der Pygmäen essentiell ist. Entweder werden sie aufgrund der Errichtung von Nationalparks und Reservaten vertrieben, oder der Wald wird abgeholzt und ausverkauft. Diese Gründe führen schließlich zu Problemen innerhalb der Pygmäengesellschaft. Neben Zerrüttung der Gemeinschaften, kommt es zum Verlust der Identität der Pygmäen. 8.1. Verweigerung der Rechte Durch die ACHPR, die auch die Demokratische Republik Kongo anerkannt hat, sollen jegliche Minderheiten das Recht haben gleich behandelt zu werden. Das Problem im Fall der Pygmäen ist, dass – bevor man sie schützen bzw. gegen 198 Verletzungen ihrer Rechte vorgehen kann – zu definieren ist, welchen Status das Volk der Pygmäen ist bzw. ob sie als Minderheit oder Eingeborenenvolk von der jeweiligen Gesetzgebung geschützt werden. Im Fall der Pygmäen ist diese Einstufung sehr schwierig. Einerseits sind viele Stämme der Pygmäen in ihren Ländern nicht als offizielle Bürger anerkannt, andererseits wird zwar in einigen Ländern von Rechten für Pygmäen gesprochen, diese in Praxis allerdings nicht angewandt bzw. eingehalten.522 8.1.1. Recht auf Gleichberechtigung bzw. Anerkennung vor dem Gesetz Während für den Großteil der Pygmäen in den letzten Jahren keine Verbesserung ihrer Situation bzw. ihrer Rechte festgestellt werden konnte, gibt es doch Länder, in denen die Pygmäen anerkannt sind und ihnen die gleichen Rechte wie den anderen Staatsbürgern zugestanden werden. In Kamerun etwa ist dies der Fall, aber das Problem der Pygmäen ist, dass sie diese Rechte erst in Anspruch nehmen können, wenn sie im Besitz eines nationalen Personalausweises sind. Um diesen zu bekommen, müssen sie im Besitz einer Geburtsurkunde sein, was für viele Pygmäen allerdings unmöglich ist, da sie zu sehr weit entfernten Verwaltungsbüros reisen müssten, wofür sie weder die Möglichkeiten noch die Zeit haben.523 Zusätzlich sind die Daten über die Pygmäen meist sehr ungenau bzw. nicht vorhanden, da sie in den Wäldern leben und schwer zu registrieren sind, selbst selten Kontakt zu administrativen Einrichtungen haben und keine Bemühungen seitens der Verwaltung unternommen werden, dies zu ändern. Die Kinder der Pygmäen befinden sich bereits von ihrer Geburt an in einer schwierigen Lage, da sie nicht als Staatsbürger des Landes respektive der DRC geboren werden sondern staatenlos sind. Die Situation ist auch für erwachsene Pygmäen diffizil. Ihnen wird die Freiheit, sich zu organisieren oder umzusiedeln untersagt. Die Eigentümer der Länder, auf denen sie siedeln, zwingen sie zur Arbeit oder anderen Leistungen. Ohne die nötigen Personalausweise sind die Pygmäen wie ein staatenloses Volk innerhalb eines Staates.524 Refugees International beschreibt die Situation in der DRC folgendermaßen. 522 Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 524 Vgl. Lewis, S.14. 523 199 „While other citizens are issued birth certificates and identity cards free of charge, Batwa must undergo an involved bureaucratic process. Without these cards, it is difficult do enrol in schools and receive government-funded health care, which are otherwise guaranteed to other vulnerable people in the country.”525 Neben den genannten Rechten und Möglichkeiten, die man in der DRC als Staatsbürger hat, eröffnet ein Personalausweis auch das Recht Land zu erwerben bzw. zu besitzen. Die Probleme der Landrechte der Pygmäen werden an anderer Stelle noch ausführlicher behandelt.526 8.1.2. Das Recht zu Jagen und Sammeln Die Pygmäen sind traditionell Jäger und Sammler. Trotzdem in den meisten Konventionen, die sich mit den Rechten von Minderheiten oder Eingeborenenstämmen beschäftigen und für das Recht eben dieser Gruppen auf freie Ausübung ihrer Kultur eintreten, gibt es teilweise Diskrepanzen mit der normalen Gesetzgebung. In den meisten Ländern und Gebieten ist es generell verboten zu jagen und zu sammeln. Im Vergleich zu anderen ethnischen Gruppen, denen die Jagd ebenfalls verboten ist, trifft dieses Verbot die Pygmäen, die ihren Lebensraum im Wald haben ungleich härter. Das Verbot ihre traditionelle Jagd auszuüben ist eine Bedrohung für den Lebensstil der Pygmäen, da ihre Kultur Jagen und Sammeln als zentralen Inhalt hat und zum Überleben vorsieht.527 8.1.3. Das Recht auf die gleiche juristische Behandlung Auch hinsichtlich dieses Rechts wird die ACHPR nicht eingehalten bzw. respektiert. Die Pygmäen haben in gerichtlichen Verfahren oft eine sehr geringe bis keine Chance auf einen positiven Rechtsbescheid für sich. Vielen der Pygmäen, wenn sie gegen benachbarte Bantu vor Gericht ziehen wollen würden, fehlen die entscheidenden Mittel und sehr oft auch die Courage. Zudem gibt es viele Berichte von Pygmäen, wonach sie die Unterstützung eines Nicht-Pygmäen bräuchten, bevor 525 Zitat Refugees International, in: IRIN In-Depth Report (2006). Vgl. IRIN In-Depth Report (2006). 527 Vgl. Lewis, S.14. 526 200 ihr Anliegen Gehör fände bzw. etwas dagegen getan würde. Es gibt auch Berichte, denen zu Folge die Richter sich mit den Bantu zusammenschlossen, um Land von den Pygmäen zu gewinnen oder ernste Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen. Als häufigster Grund für eine ungleiche Behandlung der Pygmäen von der Justiz wird der nicht-offizielle Status als Staatsbürger angeführt. Ohne Personalausweis oder offizielles Dokument haben die Pygmäen nur sehr selten die Chance auf Gehör in Rechtsfragen.528 Beispiel: Im Jahr 1995 wurden vier Batwa verdächtigt, einen der berühmtesten Gorillas des Khuzi-Biega Nationalpark getötet zu haben. Seitens der Behörden des Nationalparks wollte man ein Exempel statuieren, um sicher zu stellen, dass keine Pygmäen mehr innerhalb des Parks jagen würde. Man inhaftierte die vier Verdächtigen und sie warteten in der Untersuchungshaft elf Monate, bevor es zu einer Verhandlung kam. Während dieser Zeit waren sie immer wieder Folterungen und Schlägen ausgesetzt. Ihr Anwalt beschrieb ihren Zustand wie folgt: „The sight was horrific, resembling a concentration camp. All the inmates looked unhealthy and hungry. The author his four clients outside but they seemed to have lost their power of speech. A green substance was growing on their skin. One of them was suffering from a seriously infected wound. A few days later … one of them had recovered his speech and recounted that they had been severely tortured to make them confess, and that they were unable to get food because many prisoners did not want to share food with them, on the grounds that they were Pygmies, dirty and uncivilized. In addition even their families were denied to visits.”529 Während der Verhandlung waren die Pygmäen nicht in der Lage ihre Verteidigung sehr gut zu organisieren und ihr Recht auf einen Rechtsbeistand wurde nicht beachtet. Auch von Seiten des Richters wurden keine Bemühungen unternommen, dieses Recht zu sichern. Schließlich konnte der Staatsanwalt jedoch keine Schuld nachweisen und die vier Pygmäen wurden entlassen.530 528 Vgl. Lewis, S.14. Zitat Barume, in: Lewis, S.21f. 530 Vgl. Lewis, S.21f. 529 201 8.1.4. Recht auf medizinische Versorgung Traditionell leben die Pygmäen in Einklang mit dem Wald und suchen in allen möglichen Lebenssituationen Schutz im Wald. Der Regenwald stellt auch einen zentralen Faktor in der Medizin der Pygmäen dar, da sie sich größtenteils auf traditionelle Heilungsmethoden stützen. Dafür sind drei Gründe zu identifizieren. Erstens sind die Pygmäen bekannt für ihr Wissen und die Verwendung der Kräuter und anderer Substanzen des Waldes zur Heilung von Krankheiten. Die traditionellen Rezepte heilen zwar die meisten aber nicht alle Krankheiten. Für die Erkrankungen, für die die Pygmäen kein Heilmittel haben, müssten sie moderne Ärzte aufsuchen, allerdings ist der Zugang zu moderner medizinischer Versorgung extrem schwierig bzw. beinahe unmöglich für die Pygmäen. Zweitens haben, wie schon erwähnt, die Pygmäen kaum offizielle Dokumente oder finanzielle Mittel. Zu diesen offiziellen Dokumenten zählt auch ein Gesundheitspass, der notwendig ist, um Zugang zu den Kliniken zu bekommen. Wenn den Pygmäen dies gelingt, haben sie meistens nicht die finanziellen Mittel, um Ärzte bzw. Untersuchungen zu bezahlen. Nachdem die traditionellen Mediziner sehr oft Naturalien oder Dienstleistungen als Bezahlung akzeptieren, ziehen die Pygmäen deren Dienste vor. Außerdem sind die Pygmäen in den Ländern, in denen ihnen aufgrund ihres Status Zugang zu freien medizinischen Leistungen vom Gesetz her zustehen würde, oft nicht ausreichend bzw. gar nicht über ihre Rechte informiert bzw. aufgeklärt. Der dritte Grund, weshalb die Pygmäen weiterhin auf traditionelle Medizin setzen ist die Tatsache, dass sie auch in diesem Bereich Opfer von Diskriminierungen sind. In vielen medizinischen Projekten, werden sie nicht berücksichtigt. Grund dafür ist sehr oft die schwer zu erreichende Gegend, in der die Pygmäen leben. Pygmäen, denen es gelang, genug Geld aufzutreiben, um eine Behandlung bezahlen zu können, berichteten oft von Gewalttätigkeiten und Erniedrigungen gegen sie. Vielen wurde nicht gestattet, sich in den Warteräumen aufzuhalten wie die anderen Patienten. Aber auch seitens des medizinischen Personal wurden, Berichten zufolge, Diskriminierungen gegenüber den Pygmäen offensichtlich. So wurden sie erst an die Reihe genommen, nachdem alle anderen behandelt wurden oder sie wurden weggeschickt, wenn sie nicht zur vereinbarten Zeit kamen.531 531 Vgl. Lewis, S.15. 202 8.1.5. Das Recht auf Bildung und Arbeit Viele Pygmäen haben keine Bildung. Wenige besuchten oder besuchen zumindest einige Zeit die Grundschule und ganz wenige Ausnahmen haben eine volle Schulbildung. Grund dafür ist, dass die Pygmäen sich oftmals die Schule nicht leisten können. Dies hat verschiedene Ursachen; so werden die Jahreszeiten abhängigen Aktivitäten nicht berücksichtigt – auch wenn es sich um spezielle Schulen für Pygmäen handelt. Ebenso sind die finanziellen Mittel meist nicht ausreichend, wodurch die Kinder oftmals nicht länger als ein bis zwei Jahre die Grundschule besuchen können. Die Eltern müssen auch in vielen Fällen die Kirche besuchen, damit ihre Kinder in der Schule aufgenommen werden, die von der Kirche erhalten wird. Dies stellt auch einen kleinen Vorteil für die Kinder dar, da sie in diesen Schulen in der Regel weniger Erniedrigungen ertragen müssen. Ein weiterer Grund für die geringe Bildung der Pygmäen ist die Tatsache, dass viele der Kinder von ihren Eltern zum Betteln in die Dörfer geschickt werden, und die Familien nicht auf dieses zusätzliche – oft sogar einzige – Einkommen verzichten wollen bzw. können. Diejenigen Batwa, die genug finanzielle Mittel haben, um in die Schule zu gehen, werden dort erniedrigt und schlecht behandelt. Dies geht einerseits von den Mitschülern aus, die das Essen der Batwa auf Verbotenes untersuchen oder nicht mit ihnen auf einer Diskriminierungen Bank von sitzen Seiten wollen. der Andererseits Lehrer, indem kommt sie es auch Provokationen zu und Erniedrigungen durch andere Kinder nicht ahnden bzw. verhindern, weil sie möglicherweise selbst Antipathie gegen die Pygmäen-Kinder hegen.532 Die Pygmäen, die in den Genuss von höherer Bildung kamen, erfahren Diskriminierung am Arbeitsmarkt, indem ihnen deutlich vor Augen geführt wird, dass die Bildung nicht primär ist. In der Regel werden sie abgewiesen, wenn sie sich für Arbeitsplätze bewerben, für die sich auch Mitglieder anderer ethnischer Gruppen interessieren. Pygmäen bekommen generell selten normal und regelmäßig bezahlte Arbeiten, da sie vielfach gegenüber anderen Mitarbeitern benachteiligt werden und ihnen ihr Lohn/Gehalt nicht rechtzeitig und nicht in vollen Bezügen ausbezahlt wird. Zudem kommt es auch am Arbeitsplatz zu Diskriminierung sozialer und beruflicher Art. Durch die schlechte Situation der Pygmäen am Arbeitsplatz wird das Vorurteil der unintelligenten Pygmäen gestärkt.533 532 533 Vgl. Lewis, S.15. Vgl. Lewis, S.15. 203 8.1.5. Das Recht zur Selbstbestimmung In Art. 22 der ACHPR wird festgestellt, dass jedes Volk das Recht auf Selbstbestimmung und Bestimmung über die eigene Zukunft haben soll bzw. muss. Dies trifft auf die Pygmäen mehrerer Hinsicht nicht zu. Die Entwicklungspolitik und Planungen bezüglich der Pygmäen achten, respektieren und beziehen ihre traditionellen Werte überhaupt nicht mit ein. Die Lebensweise der Pygmäen wird oft von Außenstehenden falsch eingeschätzt und analysiert wird. So wird ihre Tradition, als Jäger und Sammler zu leben, als rückständige Entwicklung angesehen, wobei es allerdings Untersuchungen gibt, wonach die Pygmäen eine bessere Ernährung haben als die meisten anderen ethnischen Gruppen. Die Modernisierung der Methoden der Jagd bzw. der Waffen zur Jagd für die Pygmäen wird von Seiten der Behörden gezielt verhindert, indem man sie keine Schusswaffen erwerben lässt und sie generell an der Jagd hindert, und auch wenn sie jagen könnten, dürften sie ihre Fleisch nicht verkaufen. Es werden immer wieder Projekte geplant, die den Pygmäen neue Erwerbstätigkeiten bzw. andere Lebensstile eröffnen sollen. Allerdings wird dabei nicht auf die Bedürfnisse der Pygmäen eingegangen bzw. diese werden nie in die Planung miteinbezogen. In vielen Fällen verschieben sich die Abhängigkeiten der Pygmäen in Richtung einer Institution, und diese Projekte haben schwere Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Pygmäen, da es zur Spaltung in progressive und traditionelle Gruppen von Pygmäen kommen kann. Projekte, die Pygmäen durch Schenkungen zur Landwirtschaft bringen wollten, lösten Konflikte mit den benachbarten Bauern aus. Viele waren eifersüchtig und sahen die Pygmäen als Konkurrenten um die ohnehin geringe Ernte. In vielen Dörfern führte dies dazu, dass Einwohner die Projekte für die Pygmäen zu sabotieren versuchten. Sie setzten Behörden unter Druck, um die Kontrolle über die Vergabe der Ressourcen für die unterschiedlichen Projekte zu erlangen und so die Pygmäen benachteiligen zu können. Die Pygmäen, die durch diese Projekte Erfolg haben und ihre Situation stabilisieren können, werden zur Zielscheibe für verbale und physische Attacken. In vielen Fällen wird ihnen Land gestohlen, was teilweise sogar mit dem Wissen der lokalen Behörden geschieht. Die Situation der Pygmäen wird allerdings in vielen Fällen auch missbraucht. Es werden Projektpläne aufgestellt und die Förderungen werden in vielen Fällen veruntreut, wodurch die Pygmäen vielfach sehr misstrauisch diversen Projektplänen gegenüberstehen. Durch diverse Initiativen seitens der Pygmäen gibt es auch geringe Erfolge für Projekte, die sich individuell auf die 204 Situation der Pygmäen einstellen. Allerdings wird bei diesen Projekten auf akute Probleme reagiert, wogegen die Langzeitstrategien und die Interessen der Pygmäen größtenteils außer Acht gelassen werden. Es gibt kaum Strategien, die eine Verbesserung und Akzeptanz als Staatsbürger zum Inhalt haben bzw. fördern.534 8.1.6. Die Verweigerung der Landrechte Die Basis für die Lebensweise der Pygmäen ist der Wald bzw. das Land auf dem sie leben. Der Boden und die Gegend, in der die Wälder der Pygmäen liegen bieten einen sehr guten Nährboden für Ackerbau und Weideland. Diese Möglichkeiten führten auch dazu, dass vor etwa 500 Jahren Bantu die Gegend rund um den äquatorialen Regenwald zu besiedeln begannen. Diese Siedler begannen den Regenwald abzuholzen und das Land in Weide- und Ackerland umzuwandeln. Durch diese Entwicklung verloren die Pygmäen zusehends ihre Landanteile und waren teilweise sogar gezwungen, ihren Lebensstil zu ändern und andere Berufe anzunehmen.535 Die Pygmäen sehen sich, den Besitz von Land betreffend, mehreren Problemen gegenüber. Eines ist die Anerkennung der traditionellen Rechte an der jeweiligen Fläche Land. Die meisten afrikanischen Länder haben das System der Eintragung in ein Grundbuch und bestimmten Bezeichnungen und Aufzeichnungen über die Eigentümer von Ländereien von den westlichen Ländern – primär durch die Kolonisierung – übernommen. Dadurch wird das traditionelle Besitztum der Pygmäen bzw. die Weitergabe des Landes von Generationen zu Generationen ignoriert. Die Pygmäen sind mit der Fläche Land, auf der sie siedeln, sehr eng verbunden, und jeder Stamm hat sein eigenes Territorium, das von anderen Clans respektiert wird. Zwar kann man sich frei auf dem Land des anderen Dorfes bewegen, allerdings hat nur diese Gemeinschaft das Recht dort zu jagen und zu sammeln. Pygmäen verlassen ihr Territorium auch sehr selten, weil sie mit den dort verfügbaren Ressourcen sehr vertraut sind und aus diesem Grund eine ideale Lebensgrundlage vorfinden. Augrund der gemeinsamen Verwaltung bzw. des gemeinsamen Besitzes des Landes durch die Pygmäen geraten sie in Konflikt mit dem Gesetz. In der DRC wird durch die Rechtslage kein kollektiver Landbesitz anerkannt. 534 535 Vgl. Lewis, S.15f. Vgl. Jackson, S.3. 205 „Although the vast mjority of people in sub-Saharan Africa hold land under customary law, their right to do so are almost never recognized under existing national laws.”536 Allerdings gibt es auch in diesem Fall Ausnahmen, denn neben Individuen ist auch offiziell anerkannten Institutionen der Besitz von Land erlaubt.537 Ein weiteres Problem ist das Verbot der Jagd in den meisten Gebieten im Regenwald des zentralen Afrikas. Vielfach wird Jagen und Sammeln als eine Verschwendung fruchtbaren Landes angesehen. Diese Ansicht führt auch zu der Argumentation, dass die Eigentumsrechte nicht anwendbar sind, wenn das Gebiet zum Jagen und Sammeln als gesetzeswidrige Tätigkeiten genutzt wird. Dagegen wird es als nutzvoll angesehen, wenn die Fläche zur Landwirtschaft genutzt wird, und es garantiert nach allgemeiner Ansicht die exklusive Nutzung bzw. das Eigentumsrecht über diese Ländereien. Die Flächen werden meist als frei verfügbar eingestuft und Bauern eignen sich diese Ländereien ohne Rücksicht auf die Situation bzw. die Besitztumssituation der Pygmäen an. Durch die basisdemokratische Gesellschaftsordnung der Pygmäen ist eine effiziente Gegenwehr gegen die Zwangsenteignung sehr oft unmöglich, da sich die Gruppe nur schwer organisieren lässt.538 Ein zusätzliches Hindernis, das es vielen Pygmäen in der DRC unmöglich macht Land zu erwerben ist, die bereits erwähnte Notwendigkeit eines Dokuments, das die Staatsbürgerschaft nachweist. Viele Behörde verweigern den Pygmäen die notwendigen Dokumente, oder diese haben aufgrund finanzieller oder anderer Probleme keine Möglichkeit welche zu erwerben. Diese Verweigerung der Staatsbürgerschaft ist eine Diskriminierung gegenüber den Pygmäen – aber auch andere ethnische Gruppen sind betroffen – und ihr Recht auf Landerwerb wird ihnen dadurch verwehrt.539 Grundsätzlich kann man in drei Arten der Enteignung von Pygmäen hinsichtlich ihrer Ländereien unterscheiden540: • Enteignung durch Übergriffe, Einschüchterung und Diebstahl. Wenn Pygmäen Land besitzen, dann kommt es immer wieder zu Berichten, wonach die 536 Zitat Nelson, John, Forest Peoples Project, in: IRIN, S.9. Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S:9. 538 Vgl. Lewis, S.17. 539 Vgl. IRIN, S:9f. 540 Vgl. Lewis, S.17. 537 206 benachbarten Bauern und Landbesitzer deren Grenzen willkürlich auf das Land der Pygmäen ausdehnen. Diese Erweiterung des eigenen Besitzes geht oft schleichend voran, kann aber auch in großen Schritten passieren. Diese widerrechtlichen Aneignungen werden oft von Einschüchterungen und Bedrohungen begleitet, wodurch die Pygmäen nur selten lokale Behörden einschalten. Weitere Gründe für seltene Versuche, die Behörden um Hilfe zu bitten, ist der Zweifel, ein faires Verfahren zu erhalten und die häufige Verwicklung dieser in die illegale Enteignung der Pygmäen. • Enteignung durch den Verkauf des Landes. Viele Pygmäen, die Ländereien besitzen, leben nach wie vor nach den Traditionen ihrer Kultur, die des Teilen in Notsituationen als essentiell und Grundlage der Gemeinschaft der Pygmäen ansehen. Deshalb geben sie auch immer wieder mittel- und obdachlosen Pygmäen Unterschlupf und teilen ihre Nahrung mit den anderen Stammesmitgliedern. Das führt allerdings in den meisten Fällen dazu, dass die Nahrungsmittel nicht reichen und sie Hunger leiden müssen. Diese schwierige Situation der Pygmäen ruft die Nachbarn auf den Plan. Es wird den Landbesitzern oft angeboten, ihr Land gegen Nahrung abzukaufen. Aufgrund der schwierigen Situation sind diese oftmals dazu bereit ihr Land zu verkaufen. In anderen Fällen wird Alkohol dazu eingesetzt, die Pygmäen zum Verkauf ihres Landes zu bringen, was in vielen Fällen auch dazu führt, dass die Pygmäen ihr Land für einen extrem geringen Preis verkaufen. Durch diese Methoden verloren viele der Pygmäen einen Großteil ihres Landbesitzes. Auch die Regierungen verkaufen teilweise die privaten Ländereien der Pygmäen, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, die Steuern zu zahlen. • Vertreibung. Durch die Zusammenarbeit von internationalen Geldgebern, Regierungen und lokalen Autoritäten, kam es zur Gründung von Nationalparks und der gleichzeitigen Vertreibung der lokalen Pygmäenbevölkerung. Auch, wenn die Pygmäen durch Hilfe von NGOs, der Kirche oder durch Schenkungen durch die Regierung Land erhalten, so sind dies individuelle Besitztümer. Diese Situation macht die Pygmäen sehr verwundbar für An- bzw. Übergriffe auf ihr Eigentum durch Nachbarn oder lokale Behörden. Der Verlust ihres Landes bedeutet für die Pygmäen oft den Absturz in die extreme Armut.541 Viele 541 Vgl. Jackson, S.3. 207 bleiben allerdings in der Nähe ihrer ehemaligen Besitztümer bzw. des Landes ihrer Vorfahren und leben als Pächter oder Hausverwalter. In vielen Gebieten in der DRC werden die Pygmäen auch als Sklaven gehalten, da man die Ansicht vertritt, dass die Pygmäen, die sich auf dem Land befinden auch dem Landbesitzer als Eigentum zustehen.542 8.2. Exkurs 8.2.1. Der Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo Die DRC hat die drittgrößten Ressourcen an Regenwald weltweit mit einem Achtel der gesamten Fläche. Die mehr als 125 Millionen Hektar Wald bedecken ungefähr 52 Prozent des Landes und 47 Prozent des gesamten Kongo-Beckens. Die acht Nationalparks und Reservate, die es in der DRC gibt, umfassen 180.000 km², also ungefähr 7.7 Prozent des nationalen Regenwaldes. Die DRC hat viele Konventionen unterzeichnet, die den Schutz der nationalen Naturgebiete bzw. des Regenwaldes zum Inhalt haben.543 Der Regenwald in der DRC blieb im letzten Jahrzehnt im Vergleich zu dem anderer Länder Zentralafrikas zu einem sehr großen Teil vor der Abholzung verschont, obwohl die Konzession einer Fläche von der Größe Großbritanniens an eine HolzGesellschaft aus Zimbabwe und der DRC verkauft und zur Abholzung freigegeben wurde. Der Grund für diese Verschonung des kongolesischen Regenwaldes liegt zu einem sehr großen Teil in dem acht Jahre dauernden Bürgerkrieg, der vor allem in den Waldgebieten des Landes tobte. Dabei spielte Holz als Ressource keine wirklich große Rolle als Ursache für den Konflikt, aber der Regenwald an sich war ein zentraler Teil des Krieges. Viele der Firmen, die mit der Abholzung des Regenwaldes in der DRC beschäftigt waren, zogen ihre Arbeiter zurück, da die Situation zu gefährlich war. Die Rebellen, Milizen und Armeen nutzten die großen Waldgebiete, um sich zu verschanzen und ihre Operationen aus den Verstecken zu koordinieren und zu führen. Außerdem sahen die im Wald stationierten Truppen das Holz des Waldes auch als Handelsobjekt, um an Waffen zu kommen und nutzten diese Situation aus. Ein weiterer Grund für die Firmen, sich aus dem Kongo 542 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. Vgl. Barume, Albert Kwokwo (2003). Le nouveau code forestier congolais et les droits des communautés des forêts. Atelier sur le Processus de Mise en Oeuvre du Code Forestier de la République Démocratique du Congo et de ses Normes d’Application, Kinshasa, 17-19 novembre 2003, S.3f. 543 208 zurückzuziehen waren die mangelnden Möglichkeiten des Transports des Holzes. Die Rebellen und andere bewaffnete Gruppen kontrollierten die Flüsse, insbesondere den Kongo, und das Wegesystem, welches in der DRC sehr schlecht ausgebildet ist.544 Aus dieser Sicht hat der Frieden eine negative Auswirkung auf die Situation des Regenwaldes in der DRC. Durch die Friedensabkommen wird das Gebiet wieder sehr interessant für internationale Holzfirmen. Im Laufe der Friedensverhandlungen haben sich viele der Gesellschaften wieder mit Firmensitzen in Kinshasa eingerichtet. Kinshasa aus dem Grund, weil es das Zentrum der Holzverarbeitung ist und fast alle Transporte von Holz in Kinshasa landen. Das Interesse an den Ressourcen des Regenwaldes war nach dem Krieg so groß, dass es für viele kleinere Firmen unmöglich war, den Wettbewerb zu bestreiten, da ihnen die finanziellen Mittel fehlten. Auch die Tatsache, dass die Regierung der demokratischen Republik zum damaligen Zeitpunkt als eine der korruptesten der Welt galt, lockte viele große Konzerne an, die auch an der Abholzung der südamerikanischen Wälder beteiligt waren.545 Der Code Forestier – Gesetzeskodex über den Regenwald – wurde im August 2002 verschiedet. Dieser neue Gesetzesentwurf war nur eine Überarbeitung des Gesetzes aus dem Jahr 1941, an dem nur einige institutionelle Änderungen und Überarbeitungen in der Verwaltungsebene vorgenommen wurden. Insgesamt ist der neue Entwurf allerdings inklusiver und versucht eine allgemeine Beteilung an dem Thema Regenwald zu erreichen. Darin wird auch vorgesehen, dass die Vergabe der Konzessionen genau verwaltet wird und eröffnet den lokalen Verwaltungskomitees theoretisch erstmals die Möglichkeit der aktiven Mitsprache an der Vergabe der Konzessionen.546 Drei Monate zuvor konnte sich die Weltbank, die seit dem Beginn der Friedensverhandlungen 2001 die DRC wieder finanziell unterstützte, und die Übergangsregierung unter Joseph Kabila auf ein Moratorium einigen, in dem vereinbart wurde, dass die Regierung die Vergabe von weiteren Konzessionen zur Abholzung des Regenwaldes aussetzen sollte und alte nicht verlängern sollte. Seit diesem Zeitpunkt hat die DRC bis April 2006 107 neue Verträge mit Holzfirmen abgeschlossen, insgesamt waren es zu diesem Zeitpunkt 156 544 Vgl. Baker, Murl, Clausen, Robert, Kanaan, Ramzy, N’Goma, Michel, Roule, Trifin, Thomson, Jamie. Conflict Timber: Dimensions of the Problem in Asia and Africa, Volume III, African Cases, S.11f. 545 Vgl. Baker, et al. S.11f. 546 Vgl. Baker, et al. S.24f. 209 Einschlagskonzessionen über eine Fläche von insgesamt 21 Millionen Hektar Regenwald. Im Gegenzug wurden nur wenige Gebiete unter Schutz gestellt. Ebenso wurden nicht, wie in dem Gesetz von 2002 vorgesehen, die von den Holzfirmen eingenommenen Steuern für Rekultivierungsprojekte verwendet, da sie in einem Großteil der Fälle gar nicht bezahlt wurden. Die Weltbank, der vorgeworfen wird, dass sie nicht wirklich darum bemüht war, die Durchsetzung des Moratoriums zu überwachen und zu forcieren, führt derzeit Untersuchungen durch, wer die Steuern bezahlt hat.547 Jährlich könnten laut Prognose in der DRC ungefähr 14 Millionen m³ Holz produziert werden. Durch die unsichere Situation gewinnt die Produktion erst seit der Friedensvereinbarung wieder an Gewicht. Die Produktion ist allerdings nach wie vor nur ein geringer Teil der nationalen Wirtschaft, da pro Jahr nur zwischen 150.000 und 200.000 m3 Holz produziert werden.548 Die wichtigsten Gebiete der Holzindustrie sind im Osten des Landes, wo 80 Prozent des Holzes produziert werden. Das größte Waldgebiet ist der Ituri-Regenwald im Nord-Osten des Landes. In dieser Region wird auch deutlich, wie inaktiv die Regierung bei der Kontrolle der Lizenzvergabe und der illegalen Holzfirmen ist, die in diesen Gebieten arbeiten. Durch die unterschiedlichen Zahlen ist eine genaue Berechnung und die Kontrolle der jährlichen Abholzung sehr schwierig. Die vielen illegalen Holzkonzerne, die in den konzessionierten Regionen der DRC, die beinahe ein Viertel der gesamten Fläche ausmachen arbeiten, tragen erheblich dazu bei, dass die Abholzung des Regenwaldes in der DRC immer schneller voranschreitet.549 Der Kodex von 2002 sieht auch den Schutz der Gruppen und Völker, die in den Wäldern leben vor. Von einer Arbeitsgruppe wurden drei Rechte identifiziert, die essentiell sind, um ein Volk, das in den Regenwäldern lebt, insbesondere die Pygmäen zu schützen. • Das Besitztumsrecht über die Fläche, auf der sie leben. • Das Recht, die Fläche zu benutzen, um ihre ökonomischen, sozialen und religiösen Traditionen ungehindert leben zu können. • Das Recht, die Ressourcen zu nutzen, die auf dem Gebiet natürlich vorzufinden sind. 547 Vgl. Greenpeace (2007). Angriff auf das grüne Herz Afrikas. Zusammenfassung des Greenpeace-Reports „Carving up the Congo“, 04/2007, S.1ff. 548 Vgl. Baker, et al., S.64. 549 Vgl. Forests Monitor (2007). The Timber Trade and Poverty Alleviation. Upper Great Lakes Region, June 2007, S.17ff. 210 Diese Arbeitsgruppe untersuchte auch den Kodex von August 2002 hinsichtlich dieser Punkte. Dabei kam sie zu den Schlüssen, dass das Besitztumsrecht nicht explizit erwähnt ist. Es gibt allerdings immer wieder Formulierungen, die implizit die Bevölkerung, die lange dort gelebt hat, als Besitzer identifizieren. Direkt formuliert ist dies jedoch nicht. „Les droits d’usage forestiers des populations vivant à l’intérieur ou à proximité du domaine forestier sont ceux résultant de coutumes et traditions locales pour autant que ceux-ci ne soient pas contraires aux lois et à l’ordre public. Ils permettent le prélèvement des ressources forestières par ces populations, en vue de satisfaire leurs besoins domestiques, individuels ou communautaires.“550 Bezüglich des Rechts der Benutzung der Fläche wird in vier zentrale Bereiche unterschieden. Es wird Völkern, die dort leben, das Recht zugestanden, die Ressourcen die sie brauchen, zu nutzen. Die Formulierungen zu diesem Thema werden als Balanceakt gesehen, um Rechte zu gewähren aber gleichzeitig Ausbeutung zu verhindern. Im Kodex wird auch erwähnt, dass es den Völkern möglich ist, die Konzession für ihr Gebiet zu erlangen, um es zu verwalten. Es wird auch festgelegt, dass die Einwohner keinen Zoll zahlen müssen und die Straßen und Wege frei benutzen können, zudem ist es ihnen erlaubt, an allen infrastrukturellen und anderen positiven Entwicklungen des Gebiets teilzuhaben. Schließlich wird noch die Höhe der Steuer festgelegt, dabei werden keine Kompensationszahlungen an die einheimische Bevölkerung vorgesehen. Der letzte Punkt sieht vor, dass die Völker, die im Wald leben in die Pläne und Projekte bezüglich des Regenwaldgebietes, in dem sie angesiedelt sind, miteinbezogen werden sollen. Im Kodex ist das Recht an der Teilnahme an einem Beratungskomitee verankert. Allerdings kommt die Kommission zu dem Schluss, dass ein Regelwerk zur Überwachung der Gesetze fehlt und einige der Formulierungen sehr unspezifisch sind und überarbeitet werden müssten.551 Die praktische Umsetzung sieht anders aus, da die Kontrollmechanismen fehlen und die Vertreibungen der Pygmäen von ihren Ländern von Holzfirmen initiiert und von 550 551 Article 36, Loi 011/2002 Du 29 Aout 2002 Portant Code Forestier, JURICONGO, S.7. Vgl. Barume, Albert Kwokwo (2003), S.3f. 211 lokalen Behörden in manchen Fällen unterstützt werden. Die zunehmende Abholzung bzw. der Verkauf der Konzessionen über große Gebiete des Regenwaldes bedroht die Pygmäen bzw. ihren Lebensraum erheblich.552 8.2.2. Enteignung durch Naturschutzgebiete In den 90iger Jahren intensivierte man die Bemühungen, die Regenwälder des zentralen Afrikas zu schützen. Durch viele Projekte in den einzelnen Ländern der Region begann man mit Hilfe ausländischer Investoren Naturschutzgebiete und Reservate zu errichten. Durch diese Erlässe, wonach bestimmte Regionen zu Naturschutzgebieten erklärt wurden, gab es erhebliche Auswirkungen auf verschiedene Eingeborenenstämme und insbesondere auf die Pygmäenstämme in den unterschiedlichen Regionen.553 Ein Beispiel für solche Auswirkungen ist die Situation der Batwa in der Region des Kahuzi-Biega National Parks. Der Kahuzi-Biega National Park wurde 1980 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Die Räumung des Gebiets begann schon in den späten 60iger Jahren und man siedelte bis 1980 gewaltsam 580 Batwa-Familien aus der Region aus. „We did not know they were coming…It was early in the morning. I heard people in uniforms with guns. Then suddenly one of them forced the door of our house and started shouting that we had to leave immediately because the park is our land. I first did not understand because all my ancestors have lived on these lands. They were so violent that I left with my children.”554 Das Institut Zairois pour la Conservation de la Nature (IZCN) vertrieb zwischen 3.000 und 6.000 Batwa aus ihren Dörfern, ohne dass Vorbereitungen oder Pläne getroffen bzw. gemacht wurden wie man den Batwa helfen könnte. Die Lebensweise der Batwa Pygmäen in dieser Region wurde binnen kurzer Zeit unmöglich gemacht, da sie auf dem Regenwald als Lebensraum, Nahrungslieferant und spirituellem Zentrum nicht mehr aufgebaut werden konnte. Neben der Vertreibung aus dem Lebensraum, in dem die Batwa über Jahrhunderte ihre Heimat hatten, wurde ihnen auch noch die 552 Vgl. Greenpeace (2007), S.1ff. Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 554 Zitat einer Mutwa Witwe, in: IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 553 212 Schädigung desselben nachgesagt. Die neu installierten Parkwächter sahen die Pygmäen als Wilderer und Bedrohung für das Naturschutzgebiet. Als Grund dafür wurde das Wissen der Batwa über den Regenwald und die Tiere, die darin leben, angeführt. Wenn es zu Todesfällen in der Tierpopulation des Khahzi-Bielga National Park kommt, dann stehen in jedem Fall primär die Pygmäen unter Verdacht. Da sie als akute Bedrohung für das Gebiet angesehen werden, werden Batwa, die die Regeln des Naturschutzgebietes gebrochen haben, sehr brutal behandelt, um die Pygmäen in Zukunft davor abzuschrecken, das Gebiet wieder zu betreten. Durch die schlechte Behandlung der vier Batwa, die beschuldigt wurden, einen der berühmtesten Gorillas der Regionen getötet zu haben, sollten die anderen Pygmäen abgeschreckt werden. Trotz unmenschlicher Zustände und der Folter, die die Gefangen während ihrer Untersuchungshaft erdulden mussten, konnte ihnen keine Schuld nachgewiesen werden und sie wurden freigelassen. Allerdings sind die Folgen für die Pygmäen der Region bis heute fatal. Bereits mehr als 50 Prozent der damals Vertriebenen starben in der Zwischenzeit. Ebenso ist die Säuglingssterblichkeit in diesem Pygmäenstamm extrem hoch.555 „…since we were expelled from our lands, death is following us. We bury people nearly every day. The village is becoming empty. We are heading towards extinction. Now all the old people have died. Our culture is dying too.”556 In anderen Regionen, auch außerhalb der DRC, sind ähnliche Vertreibungen zum Zweck der Gründung von Nationalparks zu beobachten. Die Batwa Bevölkerung hat neben ihrem Anspruch auf das Land in der Region den Regenwald über Jahrhunderte nicht geschädigt. Einige der Batwa wurde auch von der UNESCO als Parkwächter eingestellt, da ihre Fähigkeiten und ihr Wissen über den Regenwald geschätzt werden. Im Gegensatz zu den Batwa erhielten andere Gruppen, die Regenwald in Ackerland umgewandelt haben, Kompensationszahlungen und ihre Rechte auf das Eigentum des Landes wurde anerkannt und respektiert.557 Kompensationen blieben deshalb oft aus, weil die Projekte meist ausschließlich auf die Natur aufgebaut waren, und die Bevölkerung, die in diesen Gebieten wohnte, nicht in die Planung miteinbezogen wurde. Während des Projektes kam man nur zu dem Schluss, dass man die Pygmäen aus der Region aussiedeln müsste, aber es 555 Vgl. Lewis, S.21f. Zitat einer Mutwa aus Kalehe (DRC), in: IRIN, In-Depth Report (2006), S.9. 557 IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 556 213 gab keine weiteren Planungen zu deren Unterstützung bzw. Hilfe bei deren veränderter Lebenssituation. Es wird vielfach kritisiert, dass die Projektplaner die Pygmäen überhaupt nicht in die Projekte mit einbeziehen, sondern ihre eigenen Ideen der Konservierungsmaßnahmen verwirklichen. Viele sind der Meinung, dass die Projektplaner sehr stark vom Wissen der Pygmäen profitieren würden. Zudem wären die Batwa seit sehr langen Traditionen untrennbar mit dem Regenwald verbunden und es läge auch in ihrem Interesse, den Regenwald zu konservieren, wodurch sie ein sehr wichtiger Partner für die Projekte wären. Ebenso wäre ihnen geholfen und sie würden ihren Lebensraum und ihre Traditionen bzw. ihre Lebensweise nicht verlieren.558 Obwohl es bei manchen Organisationen ein kleines Umdenken erfolgt und es Initiativen gibt, dass die regionalen Völker und Stämme Entschädigungen bekommen bzw. in die Projekte miteinbezogen werden, gibt es bei der Umsetzung und Verteilung der Förderungen bzw. Kompensationen nach wie vor Schwierigkeiten und viele der Gelder landen bei den falschen Gruppen.559 8.3. Vorurteile Die Vorurteile gegen die Pygmäen, die auch einige der Hauptgründe für die Diskriminierung der Pygmäen bzw. ihre schlechte Lebenssituation darstellen, bestanden, seit man das erste Mal mit den Pygmäen Kontakt hatte bzw. sie entdeckte. Grund dafür ist ihre kleine Statur und ihre Lebensweise, die von der Modernisierung beinahe gar nicht beeinflusst wurde. Sie wurden sogar als Affen bezeichnet und als solche behandelt. Zur Weltausstellung in New York wurde Ota Benga, ein Pygmäe aus dem Kongo, der damals noch belgische Provinz war, eingeflogen und ausgestellt. Der damals 23-jährige Benga wurde nach der Ausstellung in den Zoo in der Bronx in New York gebracht, wo er in einem Affenkäfig leben musste. Er beging 1916 Selbstmord. 560 Außerhalb Afrikas gibt es nach wie vor Vorurteile gegenüber die Pygmäen. Vor allem die Tierschützer aus Nordamerika und Europa stigmatisieren die Pygmäen in der DRC als Wilderer und Gefahr für die vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Die 558 Vgl. Lewis, S.22. Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 560 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.10. 559 214 Folgen sind, dass die Parkwächter der Nationalparks die Pygmäen, die in der Nähe der Schutzgebiete siedeln, regelmäßig attackieren.561 Die Situation der Pygmäen im zentralen Afrika ist von Vorurteilen und Stereotypen geprägt. Die Bantu haben die Handelsbeziehungen und ihre technische Fortschrittlichkeit gegenüber den Pygmäen ausgenutzt, um diese zu unterwerfen. Zuerst ein schleichender Prozess wurde die Unterdrückung in den letzten Jahrzehnten immer offensichtlicher. Durch die Veränderung der Lebensräume durch einerseits die zunehmende Immigration und andererseits die Abholzung und Vertreibung des dem Regenwald, wurden die Pygmäen zunehmend abhängig von den Bantu, wodurch sich ihre Position rapide verschlechterte. Nachdem die Bantu, die zuerst ebenso von den Pygmäen abhängig waren, sich aus dieser Abhängigkeit lösen konnten, begannen sich die Ansichten und Meinungen über die Pygmäen zu verschlechtern.562 Heute werden die Pygmäen als grundsätzlich wild und unzivilisiert angesehen. Man hält sie für schmutzig, faul, dumm, und es wird allgemein davon ausgegangen, dass man ihnen nicht trauen kann. Zudem hält man sie für Untermenschen, sozial und körperlich unterentwickelt sind, weshalb sie auch nur zu niederen Tätigkeiten herangezogen werden können.563 Die Diskriminierung findet sehr offen statt und man gibt ihnen Namen, die sie klar als Pygmäen stigmatisieren und herabsetzen564. Der Lebensstil der Pygmäen wird als abschreckendes Beispiel und als unmoralisch beschrieben. Sie werden nicht als gleichwertige Menschen angesehen, und dieses Argument wird auch immer wieder als Rechtfertigung für Gewalt und anderen Verbrechen.565 Diese Vorurteile führen auch zu einer strikten Trennung der Pygmäen von dem Rest der Bevölkerung. Dabei werden ihre Lebensgewohnheiten als Begründung herangezogen, da diese durch das Nomadentum, eher Tieren ähneln würde, als Menschen. Die Arten der Diskriminierung und Ausgrenzung, die die Pygmäen durch ihren unmittelbaren Nachbarn erfahren, sind teilweise extremer Natur. Viele Menschen weigern sich, mit den Pygmäen zu speisen oder mit ihnen auf derselben 561 Vgl. Lewis, S.6. Vgl. Lewis, S.6. 563 Vgl. Jackson, Dorothy. Indigenous Forest Peoples Under Threat, http://www.indigenous-infokenya.org/publications/Nomadic%20News%207%20Resources%20in%20Indigenous%20Peoples'%20Lands%20 2004/Indigenous%20Forest%20Peoples%20Under%20Threat.pdf, S.1. 564 Solche Namen sind: Abayanda (in der negativen Bedeutung: Menschen die stehlen), Abashenzi (unzivilisierte Menschen), Abashezi (Hexen/r), Gutyoza (verachtete Menschen), Intarima (Menschen die unfähig sind, als Bauern zu arbeiten), Abaryantama (Menschen die Hammel essen) und Abaterampango (Menschen, die Antilopen essen, welche als ekelhaftes Essen gehandelt werden), in: Lewis, S.13. 565 Vgl. Lewis, S.13. 562 215 Bank zu sitzen. Pygmäen müssen auf öffentlichen Plätzen immer am Rand bleiben. Wenn sie etwas verkaufen, müssen sie weit weg von den anderen Verkäufern sitzen und müssen ihr Wasser an anderen Quellen schöpfen als der Rest des Dorfes. Zudem verweigern die meisten Bantu jegliche sexuelle oder andere partnerschaftliche Verbindung mit Pygmäen. Pygmäen haben so gut wie keine individuellen Rechte. Die Peiniger bleiben oft ohne Strafverfolgung, weil sich die Pygmäen selbst nur sehr schlecht bzw. gar nicht vor Gericht verteidigen können.566 8.4. Wirtschaftliche Isolation Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in den Ländern rund um die Große Seen Region respektive der DRC hat den Lebensraum und die Lebensweise der Pygmäen stark verändert und in fast allen Fällen extrem verschlechtert. Diskriminierung, die wachsende Bevölkerung, die Abholzung des Regenwaldes und die bewaffneten Konflikte sind dafür verantwortlich, dass viele der Pygmäen ihren Lebensraum verlassen mussten. Viele von ihnen änderten ihren Lebensstil, scheiterten aber daran, sich in die Gesellschaft einzugliedern und leben in den meisten Fällen in Armut als Menschen zweiter Klasse, ohne oder mit kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung, Landbesitz und Arbeit. Durch die Lebensweise der Pygmäen, die auf Tauschen aufgebaut ist, haben sie kaum bzw. keine Erfahrung mit Geld bzw. dem Finanzmarkt. Aus diesem Grund sind auch auf dem wirtschaftlichen Sektor extrem isoliert. Das Wissen über den Regenwald und alternative Medizin ist in der neuen sozialen Umgebung, in der sich viele Pygmäen heute zurechtfinden müssen, wertlos. Zudem ist ihre Ausgangsposition durch die ethnische Diskriminierung, die sie erfahren müssen, sehr schwierig und erschwert die Interaktion mit der Außenwelt aus der Sicht der Pygmäen noch zusehends.567 Durch die Aufsplitterung der Pygmäen in Dörfer und ihre Lebensweise, die keine Aufsparungen von Ressourcen vorsieht, ist das Kapital der Pygmäen zu investieren sehr gering bzw. in den meisten Fällen nicht vorhanden. Zudem gibt es bei den Pygmäen nur kollektiven Besitz, wodurch die ökonomischen Möglichkeiten für den Einzelnen noch zusätzlich vermindert werden. Dieser Mangel an ökonomischem 566 567 Vgl. Lewis, S.14. Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.11. 216 Gewicht und Einfluss schließt die Pygmäen beinahe vollständig aus der Wirtschaft des jeweiligen Landes aus. In einer Studie des International Council on Human Rights (ICHR) wird die mangelnde Bildung als einer der Hauptgründe für den Ausschluss aus der Wirtschaft identifiziert. Der mangelnde Zugang zu Bildung zog sich durch die verschiedenen Regierungsphasen von der Kolonisierung bis zur heutigen Regierung. In der Vergangenheit wurde verabsäumt, den Pygmäen grundlegende Bildung beizubringen. Auch die heutige Situation hat den Zugang zu Bildung für die Pygmäen nicht verbessert. Die Integration der Pygmäen in den Arbeitsmarkt ist durch Analphabetismus beinahe unmöglich. Die mangelnde Berücksichtigung durch die Regierung wird auch durch die mangelnde politische Repräsentation der Pygmäen verstärkt. Das ICHR stuft die Situation in der Zukunft noch schwieriger ein, da sich die Wirtschaft und die Gesellschaft immer schneller entwickelt und die afrikanische politische Situation dem internationalen Standard noch unterlegen ist. Aus diesem Grund werden die Pygmäen aufgrund mangelnder politischer Repräsentation ihre Lage nur schwer verbessern können und weitere ökonomische Ausgrenzung erfahren.568 8.5. Mangelnde politische Repräsentation und politisches Desinteresse Viele der Regierungen in Zentralafrika räumen den Pygmäen keine Rechte ein, sich selbst zu organisieren oder zu repräsentieren. Durch die dadurch entstandene Diskriminierung, Gewalt und Armut wurden die Pygmäen sozial isoliert. Sie haben keinerlei Möglichkeiten, sich politisch Gehör zu verschaffen und verfügen über keine Institutionen, die ihre Rechte verteidigen könnten. Zwar fühlen sich die Pygmäen solidarisch mit anderen Pygmäenstämmen, sie haben jedoch durch ihre Aufsplitterung und kleinen Gruppen oft keine Möglichkeiten sich zu organisieren, wodurch sie politisch kein Gewicht haben. Ein weiteres Problem ist die Machtstruktur in herkömmlichen Institutionen, die komplett konträr zur Lebensweise der Pygmäen ist. In der Kultur der Pygmäen gibt es nur Konsensentscheidungen und kein fixes Oberhaupt somit auch keinen dauerhaften Ansprechpartner für etwaige Verhandlungen. Diese Tatsache wird oft kritisiert und führt dazu, dass die Pygmäen aus Projekten und Initiativen ausgeschlossen werden. Neben der mangelnden 568 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.11f. 217 Führungsstruktur in den Pygmäengemeinschaften, spielen auch die Vorurteile eine große Rolle in der mangelnden Inklusion in die politische Sphäre. Die Pygmäen werden als unterentwickelt, unrein und unintelligent angesehen und aus diesem Grund regelmäßig ausgeschlossen. aus Dies Entscheidungen, führt dazu, dass die viele die Öffentlichkeit Hilfsprojekte die betreffen, Pygmäen ausschließen, wodurch sich die Situation für die Pygmäen weiter verschlechtert.569 Obwohl die DRC seit Februar 2006 eine neue Verfassung hat, die den Minderheiten Rechte und Schutz zusichert, hat sich die Situation für die Pygmäen nicht wirklich verändert. Viele Pygmäen beklagen die weiterhin andauernde Diskriminierung und den Ausschluss aus dem öffentlichen und politischen Leben. Ein Beispiel dafür ist, dass es keinen Abgesandten der Pygmäen in der Regierung oder im Parlament gibt, das jedoch das ganze Land repräsentieren sollte. Vielfach ist das Problem auch die mangelnde Information bzw. das mangelnde Wissen über die neue Verfassung bzw. die Rechte und den Schutz, der damit verbunden ist. Dies liegt einerseits daran, dass die Pygmäen größtenteils keine ausreichende Bildung haben und andererseits daran, dass keine Initiativen unternommen werden, die Pygmäen darüber aufzuklären. Durch ihre Stellung als Randgruppe herrscht unter den Pygmäen ein Desinteresse an Politik. Sie sehen keine Möglichkeit, aktiv in das politische Geschehen eingreifen zu können, weil sie gegenüber der sich in der Mehrzahl befindlichen Bantu im Nachteil sind. Aus diesem Grund hat sich auch kein Pygmäe zur Wahl aufstellen lassen. Das Desinteresse der Pygmäen an Politik drückt sich auch in der Zurückhaltung bei der Teilnahme an Wahlen oder Abstimmungen aus. Wenige Pygmäen ließen sich registrieren, was auch mit dem Prozess der Erlangung eines Personalausweises zusammenhängt. Neben dem Desinteresse herrscht innerhalb der Pygmäen vielfach der Glaube vor, dass sie als extrem kleiner Teil der Gesamtbevölkerung keinen Einfluss auf das Ergebnis haben. Zudem zweifeln sie daran, dass sie als Volk von der neuen Regierung bzw. den gewählten Politikern eine Verbesserung ihrer Lage respektive Hilfe erwarten können. Da nur Bantu gewählt werden können, würden auch nur Bantu profitieren. Aus diesem Grund sei eine Wahlteilnahme nicht von großem Nutzen, so die Annahme in der Pygmäengemeinschaft der DRC.570 569 570 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.12. Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.23f. 218 8.6. Verlust der eigenen Identität Viele Organisationen, speziell Batwa Gruppen, treten vehement für die Durchsetzung der Rechte der Pygmäen ein, weil sie befürchten, die Pygmäen würden ihre Identität verlieren. Die verschiedenen Stämme der Pygmäen sind durch die Vertreibung von ihren Lebensräumen in den Regenwäldern zu Änderungen in ihrer Lebensweise gezwungen worden. Sie mussten andere Arbeit annehmen und versuchen, sich ihren Lebensunterhalt anders zu verdienen als durch Jagen und Sammeln. Die Angst der Pygmäen-Repräsentanten ist die vollständige Assimilation anstelle einer Integration der Pygmäen. Der Unterschied ist, dass bei der Assimilation die eigene Kultur verloren geht, wogegen bei der Integration die Kultur der jeweils integrierten Gruppe respektiert wird und zu großen Teilen erhalten bleibt.571 Die Identität der Pygmäen respektive der Batwa stützte sich in der Geschichte ausschließlich auf die ökonomischen Praktiken. Die ursprüngliche Identität als ausschließlich Jäger und Sammler ist heute nur noch in sehr wenigen Stämmen vorhanden. In vielen Fällen veränderten sich die Tätigkeiten der Pygmäen und sie wurden Handarbeiter. Somit erweiterte sich die Identität als Jäger und Sammler um die Identität als Handwerker und Bastler. Als der Tauschhandel mit den Handarbeitsgegenständen nicht mehr reichte, um den Lebensunterhalt zu sichern, und das Jagen und Sammeln durch Gesetze verboten wurde und die Pygmäen aus dem Regenwald vertrieben wurden, wurden in vielen Stämmen die Frauen zu den Hauptverdienern der Familie indem sie töpferten. Doch auch die Töpferei wird zusehends schwieriger und wirft oft nicht mehr genug Profit ab, um die Familie zu ernähren. Sehr viele Pygmäen arbeiten nun als Tagelöhner, Knechte oder betteln, um an Geld für die Ernährung der Familie zu kommen. Durch diese Situation befinden sich viele Pygmäen in einer Identitätskrise. Die Männer, die nicht mehr als Jäger und Sammler leben können und zusätzlich ihre Position als Ernährer der Familie immer mehr verlieren, und die Frauen, weil sie ihre Tradition als Töpferinnen nicht mehr so ausüben können und die erworbene Position und wichtigere Stellung innerhalb der Familie dadurch wieder in Gefahr sahen. Um dieser Unklarheit und den Zweifeln über die eigenen Identität zu entgehen, entscheiden sich viele Pygmäen, insbesondere diejenigen, die nicht mehr in den Wäldern leben, sich zu assimilieren. Teilweise ist diese Entwicklung auch die einzige 571 Vgl. Lewis, S.7. 219 Möglichkeit für die Pygmäen zu überleben. Auch organisierte Gruppen, die in Städten oder größeren Dörfern, leben treten für eine Assimilierung ein, um die Situation der Pygmäen zu verbessern. Die Versuche der Assimilierung führen jedoch in den meisten Fällen nicht zu dem gewünschten Resultat, da die Diskriminierung weiterhin besteht, und die Pygmäen trotz der Aufgabe ihrer alten Lebensweise nicht wirklich als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Auch hinsichtlich ihrer Religion gibt es Assimilierungstendenzen. Allerdings liegt dies meist darin begründet, dass sich die Pygmäen Profite und Almosen erhoffen. Sehr selten spielt wirkliches Interesse an dem anderen Glauben eine Rolle für die Annahme einer anderen Religion. Diese Entwicklungen sind in den östlichen Ländern des zentralen Afrikas stärker zu beobachten, während in der DRC durch den hohen Anteil der Pygmäen, die noch in den Wäldern wohnen, weniger andere Lebensweisen vorzufinden sind. Die Pygmäen der DRC haben im Vergleich zu den anderen Pygmäenstämmen in den Nachbarländern besseren Zugang zu ihrem ursprünglichen Lebensraum, wobei die Tendenz zu Vertreibung und Enteignung und in weiterer Folge zum Verlust der Identität sehr stark denen in den anderen Staaten, in denen Pygmäen leben, ähnelt.572 8.7. Soziale Probleme Neben den Problemen, die zwischen den Pygmäen und der Außenwelt bestehen, gibt es auch innerhalb der Gesellschaft immer öfter Zerrüttungen und Streitigkeiten. Der Zusammenhalt und die Gemeinschaft sind die Basis für das Überleben und die Lebensweise der Pygmäen. Die veränderten Situationen wirken sich allerdings auch auf die einzelnen Dörfer und Familien aus. Der Wechsel zu den Frauen als Haupternährer der Familie, wie es bei den Töpfer-Gemeinschaften der Fall ist, stürzte die Männer dieser Gemeinschaften in eine tiefe Krise. Viele der Männer suchten ihr Heil im Alkohol, wodurch sie auch andere Aufgaben innerhalb der Familie nicht mehr erfüllen konnten. Dadurch kam es zu vielen Scheidungen und viele Familien zerbrachen.573 572 573 Vgl. Lewis, S.10f. Vgl. Lewis, S.10. 220 Die Gemeinschaften werden auch bedroht, da sich die Pygmäen zusehends mit Bantu mischen. Obwohl es viele der Bantu bzw. anderen ethnischen Stämme strikt ablehnen, Ehen mit Pygmäen einzugehen, haben die Frauen der Pygmäen teilweise einen sehr hohen Stellenwert, da man ihnen reinigende Kräfte zugesteht. So verlieren die Pygmäen ungefähr 14 Prozent ihrer Frauen an andere ethnische Gruppen, und die Anzahl der Männer und Frauen ist zu Ungunsten der Männer sehr oft unausgeglichen. Dies führt zu Konflikten und Streit innerhalb der einzelnen Dörfer und führt oft zu Zerrüttungen.574 8.8. Gesundheitliche Bedrohungen Die Pygmäen lebten sehr lange isoliert von vielen anderen Bevölkerungsteilen. Durch die Veränderung des Lebensraumes und der Lebenssituation ist es für die Pygmäen auch hinsichtlich der Krankheiten und gesundheitlichen Bedrohung gefährlicher geworden Viele infektiöse Krankheiten, insbesondere HIV/AIDS treten vermehrt auf. Nach wie vor ist Malaria die häufigste Todesursache unter den Pygmäen, und es gibt einige Projekte, die die Vorsicht und das Wissen über die Infektionsmöglichkeiten erhöhen sollen. HIV/AIDS ist in den letzten Jahren immer gefährlicher für die Pygmäen geworden, da sie, durch die Abholzung des Waldes in immer engeren und häufigeren Kontakt mit anderen ethnischen Gruppen kamen und dadurch auch in Kontakt mit HIV/AIDS. Zudem herrscht in der Bevölkerung der allgemeine Glaube, dass Geschlechtsverkehr mit Pygmäenfrauen eine reinigende und heilende Wirkung hat, was natürlich erheblich zur Verbreitung beträgt. Der mangelnde Zugang zu medizinischer Versorgung trägt auch zu der schlechter werdenden Situation der Pygmäen bei.575 8.9. Die Auswirkungen des Krieges auf die Pygmäenstämme Der Regenwald um die Großen Seen stellt auch den Hauptschauplatz der zahlreichen Konflikte der Region dar, in die alle Länder – teilweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten – involviert waren. Dabei stellte der Wald einen Zufluchtsort für diverse bewaffnete Gruppen dar. Diese Situation hat sich in der DRC 574 575 Vgl. Efe and Mbuti, World Cultures. Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.8. 221 trotz des Friedensabkommens und des Rückzugs der ruandischen und ugandischen Armee nicht geändert. Nach wie vor verstecken sich die Interahamwe, ruandische Hutu-Milizen, und Mayi-Mayi, Milizen aus der DRC in den Regenwäldern im Osten der DRC. Durch die kriegerischen Handlungen und den Unterschlupf, den die verfeindeten Gruppen in den Wäldern suchen, werden die Pygmäen, die meist genau in diesen Regionen siedeln, erheblich bedroht. Viele flohen aus der Region und leben zurzeit weit von ihrem normalen Lebensraum weg. Andere Pygmäen, die ihre Dörfer nicht aufgaben, sind größtenteils Gefangene im Zentrum des Konflikts. Zu keiner Seite loyal sind die Pygmäen durch alle kriegerischen Gruppen leicht verwundbar. Die Interahamwe, die am meisten gefürchtete Miliz in der Region, überfallen, vergewaltigen und ermorden regelmäßig Pygmäen und schrecken auf ihrem Weg durch den Regenwald vor keinem Gewaltverbrechen zurück. Die MayiMayi haben laut Berichten die Pygmäen immer wieder dazu gezwungen, dass sie zu Waffen greifen und aktiv in den Kampf eingreifen. Da die Mayi-Mayi aus dem Wald heraus attackieren und operieren werden die Pygmäen sehr oft für Mayi-Mayi gehalten und man nimmt Rache an ihnen, respektive einem ihrer Dörfer. Dabei gab es Berichte, wonach einige Pygmäen in Standgerichten erschossen wurden und ihr Dorf niedergebrannt wurde. Wenn die Soldaten sich aus dem Wald zurückgezogen haben, kommen die Mayi-Mayi Milizen zu den Dörfern der Pygmäen und misshandeln sie ihrerseits, da sie Kooperationen mit den Soldaten vermuten. Diese Situation verdeutlicht die Verwundbarkeit und Schutzlosigkeit der Pygmäen gegenüber beiden, respektive allen Kriegsparteien. Viele der Pygmäen wurden auch aus diesem Grund zu nationalen Flüchtlingen, allerdings gibt es keine genauen Zahlen.576 8.10. Beispiele der Situation der Pygmäen in der DRC577 Die Diskriminierung der Pygmäen sowie andere Benachteiligungen und Ausnutzungen, die oben angeführt wurden, sind in auch in der DRC an der Tagesordnung und beeinflussen das Leben der Pygmäen sehr. Die Situation der Pygmäen in der DRC ist sehr schlecht und das manifestiert sich in unterschiedlichen Bereichen. 576 Vgl. Lewis, S.25. Siehe Anhang für einige Beispiele für Übergriffe an der Bevölkerung der Pygmäen in der DRC. (Anm. d. Autors) 577 222 Auch wenn in der DRC im Vergleich zu anderen Ländern der Regenwaldanteil und der Anteil der Pygmäen, die in den Wäldern leben noch ziemlich hoch sind, können auch diese immer schwerer und seltener ihre traditionelle Lebensweise verfolgen. Grund dafür ist die intensive Abholzung der Regenwälder, die neben der geringeren Waldfläche auch erhebliche Auswirkungen auf die Tierwelt hat. Aufgrund des Lärms der Maschinen fliehen die Tiere, und die Pygmäen müssen oft wochelang wandern, um geeignete Tiere für die Jagd zu finden, wodurch sie oft Hunger leiden. Ebenso handeln die Abholzungsfirmen gegen das kongolesische Recht, indem sie keinerlei Unterstützung oder Kompensationen für die Pygmäenfamilien zu Verfügung stellen. Die Pygmäen werden neben der Abholzung auch aufgrund anderer Bedrohungen von ihren Wohnflächen vertrieben. Eigentum ist in der DRC nur Staatsbürgern gestattet. Da die meisten Pygmäen keine offiziellen Papiere besitzen, können sie kein Land erwerben. Durch diese Situation und die Bedrohung seitens der Bantu, die oft Vertreibung oder Ländereiendiebstahl zur Folge hat, müssen die Pygmäen oft für Andere arbeiten und werden dabei oft ausgenutzt und als Sklaven gehalten. Sofern es Bezahlung gibt, erfolgt diese meistens nur in Form von Essen. Die Pygmäen haben zu extrem geringer Zahl Zugang zu Bildung. In der Provinz Orientale haben nur zwei von 1.000 Pygmäen die Möglichkeit, Bildung in Anspruch zu nehmen. Seitens der Behörden und Politiker wird erklärt, dass es bereits Initiativen gäbe, diese niedrige Zahl zu erhöhen und die Situation zu verbessern. Allerdings steht die Verbesserung der Bildungssituation für die Pygmäen schon seit Jahren auf der Agenda der Regierung ohne verwirklicht zu werden. Diese Tatsache wird seitens der Regierung auch den Pygmäen selbst zugeschrieben, da diese es vorziehen, ihre traditionelle Lebensweise zu leben und das Angebot der Regierung, sie in die moderne Welt einzuführen ausschließen würden. Ein sehr großes Problem der Pygmäen ist die weit verbreitete Armut. Ohne ihren traditionellen Lebensraum haben sie oftmals keine Mittel, um zu überleben. Sie müssen betteln und leben auf der Straße. Obwohl die Regierung betont, dass die Pygmäen nicht ärmer wären als andere ethnische Minderheiten, gibt es Situationen, die das Gegenteil offensichtlich machen. Es gibt Familien, die komplett nackt sind und auf der Straße leben, weil sie keine Möglichkeiten und Mittel haben sich zu kleiden. Pygmäenkinder, die die Möglichkeit haben, die Schule zu besuchen, haben oft keine Kreiden und Tafeln und müssen ihre Aufgaben und ihre Mitschrift auf Blätter ritzen, wodurch sie riskieren, dass alles verloren geht. 223 Der Krieg hatte erheblich Auswirkungen auf die Bevölkerung und deren Leben. Da sie von allen Kriegsparteien als potentielle Spione und Kollaborateure angesehen wurde, da man sie für leicht käuflich hielt, wurde sie von allen Seiten attackiert und missbraucht. Man zwang die Pygmäen dazu, die Soldaten durch den Wald zu führen, die so einen Vorteil gegenüber den anderen Parteien erlangten. Sie wurden zur Teilnahme am Krieg gezwungen. Man benutzte sie als menschliche Schutzschilder und als Träger der Kriegsbeute. Zudem wurden sie als Spione eingesetzt, allerdings ist das derzeit größte Problem der Missbrauch und die Vergewaltigungen der Mädchen und Frauen der Pygmäen. Neben den physischen Schäden, die den Pygmäen zugefügt wurden und werden, sind die unheilbaren psychischen Schäden oft das viel größere Problem. Auch in Friedenszeiten werden die Pygmäen als Menschen zweiter Klasse bzw. wie Tiere behandelt und diskriminiert. Es gibt Berichte von Augenzeugen, die sahen, dass Pygmäen mit toten Stammesoberhäuptern lebendig begraben wurden. In der Bantugesellschaft ist es zwar verboten, sexuelle Beziehungen zu Pygmäen zu haben, allerdings gibt es viele heimliche sexuelle Kontakte, die auch darin begründet sind, dass den Pygmäenfrauen heilende Kräfte zugeschrieben werden. Sollten Pygmäenfrauen aus diesen Kontakten schwanger werden, sind sie gezwungen dies zu verbergen, um keine Züchtigungen oder andere schwere Strafen über sich ergehen lassen zu müssen. Diese Praktiken sind der Regierung bekannt und in Stellungnahmen wird darauf hingewiesen, dass diese mittlerweile durch das Gesetz verfolgt würden, was allerdings in der Praxis nicht oft umgesetzt wird.578 8.11. Beispiele für die veränderten Lebensweisen der Pygmäen Im Rahmen einer Studie, die von der Norwegian Church Aid durchgeführt wurde, besuchten die Autoren vier Gegenden, um die Lebenssituation der Pygmäen zu untersuchen und ihre Bedürfnisse zu definieren. 8.11.1. Idwji Insel 578 Vgl. IRIN, In-Depth Report (2006), S.23. 224 Die Insel Idwji liegt in der Mitte des Kivu-Sees, und es wurden darauf vier Dörfer besucht. Insgesamt leben ungefähr 6.500 Pygmäen auf Idwji. Die Insel ist unterteilt in zwei Verwaltungsbereiche, für die jeweils ein Oberhaupt zuständig ist. Die Pygmäen auf der Insel sind Bambuti und absolut abhängig von der Toleranz des Oberhaupts, der Besitzer des Landes ist und sie jederzeit von der Insel vertreiben kann. Die Bambuti leben hauptsächlich als Bauern, Fischer und Handwerker. Sie haben keinerlei Mittel und leben in sehr einfachen Verhältnissen. Das Oberhaupt akzeptiert sie auf der Insel solange sie arbeiten und er sie als nutzvoll ansieht. In Verhandlungen mit dem Oberhaupt konnten sich die Pygmäen auf einen Kauf des Landes einigen, auf dem sie arbeiten, allerdings können sie den Preis nicht aufbringen. Die Fischer haben ein paar kleine Boote mit jedoch sehr wenig Ausrüstung, mit der sie auf dem See fischen. Für die Benutzung des Sees haben sie eine Gebühr von fünf US-Dollar zu entrichten, die allerdings für die meisten zu teuer ist. Aus diesem Grund werden Viele beim Fischen ohne Lizenz erwischt und hart bestraft. Es gibt auch einige Wildtiere auf der Insel aber bis auf ein paar kleine Tiere, die erlegt wurden, als sie an den Dörfern vorbeikamen, jagen die Pygmäen nicht, weil es ihnen nicht erlaubt ist. Alle der besuchten Pygmäen wurden auf der Insel geboren, weshalb sie auch keinen Bezug zum Wald haben, in dem ihre Vorfahren lebten. Sie wissen zwar, wie diese lebten, haben aber kein Interesse an dieser Lebensweise. Die Lebenssituation der Pygmäen ist durch den Mangel an Nahrung und den geringen Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung sehr schlecht. Es gibt eine hohe Kindersterblichkeit und die vorhandenen Schulen und Ärzte können von den Pygmäen aufgrund der zu hohen Preise nicht besucht werden. Die Liste der Bedürfnisse der vier Dörfer nach Priorität geordnet sieht so aus: 1. Land (dessen Besitz) 2. Bessere Ausrüstung zur Landwirtschaft und Fischerei 3. Bildung 4. Bessere Häuser 5. Gesundheit 8.11.2. Kavumu Gebiet 225 Die Forscher besuchten zwei Dörfer in der Nähe des Kahuzi-Beiga Nationalparks, in denen die vertriebenen Pygmäen aus dem Gebiet des Parks leben. Diese Pygmäen hatten traditionell als Jäger und Sammler gelebt und wurden in eine völlig neue und andere Umgebung vertrieben. Sie haben keinen Zugang mehr zu den Ressourcen im Park. Wenn sie innerhalb des Parks gefangen werden, droht ihnen Gefängnis oder eine sehr hohe Geldstrafe (US$ 200). Ein weiteres Problem, unter dem die Pygmäen leiden, ist die Aufsplitterung der Pygmäengesellschaft aus dem jetzigen Nationalpark in viele kleine Dörfer. Vor der Vertreibung bestand enger Kontakt zwischen den Dörfern. In dem Gebiet, in dem die Pygmäen jetzt leben, sind sie oft Ziel für die Interahamwe Milizen, die sich in diesem Gebiet verstecken. Die Dorfbewohner berichteten von Überfällen, bei denen das gesamte Dorf zerstört wurde und alle Ressourcen gestohlen wurden. Sie leben in Häusern, die in sehr schlechtem Zustand sind, haben zu wenig Nahrungsmittel und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, obwohl eine Klinik in der Nähe ist. Als sie eine Malaria und Cholera Epidemie hatten, wurde ihnen dort die medizinische Versorgung verweigert. Trotzdem sie ein gutes Verhältnis zu den Behörden haben, gelingt es ihnen nicht, die Flächen, auf denen sie wohnen, zu kaufen. Sie fühlen sich wie Flüchtlinge, weil sie Angst haben, jederzeit aus ihrem Dorf vertrieben zu werden. Immer wieder kommen weitere Bambuti und finden als Flüchtlinge Unterschlupf in den Dörfern. Befragt nach ihren Prioritäten, gaben sie folgende an: 1. Bessere Häuser 2. Land 3. Bildung 4. Ausrüstung für Landwirtschaft 5. Medizinische Einrichtungen 8.11.3. Goma, Masisi und die Rutshuru Gegend In der Region um Goma nahe an Grenze zu Ruanda und Uganda besuchten die Forscher sechs Dörfer. Bis auf zwei Dörfer waren die Pygmäen in dem Besitz des Landes auf dem sie lebten. Sie waren entweder schon seit Generationen auf dem Land, da ihre Vorfahren die Wälder verlassen haben, oder sie waren durch den Krieg 226 gezwungen, ihre Siedlungen im Regenwald zu verlassen. Die Gegend ist noch immer von militärischen Einheiten besetzt, und es gibt immer wieder Berichte von Übergriffen an Pygmäen. Die Pygmäen in diesen Dörfern wollen bis auf einige Ausnahmen nicht mehr zurück in die Wälder, leben aber dennoch in einer sehr schwierigen Situation. Sie haben keinen Zugang zu Wasser, keine Ressourcen und keine Ausrüstung, um Landwirtschaft zu betreiben. Ebenso wie in den anderen Gegenden haben sie keine Möglichkeit auf medizinische Versorgung. Zudem fühlen sie sich sehr stark von den Bantu diskriminiert Ihre Liste der Prioritäten sah aus, wie folgt: 1. Land 2. Bessere Häuser 3. Bildung 4. Wasser 5. Medizinische Versorgung579 579 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004). The Pygmies of the Great Lakes. An assessment of the Batwa/Bambuti Situation in Burundi and Eastern part of the Democratic Republic of Congo and Batwa/Bambuti Organisations in Bukavu (DRC) and Bujumbura (Burundi), Norwegian Church Aid Occasional Paper Series No 02/2004, S.20ff. 227 9. NGOs und Projekte zur Hilfe der Pygmäen der DRC Im folgenden Kapitel werden einige Bewegungen, Projekte und Initiativen nationaler und internationaler NGOs beschrieben. Aus diesem Grund werden zuerst einige lokale NGOs und deren Aktivitäten und Initiativen aufgelistet und schließlich ein paar internationale NGOs, die sich mit den Pygmäen und der Verbesserung ihrer Situation beschäftigen, beschrieben. Dabei werden auch die Projekte kurz erläutert und die Ziele bzw. Fortschritte erklärt.580 Die Batwa Organisationen sind seit 1994 in der ständigen Arbeitsgruppe über die Eingeborenen Völker der Vereinten Nationen aktiv und versuchen, an einer Verbesserung der Situation für das Volk der Pygmäen sowie einem allgemein gültigen Regelwerk zu arbeiten. 1998 traten auch die Batwa Organisationen aus der DRC der Arbeitsgruppe bei und waren bis zu deren Ende 2005 ständige Teilnehmer. 9.1. Ausgewählte Tätigkeiten der Pygmäen Eine Delegation der Pygmäen aus der DRC forderte in einer Präsentation vor dem Dauerhaften Forum der Vereinten Nationen für Angelegenheiten der eingeborenen Völker581: 1. die Weltbank auf, zu erklären, wieso sie sich in einem Projekt zu unmittelbaren Unterstützung Wiedervereinigung (PSURES) 582 der sozialen und ökonomischen nicht an bestimmte Direktiven für die Vorgehensweise gegenüber eingeborenen Völker hielt. 2. die PSURES auszusetzen, bis eben dieser Operationsmodus angewandt wird. 3. die Regierung der DRC auf, unmittelbare Maßnahmen einzuleiten, die der Armut unter den Pygmäen entgegenwirken. 4. die Regierung der DRC auf, eine Analyse einzuleiten, die die Umwelteinflüsse auf die Pygmäen zu untersuchen, bevor weitere Konzessionen für die Waldgebiete vergeben werden. 580 Vgl. Lewis, S.7. Vgl. CAMV (2005). Declaration of the Pygmies’ organization of DRCongo at the 4th session of the United Nations Permanent Forum for the Indigenous issues in New York, Pygmies Echo, No.18, August 2005, S.7. 582 Projet de soutien d’urgence à la réunification économique. (Anm. d. Autors) 581 228 Es gibt seit einigen Jahren auch Treffen zwischen den jungen Pygmäen aus Ruanda, Burundi und der DRC in einem der Länder. Dabei werden die aktuellen und wichtigsten Probleme der Pygmäen erörtert und Theorien zur Beseitigung dieser besprochen. Diese Treffen finden meist unter der Schirmherrschaft eines internationalen NGOs statt und werden in Zusammenarbeit mit den lokalen Gruppen organisiert. Außerdem sind die Pygmäen mittlerweile immer weitreichender in der Lage, sich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. So kam es 2005 zu einem Marsch von 2.300 Pygmäen, die in der Provinz Orientale in der Stadt Isiro für ihre Rechte demonstrierten. Dies war die erste offizielle Demonstration der Pygmäen. Nach der Demonstration kam es zu einer offiziellen Kundgebung und der vehementen Forderung nach mehr Rechten für die Pygmäen.583 Dies sind nur zwei Beispiele für die zunehmende Organisation der Pygmäen. Die lokalen NGOs sind in großem Maße für diese Organisation mitverantwortlich. 9.2. Lokale NGOs Trotzdem es in manchen Ländern verboten ist, gelang es in Burundi zu Beginn der 90iger Jahre einigen Pygmäen, sich zu organisieren und eine NGO zu gründen. Dieser Erfolg zog weitere Gründungen von NGOs mit sich und sukzessive bildete sich ein Netzwerk von Pygmäen-NGOs, die auch über die Grenzen hinweg zusammenarbeiteten.584 9.2.1. Centre d’accompagnement des Autochtones pygmees et Minoritaires Vulnerables (CAMV) 585 Das CAMV wurde am 29. Februar 1995 gegründet und hat seinen Sitz in Bukavu, einer Stadt in der DRC an der Grenze zu Ruanda. Gegründet wurde es von gebildeten Bambuti, die einerseits selbst die schwierige Situation der Pygmäen erlebt haben und andererseits die Leiden anderer Pygmäen beobachten konnten. 583 Vgl. (2004). Declaration of the Pygmies’ organization of DRCongo at the 4th session of the United Nations Permanent Forum for the Indigenous issues in New York, Pygmies Echo, No.18, August 2005, S.7. 584 Lewis, S.6. 585 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004), S.33ff. 229 Das Hauptziel des CAMV ist die absolute und globale Integration des Volkes der Pygmäen in die moderne Gesellschaft zu sichern. Weitere Ziele sind • Die Rechte der eingeborenen Pygmäen zu schützen und zu verteidigen. • Die Aufklärung der Pygmäen über ihre Rechte und Pflichten. Dies soll durch Seminare, Workshops, etc. geschehen. • Den Pygmäenfamilien durch humanitäre Hilfe beizustehen. • Aktivitäten: Entwicklungshilfe (Kleidung, Pflanzen, Ausrüstung, etc.) • Information und Kommunikation (Verfassen von Studien, etc.) • Bildung, Forschung und Training (Die CAMV hat kleine Büros gegründet, die in verschiedenen Pygmäendörfern, in denen Freiwillige als Lehrer arbeiten. • Arbeit mit Themen, die mit Menschenrechten zusammenhängen. • Umweltschutz • HIV/AIDS 9.2.1.1. Tätigkeitsbereich Die Priorität ihres Tätigkeitsbereichs in den östlichen Teilen der DRC und dabei speziell in der Provinz Süd-Kivu. Allerdings breitet sich ihr Tätigkeitsbereich immer weiter Richtung Norden aus und es bestehen bereits Komitees der CAMV in der Provinz Nord-Kivu. Das CAMV ist eine nationale Organisation, die in der ganzen DRC tätig ist und hat auch regen Kontakt mit Organisationen in Brunundi. 230 9.2.1.2. Netzwerk Die CAMV verfügt über lokale, regionale und internationale Partner und verfügt somit über ein sehr fundiertes Netzwerk. Lokale Partner: CARITAS, RAPY (Netzwerk der Pygmäen für die östliche DRC) Regionale Partner: IPACC586 (Südafrika), CAURWA587 (Ruanda) Internationale Partner: MRG588–UK, Rainforest Foundation – UK, ICCO589 (Holland), Front Line (Irland), 9.2.1.3. Finanzierung Die CAMV finanziert sich grundsätzlich selbst und bekommt nur geringe Förderungen von internationalen Sponsoren. Die Finanzierung des NGOs wird auch intern überprüft und überwacht. Die Finanzierung kann nach Anspruch geändert werden. 9.2.1.4. Analyse der Arbeit NCA hat in einem Report das CAMV als eines der wichtigsten und glaubwürdigsten NGOs, die sich mit Pygmäen beschäftigen, eingestuft. Durch die jahrelange Arbeit gelang es dem CAMV sich in den Siedlungsgebieten der Pygmäen zu etablieren. Die Organisation wird auch unter den Pygmäen angesehen und geschätzt, weil sie ihnen in der Vergangenheit helfen konnten. Zudem wurde das CAMV als glaubwürdig hinsichtlich ihres Hauptzieles eingestuft. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, weil der Unterschied zwischen Integration und Assimilation oft nicht beachtet wird. Die Arbeit des CAMV wird hinsichtlich dieser Frage als eindeutig integrativ und somit Kultur erhaltend eingestuft. Einziger Kritikpunkt der NCA ist die mangelnde Transparenz im finanziellen Bereich, da es keine externe Kontrolle der Finanzierung gibt. 586 Indigenous People of Africa Coordinating Committee. (Anm. d. Autors) Rwandese Community of Indigenous People Organisation. (Anm. d.Autors) 588 Minority Rigths Group (Anm. d. Autors) 589 Interchurch organisation for development co-operation. (Anm. d. Autors) 587 231 9.2.2. Union Pour L’emancipation de la Femme Autochtone (UEFA) 590 Die Etablierung der UEFA war zu Beginn sehr schwierig, da von vielen Männern nicht toleriert bzw. akzeptiert wurde, dass die NGO sich nur für die Frauen einsetzt. Die UEFA wurde 1998 gegründet und beschäftigte sich mit Themen wie Gesundheit, Hygiene und Alphabetisierung. Ein Projekt für Mikro-Kredite scheiterte an Missverständnissen und zu wenig Information. Andere Projekte scheiterten meist an der Sabotage und den Attacken der Interahamwe. Ihre Zielgruppe sind die BambutiFrauen in Süd-Kivu. Ihre Ziele sind: • Wieder stärker Bewusstscheinschaffung auf der Ebene der Basis insbesondere unter Frauen. • Unterstützung der sozioökonomischen, legalen und kulturellen Initiativen für Frauen in der DRC und in Afrika generell. • Aufklärung über die Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfe unter Eingeborenenfrauen, • Diskriminierung der Bambuti-Frauen • Unterstützung langfristiger Entwicklungshilfeprojekte • Schaffung von Plattformen auf denen sich Eingeborenenfrauen Gehör verschaffen können. • Mutter/Kind Schutz Neben aktiver Entwicklungshilfe im Bereich des Aufbaus von Schulen, Unterstützung bei der Umstellung der Wirtschaft auf Viehzucht und Hilfe bei der Handarbeitsproduktion, arbeitet die UEFA auch an der aktiven Aufklärung der Pygmäen über die respektive ihre Menschenrechte. Zudem arbeiten sie speziell mit Frauen die Opfer von Gewalt wurden – auch innerhalb der Gesellschaft der Pygmäen bzw. ihrer eigenen Männer. 590 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004), S.35ff. 232 9.2.2.1. Tätigkeitsbereich Die UEFA hat Büros in Kinshasa, Bukavu und Goma. Sie haben einige Beobachter in unterschiedlichen Dörfern der Pygmäen. Ihr Hauptzielgebiet ist die Provinz Süd-Kivu. 9.2.2.2. Netzwerk Das Netzwerk der UEFA ist nicht sehr groß. Es gibt nicht viele Kooperationen. Hauptpartner ist RAPY591 aus Ruanda. 9.2.2.3. Finanzierung Die UEFA hat ihre eigene Finanzverwaltung und übermittelt jedes Jahr einen kontrollierten Bericht über die finanziellen Tätigkeiten der UEFA. Sie werden als solide Organisation akzeptiert und haben eine solide finanzielle Basis. 9.2.2.4. Analyse der Arbeit der UEFA Die NCA stuft die Arbeit der UEFA als sehr wichtig für die Stärkung der Pygmäen ein, da sich die Organisation primär mit den Frauen beschäftigt. Die Mitarbeiter und Koordinatoren werden als sehr engagiert eingestuft. Außerdem sieht die Analyse die Inhalte als essentiell für die Entwicklung der Frauenrechte an und die Organisation an sich als finanziell gesichert und fundamentiert. 591 Reseau des Associations Autochtones Pygmees – Network of Pygmy Indigenous Organisations. (Anm. d. Autors) 233 9.2.3. Programme d’Integration et de development du peuple Pygmee au Kivu (PIDP) 592 Das PIDP, das sich mit Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Entwicklung für die Bambuti beschäftigt, wurde 1991 gegründet. Die Organisation publiziert alle drei Monate einen Rundbrief und betreibt eine Radiosendung. In dieser Sendung, die „Die Stimme der Vergessenen“ heißt wird jeden Montag in Französisch gesendet Jeden Freitag wird eine Sendung für die Bambuti in Swahili gesendet. Die Ziele dieses NGOs sind einerseits die Stärkung und der Schutz der Rechte und der Interessen andererseits und die Anerkennung der Rechte der Bambuti. Des Weiteren sollen die Pygmäen in einen sozioökonomischen Entwicklungsprozess integriert werden. Um diese Ziele zu verwirklichen, unterstützt das PIDP die Pygmäen hinsichtlich der Wahrung und der Information über ihre Rechte. Es gibt einige Projekte im Bereich Gesundheit, Hausbau, Bildung und Unterstützung bei Vieh- und Landwirtschaft. Zudem ist das PIDP auch im Umweltschutz aktiv, um den Lebensraum der Pygmäen zu erhalten. Ihr Tätigkeitsgebiet ist in Süd- und Nord-Kivu und Maniema tätig. Das PIPD greift auf ein weltweites aber auch lokales Netzwerk zurück, um bei den Projekten Unterstützung zu finden. Lokal und regional arbeiten sie mit anderen NGOs zusammen, die sich mit Minderheitenschutz und speziell den Pygmäen beschäftigen. Internationale Partner findet das PIDP sowohl in INGOS wie auch IOs. 9.2.3.1. Finanzierung: Die PIDP hat eine eigene Buchhaltung und übermittelt Berichte über ihren finanziellen Status und haben, wenn es verlangt wird, externe Prüfer. 592 Vgl. Bideri, Clemence, Gergum, Hans Petter (2004), S.38ff. 234 9.2.3.2. Analyse der Arbeit der PIDP Durch die organisatorischen Probleme, die es immer wieder innerhalb der Organisation gab, entstanden Spannungen in den Beziehungen zwischen dem PIDP und den anderen Organisationen. Zudem wird es als kritisch angesehen, dass das PIDP nicht Mitglied des RAPY-Netzwerks ist, welches unter den Pygmäen sehr hohes Ansehen genießt. Allerdings konnte seitens des PIDP kein Grund genannt werden, wieso man die Mitgliedschaft zurückzog. 9.3. Internationale NGOs 9.3.1. Pygmee Kleinood593 Diese NGO ist in Holland ansässig und arbeitet seit 1989 mit den Pygmäen in der DRC. Dabei arbeiten die Mitarbeiter durch regelmäßige Besuche und Initiativen mit lokalen Unterstützern und Sympathisanten eng zusammen. Diese Unterstützung ist auch essentiell für den Erfolg der Arbeit der NGO, da sie sehr klein ist. Durch das große Wissen, dass die Mitarbeiter im Laufe der Jahre über die Pygmäen, der Lebensweise und Kultur erwerben konnten, sind sie auch für viele andere größere NGOs wichtige Ansprechpartner und ein wichtiger Bestandteil des Netzwerks für Pygmäen. Die Projekte beziehen sich auf die Bildung der Pygmäen im Erwachsenenbereich und für Kinder, und die Information über die Möglichkeiten und Rechte, eine Organisation auf der Ebene der Basis zu schaffen. Auch medizinische Unterstützung ist eines der wichtigsten Projekte, ist aber aufgrund der mangelnden Medikamente und speziell aufgrund der finanziellen Lage sehr schwierig effizient durchzuführen. Ein weiteres sehr großes Projekt, das in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, ist der Kampf gegen die immer schneller voranschreitende Abholzung des Regenwaldes und somit der Zerstörung des Lebensraumes der Pygmäen. Die NGO Pygmees Kleinood arbeitet, neben den internationalen NGOs, auch sehr eng mit einem Informationszentrum CIDOPY in Goma zusammen, mit dem sie auch in verschiedenen Projekten kooperieren. 593 Vgl. Pygmeen Kleinood, Generelle Information. 235 Die Probleme, mit denen die NGO zu kämpfen hat, sind neben der Finanzierung die häufige Unwissenheit und die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit den Pygmäen. Vielfach, so der Leiter des Institutes, sei zu beobachten, dass die Entwicklungshelfer oder Projektplaner kein Wissen über die Lebensweise der Pygmäen hätten und aus diesem Grund nicht effizient mit ihnen zusammenarbeiten könnten. 9.3.2.Rainforest Foundation – UK (RF) 594 Die RF hat mehrere Projekte in den Ländern des zentralen Afrikas, um die Pygmäen zu unterstützen und den Regenwald zu schützen. Eines der Projekte wurde 2003 mit lokalen NGOs zusammen gestartet, und hieß „Strengthening the Rights of the Pygmy People in Cameroon, Republic of Congo and DRC“. Im Rahmen dieses Projektes gab es große Initiativen, um die Situation der Pygmäen auf allen Ebenen und Problembereichen, mit denen die Pygmäen zu kämpfen haben, zu verbessern. Neben der Zusammenarbeit mit den lokalen Partnern kam es im Rahmen dieses großen Projektes zu intensiver Unterstützung von 40 lokalen NGOs für deren Projekte. In einer Analyse des Projektes kam es zu Verbesserungen in einigen Bereichen: • Erweiterung des Wissens und Bewusstseinsbildung über die Rechte des Volkes der Pygmäen unter der verschiedenen Akteuren und den Pygmäen selbst. • Teilweise Änderungen der Wahrnehmungen und Einstellung zu den Pygmäen. • Vielfache Installation von effektiven Mechanismen zum Schutz der Rechte der Pygmäen. • Stärkung der Möglichkeiten der lokalen NGOs und Eingeborenenorganisationen. • Information über den Gesetzeskodex über den Regenwald. • Beginn der Verzeichnung der Pygmäengemeinschaften auf den Karten. • Größere Miteinbeziehung der lokalen NGOs in die Projektplanung. • Intensiveres Lobbying im internationalen Bereich. 594 Diese Liste lässt sich sowohl bei den NGOs wie auch bei den IOs noch länger fortsetzen. Hier sind nur einige Beispiele angeführt. (Anm. d. Autors) 236 Trotz geringer Fortschritte in den oben angeführten Bereichen gibt es nach wie vor noch sehr viel Handlungsbedarf bezüglich der Rechte der Pygmäen in den zentralafrikanischen Ländern. In allen Bereichen besteht weiterhin sehr großer Rückstand auf die anderen ethnischen Gruppen. Die Diskriminierung der Pygmäen ist weiterhin tagtäglich offensichtlich und die Rechte werden vielerorts weiterhin ignoriert.595 Es gibt noch weitere zahlreiche internationale NGOs und IOs, die sich mit dem Schutz der Pygmäen beschäftigen. Einige dieser NGOs sind, IPACC (Südafrika), Forest People Project oder Survival International. Die Internationalen Organisationen sind neben der Vereinten Nationen die EU, FAO, UNESCO oder die Weltbank. 595 Vgl. Asfaha, Shoa (2006). Strengthening the Rights of Pygmy People in Cameroon, Republic of Congo and the Democratic Republic of Congo, Rainforest Foundation, May 2006, S.5ff. 237 10. Analyse Eine Tatsache überschattet die Diskussion der Wissenschaft sowie der nationalen und internationalen Gemeinschaft seit Beginn der Diskussion um die Minderheiten im 16.Jahrhundert vor ein Problem, nämlich: „Wie lautet die Definition für Minderheit?“. Über die Jahre hat sich die Definition von Minderheit stark gewandelt bzw. wurde verbreitert und damit nicht unbedingt spezifischer. Wurde ersten Jahrhunderten nach dem erstmaligen vorsichtigen Antasten der Diskriminierung von Volksgruppen der Begriff Minderheit noch sehr vorsichtig und in Zusammenhang mit dem Grund für die Diskriminierung, etwa Religion oder Sprache, genannt, so versuchte man im letzten Jahrhundert eine allgemein gültigere Definition zu schaffen. Um es vorweg zu nehmen, diese Aufgabe ist meiner Meinung nach aus mehreren Gründen gescheitert. Viele Wissenschafter haben versucht Kriterien aufzustellen, die allgemeine Gültigkeit haben und eine Minderheit als solche zu definieren. Trotz Definitionen, die zwar anerkannt sind, weil sie der Vorstellung einer Definition am nächsten kommen, gibt es keine allgemein gültige bzw. keine definitiven Kriterien, die zur Bestimmung der Minderheiten dienen. Die am meisten anerkannten Definitionen versuchen zwar eine umfassende und generelle Definition von Minderheiten zu geben, doch das ist meiner Meinung nach nicht gelungen. Es gibt unzählige Minderheiten rund um den Globus und dadurch ist es nur schwer möglich vier oder fünf Kriterien zu bestimmen, die eine Minderheit definieren. Dabei sind grundsätzlich nicht die Kriterien an sich unzutreffend, sondern man muss die Analyse und Eigenschaften eine Ebene tiefer ansetzen. Die Merkmale, die Minderheiten, um sie umfassend und generell zu gestalten, müssen in verschiedene Kategorien aufgespaltet und restrukturiert werden. Am Ende dieser Studie wird ein Versuch unternommen, dies zu tun, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass diese, von mir erstellten Definitionskriterien auch keine allgemeine Gültigkeit besitzen. Diese Merkmale erschienen mir als logische und passend hinsichtlich der hier durchgeführten Analyse der Situation der Pygmäen. Zudem wird versucht die Definitionskriterien möglichst allgemein gültig zu bestimmen. Das Thema Minderheitenschutz hat sich im Laufe der Jahrhunderte parallel mit dem Begriff entwickelt, was bedeuten soll, sehr langsam und unbestimmt. Die ersten Bestrebungen, Minderheiten zu schützen bezogen sich nur auf religiöse 238 Minderheiten. Später kamen nationale Minderheiten hinzu. Erste Versuche einer allgemeinen Rechtsgrundlage zum Schutz von Minderheiten wurden im Rahmen der Gründung des Völkerbundes unternommen. Diese scheiterten ebenso wie spätere Versuche in den Vereinten Nationen oder anderen internationalen bzw. regionalen Staatenbünden. Die Verabschiedung der Menschenrechtscharta durch die Vereinten Nationen ist als Erfolg einzustufen kann aber nicht spezifisch auf Minderheiten angewandt werden. Dies ist ein allgemein gültiger Rechtskatalog, welcher alle Menschen umfasst. In Bezug auf Minderheiten muss jedoch in vielen Fällen auf die jeweiligen Umstände Rücksicht genommen werden, welche es oft verlangen, dass diese Gruppen geschützt werden. Erst durch den Internationalen Pakt über die zivilen und politischen Rechte wird das Thema Minderheiten, wenn auch nicht wirklich zentral, behandelt. Die Vereinten Nationen intensivierten ihre Arbeit in den 80iger Jahren und gründeten Arbeitsgruppen und Kommissionen, die sich mit dem Schutz von Minderheiten beschäftigen. Ein Grund, warum es keine allgemeine Regelung zum Minderheitenschutz gibt, ist die Tatsache, dass die Definition, die in den Diskussionen der Vereinten Nationen verwendet wird, nicht von allen anerkannt wird. Ebenso sind die Staaten oft sehr unterschiedlich gewillt, Souveränität abzugeben, wodurch sich nur sehr schwer eine Einigung zum Thema Minderheiten erzielen lässt. Neben den Bemühungen der Vereinten Nationen gab es auch in Afrika Abkommen über Minderheitenschutz. Diese Rechte wurde allerdings nicht explizit in einer Deklaration für den Schutz von Minderheiten festgelegt, allerdings gab es eine Erklärung über die Rechte der Menschen, worin auch Paragraphen verankert, die sich mit den Rechten der Minderheiten beschäftigen. Dieses Abkommen ist von allen afrikanischen Staaten, mit Ausnahme Marokkos, angenommen worden. Trotzdem ist dies kein effektives Organ, das dem Schutz von Minderheiten dient. Es ist eine Institution, die sich zwar Verletzungen bezüglich der Menschenrechte erkennen und feststellen kann, hat aber keinerlei Sanktionsmandat. Die Rechte für die Minderheiten im Abkommen der Afrikanischen Union sind zwar verankert, aber es gibt keine wirksamen Mechanismen, um deren Einhaltung zu überprüfen. Diese mangelnde Effektivität im Bereich Minderheitenschutz hängt klar mit dem Fehlen einer allgemeinen Definition des Begriffs zusammen. Es ist schwierig etwas zu schützen, von dem man nicht weiß, was es wirklich ist. Es steht nach wie vor den Staaten frei, eine eigene Definition für sich zu finden und leider geschieht das oftmals 239 sehr subjektiv. Der Status einer Minderheit wird in vielen Fällen von Fall zu Fall entschieden bzw. verliehen, wodurch nicht alle Gruppen, die vielleicht andere Kriterien als die geforderten erfüllen, die sie ebenso zu einer Minderheit machen würden, geschützt werden. Diese Problematik bestätigt die erste Hypothese, die dieser Studie zugrunde liegt, wonach es keinen effizienten Minderheitenschutz bzw. kein Regelwerk hinsichtlich dieses gibt, da bisher keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs Minderheit entworfen werden konnte. Die Demokratische Republik Kongo, auch ein Mitglied der Afrikanischen Union, gilt als eines der gefährlichsten und am meisten zerrütteten Länder der Welt. Die lange Geschichte als Kolonialstaat Belgiens und die damit verbundene Ausbeutung hinterließen bis heute ihre Spuren. Mit der Machtübernahme von Mobutu begannen drei Jahrzehnte Diktatur, die von Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption geprägt waren. Während dieses Regimes durchlief das Land mehreren Richtungswechsel hinsichtlich ihrer politischen Strategien unterzogen. Nachdem Mobutu sich ursprünglich als Retter der Nation – für den er sich bis zu seinem Tod 2003 hielt – gab und eine Politik einführte, die wieder auf die Wurzeln der afrikanischen Traditionen setzte und die Wirtschaft verstaatlicht wurde, wechselte er aufgrund internationaler Einflüsse gegen Ende seiner Amtszeit zu einer liberaleren Politik. Diese Wandlung der Politik leitete auch den Prozess der Transition, wie er theoretisch definiert wird, ein. Mobutu war durch eine schwächer werdende Machtposition, sowohl aufgrund externer wie interner Faktoren, eine teilweise Liberalisierung einzuleiten. Dadurch wurde ein Transitionsprozess begonnen, der sich in mehrere Phasen gliederte. Mobutu wurde durch einen Militärputsch, der unblutig durchgeführt wurde, als Präsident abgesetzt, und sein Nachfolger war Laurent Desirée Kabila. Auch unter seiner Herrschaft kam es zu keiner realen Verbesserung, was die Menschenrechtssituation sowie die allgemeine Situation im Land betraf. Da diese erste Phase bzw. der erste Versuch eines Systemwandels im Kongo nicht von Erfolg gekrönt war, wurde durch den Versuch der militärischen Machtübernahme und dem Ausbruch des zweiten Kongokrieges die zweite Phase der Transition eingeleitet. Während des Krieges und nach dem Scheitern der ersten Friedensbemühungen, die sehr stark von internationalen insbesondere afrikanischen Akteuren eingeleitet wurden. fiel L.-D. Kabila einem Attentat zum Opfer und sein Sohn wurde als Präsident eingesetzt. Die Bevölkerung hoffte auf einen schnellen erfolgreichen 240 Friedensprozess, da der Kongo zu diesem Zeitpunkt sehr stark zerrüttet und von den Auswirkungen des Krieges gezeichnet war. Dies stellte sich allerdings als sehr langwierig heraus, weil die Allianzen, die sich in der Zwischenzeit auf beiden Seiten bebildet haben, durch ihre unterschiedlichen Forderungen nur schwer einigen konnten. Schließlich kam es durch die Vermittlung Südafrikas und der Afrikanischen Union zu einer Übereinkunft, die den Truppenabzug der Invasoren vorsah. Diese Einigung stellte den Übergang in die dritte Phase der Transition dar. Die Verhandlungspartner einigten sich auf eine Transitionsverfassung und -regierung, die ihre Arbeit aufnehmen und den Staat auf die ersten freien Wahlen vorbereiten sollte. Zudem arbeitete man innerhalb der neuen Regierung an einer neuen Verfassung, die Ende 2005 in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. Diese Verfassung trat dann im Februar 2006 in Kraft. Die Wahlen, die schließlich im Herbst 2006 stattfanden und die Regierung, die zu Beginn 2007 ihre Arbeit aufnahm bedeuteten allerdings nicht, wie vielfach angenommen das Ende der Transitionsperiode. Die Theorie geht davon aus, dass die Institutionen, die neu gegründet werden, effektiv und legitim arbeiten müssen, um eine Demokratisierung zu gewährleisten. Im Fall des Kongo ist dies allerdings noch nicht vollständig gegeben. Die Institutionen sind bisher nominell, weil das Prozedere und die Aufgabenverteilung sowie die Besetzung nach demokratischen Prinzipien verlief. Allerdings ist die Regierung nicht in der Lage auf dem gesamten Staatsgebiet ihre Macht auszuüben. Dadurch ist sie in ihrer Handlungsfreiheit und Souveränität eingeschränkt. Diese Tatsache macht deutlich, dass der Demokratisierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist und sich die DRC nach wie vor im Transitionsprozess befindet. Diese Umstände bzw. diese Situation deckt sich mit den Annahmen in den Hypothesen zwei und drei, die dieser Arbeit zugrunde liegen, wodurch diese verifiziert werden können. Dass Kabila versuchte, die DRC wieder international zu etablieren und die Kontakte und Unterstützung der internationalen Akteure für die Stabilisierung des Landes zu bekommen, zeigte sich bereits vor seiner Wahl während der Übergangsphase deutlich. Der internationale Einfluss in der DRC ist seit dem Beginn der Friedensverhandlungen wieder Unterstützungen der verstärkt worden. So gab es Zusagen für Weltbank und des IMF, bei erfolgreichen Friedensverhandlungen. 241 Auch die Vereinten Nationen sind in der DRC seit Ausbruch des Krieges 1998 mit einer Mission namens MONUC vor Ort. Diese Mission umfasst mittlerweile mehr als 18.000 Soldaten und wurde erst kürzlich verlängert. Dabei ist neben der Stabilisierung und Überwachung der Situation, die Demilitarisierung der Milizen in den östlichen Urwaldregionen eine zentrale Aufgabe der MONUC-Truppen. Die internationale Gemeinschaft ist an einem Wiederaufbau des Kongo interessiert und bemüht sich auch um diesen. Allerdings ist die Unterstützung an die eigene Initiative der Machtinhaber in der DRC gebunden. Man will dabei seitens der internationalen Akteure in der Lage sein, sich ohne großen Protest zurückziehen zu können, wenn sich die Lage wieder verschlechtert. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Hilfen unterstützt die UN-Friedensmission die kongolesische Regierung auf ihrem Territorium. Diese Mission jedoch ist seit Beginn durchwachsen und zeigt ebenso die Unsicherheit der internationalen Akteure, im Kongo aktiv zu werden. Grundsätzlich ist durch diese Fakten die Hypothese fünf zu verifizieren. Die Regierung Kabila jun. hat auch mit Hilfe der neuen Verfassung einige Reformpläne, die sich allerdings in vielen Fällen nur schleichend umsetzen lassen. Trotz der Mehrheit im Parlament und der Beschlussfähigkeit ist die politische Landschaft nach wie vor instabil, weil sie aus Koalitionen besteht, die teilweise auch nicht als sehr stabil angesehen werden können. Ein weiterer Grund für die Probleme bei der Regierungsarbeit ist, dass die Staatsgewalt, wie bereits erwähnt, nach wie vor nicht über das ganze Staatsgebiet ausgeübt werden kann. In vielen Gebieten, vor allem im Osten verschanzen sich weiterhin viele Milizen aus Uganda und Ruanda sowie Rebellengruppen. Diese kontrollieren viele Gebiete, wodurch die Verwaltung dieser Gebiete seitens der Regierung sehr schwierig ist. Die Situation der DRC ist geprägt von sozialen Problemen der Bevölkerung. Allerdings ist es durch die Größe des Landes und die große Bevölkerung schwer die gesamte Auswirkungen und die Situationen nur schwer zu analysieren. Ebenso lassen die Zahlen über Bildung und medizinische Versorgung aus den letzten Jahren auf eine nach wie vor sehr schlechte Situation schließen. Auch die Tatsache, dass die Regierung erst seit einem halben Jahr offiziell im Amt ist und die Übergangsphase von vielen Machtkämpfen geprägt war, trägt zur nach wie vor schlechten sozialen Situation innerhalb der DRC bei. Ob diverse Initiativen der Regierung Wirkung zeigen wird sich erst in den Jahren untersuchen lassen, da es an aktuellen Statistiken und Zahlen mangelt. 242 Somit ist die Hypothese sechs deutlich zu verifizieren. Die neue Verfassung sieht auch den Schutz von Minderheiten hinsichtlich ihrer Sprache und Kultur vor. Allerdings werden darin keine Schutzmechanismen an sich beschrieben. Das bedeutet, dass alle Kongolesen, die einer Minderheitengruppe angehören, das Recht auf die freie Ausübung ihre Kultur haben, ohne deswegen diskriminiert zu werden. Schwierig hierbei ist der Begriff Kongolesen. Dies legt nahe, dass nur Staatsbürger von diesem Schutz betroffen sind. Die fehlende Definition lässt auch hier sehr viel Spielraum für Interpretationen. Dieser Teil unterliegt einer persönlichen Analyse der Verfassung des Autors und ist nicht wissenschaftlich fundiert, da die Regierung noch zu kurz im Amt ist, um nennenswerte Ergebnisse erkennen zu können. Aufgrund dieser Interpretation der Verfassung ist die Hypothese sieben grundsätzlich zu verifizieren. Eine ethnische Gruppe bzw. ein Volk, das in diese Grauzone der Verfassung fällt sind die Pygmäen. Die Pygmäen sind ein Volk, das aus unterschiedlichen Stämmen besteht und sich auf mehrere Länder Zentralafrikas, in denen es Regenwalgebiete gibt, verteilt. Die Kultur der Pygmäen zeichnet sich durch eine Art Symbiose mit dem Regenwald aus, da sie alles, was sie zum Leben brauchen, darin finden können. Außerdem ist die Gesellschaft auf beinahe absolute Gleichberechtigung ihrer Mitglieder unabhängig von Geschlecht und Alter aufgebaut. Innerhalb eines Pygmäendorfes gibt es auch kein Oberhaupt, das heißt Macht im herkömmlichen Sinne ist nicht bekannt. Das Oberhaupt einer Gemeinschaft ist nur ein aufgrund seiner Erfahrung angesehener Dorfbewohner, der ausschließlich als moralischer Berater dient. Wenn Führungsrollen vergeben werden, so geschieht dies ausschließlich temporär und für spezifische Bereiche. Ebenso wird in den Dörfern basisdemokratisch entschieden, wodurch jedes Mitglied der Gemeinschaft den gleichen Stellenwert hat. Diese Konsensentscheidungen sind institutionalisiert und vermutlich das, unserem Verständnis von Politik am nächsten kommende, Element der Kultur der Pygmäen. Vielfach besteht keine Bildung und existiert kein Wissen bzw. Verständnis über politische Prozesse und Vorgehensweisen. Dadurch haben die Pygmäen auch keine Vorstellung, wie das größere System, in dem sie sich befinden funktioniert. Teilweise besteht auch kein Interesse dies zu ändern, da sie in ihren Subsystemen und mit ihren traditionellen Lebensweise bisher erfolgreich waren, wodurch sie keinen Grund 243 sehen, das ändern zu wollen. Diese Ansicht hängt allerdings unmittelbar mit dem Bildungsgrad zusammen, denn Pygmäen, die in den Genuss von einer höheren Bildung gekommen sind – und davon gibt es nach wie vor erschreckend wenige – erkennen den unmittelbaren Zusammenhang der Situation der Pygmäen mit deren mangelnden Verständnis des Systems. Mangelnde Bildung ist auch der Grund für die Schwierigkeiten, die eigenen Interessen zu kommunizieren. Dadurch ist eine Verbesserung der Situation zusätzlich erschwert. Dies verifiziert Hypothesen acht und neun. Es gibt Unterscheidungen zwischen den verschiedenen Stämmen der Pygmäen. Diese sind einerseits sprachlich und andererseits in der Lebensweise begründet. Viele der Pygmäen, die nicht in der DRC siedeln gehen anderen Lebensformen nach. Teilweise sind die Pygmäen auch in die Gesellschaft assimiliert, wobei diese Initiativen oft von den Stämmen selbst ausgingen, da sie ihre traditionelle Lebensweise nicht mehr ausüben konnten. Weitere Unterschiede liegen in diversen Riten und Jagdformen. Allerdings ist die Verbindung der Pygmäen zum Wald sehr traditionell und viele Stämme und Dörfer nach wie vor essentiell. Es besteht ein Selbstverständnis als Pygmäen, aber diese kulturellen und sprachlichen Unterschiede erschweren eine wirkliche Homogenität. Vielfach spielt auch das mangelnde oder Nicht-Wissen über die Situation und die Tatsache, dass die anderen Stämme mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind dazu, dass die Organisation erschwert wird. Es gibt Organisationen und Gruppierungen auch von Seiten der Pygmäen selbst, allerdings haben diese mit erheblichen Kommunikationsproblemen zu kämpfen und schaffen es nur schwer, sich zu koordinieren. In manchen Fällen mangelt es auch an Unterstützung, weil die Situation in den verschiedenen Ländern Zentralafrikas unterschiedlich ist. In manchen Ländern sind die Pygmäen bereits teilweise integriert bzw. wurden assimiliert, wodurch sie sich in einer anderen Situation befinden als andere Stämme in Nachbarländern. Die Pygmäen, die in der DRC leben kämpfen mit erheblichen Problemen, ihre Kultur erhalten zu können. Viele Dorfgemeinschaften wurden von dem Land, das sie seit Generationen, teilweise sogar seit Jahrhunderten, bewohnen, vertrieben. Sie wurden gezwungen, neue Lebensweisen anzunehmen, wodurch viele als Bauern, Töpfer, Handwerker oder Fischer arbeiten und versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Durch diese neuen Lebensweisen waren intensiver mit der restlichen 244 Bevölkerung konfrontiert, die starke Vorurteile gegen die Pygmäen hegt und sie dementsprechend diskriminiert. Viele der Pygmäen arbeiten, nachdem sie von ihrem Land vertrieben wurden, als Tagelöhner und Knechte. Die unterschiedlichen und neuen Lebensweisen führen sehr oft auch zu innergemeinschaftlichen Konflikten. Viele Pygmäen haben Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Identität, die sie im Laufe der Geschichte immer wieder änderten. Von Jägern und Sammlern wurden sie teilweise zu Handwerkern, zu Bauern oder Töpfern. Allerdings war es ihnen durch Diskriminierung teilweise auch nicht möglich, diese Berufe auszuüben bzw. ihren Lebensunterhalt dadurch zu bestreiten. Die veränderten Identitäten führten auch innerhalb der Dörfer zu Differenzen, da die Männer ihre Rolle als Haupternährer der Familie teilen mussten bzw. teilweise verloren. Aus diesem Grund fühlten sich viele Pygmäenmänner nutzlos und suchten Trost im Alkohol, was zu weiteren Problemen führte. Viele Familien sind zerrüttet oder zerbrochen, und die Pygmäen scheitern zusehends daran, ihre eigene Identität zu finden. Dadurch werden durch diese Argumentation die Hypothesen neun und zehn verifiziert. Als vielleicht größtes Problem neben der Diskriminierung und als Basis aller anderen Benachteiligungen und Verweigerung aller Rechte ist die Staatsbürgerschaft. In der DRC gelten die Rechte für alle Staatsbürger, die im Besitz eines Personalausweises sind. Die Pygmäen, die oft nicht über ihre Rechte aufgeklärt sind, verfügen aus mehreren Gründen sehr selten über eine Staatsbürgerschaft. In vielen Fällen sind die Verwaltungsbehörden zu weit von ihren Siedlungsgebieten entfernt. Zudem fehlen ihnen oft die nötigen Unterlagen bzw. das nötige Geld. Oft wird ihnen die Ausstellung eines Ausweises auch einfach verweigert. Da viele Pygmäen keinen Ausweis besitzen, wird sehr oft damit argumentiert, dass ihnen offiziell keine Rechte zustünden, weil sie keine Staatsbürger der DRC sind. Der Ausweis und die damit verbundene Anerkennung als Staatsbürger ist auch die einzige Möglichkeit sich Zugang zum politischen System zu verschaffen. Eine Registrierung für Wahlen und Abstimmungen ist nur für Bürger der DRC möglich. Es gibt keine Repräsentanten der Pygmäen auf der politischen Ebene, weder national noch regional. Viele der Pygmäen interessieren sich nicht für Politik oder sie resignieren und gehen nicht zu den Wahlen bzw. lassen sich nicht nominieren, weil sie sich keine Chancen auf einen Gewinn ausrechnen. 245 Die Pygmäen haben kaum Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung. Sie werden aus ihren Lebensräumen vertrieben und haben keinen Anspruch auf das Land, obwohl sie es seit Jahrhunderten bewohnen. Ihnen werden ihre Rechte verweigert, weil sie in vielen Fällen keine offiziellen Staatsbürger der DRC sind. Zudem sind sie Opfer von Diskriminierungen seitens der restlichen Bevölkerung, die von Vorurteilen gestützt werden. Die Pygmäen der DRC erfüllen mehrere der, in dieser Arbeit verwendeten, Kriterien zur Definition von Minderheiten. Dadurch ist festzuhalten, dass das Volk die Voraussetzungen für die Einstufung als Minderheit in mehreren Bereichen erfüllt, allerdings verhindert die vielfach fehlende Staatsbürgerschaft und die mangelnde Definition einer Minderheit seitens der Regierung des Kongo einen solchen Status und die damit verbundene Zuerkennung der Rechte. Dadurch ergibt sich die Verifizierung der Hypothese elf. 10.1. Persönliche Einschätzung Im Bereich Minderheitenschutz ist beinahe in jedem Land der Welt ein großer Handlungsbedarf. In der heutigen Gesellschaft ist Migration ein erheblicher Bestandteil der Kommunikation und Entwicklung auf internationaler Ebene. Durch diese Migration entstehen Bevölkerungsgruppen, die sich aufgrund der Fremdheit in dem Land, in das sie emigriert bzw. immigriert sind, primär zu anderen Mitgliedern ihres Heimatlandes respektive ihrer kulturellen Wurzeln orientieren. Durch diese Zusammenschlüsse entstehen neue Gruppen und Teile der Bevölkerung, die als Minderheiten angesehen und dementsprechend behandelt werden. Diese Behandlung sieht in vielen Ländern Westeuropas zwar eine relative Gleichstellung gegenüber der restlichen Bevölkerung des Staates – in manchen Fällen bestehen auch Rechte bezüglich der Erhaltung der Kultur – vor, allerdings ist diese meist faktisch und realpolitisch nicht zu beobachten. Viele der Minderheiten werden teilweise latent, in manchen Fällen auch öffentlich, diskriminiert und benachteiligt, was zu einer weiteren Verschließung gegenüber der, in diesem Staat beheimateten, Bevölkerung respektive Mehrheit kommt. Diese „neuen“ Minderheiten erweitern meistens nur einen Kreis von Minderheiten, die schon seit langer Zeit in den jeweiligen Ländern beheimatet sind. Durch die, sich im Lauf der Geschichte immer wieder verändernden, Grenzen, ist es in vielen Fällen 246 sogar so, dass die heute als Minderheiten eingestuften Völker, Volksgruppen und Stämme schon auf dem Staatsgebiet gesiedelt haben bevor es ein solches war. Diese Gruppen werden in der Wissenschaft und im internationalen Dialog meist als Indigene Völker bezeichnet. Allerdings sind auch diese Gemeinschaften Minderheiten, die sich nicht nur durch zahlenmäßige Unterlegenheit auszeichnen. Solche Gruppen werden aufgrund einer oder mehrerer Unterschiede zum Großteil der Bevölkerung diskriminiert und aus der innerstaatlichen Gemeinschaft latent – in manchen Fällen auch offensichtlich ausgeschlossen. Die Tatsache, dass es keine allgemein gültige Definition von Minderheiten gibt ist meiner Meinung nach in den verschiedenen Arten von Minderheiten begründet. In der internationalen Gemeinschaft ist es sehr schwer sich auf Definitionen zu einigen, die von allen Staaten anerkannt werden. Durch die unterschiedliche Erfahrung und die unterschiedlichen Formen von Minderheiten, die in den einzelnen Staaten leben, haben die Länder unterschiedliche Vorstellungen wodurch sich eine Minderheit definiert. Jeder Staat will seine Definition in der allgemeinen enthalten haben. So wurde auch im Fall der Minderheiten, wie bei anderen Gelegenheiten zuvor, das Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners angewandt. Die in den Vereinten Nationen respektierte Definition stammt von Capotorti und umfasst fünf Kriterien. Obwohl sie niemand als allgemeine Definition akzeptiert, wird kein Versuch unternommen, eine adäquatere zu finden. Möglicherweise liegt das daran, dass einzelne Staaten die Definition des Begriffes bewusst verzögern, da durch diese eine Deklaration über den Schutz von Minderheiten der nächste Schritt wäre. Dadurch wären viele Staaten möglicherweise gezwungen, ihre Politik zu ändern, um nicht in Konflikt bzw. unter den Druck der internationalen Gemeinschaft zu geraten. Ein internationaler Minderheitenschutz ist realpolitisch in weiter Ferne. Viele Länder sind nicht gewillt eine allgemein gültige Deklaration zu diesem Thema zu erarbeiten respektive zu beschließen. Für viele Länder ist die Minderheitenpolitik auch leider nur ein Randthema, was, meiner Meinung nach, sehr kurzsichtig ist. Viele Probleme, vor allem auch im sozialen Bereich, liegen in Rissen innerhalb Regional gibt es kleine Erfolge bezüglich gemeinsamer Regelwerke in diesem Bereich, was auch darin begründet liegt, dass einerseits weniger Staaten sich auf eine gemeinsame Politik einigen müssen und andererseits ähnliche Erfahrungen mit vielfach den gleichen Minderheitengruppen gemacht haben. Allerdings gibt es auch trotz regionaler Abkommen teilweise keinen wirksamen Minderheitenschutz, da es an Kontroll- und Sanktionsmechanismen mangelt. Speziell im afrikanischen Raum hat man den 247 Eindruck, dass das Abkommen über die Menschenrechte nur pro forma beschlossen wurde, da in der Praxis keine Umsetzung zu erkennen ist. Bis zu einem effektiven Schutz für Minderheiten ist es noch ein weiter Weg. Meiner Meinung nach ist ein solcher nicht möglich, wenn keine allgemeine Definition von Minderheiten gefunden wird, die so explizit wie möglich sein muss. Andernfalls würde zu viel Spielraum für subjektive Interpretationen Schutzmaßnahmen für gelassen potentielle werden und Minderheiten die innerhalb Staaten könnten ihrer Grenzen verschleppen und willkürlich auslegen. Dass vor allem im afrikanischen Raum der Schutz von Minderheiten sehr wichtig ist, aber gleichzeitig beinahe unmöglich ist, umzusetzen, ohne Druck von außen zu erzeugen, liegt in der ethnischen Fragmentierung des Landes begründet. Es gibt zwar in der Afrikanischen Union ein Abkommen, das die Menschenrechte die Rechte von Minderheiten festlegt, aber auch hier fehlt eine Minderheitendefinition. Alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme Marokkos haben dieses Abkommen anerkannt und ratifiziert. Der die Kommission, die von der AU zu diesem Thema eingesetzt ist, kein aktives Mandat hat, sondern mehr als Untersuchungskommission gesehen werden muss, die lediglich Streitschlichtungsverfahren durchführen und Empfehlungen abgeben kann. Faktisch ist die Situation der Minderheiten in allen afrikanischen Ländern sehr schlecht. Viele der Regierungen sind von Instabilität und Korruption geprägt, wodurch ihre Priorität auf der Erhaltung der eigenen Politik liegt. Traditionell wird in den Staaten Afrikas keine nachhaltige Politik betrieben, da sie entweder despotisch beherrscht werden oder die Überlebensdauer der politischen Elite zu kurz ist, und die Gesetze von der Nachfolgeregierung wieder geändert werden. Eines dieser Länder, das gleichzeitig auch als eines der größten Krisengebiete der Welt gilt, ist die Demokratische Republik Kongo. Das Land gilt als eines der Länder mit den meisten Rohstoffen, insbesondere Rohstoffe, die es teilweise nur in der DRC gibt, steht aber wirtschaftlich und international ganz unten auf den Entwicklungslisten. Die Situation, die natürlich aufgrund der langen Diktatur und des anschließenden verheerenden Krieges sehr instabil und nach wie vor von Gewalt geprägt ist, kann nur durch beträchtliche Hilfe der internationalen Gemeinschaft verbessert werden. Das gilt für die innen- und die außenpolitische Lage. Oberstes Ziel muss es sein, die Sicherheit im Osten des Landes insbesondere in den Regenwaldgebieten wieder herzustellen. Solange die Regierung nicht die 248 uneingeschränkte Staatsgewalt im gesamten Territorium der DRC ausüben kann, ist eine effektive Politik nicht möglich. Die Regierung Kabila jun., die seit etwas mehr als einem halben Jahr im Amt ist, kann natürlich noch keine konkreten Erfolge verzeichnen, da die Zeit noch zu kurz ist. Allerdings glaube ich, dass diese Erfolge auch über lange Sicht in Grenzen halten werden, weil es Kabila nur schwer gelingen wird, die Bevölkerung zu vereinen. Seine Vorhaben als Präsident und die Reformen, denen er das Land unterziehen will klingen sehr engagiert, allerdings hat er mit mehr als einem Problem zu kämpfen. Er hat keine absolut konforme Regierung bzw. Mehrheit im Parlament. Durch die Notwendigkeit, ein Wahlbündnis mit einzugehen, um die Wahl zu gewinnen, muss es ihm gelingen, mehrere Interessen zu vereinen. Seinen Unterstützern ist diese Situation durchaus bewusst, weshalb sie auch ihren Einfluss jederzeit geltend machen können und ihre eigenen Interessen einfließen lassen bzw. durchsetzen. Kabila als Präsident hat zwar die Mehrheit bei den Wahlen erhalten, ist aber regional in den Ballungsräumen teilweise sehr deutlich hinter seinem Konkurrenten Bemba geblieben. Dies liegt mitunter auch darin begründet, dass er Gerüchten zu Folge kein geborener Kongolese ist. Dass diese Meinung nicht nur als Verleumdung angesehen wird, zeigten meine Erfahrungen in Gesprächen mit Kongolesen. Durch diese mangelnde Akzeptanz ist es für ihn schwer Reformen durchzuführen, hinter denen die gesamte Bevölkerung steht. Sein Enthusiasmus bezüglich der Verbesserung des Landes ist zu bewundern, allerdings muss er, meiner Meinung nach, aufpassen, dass er nicht zu viel zu schnell will. Es hat den Anschein, dass sehr viele Projekte gleichzeitig angefasst und durchgeführt werden sollen. Dahinter ist allerdings nicht wirklich eine Strategie zu erkennen. Durch die mangelnde Erfahrung, die in der DRC im Bereich der Entwicklung von nachhaltiger Politik und der Durchführung von politischen Reformen und Projekten besteht, bin ich der Meinung, dass dies nicht der richtige Weg ist. Das wird auch darin deutlich, dass die Interessen über ein sehr breites Spektrum gelagert sind. Kabila will das Land international wieder etablieren und pflegt die außenpolitischen Kontakte. Gleichzeitig will er die Wirtschaft ankurbeln und die DRC auch auf innenpolitischen Ebene durch soziale Reformen und Veränderungen des Systems zu stabilisieren. Durch die mangelnde Kontrollmöglichkeit und Loyalität des Verwaltungs- und Finanzapparates ist der Kongo nach wie vor sehr attraktiv für Geldwäsche und Korruption. Wodurch das Fortschreiten der Reformen innerhalb des Landes nur sehr langsam vorangeht. 249 Ein weiteres Indiz dafür, dass die Politik nicht wirklich nachhaltig geplant wird, sondern sehr stark aus ad hoc Reformen besteht, ist der Ausverkauf des Regenwaldes, der nach dem Krieg in zunehmendem Maße intensiviert wurde. Trotz internationaler Bemühungen, die Konzessionsvergabe zu verlangsamen, ist gut ein Viertel des kongolesischen Regenwaldes an Holz-Konzerne vergeben und somit zu Abholzung freigegeben. Dadurch wird deutlich, wie stark einerseits der Einfluss der globalen Wirtschaft ist und andererseits, wie sehr die wirtschaftliche Situation des Landes im Fokus der politischen Pläne der Regierung steht. Wichtig für Kabila wird es sein, die internationale Hilfe, die in sehr großem Finanzrahmen bereits zugesichert und auch teilweise überwiesen wurde effizient und gezielt einzusetzen. Erst durch innere Stabilität wird die Position des Landes und der Regierung sicherer. Kabila muss sich bewusst werden, dass er das Volk, auch in den Ballungsräumen, dazu bringen muss, seine Pläne zu unterstützen. Allerdings muss er diverse zugesicherte Verbesserungen für das Volk auch verwirklichen, um seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Des Weiteren muss Kabila die Regierung und das Parlament davon überzeugen, langfristige politische Pläne zu erstellen und die Reformen nach ihrer Priorität zu reihen. Er muss erkennen und vor allem akzeptieren, dass keine effektive Umsetzung der Initiativen möglich ist, wenn in allen Bereichen gleichzeitig gearbeitet wird. Durch den Krieg und die jahrzehntelange Diktatur fehlt es an vielen Strukturen, die aufgebaut werden müssen, um eine Basis für weitere Reformen zu schaffen. Hier sind auch internationale Organisationen gefordert. Hinsichtlich der Minderheitenpolitik in der DRC gibt es zwar durch die neue Verfassung juristische Anerkennung und Gleichstellung der Minderheiten. Allerdings fehlt es an praktischer Umsetzung dieser. Während der ersten Zeit und durch die, bereits erwähnten, Schwierigkeiten der Ausübung der Staatsgewalt auf dem gesamten Staatsgebiet, sollte die Regierung der DRC auf die Unterstützung der MONUC und anderer internationaler Organisationen hinsichtlich des Schutzes von Minderheiten setzen. Speziell in den östlichen Regionen, wo es nach wir vor immer wieder Kampfhandlungen gibt, sollten die internationalen Truppen mit der nationalen Armee bzw. Exekutive zusammen arbeiten, um die Situation zu überwachen. Diese Zusammenarbeit besteht auch teilweise, allerdings ist auch zu verstehen, dass die Regierung in Kinshasa die Situation selbst unter Kontrolle bringen möchte. Das ist, 250 meiner Meinung nach, in dieser Situation eine nicht wirklich leicht zu lösende Aufgabe. Die Kultur der Pygmäen ist in vieler Hinsicht weiter fortgeschritten, als manche Gesellschaft in entwickelten Ländern. Die Lebensweise sowie die Fokussierung des Gemeinsamen sind die Basis für eine enge Verbundenheit innerhalb eines Dorfes. Zwar ist sehr wahrscheinlich, dass auch bei einer Gewährung von Landbesitz die Situation für die Pygmäen nicht wirklich leichter wird. Sollten sie in den Regenwäldern bleiben können, wird ihre Lebensweise über kurz oder lang ihren Ansprüchen nicht mehr genügen, da sie mittlerweile auf bestimmte Entwicklungen respektive die Modernisierung angewiesen sind. Ihre Lebensweise hat durchaus sehr viele moderne Elemente, wie Gleichberechtigung der Geschlechter, Inklusion aller Mitglieder der Gemeinschaft, Konfliktlösungsmechanismen oder Gewohnheitsrecht. Auch, wenn man hierzu erwähnen muss, dass die Konflikte, die in Pygmäendörfern stattfinden, oft von geringeren Problemen gekennzeichnet sind. Trotzdem ist die Methode der Konfliktvermeidung und die gegenseitige Anerkennung und Akzeptanz bewundernswert und zeugt von hohen moralischen Grundsätzen. Primär ist hier die medizinische Versorgung zu erwähnen. Durch den in den letzten Jahren intensiver gewordenen Kontakt mit der Welt außerhalb ihres eigentlichen Lebensraums, des Waldes, kamen sie auch mit Krankheiten in Berührung, für die ihre traditionelle Medizin keine Heilmittel kennt. Auch Bildung ist in diesem Zusammenhang ein zentraler Punkt, der in der Zukunft sicher notwendig ist, in der Pygmäenkultur einzuführen. Diese Änderungen sind aus dem Grund notwendig, weil die Pygmäen, auch bei Beibehaltung ihrer traditionellen Lebensweise, in Zukunft in sehr engem Kontakt mit der Außenwelt stehen werden. Um annährende gleiche und faire und gleiche Möglichkeiten in dieser Interaktion zu haben, braucht es einen höheren Bildungsstandard innerhalb der Gesellschaft der Pygmäen. Diese Bildung inkludiert auch die Aufklärung über ihre Rechte. Diese Veränderungen und Modernisierungen müssen allerdings in kleinen Schritten und sehr vorsichtig durchgeführt werden. Man muss die Lebensweise und Prioritäten im Leben der Pygmäen versuchen zu verstehen, um bestimmte Neuigkeiten einführen zu können. Zu viele Veränderungen in zu kurzer Zeit können die Gemeinschaften zersplittern und die Kultur, die es gilt zu bewahren, nachhaltig verändern oder zerstören. 251 Allerdings muss auch innerhalb der Pygmäen hinsichtlich ihrer Behandlung und Initiativen zu ihrem Schutz unterschieden werden, da viele bereits von der traditionellen Lebensweise abgekommen sind, und in anderen Umgebungen bzw. Situationen leben. Diese gilt es nun in die Gesellschaft des Kongo zu integrieren und trotzdem ihre Kultur und Traditionen zu schützen. Das größte Problem, das dabei in den Griff zu bekommen ist, ist die Diskriminierung und die Vorurteile, die innerhalb der restlichen Bevölkerung bestehen. Hier liegt es an der Regierung Maßnahmen zu setzen, die solche Benachteiligungen und Erniedrigungen verbieten. Das Entscheidende ist allerdings, dass die Einhaltung dieser Regelungen und Gesetze auch kontrolliert werden, und bei einer Missachtung bestraft werden. Da die Situation der Diskriminierung in sehr vielen Fällen auch von den lokalen Verwaltungsbehörden unterstützt wird, gilt es diese auszutauschen bzw. zu bestrafen, wenn solche Fälle bekannt werden. Dabei bin ich der Meinung wird es auch notwendig sein, wie bereits erwähnt, mit den internationalen Truppen zusammenzuarbeiten. Auch wird notwendig sein, von internationaler Seite Druck zu erzeugen. Insbesondere, wenn es Menschenrechtsverletzungen, wie es im Fall der Pygmäen sehr oft geschieht, bekannt werden. Ohne internationalen Druck wird die Regierung der DRC keine effektiven Maßnahmen gegen die Diskriminierung der Pygmäen unternehmen. Druck auch hinsichtlich der Anerkennung der Pygmäen als Staatsbürger der DRC, denn diese mangelnde Anerkennung bzw. die fehlenden Ausweise für Pygmäen stellen einen Basisgrund für die schlechte Situation dieses Volkes dar. Es ist natürlich eine schwierige Situation, da man der Regierung eines Staates nicht vorschreiben kann, wen sie als Staatsbürger zu akzeptieren hat, doch aufgrund der Menschenrechtsverletzungen kann international Druck ausgeübt werden, denn diese sind universal gültig. Meiner Meinung nach müsste die erste Reaktion der DRC sein, die Staatsbürgerschaft der Pygmäen zu sichern, denn erst dann fällt das Argument weg, wonach ihnen keinerlei Rechte zustünden. Erst, wenn die Rechtslage klar ist, dann können weitere Maßnahmen unternommen werden. Hinsichtlich des Landebesitzes ist die Situation schwierig, da dies eine eindeutig rechtliche Frage ist, die nicht so leicht zu klären ist. Sobald die Konzessionen verteilt sind, liegt das Recht der Waldnutzung bei den Holzkonzernen. Diese können frei über das Land verfügen und vertreiben in vielen Fällen die Pygmäen von ihrem Land, das sie teilweise seit Jahrhunderten bewohnt haben. Zwar ist vorgesehen, dass die Firmen Maßnahmen zu unternehmen haben, um den Pygmäen zu helfen, sich an die neue Situation anzupassen, wird dies so gut wie nie erfüllt. Hier ist wiederum die 252 Regierung gefragt, die Einhaltung der Gesetze zu garantieren. Eine Vertreibung oder Umsiedelung zu verhindern ist in den meisten Fällen schwierig bis unmöglich, sobald eine Konzession verteilt ist. Allerdings muss gewährleistet sein, dass die Dörfer adäquate Ersatzlebensräume bzw. Unterstützung, die auch ihrer Lebensweise entspricht erhalten. Anders stellt sich die Situation in den Nationalparks dar. Dort ist eine Vertreibung wider das Recht. In vielen Fällen vertreiben die Verwaltungsbehörden die Pygmäen willkürlich und unter falschen Anschuldigungen. Die Pygmäen lebten seit Jahrhunderten in diesen Lebensräumen, ohne ihnen zu schaden, und könnten dies auch weiter tun. Es ist sehr kurzsichtig, ein Volk, das mit der Lebensweise im Regenwald vertraut ist, wie nur wenige andere weltweit, aus einem Gebiet zu vertreiben, das geschützt werden sollte. Die Pygmäen haben sich durch ihre Geschichte und ihre Lebensweise zu einem Teil des Waldes gemacht. Sie haben durchaus Rechte auf das Leben in einem geschützten Raum, da es auch gilt ihre Kultur zu schützen, die eine der ältesten und am geringsten beeinflussten der Welt anzusehen ist. Da die Rechte der Naturschutzgebiete vielfach weiterhin bei der Verwaltung der DRC liegt, ist es an der Regierung die Situation so umzusetzen, wie es im Rechtskodex über den Regenwald verankert ist. Die Waldvölker in die Arbeit im Regenwald mit einzubeziehen und von ihrem Wissen zu profitieren. Zudem muss ihnen das Nutzungsrecht zugestanden werden, solange es keine Einigung über die Ansprüche auf den Besitz des Landes gibt. Generell liegt es an der Regierung der Demokratischen Republik Kongo die Pygmäen zu schützen. Dies muss einerseits durch die generelle Anerkennung als offizielle Staatsbürger geschehen. Dieser Status muss auch ohne Dokumente bestehen und akzeptiert werden, um eine Diskussion über ein Zugeständnis über diverse Rechte – medizinische Versorgung, Bildung, Arbeit, etc. – generell zu klären. Andererseits muss garantiert und überwacht werden, dass diese Rechte auch eingehalten werden, und die bestehende Diskriminierung sukzessive verringert wird, um so eine Integration in die Gesellschaft der DRC zu ermöglichen. Die Integration als gleichwertige Mitglieder der Bevölkerung, die derzeit so gut wie nicht vorhanden ist, darf allerdings keinesfalls zur Folge haben, dass die Kultur und die Traditionen der Pygmäen verändert bzw. ausgelöscht wird. Diese Kultur hat so viele Werte und Verfahrensweisen, die teilweise die sogar in demokratischen Systemen nicht in dieser Form zu finden sind – Gleichberechtigung der Geschlechter, Konfliktlösungsmechanismen etc.. Solange die Lebensweise der Pygmäen nicht mit 253 der der restlichen Bevölkerung kollidiert bzw. diese erschwert, was aufgrund der mangelnden Modernisierung bzw. dem zurückgezogen Leben nicht wirklich zu befürchten ist, muss gewährleistet werden, dass sie dieser auch nachgehen können. Dies inkludiert auch die Nutzung des Lebensraumes, da ihre Traditionen nur dort aufrechterhalten werden können. Die Frage des Besitzes muss juristisch geklärt werden, allerdings muss die Nutzung und die Erlaubnis diese Gebiete weiter besiedeln zu können garantiert werden. Hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen, die immer wieder dokumentiert werden, ist die internationale Gemeinschaft gefordert, Druck auszuüben, um die Pygmäen zu schützen. Auch, wenn es nur ein kleines Volk ist, gilt auch für sie die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese müssen eingehalten werden und Verletzungen in jedem Fall und mit aller möglichen Härte verfolgt werden. Die Bildung des Netzwerkes für Pygmäen, das schon weltweit Mitglieder hat, ist eine sehr positive Entwicklung. Zwar sind in den lokalen NGOs in vielen Fällen keine Pygmäen selbst am Werk, allerdings wird die Zahl immer größer. Auch die Zusammenarbeit mit und Initiativen der internationalen NGOs sind sehr wichtig und zeigen auch bereits große Auswirkungen auf die Situation der Pygmäen. Viele Bildungs- und medizinische Projekte sind essentiell für viele der Pygmäendörfer in der DRC und eine große Unterstützung für deren schlechte Situation. Allerdings mangelt es an internationaler Anerkennung und Aufmerksamkeit für die Unterstützung dieses Volkes. Vielleicht gelingt es durch die internationalen NGOs diese Situation in den nächsten Jahren zu verändern und zu verbessern, sowie das Netzwerk zu vergrößern. Weitere Probleme, wie die Finanzierung der Projekte und die Zusammenarbeit mit der Regierung bzw. lokalen Behörden, die oft nicht gegeben ist, sind nur schwer zu verändern bzw. zu verbessern, da es in diesen Bereichen sehr viel auf äußere Unterstützung bzw. Kooperation ankommt. Die Initiativen bestehen jedoch, die Projekte auszuweiten und zu intensivieren. In diesem Fall ist nicht nur die Kultur der Pygmäen, die eine der ältesten der Welt ist, bedroht, sondern auch die Umwelt und die Einhaltung der Menschenrechte. Die Pygmäen sind ein Beispiel für eine Minderheit, die keinerlei Rechte besitzt, und diese Situation gilt es zu ändern und zu verbessern. Nicht nur für die Pygmäen, für viele Minderheiten der Welt, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Es gilt jedes 254 Menschenleben und jede Kultur zu schützen und zu achten. Bleibt zu hoffen, dass diese Pflicht bald international verpflichtend und durch entsprechende Sanktionierungsmaßnahmen geschützt wird, und viele Kulturen, trotz aller Unterschiede, gemeinsam und miteinander leben können. 255 12. Anhang 12.1. Regierung der Demokratischen Republik Kongo596 Le Président Son Excellence Joseph KABILA KABANGE MINISTÈRES MINISTRES D'ETAT François Joseph Mobutu : Agriculture Nzanga Ngbangawe 596 Intérieur, décentralisation et Denis Kalume Numbi : Antipas Mbusa Nyamwisi : Sylvain Ngabu Chumbu : Pierre Lumbi Okongo : Nkulu Mitumba Kilombo : Ministre d’Etat près le Président MINISTRES : Godefroid Mayobo Mpwene Ngantien : Ministre près le Premier ministre Chikez Diemu : Georges Minsay Booka : Justice Olivier Kamitatu Etsu : Plan Ignace Gata Mavinga : Intégration régionale Athanase Matenda Kyelu : Finances Adolphe Muzito : Budget United Nations Permanent Mission, http://www.un.int/drcongo/government.htm. Democratic sécurité Affaires étrangères et de la coopération internationale Enseignement supérieur et universitaire Infrastructures, travaux publics et reconstruction Défense nationale et des anciens combattants Republic of Congo, the Government, 256 Jeannine Mabunda Lioko : Portefeuille Sylvain Joël Bifwila Tchamwala : Economie nationale Toussaint Tshilombo Send : Simon Mboso Kiamputu : Industrie Kasongo Ilunga : Commerce extérieur Jean François Ekofo Panzoko : Petites et moyennes entreprises Remy Henri Kuseyo Gatanga : Charles Mwando Nsimba : Développement rural Maker Mwangu Famba : Sylvanus Mushi Bonane : Recherche scientifique Victor Makwenge Kaput : Santé publique Martin Kabwelulu Labilo : Mines Salomon Banamuhere Baliene : Energie Lambert Mende Omalanga : Hydrocarbures Marie-Ange Lukiana Mufwankol : Zéphyrin Mutu Diambu-di-Lusala Nieva Martin Bitijula Mahimba Philomène Omatuku Atshakawo Akatshi Information, Presse et communication nationale Transports et voies de communication Enseignement primaire, secondaire et professionnel Travail et de la prévoyance sociale : Fonction publique : Affaires sociales et de la solidarité nationale : Condition féminine Pardonne Kaliba Mulanga : Jeunesse et des sports Liliane Pande Muaba : Affaires foncières Laurent-Simon Ikenge Lisambola : Urbanisme et habitat Kyamusoke Bamusulanga Nta-Bote : Postes, téléphones et télécommunications Didace Pembe Bokiaga : Environnement Elias Kakule Mbahingana : Tourisme Marcel Malenso Ndodila : Culture et des arts Eugène Lokwa Ilwaloma : Droits humains 257 Jean-Claude Muyambo Kyassa : Affaires humanitaires VICE-MINISTRES Joseph-Davel Mpango Okundo : Intérieur Daruwezi Mokombe : Sécurité Alain Lubamba wa Lubamba : Affaires étrangères Colette Tshomba Ntundu : Congolais de l’étranger Nelson Paluku Syayipuma : Défense nationale Yvonne Iyamulemye Kabano : Anciens combattants Kalinda Mitumbala Odia : Justice Ferdinand Essambo Lukye : Plan Hangi Binini : Finances Célestin Mbuyu Kabango : Budget Laure Marie Kawanda Kayena : Transports Gervais Ntirumenyerwa Kimonyo : Travaux publics Gentiny Ngobila Mbaka : Agriculture Modeste Omba Sakatolo : Marie-Madeleine Mienze Kiaku : Enseignement supérieur et universitaire Ferdinand Ntua Osiamba : Santé publique Victor Kasongo Shomary : Mines Arthur Sedeya Ngamo Zabusu : Energie Télésphore Tsakala Munikengi : Travail et de la prévoyance sociale Vincent Okoyo Nembe : Fonction publique Enseignement primaire, secondaire et professionnel 12.2. Beispiele Verbrechen gegen die Pygmäen 12.2.1. Exactions by soldiers. January 2nd Soldiers of armed forces of the DRCongo (FARDC) got into the pygmies’ houses in Muyange village, Kabare territory. They loot importants properties. 258 January 7th Three soldiers of the FARDC rape the pygmy Faida M’Ntole (19 years), mother of a 18 months child and wife of the pygmy chinzali (22 years) of Chombo/ Buyungule village. January 13th At about 9 o’ clock pm, the Rwandan militia Interahamwe and the Soldiers of FARDC got successively in Madam Melania’s house, a pygmy subject of Kashodu village, Kamakombe locality, Bugorhe grouping in the territory of Kabare. They take away a goat, clothes, kitchen supplies and other possessions. 12.2.2. Expulsion from gold-mines February 5th Some Hutu non identified in any other way killed a pygmy near Opiko in Azavillage, Mahaa district, territory of Wamba, Oriental Province. Between February 5th and February 8th. At Kaboneke in the district of Ntambuka on Idjwi Island, 25 pygmies’houses were destroyed by ten men. The reason of that destruction was the fact that the King (Mwami) Roger Ntambuka wanted to give the lands of Kaboneke, which belonged to the Pygmy’s Boroto family, to his brothers “Urbain” and Mukunda. Februar y 9th In Kisiza village in South of Idjwi territory, at 5 o’ clock pm, the soldiers of FARDC attacked at their home the pygmies subjects J.B. and john and caned them seriously. They obliged the old pygmy Mufi to escort them in the night perquisition in each of the pygmies’ houses so as to search for sacks of wood-embers. The exploitation of live coals is a habitual activity of the pygmies on Idjwi Island but it is forbidden by the customary headman (Kingmwami) Roger Ntambuka. February 15th The pygmy Kininga Msafiri of Maeta village in Itombwe forest in the territory of Fizi was stolen his 180 kg of Cassiterite by the customary chiefs Msafiri and Ngenda. 259 According to these latters, a pygmy does not have the right to possess such a quantity of ores. 12.2.3. Rapes of girls March 3 rd The pygmy Buholo Masesa of Luindi district in the territory of Mwenga is expelled from his mine of cassiterite by the factory named Mi-Congo. Soldiers of FARDC lead by Colonnel Samy raped 3 pygmies girls in Kembe village in the territory of Walikale. 12.2.4. Requisition for transport of ammunitions. April 2nd A truck of FARDC made an accident and bent its Cargo near Boroto village in Walikale territory. With lashings, the Soldiers obliged the pygmies of that village to load again the ammunitions in their truck. 12.2.5. Murder at the work post. May 7th The chair person of the administrative post of Panga in Banalia territory in the Oriental Pronvince, M. Lomali, and his policem arrested, undressed and caned at night and pub lically the Pygmies of Bapele village. These had just killed a leopard which was threatening them. May 30th The pygmy Soda Nyamushi was stabbed with a poniard by a person in civilian clothes at about 11 o’ clock pm in kitambala’s plantation where he was working on sentry-duty. Aged of 36 years, he was living in Chombo/Buyungule village in the grouping of Miti in the territory of Kabare. He left his pregnant wife Jacqueline M’Nyangirwa with 5 children. 260 12.2.6. Arbitrary arrestations. June 2nd Two Soldiers of FARDC non-identified in another way arrested and obliged the pygmy Bahati Nyamushi of Chombo/Buyungule village in the territory of Kabare to transport a bunch of bananas to their camp of Civanga. The soldiers deployed in that area were used to make the pygmies to transport luggages of possessions that they had looted here and there. June 9th The pygmy Leonad Milenga EO, popularizor of forest and mining codes on the way Mwenga-Itombwe, was seriously beaten and arres ted during 4 hours by the Soldiers of the 107 th brigade of the FARDC. He was suspected to have much money to buy ores. For his liberty he paid a fine of 20 American dollars. They also took away his field pair of shoes and a jacket.597 597 CAMV (2005). The First Half-Year 2005 Painful for the Pygmies in East of DR Congo, Pygmies Echo, No.18, August 2005, S.14f. 261 14. Literatur 14.1. Primärliteratur International Labour Organization (2003). ILO Convention on Indigenous and Tribal Peoples 1989 (No.169), A Manual. Pamphlet No.6 of the UN guide for Minorities. Minority Rights under the African Charter on Human and Peoples’ Rights. UN Doc. E/CN.4/Sub.2/112. UN Doc. S/1999/1279. UN Doc: S/2002/1146. Final report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo. 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