Kultur und Raum in Konstruktionen des Indischen Ozeans

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Kultur und Raum in Konstruktionen des Indischen Ozeans
Regionalising paradigms: Kultur und Raum in Konstruktionen des Indischen Ozeans (seit 2011, von 03‐10/2011 gefördert durch ein post‐doc Stipendium der Fritz Thyssen Stiftung) Die Bedeutung des Indischen Ozeans als Untersuchungseinheit ist im Verlauf der letzten 130 Jahre, seit der Begründung der Kulturgeographie durch Friedrich Ratzel (Ratzel 1880, 1882), erheblichen Schwankungen ausgesetzt. Für Ratzel selbst spielt der Indische Ozean in seinen Überlegungen zur Herkunft und Verbreitung afrikanischer Bögen (Ratzel 1893) zwar eine Rolle, die vor allem in der historischen Ethnologie weitergedacht wird (vgl. Frobenius 1897/98, 1998, Ankermann 1905). Doch mit der Hinwendung zur klassischen Länderkunde und der damit einhergehenden zunehmenden Abkehr von einer auf größere Zusammenhänge blickenden historischen Perspektive Anfang des 20. Jahrhunderts verliert sich diese Herangehensweise, so dass der Indische Ozean von diesem Zeitpunkt an keine Rolle mehr als regionaler Schwerpunkt spielt. Erst die Rezeption Braudel’s bekannter Studie zum Mittelmeer (Braudel 1972 *1949+) regt schließlich Mitte der 80er Jahre vor allem Historiker wieder dazu an, sich mit der Übertragbarkeit einer „maritimen“ Perspektive auf den Indischen Ozean auseinanderzusetzen und erneut nach Zusammenhang und Einheit dieser Region zu fragen (Chaudhuri 1985, Chandra 1987, Das Gupta und Pearson 1987, Mc Pherson 1993, Wink 1991, Wong 2003). Vor allem die Tatsache, dass bereits lange vor der Einflussnahme durch die Europäer intensiver Austausch vorherrscht, lässt den Indischen Ozean dabei auch für eine kolonialkritische Geschichtsschreibung interessant werden – obwohl diese eigentlich das Ziel hat, den artifiziellen Charakter von regionalen Perspektiven hervorzuheben (Lewis und Wigen 1997). Obwohl die Regionalstudien insgesamt in den letzten Jahren von unterschiedlichen Seiten immer wieder erheblich kritisiert und grundsätzlich in Frage gestellt wurden (vgl. Bates 1997, Brahm und Meissner 2006, Miyoshi und Harootunian 2002, O’Meara et al. 2001, Szanton 2003), hat der Indische Ozean als regionaler Forschungsschwerpunkt seit Mitte der 90er Jahre zusehends an Bedeutung gewonnen. Dies drückt sich zum einen in einer hohen Anzahl aktueller Veröffentlichungen aus (siehe u.a. Barnes 2005, Bose 2006, Ho 2006, Metcalf 2007, Moorthy und Jamal 2009, Gupta 2010, Ghosh und Muecke 2007, Pearson 2003), zum anderen zeigt sich dies aber auch in der Gründung zahlreicher neuer Forschungsinstitute zum Indischen Ozean. Gerade die im Zuge des so genannten mobility turn in den Vordergrund gestellte Fokussierung auf Mobilität und Vernetzung spielt bei der Begründung des Indische Ozeans als „Region“ eine entscheidende Rolle, so dass sie diesem mobilen Paradigma bereits als Paradebeispiel dienen kann (siehe z.B. Anderson 2008). Wie bereits diese sehr knappe Darstellung zeigt, unterscheidet sich nicht nur die Bedeutung erheblich, die dem Indischen Ozean als „Region“ in der wissenschaftlichen Arbeit zu unterschiedlichen Zeiten zu‐ kommt. Auch die Art und Weise, wie der Indische Ozean gesehen wird, ist eng an jeweilige Paradigmen gebunden (vgl. Prange 2008, Vink 2007). Es ist die zentrale These des Projekts, dass die Konstruktionen des Indischen Ozeans eng an die Vorstellung des Verhältnisses von Kultur und Raum gebunden sind. Zu untersuchen, um welche Vorstellungen es sich dabei handelt, wie sie sich seit Ratzel geändert haben und welche Vorstellungen des Verhältnisses von Kultur und Raum die Konstruktion des Indischen Ozeans aktuell bestimmen ist das zentrale Anliegen der Forschung. Ausgehend von diesen Überlegungen geht das Projekt der Frage nach, welche Rolle wissenschaftliche Institutionen in der Konstruktion des Indischen Ozeans als „Region“ spielen. Diese Frage liegt zunächst eine wissenschaftshistorische Perspektive nahe. Anhand einer intensiven Auseinandersetzung mit der Historiographie des Indischen Ozeans sollen die Konstruktionen des Indischen Ozeans auf ihr Verhältnis zu kultur‐ und raumtheoretischen Paradigmen wie z.B. Diffusionismus, Funktionalismus, Welt‐System‐Ansätzen oder relationalen Raumkonzeptionen untersucht werden. Wie stellen wissenschaftliche Institutionen die Region vor dem Hintergrund wissenschaftstheoretischer Überlegungen zum Verhältnis von Kultur und Raum her, und welche Paradigmenwechsel lassen sich dabei feststellen? Darüber hinaus soll der Forschungsfrage insbesondere aus ethnographischer Perspektive nachgegangen werden. Dabei soll zunächst anhand eines ausgewählten Forschungsinstituts – der Indian Ocean Studies Group an der University of California, Los Angeles (UCLA) – die praktische Herstellung der Region teilnehmend beobachtet werden. Ziel ist hier, Einblicke in die konzeptionelle und empirische Umsetzung theoretischer Perspektiven zu gewinnen, und dadurch ein differenziertes Verständnis von aktuellen Arten und Weisen der Generierung geographischen Wissens über die Welt zu erhalten.