Sonntag Laetare, 15. März 2015 – 18 Uhr Kaiser
Transcrição
Sonntag Laetare, 15. März 2015 – 18 Uhr Kaiser
Sonntag Laetare, 15. März 2015 – 18 Uhr Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Predigttext: 2. Kor. 1, 3 – 7 Pfr.i.R. Peter Freybe Die kleine Kathrin ist hingefallen. ‚Mutti, Mutti – das blutet‘! – und das ist ganz schlimm für das kleine Mädchen. ‚Ach, ist ja nicht so schlimm!‘ entfährt es der Mutter. ‚Doch, das ist ganz schlimm, guck mal, wie es blutet!‘ Und die Mutti sieht das Kind, sieht den Schreck und den Schmerz und nimmt das Kind in die Arme. Die Mutter speist das Kind nicht ab mit einem Trostpflaster. In allem Getriebe des Alltags nimmt sie sich Zeit, lässt den Schmerz und die Tränen zu – ist einfach da für ihr Kind – und (wenn es gut geht) kommt das Kind wieder zur Ruhe, ist getröstet in seinem schlimmen Schmerz und springt wieder fröhlich davon (bis zum nächsten mal). ‚Alles wird gut!‘ – höre ich jetzt öfter mal Menschen sagen. Das ist eigentlich ein seltsames Wort, wenn jemand sich selbst oder einen anderen trösten will. Woher weiß der oder die das, dass ‚alles gut wird‘? Bei Beerdigungen wird am Grab oft gesagt (was wir hier von Paulus hören): „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und der Gott allen Trostes.“ Und ich denke an die Psalmbeter: ‚Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal – finde ich Trost, denn DU bist bei mir!‘ (Ps. 23) Und ich denke an die Psalmbeterin. Alles war ganz schlimm – wie von Gott Vater und Mutter verlassen, betet sie nun: ‚Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen‘. (Ps. 27) Gott sei Dank! ‚Alles wird gut!‘ – stimmt das am Ende sogar doch? „So können wir wiederum andere trösten in all unserer Bedrängnis, mit eben dem Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet sind.“ Was für eine Trostgemeinschaft! Paulus redet von sich selber in diesem Brief – so persönlich, wie man Briefe nur schreiben kann. Ja, es ist wahrer „Tränenbrief“, wie dieser Brief auch genannt wird. Es war schlimm für ihn. Er hatte mit viel Mühe und Freude in Korinth eine Gemeinde aufgebaut. Und das wollte etwas heißen in dieser multikulturellen Welt- und Hafenstadt Korinth. Und da kommen sich ganz fromm gebende Wanderprediger daher und machen Stimmung. Paulus sei ein Stümper, der kann gar nicht richtig predigen; und wie der schon aussieht mit seiner schwächlichen hässlichen Figur; dar hat ja gar keine Ausstrahlung. Und immer das mit dem Kreuz und mit dem Leiden. Fröhlicher müssten die Christen aussehen! – als dieser Leidensapostel. Und wir wissen, wie er dafür gelitten hat, ganz schlimm: verfolgt, verspottet, verlacht, verjagt – schlimmer geht es nicht für jemanden, der doch nur die frohe Botschaft von Jesus Christus weitersagen will. Trostlos – und nun wirklich des Trostes bedürftig ist dieser Mensch. Gleich nach dem Predigttext heißt es dann sogar weiter: „Denn wir wollen euch, liebe Brüder und Schwestern nicht verschweigen die Bedrängnis, die uns widerfahren ist, wo wir über die Maßen beschwert waren und über unsere Kraft, so dass wir auch am Leben verzagten und es bei uns selbst für beschlossen hielten, wir müssten sterben.“ (V.8+9) Und da hinein hört der Paulus vom Propheten Jesaja – wie ein Kind auf seine Mutter, das Wort von Gott: ‚Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.‘ (Jes. 66, 13) Und er hört die Mutter und den Vater allen Trostes! (Vielleicht ist ja das Wort ‚Trost‘ das mütterlichste aller Wörter.) Und er hört: ‚Du, lass dir an meiner Gnade genügen – denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.‘ (2.Kor. 12, 9) Und er hält still und hält inne – immer wieder – weil ja auch die Angst immer wieder kommt und alles eng macht. Ja, immer wieder ist auch der Apostel des Trostes bedürftig. Und es ist ja auch hier so: weil Paulus selber immer wieder schwach ist – deshalb kann er andere trösten. Weil er selber so des Trostes bedürftig ist – kann er für andere ein Trost sein. Was für eine Trostgemeinschaft – der Apostel und seine Gemeinde! (Und im übrigen: Ich bin bei Besuchen in den Häusern und Krankenzimmern schon öfter getrösteter wieder nach Hause gegangen, als es mir selber vorher zumute war.) Und da kommt es dann zu diesen paradoxen, ja wunderbaren Erfahrungen für Christenmenschen (und das schreibt Paulus dann weiter in seinem so persönlichen Brief): ‚In allem werden wir bedrängt – aber nicht in die Enge getrieben; in Zweifel versetzt – aber nicht in Verzweiflung; verfolgt – aber nicht verlassen; zu Boden gestoßen – aber nicht vernichtet.‘ (4, 8+9) Martin Luther hat das ‚getroste Verzweiflung‘ genannt (widersprüchlicher und wunderbarer kann das ja nicht sein). In einem Brief am 8. April 1516 schreibt er an seinen Ordensbruder, den Augustinermönch Georg Spenlein: ‚Darum mein lieber Bruder, lerne Christus, und zwar den Gekreuzigten; lerne ihm singen und in der Verzweiflung an dir selbst zu ihm sagen: ‚Du, Herr Jesus, bist meine Gerechtigkeit, ich aber bin deine Sünde. Du hast auf dich genommen, was mein ist, und mir geschenkt, was dein ist. Du hast auf dich genommen, was du nicht warst, und mir geschenkt, was ich nicht war.‘ Und dann fährt Martin Luther fort: Du, Bruder Georg ‚dieser seiner Liebe sinne immer wieder nach, und du wirst seinen allersüßesten Trost erfahren. Denn wenn wir durch unser eigenes Sorgen und Grämen zur Ruhe des Gewissens gelangen müssten – wozu wäre er dann gestorben? Darum wirst du nur in ihm durch getroste Verzweiflung an dir und deinen Werken Frieden finden.‘ Liebe Schwestern und Brüder – ist es wirklich alles nicht so schlimm!? – Mit unseren Schwachheiten und Wunden und Zweifeln – wenn wir nur an dieser ‚getrosten Verzweiflung‘ daran festhalten, dass Gott in unserer Schwachheit wirkt und wirksam wird! So bleiben wir in unserer Trostgemeinschaft miteinander verbunden ‚als Sterbende – und siehe, wir leben; gezüchtigt – und doch nicht zu Tode gekommen; betrübt – und doch voller Freude (Laetare!); als Arme – die doch viele reich machen; die mit leeren Händen dastehen – und doch alles besitzen‘. (6, 8+9) Alles wird gut! Und als so getröstete und tröstende Menschen können wir ‚Hebammen der Hoffnung‘ sein und werden. Und zum Schluss – am Ende sind wir alle des Trostes bedürftig. Solche ‚Hebammen der Hoffnung‘ sind für mich der ehemalige Benediktinermönch Fulbert Steffensky und seine Frau Dorothee Sölle geworden. Nach dem Tod seiner Frau hat Steffensky von der Trostgemeinschaft – des wechselseitigen Gesprächs und der wechselseitigen Tröstung aufgeschrieben: ‚Den tiefsten Trost in jener Zeit will ich nennen, es waren Freunde und Freundinnen, die mich oft besuchten und die den Schmerz ehrten. Sie haben keine tröstenden Worte gefunden, sie waren da und sie haben sich von meinem Unglück nicht vertreiben lassen… Wir haben über die Texte gesprochen, die Lieder gesungen, die sie mochte, ihre Texte gelesen. Die Trauer wurde nicht gemildert, aber geteilt… Sie waren nicht nur für mich da, wie waren auch da als sie selbst, mit ihrer Arbeit, von der sie erzählten, mit ihren eigenen Sorgen und mit ihrem Glück. Sie waren als Hungrige da, ich musste sie füttern…‘ Liebe Gemeinde, ich wünsche uns allen, dass wir solche Trostgemeinschaft finden, dann, wenn wir sie brauchen! Amen